Evidenz für Systemische Therapie
Evidenzgrade von Psychotherapie
Welcher Bericht hat die ganze Evidenz von Systemischer Therapie zusammengefasst und was kam raus?
Anerkennung von ST im Krankenkassensystem
▪ Positiver Nutzen sowie medizinische Notwendigkeit wurde vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen bestätigt (IQWIG) → Systemische Therapie ist wissenschaftlich anerkannt (Wissenschaftlicher Beirat 2008)
▪ Seit 2019 sozialrechtliche Anerkennung
▪ Seit 2020 wird Systemische Therapie als ambulante Leistung für Erwachsene von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt = psychotherapeutisches Richtlinienverfahren (2024 auch für Kinder- und Jugendliche)
▪ Neuerung Psychotherapie Richtlinie: Einbezug von Angehörigen in die Therapie im Vergleich zu anderen Verfahren deutlich häufiger möglich
→ Aufnahme der Arbeit im Mehrpersonensetting
Kontingente von ST
Stunden von verschiedenen Therapieverfahren
Wert-Schätzung der Symptomatik
Störung mit ihrer eigenen Logik begegnen
▪ Symptome werden als bedürfnisorientierte Lösungsversuche für Herausforderungen betrachtet, die wechselseitig durch intrapsychische, biologisch-somatische sowie interpersonelle und gesellschaftliche Prozesse beeinflusst werden
▪ Symptome werden nicht als lästiges Übel, Mangel an Kompetenz gesehen → „kreative Lösungen des Unbewussten“
▪ Entscheidend ist nicht die Frage nach der Ursache, sondern die Auswirkungen der Symptomatik
▪ Symptome gestalten Beziehungen
▪ Symptome sind oft wichtiger Teil der Identität oder Lebensaufgabe, nicht einfach “wegmachen”
Mögliche Fragen zur Exploration der Funktionalität von Symptomen
- Welche (unbewussten) beziehungsgestaltenden Fähigkeiten (Auswirkungen) hat Ihr Problem, Ihr Symptom, d.h.: welche (unbewussten Bedürfnisinformationen enthält Ihr Symptom im aktuellen Beziehungskontext, in Ihrer Herkunftsfamilie, in Ihrer inneren Familienkonferenz…?
- Gegenüber wem, welchen Beziehungen, welchen Erfahrungen ist Ihre „Kinderseele“ loyal?
-„Entwicklen Sie eine Metapher für Ihr Symptom, die jene Auswirkungen am treffendsten beschreibt.“
Unterscheidung zwischen interpersonaler und intrapsychischer Funktionalität
▪ Interpersonale Funktionalität: Beziehungsregulierend z.B. Umsorgt werden, Distanzierung, Indirekte Respektierung der persönlichen Integrität („Unversehrtheit“), Isolation zur Reduktion spannungssteigender Kontakte, Unterordnung der Bezugsperson
▪ Intrapsychische Funktionalität: Schutz vor negativer Befindlichkeit oder inneren Konflikten zwischen zwei Anteilen, Abhaltung von Herausforderungen oder Aufgaben z.B. Ablenkung/Schutz von als bedrohlich erlebten Emotionen (Wut, Trauer, Hilflosigkeit)
Zirkuläre Kausalität (Rekursivität)
▪ Wechselwirkungskreisläufe anstatt lineare Ursache- Wirkungszusammenhänge
▪ Statt „wenn…dann“ -> „je mehr desto/ je weniger desto“
▪ Alle Bestandteile eines Systems sind interdependent und interagieren miteinander
▪ Wegen der wechselseitigen Abhängigkeit aller Systeme und Subsysteme hat jedes Ereignis eine Vielzahl von Auswirkungen
ich reagiere auf jemanden, aber das löst wiederum eine Reaktion aus
Wie kann man als Therapeut:in das System beeinflussen?
Sind Therapeut:innen Teil des Systems oder unabhängige Beobachter:innen?
▪ Komplexe lebendige Systeme sind in ihrem Verhalten weder vorhersagbar noch voraussehbar → Trägt ein gewisses Chaos in sich
▪ Folge: Wir können Interventionen planen, haben aber nur eine geringe Ahnung welchen Effekt diese haben…
▪ Also: Anregen, Anstoßen, suchen, verstören….
▪ Die Therapeut:innen sind immer Teil des Systems und nie nur unabhängige Beobachter:innen:
→ Man ist als Therapeut:in nicht „extern“, sondern im System der Klient:innen inkludiert (keine Objektivität)
Bild: Wechselwirkungen zwischen zwei Personen/ intrapsychisch
Wie werden Patient:innen in der ST genannt? und Zusammenhang mit deren System?
Symptomträger:in oder Indexklient:in
= jenes Mitglied eines problemdeterminierten Systems, das durch die Bildung von Symptomen als Erstes anzeigt, dass in einem System dysfunktionale Beziehungs- und Interaktionsmuster herrschen
Die Bedeutung des Mehrpersonensettings im Krankenkassensystem
▪ Systemische Therapie im Krankenkassensystem ≠ Gruppentherapie ≠ Therapie mit der ganzen Familie
▪ Sondern: Einzeltherapie unter Einbezug von Angehörigen
→oftmals großer Erkenntnisgewinn durch andere Narrative/Interaktion und Möglichkeit Schwierigkeiten direkt zu besprechen und zu lösen
▪ Umsetzung der Arbeit im MPS in Praxis oft eine Herausforderung
→ Mögliche Schwierigkeiten: Klient:innen wollen „eigenen Raum“ verteidigen, rein
Grundverständnis der systemischen Therapie (zusammengefasst)
Auftragsklärung: 4 As
▪ Anlass: Konkrete Ereignisse, die Klient:innen veranlasst haben, eine Therapeut:in aufzusuchen („Was führt Sie her?“, „Warum gerade jetzt Therapiebeginn?“)
▪ Anliegen: Veränderungswünsche und –ziele der Klientin („Was möchten Sie hier erreichen?“, „Was soll am Ende der Therapie anders geworden sein, damit Sie zufrieden gehen können?“)
▪ Auftrag: Erwartung und Wünsche an die Therapeutin („Wobei genau kann ich Ihnen behilflich sein?“, „Was sollte hier auf gar keinen Fall passieren?“)
▪ Abmachung: Klärung des therapeutischen Angebots und der Rahmenbedingungen („Ich habe folgendes verstanden: … Und kann Ihnen folgendes dazu anbieten:….“)
Die Rolle des Gegenübers erkennen - verschiedene innere Haltungen
Die Rolle der Diagnostik in der Systemsichen Therapie
▪ Systemische Therapie hat eine lange diagnosekritische Tradition →seit sozialrechtlicher Anerkennung aber immer mehr von Bedeutung
▪ ICD-10 und DSM-V sind Diagnoseschemata mit medizinischem Krankheitsmodell mit ausschließlicher Orientierung auf die Symptomatik des:r Indexklient:in, ohne Berücksichtigung der familiären/sozialen Bezugspersonen
▪ Kategoriale Störungsdiagnostik ersetzt nicht andere Fragen → Aus systemischer Perspektive nicht der Erkenntnisgewinn, von dem wir uns das allermeiste Potential für den Therapieprozess erhoffen
▪ Sondern: Diagnostikbegriff wird erweitert betrachtet → Diagnostik von Zielen, Ressourcen, Genogramm, inneres und äußeres System (Systemanalyse), …
▪ „Man kann nicht nicht intervenieren“ → Diagnostik = Intervention
Potenzielle Nützlichkeit von Diagnostik
Potenzielle Schädlichkeit von Diagnostik
Soziale Netzwerkdiagnostik
→Erfassung der Quantität und Qualität sozialer Beziehungen
→Struktur: Kontakthäufigkeit, Beziehungsdauer, Art der Beziehung Haltbarkeit, Wechselseitigkeit, Erreichbarkeit,…
→Funktionalität: Soziale Unterstützung, soziale Negativität,…
Funktionen der Sozialen Netzwerkdiagnostik
▪ Übersicht über den sozialen Kontext: Welche wichtigen Bezugspersonen gibt es?
▪ Soziale Prozesse, Themen, biographische Aspekte: Anregung zu einer inneren Auseinandersetzung
▪ Vorbereitung der Netzwerkaktivierung: Wer könnte für die Behandlung und Begleitung eine Rolle spielen?
▪ Vorbereitung Netzwerkgespräch: Wen sollten wir zur Therapie einladen? Wen evtl. erst später? Wofür könnte das hilfreich sein?
▪ Symbolische Funktion: ein inneres Bild der sozialen Welt entsteht
Welche Systemische Fragetechniken gibt es?
Skalierungsfragen/Differenzierungsfragen
Zirkuläre Fragen
Wunderfrage
Hypothetische Fragen
Fragen nach Ausnahmen
Fragen nach Ressourcen
Reflexive Fragen
Woran würden Sie merken, dass Sie sich auf der Skala eine Stufe nach oben bewegt haben? Wer würde das noch bemerken? Was wäre dann anders?“
→Subjektive Wirklichkeit zu objektivieren, vergleichbar zu machen und Veränderungen abbilden zu können
Hypothetisches Einbeziehen relevanter Interaktionspartner:innen
z.B. durch „Waswürde Ihre Mitbewohnerin dazu sagen?“, „Wenn Sie das Symptom XY zeigen, wie reagiert dann Ihre Mutter?“, „Wie sieht die Kommunikation zwischen A und B aus der Perspektive von C aus?“..)
→Sammlung neuer Informationen durch Perspektivwechsel
Wunderfragen
„Stellen Sie sich vor Ihre Schwierigkeiten wären über Nacht beseitigt, einfach so. Was wäre am nächsten Morgen anders? Woran würden Sie das am nächsten Tag merken? Wer würde sich wie verhalten?“
→ Entwicklung von Zielvisionen, „Raus aus der Problemtrance“
„Mal angenommen, dass …, was würden Sie (oder andere) dann tun? .. Was würde das für Sie (oder Andere bedeuten)?“…
→Eröffnung von Vorstellungsräumen, Förderung von inneren Suchprozessen/Kreativität
Wie oft/wielange ist das Problem nicht aufgetreten?“
„Wie haben Sie es geschafft, dass das Problem nicht aufgetreten ist?“,
„Wann tritt das Problem in abgeschwächter Form auf?“..
→ Differenzierung der Unterschiede zwischen Problem&Lösung
“Was möchten Sie in Ihrem Leben gerne so bewahren, wie es ist?”
„Was machen Sie gerne?“
„Was schätzen Sie an Ihrem Partner/Kind?“,..)
→ Aktivierung von Kompetenzen und Kraftquellen, möglicherweise Hinweise für Lösung
„Wie geht es Ihnen heute/generell mit unserer Zusammenarbeit?”
→ Austausch über den Therapieprozess und Therapiebeziehung als Chance zur Verbesserung der
Welche Methoden gibt es alles?
Externalisierung
„Trete in Dialog mit dem Problem, statt im Monolog über das Problem verhaftet zu bleiben.“
▪ Externalisierung = Es wird ein sprachliches Angebot gemacht, dessen Fokus auf der Unterscheidung zwischen dem erzählten Problem und der Erzählerin liegt.
▪ Die Zuschreibung des Problems als Teil der Identität der Indexklient:in oder des Problemsystems wird unterbrochen.
▪ Vorteil: Distanzierung durch Personalisierung der Symptomatik z.B. „Mein schwarzer Hund“
Last changed6 days ago