ICD-10 Kategorien
F42 Zwangsstörung
F42.0 Vorwiegend Zwangsgedanken/Grübelzwang
F42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen (Rituale)
F42.2 Gemischte Form
Kriterien: >2 Wochen, an den meisten Tagen
Zwangsgedanken/-handlungen
eigener Ursprung
Widerstand, massive Beeinträchtigung
Ausschluss: Schizophrenie/affektive Störung
Diagnosekriterien/Kardinalsymptome
(Bezugspersonen in Zwangshandlungen eingebunden)
Einschränkung im Alltag durch den Zeitaufwand
als zur eigenen Person gehörig angesehen
Patient erlebt sie als unsinnig, übertrieben, quälend, leistet oft Widerstand.
Zeitkriterium
Laut ICD-10 müssen Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen:
An den meisten Tagen über mindestens zwei Wochen hinweg bestehen.
So ausgeprägt sein, dass sie erheblichen Leidensdruck verursachen oder alltägliche Funktionen erheblich beeinträchtigen mit besonderen Zeitaufwand.
Differentialdiagnostik/Komorbiditäten
Hirnverletzungen
depressive Störungen
Psychotische Störungen
Tic-Störungen
Autistische Störungen
zwanghafte/anankastische Persönlichkeitsstörungen
Diagnostik
Vorgehen: Exploration (Kind, Eltern, Lehrer, Protokolle), Mikroanalyse, Krankheitsanamnese, Familienanamnese, Intelligenzdiagnostik, körperliche/neurologische Abklärung (PANS/PANDAS!)
Verhaltensbeobachtung: in Gespräch, Test, Spiel, Elternbeobachtung.
Fragebögen / Testdiagnostik:
CY-BOCS (6–16 J., Schweregrad, Cut-offs: leicht 10–18, mäßig 19–29, schwer >29)
Y-BOCS (Erwachsene)
DISYPS-ZWA
HZI-K (ab 16 J.)
Leyton-Zwangsfragebogen (LOI)
ZWIK-S/-E (Kinder/Jugendliche).
Behandlungsplan/intervention
Klinische Diagnostik (wdh.):
Erfassung der Symptome nach ICD-10-Kriterien
Differenzialdiagnostik (z. B. Abgrenzung zu Angststörungen, normale Kindheitsrituale, Tic-Störungen oder Schizophrenie)
Erhebung des Schweregrads (z. B. mittels Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale, Y-BOCS)
Psychoedukation:
Aufklärung über Zwangsstörungen und deren Mechanismen
Vermittlung eines Erklärungsmodells für Patienten und Angehörige
Expositionsschritte verständlich erklären, ggb. auch mehrfach und durchführen
Medikamentöse Behandlung (nur falls Psychotherapie nicht ausreicht)
Erste Wahl SSRI (Sertralin ab dem 6., Fluvoxamin ab dem 8. Lebensjahr)
Wirkung erst nach 4-6 Wochen zu erwarten, Dosierung bedeutsam, bei ca 10. Behandlungswochen kein Effekt dann Wechsel
mind. 1 Jahr
Absetzen langsam über Monate ausgeschlichen
Zwangsgedanken schwieriger zu therapieren, als Zwangshandlungen
Kombinationstherapie
Therapieoption: Zwangsgedanken auf eine Tonbandkassette aufnehmen und so lange anhören bis sich die Ängste reduzieren (Gedankenexposition- und habituation).
Psychoedukation: Aufklärung Kind/Eltern, Erklärungsmodell, Normalisierung, Infos (z.B. Bücher: „Dem Zwang die rote Karte zeigen“).
Familienzentrierte Intervention: Reduktion von Unterstützung bei Ritualen, Konfliktbearbeitung, positive Verstärkung funktionalen Verhaltens.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsverhinderung (ERP) !
Exposition: Konfrontation mit angstbesetzten Reizen (z. B. schmutzige Gegenstände bei Waschzwang)
Reaktionsverhinderung: Unterdrückung der Zwangshandlung (z. B. kein Händewaschen nach Berühren von Schmutz)
Ziel: Gewöhnung an die Angst (Habituation) und Verlernen der Zwangsrituale
-> mit Situation begonnen, in der es leichter fällt auf die Zänge zu verzichten, und dann wird zunehmend der Schwierigkeitsgrad gesteigert
-> Parallel sinnvolle Verhaltensalternativen zur Zwangshandlung aufbauen
Kognitive Therapie
Gedankenbewertung bearbeiten, kognitive Umstrukturierung, Metakognitives Training, „Dialog mit dem Zwang“, „4-Schritte-Methode“ nach Schwartz.
—> 4-Schritte-Methode“
Ziel: Distanzierung vom Zwang, Umbewertung der Gedanken und Aufschub der Zwangshandlungen.
Ergänzende Maßnahmen
Achtsamkeitsbasierte Verfahren: Reduktion der inneren Anspannung
Gruppentherapie: Erfahrungsaustausch und Motivationserhalt
Ergotherapie: Strukturierung des Alltags
Rückfallpräventionstechniken erlernen und Regelmäßige Nachsorge
Epidemiologie / Verlauf
Geschlecht: eher Jungen (2:1), Erwachsene gleich.
Beginn: meist 10–13 J.
Behandlungsbeginn oft erst nach 7 Jahren!
Verlauf: 70% chronisch, 30% spontane Besserung.
Ätiologie
Neurobiologisch: genetische Disposition, Serotonin-Störung, Überaktivität Frontalhirn-Basalganglien-Schleifen.
Lerntheorie (Mowrer): klassische Konditionierung → Zwang entsteht, operante → Aufrechterhaltung (Vermeidung, Angstreduktion).
Kognitiv (Salkovskis): intrusive Gedanken → Fehlinterpretation → Verantwortlichkeitsüberzeugung → Neutralisierung → Verstärkung.
Familiär: zwanghafte Eltern, Reinlichkeitsnormen, überprotektive/ängstliche oder kritische Erziehung, hohe Leistungsansprüche.
Biopsychosozial: multifaktoriell.
Zusammenfassung
Beginn:
ca. 50 % aller Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Typisch:
unwillkürlich aufdrängende Gedanken, Impulse oder Handlungen, die nicht als „von außen gemacht" eingeschätzt —> Leidensdruck
Familie in schamhaft besetzten Zwangshandlungen eingebunden + beeinträchtigt
Komorbiditäten Angststörung und Depression
Therapeutisch:
Psychoedukation
verhaltenstherapeutische Interventionen (Expo mit Reaktionsverhinderung) in Kombination mit Antidepressiva
Last changed19 hours ago