Dynamic-interactional paradigm
Drei Grundannahmen:
Verhalten und Umwelt sind mittelfristig stabil
Langfristig können sich Verhalten und Umwelt verändern
Persönlichkeitsentwicklung geschieht durch:
Veränderungen innerhalb der Person
Veränderungen in der Umwelt
Wechselwirkungen zwischen Person und Umwelt
Kernidee: Persönlichkeit ist nicht unveränderlich, sondern entsteht durch eine ständige Interaktion zwischen individuellen Faktoren und Umweltbedingungen.
Das Transaktionsmodell
beschreibt, wie Menschen ihre Umwelt beeinflussen und umgekehrt.
Menschen formen ihre Umwelt durch Selektion, Kreation und Modifikation von Situationen.
Gleichzeitig wirkt die Umwelt auf die Person zurück und beeinflusst deren Entwicklung.
Persönlichkeitsveränderung ist ein kontinuierlicher, bidirektionaler Prozess
Beispielstudie zur Person-Umwelt-Interaktion:
Militärdienst
Forschungsfrage: Wie beeinflussen sich Individuum und Umwelt gegenseitig?
Beispiel: Militärdienst vs. ziviler Dienst in Deutschland
Methode: TOSCA-Studie (Transformation of the Secondary School System and Academic Careers)
1.261 Männer (245 im Militär, 1.016 im Zivildienst)
Persönlichkeitsmessung mit dem NEO-FFI (Big Five)
Hauptergebnisse der Studie (Jackson et al., 2012)
Selektionseffekte (Wer entscheidet sich für welchen Dienst?)
Männer, die sich für den Militärdienst entscheiden, sind tendenziell weniger:
Verträglich (A) → weniger empathisch und kooperativ
Neurotisch (N) → emotional stabiler, weniger ängstlich
Offen für Erfahrungen (O) → konservativer, weniger offen für Neues
Sozialisierungseffekte (Wie beeinflusst der Dienst die Persönlichkeit?)
Generelle Trends (über beide Gruppen hinweg):
Gewissenhaftigkeit (C) und Verträglichkeit (A) steigen mit der Zeit
Neurotizismus (N) nimmt ab → Menschen werden emotional stabiler
Unterschiede zwischen den Gruppen:
Zivildienstleistende werden signifikant verträglicher (A)
Militärdienstleistende zeigen kaum Veränderungen in A
Fazit:
Persönlichkeit beeinflusst die Umweltwahl (Selektion) → Wer weniger verträglich ist, wählt eher das Militär.
Die Umwelt beeinflusst wiederum die Persönlichkeit (Sozialisierung) → Der Militärdienst fördert keine weitere Zunahme der Verträglichkeit, während der Zivildienst genau das tut.
Langfristig kann dies zu stabilen Persönlichkeitsunterschieden führen.
Fazit aus der Militärstudie
Persönlichkeit beeinflusst die Auswahl der Umwelt (Selektionseffekte).
Die Umwelt formt die Persönlichkeit (Sozialisierungseffekte).
Wechselseitige Interaktion → Der Prozess ist fortlaufend und verstärkt Persönlichkeitsunterschiede.
Das dynamische Person-Umwelt-Interaktionsmodell erklärt am besten die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umgebung.
Die 7 Prinzipien der Persönlichkeitsentwicklung (Roberts et al.)
Kumulative Kontinuität: Persönlichkeitsstabilität nimmt mit dem Alter zu.
Reifung: Menschen werden mit dem Alter verträglicher (A), gewissenhafter (C) und emotional stabiler (N ↓).
Plastizität: Persönlichkeit kann durch Umwelteinflüsse verändert werden.
Soziale Investition: Soziale Rollen (z. B. Beruf, Familie) fördern Persönlichkeitsreifung.
Korresponsivität (Corresponsive principle) Verschiedene Rollen je nach sozialem Kontext
Rollenkontinuität: Konstante soziale Rollen sorgen für Persönlichkeitsstabilität.
Identitätsentwicklung: Stabile Umwelt führt zu stabiler PSK
Diese Prinzipien helfen, langfristige Veränderungen in der Persönlichkeit zu verstehen.
Worum geht es in der Studie zu Persönlichkeitsentwicklung von Specht, Egloff & Schmukle (2011)
–Langzeitstudie mit ~15.000 Teilnehmern (SOEP-Daten)
Untersuchung:
Persönlichkeitsmessung mit Big Five (2005, 2009, später 2013/17).
Einfluss von Lebensereignissen (z. B. Jobwechsel, Heirat, Trennung).
Zentrale Forschungsfragen:
Wie verändert sich Persönlichkeit?
Wann finden Veränderungen statt?
Warum kommt es zu Veränderungen?
Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Lebensereignisse mit langfristigen Persönlichkeitsveränderungen verbunden sind.
Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen
Persönlichkeitsveränderungen werden oft relativ zu anderen Menschen betrachtet (Rangordnungsstabilität).
Einflussfaktoren auf Stabilität:
Dauer des Untersuchungszeitraums
Je länger das Zeitintervall, desto geringer die Stabilität.
Persönlichkeitsmerkmal:
Intelligenz ist am stabilsten, dann die Big Five, dann Lebenszufriedenheit.
Alter:
Mittleres Erwachsenenalter (ca. 30–50) zeigt die höchste Stabilität.
Stabilität nimmt im hohen Alter wieder ab.
Effekte von Arbeitslosigkeit auf die Persönlichkeit (Bysce et al)
Datenquelle: Sozio-ökonomisches Panel (SOEP).
Stichprobe:
6.700 Personen mit Persönlichkeitsmessungen im Abstand von 4 Jahren.
6.308 blieben angestellt, 210 durchgängig arbeitslos (1–4 Jahre).
Ergebnisse:
Neurotizismus (N) steigt, besonders bei langfristiger Arbeitslosigkeit.
Offenheit (O) nimmt bei Frauen stärker ab als bei Männern.
Verträglichkeit (A) sinkt bei Männern, bleibt aber bei Frauen stabil.
Zusammenfassung und Limitationen von Untersuchungen von Persönlichkeitseigentschaften und Lebensereignissen
Effekte von Lebensereignissen auf Persönlichkeit sind meist gering (d < 0,20).
Größere Effekte für Lebenszufriedenheit und Selbstwertgefühl als für Big Five.
Einschränkungen vieler Studien:
Zwei-Messzeitpunkte → mögliche nicht-lineare Veränderungen nicht erfasst.
Fehlende Kontrolle für Selektionseffekte (z. B. durch Propensity Score Matching).
Häufig nur Selbstberichte → Verzerrungen möglich.
Persönlichkeitstests erfassen teilweise auch Umweltmerkmale.
Wann & warum verändert sich Persönlichkeit?
Wie verändert sich Persönlichkeit im Lebensverlauf
Zunahme von Gewissenhaftigkeit (C) in jungen und mittleren Jahren.
Anstieg von Verträglichkeit (A) und Abnahme von Neurotizismus (N) im frühen Erwachsenenalter.
Später im Leben Abnahme von Offenheit (O), Extraversion (E) und Gewissenhaftigkeit (C).
Wann passiert Persönlichkeitsveränderung?
Über die gesamte Lebensspanne.
Größte Veränderungen vor 30 und nach 70 Jahren.
Warum passiert sie?
Lebensereignisse beeinflussen mittlere Werte von Persönlichkeitsmerkmalen leicht.
Kein Einfluss von Lebensereignissen auf Rangordnungsstabilität (d. h. relative Position im Vergleich zu anderen bleibt stabil).
Wie beeinflusst ein Schüleraustausch die Persönlichkeit? (Hutteman et al., 2015)
kk
876 deutsche Jugendliche (16 Jahre), die ein Austauschjahr absolvierten.
714 Jugendliche, die in Deutschland blieben (Kontrollgruppe).
Austauschschüler zeigen langfristige Zunahme des Selbstwertgefühls.
Personen mit niedrigem Selbstwert profitieren besonders stark.
Bessere soziale Integration sagt höhere Selbstwertsteigerung voraus.
Fazit: Soziale Erfahrungen im Ausland können Persönlichkeitsmerkmale wie Selbstwertgefühl langfristig verändern.
TESSERA-Modell (Wrzus & Roberts, 2017)
TESSERA = Erklärung für Persönlichkeitsveränderung durch häufige und relevante Erfahrungen.
Bedeutung der vier Kernkomponenten:
Trigger (T): Ereignis oder Situation, die eine Reaktion auslöst.
Expectancy (E): Bewertung und Interpretation der Situation.
State Expression (S): Kurzfristige emotionale oder verhaltensbezogene Reaktion.
Reinforcement (R): Wiederholung verstärkt die langfristige Persönlichkeitsveränderung.
Wichtige Erkenntnisse:
Veränderungen treten nur auf, wenn Erfahrungen wiederholt, bedeutsam und emotional ausdrucksstark sind.
Junge Menschen erfahren oft mehr Veränderungen durch neue Umfelder (z. B. Umzug, Jobwechsel, neue Beziehungen).
Im Alter können Persönlichkeitsveränderungen durch kognitive Einbußen oder neue Routinen beeinflusst werden.
Persönlichkeitsveränderung ist ein dynamischer Prozess, der schwer zu messen ist.
Zusammenfassung der Mechanismen der Persönlichkeitsveränderung
Persönlichkeitsveränderungen werden oft durch kurzfristige "State Changes" vermittelt.
Das TESSERA-Modell erklärt, wie dauerhafte Veränderungen entstehen können.
Wichtige Faktoren für Veränderung:
Relevanz der Erfahrung (hat das Ereignis eine persönliche Bedeutung?).
Häufigkeit der Erfahrung (tritt die Situation regelmäßig auf?).
Emotionale Intensität (führt sie zu starken Reaktionen?).
Verhaltensausdruck (zeigt sich eine Anpassung im Verhalten?).
Herausforderung: Veränderungen sind schwer zu untersuchen, da sie oft langsam und indirekt ablaufen.
Meta-Analyse zur Veränderung der Persönlichkeit durch Interventionen (Roberts et al., 2017)
Untersuchung von 207 Studien mit über 20.000 Teilnehmenden
Zentrale Ergebnisse:
Durchschnittliche Effektstärke: d = 0,37 (moderate Veränderung).
Größte Veränderung bei Neurotizismus (N) → z. B. durch Psychotherapie.
Effekte blieben auch ein Jahr nach der Intervention bestehen.
Dauer der Therapie hatte nur begrenzten Einfluss:
Nach 8 Wochen keine zusätzliche Effektsteigerung.
Unterschiedliche Therapieformen (z. B. Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapie) führten zu ähnlichen Veränderungen.
PEACH - Persönlichkeitsveränderung durch eine Smartphone-App (Stieger et al., 2021)
Fragestellung: Kann eine digitale Intervention Persönlichkeitsmerkmale gezielt verändern?
Methode:
875 gesunde Freiwillige, die sich in einem Big-Five-Merkmal verändern wollten.
Kontrollgruppe: ca. 800 Personen ohne Intervention.
Dauer: 3 Monate tägliche Nutzung einer Smartphone-App ("PEACH"), bestehend aus:
Chatbot-Interaktionen.
Mikro-Interventionen.
Erinnerungen & psychoedukative Videos.
Persönlichkeitsmessungen:
Vor der Intervention.
1 Woche nach der Intervention.
12 Wochen nach der Intervention.
Ergebnisse der PEACH-Intervention
Selbsteinschätzung:
Signifikante und dauerhafte Veränderungen in fast allen gewünschten Merkmalen (außer Offenheit).
Fremdeinschätzung durch Freunde/Familie:
Kleinere Effekte, signifikant nur für Zunahme in Gewissenhaftigkeit (C, d = 0,22).
Kritik & mögliche Verzerrungen:
Möglicher Demand-Effekt: Teilnehmer könnten bewusst sozial erwünschte Antworten gegeben haben.
Studienleiter Jan Wacker: "Etwas überbewertet."
Hinweise darauf, dass gezielte Interventionen Persönlichkeitsveränderungen bewirken können.
Problem: Wie valide sind die gemessenen Veränderungen?
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