Anwendungsbereiche: Rom I-VO
Sachlich: Regelt vertragliche Schuldverhältnisse im Zivil- und Handelsrecht mit internationalem Bezug (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO).
Ausnahmen:
Vorvertragliche Schuldverhältnisse (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO, geregelt durch Rom II-VO).
Gesellschafts-, Vereins- und juristische Personenrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. f).
Betriebliche Altersvorsorge (Art. 1 Abs. 2 lit. j).
Sozialversicherungen (kein Zivilrecht).
Räumlich:
Gilt in allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark.
Vereinigtes Königreich: Erfasst nach Kommissionsentscheidung 2009/26/EG.
Zeitlich:
Anwendbar auf Verträge, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden (Art. 28 Rom I-VO).
Universeller Charakter:
Gilt auch für Drittstaatensachverhalte: Das berufene Recht kann auch das eines Nicht-EU-Staates sein (Art. 2 Rom I-VO).
Internationale Abkommen mit speziellen Kollisionsnormen (z. B. UN-Kaufrecht) haben Vorrang (Art. 23, 25 Rom I-VO).
Unterschied zwischen Rom I und Rom II-VO
1. Geltungsbereich
Rom I: Regelung des anwendbaren Rechts bei vertraglichen Schuldverhältnissen.
Beispiel: Versicherungsvertrag
Rom II: Regelung des anwendbaren Rechts bei außervertraglichen Schuldverhältnissen.
Beispiel: Deliktsrecht (z. B. Verkehrsunfall)
2. Rechtswahl
Rom I: Vertragspartner können das anwendbare Recht frei wählen (Art. 3 Rom I).
Rom II: Rechtswahl nur begrenzt möglich, etwa nach Entstehung eines Schadens (Art. 14 Rom II).
3. Anknüpfungspunkte
Rom I: Vorrang der Rechtswahl; ohne Rechtswahl → objektive Anknüpfung an engste Verbindung (z. B. gewöhnlicher Aufenthalt des Schuldners, Art. 4).
Rom II: Ohne Rechtswahl → primär Anknüpfung an Erfolgsort (Ort des Schadens, Art. 4 Abs. 1), ggf. Ausnahmen (z. B. gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Parteien, Art. 4 Abs. 2).
4. Beispiele
Rom I: A und B schließen einen Kaufvertrag → Anwendbares Recht richtet sich nach der Rechtswahl oder, ohne Rechtswahl, nach Art. 4 Rom I.
Rom II: Verkehrsunfall zwischen A und B in Italien → Anwendbares Recht richtet sich nach Art. 4 Rom II (Deliktsrecht Italien).
5. Merksatz
Rom I = Vertragsrecht (freiere Rechtswahl).
Rom II = Deliktsrecht (Erfolgsortregel und begrenzte Rechtswahl).
Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Anknüpfung
Subjektive Anknüpfung
Die Parteien wählen selbst, welches Recht gelten soll.
Grundlage: Parteiautonomie.
Beispiel: Zwei Vertragspartner einigen sich auf deutsches Recht.
Objektive Anknüpfung
Wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, legt das Gesetz fest, welches Recht gilt.
Grundlage: Bestimmte Kriterien, z. B. der Sitz des Vertragspartners oder der Ort des Risikos.
Beispiel: Ein Ferienhaus in Frankreich wird versichert → Es gilt französisches Recht, weil das Risiko dort liegt.
Merksatz:
Subjektiv = Die Parteien entscheiden.
Objektiv = Das Gesetz entscheidet.
Private Versicherungssachen mit Risikobelegenheit außerhalb der EU
Anwendbare Normen
Art. 3 Rom I-VO (Subj. Anküpfung):
Freie Rechtswahl der Parteien.
Art. 4 Rom I-VO (Obj. Anknüpfung):
Ohne Rechtswahl gilt das Recht des Staates, in dem der Versicherer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Art. 6 Rom I-VO (Verbraucherverträge):
Schutz des Verbrauchers:
Es gilt das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,
sofern der Versicherer seine Tätigkeit gezielt auf diesen Staat ausrichtet (Werbung, Homepage in Sprache, Domain).
Beispiel
Ein Deutscher mit Wohnsitz in Deutschland schließt bei einem britischen Versicherer eine Reiseversicherung für die USA ab.
Art. 6 Rom I-VO greift: Es gilt deutsches Recht, weil der Verbraucher in Deutschland wohnt und der Versicherer seine Tätigkeit dorthin richtet.
Merke:
Risikobelegenheit außerhalb der EU fällt nicht unter Art. 7 Rom I-VO.
Stattdessen gelten Art. 3, 4 oder 6 Rom I-VO, je nach Situation.
Rom II - Artikel 4, 17 und 18 (Haftung, Deckung, Direktanspruch bei Verkehrsunfällen)
1. Artikel 4 Rom II: Haftung bei Verkehrsunfällen
Grundregel (Abs. 1):
Erfolgsortprinzip: Anwendbares Recht ist das Deliktsrecht des Unfallortes.
Beispiel: Unfall in den Niederlanden → Niederländisches Deliktsrecht gilt.
Ausnahme (Abs. 2):
Gewöhnlicher Aufenthalt: Wenn beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, gilt das Recht dieses Staates.
Beispiel: Beide Fahrer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland → Deutsches Deliktsrecht.
Ausweichklausel (Abs. 3):
Wenn der Sachverhalt eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Recht aufweist, kann dieses zur Anwendung kommen.
2. Artikel 17 Rom II: Verhaltensvorgaben (Lokale Verkehrsregeln)
Grundsatz:
Das Verhalten der Unfallbeteiligten wird immer nach den Verkehrsregeln des Unfallortes beurteilt (Local Data).
Beispiel: Rechts- oder Linksverkehr, Vorfahrtsregeln und zulässige Höchstgeschwindigkeit.
Absoluter Vorrang:
Artikel 17 gilt immer unabhängig davon, welches Deliktsrecht (Art. 4) angewendet wird.
3. Artikel 18 Rom II: Direktanspruch gegen Haftpflichtversicherer
Anwendbares Recht für den Direktanspruch:
Variante 1: Recht des Unfallorts.
Beispiel: Unfall in Frankreich → Französisches Recht regelt den Direktanspruch.
Variante 2: Recht des Versicherungsvertrags.
Beispiel: Versicherungsvertrag nach deutschem Recht → Deutsches Versicherungsrecht regelt den Direktanspruch.
Ergänzungen aus der Vorlesung:
Praktische Vereinheitlichung in der EU:
In allen EU-Mitgliedstaaten existiert ein Direktanspruch auf Grundlage der EU-Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie (2009/103/EG).
In der Praxis führt es zu keiner Abweichung, ob das Recht des Unfallorts oder des Versicherungsvertrags gilt.
Möglicher Klausurfall
Sachverhalt:
Ein deutscher Fahrer (A) kollidiert in Amsterdam mit einem französischen Fahrer (B).
Fahrzeug von A: Haftpflichtversicherung in Deutschland.
Fahrzeug von B: Haftpflichtversicherung in Frankreich.
A möchte einen Direktanspruch gegen die Versicherung von B geltend machen.
Lösungsschritte:
Haftung (Art. 4):
Unfallort in Amsterdam → Niederländisches Deliktsrecht (Art. 4 Abs. 1).
Verhalten (Art. 17):
Niederländische Verkehrsregeln sind maßgeblich.
Direktanspruch (Art. 18):
Variante 1: Niederländisches Recht regelt den Direktanspruch.
Variante 2: Französisches Versicherungsvertragsrecht regelt den Direktanspruch.
Ergebnis:
Durch die EU-Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie besteht in beiden Varianten ein Direktanspruch.
Merksätze (inkl. Ergänzungen)
Artikel 4: Haftungsrecht = Erfolgsortprinzip, Ausnahme bei gemeinsamem gewöhnlichem Aufenthalt.
Artikel 17: Verkehrsregeln des Unfallortes gelten immer.
Artikel 18: Direktanspruch durch EU-weite Vereinheitlichung immer gegeben, unabhängig von der Variante.
Verbindung zwischen Art. 18 Rom II, § 115 VVG und EU-KFZ-Haftpflichtversicherungsrichtlinie
Direktanspruch in der EU:
Art. 18 Rom II regelt, welches nationale Recht auf den Direktanspruch anzuwenden ist.
§ 115 VVG konkretisiert den Direktanspruch im deutschen Recht und setzt die EU-Richtlinie um.
Die EU-KFZ-Haftpflichtversicherungsrichtlinie garantiert einen europaweiten Mindeststandard: Der Direktanspruch besteht unabhängig vom anwendbaren Recht.
Praktische Relevanz:
Bei Verkehrsunfällen innerhalb der EU können Geschädigte immer direkt gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers vorgehen.
Nationales Recht entscheidet nur über Details (z. B. Höhe des Anspruchs oder Verjährung).
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