Kann verkündetes, aber noch nicht in Kraft getretenes Recht zulässiger Prüfungsgegenstand iRe abstrakten Normenkontrolle sein?
Zulässiger Prüfungsgegenstand ist grundsätzlich nur existentes Recht; eine präventive Normenkontrolle ist grundsätzlich nicht möglich. Zum existenten Recht gehört ohne Zweifel das in Kraft befindliche Recht. Aber auch das verkündete, noch nicht in Kraft getretene Recht kann den Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens bilden, weil die tätigkeit aller am Rechtsetzungsverfahren Beteiligten beendet ist. Demgegenüber ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens für die Frage, ob existentes Recht vorliegt, ohne Bedeutung. Demgemäß kann verkündetes, aber noch nicht in Kraft getretenes Recht Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein.
Abstrakte Normenkontrolle: Besteht ein Antragsgrund gem. § 76 I BVerfGG, wenn lediglich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm bestehen?
Gem. § 76 I Nr. 1 BVerfGG ist erforderlich, dass der Antragsteller die Norm für nichtig hält, also von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist.
Andererseits lässt es Art. 93 I Nr. 2 GG ausreichen, dass Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel an der Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz bestehen.
Fraglich ist, ob es sich bei der Regelung in Art. 76 I Nr. 1 BVerfGG um eine zulässige Konkretisierung oder um eine unzulässige Verengung des Art. 93 I Nr. 2 GG handelt. Im letztgenannten Fall wären Zweifel ausreichend, weil Art. 93 I Nr. 2 GG Geltungsvorrang hat.
Normbestätigungsverfahren, § 76 I Nr. 2 BVerfGG
Für den Fall des Normbestätigungsverfahrens hat das BVerfG entschieden, dass die in § 76 I Nr. 2 BVerfGG aufgestellten höheren Anforderungen eine zulässige, auf Grundlage des ARt. 94 II 1 GG getroffene Konkretisierung des Art. 93 I Nr. 2 GG darstellen. Dafür spricht ,dass die Verfassungsmäßigkeit einer Norm regelmäßig vermutet wird, so dass ohne konkreten Anlass im Regelfall kein objektives Interesse bestehen wird, die Gültigkeit einer Norm nochmals ausdrücklich feststellen zu lassen.
Normverwerfungsverfahren, § 76 I Nr. 1 BVerfGG
Im Fall des Nomverwerfungsverfahrens nach § 76 I Nr. 1 BVerfGG will der Antragsteller hingegen nicht etwas feststellen lassen, was ohnehin vermutet wird. Deswegen lassen sich die vorstehenden Überlegungen auf den Fall des Normverwerfungsverfahrens nicht übetragen.
Es ist auch sonst kein sachlicher Grund ersichtlich, der eine Verschärfung der Anforderungen gegenüber Art. 93 I Nr. 2 GG rechtfertigen würde.
Darüber hinaus erscheint eine Abgrenzung zwischen bloßen Zweifeln an und der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm wenig praktikabel.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass wegen des begrenzten Kreises der Antragsteller kaum die Gefahr besteht, dass das BVerfG mit unnötigen Anträgen überhäuft wird.
Deshalb sind jedenfalls im Anwendungsbereich des § 76 I Nr. 1 BVerfGG auch bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit ausreichend.
Umstritten ist, ob ein Änderungsgesetz, das selbst keine zustimmungspflichtigen Regelungen enthält, allein deswegen zustimmungsbedürftig sein kann, weil das Ursprungsgesetz, auf das es sich bezieht, zustimmungspflichtig war.
Hinweis:
Zustimmungsbedürftig sind zB Ergänzungen oder Änderungen von Verfahrensvorschriften iSd Art. 85 I GG. - Nicht zustimmungsbedürftig ist demgegenüber die Aufhebung zustimmungsbedürftiger Regelungen, da hierdurch die Beeinträchtigung der Verwaltungshoheit zulasten der Länder gerade wieder beseitigt wird.
e.A.:
Dafür wird teilweise angeführt, der Bundesrat habe durch seine seinerzeitige Zustimmung zum Ursprungsgesetz eine Mitverantwortung für das Gesamtgesetz übernommen, was zur Folge habe, dass auch jede künftige Änderung eines solches Gesetzes der Zustimmung des Bundesrates bedürfe.
a.A.:
Gegen diesen Ansatz sprich zunächst der Gesichtspunkt der gesetzgebungstechnischen Einheit.
Auch das Änderungsgesetz ist eine gesetzgebungstechnische Einheit, bei dessen Erlass, ebesno wie bei jedem anderen Gesetz, sämtliche Voraussetzungen der Gesetzgebung erneut und selbstständig zu prüfen sind: Es muss festgestellt werden, ob der Bundesgesetzgeber für den Erlass eines Gesetzes mit diesem Inhalt zuständig ist und ob das Gesetz seinem Inhalt nach zustimmungsbedürftig ist. Enthält das Gesetz nicht selbst auch zustimmungsbedürftige Vorschriften und ändert es auch keine solchen Vorschriften ab, so ist es nicht zustimmungsbedürftig. Die dem urspünglichen - zustimmungsbedürftigen - Gesetz erteilte Zustimmung hat sich nur auf dieses Gesetz bezogen und konnte sich nur darauf beziehen. Die These, dass die Zustimmungsbedürftigkeit das Gesetz, durch dessen Inhalt sie ausgelöst worden ist, gewissermaßen “überlebt”, dass sie also eine Fern- und Dauerwirkung haben soll mit der Folge, dass jedes Änderungsgesetz erneut der Zustimmung des Bundesrates bedarf, findet im Grundgesetz keine Stütze.
Darüber hinaus würde die Mitverantwortungstheorie angesichts der grundsätzlich möglichen Aufspaltung von Gesetzen zu widersinnigen Ergebnissen führen.
Der Bundestag ist nicht gehindert, in Ausübung seiner gesetzgeberischen Freiheit ein Gesetzesvorhaben in mehreren Gesetzen zu regeln, Er kann zB die materiell-rechtlichen Vorschriften in ein Gesetz aufnehmen, gegen das dem Bundesrat nur ein Einspruch zusteht, und kann Vorschriften über das Verfahren der Landesverwaltung in einem anderen, zustimmungsbedürftigen Gesetz beschließen. Folgte man hier der Mitverantwortungstheorie, sp wäre eine spätere Änderung des ersten Gesetzes, das nur materielles Recht enthält, nicht zustimmungsbedürftig; wären materielle und Verfahrensvorschriften aber in einem - dann zustimmungsbedürftig - Gesetz enthalten, so wäre jede spätere Änderung dieses Gesetzes ebenfalls zustimmungsbedürftig. Es wäre aber widersinnig wollte man diese beiden Fälle verschieden entscheiden.
Dem Gesichtspunkt der Mitverantwortung ist schließlich der Schutzzweck der die Zustimmungsbedürftigkeit auslösenden Vorschriften entgegen zu halten. Die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen dient nicht in erster Linie der inhaltlichen Kontrolle und Übernahme von Verantwortung, sonder idR dem Schutz der Organisationshoheit oder der Finanzhoheit der Länder.
Daraus folgt, dass ein Änderungsgesetz im Regelfall nicht allein deswegen zustimmungsbedürftig ist, weil es ein zustimmungsbedürftiges Gesetz ändert.
Ausnahmsweise ist ein Änderungsgesetz aber dann zustimmungsbedürftig, wenn es sich zwar auf die Regelung (zustimmungsfreier) materieller Regelung beschränkt, diese Änderungen aber dazu führen, dass zB die Verwaltungsaufgaben eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfahren (sog. Systemverschiebung)
Fraglich ist, ob der Bundespräsident die Ausfertigung eines Gesetzes auch deswegen verweigern kann, weil das Gesetz seiner Ansicht nach aus materiellen Gründen gegen Verfassungsrecht verstößt.
Der Vorschrift des Art. 82 I 1 GG lässt sich insoweit nichts entnehmen. Soweit der Bundespräsident nach dieser Vorschrift zu prüfen hat, ob die Gesetze nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes “zustande gekommen” sind, wird damit nur auf den formellen Entstehungsakt, nicht aber inhaltliche Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem GG abgestellt. Ein solches “materielles Prüfungsrecht” lässt sich auch weder aus Art. 56 GG (Amtseid) noch aus Art. 61 GG (Möglichkeit der Präsidentenanklage bei vorsätzlicher Verletzung des GG) herleisten. Denn beide Vorschriften setzen die hier erst noch zu prüfende Feststellung voraus, dass der Bundespräsident zu Verweigerung der Ausfertigung des Gesetzes wegen einer (angenommenen) materiellen Verfassungswidrigkeit berechtigt und verpflichtet ist.
Für eine solche Befugnis sprechen aber die Regelungen in Art. 1 III GG (Grundrechtsbindung) und Art. 20 III GG (Bindung an Recht und Gesetz). Aus beiden Bestimmungen lässt sich eine Bindung des Bundespräsidenten über die geschriebenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen hinaus herleiten.
Gegen eine solche Befugnis spricht jedoch, dass dem Bundespräsidenten damit quasi ein Recht zur (vorbeugenden) Normenkontrolle und -verwerfung zustehen würde. Dies widerspricht den Regelungen der Art. 93 I Nr. 2 GG und Art. 100 GG, wonach das Verwerfungsmonopol für Parlamentsgesetze beim BVerfG liegt und ein Normenkontrollverfahren grundsätzlich nur durch die in den vorgenannten Artikeln genannten Verfassungsorgane bzw. Gerichte eingeleitet werden kann.
Stellungnahme: Beide Argumentationen berücksichtigen wichtige verfassungsrechtliche Aspekte. Bei dieser Sachlage und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die materielle Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes regelmäßig nicht ohne weiteres feststellen lassen wird, ist es sachgerecht, ein Weigerungsrecht des Bundespräsidenten jedenfalls aber auch nur für den Fall eindeutiger bzw. evidenter Verfassungsverletzungen zu bejahen.
Hat der Bund auch die Verbandkompetenz (Recht völerrechtliche Verträge abzuschließen) bei Materien, die in dei Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt?
Fraglich ist, ob dem Bund auch die Abschlusskompetenz für Verträge zusteht, deren Materie in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Eine solche Kompetenz könnte sich aus Art. 32 I GG ergeben, wonach die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes ist. Andererseits könnte ihr Art. 32 III GG entgegenstehen, wonach die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen können, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind.
Welches Verhältnis zwischen Art. 31 I und III GG besteht ist streitig.
Föderalistische Auffassung:
Nach dieser Auffassung begründet Art. 32 III GG im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder auch eine ausschließliche Abschlusskompetenz der Länder. Insoweit wird Art. 32 III GG als Ausnahmevorschrift zu Art. 32 I GG gesehen. Danach kann der Bund nur dprt eine Abschlusskometenz besitzen, wo er nach Art. 30 GG, 70 ff., 83 ff. GG auch innerstaatlich über die erforderliche Transformationskompetenz verfügt.
Zentralistische Auffassung:
Nach dieser Auffassung wird Art. 32 I GG durch Art. 32 III GG ergänzt und begründet im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder eine konkurrierende Abschlusskompetenz der Länder. Danach kann der Bund gem. Art. 32 I GG mit auswärtigen Staaten über alle Arten von Gegenständen Verträge schließen.
Das Verhältnis der Regelung in Art. 32 I GG einerseits und Art. 32 III GG andererseits, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.
Der Wortlaut des Art. 32 III GG spricht eher gegen die Annahme einer ausschließlichen Abschlusskompetenz der Länder. Hätte mit der Regelung in Art. 32 III GG eine ausschließliche Abschlusskompetenz für die Länder geregelt werden sollen, so hätte dies eindeutiger formuliert werden können, statt “können die Länder abschließen” etwa “können nur die Länder abschließen” oder “schließen die Länder ab”.
Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht gegen die Annahme einer ausschließlichen Abschlusskompetenz der Länder. Im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf war zunächst die ausdrückliche Regelung enthalten gewesen, dass sich die Abschlusskompetenz nach der Gesetzgebungskompetenz richten solle. Diese Formulierung wurde später zugunsten der jetzigen Formulierung aufgegeben.
Systematik. Die Annahme einer ausschließlichen Abschlusskompetenz ist auch zur Wahrung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern nicht erforderlich, wenn man eine strenge Differenzierung zwischen Abschluss- und Transformationskompetenz vornimmt und den Regelungsbereich des Art. 32 GG auf die Frage der Abschlusskompetenz beschränkt.
Folgebetrachtung. Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht und praktikabel, da sich auswärtige Staaten unabhängig von der Materie an die Auslandsvertretung des Bundes wenden werden und im Regelfall landesübergreifende Abkommen schließen werden wollen. In supranationalen Organisationen kann ohnehin nur die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartner sein. Gem. Art. 32 GG iVm 20 I GG tritt die Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat nach außen einheitlich auf; nur im Innenverhältnis ist die Staatsgewalt auf verschiedene Verbände verteilt.
Damit besteht auf Gebieten, auf denen die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben, eine konkurrierende Abschlusskompetenz des Bundes.
Organstreitverfahren: Kann eine Fraktion auch einen Antrag gegen den Bundestag, also dasselbe Organ, richten?
z.T.:
Das wird zum Teil mit der Begründung verneint, die Prozessstandschaft lasse den kontradiktorischen Charakter des Organstreits nicht entfallen. Danach seien immer zwei Organe notwendig: Eines dass die beanstandete Maßnahme vornimmt, und ein anders, dessen Recht hierdurch verletzt wird. In einem kontradiktorischen Verfahren könne sich die Rechtsverfolgung mithin nicht gegen dasjenige Organ richten, dessen Rechte des Prozessstandschaft auftretende Organteil verteidigen möchte.
Diese formale Argumentation berücksichtigt nicht hinreichend den Zweck der in § 64 I BVerfGG geregelten Prozessstandschaft: Die Prozessstandschaft trägt dem Umstand Rechnung, dass im parlamentarischen Regierungssystem die Kontrollfunktion im Wesentlichen von den Minderheitenfraktionen wahrgenommen wird, während die Mehrheitsfraktionen die Regierung stützen. Aus diesem Gund zum einen anerkannt, dass die prozessstandschaftliche Wahrnehmung von Rechten des Bundestages durch eine Minderheitsfraktion auch gegen den ausdrücklichen Willen des Bundestages möglich ist. Weitergehend hat es das Bundesverfassungsgericht für zulässig erachtet, dass eine Minderheitsfraktion die Rechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung auch dann verteidigt, wenn die Parlamentsmehrheit das Regierungsverhalten ausdrücklich gebilligt hat. Insoweit ist es nur konsequent, wenn man einem Organteil auch die Befugnis zugesteht, die Rechte des Gesamtorgans gegen eben dieses geltend zu machen.
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