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Soziale Ungleichheit

CC
by Cathérine C.

🧠 Zusammenfassende Lernkarte: Soziale Ungleichheit


📌 Definition von sozialer Ungleichheit

  • Lexikon zur Soziologie:

    • Soziale Ungleichheit = verschiedene Möglichkeiten der Teilhabe an Gesellschaft / Verfügung über gesellschaftlich relevante Ressourcen

    • Betont die Mehrdimensionalität und Relativität von Ungleichheit:

      • Was als gesellschaftlich relevant gilt, ist nicht konstant.

      • Auch Formen der Teilhabe verändern sich historisch und kulturell.

📜 Früher Zugang: Rousseau (1754)

  • Aufsatzfrage: „Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen?“

  • Antwort: Eigentum als Ursprung der Ungleichheit

  • Zitat (dramatisch zugespitzt):

    „Der erste, welcher ein Stück Landes umzäunte […] der war der wahre Stifter der bürgerlichen Gesellschaft.“

  • Kernaussage:

    • Privateigentum schafft Trennung, Ungleichheit, Konflikte.

    • Kritik an der Akzeptanz dieser Besitzverhältnisse durch die Gesellschaft.

📌 Merksätze

  • Soziale Ungleichheit ist mehrdimensional, relativ und wandelbar.

  • Frühkritik (Rousseau): Eigentum als Ursprung sozialer Trennung.

  • Moderne Ansätze kombinieren ökonomische, kulturelle und soziale Dimensionen.

  • Seit den 1980er Jahren: Abkehr von starren Klassenmodellen, Hinwendung zu Lebensstilen, sozialen Lagen und Individualisierung.

🧩 Theoretische Ansätze zur sozialen Ungleichheit

🕰️ Bis Ende der 1970er Jahre:

Ansatz

Vertreter

Merkmale

Klassenmodelle

Marx, Weber

Betonung von Besitz, Macht, Stellung im Produktionsprozess

Schichtmodelle

Geiger

Mehrdimensionale Struktur (z. B. Beruf, Bildung, Einkommen)

Funktionalistische Schichtungstheorie

Parsons

Soziale Positionen = funktional notwendig & leistungsgerecht verteilt

Prestigemodelle

Warner, Scheuch

Bewertung nach sozialem Ansehen/Prestige

Nivellierte Mittelstandsgesellschaft

Schelsky

These: Klassengrenzen lösen sich auf, „nivellierte“ Gesellschaft entsteht

Rollentheoretischer Ansatz

Dahrendorf

Ungleichheit durch Macht- und Herrschaftsstrukturen in Institutionen

Neomarxistische Ansätze

z. B. Poulantzas

Modernisierte Klassenanalysen, ideologische Überbauten

📆 Ab ca. Anfang der 1980er Jahre:

Ansatz

Vertreter

Merkmale

Neue Klassenmodelle

Wright, Goldthorpe, Bourdieu

Verfeinerte Analysen von Klassenlagen, Kapitalformen

Schichtmodelle (weiterentwickelt)

Geißler

Differenzierung und Modernisierung der klassischen Schichtenanalyse

Milieu- und Lebensstilansätze

Bourdieu, Schulze

Ungleichheit durch kulturelle Lebensführung, „Habitus“, Distinktion

Soziale Lagen

Hradil, Schwenk

Kombination mehrerer Indikatoren (z. B. Bildung, Einkommen, Wohnlage)

Individualisierungsthese

Beck

Neue Formen der Ungleichheit durch Erosion traditioneller Lebensverläufe


📚 Karl Marx: Das klassische Klassenmodell - Zusammenfassung


🧠 Grundidee

  • Marx (1818–1883) sieht die gesamte Geschichte der Gesellschaft als Geschichte von Klassenkämpfen.

  • Die Gesellschaft ist durch Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse geprägt.

  • Privateigentum an Produktionsmitteln → zentrale Ursache sozialer Ungleichheit.

  • Gesellschaft = zunehmend zwei feindliche Klassenlager: Bourgeoisie vs. Proletariat.

⚙️ Klassendefinition

  • Eine Klasse ist bestimmt durch ihr Verhältnis zu den Produktionsmitteln.

  • Bourgeoisie: besitzt Produktionsmittel → kann Mehrwert der Arbeit abschöpfen → häuft Kapital und Macht an.

  • Proletariat: besitzt keine Produktionsmittel → verkauft seine Arbeitskraft → wird ausgebeutet, verelendet materiell, sozial und politisch → Entfremdung.

  • Zwischenklassen lösen sich auf → Kleine Selbstständige werden durch Konkurrenz zum Proletariat gedrängt.

🏛 Überbau & Klassenbewusstsein

  • Herrschaft beruht auf ökonomischer Macht, wirkt aber auch auf Politik, Kultur, Recht, Religion (→ Überbau).

  • „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“: Ökonomische Lage prägt Denken und Lebensverhältnisse.

  • Eine „Klasse an sich“ wird zur „Klasse für sich“, wenn sich ein gemeinsames Klassenbewusstsein entwickelt → solidarisches Handeln möglich.

🔥 Klassenkonflikt

  • Antagonismus zwischen Bourgeoisie (will Status quo erhalten) & Proletariat (will Überwindung).

  • Verelendungstheorie: Proletariat wächst & verarmt, Bourgeoisie wird reicher.

  • Folge: Revolutionäre Umwälzung durch das Proletariat als immanente Tendenz des Kapitalismus.

📌 Zusammenfassung der Prinzipien

  1. Ökonomische Grundlage: Besitz/Nichtbesitz von Produktionsmitteln erklärt soziale Ungleichheit.

  2. Antagonistische Struktur: Zwei Hauptklassen mit gegensätzlichen Interessen.

  3. Klassenbewusstsein: Klassen sind soziale Akteure, nicht nur statistische Kategorien.

  4. Dynamik & Wandel: Klassenanalyse erklärt sozialen Wandel durch Konflikt.

⚖️ Kritik

  • Keine klare Definition des Klassenbegriffs bei Marx.

  • Dahrendorf: Verbindung von Soziologie & Philosophie = problematisch.

  • Einseitige Fokussierung auf ökonomische Faktoren reicht nicht aus zur Erklärung aller Machtverhältnisse.

  • Zwei-Klassen-Modell gilt als unzulänglich für moderne Gesellschaft → neue Mittelklassen, Dienstleistungssektor, soziale Mobilität, Wohlstandszunahme.

  • Gegenargument: Marx will keine vollständige Zustandsbeschreibung, sondern legt Fokus auf dynamische Entwicklung & Hauptlinien der Konflikte.


Erläutern Sie das Klassenmodell von Marx als klassisches Modell sozialer Ungleichhei

Das Klassenmodell von Karl Marx stellt ein bis heute einflussreiches Modell zur Erklärung sozialer Ungleichheit dar. Es beruht auf ökonomischen Grundlagen. Entscheidend für die Klassenzugehörigkeit ist das Verhältnis zu den Produktionsmitteln – also, ob eine Person Produktionsmittel besitzt oder nicht. Daraus ergibt sich eine dichotome Struktur zwischen der besitzenden Klasse (Bourgeoisie) und der nichtbesitzenden Klasse (Proletariat).

Die Bourgeoisie eignet sich durch den Besitz von Produktionsmitteln den Mehrwert an, den die Arbeiter mit ihrer Arbeit schaffen. Dadurch wird sie zur herrschenden Klasse, weil sie ökonomische Macht ausübt und diese in politische, rechtliche und kulturelle Macht übersetzen kann.

Das Proletariat hingegen verfügt über keine Produktionsmittel und muss seine Arbeitskraft verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Diese asymmetrische Beziehung führt zu Ausbeutung, Entfremdung sowie sozialer und politischer Unterdrückung.

Neben der objektiven Klassenlage unterscheidet Marx zwischen einer Klasse an sich (gleiche ökonomische Lage) und einer Klasse für sich (gemeinsames Klassenbewusstsein und solidarisches Handeln). Diese Entwicklung ist wichtig, weil sie kollektives politisches Handeln ermöglicht.

Der „Überbau“ – also Politik, Recht, Kultur, Religion – wird nach Marx durch die ökonomische Basis bestimmt („Das Sein bestimmt das Bewusstsein“). Die Gesellschaft entwickelt sich zunehmend zur polaren Klassengesellschaft, in der sich Zwischenklassen tendenziell auflösen – etwa wenn kleine Unternehmen dem Konkurrenzdruck nicht standhalten können und ihre Besitzer ins Proletariat übergehen.

Die beiden Hauptklassen stehen sich antagonistisch gegenüber. Der grundlegende Interessengegensatz führt zu einem sich zuspitzenden Klassenkonflikt, der im historischen Verlauf in einer Revolution des Proletariats münden soll.

Kritisch wird angemerkt, dass Marx keine eindeutige Definition des Klassenbegriffs liefert und dass moderne Gesellschaften komplexer strukturiert sind, etwa durch neue Mittelklassen. Dennoch bietet Marx’ Modell ein dynamisches und bis heute bedeutsames Erklärungsmodell für gesellschaftlichen Wandel durch Klassenkonflikte.

Max Weber: Klassen und Stände - Zusammenfassung


Weber erweitert den Klassenbegriff um eine differenzierte Betrachtung (Besitz-, Erwerbs-, soziale Klassen).

  • Sozialer Status (Stand) basiert auf Ehre und Lebensführung und ist nicht ausschließlich ökonomisch bestimmt.

  • Politische Macht und Einfluss werden durch Parteien repräsentiert.

  • Soziale Ungleichheit ist für Weber ein komplexes Geflecht aus ökonomischen, sozialen und politischen Dimensionen.

Grundlagen und Bedeutung:

  • Max Weber (1864–1920) entwickelte ein mehrdimensionales, differenziertes Modell sozialer Ungleichheit, das über den rein ökonomischen Fokus von Marx hinausgeht.

  • Er verzichtet auf die Beschränkung auf zwei Klassen (Bourgeoisie vs. Proletariat) und führt zusätzlich die Konzepte Stände und Parteien ein, um die soziale Struktur umfassender zu erfassen.

  • Sein Modell ist Grundlage für spätere „gemäßigte“ Klassentheorien und für Schicht- sowie Lebensstilansätze.

Klassenbegriff bei Weber

  • Klassen liegen vor, wenn einer größeren Anzahl von Menschen eine spezifische Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam ist, die

    1. durch ökonomischen Besitz oder Erwerbsinteressen geprägt ist,

    2. und sich in der Marktlage (Güter- oder Arbeitsmarkt) ausdrückt.

  • Die Klassenlage beschreibt typischerweise die Chancen bei:

    1. der Versorgung mit Gütern,

    2. der äußeren Lebensstellung (z.B. Status, Sicherheit),

    3. und dem inneren Lebensschicksal (subjektive Lebensqualität), welche aus der Verfügungsgewalt über Güter und Qualifikationen sowie deren Verwertbarkeit auf dem Markt resultiert.

Differenzierung der Klassen

  1. Besitzklassen:

    • Unterscheidung nach Besitzverhältnissen.

    • Beispiele: positiv privilegierte Klassen (z.B. Eigentümer von Produktionsanlagen, Bergwerken), negativ privilegierte Klassen (verschuldete Personen, Arme).

    • Dazwischen: Mittelstandsklassen.

  2. Erwerbsklassen:

    • Bestimmt durch Chancen auf Marktverwertung von Gütern oder Arbeitsleistungen.

    • Beispiele: Unternehmer (Händler) vs. Arbeiter.

  3. Soziale Klassen:

    • Zusammenschluss von Klassenlagen, zwischen denen persönlicher und generationenübergreifender Wechsel relativ leicht möglich ist.

    • Für Weber gibt es vier soziale Klassen seiner Zeit: Arbeiterschaft, Kleinbürgertum, besitzlose Intelligenz/Fachgeschulte, sowie Besitzende und durch Bildung Privilegierte.

    • Anders als bei Marx führt Klassenlage nicht automatisch zu Klassenbewusstsein oder solidarischem Handeln.

    • Bedingungen für Klassenhandeln: ähnliche Lage, räumliche Nähe, gemeinsame Ziele, klarer Interessengegner.

Stände

  • „Ständische Lage“ definiert Weber als eine soziale Position, die auf Ehre (sozialer Wertschätzung) beruht.

  • Stand drückt sich in einer typischen Lebensführung aus, die Umgangsformen, Werte und soziale „Schließung“ umfasst.

  • Stände sind meist amorphe Gemeinschaften (Mitglieder kennen sich nicht persönlich).

  • Beispiele: Berufsstände (Ärzte, Offiziere), Geburtsstände (Adel), politische Stände.

Verhältnis von Klasse und Stand

  • Zwei verschiedene Prinzipien sozialer Ungleichheit:

    • Marktprinzip (Klasse)

    • Ständisches Prinzip (Stand)

  • Sie können unabhängig voneinander, aber auch miteinander verknüpft sein.

  • Geldbesitz allein macht noch keinen Stand, aber ökonomische Lage beeinflusst oft die Lebensführung eines Standes.

  • Beispiel: Offiziere, Beamte und Studenten können gleichen Stand haben, aber unterschiedliche Klassenlagen.

Parteien

  • Parteien sind im Bereich der Macht angesiedelt und zielen auf Einflussnahme in Gemeinschaften (Staat, Vereine etc.) ab.

  • Sie sind institutionalisierte Interessengruppen mit organisiertem Handeln.

  • Parteien unterscheiden sich von Klassen und Ständen, da deren gemeinsames Handeln eine bewusste Vergesellschaftung voraussetzt.

  • Parteien werden oft als politische Dimension sozialer Ungleichheit gesehen.

  • Manche Wissenschaftler (Kreckel, Giddens) betonen, dass Macht ein übergeordneter Begriff ist, unter dem Klassen, Stände und Parteien subsumiert werden können, da alle Aspekte der Machtverteilung darstellen.


Das Schichtmodell von Theodor Geiger


Grundlagen und Abgrenzung:

  • Geiger grenzt sich klar von Marx und zum Teil von Weber ab und entwickelt ein eigenes, „nicht-marxistisches Klassenmodell“, das S. Hradil als Schichtmodell bezeichnet (1999: 118).

  • Eine Schicht besteht bei Geiger aus vielen Personen (bzw. Familien), die ein bestimmtes erkennbares Merkmal teilen und dadurch in der Gesellschaft einen bestimmten Status einnehmen.

  • Der Status umfasst dabei nicht nur Lebensstandard und materielle Chancen, sondern auch Risiken, Glücksmöglichkeiten, Privilegien, Diskriminierungen, Rang und öffentliches Ansehen.

  • Schicht ist ein Oberbegriff für soziale Lage und Sozialstruktur. Andere Begriffe wie Kaste, Stand oder Klasse sind nach Geiger Sonderformen einer allgemeinen Schichtung. Die Klasse ist eine spezielle Schicht, bei der Produktionsverhältnisse das dominante Prinzip darstellen.

Objektive, subjektive und gemischte Schichtbegriffe:

  • Geiger unterscheidet zwischen:

    • Objektiven Schichtbegriffen: Orientierung an äußeren Merkmalen wie Einkommen. Kritik: Sozialstatistische Klassifikation, wenig soziologische Aussagekraft, da willkürlich gruppiert werden kann.

    • Subjektiven Schichtbegriffen: Konzentration auf gemeinsame Haltungen, Denkweisen oder psychische Verfassungen, die nicht an soziale Lage gebunden sind.

    • Gemischten Schichtbegriffen: Verbindung von Lage und Haltung, wobei Personen nur dann einer Schicht zugeordnet werden, wenn sie sich solidarisch fühlen und verhalten.

  • Geigers Lösung: Lage und Haltung zuerst getrennt erfassen, dann miteinander vergleichen, um typische Haltungen (Mentalitäten) bestimmten sozialen Lagen zuzuordnen – eine nicht deterministische, aber typische Zuordnung.

Mentalität als nachträgliche Zuordnung:

  • Die Mentalität (Haltung) wird einer Schicht im Nachhinein zugeordnet, wobei viele, aber nicht alle Mitglieder diese Mentalität teilen.

  • Diskussion offen, ob es immer eine vorherrschende Mentalität in einer Schicht gibt.

Fünf-Schichten-Modell (Studie „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“, 1932):

  1. Kapitalisten (0,9 %)

  2. Mittlere und kleinere Unternehmer („alter Mittelstand“) (17,8 %)

  3. Lohn- und Gehaltsbezieher höherer Qualifikation („neuer Mittelstand“) (17,9 %)

  4. Tagewerker für eigene Rechnung („Proletaroide“) (12,7 %)

  5. Lohn- und Gehaltsbezieher minderer Qualifikation („Proletariat“) (50,7 %)

Dominantes Schichtungsprinzip und Dynamik:

  • Verschiedene Schichtungen können nach unterschiedlichen Merkmalen gebildet werden (Einkommen, Beruf, Religion etc.). Diese Schichtstrukturen können sich überschneiden, durchdringen und überdecken einander.

  • Nicht alle Merkmale sind gleichermaßen wichtig – zu einem Zeitpunkt gibt es eine dominante Schichtung, andere Schichtungen sind subsidiär.

  • Beispiel: In einer ständischen Gesellschaft ist die Schichtung nach Berufsart dominant.

  • Dieses Konzept ermöglicht es, Sozialstrukturen dynamisch zu betrachten, da dominante Schichtungen im Zeitverlauf wechseln können.

Kritik am Geiger-Modell:

  • Schwierigkeit, die dominante Schichtung in einer Gesellschaft eindeutig zu bestimmen.

  • Geiger suggeriert, dass bei genügend unvoreingenommener Forschung die dominante Schichtung „naturwüchsig“ herausfilterbar sei („wie sie sind“).

  • Gleichzeitig benennt er selbst Probleme:

    • Nähe zur eigenen Zeit erschwert Unterscheidung zwischen typischen Perioden und Übergangszuständen.

    • Neuzeitliche Gesellschaften sind instabiler und von schnelleren Veränderungen geprägt als frühere Gesellschaften.



Die funktionalistische Schichtungstheorie (nach Parsons) ZUSAMMENFASSUNG


Entstehung und Grundidee: Parsons (1902–1979) nimmt ganz andere Perspektive auf soziale Ungleichheit ein: Nicht als Problem, das beseitigt werden muss, sondern als etwas, das für das geordnete gesellschaftliche Zusammenleben nützlich oder notwendig sein könnte. In Deutschland ab 1960er Jahre einflussreich, aber auch umstritten (Kritik z.B. wegen Vernachlässigung von Macht und Konflikt, vgl. Mayntz 1961).

  • Gesellschaft als System: Parsons versteht Gesellschaft als ein System mit Subsystemen, die Funktionen erfüllen, um soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Beispiel: Politik schafft gemeinsame Handlungsorientierungen (Gesetze, Vermittlung zwischen Gruppen). Schichtung wird betrachtet als Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft.

  • Definition soziale Schichtung (Parsons): „Die differentielle Rangordnung …, nach der die Individuen in einem sozialen System eingestuft werden und dadurch in sozial bedeutsamen Zusammenhängen als über- oder untergeordnet gelten.“

  • Funktion der Schichtung: Sie bildet ein Regelsystem für Über- und Unterordnung und trägt zur Systemstabilität bei.

  • Wieso passen Menschen sich dieser Ordnung an? Parsons’ These: Motive und Normen stimmen überein, da moralische Muster früh verinnerlicht werden. Soziale Sanktionen kontrollieren Verhalten. Anerkennung anderer ist ein wichtiges Handlungsmotiv, das durch Normbefolgung erreicht wird. Schichtung bietet daher Handlungsorientierung: „Zentralpunkt für die Strukturierung des Handelns in sozialen Systemen.“

  • Nach welchen Merkmalen erfolgt Bewertung der Positionen? Parsons nennt sechs Grundelemente der Schichtungsskala:

    1. Mitgliedschaft in Verwandtschaftsgruppen (Herkunft, Heirat)

    2. Persönliche Eigenschaften (z.B. Geschlecht, Alter)

    3. Leistungen (z.B. beruflicher Erfolg) und Ergebnisse von Handlungen (z.B. Status im Beruf)

    4. Eigentum (nicht primär Reichtum, sondern Symbol für Leistung)

    5. Autorität (institutionell anerkanntes Einflussrecht, z.B. Richter)

    6. Macht (nicht-institutioneller Einfluss, unterscheidet sich von Autorität)

    Der Status eines Individuums ergibt sich aus der gemeinsamen Wertung dieser Merkmale.

  • Zeitliche und kulturelle Variabilität: Gewichtung und Bewertung der Merkmale unterscheiden sich je nach Gesellschaft und Epoche. Parsons bietet mit den sechs Kriterien ein analytisches Werkzeug zur vergleichenden Schichtungsanalyse.

  • Abgrenzung zu Marx: Parsons sieht seine Theorie als Weiterentwicklung, kritisiert Marx für die „unteilbare Einheit“ der sozioökonomischen Struktur und plädiert für differenzierte Analyse verschiedener Variablen.

Zusammenfassung: Soziale Schichtung ist notwendig für eine funktionierende, stabile Gesellschaft. Je mehr Leistungen eine Position erbringt, desto höher steht sie in der Rangordnung (vgl. auch Davis/Moore). Trotz Variationen gibt es feste Elemente, die die Einordnung bestimmen. Lenski versucht, Funktionalismus und Klassentheorie zu verbinden, doch der Ansatz bleibt umstritten.


Kritik: Vernachlässigung von Machtverhältnissen und sozialen Konflikten. Annahme, dass gesellschaftliche Ordnung als für Individuen vorteilhaft erlebt wird, wird bezweifelt.


Funktionalistische Schichtungstheorie (nach Davis/Moore) ZUSAMMENFASSUNG


Grundannahme: Soziale Schichtung ist aus gesellschaftlicher Sicht eine funktionale Notwendigkeit, keine Problematik, die überwunden werden muss (Davis/Moore 1945). Es geht um das System der Positionen, nicht um individuelle Lebenslagen oder Gerechtigkeit. Trotz offensichtlicher Unzufriedenheit mit Ungleichheiten gibt es eine latente Funktionalität.

  • Definition von sozialer Ungleichheit (Davis/Moore): „Ein unbewusst entwickeltes Werkzeug, mit dessen Hilfe die Gesellschaft sicherstellt, dass die wichtigsten Positionen von den fähigsten Personen gewissenhaft ausgefüllt werden.“

  • z.B. Staat und Regierung (Normdurchsetzung, Planung, Entscheidungen) oder Religion (Integrationsfunktion).

  • Motivation und Belohnung: Positionen sind mit Belohnungen (z.B. Einkommen, Ansehen) verbunden, um geeignete Personen zur Besetzung und Aufgabenerfüllung zu motivieren.

  • Bestimmung des Ranges einer Position durch Zwei Determinanten:

    1. Bedeutung/Funktion der Position für die Gesellschaft

    2. Erforderliche Begabung/Ausbildung zur Ausübung der Position

  • Beispiel zur Bedeutung: Hausmüllentsorgung ist gesellschaftlich wichtig, aber nicht hoch belohnt, weil die Position leicht besetzt werden kann. Nur Positionen, die schwer zu besetzen sind, erhalten hohe Anreize.

  • Knappheit der Begabungen: Viele wichtige Positionen erfordern spezielle Fähigkeiten, die knapp sind (wegen angeborenem Talent und kostenintensiver Ausbildung). Deshalb werden solche Positionen meist besser belohnt.

  • Universalitätsanspruch: Modell gilt nicht nur für eine Gesellschaft oder Zeit. Die Bedeutung einer Position kann aber je nach Gesellschaft (z.B. unterschiedliche Rolle der Religion) variieren.


  • Kritik (Mayntz 1961): Annahmen von Davis/Moore werden angezweifelt:

    • Talent ist nicht unbedingt knapp oder angeboren

    • Menschen streben auch ohne besondere Belohnungen nach schwierigen Aufgaben (z.B. aus Interesse oder Pflichtgefühl)

    • Soziale Positionen werden nicht immer im freien Wettbewerb errungen Fehlen dieser Bedingungen macht Modell weniger plausibel.


Reflexion: Unter Chancengleichheit kann ein Leistungsprinzip gerecht sein, doch es bleiben offene Fragen: Nach welchem Maßstab wird bestimmt, wie funktional bedeutsam eine Position ist?


Funktionalistische Schichtungstheorie (nach Lenski)

Zusammenfassung


Ziel: Synthese zwischen „konservativen“ (funktionalistische Schichtungstheorie) und „radikalen“ (Klassentheorie) Ungleichheitstheorien.

  • Neudefinition von Schichtung: Schichtung = „Verteilungsprozess in menschlichen Gesellschaften, durch den knappe Werte verteilt werden“ (Lenski 1977: 12).

  • Zwei Prinzipien der Verteilung:

    1. Bedürfnis

    2. Macht

  • Zwei Verteilungsgesetze, die auf den Prinzipien beruhen:

    1. Menschen teilen das Produkt ihrer Arbeit so, dass Überleben und Produktivität der für sie wichtigen anderen gesichert ist. (Eigeninteresse realisiert sich meist nur durch Kooperation.)

    • Auf dieser Stufe keine bedeutsamen Konflikte, da alle an Kooperation zur Überlebenssicherung interessiert sind.

    • Konflikte entstehen erst durch Produktion von Mehrwert (Güter, die über das Überleben hinausgehen).

    1. „Macht bestimmt weitgehend darüber, wie der Surplus einer Gesellschaft verteilt wird“ (Lenski 1977: 71).

    • Macht ist „Schlüsselvariable“ für Privilegien (Besitz/Kontrolle des Surplus) und Prestige.

    • Bedeutung von Macht wächst mit technologischem Fortschritt.

  • Dynamik und Struktur:

    • Mitglieder einer Klasse haben ähnliche Positionen hinsichtlich Macht, Privilegien und Prestige, aber kein gemeinsames Bewusstsein notwendig.

    • Gesellschaftliches Verteilungssystem besteht aus mehreren Klassensystemen (politisch, Besitz, Beruf, Ethnie) mit unterschiedlicher Gewichtung. Jedes Klassensystem enthält verschiedene Klassen.

  • Kritik:

    • Zweifel, ob es eine Gesellschaft ohne Mehrwert geben kann (Wiehn).

    • Unklarheiten: Wie erfolgt Verteilung ohne Mehrwert (Gleichverteilung?)?

    • Woher kommt mit Mehrwert die Macht?



Helmut Schelsky: Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft (ZUSAMMENFASSUNG)


Entstehung: In den 1950er Jahren entstand die These, die Klassen- und Schichtbegriffe sowie vertikale Strukturmodelle ablehnt und stattdessen von einer „nivellierten“ Gesellschaft spricht.

  • Kernaussage: Gesellschaft ist relativ einheitlich („nivelliert“), ohne klare Klassen- oder Schichtgrenzen – weder proletarisch noch bürgerlich. Kennzeichen: Abbau von Klassengegensätzen und sozialer Hierarchie durch Auf- und Abstiegsprozesse.

  • Mobilität: Aufstieg von Industriearbeitern/Verwaltungsangestellten in den „neuen Mittelstand“. Abstiege des ehemaligen Besitz- und Bildungsbürgertums (z.B. durch Vertreibungen). → Führt zu Entdifferenzierung alter Berufsgruppen und sozialer Nivellierung.

  • Staatliche Rolle: Sozial- und Steuerpolitik unterstützen diese Nivellierung.

  • Kulturelle Folgen: Vereinheitlichung sozialer und kultureller Verhaltensformen, die Schelsky als „kleinbürgerlich-mittelständisch“ beschreibt.

  • Soziale Mobilität als Entschichtung: Nicht mehr Umschichtung, sondern vorrangig Abbau sozialer Schichten.

  • Keine homogenen Klasseninteressen: Trotz Nivellierung bleiben Unterschiede bestehen. Kein Feindbild zweier großer Klassen (wie im 19. Jh.). Konflikte eher zwischen Arbeitern und bürokratischen Systemen oder zwischen Interessenvertretungen.

  • Prestigeschichtung: Menschen halten oft an Rangfolgen der früheren Klassengesellschaft fest, aus Sicherheits- und Geltungsbedürfnissen.

  • Grenzen der Aufstiegschancen: „Soziale Leiter“ ist kürzer geworden → enge Grenzen für Aufstiegsbedürfnisse. Soziale Unsicherheit und Spannungen bleiben.

  • Mittelstandsproblem: Unklare Klassenzuordnung mittlerer Schichten ist kein isoliertes Problem mehr, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft.


    Kritik:

    • Dahrendorf: Bezweifelt Angleichung wirtschaftlicher Positionen und hält große Mobilität für fraglich (nur ca. 10% Arbeiterkinder haben Aufstiegschancen). • Warnt vor Zementierung von Herrschaftsverhältnissen durch die These.

    • Bolte et al. (1967): Nivellierungstendenzen werden „überbetont“.

    • Generell: Konflikte werden zu wenig berücksichtigt (ähnlich funktionalistischer Ansatz).


Ralf Dahrendorf Schichtmodell: Ausbau der Konflikt-Perspektive (Zusammenfassung)


Grundannahme: Ursprung der Ungleichheit

  • Ungleichheit entsteht durch „mit Sanktionen versehene Normen des Verhaltens“ in allen Gesellschaften.

  • Gesellschaftliche Normen regeln Verhalten und werden durch Sanktionen verbindlich.

  • Daraus folgt eine Ungleichheit der sozialen Positionen (nicht nur individuelle Fähigkeiten).

Norm – Sanktion – Herrschaft

  • Herrschaft ist der Ausgangspunkt: Herrschende setzen Normen fest, die durch Sanktionen durchgesetzt werden.

  • Soziale Schichtung spiegelt die Herrschaftsstruktur wider.

  • Wer sich den herrschenden Normen am besten anpasst, erreicht die günstigste Stellung.

  • Werte der Gesellschaft spiegeln sich an der Oberschicht wider.

Klassen und Konflikte

  • Dahrendorf spricht von herrschenden und beherrschten Klassen im Konflikt – ähnlich Marx.

  • Unterschied zu Marx: Konflikt in Industriegesellschaften ist weniger intensiv, oft institutionell geregelt.

  • Industrieller Klassenkonflikt beschränkt sich zunehmend auf den Industriesektor - nicht auf Gesamtgesellschaft

  • Vielfältige Herrschaftsverbände haben den alleinigen Herrschaftsverband des Produktionsmittelbesitzes abgelöst.

Abgrenzung zur Funktionalistischen Integrationstheorie

  • Konfliktperspektive sieht soziale Ungleichheit als Motor sozialer Veränderung: → „Ungleichheit ist der Stachel, der soziale Strukturen in Bewegung hält.“

Soziale Konflikte und Lebenschancen

  • Konflikte drehen sich um Verteidigung/Vergrößerung von Lebenschancen.

  • Lebenschancen = Kombination aus Angeboten/Anrechten (z.B. Berufschancen) + kulturellen Bindungen (z.B. Familie, Gemeinde).

  • Unklar bleibt, wie Wandel durch Konflikte genau abläuft, wenn Normkonformität belohnt wird.

Dahrendorfs Schichtmodell (angelehnt an Geiger 1932)

  1. Eliten: Heterogene Gruppe von Führungspersonen; vielfältige Herrschaftsverbände.

  2. Dienstklasse: Beamte und Verwaltungsangestellte, „im Dienst“ der Herrschenden; prägt individuelles Konkurrenzverhalten.

  3. Mittelstand: Selbständige, defensive Haltung, keine prägende Schicht mehr.

  4. „Falscher“ Mittelstand: Ausführende Dienstleistungsberufe (z.B. Kellner, Chauffeure), mit Mittelschicht-Selbstbewusstsein.

  5. Arbeiter: Vielschichtig gegliedert (Branche, Qualifikation), mit eigener Mentalität.

  6. Unterschicht: Z.B. Dauererwerbslose, Kriminelle, ohne eigene, zusammenhängende Mentalität.



Hausmodell nach Dahrendorf detailliert

Ziel: Darstellung der sozialen Schichtung und Mentalität in der deutschen Gesellschaft, wie sie Ralf Dahrendorf im „Hausmodell“ beschreibt.


Dahndorf stellt die Gesellschaft als ein „Haus“ mit mehreren Stockwerken dar:

  • Oben: Alte Mittelstandsschicht (selbständige Unternehmer) mit protektionistischer Haltung.

  • Mitte: „Falscher Mittelstand“ (Dienstleistungsangestellte), die gesellschaftlich oft Mittelstand sein wollen, es aber nicht sind.

  • Unten: Arbeiterschicht mit starker interner Gliederung und eigenem Sozialcharakter.

  • Ganz unten: Unterschicht, die sozial fragmentiert und individualisiert ist

Die soziale Realität ist geprägt von mentalen Barrieren und sozialer Wahrnehmung, die mehr Einfluss hat als rein ökonomische Faktoren.

  • Das Modell betont, dass die deutsche Gesellschaft besonders stark von der Mentalität des „Dienstklassen“-Gedankens geprägt ist.

  • Die Charakterisierung ist keine universelle, sondern auf die deutsche Gesellschaft und ihre historische Entwicklung bezogen.

  • Die Struktur ist nicht starr, sondern durchlässig und regional unterschiedlich.

  • Kulturelle und soziale Eigenheiten:

    • Die Arbeiterschicht besitzt eine spezifische Kultur und Mentalität, die sich von der Mittelschicht stark unterscheidet.

    • Es gibt klare soziale und mentale Trennungen zwischen „oben“ und „unten“.

    • Diese Trennungen sind jedoch fließend, je nach regionalen und historischen Kontexten.

    • Der soziale Status ist nicht allein durch ökonomische Faktoren definiert, sondern auch durch soziale Wahrnehmung und kulturelle Prägung.


Schichten des Hausmodells im Detail:

1. Alte Mittelstandsschicht

  • Bestandteile: Kleinbürgertum, vor allem selbständige Unternehmer und Handwerker.

  • Haltung/Mentalität:

    • Stark defensiv und protektionistisch eingestellt.

    • Forderung nach staatlichen Subventionen für ihren Erhalt.

    • Motivation für diese Forderungen liegt oft im politischen/nationalen Interesse (nicht nur ökonomisch).

  • Verhalten: Meiden riskante unternehmerische Initiativen, sind vorsichtig und „konservativ“.

  • Wirtschaftliche Rolle:

    • Kein „skrupelloser“ Ausbeuter im Sinne großer Kapitalisten.

    • Haben oft soziale und politische Vorstellungen, die über reines Eigeninteresse hinausgehen.

2. Arbeiterelite / Arbeiterklasse

  • Sozialer Status: Fundament der unteren Schichten.

  • Mentalität:

    • Früher politisch radikal, heute eher auf „Verbürgerlichung“ und Integration in die Gesellschaft ausgerichtet.

    • Klassenbewusstsein ist zwar vorhanden, aber schwächer als früher.

    • Gesellschaftsbild ist dichotom („Oben“ vs. „Unten“).

  • Interne Gliederung:

    • Unterschiede nach Qualifikation (gelernt vs. ungelernt).

    • Unterschiede zwischen Industriearbeitern und Landarbeitern.

    • Teilweise starke soziale und kulturelle Eigenständigkeit.

  • Veränderung:

    • Ablösung früherer Solidarität durch zunehmende individuelle Konkurrenz.

    • Politische Orientierung schwankt, aber oft in Richtung sozialdemokratisch.

3. Der „falsche Mittelstand“ (Tertiärindustrien)

  • Definition: Nominelle Angestellte, vor allem in Dienstleistungs- und Verwaltungsbereichen.

  • Status: Soziale Position entspricht eher unteren Schichten, werden aber als Mittelstand wahrgenommen.

  • Mentalität:

    • Selbstverständnis und Selbstbewusstsein als „Mittelstand“.

    • Dieses Selbstbild ist jedoch oft „falsch“ im Sinne der tatsächlichen sozialen Position.

  • Folgen: Verwirrung in der sozialen Schichtung, da diese Gruppe eine Mittlerrolle einnimmt.

4. Unterschicht

  • Sozialer Status: Nicht als eigenständige Schicht organisiert.

  • Charakteristik:

    • Stark individualisierte Lebenslagen.

    • Mangel an sozialer und politischer Prägnanz.

    • Sozialer Abstieg kann diese Gruppe treffen, sie ist häufig durch soziale Probleme geprägt.

  • Mentalität: Weniger klar definiert, keine starke kollektive Identität.


Wie wird laut Lexikon zur Soziologie das Wort Prestige und Status definiert?

Prestige: “Wertschätzung, die eine Person oder eine Gruppe (z.B eine Berufsgruppe), bzw die Inhaber eines sozialen Status, genießen.” (Klima 2007)

➤ Bezieht sich auf das soziale Ansehen einer Position (z. B. Beruf), nicht auf persönliche Eigenschaften einzelner Personen

Beispiel: Ein Polizist hat Prestige aufgrund seiner Rolle – unabhängig davon, ob er persönlich kompetent ist.


Status: „Mehr oder minder hohe Position in der Schichtungshierarchie hinsichtlich eines beliebigen hierarchiebildenden Schichtkriteriums“ (Laatz 2007: 632).

➤ Bezieht sich auf die soziale Stellung in Bezug auf bestimmte Merkmale wie Besitz, Beruf, Macht.


Hier ist eine detaillierte, am Text orientierte Lernkarte zum Thema „Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige und Status“:

🧠 Lernkarte: Schichtmodelle in Verbindung mit Prestige und Status

🔑 Begriffsdefinitionen

  • Prestige

    „Wertschätzung, die eine Person oder Gruppe (z. B. Berufsgruppe) bzw. Inhaber eines sozialen Status genießen“ (Klima 2007: 506). ➤ Bezieht sich auf das soziale Ansehen einer Position (z. B. Beruf), nicht auf persönliche Eigenschaften einzelner Personen. ➤ Beispiel: Ein Polizist hat Prestige aufgrund seiner Rolle – unabhängig davon, ob er persönlich kompetent ist.

  • Status

    „Mehr oder minder hohe Position in der Schichtungshierarchie hinsichtlich eines beliebigen hierarchiebildenden Schichtkriteriums“ (Laatz 2007: 632). ➤ Bezieht sich auf die soziale Stellung in Bezug auf bestimmte Merkmale wie Besitz, Beruf, Macht.

🧩 Zusammenhang von Status & Prestige

  • Status = Position innerhalb der sozialen Schichtung; Prestige ist eine seiner möglichen Grundlagen (neben Einkommen, Bildung etc.).

  • Prestige = Wertschätzung eines Status.

  • Prestige ist nicht objektiv messbar wie Einkommen – es basiert auf subjektiven Bewertungen, ist aber dennoch sozialstrukturell wirksam (Wegener 1988: 22):

    „sowohl subjektive Meinungsbildung als auch Abbild einer sozialen Strukturkomponente.“

    • Prestige als objektive Ressource: gesellschaftlich ungleich verteilt (z. B. Ärzte vs. Putzkräfte).

    • Prestige als subjektive Wahrnehmung: Wertung durch Gesellschaft; nicht fix messbar.

Historische Perspektive

  • In den 1950er/60er Jahren diente Prestige häufig als zentrales Kriterium zur Beschreibung von sozialer Ungleichheit.

  • Ältere Schichtungsforschung (z. B. bei Weber oder Parsons): Status eng mit Prestige verbunden.

  • Neuere Ansätze (Hradil): Status = Platz „oben oder unten“ in verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit.

🌀 Statusinkonsistenz

  • Wenn verschiedene Dimensionen des Status nicht zueinander passen:

    • z. B. hohes Einkommen, aber niedrige Bildung.

    • ➤ Problematisch für eindeutige Statuszuweisung.

🌐 Statusvariationen & -symbole

  • Statussymbole unterscheiden sich:

    • ➤ Je nach Gesellschaft, Milieu, Zeitpunkt.

    • ➤ Beispiel: Ein Sportwagen = Statussymbol in einem Milieu, belächelt in einem anderen.

  • Statussymbole unterliegen Inflation: Wenn viele z. B. Abitur machen, verliert es als Symbol an Wert.

🧠 Theoretische Einbettung

  • Weber: Status in Form von „Stand“ (soziale Gruppen mit ähnlichem Prestige).

  • Parsons: Eigentum, Leistung, Autorität = Kriterien für Gesamtstatus im Schichtungssystem.

  • Bourdieu (laut Abels): Klassenkampf auch als Kampf um sozialen Status lesbar.

  • Symbolischer Interaktionismus: Status entsteht interaktiv – durch gegenseitige Definition der Situation.

  • Rollentheorie (Linton): Rolle = dynamischer Aspekt eines Status. ➤ Zugeschriebener Status: z. B. Alter, Geschlecht ➤ Erworbener Status: z. B. Bildungsabschluss, Beruf

📌 Merksätze

  • Prestige ist das Ansehen eines Status, nicht einer Person.

  • Status ist mehrdimensional und abhängig von gesellschaftlichem Kontext.

  • Statussymbole und deren Wert sind wandelbar und milieuspezifisch.

  • Status und Prestige sind zentrale Konzepte zur Erklärung sozialer Ungleichheit.



Weshalb nutzten in den 1950er/60er Jahren viele Forschende Prestigemodelle und wer ebnete den Weg dieser Prestigeforschung?

Prestigemodelle der 50er/60er Jahre zeigen, wie gesellschaftliche Bewertungen (z.B. von Beruf oder Wohnort) zur Schichtenzuordnung führen. Dabei wurde Gesellschaft als Schichtung, nicht als Klassenstruktur, verstanden. Besonders die US-amerikanischen Studien von W. L. Warner dienten als Vorbild für deutsche Untersuchungen.


Grundannahme des Prestigemodells:

  • Gesellschaftliche Schichtung basiert auf bewertender Einstufung sozialer Positionen.

  • Warner definiert „social class“ als Gruppen, die als sozial überlegen oder unterlegen gelten und auch so eingeordnet werden. → Zitat Warner (1963: 36): „…two or more orders of people who are believed to be, and are accordingly ranked … in socially superior and inferior positions.“

Methode von Warner et al.:

  • Studie in einer Gemeinde („Yankee City“) – Gesellschaft als Mikrokosmos.

  • Entwicklung eines Prestige-Index mit vier zentralen Merkmalen:

    1. Beruf,

    2. Art des Einkommens,

    3. Haustyp,

    4. Wohngegend.

  • Ergebnis: Drei übereinanderliegende Schichten, jeweils zweigeteilt. → Mehrheit der Bevölkerung in unterer Mitte/oberem Unten (~60%).

  • Ziel: Abgrenzung realer Schichten mit typischen Verhaltensmustern und einem Bewusstsein für soziale Unterschiede.→ Herzog (1965: 79) betont: Warner will reale soziale Differenzierungen sichtbar machen.

Begriffliche Abgrenzung:

  • SchichtKlasse: Keine Betonung von Besitzverhältnissen oder Klassenkampf.

  • Fokus liegt auf sozialer Bewertung und Anerkennung (Prestige), nicht auf ökonomischen Konflikten

Einfluss auf deutsche Schichtungsforschung:

  • Übernahme der US-amerikanischen Modelle nach dem Zweiten Weltkrieg – Gründe laut Hradil (1987: 80f.):

    • Finanzielle Unterstützung durch die USA für empirische Forschung.

    • Klima der Chancengleichheit in der sozialen Marktwirtschaft → Prestigemodell passte besser als konflikthafte Klassenmodelle.

    • Strukturfunktionalistische Hegemonie: Prestigemodelle setzen relativen Wertekonsens (z.B. in Prestigezuschreibungen) voraus.

    • Verbindung zur funktionalistischen Schichtungstheorie:

      • Gesellschaftliche Bewertung von Positionen bildet die Grundlage für ein Belohnungssystem und ein hierarchisch gegliedertes Schichtgefüge.

      • Prestige = zentrales Kriterium der Bewertung → führt zu sozialer Platzierung im Gefüge.


Was sind die zentralen Kritikpunkte an Prestigemodellen?

Bis in die 1960er Jahre: „Soziale Schichtung“ fast gleichbedeutend mit Prestigedifferenzierung (Hradil 1987: 81), Auch in den 1970ern noch einzelne Untersuchungen mit konkreteren Prestige-Indikatoren (z.B. Pappi 1973, Mayer 1977, Reuband 1975) aber:

  • Ab Ende der 1970er: Rückgang des Modells, letzte große Berufsprestigestudie 1979/80.


Zentrale Kritikpunkte für PRestigemodelle:

  • unschärfe des Begriffs Prestige über die Alltagsmeinung heraus

    • oft unklar, was genau gemessen wird: subjektige Einschätzung (Bewertung) oder objektive Indikatoren (Prestige als Spiegel von Einkommen/Bildung)?

    • Häufig eine Mischung aus der subjektiven Bewertung einer objektiven Realität

    • Abgrenzung zu Status bleibt vage, ebenso Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge (z.B: zur Lebenslage u. -führung)

    • Es gibt zwar eine hohe Korrelation zwischen Prestige, Einkommen und Bildung, aber man solle besser diese direkt messen (Duncan)

    • Fazit: untergräbt theoretische Stringenz und Messgenauigkeit

  • Geringer Erklärungswert für soziale Ungleichheit

    • Gibt es überhaupt eine klare Verbindung zwischen Prestige und realen Schichten (mit Verhalten, Einstellungen, Wir-Gefühl)?

    • Abgrenzungen oft künstlich und willkürlich, z.B. durch Auswahl und Gewichtung von Indikatoren.

    • Probleme bei Indexbildung: Punktevergabe und Skalenschnitte wirken häufig beliebig und entstanden aus privater subjektiver Bewertung der forschenden Person.

      • Bsp.: Ist hohe Bildung + niedriges Einkommen gleichwertig mit dem Gegenteil?

    • Fazit: Theoretische Fundierung fehlt - reine Deskription statt Erklärung


Sozialer Wandel bleibt insgesamt weitgehend unbeachtet, wie auch:

  • Statusinkonsistenzen vermerht: z.B. hohe Bildung ≠ hohes Einkommen.

  • Beruf verliert als Indikator an Aussagekraft über Sozialprestige.

  • Veränderte Wertmaßstäbe: Einheitliche Skalen kaum noch messbar. (Individualisierungsprozesse nach Beck)




Welche zentralen Kritikpunkte werden an traditionellen Schichtungsmodellen geäußert?


Theoretische Defizite und statische Anlage:

  • Schichtmodelle sind oft nur beschreibend, nicht erklärend.

  • Abgrenzungen wirken willkürlich und nicht theoriebasiert.

  • Sozialer Wandel (z. B. Individualisierung, Bildungsexpansion) wird nicht ausreichend berücksichtigt.

  • Sie sind zu statisch, erfassen Mobilität und Veränderung der Sozialstruktur unzureichend.

2. Harmonisierung statt Konfliktanalyse:

  • Konfliktpotenziale und Herrschaftsverhältnisse werden vernachlässigt.

  • Fokus liegt eher auf Integration und Harmonie als auf Spannungen.

3. Mangelnde empirische Passung:

  • Subjektive Identifikation mit sozialen Großgruppen (z. B. „Arbeiterklasse“) nimmt ab.

  • Vielfalt von Lebensstilen widerspricht der Annahme homogener Gruppen.

  • Modelle sind oft nicht alltagsnah und nicht anschlussfähig an die Erfahrungswelt der Individuen.

4. Vernachlässigung neuer Ungleichheitsdimensionen:

  • Berücksichtigen kaum horizontale Ungleichheiten (z. B. Geschlecht, Nationalität, Region, Kohorte).

  • Erfassen neue soziale Risiken (z. B. Wohnen, soziale Sicherheit) nicht.

  • Statusinkonsistenzen (z. B. hohes Bildungsniveau, aber niedriges Einkommen) nehmen zu und lassen sich schwer integrieren.

5. Reduktion auf Erwerbsarbeit und Beruf:

  • Konzentration auf vertikale Dimensionen (v. a. Beruf) ignoriert andere Lebensbereiche.

  • Nichterwerbstätige (z. B. Hausfrauen, Erwerbslose) werden oft nur abgeleitet über Haushaltsvorstand eingeordnet.

6. Künstlichkeit und mangelnde Differenzierung:

  • Modelle sind konstruiert, nicht empirisch sichtbar.

  • Fehlen eines dominanten Statusmerkmals erschwert Zuordnung (z. B. keine einheitlichen Statussymbole).

  • Pluralisierung und komplexe Soziallagen werden nicht adäquat abgebildet.

7. Nationalstaatlicher Fokus:

  • Modelle berücksichtigen kaum internationale Vergleiche oder transnationale Dynamiken.

Schlussfolgerung: → Schichtmodelle gelten zunehmend als unzureichend zur Erklärung moderner Ungleichheit. → Es braucht neue, differenziertere Konzepte, die vielfältige Dimensionen und subjektive Perspektiven stärker einbeziehen (z. B. Milieuansätze, Lebenslagenmodelle).


Was sind die Charakteristika von Klassen- und Schichtmodellen und worin unterscheiden sie sich?

Klassenmodelle analysieren die Ursachen sozialer Ungleichheit im Zusammenhang mit Herrschaft, Konflikt und Besitzverhältnissen.


Schichtmodelle beschreiben die Verteilung von Chancen und Ressourcen anhand beobachtbarer Merkmale - moderne Schichtmodelle zusätzlich mit Fokus dem auf sozialer Mobilität und gesellschaftlicher Ordnung.


Klassenmodelle:

  1. Ökonomische Aspekte stehen im Vordergrund. Insbesondere die Stellung im Produktionsprozess und der Besitz oder der Nicht-Besitz von Produktionsmitteln sind für die Klassenlage der Individuen verantwortlich, so dass sich als Hauptklassen das Proletariat und die Bourgeoisie ergeben. Zwischenklassen können aber zusätzlich Berücksichtigung finden (z.B. bei Webers Verständnis von „Klasse“ oder bei den neomarxistischen Modellen).

  2. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, auf innere Haltungen der Individuen und ihr Handeln. Spezifische Klasseninteressen können unter Umständen zu einem gemeinsamen Klassenbewusstsein führen.

  3. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Relationen zwischen den Klassen, deren Interessen die Forscher als gegensätzlich ansehen: Die Modelle betonen den Klassenkonflikt, allerdings nicht überall in gleich scharfer Form (z.B. hebt Dahrendorf hervor, dass der Klassenkonflikt durch eine Institutionalisierung an Intensität verloren habe). Teilweise ergreifen die Autoren dabei die Partei der unterdrückten Arbeiterklasse. Merkmale von Klassenmodellen

  4. Die Betrachtung dieser Relationen bringt es mit sich, dass das theoretische Interesse nicht nur auf eine Momentaufnahme gerichtet ist, sondern auf Prozesse. Damit sind weniger individuelle Mobilitätsprozesse gemeint (im Klassenmodell hat z.B. das Proletariat wenig Aufstiegschancen), sondern längerfristig der Klassenkonflikt als der Motor der gesellschaftlichen Entwicklung.

  5. Klassenmodelle wollen in erster Linie anhand des theoretischen Modells die Ursachen der sozialen Ungleichheit und den sozialen Wandel analysieren. Weniger geht es um eine möglichst genaue Beschreibung der Lebensbedingungen.

Schichtmodelle:

  1. Beschreibung ungleicher Lebensbedingungen, damit ungleicher Lebenschancen, steht im Vordergrund. Auch Vertreter von Schichtmodellen gehen davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer – in sich relativ homogenen – Schicht Einfluss auf Einstellungen und Verhalten hat (z.B. auf Heiratskreise); eine Schicht stellt jedoch nicht automatisch eine Interessengruppe dar. Die Schichten müssen sich nicht antagonistisch gegenüber stehen.

  2. Die Kriterien zur Zuordnung in eine bestimmte Schicht sind häufig, theoretisch aber nicht notwendigerweise, sozioökonomisch orientiert, gegebenenfalls mit bestimmten soziokulturellen Ergänzungen: Häufig zentral sind die äußeren Merkmale Beruf (bzw. Berufsprestige), Bildung und Einkommen (bei eindimensionalen Modellen ist meist die Stellung im Beruf das ausschlaggebende Kriterium; z.B. Hartfiel 1978: 99). Die Bedeutung der einzelnen Kriterien für die Schichtzugehörigkeit kann je nach Gesellschaft und betrachtetem Zeitraum variieren.

  3. Nach den ausgewählten Kriterien ergibt sich eine vorwiegend vertikale Abstufung von mindestens drei Schichten. Es handelt sich also um einen hierarchischen Aufbau mit Untergliederungen, nicht etwa um die Vorstellung eines Kontinuums. Wie die Ansätze die genaue Abgrenzung von Schichten vornehmen, ist nicht theoretisch vorbestimmt, und an den Übergängen können die an sich klar voneinander getrennten Schichten unscharf sein.

  4. Eine Prozessbetrachtung meint in der Schichtungsforschung eher die Auswirkungen individueller Mobilität, die als durchaus möglich angesehen wird (indem z.B. der Einzelne mehr leistet und so beruflich aufsteigt).

  5. Aufgrund der Mobilitätschancen geht es nicht in erster Linie darum, Ungleichheiten möglichst zu beseitigen, sondern die Ansätze sehen soziale Ungleichheit mindestens teilweise als notwendig für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung an (so der funktionalistische Schichtungsansatz).


Wer war Rainer Geißler und was beschreibt sein Residenzmodell?

Rainer Geißler – Vertreter eines modernisierten Schichtmodells, in der Tradition von Theodor Geiger und Ralf Dahrendorf. Er erkennt gesellschaftlichen Wandel an, kritisiert jedoch neuere sozialwissenschaftliche Ansätze, da sie aus seiner Sicht die vertikale soziale Schichtung vernachlässigen. Er plädiert für ein pluralisiertes, dynamisches Schichtmodell, das soziale Lebenschancen sichtbar macht und eine gesellschaftskritische Perspektive ermöglicht. Er kritisierte seit den 1980er Jahren stark:

  • Neuere Konzepte (z.B. Lebenslagen, Milieus, Lebensstile) vernachlässigen laut Geißler die vertikale Ungleichheit.

  • neue Konzepte„wegdifferenzieren, wegindividualisieren, wegpluralisieren und wegdynamisieren“ vertikale Strukturen (Geißler 1996: 323).

  • Dadurch geht der kritische Blick auf Macht, Herrschaft und Ungerechtigkeit verloren.

🧩 Geißlers 5 Thesen zur modernen Schichtstruktur (1996)

  1. Multidimensionalität: Vertikale Schichtung ist nur eine Dimension unter anderen (z. B. Geschlecht, Ethnie).

  2. Dominanz der vertikalen Struktur bleibt erhalten: Bildung & Beruf sind entscheidend für Lebenschancen (z. B. Bildungserfolg stark schichtabhängig).

  3. Unschärfe der Grenzen: Schichten sind keine starren Kategorien.

  4. Latente Schichtung: Nicht sichtbare Oberflächenbeobachtungen täuschen, Schichtstrukturen bestehen in der gesellschaftlichen „Tiefenstruktur“ weiter.

  5. Konzentrische Kreise: Ein klar schichtspezifischer Kern wird umgeben von schwächer geprägten Segmenten (z. B. Parteiarbeit vs. Wahlbeteiligung).


🏗️ Das Schichtmodell nach Rainer Geißler (1996)

Geißler modernisiert das klassische Schichtmodell nach Dahrendorf, der sich wiederum auf Geiger beruft, ndem er es an gesellschaftliche Wandlungsprozesse anpasst – ohne die vertikale Struktur aufzugeben.Ziel: Ein Modell, das sowohl sozialstrukturelle Realität als auch gesellschaftskritisches Denken abbilden kann.

  • Schichtmodell nach Dahrendorf: einfaches Haus mit Etagen (Unter-, Mittel-, Oberschicht) – starr, statisch, funktionalistisch.

  • Geißlers Modell: differenzierte Residenz mit offenen Übergängen, mehreren Stockwerken, verschiedenen Wohneinheiten, Stilen und Ausstattungen, aber weiterhin oben und unten.

Zentrale Strukturmerkmale:

  1. Beruf als Hauptindikator (wie bei Dahrendorf)

    • Beruf des Haushaltsvorstands als Grundlage für Einordnung.

    • Problematisch im modernen Kontext (z. B. bei Alleinerziehenden, prekären Arbeitsverhältnissen, Mehrgenerationenhaushalten).

  2. Einkommen, Bildung, berufliche Stellung → bilden die vertikale Achse der sozialen Ungleichheit.

    • Diese bestimmen maßgeblich die Lebenschancen, z. B. Zugang zu Gesundheit, Bildung, politischer Einfluss.

  3. Schichten werden als offene, fließende Gruppen gedacht, nicht als klar abgrenzbare Klassen:

    • Unschärferelationen: Grenzen zwischen Schichten sind durchlässig, besonders in der Mitte.

    • Es existiert ein Kern von „typischen“ Vertretern einer Schicht, umgeben von Randschichten mit Übergangscharakter.

  4. Konzentrisches Modell:

    • Innerer Kreis: Menschen mit klar schichtspezifischen Merkmalen (z. B. untere Schicht = bildungsfern, arbeitslos, geringe Partizipation).

    • Äußerer Kreis: Menschen mit ähnlicher sozialer Lage, aber weniger schichttypischem Verhalten (z. B. politisch aktiv trotz niedrigem Einkommen).

    • Unterschiedliche Dimensionen (z. B. Mentalitäten, Konsumverhalten, Partizipation) überlagern sich.

    🧬 Dimensionen der sozialen Lage nach Geißler

Dimension

Beispiel

Vertikale Schichtung

Einkommen, Bildung, Beruf, Einfluss

Horizontale Differenzierung

Lebensstile, Werteorientierungen, Ethnizität, Geschlecht

Lebenslagen

Gesundheit, Wohnsituation, Freizeitmöglichkeiten

Mentalitäten

politische Einstellungen, kulturelle Praktiken

Streitpunkt vertikal vs. horizontal

  • Geißler betont konsequent die vertikale Dimension (soziale Rangordnung, Lebenschancen, Machtverhältnisse).

  • Kritik des Autors: Geißler vernachlässigt horizontale Differenzierungen, also Vielfalt innerhalb gleicher „Höhe“ in der Sozialstruktur (z. B. Lebensstile, kulturelle Milieus).

  • Neuere Ansätze (z. B. SINUS-Milieus) verbinden horizontale Vielfalt mit vertikaler Struktur, statt sie zu ersetzen.

🧮 Empirische Relevanz & Kritik

  • Empirische Daten (z. B. Schroth 1999): deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen unteren und oberen Lagen, schwächere in Mittelschichten.

  • Kritik an Geißler:

    • wertet andere Ansätze pauschal ab

    • sein Modell bleibt methodisch wenig transparent

    • empirische Überprüfbarkeit erschwert, da die Schichtstruktur laut ihm „latenter“ geworden sei


Geißlers Residenzmodell im Detaill:

Geißlers Modell ist eine modernisierte und erweiterte Version des ursprünglichen Hausmodells von Ralf Dahrendorf aus den 1960er Jahren. Es stellt die soziale Schichtung der deutschen Bevölkerung im Jahr 2009 dar und berücksichtigt die sozialen Veränderungen der letzten fünf Jahrzehnte, wie Verschiebungen in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, Globalisierung und Migration.


Wohnhaus als Metapher für soziale Struktur

  • Das Haus hat sich von einem einfachen Modell zu einer „ansehnlichen Residenz mit Komfortappartements“ gewandelt.

  • Die Decken und Wände (Grenzen zwischen den Schichten) sind nicht mehr undurchlässig, sondern durchlässiger geworden.

  • Die Grenzen zwischen den Schichten sind heute fließend, es gibt keine klaren, scharfen Abgrenzungen (Überlappungshypothese).

  • Schichtunterschiede sind oft nicht auf den ersten Blick sichtbar (Latenzhypothese) und verlagern sich in die Tiefenstruktur der Gesellschaft.

  • Die „Binnenarchitektur“ des Hauses ermöglicht mehr „offenes Wohnen“, d.h. mehr soziale Mobilität und Übergänge innerhalb der Gesellschaft, ohne dass die Menschen vollständig durch starre Barrieren getrennt sind.

  • Trotz dieser Durchlässigkeit gibt es weiterhin soziale Räume, in denen sich Menschen vornehmlich aufhalten.


Grundstruktur des Hauses

Das Haus ist in mehrere Stockwerke und Bereiche unterteilt, die verschiedene soziale Klassen und Schichten repräsentieren:

  • Keller: Der Keller symbolisiert die Unterschicht der Gesellschaft. Hier leben Menschen, die dauerhaft auf staatliche Unterstützungen angewiesen sind (Hartz IV, Sozialhilfe). Dazu gehören Erwerbsunfähige, Langzeitarbeitslose und sozial Ausgeschlossene. Sie werden teilweise als „Bodensatz der Gesellschaft“, „sozial Verachtete“ oder „Lumpenproletariat“ bezeichnet.

  • Erdgeschoss bis obere Etagen: Hier sind die verschiedenen Schichten der Erwerbstätigen, Selbstständigen und Dienstleistenden untergebracht. Die oberen Etagen des Hauses sind bevölkert von der oberen Dienstklasse und dem oberen Mittelstand; die mittleren Etagen belegen die mittlere Dienstklasse, der mittlere Mittelstand und die Arbeiterelite. Die unteren Etagen der Arbeiterschicht sind heute stärker durch Dienstleister ersetzt worden.

  • Anbauten: Ausländer werden im Modell als Anbauten zum deutschen Haus dargestellt, um ihre rechtlich und gesellschaftlich nicht vollständig gleichgestellte Position zu verdeutlichen. Diese Anbauten sind durch gestrichelte Linien mit dem Hauptgebäude verbunden, was die Durchlässigkeit und Integrationschancen symbolisiert.

Prozentuale Verteilung der Schichten (Mikrozensus 2009)

Das Modell basiert auf dem Mikrozensus von 2009, der 1 % der privaten Haushalte in Deutschland erfasst hat. Die Zuordnung erfolgte nach dem höchsten beruflichen Status in den Haushalten, erfasst nach dem ISCO-88 Klassifikationssystem.

Wichtige Schichten und ihre ungefähre Größe in der Bevölkerung:

  • Eliten (< 1 %): Machteliten in Politik, Wirtschaft, Medien.

  • Obere Dienstklasse (13 %): Akademisch qualifizierte Beschäftigte, z.B. höhere Beamte, leitende Angestellte, Manager.

  • Oberer Mittelstand (3 %): Freiberufler mit akademischem Hintergrund (Ärzte, Anwälte) und größere Unternehmer.

  • Mittlere Dienstklasse (19 %): „Semiprofessionen“ mit höherer Fachausbildung (z.B. Sozialarbeiter, Erzieher).

  • Mittlerer Mittelstand (nicht genau spezifiziert): Kleinere und mittlere Selbstständige.

  • Arbeiterelite (1 %): Meister und qualifizierte Facharbeiter.

  • Unterer Mittelstand: Selbstständige ohne Beschäftigte.

  • Gelernte Dienstleister (10 %): Fachkräfte in Büro, Verkauf, Pflege etc.

  • Facharbeiter (11 %): Qualifizierte manuelle Arbeiter.

  • An- und ungelernte Dienstleister (11 %): Gering qualifiziertes Personal für einfache Routinetätigkeiten.

  • An- und ungelernte Arbeiter (8 %): Gering qualifizierte Arbeiter in Produktion, Bau.

  • Unterschicht (6 %): Haushalte mit dauerhaft materieller Not, staatlich unterstützt.

  • Ausländer: Verteilt auf verschiedene Schichten, besonders in unteren Bereichen stärker vertreten.

Kriterien der Schichteinteilung

Ähnlich wie bei Dahrendorf basiert die Schichtung auf mehreren Faktoren:

  • Beruf: Erfasst Funktion in der wirtschaftlichen Arbeitsteilung, Qualifikation, Einkommen, Prestige, Einfluss.

  • Materielle Not: Langfristige Armut oder Abhängigkeit von Sozialleistungen kennzeichnen die Unterschicht.

  • Zuwanderung: Ausländer sind oft gesellschaftlich marginalisiert und leben in niedrigeren Schichten.

  • Herrschaftsposition: Die Eliten zeichnen sich durch Kontrolle und Einfluss in Gesellschaftsbereichen aus.

  • Mentalitäten und Subkulturen: Typische Lebensstile und Lebenschancen prägen die Schichtzugehörigkeit.

Veränderungen seit den 1960er Jahren

  • Die Dienstklassen und Dienstleister haben sich stark ausgeweitet und dominieren heute das obere und mittlere Haus.

  • Der Mittelstand hat sich deutlich verkleinert und ist stärker in der unteren Hälfte des Hauses zu finden.

  • Die ehemals stark vertretene Arbeiterschicht im unteren Haus ist zugunsten der Dienstleister geschrumpft, wobei auch die Schicht der an- und ungelernten Routinedienstleister stark gewachsen ist.

  • Ausländer sind besonders in den unteren Schichten überrepräsentiert.


Auf welchem Prinzip beruht Erik Wrights Klassenmodell und inwieweit bezieht er sich auf Marxs Klassenbegriff?

Wrights Klassenmodell ist eine Weiterentwicklung marxistischer Ansätze, bei dem er eine Integration von Zwischenklassen vornimmt. Er bezieht sich wie Marxs auf die Ausbeutung niederer Klassen durch oberere Klassen anhand 3 relevanter Ressourcen der Ausbeutung:

  1. Produktionsmittelbesitz

  2. Organisationsmacht

  3. Qualifikation

Dadurch ergibt sich eine Dreiteilung der Klassenstruktur:

  1. Ausbeuter (z.B. Bourgiousie)

  2. Weder Ausbeuter noch Ausgebeutete (z.B. qualifizierte Manager)

  3. Ausgebeutete (z.B. Proletariat)

Durch die Kombination der 3 Ressourcen ergeben sich 12 Klassen:

  • Mittelklassen besitzen selektiv oder partiell diese Ressourcen

  • Nicht nur das Proletariat ist Gegner der Bourgeoisie – Mittelklassen spielen zentrale Rolle im Klassenkonflikt.

  • Wrights Modell erklärt Einkommensunterschiede besser als z. B. PKA oder IMSF.

  • Bedingte Erklärungskraft für Unterschiede im Klassenbewusstsein.

12 Klassen im Überblick:

  1. Bürgertum (Bourgeoisie): haben genügend Kapital, um Arbeitnehmer zu beschäftigen und selbst nicht arbeiten zu müssen

  2. Kleine Arbeitgeber: haben genügend Kapital, um Arbeitnehmer zu beschäftigen, müssen aber selbst mitarbeiten

  3. Kleinbürger: haben genügend Kapital zur Selbständigkeit, aber nicht zur Beschäftigung von Arbeitnehmern

  4. fachlich qualifizierte Manager

  5. fachlich qualifizierte Aufsichtspersonen

  6. fachlich qualifizierte Nicht-Manager

  7. fachlich teilweise qualifizierte Manager

  8. fachlich teilweise qualifizierte Aufsichtspersonen

  9. fachlich teilweise qualifizierte Arbeiter

  10. fachlich nicht qualifizierte Manager: weder Ausbeuter noch ausgebeutet

  11. fachlich nicht qualifizierte Aufsichtspersonen: Ausstattung mit Organisationsmacht, sind ausgebeutet

  12. „Proletarier“ (Arbeiterklasse): Ausstattung mit Qualifikation, snd ausgebeutet


Kritikpunkte:

  • Schwierige Integration von askriptiven Merkmalen (z. B. Geschlecht)

  • Vernachlässigung politischer Prozesse und Klassenbewusstseinsbildung

  • Unklar, inwiefern Organisationsmacht/Qualifikation Ausbeutung begründen, sondern eher mehrdimensionale Handlungsressourcen beschreiben (Erbslöh et al.)


Was kennzeichnet die neomarxistischen Ansätze der Sozialstrukturanalyse in den 1970er Jahren und wie unterscheiden sie sich von Schichtmodellen?

Schichtmodelle vernachlässigten laut Neomarxisten grundlegende Klassengegensätze und die Ursachen sozialer Ungleichheit.

  • Hintergrund: Entstanden aus der Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen seit den späten 1960ern (z.B. 1968er Proteste, erste Rezession seit dem Wirtschaftswunder).

  • Zentrale Merkmale:

    • Orientierung an der marxistischen Klassentheorie: Klassenbegriff basiert auf Stellung in den Produktionsverhältnissen und Eigentum an Produktionsmitteln.

    • Betonung von Gegensätzen und Konflikten zwischen Klassen sowie der dynamischen Entwicklung durch Klassenkampf.

    • Politisierung der Analyse: Meist klare (linke) politische Positionierung der Autoren (z.B. Leisewitz 1977).

  • Beispiele:

    • IMSF: Dreiteilung in Bourgeoisie, Mittelschichten (u.a. lohnabhängige Intelligenz), Arbeiterklasse (Lohnabhängige mit "entfaltetem Warencharakter").

    • Projekt Klassenanalyse (PKA): Klassen nach „ökonomischen Formbestimmungen“ definiert, u.a. lohnabhängige Mittelklasse im öffentlichen Dienst, Arbeiterklasse nach Art der Tätigkeit und Qualifikation.


Kritik:

  • Grenzziehung unscharf: Unklar, wer genau zu welcher Klasse gehört (z. B. qualifizierte Angestellte).

  • Unstimmige Zuordnung von Klassenbewusstsein (z. B. Arbeiter teils "kapitalistischer" eingestellt als Mittelschicht).

  • Widerspruch zwischen theoretischer Fundierung und Lebensnähe (Hradil 1999: Dilemma marxistischer Ungleichheitstheoretiker).

  • In heutiger Forschung kaum noch vertreten, aber der Klassenbegriff ist nicht völlig obsolet.

Fazit: Ein theoretisch anspruchsvoller, aber empirisch und konzeptionell umstrittener Ansatz, der die Schichtforschung jedoch nachhaltig beeinflusste (z. B. stärkere Berücksichtigung ökonomischer Faktoren) und neuere Klassenmodelle hervor brachte.

Erläutern Sie das EGP-Klassenschema als neueres Klassenmodell.

Das EGP-Klassenschema, benannt nach den Mitautoren Erikson, Goldthorpe und Portocarero, zählt zu den international am häufigsten genutzten Modellen der Klassenanalyse (Hradil 1999). Es handelt sich um ein nicht-marxistisches, empirisch verwendetes Modell, das u. a. bei der ALLBUS-Erhebung in Deutschland zum Einsatz kam.


Zentrales Kriterium ist die berufliche Stellung, da der Beruf die Arbeitsbedingungen und die Marktlage widerspiegeln soll. Goldthorpe verknüpft dabei marktorientierte Ansätze (nach Weber) mit machtorientierten Perspektiven (nach Marx). Relevante Merkmale für die Klassenzuordnung sind etwa die Einkommensquelle und -höhe, Arbeitsplatzsicherheit sowie Aufstiegsmöglichkeiten.

Charakteristisch für das Modell ist insbesondere das “Dienstverhältnis”, dass eine relative Autonomie beschreibt, da die Arbeit nur einer bedingten Kontrolle unterliegt - dies gilt insbesondere für obere Dienstklassen, da Klassenposionen durch Beschäftigungsverhältnisse definiert werden. Im Gegensatz dazu steht der “normale” Arbeitsvertrag, der durch hohe Kontrollierbarkeit und geringes spezifisches Humankapital gekennzeichnet ist. Mischformen existieren, z. B. bei Routineangestellten, die eher geringe Qualifikationen aufweisen, deren Tätigkeit jedoch schwer zu kontrollieren ist.


Mobilität ist ein zentrales Thema für Goldthorpe: Ein Wechsel in oder aus der Dienstklasse kann als Auf- bzw. Abstieg interpretiert werden. Bewegungen zwischen anderen Klassen sind schwieriger einzuordnen, sodass das Modell nicht als strikt hierarchisch zu verstehen ist.


Typische Klassen im 7er EGP-Schema:

  1. (Obere & untere) Dienstklasse

  2. Nicht-manuelle Routinetätigkeiten

  3. Kleinbürgertum

  4. Landwirte

  5. Facharbeiter

  6. An-/Ungelernte Arbeiter

  7. Landarbeiter



Reinhard Kreckel – Zentrum-Peripherie-Modell sozialer Ungleichheit (1992)

Reinhard Kreckel entwickelte in seiner Schrift „Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit“ (1992) ein alternatives Modell zur Erfassung sozialer Ungleichheit in modernen westlichen Gesellschaften.

  • Ziel war es, Einseitigkeiten herkömmlicher Klassenmodelle, insbesondere die Reduktion auf vertikale Hierarchien, zu überwinden.


Das Modell nimmt Anleihen bei der Klassentheorie, entwickelt aber eigenständige Begriffe und Perspektiven:

  • Kreckel geht davon aus, dass es auch heute noch zentrale Konflikte um Ressourcen gibt, sowohl um distributive Ressourcen (z. B. Reichtum, Bildung) als auch um relationale Ressourcen (z. B. Zugehörigkeit, Machtpositionen).

  • Interessanterweise fokussiert Kreckel weniger auf den Konflikt, sondern fragt nach den Mechanismen, die zur Stabilität sozialer Ungleichheit führen – etwa Konsens über Prestigeordnungen und staatliche Durchsetzung durch Rechtsordnung und Gewaltmonopol.


Zentrum und Peripherie

  • Diese Begriffe entstammen ursprünglich der Entwicklungsforschung (z. B. „Dritte Welt“) und verweisen auf asymmetrische, aber interdependente Beziehungen.

  • Periphere Lagen sind definiert als strukturell benachteiligte Positionen mit eingeschränktem Zugang zu gesellschaftlich relevanten Gütern und geringem autonomen Handlungsspielraum.

  • Sie zeichnen sich durch geringere Organisations- und Konfliktfähigkeit aus.

  • Im Gegensatz zu Schichtmodellen geht Kreckels Ansatz von mehreren überlappenden Konfliktlinien aus, wobei klare Polarisierungen selten sind – es existieren auch Semiperipherien.

Kreckels Modell erweitert klassische Ungleichheitstheorien um eine dynamischere, mehrdimensionale Perspektive. Zentrum und Peripherie ersetzen starre vertikale Hierarchien. Der Fokus auf Organisation und Konfliktfähigkeit bietet ein differenziertes Bild gesellschaftlicher Machtverhältnisse.


Gesellschaftsstruktur: Das konzentrische Modell

  1. Zentrum: Das „korporatistische Dreieck“ von Arbeit, Kapital und Staat – zentrale Steuerungs- und Interessensinstanzen.

  2. Weitere Kreise (mit abnehmender Organisationskraft):

    • Verbände

    • Neue soziale Bewegungen (z. B. Umweltbewegung)

    • Sozial strukturierte Bevölkerung

  3. Parteien fungieren als Vermittlungsinstanzen, die quer zu den Kreisen wirken.

  4. Für die Bundesrepublik Deutschland bezeichnet Kreckel den Arbeitsmarkt als „zentrale Drehscheibe sozialer Ungleichheit“.


Primäre und sekundäre Asymmetrien

  • Primäre Asymmetrie: Zwischen Arbeit und Kapital – mit strukturellen Vorteilen für die Kapitalseite (z. B. bessere Organisation, homogenere Interessenlage, Ressourcenvorsprung).

  • Sekundäre Asymmetrien:

    • Zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit (z. B. Arbeitslose, Transferempfänger).

    • Innerhalb von Arbeit (z. B. durch Segmentierung, Schließungsstrategien am Arbeitsmarkt).

    • Beispiel: Illegale Einwanderer sind deutlich schlechter gestellt als gut vernetzte Führungskräfte mit Managementverantwortung.

Rolle askriptiver Merkmale

  • Neben ökonomischen Ungleichheiten betont Kreckel die Bedeutung nicht-ökonomischer, askriptiver Merkmale, insbesondere Geschlecht, nationale und ethnische Zugehörigkeit.

  • Das Geschlechterverhältnis stellt laut Kreckel eine grundlegende Ungleichheitsdimension dar – allerdings nicht im Sinne von Arbeit/Kapital, sondern als Gegensatz von Produktion und Reproduktion.

  • Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt oft strukturell benachteiligt – diese Benachteiligung gilt als illegitim, ist aber systemisch verankert.

  • Kreckel selbst merkt an, dass sein Modell bei der Integration dieser Merkmale an seine Grenzen stößt – sie lassen sich nur „mühsam einfangen“.

Fazit:

  • Kreckel problematisiert die Vorstellung einer klar definierten Klasse mit kollektiver Handlungsfähigkeit.

  • Die „sozial strukturierte Bevölkerung“ lässt sich nur empirisch, nicht theoretisch klar als Klasse, Milieu oder andere Gruppierung fassen.

  • Es existiert ein komplexes Mischungsverhältnis aus klassenspezifischen, milieuspezifischen und individualisierten Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit.

Kritik an Kreckels Ansatz

  • H.-P. Müller kritisiert den Ansatz als zu deskriptiv, ohne ausreichende analytische Tiefenschärfe.

  • Hradil sieht eine verdeckte Nähe zur Klassentheorie, bemängelt die mangelnde Berücksichtigung kultureller und staatlicher Einflussfaktoren.

  • Positiv hebt Hradil hervor, dass Kreckel Organisationen als zentrale Akteure einbezieht – ein innovatives Element.

  • Insgesamt wird Kreckels Ansatz in der Ungleichheitsforschung als eigenständige Position wahrgenommen, bleibt jedoch mangels Weiterentwicklung eher randständig.


Welche Kritik gibt es an traditionellen Klassen- und Schichtmodellen?


1. Unzureichende Erfassung der Lebensrealitäten

  • Autoren wie Bolte (1990) und Hradil (1992, 1999) kritisieren, dass traditionelle Modelle die Vielfalt moderner Lebensstile nicht abbilden.

  • Ähnliche objektive Lebenslagen (z.B. gleicher Beruf) führen heute zu sehr unterschiedlichen Lebensweisen (z.B. Schrebergarten vs. Punkkonzert).

  • Schichtzuweisungen anhand weniger Merkmale wie Bildung oder Beruf greifen zu kurz.

2. Neue Dimensionen sozialer Ungleichheit

  • Neben klassischen Merkmalen wie Bildung und Beruf gewinnen andere Lebensbereiche an Bedeutung: z.B. Freizeit, Wohnen, soziale Sicherheit.

  • Auch nicht Erwerbstätige oder die Verteilung staatlicher Leistungen rücken in den Fokus.

3. Horizontale Ungleichheiten

  • Merkmale wie Geschlecht, Nationalität, Region oder Generation sind relevant, obwohl sie keine Rangfolge implizieren.

  • Diese Merkmale beeinflussen z.B. trotz gleicher Qualifikation die beruflichen Chancen.

  • Gruppen können sich auf gleicher sozialer Stufe differenzieren.

4. Statusinkonsistenzen

  • Personen haben zunehmend widersprüchliche soziale Positionen (z.B. sicherer Job, aber niedriges Einkommen).

  • Alte Modelle gingen von einheitlichem Status aus – heute ist diese Annahme oft nicht haltbar.

  • Besonders in mittleren Statuslagen treten solche Inkonsistenzen auf.

5. Einseitiger Fokus & Vernachlässigung komplexer Zusammenhänge

  • Herkömmliche Modelle betonen vertikale Ungleichheiten (z.B. Beruf) und leiten alle anderen Merkmale daraus ab.

  • Lebensbedingungen wie ethnische Zugehörigkeit oder Lebensstile werden zu stark vereinfacht.

6. Abstraktheit und fehlende Alltagsrelevanz

  • Modelle sind oft zu abstrakt und haben kaum Bezug zur Lebenswirklichkeit.

  • Menschen ordnen sich im Alltag nicht nach diesen Modellen ein.

  • Laut Bolte (1990) fehlt ein sichtbares Hauptkriterium (z.B. klare Statussymbole), das Schichteinordnung erleichtert.

7. Statische Modelle – kein Raum für Wandel

  • Modelle sind zu starr, um den sozialen Wandel oder die Mobilität von Individuen adäquat abzubilden.

  • Sie haben dadurch begrenzten Erklärungswert.

8. Begrifflicher Wandel in der Forschung

  • In der Soziologie wird zunehmend „Ungleichheit“ statt „Schichtung“ als zentraler Begriff genutzt.

  • Fazit (Zitat):

    „Vielleicht stellt die mit der Berufshierarchie verknüpfte Schichtungsstruktur nach wie vor den ‚harten Kern’ des Gefüges sozialer Ungleichheit dar. Insgesamt kann es aber kaum mehr als Schichtungsgefüge beschrieben werden.“


Was sind Lebensstile?

Historische Grundlagen

  • Max Weber: Lebensführung als Merkmal eines Standes (nicht der Klasse); Stand basiert auf Prestige und gemeinsamer Lebensweise (z. B. Konsumstile, Werte). Beispiel: asketisch-protestantische Ethik – Zeit- und Geldnutzung ohne Genuss.

  • Georg Simmel: Lebensstil dient in der Moderne zur Identitätsbildung, da Vielfalt und Wahlmöglichkeiten Identität gefährden. Stil mildert extreme Individualität durch allgemeine Formgebung (z. B. Kleidung, Benehmen).

2. Moderne Lebensstilforschung

  • Lebensstilkonzepte heute oft aus der Marktforschung (z. B. Käufertypologien wie „geltungsbedürftige Frau“).

  • In der Soziologie braucht es jedoch eine differenzierte, theoriebasierte Betrachtung, nicht nur oberflächliche Beschreibung.

3. Definitionen

  • Soziologisches Wörterbuch: Lebensstil = Ausdrucksformen alltäglicher Lebensgestaltung.

  • H.-P. Müller: Raum-zeitlich strukturierte Muster der Lebensführung, abhängig von Ressourcen, Haushaltsformen und Werten.

    • Verhaltensdimensionen:

      • Expressiv (z. B. Freizeit, Konsum)

      • Interaktiv (z. B. Geselligkeit, Heiratsverhalten)

      • Evaluativ (z. B. Werte, politische Präferenzen)

      • Kognitiv (z. B. Zugehörigkeitsgefühle)

4. Zentrale Funktionen von Lebensstilen

  • Alltagsorientierung durch Routinen.

  • Soziale Zugehörigkeit und Abgrenzung durch Distinktion.

  • Identitätsstiftung, sowohl sozial als auch individuell.

5. Merkmale moderner Lebensstile

  • Weniger durch „objektive“ Merkmale (Einkommen, Beruf) erklärbar.

  • Kulturelle/symbolische Faktoren im Fokus: Verhalten, Umgang mit Ressourcen/Restriktionen.

  • Statussymbole verlieren an Eindeutigkeit (mehr Wahlfreiheit).

  • Subjektive Perspektiven werden stärker einbezogen.

  • Ganzheitlicher Ansatz: Verknüpfung von Makrostruktur und individuellem Handeln.

Methoden in der Lebensstilforschung

1. Erhebungsmethoden

  • Hauptinstrument: Befragungen (z. B. Fragebögen) sowie Sekundäranalysen vorhandener Daten.

  • Teilweise kombiniert mit Beobachtungen.

2. Auswertungsmethoden (multivariate Verfahren)

Clusteranalyse (z. B. bei Georg und Spellerberg)

  • Ziel: Bildung von Lebensstilgruppen („Cluster“) durch Ähnlichkeitsanalyse.

  • Beispiel: Bei 1.000 Personen werden 20 Freizeitaktivitäten erhoben → ähnliche Kombinationen werden zu Gruppen zusammengefasst.

  • Statistische Grundlagen: Ähnlichkeits- oder Distanzmaße bestimmen Gruppenzugehörigkeit.

  • Nach der Clusterbildung: Überprüfung möglicher Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht etc. in den jeweiligen Clustern.

Korrespondenzanalyse (z. B. bei Bourdieu)

  • Darstellung der Daten in einem Koordinatensystem.

  • Vorteil: Gleichzeitige Betrachtung von abhängigen Variablen (z. B. Freizeitverhalten) und Einflussfaktoren.

  • Interpretation:

    • Nähe im Raum = inhaltlicher Zusammenhang.

    • Größere Entfernung vom Nullpunkt = stärkere Aussagekraft.

    • Kein lineares Maß! (z. B. keine „männlicher“/„weiblicher“-Achse).

Faktorenanalyse

  • Ziel: Reduktion komplexer Merkmalsmuster auf wenige, statistisch zusammenhängende Dimensionen.

  • Anwendung zur Strukturierung und Interpretation von Einstellungen, Vorlieben oder Verhaltensweisen.

3. Entwicklung und Kritik

  • Rückgang der Lebensstilforschung nach den 1990er-Jahren zugunsten stärkerer Betonung sozialstruktureller Ungleichheiten (z. B. aufgrund von Arbeitslosigkeit, Sozialstaatskrise).

  • Dennoch weiterhin:

    • Empirische Studien zu Lebensstilen und Milieus.

    • Kombination klassischer Sozialstrukturdaten mit Lebensstilanalysen.

4. Beispiele aktueller Studien

  • P. Stein (2006): Einfluss von sozialer Position, Herkunft und Mobilität auf kulturelle Lebensstilorientierungen.

  • G. Otte (2004):

    • Theoriegeleitete Typologie mit Dimensionen:

      • Ausstattungsniveau

      • Modernität bzw. biografische Perspektive

    • Anwendungsbeispiele: Städtische Szene-Partizipation, Urlaubszielwahl, Wohngebietswahl.

    • Ergebnis: Klassische Sozialstrukturmerkmale behalten in manchen Bereichen weiterhin Erklärungskraft.


Lebensstile als Modell sozialer Ungleichheit – Zusammenfassung


1. Lebensstilmodell vs. Klassen-/Schichtmodelle

  • Lebensstilansätze sind differenzierter, da sie mehrdimensionale Ungleichheiten berücksichtigen (z. B. Qualifikation und Alter).

  • Lebensstile sind nicht nur vertikal (oben–unten), sondern auch horizontal nebeneinander angeordnet.

  • Lebensstilgruppen müssen nicht im Konflikt stehen, können sich aber durch Distinktion voneinander abgrenzen.

2. Entstrukturierungsmodelle

  • Lebensstile gelten hier als eigenständige Form sozialer Differenzierung, unabhängig von klassischen strukturellen Merkmalen wie Einkommen oder Bildung.

  • Gruppen definieren sich über Präferenzen und Lebensführung, nicht über objektive Ressourcen.

  • Lebensstile erklären Handlungsorientierungen und Lebensqualität.

  • Vertreter: z. B. Karl H. Hörning und (nach Hörning et al.) auch H. Lüdtke – wobei Letzterer eher als strukturell orientiert gesehen wird.

3. Struktur vs. Kultur – fließende Übergänge

  • Es gibt keine harte Trennung zwischen Struktur- und Kulturansätzen – eher graduelle Unterschiede.

  • Die Lebensstilanalyse bildet einen Mittelweg:

    • Zwischen stark hierarchischer Ungleichheit und

    • Vielfalt durch individuelle Wahlmöglichkeiten.

4. Lebensstil als autonome Kategorie (nach Hörning et al.)

  • Lebensstile sind nicht bloß Ergebnis struktureller Bedingungen, sondern:

    • Autonome Kategorien mit eigenem Erklärungswert.

    • Strukturieren selbst das soziale Leben.

    • Strukturmerkmale werden erst durch Lebensstile konkretisiert.


Lebensstile nach W. Georg

1. Verhältnis zu Klassen- und Schichtmodellen

  • Lebensstile sollen nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der traditionellen Sozialstrukturanalyse (Klassen/Schichten) verstanden werden.

  • Die ungleiche Verteilung von Ressourcen bleibt weiterhin im Zentrum der Klassen- und Schichtforschung.

  • Die Lebensstilanalyse hingegen beschäftigt sich mit symbolischen Ausdrucksformen sozialer Ungleichheit und deren Auswirkungen, wie etwa:

    • soziale Schließung (Ausschluss anderer Gruppen)

    • soziale Integration (Gruppenzugehörigkeit durch geteilte Lebensweisen)

2. Definition des Lebensstilbegriffs

  • Georg definiert Lebensstile als „relativ stabile, ganzheitliche und routinisierte Muster der Organisation von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen“ (1998: 92).

  • Diese Wahlprozesse setzen Wahlmöglichkeiten und individuelle Gestaltungsspielräume voraus, die sich seit den 1970er/80er Jahren stark erweitert haben.

  • Im Vordergrund stehen dabei ästhetische Ausdrucksformen und Geschmacksentscheidungen – Lebensstile werden als Symbolpraxis verstanden.

3. Merkmale und Ausdrucksformen von Lebensstilen

  • Lebensstile äußern sich in einer „wahrnehmbaren, klassifizierbaren und prestigeträchtigen Stilisierungspraxis“ im Alltag (Georg 1998: 93).

  • Ziel ist dabei oft eine bestimmte repräsentative Außenwirkung – also ein symbolischer sozialer Status.

  • Typische Bereiche, in denen sich Lebensstile manifestieren, sind:

    • Freizeitaktivitäten

    • Musikgeschmack

    • Wohnungseinrichtung

    • Kleidungsstil

    • Lese- und Mediennutzung

    • Kulturkonsum

    • Vereinsmitgliedschaften

    • Kommunikations- und Interaktionsstile

4. Zwei Ebenen der Einflussfaktoren

→ Wichtig: Lebensstile werden nicht direkt aus diesen Faktoren abgeleitet, sondern der Zusammenhang ist empirisch zu überprüfen!

a) Soziale Lage

  • Umfasst sowohl vertikale Merkmale (z. B. Einkommen, Bildung, soziale Netzwerke), als auch horizontale Unterschiede (z. B. Alter, Kohorte, Region).

  • Diese Lage beeinflusst die Verfügbarkeit und Nutzung von Ressourcen sowie den Zugang zu bestimmten Lebensstilen.

b) Mentale Ebene

  • Bezieht sich auf Wertorientierungen, Einstellungen und Lebensziele.

  • Entscheidend für die identitätsstiftende Funktion von Lebensstilen.

  • Lebensstile dienen hier der symbolischen Zugehörigkeit und Abgrenzung – also der sozialen Distinktion.

5. Empirische Lebensstiltypologie (1990, in Zusammenarbeit mit SINUS-Institut)

  • Grundlage: Datenanalyse mithilfe von Clusteranalyse.

  • Es ergeben sich sieben Lebensstiltypen, die sich in ihrer expressiven Praxis und sozialen Lage unterscheiden.

Typ

Bezeichnung

Anteil (%)

1

Hedonistisch-expressiver Lebensstil

10,2 %

2

Familienzentrierter Lebensstil

19,2 %

3

Kulturbezogen-asketischer Lebensstil

11,3 %

4

Konservativ-passiver Lebensstil

14,9 %

5

Prestigebezogene Selbstdarstellung

11,1 %

6

Zurückhaltend-konventioneller Lebensstil

16,1 %

7

Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus

11,6 %

6. Einflussfaktoren auf Lebensstile – Ergebnisse der Analyse

  • Die stärksten Prädiktoren für die Zugehörigkeit zu einem Lebensstil sind:

    • Alter (mit Betonung auf Kohorteneffekte – also generationsspezifische Prägung – nicht bloß biologisches Alter)

    • Lebenszyklus (z. B. Partnerschaft mit Kind)

    • Bildungsniveau

    • Geschlecht

  • Weniger entscheidend: Einkommen und beruflicher Status, was im Gegensatz zu klassischen Schichtmodellen steht.

  • Die mentale Ebene besitzt eigenständige Erklärungskraft, insbesondere:

    • Die „traditionelle Wertorientierung“ zeigt sich als starker Prädiktor für bestimmte Lebensstile.


Lebensstile nach A. Spellerberg

  1. Das Konzept von Spellerberg erweitert bestehende Lebensstilansätze durch:

    • Integration von Werten als konstituierende Elemente

    • Berücksichtigung des ost-westdeutschen Vergleichs

    • Fokus auf Lebensqualität als erklärbare Größe

  2. Lebensstile bieten ein differenziertes Bild sozialer Milieus, können aber keine eindeutigen Erklärungsansprüche ohne methodische Vorsicht erfüllen.

1. Definition und theoretischer Rahmen

  • Lebensstile als „individuelle Organisation und expressive Gestaltung des Alltags“ (Spellerberg 1995: 230). → Betont besonders die expressive Komponente, stimmt aber mit anderen Ansätzen (z. B. Georg) im Grundsatz überein.

  • Lehnt sich an H.-P. Müllers Konzept an und unterscheidet drei Dimensionen:

    • Interaktiv: z. B. Freizeitverhalten

    • Expressiv: z. B. Musikgeschmack, Einrichtung, Lesegewohnheiten

    • Evaluativ: z. B. Lebensziele, Werthaltungen

2. Unterschiede zu W. Georg

  • Bei Spellerberg zählen Werte direkt zum Lebensstil (als konstituierendes Merkmal).

  • Bei Georg gehören Werte zur mentalen Ebene, die als Einflussfaktor auf Lebensstile wirkt. → Dieser Unterschied ist konzeptionell bedeutsam, v. a. in der empirischen Anwendung.

3. Datengrundlage und Zielsetzung

  • Datengrundlage: Wohlfahrtssurvey 1993.

  • Ziel: Vergleich von Lebensstilen in Ost- und Westdeutschland.

  • Besonderheit: Herstellung von Zusammenhängen zur Lebensqualität (also Lebensstil als erklärende Variable).

4. Typologie der Lebensstile

  • Gliederung der Lebensstilgruppen anhand von zwei Achsen:

    1. Aktionsradius:

      • Häuslich orientiert vs. außerhäuslich aktiv

    2. Kulturelle Vorlieben:

      • Entlehnt den Ansatz von G. Schulze („alltagsästhetische Schemata“)

      • Z. B. Hochkultur, Unterhaltung, Erlebnisorientierung

  • Ergebnis:

    • Je neun Lebensstilgruppen für Ost- und Westdeutschland

    • Unterschiede zwischen Ost und West, z. B.:

      • Erlebnisorientierter Häuslicher“: nur im Osten

      • Hochkulturpräferenz:

        • Westen: drei unterschiedliche Typen

        • Osten: nur ein Typ

5. Einflussfaktoren auf Lebensstile

  • In beiden Landesteilen sind starke Prädiktoren:

    • Alter (v. a. als Kohorteneffekt verstanden)

    • Bildung

    • Geschlecht

  • Weitere Unterschiede:

    • Westdeutschland:

      • Relevanzreihenfolge: Alter > Bildung > Einkommen > Geschlecht

    • Ostdeutschland:

      • Alter > Geschlecht > Bildung > Kinder im Haushalt

6. Wandel und Angleichung nach 1993

  • Tendenz zur Annäherung der Lebensstile in Ost und West:

    • Zunahme von Unterhaltung, Geselligkeit und Genussorientierung

    • Traditionelle Lebensstile im Osten rückläufig

    • Interesse an Hochkultur im Westen leicht gesunken

  • → Hinweis auf kulturelle Konvergenzprozesse seit der Wiedervereinigung

7. Zusammenhang mit Lebensqualität

  • Lebensstile dienen als unabhängige Variable zur Erklärung von Lebensqualität:

    • Unterschiedliche Lebensstilgruppen weisen unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe für Lebensqualität auf.

  • Zentrale Befunde:

    • Im Westen: Lebensstile erklären Wohlbefinden gut.

    • Im Osten: Materielle Situation ist oft ausschlaggebender Faktor für Lebensqualität.

  • Hinweis auf methodische Herausforderung:

    • Zirkelschlussgefahr: Wenn Werte gleichzeitig zur Definition und zur Erklärung von Lebensstilen dienen.

    • Gilt auch für andere Felder wie z. B. Wohnverhalten.


Was sind Milleus?

Begriffsursprung & Entwicklung

  • Historisch geprägt durch Comte, Durkheim, Lepsius

  • Anfang 20. Jh.: Betonung der sozialen Umwelt, subjektive Relevanz

  • Nach dem 2. WK: Dominanz der Schichtmodelle → Milieus erst ab den 1980ern (z. B. SINUS) wieder relevant

2. Definitionen

  • Soziologisches Lexikon: Gesamtheit der natürlichen & sozialen Umwelt eines Individuums

  • Hradil: Gruppen Gleichgesinnter mit ähnlichen Werthaltungen, Mentalitäten, Beziehungsstilen und Umweltdeutungen

3. Eigenschaften

  • Milieus ≠ rein räumlich → auch großräumig möglich

  • Verbunden durch ähnliche Werte (z. B. materielle Sicherheit, Erfolg, Hedonismus)

  • Abhängig von sozioökonomischen Bedingungen, aber: diese werden milieuspezifisch interpretiert

  • Innerhalb sozialer Schichten: mehrere Milieus nebeneinander möglich (z. B. SINUS-Milieus)

⚖️ Vergleich: Lebensstile vs. Milieus

Kriterium

Lebensstil

Milieu

Ebene

Mikroebene (individuelles Verhalten)

Mehr Mesoebene (soziale Gruppierung)

Fokus

Ausdruck individueller Wahlfreiheit & Expressivität

milieuspezifische Wahrnehmung & Deutung gegebener Bedingungen

Verbindung zu sozioökonomischen Faktoren

Indirekt, aber vorhanden

Eng verknüpft, objektive Bedingungen werden „gefiltert“

Rolle von Werten

Teils konstituierend, teils Einflussfaktor

Oft zentrale Dimension

Verhaltensmuster

Routinen & Ausdrucksformen (Otte: „expressiver Kern“)

Tiefsitzende Werthaltungen, Mentalitäten

Zusammenspiel

Lebensstile können Milieus prägen oder Ausdruck davon sein

Milieus beinhalten häufig typische Lebensstile


Was sind Sinus-Milleus?

U. Becker und H. Nowak (1985) entwickelten das Konzept im Auftrag des SINUS-Instituts mit dem el: Lebenswelten über subjektive Lebenslagen und Lebensstile erfassen.

  • Definition: Soziale Milieus sind Gruppen von Menschen mit ähnlicher Lebensauffassung und Lebensweise – also subkulturelle Einheiten innerhalb der Gesellschaft.

  • Anwendungsschwerpunkt: Ursprünglich stark auf Marktforschung ausgerichtet – Erkennung von Zielgruppen und Konsumstilen.

Methodische Entwicklung

  • Erste qualitative Interviews in den späten 1970er-Jahren.

  • Erste quantitative Studie: 1982.

  • Ergebnis: 8 Milieus, dargestellt in einem Koordinatensystem:

    • Horizontale Achse: Werteorientierungen von traditionell bis postmateriell.

    • Vertikale Achse: Soziale Schichten (Bildung, Beruf, Einkommen).

Weiterentwicklung des Modells

  • Kontinuierliche Anpassung: Neue Zuschneidungen und Umbenennungen der Milieus.

  • 1991: Spezifisches Modell für Ostdeutschland.

  • Ab 2000: Einheitliches gesamtdeutsches Modell.

  • Auch anwendbar auf:

    • Migrant*innen in Deutschland.

    • Internationale Bevölkerungen (Meta-Milieus).

  • Ab 2017: Horizontalachse: Grundorientierungen

    • Tradition

    • Modernisierung/Individualisierung

    • Neuorientierung

  • Vertikalachse: Soziale Lagen

    • Berücksichtigung Bildung, Beruf, Einkommen

Meta-Milieus (internationaler Vergleich)

  • Annahme: Menschen aus ähnlichen Milieus verschiedener Länder ähneln sich mehr als Personen aus dem gleichen Land, aber aus anderen Milieus.

  • Westliche Meta-Milieus laut SINUS u.a.:

    • Traditionelle

    • Etablierte

    • Intellektuelle

    • Modern Mainstream

    • Konsum-Materialisten

    • Sensationsorientierte

    • Modern Performing

Kritik am SINUS-Modell

  • G. Schulze (1990):

    • Kritik an der eindimensionalen Erfassung subjektiver Dimensionen.

    • Verwunderung über Rückgriff auf Schichtkategorien, obwohl das Konzept ursprünglich über Schichten hinausgehen wollte.

  • H.-P. Müller:

    • Fehlende Berücksichtigung von Determinanten der Milieubildung und Milieuwechsel.

    • Unzureichende Verknüpfung von individuellem Wertewandel mit sozialstrukturellem/institutionellem Wandel.


Milieus nach Vester et al. ((„Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel“, 1993/2001)

Bezug auf Pierre Bourdieu:Milieus = Gruppen mit ähnlichem Habitus und Alltagskultur. Milieus sind keine politischen Lager mehr, aber:

„Traditionslinien“ des Alltagsstils wirken fort und bleiben durch Kulturschranken und Vorurteile voneinander getrennt.

  • Milieus sind durch langsame Modernisierungsprozesse geprägt – kein grundlegender Wandel der gesellschaftlichen Ungleichheit.

  • Langsame Transformationen innerhalb der Traditionslinien, keine grundlegende Umwälzung.

  • Bsp.:

    • Früher: „liberal-intellektuelles Milieu“ (1995, 10 %)

    • Später: Aufspaltung in bildungsbürgerliches und gehobenes Dienstleistungsmilieu.

  • Neu (2003): Betonung von Trennlinien der Distinktion (soziale Abgrenzung) und Respektabilität.

  • Milieus als aktive Akteure

    • Menschen passen sich nicht nur passiv den äußeren Bedingungen an.

    • Sie reagieren milieuspezifisch auf Veränderung:

      • Prekäre Milieus: z. B. flexibler im Umgang mit unsicheren Arbeitsverhältnissen.

      • Mittlere Milieus: stärker orientiert an Sicherheit und Stabilität, dadurch evtl. weniger flexibel bei Umbrüchen.

Struktur des Modells

  • Vertikale Achse: → Soziale Herrschaft, d.h. Zugang zu Wohlstand, Bildung, Macht, Chancen.

  • Horizontale Achse: → Einstellungen zu Autorität, von autoritär bis avantgardistisch.

  • Darstellung ähnelt einem Milieustammbaum: Traditionen verzweigen sich in individualisierte und postmaterielle Richtungen.


Soziale Ungleichheit nach Vester

  • Vester spricht von einer vertikalen Dreiteilung der Gesellschaft:

    Die vertikale Dreiteilung bei Vester et al.

    1. Obere Milieus („Respektable Milieus“)

      • Besitz, Macht, Einfluss, hohe Bildung und stabile soziale Teilhabe.

      • Gesellschaftlich anerkannt und integriert.

      • Beispiel: Bildungsbürgerliche Milieus, gehobene Dienstleister.

      • Diese Gruppen können ihre soziale Position verteidigen und pflegen.

    2. Mittlere Milieus

      • Mittlere soziale Lage mit tendenziell stabilen, aber weniger privilegierten Lebensbedingungen.

      • Orientierung auf Sicherheit, Beständigkeit, Zuverlässigkeit.

      • Teilweise Anpassung an äußere Bedingungen, aber weniger flexibel als untere Milieus.

      • Beispiel: Kleine Angestellte, Facharbeiter mit relativ sicherem Einkommen.

    3. Unterprivilegierte / Prekäre Milieus („Verliergruppen“)

      • Schlechtere Bildungschancen, geringe soziale Teilhabe, unsichere oder instabile Erwerbssituationen.

      • Zunehmende soziale Ausgrenzung und Abgehängtheit von gesellschaftlichen Standards.

      • Zeigen jedoch oft aktive Bewältigungsstrategien (z.B. informelle Jobs, Netzwerke).

      • Beispiel: Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Menschen mit sozialer Unsicherheit.

    Wichtig:

    • Diese Dreiteilung reflektiert nicht nur den ökonomischen Status, sondern auch den Zugang zu sozialer Anerkennung, Macht und Einfluss.

    • Die Dreiteilung ist keine starre Kastenordnung, sondern zeigt fließende Grenzen, aber mit zunehmender sozialer Ungleichheit.

    • Vester betont, dass die unterprivilegierten Milieus zunehmend von der Teilhabe ausgeschlossen werden, was soziale Probleme und Fragmentierung verstärkt.



Kernunterschiede zu SINUS-Milieus

Aspekt

Vester et al.

SINUS

Perspektive

Soziologisch, gesellschaftskritisch

Marktforschung, Konsumverhalten

Theoretischer Bezug

Bourdieu, soziale Ungleichheit

Subjektive Lebenslagen & Lebensstile

Fokus

Milieus als Ausdruck sozialer Herrschaftsverhältnisse

Zielgruppenanalyse, Werteorientierung

Dynamik

Langsamer Wandel mit Betonung auf Traditionslinien und Ausschluss

Anpassung an neue Konsum- & Werteentwicklungen

Achsen

Vertikal: Herrschaft / Horizontal: Autoritätsorientierung

Vertikal: Soziale Lage / Horizontal: Werteorientierung



Erlebnisgesellschaft nach Gerhard Schulze (1992)



In den 1980er Jahren beobachtet Schulze für Deutschland eine Gesellschaft, in der das Streben nach Erlebnissen im Vordergrund steht. Menschen handeln zunehmend erlebnisorientiert (auch „innenorientiert“ genannt), das heißt sie suchen unmittelbar nach Glück und schönen Erlebnissen.

  • Das „Schöne Leben“ wird zum Massenphänomen.

  • Erlebniswert von Gütern und Handlungen gewinnt gegenüber ihrem Gebrauchswert an Bedeutung (z.B. schickes Auto als Status- und Erlebnisobjekt statt nur Transportmittel).

  • Entscheidungen sind geprägt von Unsicherheiten und Enttäuschungen (z.B. ein Event entspricht nicht der Erwartung).

Innenorientierung vs. Außenorientierung

  • Erlebnisorientiertes Handeln ist nicht bei allen Handlungen gleich stark ausgeprägt, sondern graduell.

  • Beispiel: Kleidung kann innenorientiert (sich schön fühlen) oder außenorientiert (guten Eindruck machen) getragen werden.

  • Erlebnisrationalität führt zu anderen Entscheidungen als überlebenssichernde oder kollektive Ziele.

Alltagsästhetische Schemata

  • Gesellschaftlicher Wohlstand bietet große Wahlmöglichkeiten und macht Erlebnisorientierung möglich.

  • Erlebnisorientiertes Handeln prägt den persönlichen Stil, der sozial und milieuspezifisch variiert.

  • Schulze definiert drei Hauptschemata, die als alltagsästhetische Muster wirken:

Schema

Genuss-Ebene

Distinktion

Lebensphilosophie

Hochkulturschema

Kontemplation, Zurückhaltung

Anti-barbarisch, Abgrenzung zu „Proll-Kultur“

Das Ich wird an hohen Ansprüchen gemessen (schöngeistig)

Trivialschema

Gemütlichkeit, Vertrautes

Anti-exzentrisch, lange abwertend beurteilt

Harmonie, schöne Illusion (z.B. Happy Ends)

Spannungsschema

Suche nach Action, Neues

Anti-konventionell, Abgrenzung zu Spießern

Narzissmus, Selbstverwirklichung und Unterhaltung

  • Keine Person ist nur einem Schema zuzuordnen; Milieus ergeben sich aus Kombinationen der Nähe/Distanz zu diesen Schemata.

  • Fünf typische Milieukombinationen entstehen, die sich auch durch erhöhte Binnenkommunikation auszeichnen (z.B. Freundeskreise, Vereine).

Milieuzuordnung durch Alter und Bildung

  • Zwei Dimensionen sind besonders prägend und sozial sichtbar:

    • Alter: jünger vs. älter (ca. 40 Jahre als Grenze)

    • Bildung: niedrig, mittel, hoch

  • Daraus ergibt sich eine „gespaltene Vertikalität“:

    • Bildung als traditionelle vertikale Hierarchie (sozialer Status).

    • Alter als horizontale soziale Schichtung, die Bildungsschichtung überlagert.

  • Soziale Lage und Milieu sind nicht identisch, sondern überlappen und zeigen Abstufungen.

Kritik und empirische Befunde

  • Kritik: Das Modell greift v.a. in Phasen großen Wohlstands; bei sozialer Knappheit verliert die Erlebnisorientierung an Bedeutung (vgl. Neckel).

  • Empirische Studien (z.B. Lechner 2003) bestätigen die Milieustruktur auch im Ostdeutschland der 1990er Jahre.


Konzept der Alltäglichen Lebensführung


Entwickelt seit Mitte der 1980er Jahre, u.a. im Sonderforschungsbereich „Entwicklungsperspektiven von Arbeit“ (Uni München) als Reaktion auf gesellschaftlichen Strukturwandel und zunehmende Komplexität im Verhältnis von Arbeit und Leben.

  • = Menschen müssen vielfältige Rollen und Anforderungen im Alltag „unter einen Hut“ bekommen.

  • Lebensführung = das, was Menschen wiederholt und regelmäßig in verschiedenen Lebensbereichen (Beruf, Familie, Freizeit etc.) tun (Rerrich/Voß 2000).

  • Betrachtung des Gesamtarrangements der alltäglichen Handlungspraxis, nicht nur einzelne Verhaltensweisen.

  • Betonung der aktiven Konstruktionsleistung der Individuen zwischen äußeren Bedingungen (Strukturen) und eigenen Präferenzen.

  • Lebensführung entwickelt eine relative Eigenlogik gegenüber den handelnden Personen.

Theoretische Perspektive:

  • Verbindung von Mikro- (individuelles Handeln) und Makroperspektive (gesellschaftliche Strukturen).

  • Bolte bezeichnet Lebensführung als „zentrales Kupplungssystem“ zwischen Individuum und Gesellschaft.

  • „Subjektorientierte Perspektive“ wird häufig genutzt, aber mit Berücksichtigung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.

  1. Typisierungen alltäglicher Lebensführung (Bolte 2000):

    • Dimensionen:

      • Außengeleitetheit vs. Eigeninitiative

        • a) handeln oft reaktiv und passen sich an bestehende Rahmenbedingungen an, haben weniger Spielraum oder Kontrolle über ihre Lebensgestaltung.Beispiel: Jemand mit rigiden Arbeitszeiten, der kaum Möglichkeiten hat, seinen Alltag flexibel zu gestalten, oder Personen, die stark an traditionelle Rollenbilder gebunden sind.

        • b) Personen, die ihren Alltag aktiv und selbstbestimmt gestalten, Entscheidungen bewusst treffen und versuchen, ihre Lebensbedingungen zu beeinflussen.Sie sind initiativ, experimentierfreudig und gestalten ihr Leben eher „von innen heraus“.

      • Gleichförmig vs. Variabel

        • a) Lebensführung, die durch regelmäßige, stabile Routinen und feste Muster geprägt ist.Die Tages- und Wochenstruktur ist vorhersehbar und wiederkehrend, wenig überraschend oder spontan. Dies kann Sicherheit und Verlässlichkeit bieten, aber auch als Einschränkung empfunden werden.

        • b) Lebensführung mit hoher Flexibilität und wechselnden Aktivitäten, wenig starren Abläufen.Menschen mit variabler Lebensführung reagieren flexibel auf wechselnde Anforderungen und gestalten ihren Alltag oft abwechslungsreich und weniger vorhersehbar.

      • Kurzfristig vs. Dauerhaft

        • a) Lebensführung ist auf kurzfristige Planung und Bewältigung ausgerichtet.Entscheidungen und Handlungen beziehen sich auf den nahen Zeitraum, langfristige Perspektiven oder Planungen fehlen oder werden weniger berücksichtigt.Kann z.B. durch Unsicherheit oder instabile Lebensbedingungen bedingt sein.

        • b) Planung und Lebensführung sind auf langfristige Kontinuität und Nachhaltigkeit ausgerichtet.Menschen verfolgen stabile Ziele über längere Zeiträume und organisieren ihren Alltag entsprechend.Beispiel: Aufbau eines Eigenheims, langfristige Familienplanung, kontinuierliche Berufsentwicklung.

    • Durch die Kombination dieser Dimensionen entstehen unterschiedliche Typen der alltäglichen Lebensführung, z.B.:

      • Außengeleitete konstante Lebensführung: Stark fremdbestimmt, mit festen Routinen und langfristiger Orientierung. Beispiel: Traditionell geprägte Lebensweisen in stabilen Arbeitsverhältnissen.

      • Mitbestimmte Lebensführung: Zwischen Fremdbestimmung und Eigeninitiative, mit mäßiger Variabilität und mittelfristiger Orientierung.

      • Selbstbestimmte Lebensführung: Hohe Eigeninitiative, variable Abläufe und langfristige Ausrichtung. Beispiel: Freiberufler*innen, die ihre Zeit flexibel gestalten.

      • Resignative Lebensführung: Geringe Eigeninitiative, möglicherweise chaotisch oder durch Verzicht geprägt, mit wenig Aussicht auf Kontrolle oder Stabilität.

      • Chaotische Lebensführung: Wenig Struktur, hohe Variabilität und kurzfristige Orientierung, z.B. bei Menschen in prekären Lebenssituationen.

    • Lebensführungstyp sagt nichts über subjektive Zufriedenheit aus.

  2. Sozialstrukturelle Relevanz und soziale Ungleichheit:

    • Lebensführung verbindet individuelles Handeln und gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen.

    • Beispiel (Rerrich/Voß 2000):

      • Arbeiter mit bäuerlicher Herkunft vs. freiberuflicher Journalist → trotz objektiver sozialer Ungleichheiten kann die subjektive Lebensführung die Wahrnehmung der eigenen Lage relativieren.

      • Der Arbeiter wirkt zufrieden und stabil, der Journalist unsicher und prekär.

    • Lebensführung als aktive Aneignung sozialer Bedingungen, die soziale Lage ambivalenter macht.

  3. Kritische Differenzierung (Jürgens 2002):

    • Unterschiedliche soziale Positionen und Milieuzugehörigkeit können schon auf „objektiver“ Ebene erkannt werden (Bourdieu).

    • Alltägliche Lebensführung beeinflusst aber weiterhin die Anpassungsfähigkeit und kann Ressourcen oder Restriktionen darstellen (z.B. „offenere“ Lebensführung beim Journalisten).

    • Lebensführung erfasst insbesondere Koordinations- und Synchronisationsleistungen im Alltag, die bei Milieu- und Lebensstilanalysen weniger beachtet werden.

  4. Potenziale und Grenzen:

    • Ergänzt Milieu- und Lebensstilforschung durch Fokus auf Gesamtarrangement und Alltagspraxis.

    • Bietet dichte Beschreibung alltäglicher Handlungsmuster.

    • Modell einer systematischen Verknüpfung mit Milieumodellen oder sozialer Ungleichheit fehlt bislang.


Was sind typische kritische Fragen und Zusammenfassungen zur Lebensstil und Milleusansätzen?

Lebensstil- und Milieukonzepte haben das Ziel, soziale Ungleichheit differenzierter zu erfassen, als es traditionelle Klassen- oder Schichtmodelle leisten können. Sie verbinden objektive Strukturmerkmale (z. B. Bildung, Einkommen, Beruf) mit subjektiven Orientierungen (z. B. Werte, Lebensziele, kulturelle Vorlieben) und schlagen damit eine Brücke zwischen Struktur- (erklären soziales Verhalten überwiegend durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie soziale Schicht, Bildung oder Einkommen) und Handlungstheorie (betonen die individuelle Entscheidungsfreiheit und Motivation von Menschen in ihrem sozialen Handeln). Dieser Mittelweg ermöglicht es, soziale Unterschiede nicht nur über materielle Ressourcen, sondern auch über kulturelle Zugehörigkeiten und Distinktionsprozesse (beschreiben, wie sich soziale Gruppen symbolisch voneinander abgrenzen, z. B. durch Lebensstil, Konsum oder kulturelle Vorlieben, um Zugehörigkeit oder Überlegenheit auszudrücken.) zu analysieren.


Zentrale Kritikpunkte:

  1. Mangelnde Theorietiefe: Eviele Lebensstilansätze zu deskriptiv und ohne fundierte theoretische Anbindung. Bloßer Rückgriff auf Klassiker wie Bourdieu oder Beck wird als unzureichend angesehen. Garhammer fragt zurecht, was es gesellschaftlich bedeutet, wenn das Leben zur „Stilfrage“ wird – eine Frage, die oft unbeantwortet bleibt.

  2. Vielzahl an empirisch gefundenen Lebensstilgruppen kann zu einer Beliebigkeit führen: In der Lebensstilforschung werden oft sehr viele unterschiedliche Gruppen gefunden – so viele, dass man sich fragt, ob es diese Unterschiede in der Gesellschaft wirklich gibt oder ob sie nur deshalb auftauchen, weil die Forschungsmethoden immer genauer werden. Das Problem dabei: Wenn man nicht weiß, wie wichtig diese Gruppen für das Verständnis sozialer Ungleichheit sind, wirkt das Ganze schnell beliebig – also so, als hätte jede noch so kleine Gruppe ihren eigenen „Lebensstil“, ohne dass das wirklich etwas über Macht, Chancen oder Ungleichheiten in der Gesellschaft aussagt.

  3. Unklare Erklärungskraft für soziale Ungleichheit: Kritiker wie Solga et al. monieren, dass nicht klar ist, ob Milieus Ursachen, Indikatoren oder nur Begleitphänomene sozialer Ungleichheit sind. Besonders problematisch wird es, wenn Lebensstile zur Erklärung von Verhalten herangezogen werden, das wiederum zu deren Definition beiträgt – hier drohen Zirkelschlüsse.

  4. Verlust des kritischen Potenzials: Wird die Gesellschaft vor allem als nebeneinanderstehende Vielfalt von Lebensstilen beschrieben, droht die Analyse von Herrschaft und Machtverhältnissen unterzugehen. Kritiker wie Meyer warnen davor, dass dadurch bestehende Ungleichheitsverhältnisse verharmlost oder sogar legitimiert werden könnten.

  5. Struktur vs. Wahlfreiheit: Die Betonung individueller Wahlfreiheit bei Lebensstilen verkennt laut Kritikern häufig strukturelle Begrenzungen, etwa durch Herkunft, Bildung oder Geschlecht. Es gibt aber auch Gegenpositionen, etwa von Hradil, der betont, dass Lebensstile keineswegs unabhängig von äußeren Einflüssen bestehen.

  6. Dynamik und Wandel: Lebensstile werden oft als statisch dargestellt, obwohl es für eine Erklärung sozialer Prozesse entscheidend wäre, zu verstehen, unter welchen Bedingungen sich Lebensstile verändern. Zwar existieren erste Überlegungen dazu (etwa zu Alters- oder Kohorteneffekten = Einfluss der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation auf Einstellungen oder Verhalten.), doch eine systematische Theorie des Wandels fehlt bisher weitgehend.

Fazit: Lebensstil- und Milieuansätze bieten wertvolle Ergänzungen zu klassischen Ungleichheitstheorien, da sie subjektive Deutungsmuster und kulturelle Zugehörigkeiten berücksichtigen. Sie tragen dazu bei, die soziale Realität in modernen Gesellschaften differenzierter zu erfassen. Gleichzeitig müssen sie sich jedoch dem Vorwurf stellen, theoretisch oft zu vage, empirisch zu kleinteilig und zu unkritisch zu sein. Ihre Stärke liegt in der Beschreibung sozialer Vielfalt – ihre Schwäche in der Erklärung struktureller Ungleichheit. Eine fundierte Integration beider Perspektiven bleibt eine zentrale Herausforderung für zukünftige sozialwissenschaftliche Forschung.

Welche Ansätze verfolgt Pierre Bourdieus zur Darstellung sozialer Ungleichheit und was ist der “Soziale Raum”?

Pierre Bourdieu hat mit seinem theoretischen Werk einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis sozialer Ungleichheit geleistet, indem er soziale Strukturen, Positionen und Praktiken als miteinander verknüpfte Dimensionen analysierte. Im Zentrum seiner Theorie steht der soziale Raum, ein mehrdimensionales Modell, das soziale Wirklichkeit nicht nur entlang klassischer Merkmale wie Einkommen oder Beruf analysiert, sondern verschiedene Formen von Kapital

  • ökonomisches

  • kulturelles

  • soziales und

  • symbolisches Kapital

in Beziehung setzt. = Konstruktion des “sozialen Raums”


Bourdieu verbindet dieses Abstrakte Modell sozialer Positionen mit einem Klassenmodell, das die Verteilung von Kapitalien in der Gesellschaft sichtbar macht und in folgende Klassen unterteilt:

  • dominierende

  • mittlere und

  • beherrschte Klassen

Die theoretische Reichweite entfaltet sich schließlich durch die Verknüpfung dieser sozialen Positionen mit konkreten Alltagspraxen im sogenannten Raum der Lebensstile.

  • Der Schlüsselbegriff dafür ist der Habitus – ein tief verinnerlichtes System von Wahrnehmungs- und Handlungsmustern, das soziale Unterschiede in Geschmack, Auftreten und Lebensführung reproduziert.

  • Hier zeigt Bourdieu, dass Menschen nicht nur sind, was sie besitzen oder gelernt haben, sondern auch handeln, denken und empfinden entsprechend ihrer sozialen Herkunft und ihrer Position im sozialen Raum.

Zusammengenommen entfalten diese drei Modelle – sozialer Raum, Klassenstruktur und Lebensstile – ein kohärentes Bild davon, wie Gesellschaft funktioniert, soziale Ungleichheiten fortbestehen und symbolisch legitimiert werden.



Was unterscheidet Bourdieus Klassenmodell zu Marx und Weber? Wleche Zentralen Kritikpunkte gibt es an Bourdieus Modell?

Bourdieus Klassenmodell erweitert marxistische und weberianische Ansätze um den Habitus und Kapitalvielfalt, bleibt jedoch nicht ohne Kritik an seiner Determinierung, Übertragbarkeit und Erklärungsreichweite sozialen Wandels.


Zentrale Merkmale:

  • Klassenzugehörigkeit basiert nicht nur auf ökonomischem Kapital, sondern auch auf kulturellem und sozialem Kapital.

  • Nicht nur die Summe, sondern auch die Struktur der Kapitalien sowie soziale Laufbahnen bestimmen die soziale Position.

  • Der soziale Raum verbindet Positionen mit Lebensstilen (vermittelt über den Habitus).

  • Der Habitus ist nicht vollständig bewusst → kein notwendiges Klassenbewusstsein oder revolutionäres Potenzial.

  • Kritik an Marx: „Klassen auf dem Papier“ ≠ reale Klassen.

  • Klassenverhältnisse äußern sich weniger in offenen Kämpfen, mehr in Distinktionsstrategien (symbolischer Machtkampf).

  • Ziel: Analyse sozialer Ungleichheit und ihrer Reproduktionsmechanismen.

Vergleich zu Marx und Weber:

  • Wie bei Marx steht Kapital im Zentrum, aber differenzierter durch Kapitalarten.

  • Wie Weber berücksichtigt Bourdieu Lebensstile und kulturelle Aspekte (Stand).

  • Klassen sind bei Bourdieu dynamischer, aber kein automatisches Bewusstsein oder kollektives Handeln.

Kritikpunkte:

  • Übertragbarkeit fraglich: Empirie basiert v.a. auf Frankreich der 60er/70er Jahre.

  • Methodische Kritik: Korrespondenzanalyse, vernachlässigte Gruppen (z.B. Hausfrauen).

  • Determinismus-Vorwurf: Trotz Habitus als Mittler bleibt Modell von ökonomischen Faktoren stark geprägt.

  • Wandel und Trägheit: Habitus ändert sich nur langsam – wie gut kann das Modell sozialen Wandel erklären?

  • Unklarheiten: z.B. Zusammenhang zwischen Klassen, Berufsgruppen, Sozialisationsprozessen.

  • Logik der Kapitalarten: Funktionieren kulturelles und soziales Kapital wie ökonomisches?


Welches ist ein Alternatives Konzept zu Klassen- und Schichtmodellen zur differenzierten Erfassung sozialer Ungleichheit und soll die Berufszentriertheit überwinden?

= Soziale Lagen (nach Hradil)


Definition (Hradil 1987):„Typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die vergleichsweise gute oder schlechte Chancen zur Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse gewähren.“


Kernelemente des Lagemodells:

  • Mehrdimensionalität: Berücksichtigt ökonomische, wohlfahrtsstaatliche & soziale Ungleichheiten (z.B. Einkommen, Arbeitsbedingungen, soziale Integration). ➤ Ermöglicht Analyse von Statusinkonsistenzen.

  • Nicht-additive Dimensionen: Es gibt dominante Ressourcen (z.B. Geld, Bildung), die für bestimmte Lagen besonders prägend sind. ➤ Kontextabhängige Gewichtung statt fixer Merkmalsaddition.

  • Fokus auf objektive Lebensbedingungen: Subjektive Wahrnehmungen und Handlungspraxis sind weiterer Forschungsschritt. ➤ Vorschlag: Verknüpfung mit Milieus als „Filter“ sozialer Realität.

  • Keine strikt vertikale Ordnung nötig: Es bestehen vorteilhafte/nachteilige Lagen, aber keine zwingend hierarchische Anordnung.

📚 Verortung im Theoriekontext:

  • Begriff nicht neu, aber durch Hradils Werk (1987) bekannt gemacht.

  • Orientierung an Weber, Geiger, Lenski, Bourdieu u.a.

  • Ziel: differenziertes, anschlussfähiges Strukturmodell für moderne Gesellschaften.

📊 Empirische Umsetzung & Kritik:

  • Schwierigkeit der Gewichtung einzelner Dimensionen (Schwenk).

  • Hradil bleibt realitätsnah: Schwerpunkt liegt weiterhin auf Erwerbsleben.

🧩 Erweiterung durch andere Autoren:

  • Habich/Noll (2008): Verstehen soziale Lagen als erweiterte Schichtmodelle, die auch neue Ungleichheiten (z.B. Geschlecht, Alter, Region) & subjektive Merkmale einbeziehen.

📌 Fazit: Mehrdimensionale Modelle wie Hradils „soziale Lagen“ oder Intersektionalität ermöglichen eine differenzierte Analyse objektiver Lebensbedingungen – vorteilhaft gegenüber weiterhin berufsfixierten Schichtmodellen.

Was sind Prekäre Lagen und Exklusion?



Begriffe wie Prekarität, Prekariat, Exklusion, „neue Unterschicht“ oder „Überflüssige“ verweisen auf teils extrem benachteiligte soziale Lagen. Diese Konzepte beeinflussen auch den allgemeinen Diskurs über soziale Ungleichheit.

  • Ursachen: steigende Arbeitslosigkeit, Deregulierung und Flexibilisierung von Arbeit (z.B. Leiharbeit, unsichere Beschäftigung), sowie die Krise des Wohlfahrtsstaats.


Exklusion bedeutet, dass Menschen nicht nur benachteiligt, sondern faktisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind – sie haben keinen Zugang mehr zu Konsum, Arbeit oder gesellschaftlicher Teilhabe.

= Kumulation von Nachteilen: Der Verlust eines Arbeitsplatzes kann weitere soziale Ausgrenzungen nach sich ziehen (z.B. Wohnungswechsel, Verlust von Mobilität, Rückzug aus sozialen Kontakten).


Theoretische Perspektive auf Exklusion

  • Systemtheoretischer Ansatz (Differenzierungstheorie): Exklusion bedeutet hier, dass Personen nicht in alle gesellschaftlichen Teilsysteme inkludiert sind.

    • Beispiel: Das Gesundheitssystem beurteilt Personen nur nach dem Code „krank/gesund“ – andere soziale Merkmale bleiben unberücksichtigt.


Moderne Gesellschaften bemühen sich um Reduktion solcher Exklusionen, indem sie den Zugang zu Teilsystemen möglichst offen gestalten.

  • Unterscheidung: Historische Nicht-Inklusion vs. aktive Ausgrenzung, z.B. durch langfristigen Ausschluss vom Arbeitsmarkt.

  • Diskussion um Prekarität und Exklusion erweitert die Ungleichheitsdebatte um zeitliche Aspekte: Unsichere Lebensverläufe, fehlende Zukunftsperspektiven, subjektive Aufstiegs- und Abstiegsängste.

  • Konzepte wie Verunsicherung in der Gesellschaftsmitte erlauben neue Perspektiven, die über punktuelle Verteilungsfragen hinausgehen.

  • Mehrdimensionale Ungleichheitsmodelle müssen sowohl horizontale als auch vertikale Unterschiede einbeziehen – und dabei die Relationen zwischen den Dimensionen klären.

ABER: Trotz der theoretischen Relevanz liegt bislang kein integriertes Modell vor, das Prekarität und Exklusion systematisch mit Klassen-, Lagen- oder Milieumodellen verbindet.


Prekarität nach Bernd Vogel

  • Prekarität (bzw. Prekarisierung) fokussiert auf unsichere, fragile Lebens- und Arbeitsverhältnisse.

  • „Prekär“ bedeutet: Menschen haben zwar noch etwas zu verlieren und stehen (noch) nicht am unteren Rand sozialer Ungleichheit, aber ihre soziale Position ist gefährdet.

  • Prekärer Wohlstand ist ein etablierter sozialstatistischer Begriff (z.B. im Datenreport des Statistischen Bundesamtes):

    • Bezeichnet Haushalte mit 50–75 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens (unter 50 % gilt als relative Armut).

  • Vogel betont, dass prekärer Wohlstand und soziale Verwundbarkeit soziale Lagen beschreiben, in denen das alltägliche Leben äußerst fragil ist:

    • Jede unerwartete Belastung (Arbeitsplatzverlust, Krankheit, Scheidung etc.) kann das fragile „Kartenhaus“ der Lebensführung zum Einsturz bringen.

  • Wichtig: Prekarität setzt Wohlstand voraus. Das Gefühl der Verwundbarkeit haben vor allem Menschen, denen soziale Sicherheit und Stabilität nicht fremd sind.


Exklusion nach Robert Castel


Exklusion als Ausgrenzung bedeutet den Ausschluss aus zentralen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Sie ist ein wichtiges Thema in der Ungleichheits- und Armutsforschung sowie in der Differenzierungstheorie.


Castel warnt vor den „Fallstricken des Exklusionsbegriffs“ (Frankreich, seit den 1990er Jahren):

  • Unspezifität: Exklusion wird oft zu unscharf verwendet, indem sie nur einen Mangel benennt, ohne zu erklären, worin genau dieser besteht oder wie er entsteht.

  • Fokus auf Zustand statt Prozesse: Es wird zu sehr auf den Zustand des Ausgeschlossenseins geschaut, weniger auf die gesellschaftlichen Prozesse, die zur Exklusion führen.

  • Exklusion als Abstieg: Exklusion ist oft eine Degradierung gegenüber einer früheren sozialen Position – klare Grenzen zwischen Prekarisierung und Exklusion sind schwer zu ziehen.

  • Ursprung im Zentrum: Exklusion entsteht nicht an der gesellschaftlichen Peripherie, sondern im gesellschaftlichen Zentrum, z.B. durch Entscheidungen von Unternehmen oder Finanzkapital (z.B. Flexibilisierung, Standortverlagerungen).

  • Gefahr der einseitigen Sozialpolitik: Die Konzentration auf Ausgeschlossene und Randgruppen kann zu einer symptomorientierten Politik führen, die die Ursachen gesellschaftlicher Ausgrenzung außer Acht lässt.

  • Kritik an Wiedereingliederungsansätzen: M. Kronauer ergänzt, dass die Verantwortung für soziale Integration zunehmend auf die Betroffenen abgewälzt wird, z.B. durch verstärkte Bindung sozialstaatlicher Leistungen an Vorleistungen.

  • Modell dreier sozialer Kohäsionszonen (in Anlehnung an Castel):

    1. Zone der Integration: stabile Arbeitsverhältnisse, gefestigte soziale Beziehungen.

    2. Zone der Verwundbarkeit: Arbeitsplatzunsicherheit, fragile soziale Netzwerke, von Unkalkulierbarkeit geprägt.

    3. Zone der Abkoppelung/Entkoppelung: hohe Probleme bei Erwerbsarbeit und sozialen Beziehungen, soziale Isolation.

  • Dieses Modell betont, dass die „Mitte“ der Gesellschaft keine klare Normalität darstellt, sondern oft mit prekären Lebenslagen verbunden ist. Die Zone der Verwundbarkeit breitet sich insbesondere durch den Rückgang unbefristeter Arbeitsverhältnisse und hohe Arbeitslosigkeit aus.



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Cathérine C.

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