Was ist Naïver Realismus?
Naïver Realismus beschreibt die Annahme, dass wir die Welt so wahrnehmen, wie sie wirklich ist.
In Wirklichkeit konstruieren wir unsere Realität aktiv auf Basis von Sinneseindrücken und kognitiven Prozessen.
Das bedeutet, dass unsere Wahrnehmung nicht direkt den objektiven Eigenschaften eines Stimulus entspricht, sondern von Interpretationen und Annahmen geprägt ist.
Naïver Realismus und die Konstruktion von Realität
Menschen definieren erst und sehen dann.
Dies bedeutet, dass unsere Wahrnehmung stark von bestehenden Annahmen, Überzeugungen und sozialen Konstruktionen beeinflusst wird.
Walter Lippmann (1922) betont, dass unsere Definitionen der Realität unsere Wahrnehmung steuern.
Gustaf Ichheiser (1943) beschreibt, dass Menschen oft in dem Glauben leben, ihre Wahrnehmung sei objektiv, obwohl sie tatsächlich durch individuelle und kulturelle Filter geprägt ist.
Was ist eine akkurate Impression?
Eine Übereinstimmung zwischen der Einschätzung eines Beobachters und den tatsächlichen Eigenschaften eines Ziels
Definition der „wahren Persönlichkeit“ wird erfasst durch:
Selbstaussagen, Fremdurteile oder Verhaltensbeobachtungen
Definition von „Übereinstimmung“:
trait-based (Fokus auf Eigenschaften)
profile-based (Fokus auf Person an sich)
Einfluss von Beobachterzahl:
einzelne Beobachtung
oder aggregierte Einschätzung mehrerer Personen
Kriterium der Genauigkeit: Sind Vorhersagen, die über dem Zufallsniveau liegen, schon als genau anzusehen?
Fazit: Wahrnehmung ist keine direkte Abbildung der Realität ist, sondern wird durch zahlreiche psychologische Prozesse geprägt, die oft unbewusst ablaufen.
Brunswik`s Lens Model: funktionaler Probalismus
Das Brunswik’sche Linsenmodell (1956) basiert auf der Idee des funktionalen Probabilismus.
Es besagt, dass sich Organismen in einer unvorhersehbaren Welt zurechtfinden müssen, indem sie probabilistische Inferenzen (wahrscheinlichkeitsbasierte Schlussfolgerungen) nutzen.
Dabei greifen sie auf proximale Hinweise (cues) zurück, um über distale Objekte (also nicht direkt beobachtbare Eigenschaften, wie z. B. Persönlichkeit) zu urteilen.
Grundgedanke: Menschen müssen oft Entscheidungen treffen, obwohl sie nur begrenzte und unsichere Informationen haben. Sie nutzen daher Hinweisreize (cues), die mehr oder weniger zuverlässig sind, um auf eine zugrunde liegende Realität zu schließen.
Die Struktur des Linsenmodells nach Brunswik
Das Modell stellt den Wahrnehmungsprozess als eine Art Linse dar, durch die Beobachter auf eine Zielperson schließen. Dabei gibt es mehrere Faktoren:
Zielperson (Target): Besitzt bestimmte Eigenschaften oder Dispositionen.
Cues (Hinweisreize): Merkmale oder Verhaltensweisen der Zielperson, die als Indikatoren für diese Eigenschaften dienen (z. B. Gesichtsausdruck, Stimme, Kleidung).
Cue Validity (Hinweisreiz-Gültigkeit): Wie stark ein Hinweisreiz tatsächlich mit der zugrunde liegenden Eigenschaft zusammenhängt.
Cue Utilization (Hinweisreiz-Nutzung): Inwieweit der Beobachter diesen Hinweisreiz tatsächlich zur Urteilsbildung nutzt.
Perceiver (Beobachter): Bildet sich auf Basis der genutzten Hinweisreize eine Disposition Impression (eine Einschätzung der Person).
Deterrminanten der Genauigkeit im Lens Modell
Gute Eigenschaft (trait)
-> Beobachtbarkeit
-> Bewertbarkeit
Gutes Ziel (target)
-> Beurteilbarkeit
Gute Information
-> Quantität und Qualität der Info
Guter Beurteiler
-> cue validity
-> response consistency
-> Sensitivity
Dual Lens Modell nach Nestler & Back (2013)
Das Dual Lens Model erweitert das klassische Brunswik’sche Linsenmodell, indem es zwei verschiedene Wege der Personenwahrnehmung unterscheidet:
Explizite Urteile (deliberate judgments)
Bewusste, reflektierte Einschätzungen einer Person
Basieren auf überlegten Schlussfolgerungen und rationaler Bewertung
Beeinflusst durch das explizite Selbstkonzept der Zielperson (also durch bewusst zugängliche Selbsteinschätzungen)
Implizite Urteile (intuitive judgments)
Spontane, automatische Einschätzungen
Beruhen auf unbewussten Assoziationen und schnellen Heuristiken
Werden durch das implizite Selbstkonzept der Zielperson beeinflusst (z. B. Körpersprache, Mikroausdrücke, nonverbale Signale)
Kernunterschied zum Brunswik-Modell
Während das ursprüngliche Linsenmodell Wahrnehmung als einen einheitlichen Prozess betrachtet, postuliert das Dual Lens Model, dass es zwei verschiedene Verarbeitungswege gibt:
einen rationalen
einen intuitiven
Das Modell versucht also zu erklären, warum Menschen manchmal bewusst reflektieren und manchmal intuitiv „aus dem Bauch heraus“ urteilen.
Was sind impilzite Kognitionen und was ist der Vorschlag von Corneille und Hüner?
Implizite Kognition bezieht sich auf mentale Prozesse, die nicht bewusst identifiziert oder erkannt werden, aber trotzdem unser Verhalten und unsere Urteile beeinflussen.
Corneille & Hüner (2020) schlagen eine differenziertere Betrachtung vor, anstatt pauschal von „impliziter Kognition“ zu sprechen. Sie unterscheiden:
Konstrukt-Ebene:
implizite vs. explizite psychologische Konstrukte
Mess-Ebene:
Werden Konzepte direkt oder indirekt gemessen?
Beispiel: Ein Fragebogen ist eine direkte Messung, während ein Reaktionszeit-Test (z. B. IAT) eine indirekte Messung darstellt.
Funktionale Ebene:
Operieren mentale Prozesse automatisch oder kontrolliert?
Automatische Prozesse laufen schnell, unbewusst und ressourcenschonend ab.
Kontrollierte Prozesse sind bewusst, langsam und kognitiv aufwendig.
Kernpunkt: Der Begriff „implizit“ wird oft zu ungenau verwendet – es ist sinnvoller, präziser über Messmethoden und kognitive Prozesse zu sprechen, anstatt alles als „implizite Kognition“ zu bezeichnen.
Die 4 Reiter der Automatizität nah Bargh 1990
Effizienz (Efficency)
Benötigt wenig oder keine kognitiven Ressourcen und keine Aufmerksamkeit
Läuft schnell und mühelos ab
Keine objektive Schwelle, sondern ein gradueller Prozess
Unabsichtlichkeit (Unintentionally)
Wird durch einen Reiz automatisch ausgelöst
Kein bewusster Entschluss nötig
Kann aber trotzdem zielgerichtet sein
Unkontrollierbarkeit (uncontrollability)
Kann nicht (oder nur schwer) gestoppt oder beeinflusst werden
Selbst wenn eine Person sich der Aktivierung bewusst ist, ist eine Unterdrückung oft schwierig
Unbewusstheit (Unawareness)
Die Person nimmt den Prozess selbst nicht bewusst wahr
Dies betrifft entweder den auslösenden Reiz, den Prozess selbst oder seine Konsequenzen
Fazit: Automatische Prozesse laufen oft schnell, unbemerkt und ohne bewusste Kontrolle ab, beeinflussen aber dennoch unser Denken, Verhalten und Urteile erheblich.
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