Was sind Bezugsnormen?
Bezugsnormen sind Vergleichsstandards, die genutzt werden, um eine Leistung zu bewerten. Eine Leistung kann nur dann beurteilt werden, wenn sie mit einer Referenz verglichen wird. In der Schule werden Bezugsnormen genutzt, um Schülerleistungen einzuordnen und zu bewerten.
👉 Beispiel: Eine Note von 42 Punkten in einer Klausur kann unterschiedlich bewertet werden:
Wenn die Durchschnittsnote der Klasse 30 Punkte beträgt, wird die Leistung als gut angesehen.
Wenn die Durchschnittsnote 50 Punkte beträgt, könnte die Leistung als unterdurchschnittlich betrachtet werden.
Bezugsnormen helfen also, eine Leistung in einen Kontext zu setzen und sie als „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten.
Arten von Bezugsnormen
Es gibt drei zentrale Bezugsnormen, die zur Beurteilung von Leistung verwendet werden:
Soziale Bezugsnorm: Vergleich mit der Leistung anderer Personen.
„Gut“ bedeutet besser als der Durchschnitt der Gruppe.
„Schlecht“ bedeutet unter dem Durchschnitt.
Beispiel: Ein Schüler gilt als gut, wenn er zu den besten 10 % der Klasse gehört.
Individuelle Bezugsnorm: Vergleich mit der eigenen vergangenen Leistung.
„Gut“ bedeutet, dass man sich verbessert hat.
„Schlecht“ bedeutet, dass man sich verschlechtert hat.
Beispiel: Ein Schüler, der sich von einer 4 auf eine 3 verbessert hat, erhält eine positive Rückmeldung, unabhängig von den Leistungen der Mitschüler.
Sachliche Bezugsnorm (kriteriale Bezugsnorm): Vergleich mit einem objektiven Standard oder Lernziel.
„Gut“ bedeutet, dass ein festgelegtes Ziel erreicht wurde.
„Schlecht“ bedeutet, dass das Ziel verfehlt wurde.
Beispiel: Ein Schüler hat eine Matheprüfung bestanden, wenn er mindestens 50 % der Punkte erreicht.
👉 Zusammenhang: Jede Bezugsnorm setzt einen anderen Fokus:
Die soziale Bezugsnorm zeigt Unterschiede zwischen Schülern, kann aber demotivieren.
Die individuelle Bezugsnorm fördert Lernfortschritt, aber nicht unbedingt Leistung im Vergleich zu anderen.
Die sachliche Bezugsnorm hilft, Mindestanforderungen zu erfüllen, blendet aber individuelle Fortschritte aus.
Auswirkungen der sozialen Bezugsnorm auf Motivation und Lernen
Fördert den Wettbewerb zwischen Schülern.
Kann leistungsstarke Schüler motivieren.
Kann leistungsschwächere Schüler entmutigen, weil sie dauerhaft „schlecht“ erscheinen.
👉Beispiel:Ein Schüler, der in einer sehr leistungsstarken Klasse ist, kann trotz objektiv guter Noten das Gefühl haben, schlecht zu sein. Dies nennt man den Big-Fish-Little-Pond-Effekt: Schüler, die in leistungsstarken Umfeldern sind, entwickeln oft ein niedrigeres Fähigkeitsselbstkonzept
Auswirkungen der individuellen Bezugsnorm auf Motivation und Lernen
Auswirkungen der individuellen Bezugsnorm
Fördert eine lernorientierte Haltung („Ich will mich verbessern“).
Reduziert Leistungsängste, weil der Vergleich mit anderen entfällt.
Kann jedoch dazu führen, dass Schüler sich mit zu niedrigen Fortschritten zufriedengeben.
👉 Beispiel: Ein Schüler, der von einer 5 auf eine 4 verbessert wurde, könnte glauben, dass er genug getan hat, obwohl er noch weiter auf eine 2 hinarbeiten könnte.
Auswirkungen der sachlichen Bezugsnorm auf Motivation und Lernen
Sorgt für Klarheit über Lernziele.
Kann motivieren, wenn Ziele als erreichbar angesehen werden.
Kann demotivieren, wenn Ziele als zu schwer empfunden werden.
👉 Beispiel: Ein Schüler weiß, dass er 50 % der Punkte in einem Test braucht, um zu bestehen. Wenn er 30 % erreicht, weiß er genau, was fehlt. Allerdings könnte ein Schüler mit 49 % sehr frustriert sein, obwohl er fast das Ziel erreicht hat.
Forschungsbefunde zur Bezugsnormorientierung (BnO) von Lehrern
Lehrer unterscheiden sich darin, welche Bezugsnorm sie bevorzugt nutzen. Dies wird als Bezugsnormorientierung (BnO) bezeichnet.
Lehrer mit sozialer BnO:
Bewerten Schüler im Vergleich zu anderen.
Nutzen oft Ranglisten oder Wettbewerbe.
Fördern leistungsstarke Schüler, aber demotivieren schwächere Schüler.
Lehrer mit individueller BnO:
Bewerten Schüler anhand ihrer eigenen Fortschritte.
Fördern eine wachstumsorientierte Haltung.
Reduzieren Prüfungsängste.
👉 Studienergebnisse:
Schüler mit Lehrern, die eine individuelle BnO verwenden, haben eine geringere Furcht vor Misserfolg.
Schüler mit Lehrern, die eine soziale BnO verwenden, haben ein höheres Leistungsstreben, aber auch mehr Prüfungsangst.
Experimentelle Befunde (Rheinberg, 1980)
Acht Schulklassen wurden untersucht.
Vier Klassen wurden von Lehrern mit sozialer BnO, vier von Lehrern mit individueller BnO unterrichtet.
Ergebnisse:
Schüler mit Lehrern, die eine individuelle BnO verwendeten, entwickelten über das Schuljahr hinweg weniger Prüfungsangst.
Schüler mit Lehrern, die eine soziale BnO verwendeten, entwickelten eine stärkere Leistungsangst, besonders die leistungsschwächeren Schüler.
👉Erklärung:Individuelle Bezugsnormen zeigen Schülern, dass sie Fortschritte machen können. Soziale Bezugsnormen führen zu ständiger Konkurrenz und Unsicherheit.
Förderung individueller Bezugsnormen in der Praxis
Maßnahmen für Lehrer
Feedback auf Fortschritt fokussieren: Statt „Du bist der Beste in der Klasse“ lieber „Du hast dich verbessert“.
Vielfältige Bewertungsmethoden verwenden: Neben Noten auch mündliche Rückmeldungen oder Portfolios nutzen.
Lernfortschritt sichtbar machen: Schüler sollten ihre eigenen Entwicklungen dokumentieren können.
5.2 Maßnahmen für Schüler
Tagebücher oder Lernjournale führen, um Fortschritte festzuhalten.
Selbstreguliertes Lernen fördern, indem Ziele und Strategien reflektiert werden.
Misserfolge als Lernchance sehen, nicht als Zeichen von Unfähigkeit.
Fazit und praktische Bedeutung
Bezugsnormen beeinflussen Motivation, Selbstkonzept und Leistung erheblich.
Eine individuelle BnO fördert langfristiges Lernen und reduziert Prüfungsangst.
Eine soziale BnO kann leistungsstarke Schüler fördern, schwächere jedoch demotivieren.
Lehrer sollten eine Kombination aus individuellen und sachlichen Bezugsnormen nutzen.
👉 Praktische Anwendung:
Schüler sollten dazu ermutigt werden, sich mit sich selbst zu vergleichen, anstatt mit anderen.
Lehrkräfte sollten individuelles Feedback geben, um die Motivation der Schüler langfristig zu erhalten.
Eltern sollten den Fortschritt ihrer Kinder betonen, anstatt sie mit anderen zu vergleichen.
Zusammenfassend: Eine gezielte Anwendung von Bezugsnormen kann die schulische Motivation und den Lernerfolg erheblich steigern. Ein übermäßiger Fokus auf soziale Vergleiche kann hingegen negative Effekte auf das Selbstwertgefühl und die Lernbereitschaft haben.
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