Codierung
Bindungsstörungen des Kindesalters
F94.1 Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters
F94.2 Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung
1. Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1)
Bsp.: sozialer Rückzug mit aggressivem Reaktionen auf eigenes Ünglücksein oder des anderen
2. Bindesstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2)
Testdiagnostik
DISYPS-BIST
DAI (Diagnostisches Interview für BS im Kindesalter)
EBI (Erfassungsbogen für BS im Kindesalter)
FAST
GEV-B
SKEI
Differentialdiagnostik/Komorbiditäten
Autistische Störungen (soziale Schwierigkeiten)
Intelligenzminderung (Schwierigkeiten im sozialen Verstädnis)
ADHS (aufgrund von Impulsivität)
SORKC-Modell – Beispiel F94.1 (reaktive Bindungsstörung, gehemmter Typ)
S (Stimulus / Situation)
Im Kindergarten wird das Kind (6 Jahre alt) von der Erzieherin freundlich in den Arm genommen.
O (Organismusvariablen)
Bindungsstörung (gehemmter Typ) mit Misstrauen und Angst vor Nähe.
Vorgeschichte: Vernachlässigung, inkonsistente Fürsorge.
Erhöhte Grundanspannung, Vigilanz in sozialen Situationen.
R (Reaktion)
Emotional: Angst, Anspannung, Unsicherheit.
Kognitiv: „Das ist gefährlich, ich werde verletzt oder zurückgewiesen.“
Physiologisch: Kind zieht sich zurück, friert ein, wendet den Blick ab oder weint.
Verhalten: Rückzug, Blick abwenden, Erstarren, evtl. Weinen.
K (Kontingenz)
Reaktion tritt in nahezu allen Kontaktsituationen mit Erwachsenen auf —> kontinuierlich
C (Konsequenzen)
C+ (positiv verstärkend): Die Erzieherin lässt das Kind in Ruhe → Kind erlebt Entlastung und fühlt sich kurzfristig sicherer.
C- (negativ verstärkend): Bedrohlich empfundene Nähe fällt weg → Angst nimmt sofort ab.
c+ (scheinbar positiv): Das Kind behält Kontrolle, weil es Nähe vermeiden kann → stärkt subjektives Sicherheitsgefühl.
c- (negativ):
Fehlende korrigierende Beziehungserfahrungen → Bindungsunsicherheit bleibt bestehen.
Soziale Kompetenzen entwickeln sich kaum → Isolation, Misstrauen, spätere Schwierigkeiten in Beziehungen.
Angst vor Nähe verfestigt sich und generalisiert sich evtl. auch auf Gleichaltrige.
SORKC – F94.2 (Enthemmte Bindungsstörung)
Ein 7-jähriges Kind befindet sich mit seiner Pflegefamilie auf dem Spielplatz.
Eine fremde Erwachsene Person setzt sich auf die Bank in der Nähe.
Das Kind läuft sofort auf die fremde Person zu, setzt sich dicht daneben und beginnt ein Gespräch, evtl. sucht sogar körperliche Nähe (z. B. Umarmen, an die Hand nehmen).
Vorgeschichte: mehrfacher Bezugspersonenwechsel, unzureichende Fürsorge in den ersten Lebensjahren.
Grundannahmen: „Nähe ist unvorhersehbar, ich muss mir sofort Aufmerksamkeit sichern.“
Geringe Fähigkeit, zwischen vertrauten und fremden Personen zu unterscheiden.
Hohe Bedürftigkeit nach Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Emotional: Neugier, Bedürfnis nach Nähe, keine Angst vor Fremden.
Kognitiv: „Wenn ich mich sofort anschließe, bekomme ich Aufmerksamkeit und Zuwendung.“
Physiologisch: Erhöhte Erregung/Neugier, manchmal motorische Unruhe, leichte Anspannung aber ohne Angst.
Verhalten: Distanzloses Annähern, Klammern, Umarmen, fremde Person ansprechen.
Reaktion zeigt sich fast immer in neuen Situationen mit fremden Erwachsenen. —> Kontinuerlich
C+ (extern): Fremde Person lacht, reagiert freundlich oder lobt das Kind → Kind erhält Aufmerksamkeit und Zuwendung.
C+ (intern): Sofortige innere Befriedigung, Freude und Gefühl von Geborgenheit.
C- (extern): Kein sofortiges Zurückweisen durch Fremde → unangenehmes Gefühl von Alleinsein fällt weg.
C-/ (intern): Angst vor Zurückweisung oder Unsicherheit wird verringert.
C+ (extern): Viele positive Rückmeldungen von Fremden → Kind erlebt die Welt als „leicht zugänglich“, bekommt oft Aufmerksamkeit.
C+ (intern): Verstärktes Kontroll- und Selbstwertgefühl („ich kann immer Nähe herstellen“).
c- (extern): Fehlende stabile Bindung zur Bezugsperson → Pflegeeltern fühlen sich zurückgewiesen, Beziehung leidet.
c- (intern): Fehlendes Gefühl von Sicherheit/Verlässlichkeit, innere Unsicherheit bleibt bestehen, langfristig Gefahr von Beziehungsstörungen.
Behandlungsinterventionen/plan
genaue Anamnese der Betreuungssituation in den ersten 5 Lebensjahren
Bindungsorientierte Psychotherapie
Eltern-Kind-Interventionen
Verhaltenstherapeutische Maßnahmen
Ziel: Förderung sozialer Kompetenzen, Impulskontrolle
Methoden: Soziales Kompetenztraining,
Kognitive Verhaltenstherapie (CBT)
Traumatherapie (falls relevant)
Fördertherapien zum Aufholen von Entwicklungsrückständen:
Ergo, Logo, Physiotherapie
Medi: Antipsychotika, z.B: Pipamperon
Epidemiologie/Ätiologie
JUNGEN HÄUFIGER BETROFFEN!
Störungen bei Heimkindern, Pflege- und Adoptivkindern
Kinder psychisch kranker Eltern
Kindern aus Krisengebieten
Kinder von Müttern, die oft ihr Partner wechselten
zeitliche Dauer der emotionalen Vernachlässigung: bei mehr als 24 Monaten
Störungsmodelle
Zusammenfassung
• Bindungsstörungen können sich entwickeln, wenn Kinder in den ersten 5
Lebensjahren über mehrere Monate keine konstanten und stabilen Beziehungs-erfahrungen machen können oder misshandelt und vernachlässigt werden.
• Das Störungsbild zeigt sich in einem ambivalenten (reaktive Bindungsstörung)
oder enthemmten Bindungsstil (Bindungsstörung mit Enthemmung) v.a. zu erwachsenen Bezugspersonen.
• Zu Gleichaltrigen kann meist nur schwer eine feste Freundschaft entwickelt werden.
• Die Diagnose beruht auf der Verhaltensbeobachtung des Kindes im Kontakt mit seinen Mitmenschen und auf einer genauen Anamnese der Betreuungssituation in den ersten 5 Lebensjahren.
• Oberstes Behandlungsziel ist der Aufbau von stabilen, langfristigen Bindungen zu festen erwachsenen Bezugspersonen, die selbst eine kontinuierliche professionelle Beratung benötigen.
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