Diagnosekriterien/Symptomatik
SSV F91
anhaltendes Muster von dissozialem, aggressivem oder aufsässigem Verhalten muss vorliegen.
—> dissozial: starke Tendenz, soziale Regeln zu missachten
—>aggressiv:
impulsiv-aggressiver Subtyp: “in blinder Wut”, übt Gewalt aus ohne bestimmtes rationales Ziel zu verfolgen GEWALTAUSÜBUNG OHNE ZIELVERFOLGUNG
intrumentell-aggressiver Subtyp: einsetzten von zielgerichteten massiven Gewaltanwendungen, z.B. um sich zu bereichern ZIELGERICHTETE GEWALTAUSÜBUNG
—> aufsässig- oppositionell: starkes Verweigerungs-/Trotzverhalten ggü. Erwachsenen
Deutlich über das altersübliche Maß hinausgehend (d. h. nicht nur „normale Trotzphase“).
Dauer: mindestens 6 Monate.
Verhalten führt zu erheblicher Beeinträchtigung in sozialen, schulischen oder familiären Bereichen.
Typische Verhaltensweisen (mind. eins oder mehrere regelmäßig vorhanden)
Mind. 1–2 Leitsymptome (z. B. Tyrannisieren, Gewalt, Grausamkeit ggü. Menschen/Tieren, Stehlen, Erpressung, Wutausbrüche, Zündeln, schwere Regelverstöße, Schulschwänzen, Lügen, Streitlust, absichtliche Brandstiftung oder Sachbeschädigung, oppositionelles Verhalten —> Häufiges „Nein-Sagen“ und absichtliches Provozieren
Symptome ≥ 6 Monate, situationsübergreifend.
Deutlich alters-, kontext- oder geschlechtsabweichend.
Schweregrad: leicht / mittel / schwer.
Beginn vor (Kindheit) oder nach (Adoleszens) 10. LJ (klinisch wichtig).
Diagnostik
Anamnese (aktuell, Familie, Entwicklung, Erziehung, Suchtmittel, Peers, Schule).
Vorstellungsgespräch: GETRENNT VON PATIENT UND ELTERN !
Testdiagnostik:
CBCL, TRF, YSR, SDQ (Stärken und Schwächen)
DISYPS-SSV, FEEL-KJ
Leistungsdiagnostik, Teilleistungs-, Konzentrationsstörung
SCHULZEUGNISSE!
Somatisch: körperliche Untersuchung, Ausschluss organischer Ursachen, Drogenscreening im Urin —> Pflegezustand, Hinweise auf körperliche Misshandlung
Differentialdiagnosen immer prüfen.
Rechtliches: Schweigepflicht, Kindeswohlgefährdung beachten (§8a SGB VIII).
Differentialdiagnostik
ADHS (F90.0)
Depression, Angststörungen
PTBS
Bindungsstörungen
Intelligenzminderung
Psychosen (selten, aber wichtig ausschließen)
Delinquenz ohne psychiatrische Störung (forensisch relevant) —> Straffälligekeit
Prävalenz
Jungen häufiger betroffen
Jungen: eher körperliche Aggression
Mädchen: eher relationale (beziehungsorientiert) Aggression
Häufig Beginn im Kindesalter, Persistenz (Fortbestehen) in Jugend/Erwachsenenalter → ungünstige Prognose
Komorbiditäten
Sehr häufig, Regel statt Ausnahme:
ADHS
Substanzmissbrauch/-abhängigkeit
Affektive Störungen
Angststörungen
Ätiologie & Risikofaktoren
Kindbezogen: Genetik, Temperament (Impulsivität, Angstlosigkeit), geringe Intelligenz, Emotionsregulationsdefizite.
Familiär: harte Erziehung, Missbrauch, häusliche Gewalt, Vernachlässigung, Armut, psychische Störungen in Familie.
Sozial: problematische Peers, belastetes Wohnumfeld, negative Schulerfahrungen.
Schule: schulische Überforderung
Kumulatives Risikomodell: Je mehr Faktoren, desto höher das Risiko.
biologische Risikofaktoren: genetische Belastung, niedriger basaler Ruhepuls, hormonelle Faktoren
Behandlungsplan/intervention und Therapie
(Verstärkerplan: Ein Verstärkerplan ist ein therapeutisches oder pädagogisches Werkzeug, das durch die Belohnung erwünschten Verhaltens dazu dient, dieses Verhalten häufiger auftreten zu lassen. Dabei werden Ziele formuliert, die durch das Erreichen bestimmter Punkte oder Abzeichen auf dem Plan erreicht werden. Diese Punkte können dann gegen vorher festgelegte Belohnungen eingetauscht werden, um das Kind zu motivieren und ihm zu helfen, positive Gewohnheiten zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen.)
= schwer zu behandeln
= Teamarbeit mit Helfersystemen (Jugendamt)
KVT (kognitiv-verhaltenstherapeutisch)
Problemlösetraining
Aggression als Eisberg (Eine Eisberg-Metapher dient dem Verständnis aggressiven Verhaltens. Wie bei einem Eisberg ist bei einer Aggression in erster Linie das oberflächliche Verhalten sichtbar, während die Gründe für das Verhalten nicht von außen erkennbar sind. Eine Übung dient der Reflexion über mögliche Gründe aggressiver Verhaltensweisen.)
Selbstmanagementstrategien: Selbstbeobachtung, Selbstbeurteilung, Selbstverstärkung
Emotionsregulationstrainings
Erlernen von Intensität und Häufigkeiten (Skalierungen, Tagebücher) ; gm. Erarbeiten anderer Strategien zur Emotionsregulation
Situationen (Realisierbarkeit+Motivation!) -Einüben/Rollenspiele in der Therapie
Mit Hilfe von Therapieaufgaben im Alltag geübt (Tokensysteme)
—> je nach Alter; Einbezug von Bezugspersonen
Soziales Kompetenztraining (Rollenspiele, Perspektivübernahme, Entspannungsübungen)
Sehr strukturierte Gruppen
Gruppenregeln, gelbe Karten, rote Karten
Auszeiten zur Selbstregulation erwünschtes Verhalten muss verstärkt und belobigt werden
Rollenspiele
Förderung von Perspektivwechsel, Erkennen von Emotionen
Entspannungsübungen -wichtig für Selbstregulation
Ziele für SKT festlegen (SMART-Kriterien), an denen die Kinder fortwährend arbeiten können
Positive Rückmeldungen über die Kinder an die Eltern geben
Ärger-Kontrolltraining, Wutvulkan
Störungsspezifisches Elterntraining (klare Regeln, Verstärkerpläne/Lob-Stern, Vermeidung harscher Erziehung)
—> störungsspezifisches Elterntraining, Beratung, ggf. Schulwechsel also Ermöglichung neuer sozialer Lernerfahrungen in konkreten Situationen im Alltag
Netzwerkarbeit (Schule, Jugendamt, Freizeitgestaltung, Ganztagsangebote)
körperliche Untersuchung und Labordiagnostik:
Pflegezustand, körperliche Misshandlung, Substanzmissbrauch, Selbstverletzungen, Urin Drogenscreening
Ambulant → leicht/mittelgradig
Teilstationär / stationär → schwere Verläufe, Gefährdungslagen
Positives Erleben vermitteln, klare Regeln, Verstärkerpläne, Therapievertrag.
Kind stärken, Eltern coachen.
Risperidon (Einnahme für 6 Wochen; nicht länger)
Keine Zulassung für isolierte SSV.
Bei ADHS + SSV (F90.1): Stimulanzien, Guanfacin.
Neuroleptika: nur in Ausnahmefällen (z. B. Aggression bei Intelligenzminderung, stationär, max. 6 Wochen).
⚠️ Akute Fremdgefährung von Mitmenschen, Eigengefährdung, Akute Misshandlungsgefahr des Kindes bzw. Jugendlichen, Notwendigkeit der Entlastung der Eltern -> Solche Notfälle/Sondersituationen immer bewerten und dokumentieren eventuell ist eine Herausnahme des Patienten aus der Familie zu bewirken
Fazit
Aggressives Verhalten bei Kindern/Jugendlichen muss differentialdiagnostisch sorgfältig geprüft werden.
SSV ist multifaktoriell bedingt, meist mit Komorbiditäten.
Diagnose nach ICD-10 erfordert mehrere Symptome ≥ 6 Monate mit klarer Abweichung.
Behandlung erfordert multimodalen Ansatz (Kind, Eltern, Schule, Jugendhilfe).
Medikamente nur unterstützend, nie alleinige Therapie.
Netzwerkarbeit ist entscheidend (Jugendamt, Schule, Familie).
—> Jugendhilfemaßnahmen: bei ausgeprägter Symptomatik oder chronischer Erziehungsunfähigkeit der Eltern:
teilzeitige oder vollzeitige außerfamiliäre Unterbringung zu empfehlen
EXKURS:
IM ERWACHSENENALTER:
DISSOZIALE PERSÖHNLICHKEITSSTÖRUNG
Arbeitslosigkeit, Substanzmissbrauch, erhöhte Scheidungsraten
Subtypen
F91.0
Die allgemeinen Kriterien für eine Störung des Sozialver-haltens (F91) müssen erfüllt sein.
Drei oder mehr der unter F91, Gl., genannten Symptome müssen vorliegen, davon mindestens drei von 9.-23.
Mindestens ein Symptom von 9. -23. muss mindestens sechs Monate lang vorgelegen haben.
Die Störung der Sozialverhaltens beschränkt sich auf den familiären Rahmen
F91.1
Wenig Beziehungen zu Gleichaltrigen mit Isolation, Zurückweisung oder Unbeliebtheit; Fehlen längerdauernder enger gegenseitiger Freundschaften.
F91.2
Die allgemeinen Kriterien für eine Störung des Sozialver-haltens (F91) müssen erfüllt sein.
Drei oder mehr der unter F91, Gl., genannten Symptome müssen vorliegen, davon mindestens drei von 9.-23.
Mindestens ein Symptom von 9.-23. muss mindestens sechs Monate lang vorgelegen haben.
Die Störung des Sozialverhaltens tritt auch außerhalb von zuhause oder außerhalb des familiären Rahmens auf.
Beziehungen zu Gleichaltrigen im normalen Ausmaß.
F91.3
Die allgemeinen Kriterien für eine Störung des Sozialer-haltens (F91) müssen erfüllt sein.
Vier oder mehr der unter F91, Gl., angegebenen Symptome müssen vorliegen, aber nicht mehr als zwei Symptome von 9. - 23.
Die Symptome des Kriterium B. müssen für das Entwicklungsalter unpassend und unangemessen sein.
Mindestens vier Symptome müssen mindestens sechs Monate vorgelegen haben.
Subtyp
Abgrenzendes Kriterium
F91.0 Auf familiären Rahmen beschränkt
Auffälliges Verhalten nur zu Hause. In Schule, Freizeit, mit Gleichaltrigen meist unauffällig.
F91.1 Mit fehlenden sozialen Bindungen
Kind/Jugendlicher kaum oder keine tragfähigen Beziehungen; Verhalten zeigt sich isoliert, ohne loyale Freunde/Gruppe.
F91.2 Mit vorhandenen sozialen Bindungen
Deutlich dissoziales Verhalten, aber enge Bindungen bestehen (z. B. Clique, „beste Freunde“). Meist Teil einer Gruppe, die Regelverstöße mitträgt.
F91.3 Mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten
Trotz, Streitlust, Provokation stehen im Vordergrund; keine schweren Delikte wie Grausamkeit, Zerstörung, wiederholte Straftaten.
F91.8 Sonstige SSV
Verhalten passt nicht eindeutig in eine der obigen Kategorien (Mischformen oder atypische Verläufe).
F91.9 Nicht näher bezeichnet
Wenn zu wenig Informationen vorliegen, um eine genauere Subklassifikation vorzunehmen.
SORKC-Modell
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