Reading Behavior & Attribution
Attribution = Zuschreibung von Ursachen für beobachtetes Verhalten
Warum? Bedürfnis nach Verständnis und Kontrolle
Wie? Durch Informationen zu Distinktheit, Konsistenz und Konsens (Kelleys Attributionsmodell)
Spontane Annahmen über die Persönlichkeit anderer.
Berücksichtigung von situativen Ursachen.
Korrespondierende Inferenz bzw. fundamentaler Attributionsfehler (Jones & Davis, 1965):
Menschen neigen dazu, Verhalten auf persönliche Eigenschaften statt auf Situationen zurückzuführen.
Personenzuschreibung ist gerechtfertigt, wenn das Verhalten frei gewählt, unerwartet oder durch wenige, einzigartige Effekte gekennzeichnet ist.
Correspondent Interference vs. Correspondence Bias
Fidel Castro Studie (Jones & Harris, 1967)
Teilnehmer lesen Pro- oder Anti-Castro-Essays.
Selbst wenn der Autor keine Wahl hatte, welche Position er einnimmt, glaubten Leser, dass das Essay seine persönliche Meinung widerspiegelt.
Correspondence Inference (Bias) - Quizmasterstudie (Ross, Amabile & Steinmetz, 1977)
Personen wurden zufällig einer Rolle zugewiesen: Quizmaster, Kandidat oder Beobachter.
Der Quizmaster stellte schwierige Fragen, Kandidaten mussten antworten.
Ergebnis:
Beobachter und Kandidaten hielten den Quizmaster für intelligenter – obwohl die Rolle zufällig war.
Grund: Menschen unterschätzen situative Einflüsse und überschätzen persönliche Fähigkeiten.
Warum passiert die Korrespondenzverzerrung/ Correspondence Inference (Bias) ?
Situative Einflüsse sind weniger auffällig als das beobachtete Verhalten.
Die Kraft der Situation wird unterschätzt.
Mangel an Korrekturmechanismen: Erster Eindruck wird selten hinterfragt.
Zusätzliche Studie (Gilbert, Pelham & Krull, 1988):
Teilnehmer sahen ein Video von einer nervösen Frau.
Wenn sie gleichzeitig eine andere Aufgabe hatten (kognitive Belastung), gingen sie eher davon aus, dass die Frau generell ängstlich sei – selbst wenn das Gesprächsthema (z. B. Sexualität) die Nervosität erklären konnte.
Fazit: Unter Zeit- oder Denkdruck neigen Menschen noch stärker zu Persönlichkeitszuschreibungen.
Drei-Stufen-Modell der sozialen Inferenz (Gilbert et al., 1988; Gilbert & Malone, 1995)
Merkmalskategorisierung (Trait Categorization) → Automatisch
Erste dispositionale Inferenz (Initial Dispositional Inference) → Automatisch
(Korrigierte) dispositionale Inferenz (Corrected Dispositional Inference) → Kontrolliert
Problematik:
Die ersten beiden Schritte passieren automatisch.
Die Korrektur (Berücksichtigung der Situation) erfordert bewusste Anstrengung, die oft ausbleibt.
Trope’s Modell der Eindrucksbildung (1986):
situative Anreise, Verhaltenshinweise und vorherige Informationen tragen zur Identifikation der Verhaltenskategorisierung bei
Integration von vorherigen Informationen und Anpassungen von situativen Anreizen führen kontrolliert zur Attribution
Verhalten wird erst kategorisiert, dann situativ oder dispositionell attribuiert.
Je nach Verarbeitungsziel kann der Fokus entweder auf der Person oder der Situation liegen.
Situative Einflüsse werden oft nicht ausreichend korrigiert.
pontane Persönlichkeitszuschreibungen (Spontaneous Trait Inferences, STI)
Frage: Entstehen Persönlichkeitszuschreibungen automatisch?
Entstehung von STI:
Menschen schließen auf Charaktereigenschaften, ohne es bewusst zu wollen.
Dies passiert ohne Absicht und oft unbewusst.
spontan (unintentional): ohne bewusstes Ziel
unbewusst: Personen wissen nicht, dass sie Schluss gezogen haben -> FRP
effizient: selbst bei reduzierter kognitiver Kapazität (aber geringerer Effekt)
STI-Expression (Eindrucksnutzung)
automatisch genutzt für Vorhersagen zukünftigen Verhaltens
selbst im Nachhinein invalidiertes Verhalten für Vorhersagen genutzt
Sehr viele Studien dazu
Was passiert beim Einspeichern/ Encodieren? -> “linking vs. thinking”
Zwei Möglichkeiten: “linking vs. thinking”
Spontaneous Trait Transference/Übertragung (STT): Assoziationslernen (Tom-kind), langsam Lernen durch zufälliges gemeinsames Auftreten
Spontaneous Trait Inference (STI): Schlussfolgerung (Tom-is-kind), schnelles Lernen
Savings-in-Relearning-Paradigma (Carlston & Skowronski, 1994)
Experiment:
Personen bekamen Sätze zu lesen wie: "Heute trat ich einen Welpen zur Seite."
Später mussten sie passende Eigenschaften (z. B. "grausam") abrufen.
Personen erinnerten sich schneller an vorher gesehene Eigenschaften.
Menschen speichern automatisch Charaktereigenschaften mit Gesichtern ab.
Falsches Wiedererkennen (False Recognition Paradigm, Todorov & Uleman, 2002)
Personen lasen Sätze, die bestimmte Eigenschaften andeuteten (z. B. "Er drohte ihm mit Schlägen").
Später wurden sie gefragt, ob sie das Wort "aggressiv" gesehen hatten.
Oft glaubten sie fälschlicherweise, es wäre im ursprünglichen Text gewesen.
Menschen schließen unbewusst auf Persönlichkeitsmerkmale und glauben, sie wären explizit erwähnt worden.
Experimente zu Spontanen Eigenschafts- vs. Situationszuschreibungen
Studie von Ham & Vonk (2003)
Probanden lasen Sätze wie: „Dave bekommt eine 1 in der Prüfung.“
Sie mussten angeben, ob bestimmte Worte in dem Satz standen (z. B. „intelligent“ oder „einfach“).
Probanden aktivierten sowohl Persönlichkeitszuschreibungen („Dave ist intelligent“) als auch Situationszuschreibungen („Die Prüfung war einfach“) spontan.
Erweiterung des Drei-Stufen-Modells der sozialen Inferenz (Krull & Erickson, 1995)
Neben der dispositionalen Zuschreibung gibt es auch eine spontane Situationszuschreibung.
Menschen können je nach Verarbeitungsziel entweder auf die Person oder die Situation fokussieren.
Wir neigen dazu, eine unachtsame Handlung als Zeichen für eine unachtsame Person zu sehen.
Dies geschieht automatisch: unbeabsichtigt, spontan, unbewusst und äußerst effizient.
Bei der spontanen Eindrucksbildung fokussieren wir uns meist auf die Persönlichkeit anderer und ignorieren oft wichtige situative Informationen.
Aber: Wir verarbeiten auch situative Informationen – weitere Forschung ist nötig, um dies besser zu verstehen.
Zusammenfassung: Spontane Eigenschaftsfolgerungen / Spontaneous Trait Inferences (STI)
Zusammenfassung
Scheint automatisch zu sein (unintentional, effizient, unbewusst)
Wird oft und routiniert genutzt
Grund: erfüllt Grundbedürfnisse
Außerdem:
Spontane Schlüsse auch für Ziele, Werte, Meinung/Glaube, Wissen
In expliziten Bewertungen: Eigenschaften weniger wichtig als Ziele, Wünsche und Meinungen/Glaube
Persönlichkeitsschlüsse am unwahrscheinlichsten und langsamsten
Offene Fragen
Treten alle diese Schlüsse gleichzeitig auf und haben dieselbe Relevanz für den Eindruck?
Warum persönliche Disposition statt Situation? -> jetzt
Wie beeinflussen spontane Eigenschaftszuschreibungen (STIs) Verhaltenserwartungen?
Behavior Expectations (McCarthy & Skowronski, 2011)
Methode:
Savings-in-relearning Paradigma + Verhaltenserwartungsaufgabe
Probanden sollten vorhersagen, was eine Person als Nächstes tun wird.
Ergebnisse:
Verhalten, das zu einem zugeschriebenen Trait passt, wird als wahrscheinlicher eingeschätzt.
Unabhängig davon, ob sich Teilnehmer an das ursprüngliche Verhalten erinnern.
Kein bloßer Halo-Effekt (d. h. nicht nur durch positive/negative Bewertung erklärbar).
Effekt verschwindet, wenn eine Lügendetektionseinweisung gegeben wird → bewusste Kontrolle reduziert Verzerrungen.
Behavior Expectations (Kruse & Degner, 2021 – Studie 5)
Unterscheiden Menschen zwischen Eigenschafts- (Trait) und Zustandszuschreibungen (State)?
Beispiel-Satz:
„Gina hat ihr Essen nicht aufgegessen.“
Mögliche Interpretationen:
Trait: „Gina ist wählerisch.“
State: „Gina war satt.“
Verhaltenserwartungen korrelieren stark mit Eigenschaftszuschreibungen (r = .439).
Verhaltenserwartungen hängen kaum mit Zustandszuschreibungen (r = .078) zusammen.
Implikation: Menschen neigen dazu, Verhalten als Hinweis auf stabile Charakterzüge zu sehen, selbst wenn situative Faktoren plausibel wären.
Further Downstream Consequences (Bray & Zarate, 2024 – Unveröffentlichte Dissertation)
Beeinflussen Eigenschaftszuschreibungen soziale Entscheidungen?
Savings-in-relearning Paradigma
Valenz (positiv/negativ) der Eigenschaftszuschreibung wurde mit zwei Aufgaben getestet:
Freundschaftsanfragen in sozialen Medien
Voodoo-Puppen-Experiment (ob eine Person „bestraft“ wird)
Positive Eigenschaftszuschreibung → höhere Wahrscheinlichkeit für soziale Annahme (Freundschaftsbestätigung).
Negative Eigenschaftszuschreibung → höhere Wahrscheinlichkeit für Ablehnung oder „Bestrafung“ im Experiment.
Implikation: Erste Eindrücke beeinflussen, wie wir mit anderen interagieren, selbst wenn keine neuen Informationen verfügbar sind.
Was verhindert eine zweite Chance für einen ersten Eindruck?
Erste Eindrücke beeinflussen Verhalten, wodurch neue Chancen zur Korrektur seltener werden.
Bestätigungsfehler (Confirmation Bias): Menschen suchen gezielt nach Informationen, die ihren ersten Eindruck bestätigen.
Ambiguitätseffekt: Neues Verhalten wird oft durch die Brille des ersten Eindrucks interpretiert.
Selbsterfüllende Prophezeiung: Interaktionen laufen so ab, dass der erste Eindruck bestehen bleibt.
Implizite vs. Explizite Eindrucksänderung - Studien
Explizite Eindrücke (bewusst) lassen sich durch neue Informationen leicht ändern.
Implizite Eindrücke (unterbewusst) sind stabiler und benötigen umfangreiche Gegeninformationen.
Bob-Paradigma (Rydell et al., 2007):
Neue Informationen über eine Person ändern explizite Einstellungen schnell.
Implizite Einstellungen bleiben länger bestehen und ändern sich erst nach vielen Wiederholungen.
Affective Misinformation Paradigm (AMP) (Payne et al., 2005)
Kurze Priming-Reize (z. B. ein Gesicht) beeinflussen unbewusst die Bewertung eines nachfolgenden Wortes (angenehm/unangenehm).
Menschen treffen unbewusst affektive Bewertungen basierend auf ersten Eindrücken.
Zeigt, dass Eindrücke oft automatisch und ohne bewusste Kontrolle verarbeitet werden.
Dual-Attitude-Modelle (Gawronski & Bodenhausen, 2006; 2018)
Associative–Propositional Evaluation Model
Zwei Arten der Einstellungsbildung:
Assoziatives Lernen → basiert auf wiederholten Verknüpfungen (z. B. jemand verhält sich oft unhöflich).
Propositionales Lernen → basiert auf bewusster Bewertung neuer Informationen.
Implikation:
Implizite Einstellungen ändern sich nur schwer und sind weniger anfällig für neue Informationen.
Explizite Einstellungen ändern sich leicht, wenn Menschen neue, überzeugende Argumente erhalten.
Wie und unter welchen Bedingungen können (implizite) Einstellungen geändert werden?
Drei Mechanismen zur Veränderung von Eindrücken:
Hinzufügen neuer Informationen (Addition Approach):
Neue, eindeutige Informationen können eine bestehende Meinung ergänzen oder verändern.
Zurücknehmen oder "Überschreiben" bestehender Informationen (Subtraction Approach):
Alte Informationen werden durch neue ersetzt.
Gefahr: Wenn man die alte Information oft wiederholt, kann sie sich stattdessen verfestigen (Fake-News-Effekt).
Neubewertung und Umdeutung alter Informationen (Subtraction and Addition Approach):
Die ursprüngliche Information bleibt bestehen, wird aber in einem neuen Kontext gesehen
Erkenntnis: Implizite Einstellungen sind schwerer zu ändern als explizite, aber durch gezielte Mechanismen doch veränderbar.
Wie müssen neue Informationen sein?
Diagnostizierbar
Glaubhaft
Reinterpretation vorhergehender Infos anregen
Diagnostizität – Wie wichtig ist die Glaubwürdigkeit neuer Informationen? (Van Dessel, Ye & De Houwer, 2019)
Untersuchung:
Teilnehmer gaben an, wie sehr sie Gandhi mögen.
Danach lasen sie entweder einen neutralen oder einen negativen Text über ihn.
Messung vor und nach dem Lesen:
Explizit: Selbstbericht (z. B. „Wie sehr mögen Sie Gandhi?“).
Implizit: Reaktionstest (AMP, IAT, EPT).
Negative Infos reduzierten explizite Einstellungen deutlich.
Implizite Einstellungen blieben stabiler, zeigten aber eine leichte Anpassung
Erklärung:
Implizite Einstellungen ändern sich nur, wenn neue Informationen sehr einprägsam und überzeugend sind.
Diagnostizität – Einfluss hochdiagnostischer Informationen (Cone & Ferguson, 2015)
Teilnehmer erhielten viele positive/negative Infos über "Bob".
Dann erhielten sie eine extrem diagnostische Information:
„Bob quälte ein kleines Tier“ (negativ)
„Bob spendete eine Niere“ (positiv)
Messung vorher und nachher:
Explizite Bewertung: Direkte Einschätzung von Bob.
Implizite Bewertung: Reaktionstest (AMP).
Explizite Einstellung: Sofortige und drastische Änderung.
Implizite Einstellung: Zeigte ebenfalls starke Anpassung – ungewöhnlich für implizite Eindrücke!
Hochdiagnostische, schockierende Infos können sogar implizite Einstellungen schnell ändern.
Glaubwürdigkeit (Believability) – Kann unglaubwürdige Info Einstellungen ändern? (Cone, Flaharty & Ferguson, 2019)
Teilnehmer spielten ein Experiment mit fiktiven Charakteren („Wugs“).
Sie mussten je nach Charakter reagieren (umarmen = gut, meiden = schlecht).
Dann änderten sich die Regeln, und „gute“ Charaktere wurden „schlecht“ und umgekehrt.
Teilnehmer änderten ihre Einschätzungen nur, wenn die neue Info glaubwürdig war.
Unglaubwürdige Quellen oder unlogische Infos wurden ignoriert.
Damit sich eine Einstellung ändert, muss die neue Information überzeugend und glaubwürdig erscheinen.
Je glaubwürdiger die Quelle, desto wahrscheinlicher ändert sich die Einstellung.
Umdeutung (Reinterpretation) – Kann ein negativer Eindruck „umgedeutet“ werden? (Mann & Ferguson, 2015)
Teilnehmer lernten über „Francis West“, der zwei Häuser zerstört hatte.
Später erfuhren sie, dass er dabei zwei Kinder aus einem Feuer rettete.
Zwei Gruppen:
Vergleichsgruppe: Neue, aber nicht umdeutende Info.
Testgruppe: Neue umdeutende Info (Rettungstat).
Messung: Implizite & explizite Einstellungen.
Explizite Einstellung: Starke Verbesserung nach Umdeutung.
Implizite Einstellung: Ändert sich nur, wenn der neue Kontext logisch mit dem alten zusammenpasst.
Implizite Einstellungen lassen sich am besten durch Umdeutung ändern, weil sie auf bereits gespeicherten Assoziationen basieren.
Offene Fragen der Forschung
Forschung konzentriert sich stark auf Valenz (positiv/negativ) – Was ist mit spezifischen Eigenschaftszuschreibungen?
Asymmetrien in der Valenz: Weniger Forschung dazu, wie negative Eindrücke in positive umgewandelt werden können.
Begrenzte Interventionen: Welche Methoden sind am effektivsten, um STIs zu korrigieren?
Wenig Integration von „Fake-News“-Forschung:
Falscher-Wahrheits-Effekt: Wiederholung von Fake News erhöht ihre subjektive Glaubwürdigkeit.
Wie passt das zur Reinterpretationsmethode zur Einstellungsänderung?
Spontane Eigenschaftszuschreibungen (STIs) halten relativ lange an (bis zu 7 Tage).
Wir nutzen sie, um zukünftiges Verhalten vorherzusagen.
Sie beeinflussen unser eigenes Verhalten gegenüber anderen.
Sie können aktualisiert werden, wenn glaubwürdige und diagnostische Informationen vorliegen, die eine Umdeutung der ersten Eindrücke ermöglichen.
Bewertung & Ausblick:
Es gibt zu wenig Forschung, die systematisch die langfristigen Auswirkungen und die Veränderung spontaner Eigenschaftszuschreibungen untersucht.
Große Diskrepanz zwischen theoretischen Annahmen und empirischen Belegen.
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