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Krise und Kritik

CC
by Cathérine C.

Wofür ist die Dichotome Gegenüberstellung von Tradition vs. Moderne?

um zu zeigen, wie tiefgreifend sich Gesellschaften im Lauf der großen Transformations verändert haben:

🧱 1. Sozialstruktur: homogen vs. heterogen

  • Tradition: Gesellschaft ist „homogen“ = relativ einheitlich – alle leben ähnlich, denken ähnlich, wenig soziale Bewegung

  • Moderne: Gesellschaft ist „heterogen“ = viele unterschiedl. Lebensstile, Berufe, Ansichten. Menschen wechseln häufiger Lebenssituation oder sozialen Status.

🕵️ 2. Soziale Kontrolle: direkt vs. indirekt

  • Tradition: Regeln werden direkt durch persönliche Beziehungen kontrolliert – z. B. durch Familie, Dorfälteste oder Kirche.

  • Moderne: Kontrolle erfolgt indirekt über abstrakte Institutionen – z. B. Gesetze, Polizei, Medien, Bürokratie.

📜 3. Wertesystem: konsistent & einfach vs. inkonsistent & komplex

  • Tradition: Werte sind klar und gelten für alle – meist religiös oder moralisch begründet.

  • Moderne: Wertevielfalt herrscht – unterschiedliche Gruppen haben verschiedene, manchmal widersprüchliche Werte.

🧬 4. Soziale Position:

  • Tradition: Wer du bist (z. B. Sohn eines Schmieds) bestimmt deinen Platz in der Gesellschaft.

  • Moderne: Deine Position hängt von Deiner Leistung ab – Bildung, Beruf, Engagement zählen.

🛠️ 5. Technische Innovation: selten vs. erwünscht

  • Tradition: Neuerungen gelten oft als verdächtig oder gefährlich.

  • Moderne: Innovation ist zentraler Motor des Fortschritts – Forschung, Technik und Effizienz sind gewünscht.

🌾🏙️ 6. Wirtschaft & Siedlung: agrarisch/ländlich vs. industriell/städtisch

  • Tradition: Leben auf dem Land, Selbstversorgung, Landwirtschaft.

  • Moderne: Leben in Städten, Arbeit in Fabriken oder Büros, Industrialisierung.

🧑‍🤝‍🧑🏢 7. Lebensform: persönliche Gemeinschaft vs. organisierte Gesellschaft

  • Tradition: Enge persönliche Beziehungen, z. B. Familie oder Nachbarschaft.

  • Moderne: Anonyme Beziehungen, vermittelt durch Organisationen (z. B. Arbeitgeber, Behörden).

👑📋 8. Herrschaft: patrimonial vs. rational-bürokratisch

  • Tradition: Macht wird durch persönliche Autorität und Tradition begründet („der König hat immer geherrscht“).

  • Moderne: Macht basiert auf Regeln und Gesetzen – legitim durch Bürokratie und Verfassung.

🧩📢 9. Interessenaggregation:

  • Tradition: Kaum organisierte lokale/ spontane Interessenvertretung, meist durch persönliche Einflussnahme

  • Moderne: Parteien, Gewerkschaften, NGOs – Menschen organisieren sich bewusst und strategisch.

⚔️🤝 10. Konflikt & Kommunikation: unterdrückt/persönlich vs. formalisiert/medial

  • Tradition: Konflikte werden unterdrückt oder mit Gewalt gelöst; Kommunikation ist persönlich und direkt.

  • Moderne: formale Mechanismen zur Konfliktlösung (z. B. Gerichte), Kommunikation erfolgt oft über Medien.

Wichtig: hilft zu verstehen, was sich mit der Moderne alles verändert hat – es geht nicht nur um Technik oder Städte, sondern um das gesamte Denken, Fühlen und Zusammenleben.

Aber Achtung: Das ist ein Idealtypus (also ein theoretisches Modell). In der Realität gibt es viele Mischformen – z. B. moderne Technik mit traditionellen Familienstrukturen.

Was sind die drei Revolutionen der Moderne?

Moderne Gesellschaften sind nicht durch ein einziges Ereigenis, sondern durch einen dreifachen, tiefgreifenden Wandel in drei verschiedenen Bereichen: Ökonomie, Politik und Kultur geschehen – und das jeweils in unterschiedlichen Ländern:


🔧 1. Ökonomische Revolution – England (ab ca. 1750)

Stichwort: Industrialisierung und Kapitalismus

  • Dampfmaschine & technischer Fortschritt treiben Produktion an

  • Landreformen führen dazu, dass Landarbeiter arbeitslos werden → sie wandern in die Städte → werden zu Industriearbeitern (Proletarier)

  • Kapital und Arbeit trennen sich: Nicht mehr in einem Haushalt vereint, sondern:

    • Kapital = Besitzende

    • Arbeit = Lohnabhängige

  • = Arbeitsmarkt & Kapitalmarkt entstehen

    • Fabrik ersetzt Manufaktur, die Produktion wird rationalisiert

  • Rechtssystem wird angepasst: Eigentum, Verträge, Berechenbarkeit → alles rechtlich abgesichert durch den Rechtsstaat

🎯 Fazit: Industrialisierung verändert nicht nur wie produziert wird, sondern auch wie Menschen leben (von ländlich zu städtisch), arbeiten und wirtschaftlich organisiert sind.


🏛️ 2. Politische Revolution – Frankreich (ab fra. Revol. 1789)

Stichwort: Demokratisierung

  • Abschaffung der Monarchie und AristokratieRepublik entsteht

    • Menschen werden souveräne Bürger statt Untertanen

    • Politik wird öffentlich, nicht mehr elitär und geheim

  • Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit setzen sich durch

  • Gesellschaft gliedert sich weiterhin in Klassen (z. B. Arm/Reich), aber alle haben theoretisch gleiche Rechte

  • Der Staat ≠ Machtinstrument , sondern = demokratischer Ordnungsrahmen

🎯 Fazit: Gesellschaft politisiert sich. Demokratie wird eingeführt, Bürger bekommen Rechte, und Staat wandelt sich zur Institution der Mitbestimmung.


🎨 3. Kulturelle Revolution – Deutschland (18./19. Jhd) Stichwort: Individualisierung durch: Aufklärung, Reformation, Renaissance

  • Wissen, Bildung, Moral werden wichtig:

    • „Sapere aude“ – Habe Mut, deinen eigenen Verstand zu benutzen (Aufklärung)

    • Kategorischer Imperativ – Handle so, dass dein Handeln allgemeines Gesetz sein könnte (Kant)

    • „Werde, der du bist“ – Idee der Selbstverwirklichung (Goethe, z. B. Wilhelm Meisters Lehrjahre)

  • Individuum wird zentral: nicht mehr die Gemeinschaft oder der Stand bestimmt das Leben, sondern der Einzelne

  • Kultur verändert sich in drei Bereichen:

    • kognitiv → Wissenschaft & Bildung

      • Der Mensch denkt selbstständig – Wissen wird nicht mehr nur von Kirche oder Adel vorgegeben.

    • moralisch-ethisch → neue Moral (Kants Ethik: Jeder Mensch ist Zweck an sich, nie nur Mittel zum Zweck → Menschenwürde.)

      • Freiheit des Einzelnen wird zur Grundlage von Ethik, Moral wird nicht mehr religiös begründet, sondern durch Vernunft.

    • ästhetisch-expressiv → Kunst, Literatur, Identitätssuche

      • Kunst wird Ausdruck des Inneren, der Persönlichkeit, des Gefühlslebens.

        • Literatur und Kunst fragen: Wer bin ich? Wie finde ich zu mir selbst?

      • z.B. Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ = Roman über Selbstfindung: Protagonist bricht aus vorgegebenen Welt aus, um „zu sich selbst“ zu finden.→ typisch für ästhetische Dimension der kulturellen Moderne.

🎯 Fazit: kulturelle Revolution schafft das geistige Fundament der Moderne. Das Individuum wird zum Zentrum – mit eigenen Rechten, eigener Moral, eigener Identität.

Was sind die 4 Funktionen von Zeitdiagnose?

1. 🧱 Konstitutive Funktion

Was gibt mir Halt? Struktur von Wahrnehmung der Gegenwart, um sich selbst und die Welt einzuordnen.

  • Wann lebe ich? (z. B. Postmoderne)

  • Wo lebe ich? (Kapitalismus)

  • Wie lebe ich? (Amerikanische Konsumkultur)

  • Als was lebe ich? (Narzisstische Persönlichkeit)

📌 Code: natürlich/unnatürlich 📌 Ziel: ontologische Sicherheit (also: sich in der Welt verortet fühlen)


2. 📚 Kognitive Funktion

Was ist wirklich los? = wissenschaftliche und evidenzbasierte Analysen zur Erklärung gellschaftlicher Entwicklungen.

= warum Dinge so sind, wie sie sind – und was das bedeutet.

💬 = fundierte Erklärungsmodelle. 📌 Code: wahr/falsch 📌 Ziel: intersubjektiv überprüfbare Erkenntnis

3. 🎭 Expressive Funktion

Wie fühlt sich unsere Zeit an? = Lebensgefühl einer Epoche – den „Zeitgeist“. -> Stimmung, Atmosphäre, intuitive Wahrneh.

💬 Beispiel: „Wir leben in der Postmoderne“ → Gefühl von Unsicherheit, Pluralität, Sinnverlust. 📌 Code: authentisch/unauthentisch 📌 Ziel: Erfassung des Zeitgeistes

4. ⚖️ Evaluative Funktion

Ist das gut oder schlecht? Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen – auf Grundlage idealen Maßstabs (z. B. Aufklärung, Menschenwürde, Demokratie). ➡ schlagen Alarm, wenn Realität davon abweicht.

💬 Oft = Krisendiagnose und rufen zur Umkehr oder Kurskorrektur auf. 📌 Code: gut/schlecht 📌 Ziel: Beurteilung gesellschaftlicher Entwicklung


Als Tabelle:

Funktion

Bedeutung (einfach)

Ziel

Beispiel

Konstitutiv

Gefühl, wo und wann wir leben, ordnet die Welt.

Orientierung, „Weltbild“

Ich lebe in einer kapitalistischen Gesellschaft

Kognitiv

Liefert wissenschaftliche Erklärungen und Begriffe.

Erkenntnis, Wissen

Studien zeigen, dass Individualismus steigt

Expressiv

Drückt „Zeitgeist“ oder Lebensgefühl aus.

Stimmung & Atmosphäre

Postmoderne fühlt sich verwirrend und vielfältig an

Evaluativ

Bewertet Entwicklungen: gut oder schlecht? Krise oder Fortschritt?

Kritik, Handlungsimpuls

Gesellschaft ist zu narzisstisch geworden – wir brauchen Umkehr


Was sind die 3 zentralen Probleme der soziologischen Zeitdiagnostik?

🧠 1. Das Problem der Adäquanz:

Ist der gewählte Begriff geeignet, eine ganze Epoche, Gesellschaft, Kultur etc. angemessen zu erfassen?

  • Überdehnung eines Begriffs (z. B. „alles ist kapitalistisch“) führt zu unrealistischer Generalisierung.

  • Unterbestimmung bleibt analytisch unergiebig – die Diagnose bleibt vage.

Kernfrage: Ist ein Struktur-/Entwicklungsprozess nur relevant oder bereits dominant?


👓 2. Das Problem des modischen Zeitgeistes und der Ideologie

Fehlendes Verhältnis von theoretischer Begriffsbildung und historisch-empirischer Analyse, wodurch Soziale Realität durch Diagnose beeinflusst wird (=Performativität von Zeitdiagnosen).

  • Schnellschussdiagnostik (unterbestimmt): unreflektierte Trends durch Medien, Werbung, Konsumindustrie —> empirisch schwach, aber wirkungsmächtig.

  • Ideologische Begriffsakrobatik (überdehnt): Theorien halten an revolutionären Deutungen fest, obwohl empirisch keine Hinweise mehr darauf existieren (z. B. Zusammenbruch des Kapitalismus).

Gütekriterium: Solidität und Ausgewogenheit zwischen Theorie und Empirie.


3. Das Problem des Normativen

Darf Soziologie normative Empfehlungen geben oder nur empirisch-deskriptiv analysieren?

= Gefahr: Soziologie verwischt die Grenze zur Sozialphilosophie.

  • Kritik: Zeitdiagnosen beinhalten oft normative Implikationen („Kritik“ plus „Alternative“) → Anspruch auf Veränderung.

    • Spannung: Bestandsaufnahme vs. Kritik – ist beides gleichzeitig möglich?

  • Lösungsvorschlag: Anerkennung der beschränkten Haftung der Zeitdiagnose – eine wissenschaftlich kontrollierte, aber letztlich nicht spekulationsfreie Synthese.

Gütekriterium: Intersubjektiv prüfbares Verhältnis von Analyse und Wertung.


🌍 Zusätzliche Strukturgedanken

Aspekt

Beschreibung

Erfahrbarkeit

Gesellschaft ist nicht abbildbar – es gibt nur Gesellschaftsbilder, nie die Gesellschaft selbst.

Evaluierbarkeit

Zeitdiagnosen können besser oder schlechter „gelingen“, wie Fotografien aus verschiedenen Winkeln.

Timing

Zu frühe Diagnosen → unbeachtet, zu späte → irrelevant; „Just in time“ ist ideal.

Wissenschaftliche Kontrolle

Evidenzbasierung hilft, Metaphysizität zu bändigen, ersetzt sie aber nicht.

Relevanz für Gesellschaft

Zeitdiagnose trifft den Nerv der Zeit, wenn sie kollektive Seelenlage erfasst.


NICHT KLAUSURRELEVANT ABER DENNOCH INTERESSANT:

Alexis de Tocqueville (1805–1859) war ein französischer Aristokrat und politischer Denker, der in einer Zeit massiver Umbrüche lebte. Seine Biografie spiegelt die Spannungen zwischen Tradition und Moderne wider. Geboren in eine Adelsfamilie, die unter der Französischen Revolution litt, studierte er Jura und schlug zunächst eine politische Laufbahn ein. Berühmt wurde er jedoch durch seine Reise in die USA (1831–1832), die ihn zu seiner bahnbrechenden Analyse der Demokratie inspirierte. Sein Werk Über die Demokratie in Amerika (1835/1840) gilt als eine der wichtigsten soziologischen Zeitdiagnosen des 19. Jahrhunderts.

  • In Deutschland wird Tocqueville kaum als Soziologe anerkannt.

  • In wichtigen Werken zur Geschichte der Soziologie fehlt er völlig.

  • Tocqueville analysiert nicht nur Geschichte, sondern die tiefere Struktur moderner Gesellschaften.

Gründe für seine Vernachlässigung in Deutschland:

  • Konkurrenz durch Marx und Weber

  • Tocqueville schreibt klar und literarisch - In Deutschland wird komplizierter, „unverständlicher“ Stil oft mit Wissenschaftlichkeit gleichgesetzt.

Seine Sichtweisen:

  • Demokratie führt zu Angleichung der Lebensstandards und Ähnlichkeit der Lebensweise.

  • Mit dieser Gleichheit geht ein praktischer Materialismus einher: Fokus auf Besitz, Reichtum, Konsum.

  • Es entsteht Individualismus, der sich in Rückzug ins Private und Egoismus äußert.

  • Diese Tendenzen sind unvermeidliche Risiken moderner Demokratien

  • Gefahren der Demokratie:

    • Despotismus entsteht, wenn:

      • Bürger sich ausschließlich privaten Interessen widmen.

      • Öffentliche Tugenden und politisches Engagement verloren gehen.

    • Materielle Unsicherheit erzeugt ständigen Wettbewerb um Reichtum.

    • Diese Dynamik erzeugt:

      • Gier nach Geld,

      • Leidenschaft für Genuss und Konsum,

      • Rückzug in den Individualismus.

  • Politische Freiheit bedeutet:

    • Schutz vor Willkür: Rechtlicher Schutz gegenüber Staat und Gesellschaft.

    • Individuelle Gestaltungsfreiheit: Privatsphäre und Autonomie im Alltag.

    • Recht auf politische Teilhabe: Politische Mitbestimmung als Wesenskern echter Demokratie.

    • Freiheit als politische Tugend:

      • Gesellschaftliches Engagement,

      • Aufgabe des rein privaten Glücksstrebens,

      • Solidarität durch öffentliches Handeln.

  • Rolle der Politischen Freiheit:

    • Ausgleichsfunktion: Gegenpol zur nivellierenden Wirkung von Gleichheit.

    • Korrektivfunktion I: Begrenzung des egoistischen Individualismus.

    • Korrektivfunktion II: Begrenzung der demokratischen Staatsmacht.

    • Scheidungsfunktion: Trennung von Individualismus und staatlichem Despotismus.

    • Tocqueville ist begeistert von der Entwicklung in den USA: Demokratie, Gleichheit und Freiheit bilden dort eine erfolgreiche Einheit.

    • In Frankreich dagegen sieht er ein Scheitern: Demokratie und Gleichheit verbinden sich hier mit politischer Unfreiheit und Despotismus.

    • Tocqueville will keine bloße Geschichtsschreibung der Revolution liefern, sondern eine strukturell-gesellschaftliche Erklärung.

    • Er folgt methodisch Montesquieu und nutzt ein umfangreiches Quellenstudium – Frankreich, Deutschland, England – um das „Testament der alten Gesellschaft“ zu rekonstruieren.

      • Zentralisierungsthese: politische und administrative Machtzentralisierung Frankreichs (mit Paris als Zentrum) stellt die Kontinuitätsbrücke zwischen Ancien Régime und Moderne dar.

      • Die Revolution war weniger ein Bruch als vielmehr eine Fortsetzung alter Strukturen unter neuen Vorzeichen.

      • Revolution trägt einen religiösen Charakter – eine säkulare Religion mit Propheten, Märtyrern, Ritualen (z. B. 14. Juli als Nationalfeiertag).

      • Die Kirche wird nicht primär als religiöse Institution, sondern als Teil des Ancien Régime bekämpft.

      • Revolutionäre Umstrukturierung Frankreichs 1789 wirkt radikal – war aber Endpunkt eines langen Zentralisierungsprozesses

      • Tocqueville: Alte Provinzen wurden wie „Tote“ zerteilt – scheinbar lebendige Strukturen waren in Wirklichkeit längst machtlos.

      • Der königliche Rat (conseil du roi): Höchster Gerichtshof -> Machtfülle ohne Autonomie, weil Mitglieder Abhängig von der Gunst des Königs

      • -> Trennung von symbolischer Repräsentation und faktischer Macht

    • Klassenanalyse bei Tocqueville

      • Der Staat:

        • Konfliktschlichtungsinstanz und gleichzeitig

        • Verstärker der Klassenantagonismen

      • Klassenanalyse als zentraler Bestandteil der Revolutionserklärung

      • Tocquevilles Leitsatz: „Ich spreche von Klassen, sie allein dürfen die Geschichte beschäftigen.“

      • Klassen nicht theoretisch definiert (wie bei Marx), sondern historisch-empirisch betrachtet

      • Nicht Individuen, sondern Klassen als Träger des historischen Wandels

      • Spannungen zwischen Adel und Bourgeoisie

        • Alte Aristokratie vs. neureiche Bourgeoisie:

          • Adel verachtet die neureichen „Emporkömmlinge“

          • Bourgeoisie sieht sich als neue Aristokratie des Kapitals

        • Tocqueville: „Nie war der Adel so leicht zu kaufen wie 1789.“

    • Bürger und Adel unterschieden sich am Vorabend der Französischen Revolution primär durch rechtliche Ungleichheit und verschiedene Ehrbegriffe.

    • Laut Tocqueville ähnelten sich Bürger und Adel in Erziehung, Bildung, Ansichten, Gewohnheiten, Vergnügungen, Sprache, und gelesenen Büchern.

    • Bauern waren bereits Eigentümer kleiner Parzellen, aber litten unter feudalen Lasten und der fiskalischen Ausbeutung durch den Staat.

    • Ihre Isolation: am stärksten von der Zentralgewalt betroffen, aber kaum organisiert oder politisch aktiv.

    • Tocqueville beschreibt das ländliche Leben als von Armut, Unwissenheit und administrativer Vernachlässigung geprägt.

    • Strategien der Klassen am Vorabend der Revolution:

      • Adel: defensiv, Bewahrung der Privilegien ohne Machtanspruch.

      • Bürgertum: offensiv, strebt nach Reichtum und Anerkennung.

      • Arbeiter: hoffen auf staatliche Hilfe gegen die Bourgeoisie.

      • Bauern: passiv, ohne Privilegien oder politische Stimme.

    • = Tocquevilles Diagnose: „kollektiver Individualismus“

      • Begriff meint: Obwohl niemand vollkommen individuell war, dachten alle kleinen gesellschaftlichen Gruppen nur an sich selbst.

Mögliche Ursachen für den Ausbruch der Französischen Revolution:

  • Äußere Bedrohung (Krieg): Trotz zahlreicher Kriege unter Ludwig XIV. kam es nicht zum Zusammenbruch; der Krieg hätte nur für das postrevolutionäre Frankreich mehr Bedeutung.

  • Materielle Interessen der Klassen: Tocqueville verneint diese Möglichkeit, da die Klassen zu sehr mit ihren eigenen Interessen beschäftigt sind, ohne revolutionäre Kraft zu entwickeln.

  • Ideen als Schlüsselursache: Die Ideen von 1789 (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) sind entscheidend. Diese Ideen wurden von Intellektuellen getragen, die sie in der Öffentlichkeit verbreiteten.

Crise heureuse“ und ihre Bedeutung:

  • Tocqueville spricht von einer "glücklichen Krise" zu Beginn der Regierungszeit Ludwig XVI., in der es eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands gab.

  • Diese Phase führte zu einer paradoxen Situation, in der der Wohlstand das politische Unbehagen und den revolutionären Aufbruch verstärkte.

= Tocqueville beschreibt dies als ein Paradoxon der Reform: Nicht die größte Unterdrückung, sondern eine Phase relativer Lockerung bringt das System ins Wanken. Wenn sich die Verhältnisse verbessern, wachsen die Erwartungen – bleibt die Verbesserung jedoch begrenzt, wandelt sich Hoffnung in Empörung. Dieses Phänomen erinnert an die berühmte Formel: Revolutionen entstehen nicht in Zeiten der Not, sondern in Momenten enttäuschter Hoffnung.


Auswirkungen der Demokratie auf die geistige und soziale Lebensweise der Menschen

  • Amerikaner wenig Interesse an abstrakter Philosophie, Tocqueville erklärt, dass diese Denkweise das Fundament für die amerikanische Vorstellung von Selbstverwirklichung bildet. In einer Gesellschaft, in der alles möglich ist, solange man genug Willen und Disziplin aufbringt, ist der Glaube an die eigene Vervollkommnung tief verwurzelt. Diese „can do“-Mentalität treibt die Amerikaner an, immer weiter zu streben, ohne sich von Misserfolgen entmutigen zu lassen. Es entsteht eine Kultur des unaufhörlichen Fortschritts,

  • Tocqueville sieht die Demokratie als eine Gesellschaftsform, die den Individualismus fördert und die Vorstellung von Gleichheit und Freiheit vertieft.

  • Gleichzeitig warnt er jedoch vor den Gefahren, die mit einer allzu weit getriebenen Demokratisierung und der Entwicklung des Individualismus einhergehen. Dies könnte zu einer sozialen Zersplitterung führen, in der die Menschen sich immer mehr isolieren und die gemeinschaftlichen Bindungen schwinden. In einer solchen Gesellschaft besteht die Gefahr, dass die Menschen in ihrer eigenen Einsamkeit versinken und die öffentlichen Tugenden verkümmern.

  • Tocqueville schließt seine Überlegungen mit einer Prognose über die Zukunft der Demokratie und ihre Auswirkung auf die globale Gesellschaft. Die Vereinigten Staaten von Amerika erscheinen ihm dabei als Modell für die Entwicklung demokratischer Gesellschaften weltweit.


Was ist nach Marx’ Praxisphilosophischem Grundmodell eine “Praxis”?

praktische, handlungsbezogene Tätigkeit der Menschen in der Welt, vor allem in Bezug auf die Produktion (Arbeit).

  • Marx sieht die materielle Praxis als entscheidend an, da der Mensch seine Welt durch seine Arbeit verändert.


Achtung: er unterscheidet sich hier von vielen früheren Philosophen (z. B. Hegel oder Feuerbach), die die Realität und das menschliche Wesen eher abstrakt und theoretisch betrachteten.

  • Marx kritisiert Hegel und dessen Vorstellung, dass die Geschichte des Menschen vom Geist und dessen Entwicklung bestimmt wird. Hegel sah die preußische Monarchie als eine Art „endgültigen“ Zustand der Vernunft.

  • er lehnt dies ab und betont, dass die realen, materiellen Verhältnisse die Basis für gesellschaftliche Veränderungen sind.

  • Marx übernimmt von Feuerbach die Idee, dass der Mensch als Teil der Natur zu verstehen ist. Doch Marx geht über Feuerbach hinaus, indem er die Praxis und gesellschaftliche Verhältnisse als die entscheidenden Faktoren für das menschliche Leben sieht.

  • und übernimmt die dialektische Methode von Hegel, die von einem Wechselspiel von Widersprüchen ausgeht. Diese Widersprüche führen zu Veränderungen und Entwicklungen in der Geschichte.

    • Der historische Prozess folgt nicht einem linearen Verlauf, sondern verläuft in Sprüngen, die durch Konflikte, Krisen und Revolutionen geprägt sind.

    • Während Hegel diese Dialektik als einen idealistischen Prozess sah (also als einen Prozess des Geistes), nutzt Marx diese Methode, um die realen, materiellen Verhältnisse in der Gesellschaft zu analysieren.


Was ist in Marx’ Praxisphilosophischem Grundmodell die “Entfremdung”?

Prozess, durch den der Mensch sich selbst, seine Arbeit und seine Beziehungen entfremdet.

  • Entfremdung vom Produkt: Arbeiter verliert Kontrolle über das Produkt seiner Arbeit = Produkt wird selbstständiges Ding, das Macht über den Arbeiter ausübt.

  • Entfremdung von der Arbeit: Arbeit wird zu bloßen Routine, die dem Arbeiter Kreativität und Selbstverwirklichung nimmt. Arbeiter sieht Arbeit nicht mehr als Teil seines Lebens, sondern als Verpflichtung.

  • Entfremdung von anderen Menschen: Arbeitsteilung und soziale Hierarchien führen zu Verhältnissen der Isolation und Entfremdung zwischen den Menschen (z.B. Stadt-Land oder geistige vs. körperliche Arbeit).

  • Entfremdung vom „Gattungswesen“: = das wahre, freie Wesen des Menschen. Marx sieht den Menschen als ein Wesen, das sich durch die freie Entfaltung seiner Fähigkeiten und die Zusammenarbeit mit anderen auszeichnet. Entfremdung entsteht, wenn diese Fähigkeiten nicht ausgelebt werden können.

Revolution muss die sozialen Verhältnisse (basierend auf materiellen Produktionsverhältnissen) ändern, damit Menschen Entfremdung überwinden und zu ihrer wahren menschlichen Natur zurückfinden können.


Achtung: kapitalistisches Ausbeutungssystem: Im Kapitalismus sind Menschen gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das bedeutet, sie tauschen ihre freiwillige und kreative Arbeit gegen Geld und sind dabei nicht mehr frei, die Art der Arbeit zu wählen, die sie wirklich erfüllt oder die mit ihren wahren Bedürfnissen übereinstimmt. = Entfremdung


Freiheit durch die Revolution: Marx meint, dass die einzige Möglichkeit, diese Entfremdung zu überwinden, in einer revolutionären Veränderung des kapitalistischen Systems besteht.

  • Wenn sich Produktionsverhältnisse ändern, verändert sich auch gesamte Gesellschaft, denn lt. Marx bestimmt die Art und Weise, wie Menschen ihre Lebensgrundlagen produzieren, die sozialen Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnisse, weil

  • “Was die Menschen sind, hängt direkt davon ab, wie und was sie produzieren.”


Was sind die 7 Punkte Marx‘ materialistische Geschichtsauffassung?

  1. Materielle Lebensverhältnisse als Grundlage: Sie sind der Stoff des gesellschaftlichen Verkehrs und die Grundlage der politischen Ökonomie im Kapitalismus.

  2. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse: Die Produktivkräfte (Technologie und Fähigkeiten der Produzenten) bestimmen die gesellschaftliche Entwicklung, während Produktionsverhältnisse die Eigentumsverhältnisse und gesellschaftlichen Beziehungen beschreiben.

  3. Basis-Überbau-Dialektik: Das gesellschaftliche Sein (die ökonomische Basis) bestimmt das Bewusstsein (den Überbau), aber der Überbau beeinflusst, wie die Gesellschaft sich selbst begreift.

  4. Widerspruch zwischen Basis und Überbau: Der Konflikt tritt auf, wenn die Produktionsverhältnisse nicht mit der Entwicklung der Produktivkräfte Schritt halten und zu einer „Fessel“ werden.

  5. Revolutionärer Konflikt: Der Widerspruch führt zu einem offenen Konflikt, der eine soziale Revolution einleitet, mit dem Ziel eines neuen „Gleichgewichts“ zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.

  6. Voraussetzungen für revolutionäre Veränderung: Eine neue Gesellschaftsformation entsteht nur, wenn die Bedingungen in der alten Gesellschaft ausgebildet sind, = die Produktivkräfte für neue Produktionsweise geschaffen sind, z.B. im Kapitalismus für den Übergang zum Sozialismus.

  7. Entwicklung von Produktionsweisen: Marx unterscheidet verschiedene Produktionsweisen (asiatisch, antik, feudal, bürgerlich) und sieht sie als Abfolge von Gesellschaftsformationen, die die Vorgeschichte der Menschheit darstellen, die in der kommunistischen Gesellschaft kulminiert.


Kritiken:

  1. Einordnung von Produktionsweisen: asiatische Produktionsweise könnte parallel zur antiken existieren, nicht zwingend davor.

  2. Teleologie: Vorstellung, dass die Geschichte zwangsläufig in die kommunistische Gesellschaft führt, erinnert an Hegels Weltgeist und wird als problematisch angesehen.

  3. Harmonische Eintracht: Die Vorstellung eines Endes der Geschichte, in dem alle gesellschaftlichen Gegensätze aufgehoben sind, wird als unhaltbar und teleologisch kritisiert.

  4. Vergleich mit der christlichen Heilslehre: Die Entwicklung zur sozialistischen Gesellschaft wird als ähnlich zur christlichen Vorstellung von Erlösung und „Paradies“ gesehen, was den Historischen Materialismus als evolutionistisch entlarvt.


Was besagt die Strukturtheoretische Analyse über Kapitalismus und Ausbeutung (nach Marx)?

sie besagt, dass Kapitalismus systematisch Ausbeutung erzeugt, indem der Mehrwert der gemeinschaftlich produzierten Arbeit privat von Kapitalbesitzern angeeignet wird.


und stellt damit Kritik an der Politischen Ökonomie in Gestalt der Kapitalproduktion und -verwertung dar

= Herzstück der Marxschen Theorie


Zentrale Kritik von Marxs war:

  • kapitalistische Produktionsweise sind gesellschaftlich spezifisch und nicht natürlich.

  • Kapitalismus wird durch Ideologien als alternativlos dargestellt – Marx zeigt, dass er historisch entstanden und veränderbar ist.

  • bürgerliche Ökonomie (auch: klassische Nationalökonomie), die die kapitalistischen Verhältnisse nicht hinterfragt, sondern als natürlich und gegeben darstellt, beschreibt Phänomene wie Lohn, Profit und Kapital, ohne ihre historischen und gesellschaftlichen Ursachen – insbesondere Ausbeutung – zu analysieren oder zu kritisieren. = nach Marx eine ideologische Verkehrung

Ausgangssituation Marx’ Analyse des Kapitalismus:

  • Gesellschaft als Warensammlung: Die moderne kapitalistische Gesellschaft besteht laut Marx aus einer „ungeheuren Warensammlung“ – fast alles wird zur Ware.

  • Alle Waren sind Produkte menschlicher Arbeit und haben 2 Seiten:

    • Gebrauchswert: Nützlichkeit.

    • Tauschwert: Verhältnis zu anderen Waren (z. B. 1 Jacke = 2 Paar Schuhe).

  • Arbeitsbegriff nach Marx: Wert einer Ware ergibt sich aus durchschnittlicher Arbeitszeit, die unter normalen Produktionsbedingungen erforderlich ist.

    • Konkrete Arbeit: Tätigkeit, die einen Gebrauchswert schafft (z. B. Tischlern, Backen, Nähen).

    • Abstrakte Arbeit: Arbeitszeit im Allgemeinen, die den Wert der Ware bestimmt, und nicht um den individuellen Beitrag eines Arbeiters.

  • Geld, Preis, Kapital

    • Geld = allgemeines Tauschmittel und Ausdruck des Tauschwerts – es ist selbst eine Ware.

    • Preis = Geldform des Wertes einer Ware.

    • Kapital = entsteht, wenn Geld mit dem Ziel investiert wird, mehr Geld zu erzeugen (z. B. durch Kauf von Arbeitskraft und Produktionsmitteln).

      • Nur lebendige Arbeit erzeugt Mehrwert (m) →

      • Unterscheidung von Kapitalbestandteilen:

        • Konstantes Kapital (c): Maschinen, Rohstoffe – schafft keinen neuen Wert.

        • Variables Kapital (v): Löhne für Arbeitskraft – einzige Quelle neuen Werts.

      • Formel: Wert = c + v + m

  • Arbeitskraft = alle körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Arbeiters.

    • Kapitalist kauft Arbeitskraft – sie allein hat die Fähigkeit, Mehrwert zu erzeugen.

    • Sie wird auf dem Markt scheinbar „fair“ verkauft – Lohn gegen Arbeitszeit.

    • Tatsächlich entsteht Mehrwert, da die Arbeitskraft mehr produziert, als sie an Lohn kostet. = unbezahlte Mehrarbeit -> Strukturelle Ausbeutung im Kapitalismus

  • Formen der Mehrwertproduktion durch Kapitalisten:

    • Absoluter Mehrwert: Verlängerung des Arbeitstags – mehr Stunden = mehr Mehrwert.

    • Relativer Mehrwert: Erhöhung der Produktivität – die notwendige Arbeitszeit wird durch technische Mittel (z. B. Maschinen) gesenkt, sodass ein größerer Teil des Arbeitstags unbezahlt bleibt.

    • Methoden: Rationalisierung, Pausenverkürzung, erhöhte Arbeitsintensität – oft auf Kosten besonders verletzlicher Gruppen (z. B. Frauen, Kinder).

    • Auswirkung auf ArbeiterInnen:

      • Technologischer Fortschritt führt zu Arbeitslosigkeit → wachsende industrielle Reservearmee.

      • Reservearmee sorgt für Lohndruck, Unsicherheit, soziale Spannungen

      • -> Löhne sinken, obwohl Produktivität steigt → Arbeiter:innen können eigene Produkte nicht kaufen.

  • Widersprüche der Kapitalzusammensetzung:

    • Investition in Maschinen (c ↑) erhöht zwar kurzfristig die Produktivität und damit den Mehrwert. Gleichzeitig sinkt der Anteil lebendiger Arbeit (v ↓) → langfristig weniger Quelle für neuen Wert.

    • Folge: Tendenzieller Fall der Profitrate trotz wachsender Produktion.

  • Systemischer Grundwiderspruch: Gesellschaftliche Produktion (viele arbeiten zusammen) steht im Widerspruch zur privaten Aneignung (nur wenige – Kapitalbesitzer – eignen sich den Mehrwert an).

    • Folge: Überproduktion (zu viele Waren) bei gleichzeitigem Unterkonsum (Arbeiter können sich die Waren nicht leisten).

    • führt regelmäßig zu Krisen im Kapitalismus – z. B. Wirtschaftseinbrüche, Massenarbeitslosigkeit.

  • = Dauerhafter Klassenkonflikt: zwischen Bourgeoisie (Kapitalbesitzende) und Proletariat (Arbeiter:innenklasse) als Resultat von Systemimmanenz (also im Kapitalismus eingebaut.)


Was ist die Zusammenfassung der Marxschen strukturtheoretischen Analyse über Kapitalismus und Ausbeutung?

Marx diagnostiziert den Kapitalismus als eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Entfremdung basiert, wobei der Kapitalismus enormen materiellen Reichtum produziert, aber nur durch die Unterdrückung der Arbeiterklasse (Proletariat). Diese Unterdrückung führt zu Krisen in der kapitalistischen Gesellschaft.

  • Kapitalismus enthält den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, was zu Überproduktions- und Unterkonsumtionskrisen führt. Diese Krisen schaffen die Grundlage für eine revolutionäre Situation, in der das Proletariat die Bourgeoisie stürzen kann. - gleich einer Diktatur des Proletariats

  • Vision des Sozialismus: Marx äußert sich nur vage über die sozialistische Gesellschaft. Er lehnt es ab, konkrete Details dieser Zukunft zu beschreiben, da er ein „Utopieverbot“ anwendet.

  • Marx' Erwartung einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft ist problematisch, da er keine detaillierte Analyse der Struktur und Funktionsweise des Sozialismus bietet. Diese Unausgewogenheit zwischen Kapitalismus und Sozialismus lässt die Gefahr eines repressiven „Reiches der Unfreiheit“ entstehen, wie es im marxistisch-leninistischen Experiment der Fall war.


Fazit: Der politische Messianismus Marx’ – die Erwartung einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft – stellt eine Schwachstelle seiner Theorie dar. Während seine Analyse des Kapitalismus tiefgründig ist, bleibt seine Vorstellung einer sozialistischen Zukunft unklar und unzureichend durchdacht.

Was ist nach Durkheim ein “Fait social” und welche Merkmale beinhaltet es?

„jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereich einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt“

=Soziales Phänomen, das auf sozialem Handeln beruht, in einer Gesellschaft weit verbreitet ist und einen äußeren Zwang auf Individuen ausübt, wenn sie es nicht bewusst oder freiwillig gewählt haben. (z.B. Hochzeitsrituale, Sprachregeln, moralische Normen, Gesetze)


Merkmale:

  1. Äußerlichkeit: Soziale Phänomene existieren außerhalb des individuellen Bewusstseins und sind nicht vom Individuum geschaffen/ angeboren, sondern werden durch Erziehung erworben.

  2. Zwang: Soziale Phänomene üben Zwang auf das Verhalten von Individuen aus, sei es durch Gesetze, Moral, gesellschaftliche Normen - Sanktionen werden verhängt, wenn diese Normen verletzt werden.

  3. Allgemeinheit: Soziale Phänomene treten allgemein in einer Gesellschaft auf und wirken nicht nur auf individuelle Handlungen, sondern auf kollektive Strömungen, wie Massenhysterien oder statistische Trends.

  4. Unabhängigkeit: Soziale Phänomene haben ein Eigenleben, das sich von individuellen Ausdrücken trennt und sich in Aggregaten wie statistischen Raten manifestiert, wobei individuelle Besonderheiten neutralisiert werden.

Heißt: Durkheim betrachtet Gesellschaft als eigenständige Realität, die nicht auf physische, biologische oder psychische Faktoren reduziert werden kann. Um soziale Phänomene zu verstehen, schlägt er eine methodische Herangehensweise vor, die aus drei Schritten besteht:

  • Beschreibung: Ziel - Soziale Phänomene möglichst objektiv und vorurteilsfrei erfassen, so wie Dinge ("comme des choses").

    • Vorurteilslosigkeit: Beobachter soll sich von vorgefassten Meinungen befreien.

    • Empirie: Nicht bloß über soziale Phänomene nachdenken, sondern sie in ihrer äußeren Erscheinung beobachten.

    • Initialdefinition:

      • Objektiv, wenn die wesentlichen Grundzüge erfasst sind.

      • Allgemein, wenn alle gleichartigen Phänomene unter den Begriff fallen.

  • Erklärung: Ziel - Phänomen verstehen, indem man Funktion und Ursache untersucht.

    • Trennung von Funktion und Ursache (Genese):

      • Funktionalität: Was bewirkt oder leistet das Phänomen in der Gesellschaft?

      • Kausalität (Genese): Wie ist das Phänomen entstanden?

    • Durch Historisch-komparative Methode:

      • Diachron: Vergleich über verschiedene Zeiten hinweg.

      • Synchron: Vergleich zwischen gleichzeitig existierenden Gesellschaften.

  • und Beurteilung: ob ein Phänomen normal oder pathologisch ist.

    • Kriterium der Normalität: wenn es in einer Gesellschaft weit verbreitet ist.

    • Dreischritt zur Beurteilung:

      1. Beobachtung der Verbreitung: Wie häufig tritt das Phänomen auf?

      2. Analyse der Bedingungen, die zu dieser Verbreitung geführt haben.

      3. Vergleich mit der Gegenwart: Wenn die Bedingungen noch gelten → normal, wenn nicht → pathologisch.


Was ist Durkheims Konzept des Institutionellen Individualismus?

  • Idee, dass die moderne Gesellschaft dem Individuum zwar Autonomie und Würde zuspricht („Kult des Individuums“), diese aber nur durch stabile Institutionen wie Berufsgruppen, den Staat und die Demokratie gesichert werden müssen.

  • Diese Institutionen vermitteln zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv, stiften moralische Ordnung, verhindern Anomie und ermöglichen soziale Integration.

  • Freiheit des Individuums ist bei Durkheim also kein natürlicher Zustand, sondern ein Ergebnis kollektiver Bindungen und normativer Strukturen.


Ausgangsproblem: Wie entsteht soziale Ordnung, wenn Individuen frei und unabhängig sind und Menschen aber freiwillig arbeitsteilig zusammen arbeiten?


-> Pflichten und Zwänge aus Zusammenleben entstehen, welche erfüllt werden müssen, um Gesellschaft funktionsfähig zu halten. = Druck zu sozialer Solidarität


Orientierung an Kants Individualismus:

  • Zentrale Frage: Wie kann individuelle Freiheit in eine moralische Sozialordnung eingebettet werden?

Abgrenzung zu Kantischem Idealismus:

  • kategorische Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als allgemeines Gesetz gelten könnte.

  • ABER: moralische Subjekt nicht als rein vernunftgeleitetes, autonomes Ich SONDERN: als sozial eingebettetes Wesen, dessen Autonomie nur durch institutionell vermittelte Solidarität möglich ist.

  • zeigt, wie moralische Autonomie (Selbstbestimmung) und soziale Ordnung miteinander vereinbar sind.

  • = Auch in modernen Gesellschaften muss Freiheit nicht Anarchie bedeuten.

Lösung: Institutioneller Individualismus

  • Moralischer Individualismus: Werte von 1789 (Menschenrechte, Freiheit) existieren als Ideale.

  • Aber: Diese Werte müssen durch Institutionen realisiert werden, damit sie praktisch wirken.

  • Institutioneller Individualismus = Gesellschaftliche Institutionen (wie Rechtssystem, Bildung, Berufsorganisationen) müssen Werte des Individualismus (Würde, Freiheit, Gleichheit) strukturell absichern.

  • Ziel: dynamische, gerechte, moderne Gesellschaft, in der individuelle Freiheit durch solidarische Institutionen getragen wird.

Vergleich zu Marx

  • Gemeinsamkeit mit Marx: → Beide teilen die Werte der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit).

  • Unterschiede:

    • Marx = Revolution & Klassenkampf

    • Durkheim = Reform & Berufsethik

    • Marx = Kapitalismus → Entfremdung

    • Durkheim = industrielle Gesellschaft → Anomie

    • 9-f1Für Durkheim sind Klassen Übergangsphänomene, nicht dauerhaft. – sie verschwinden mit wachsender sozialer Gerechtigkeit.


Was bedeutet Solidarität nach Durkheim und welche Arten gibt es?

= tatsächlich gelebte soziale Band, das Menschen trotz Individualisierung miteinander verbindet.Sie zeigt sich im Gefühl der Zugehörigkeit, gemeinsamen Verpflichtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten


Durkheim: „Solidarität ist ein rein moralisches Phänomen, das aus dem Bewusstsein der Individuen hervorgeht.“, als Zusammenspiel von:

  • Sozialstruktur (Wie eine Gesellschaft aufgebaut ist)

  • Kultur/ Werten

Gleichgewicht dieser Puntke = Solidarität

Heißt: Solidarität ist nicht nur ein rechtliches oder ökonomisches Verhältnis, sondern beruht auf gemeinsamen moralischen Überzeugungen – z. B. was gerecht, gut oder verpflichtend ist.


Achtung: Nur gerechte Institutionen, die Werte widerspiegeln, erzeugen moralische Autorität und sozialen Zusammenhalt.


Arten

  1. Mechanische Solidarität: Archaische Gesellschaften

    1. in kleinen, segmentierten Einheiten

    2. stark einheitliches Kollektivbewusstsein

    3. Integration direkt in die Gemeinschaft

    4. Basis: Ähnlichkeit aller

  2. Organische Solidarität: Moderne Gesellschaften

    1. in großen differenzierten Lebensbereichen

    2. vielfältiges und funktionsspezifisches Kollektivbewusstsein

    3. Integration indirekt über Arbeitsteilung und INterdependenzen

    4. Basis: Unterschiedlichkeit (Arbeitsteilung) aller

= Solidarität ist ohne Moral nicht möglich, denn sie beruht auf einer gemeinsam geteilten Vorstellung davon, was richtig und verbindlich ist – sei es durch Ähnlichkeit (mechanisch) oder funktionale Abhängigkeit (organisch).


Ungeklärtes Problem: Träger der organischen Solidarität:Wer sind konkret die Gruppen, die Solidarität in einer arbeitsteiligen Gesellschaft stützen?


Kritik: Moderne Form des Kollektivbewusstseins:Ist der "Kult des Individuums" (also Wertschätzung der Individualität) wirklich ausreichend als gemeinsames neues Ideal?

Was ist Durkheims Verständnis von Religion?

Religion = „Ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken über heilige Dinge, das alle Mitglieder derselben moralischen Gemeinschaft (Kirche) vereint.“

  • Kirche = nicht bloß Priesterschaft, sondern die Gesamtheit der Gläubigen als moralische Gemeinschaft.

  • Abgrenzung zu Magie:

    • Religion = kollektiv, gemeinschaftlich (Kirche)

    • Magie = individualistisch, keine gemeinschaftsbildende Kraft


Zentrale Merkmale

Durkheim sagt: Alle Religionen trennen die Welt in zwei Bereiche:

  • Das Heilige (le sacré): alles, was besonders, verehrt, geschützt oder verboten ist. – man darf es nicht einfach benutzen oder behandeln wie alles andere.

    • heilige Schriften (z.B. der Koran)

    • Zeremonien, wie Hochzeiten → Man geht damit ehrfürchtig oder vorsichtig um.

  • Vs. das Profane (le profane): alltägliche Bereich – alles, was nicht heilig ist.Man kann es einfach benutzen, anfassen, verändern ohne religiöse Bedeutung

    • normale Bücher

    • Spaziergänge

Trennung = Grundprinzip jeder Religion und hat drei Eigenschaften:

  1. Heterogenität → Die zwei Bereiche sind komplett verschieden, man darf sie nicht vermischen.

  2. Antagonismus → Sie stoßen sich ab: Heiliges und Profanes dürfen sich nicht berühren (z. B. keine schmutzigen Hände bei der Hostie).

  3. Hierarchie → Das Heilige ist höherwertig, es hat mehr Bedeutung, mehr Macht.


Die Regeln rund ums Heilige sagen den Menschen, was wichtig ist, was tabu ist – und das verbindet die Gemeinschaft. = soziale Ordnung wird hergestellt


Was sind Durkheims 3 Hypothesen über Religion und Gesellschaft?

  1. Kausale Hypothese – Religion ist sozial bedingt → Sie entsteht aus sozialen Bedingungen, insbesondere in Momenten kollektiver Erregung

    1. effervescence créatrice“: In Momenten intensiver kollektiver Versammlung (z. B. Rituale, Feste, Trauer) entsteht ein emotionaler Überschuss, der als „überindividuelle Kraft“ erlebt wird.

  2. Interpretative Hypothese – Religion ist nicht nur kausal aus Gesellschaft hervorgegangen, sondern sie bildet diese auch ab: repräsentationstheoretischen Sicht:

    • Kognitiv: Religion bildet gesellschaftliche Strukturen ab

      • Gott = Gesellschaft: Was als Gott oder Heiliges verehrt wird, ist in Wahrheit die Gesellschaft selbst in überhöhter Form.

      • = Religion erzeugt damit kollektive Weltdeutungsmuster, die Denken und Wahrnehmung strukturieren.

      • z.B. Kalender mit Feiertagen basiert auf kollektiven Gedenkakten, nicht auf Naturgesetzen.

    • Expressiv: Religion dramatisiert und symbolisiert gesellschaftliche Wirklichkeiten

      • Religion ist eine Bühne, auf der Gesellschaft sich selbst inszeniert: durch Rituale, Mythen, Feste.

      • Sie dramatisiert ihre Werte, Normen und Konflikte in symbolischer Form – etwa durch Opfer, Reinigung, Tabus.

  3. Funktionale Hypothese – Religion ist nicht nur ein „Abbild“ der Gesellschaft, sondern wirkt auf Gesellschaft & Individuum zurück

    • Makrosozial:

      • Integration: Religion stiftet Zusammenhalt durch gemeinsame Rituale, Werte, Normen.

      • Kollektive Identität: Durch das Heilige wird eine moralische Gemeinschaft („Kirche“) gebildet.

      • Kulturstiftung: Religion trägt zur Entwicklung von Recht, Moral und Wissen bei.

      • Selbstreflexion der Gesellschaft: In der religiösen Symbolik denkt Gesellschaft über sich selbst nach.

    • Mikrosozial:

      • Lebensorientierung: Religion gibt dem Einzelnen Sinn, Halt und moralische Orientierung.

      • Disziplinierung: Rituelle Vorschriften strukturieren das Verhalten, formen den Charakter.

      • Kraftquelle: Durch Rituale oder Gebet erlebt das Individuum Kollektivmacht als innere Stärke.


Heißt: Das Gebet an Gott ist in Wahrheit die Mobilisierung kollektiver Energie – aber sie wird als persönliche Kraft erlebt.

🧠 Zusammengefasst:

Hypothese

Inhalt

Zielrichtung

Kausal

Religion entsteht aus kollektiven sozialen Erfahrungen

Entstehung von Religion erklären

Interpretativ

Religion ist Symbol für gesellschaftliche Ordnung und Weltdeutung

Religion als Spiegel der Gesellschaft

Funktional

Religion trägt zur Stabilität und Kohäsion von Gesellschaft und Individuum bei

Religion als aktive soziale Kraft


Was ist eine korporative Gesellschaft nach Durkheim?

Idee von Henri de Saint-Simon,der im 19. Jahrhundert eine alternative Ordnung zur liberalen Marktgesellschaft entwerfen wollte. Seine Idee:


“Die Gesellschaft soll sich neu organisieren, nicht mehr bloß nach Klassen (Arm/Reich), sondern nach Berufen und Funktionen.

➡ Diese „Berufsgruppen“ oder „Korporationen“ sollen:

  • politische Mitsprache erhalten (quasi Mini-Parlamente der Berufe),

  • ethische Verantwortung übernehmen (nicht nur profitorientiert),

  • zwischen Staat, Markt und Individuum vermitteln.

Ziel: Überwindung von Klassenkämpfen, durch eine sachlich gerechte, berufsbezogene Organisation des Gemeinwohls mit ökonomisch-rational gesteuerter Gesellschaft, die soziale Harmonie schafft – mit einem gewissen technokratischen Elitarismus.


Durkheim greift diese Idee auf, kritisiert aber den technokratischen Zugriff und bringt eine soziologisch-moralische Dimension ein:

👉 Durkheims Konzept der Berufsgruppen ist eine Weiterentwicklung, weil er "vergesellschaftet" und "moralisiert" Saint-Simons technokratische Idee.

Bei ihm sollen Berufsgruppen:

  • nicht bloß produktiv sein,

  • sondern die Werte einer modernen, säkularen, solidarischen Gesellschaft verkörpern und mittragen.

Sie sind also inspiriert von Saint-Simon, aber keine einfache Wiederholung. Durkheim „zivilisiert“ und „vergesellschaftet“ das Modell weiter – weg von technokratischer Steuerung, hin zu moralischer Integration.


Wichtig: Durkheim war kein Sozialist oder Technokrat, sondern suchte eine Balance zwischen individuellem Recht und kollektiver Moral.

  1. Er wollte die Ökonomie wieder in die Gesellschaft integrieren, ohne sie zu vergötzen (wie der Utilitarismus) oder zu ersetzen (wie der Sozialismus)



Wie entsteht Erkenntnis laut Simmel? (Stufenmodell)

Simmel stellt in seiner erkenntnistheoretischen Reflexion drei „Stufen“ oder Entwicklungsmomente vor, die beschreiben, wie und warum sich Erkenntnisformen wandeln – und warum man nicht von einer einzigen, universalen Wahrheit ausgehen kann:

  1. Pragmatische Stufe: “Wahr ist, was nützt.“→ Erkenntnis entsteht nicht um ihrer selbst willen, sondern aus praktischem Bedürfnis

    • Menschen müssen handeln, überleben, entscheiden → Sie entwickeln Begriffe, Erklärungen, Ordnungssysteme, die dabei helfen.

  2. Darwinistische Stufe: Die „passendsten“ Systeme überleben. -> Erkenntnisformen unterliegen einem Auswahlprozess – analog zur biologischen Evolution:

    • Sie entstehen,

    • behaupten sich (oder nicht),

    • werden angepasst oder ersetzt.

    • Erkenntnis ist ein historischer Prozess mit Selektion, Mutation, Anpassung.

    • Es gibt kein Ziel in Richtung „absolute Wahrheit“, sondern ein ständiges Sich-Behaupten im Lebens- und Erkenntnisraum.

  3. Spezialisierung: “Immer neue Disziplinen schaffen eigene Erkenntnislogiken.” -> Erkenntnis wird plural: Sie ist immer perspektivisch, gebunden an Kontexte, Institutionen, gesellschaftliche Interessen.

    • Simmel spricht hier von einem "relativen Apriorismus".

Stufe

Fokus

Erkenntnis ist…

Folgen für Wahrheit

Pragmatisch

Lebenspraxis

zweckorientiert

„Wahr ist, was hilft“

Darwinistisch

Anpassung an Umwelt

überlebensfähig

Wahrheit = erfolgreiches Überleben

Spezialisierung

Arbeitsteilung

disziplinär begrenzt

Wahrheit = kontextabhängig

Zusammenfassend:

  • Es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern viele konkurrierende Sinnsysteme.

  • Wahrheit ist immer perspektivisch, abhängig von Zweck, Kontext, und historischer Entwicklung.

  • = „relativistischen Perspektivismus“: → Nicht alles ist gleich gültig – aber es gibt auch keine absolute Perspektive über allen anderen.


Was ist nach Simmel der Brennpunkt der Moderne?


Die Urbanität/ die Großstadt ist der Ort, an dem sich all diese Prozesse verdichten, weil:

  • Reizüberflutung / Steigerung des Nervenlebens

    • Anders als auf dem Land, wo Reize gleichmäßiger und traditioneller sind, wirken in der Stadt ständig neue, überraschende, heterogene Einflüsse. Um sich davor zu schützen, entwickelt das Individuum einen „intellektualistischen Schutzmechanismus“ – also:

      • Rationalität

      • Distanz

      • Gefühlsabstumpfung

    • Diese Schutzfunktion führt zur Dominanz des Verstandes, weil: Gefühle zu überwältigend wären in dieser Reizdichte und nur der Verstand in der Lage ist, Reize zu filtern, zu abstrahieren und zu ordnen.

    • Diese Entwicklung führt zu einer kulturellen Grundform:

  • Verstandesdominanz statt Gefühl: „Der Intellekt ist das anpassungsfähigste Organ gegenüber den Wandlungen und Kontrasten der Großstadt.“

    • Während Gefühle warm, verbindlich, moralisch und gemeinschaftlich sein können ist der Verstand kühl, distanziert und zweckorientiert

    • Heißt: Die Großstadt fördert also ein Verhalten, das auf sachlicher Orientierung und Funktionslogik beruht – nicht auf Emotion oder Tradition.

    • = Raum, in dem Individualität entsteht – aber auf Kosten persönlicher Tiefe.

  • Geldwirtschaft als sachliche Basis aller Beziehungen

    • Geld = zentrale Form moderner Sachlichkeit: „Durch das Geld wird das qualitative Verhältnis von Menschen durch ein quantitatives ersetzt.“

      • unpersönlich: es interessiert sich nicht für den Menschen, nur für den Betrag

      • präzise: es misst Werte exakt

      • objektiv: es gilt für alle gleich

      • entfremdend

      • Geld = pars pro toto für eine Gesellschaft, in der Beziehungen funktionalisiert werden

    • Früher waren nochpersönliche, moralische oder religiöse Beziehungen, heute: Verträge, Preise und Zahlungen

  • Rechenhaftigkeit / Rationalisierung: Der Mensch denkt nicht mehr im „Wie fühle ich mich?“ – sondern: „Was bringt mir das?“ oder „Wie viel kostet es?“.

    • Die moderne Lebensform ist durchzogen von mathematischen, kalkulierenden Strukturen: Zeit wird gestoppt, Entscheidungen werden abgewogen, berechnet, verglichen, LEistungen, PReise Chancen - alles wird quantifiziert

    • Rechenhaftigkeit ist nicht einfach schlecht - sie ermöglicht:

      • Vergleichbarkeit

      • Gerechtigkeit

      • Effizienz

      • Austauschbarkeit

    • Aber: reduziert auch die Komplexität menschlichen Daseins auf messbare Faktoren

    • und führt zur Reduktion des Menschen auf Rollen, Funktionen, Fähigkeiten – nicht auf Persönlichkeit oder Charakter.

➡ Diese erzeugen eine unpersönliche, aber präzise Lebensform und wirken synergetisch:

Element

Funktion

Wirkung auf das Leben

Reizüberflutung

Schutz durch Rationalität

Distanz, Coolness

Verstandesdominanz

Abwehr gegenüber Überwältigung

Funktionales Denken

Geldwirtschaft

Abstraktion menschlicher Werte

Austauschbarkeit

Rechenhaftigkeit

Ordnung & Planung

Verlust von Tiefe, Gefühl, Spontaneität

Resultat: eine unpersönliche, aber hochgradig organisierte, effiziente Lebensform, die Simmel in der Großstadtmenschlichkeit kulminieren sieht:

  • Präzise, aber entfremdet

  • Frei, aber vereinzelt

  • Rational, aber gefühlsarm

All in One: Großstadt ist ambivalent: Sie befreit – aber sie überfordert.

Was ist nach Simmel das individuelle Gesetz?

Erfüllte Individualität: integrierte, eigenständige Individualität, die sowohl schöpferisch als auch diszipliniert ist.

  • Ethik soll nicht von außen (exogen) auf das Leben angewandt werden, sondern aus dem Leben selbst (endogen) hervorgehen.

    • Jedes Individuum soll sich sein eigenes ethisches Gesetz geben – bewusst, vernünftig, aus seiner Lebenswirklichkeit heraus

  • Das metaphysische Ideal der Individualität: Ein Individuum ist erst dann wirklich ganz Individuum, wenn es nicht nur ein Teil der Welt, sondern selbst eine Welt ist.

    • Das individuelle Wesen muss sich in einem eigenen geistigen Kosmos ausdrücken – ein Weltbild, in dem alle Einzelhandlungen Ausdruck einer inneren Totalität sind.

Dieses Gesetz wird zur inneren Norm, zur Richtschnur der Selbstverwirklichung und Lebensführung – eine Art diesseitige Askese mit methodisch-rationaler Lebensführung – aber nicht zur Erlangung göttlicher Gnade, sondern zur Sicherung des seelischen Gleichgewichts im Diesseits.


Individualität im ethischen Sinne heißt: „Mache dir deinen eigenen Regelkanon – und folge ihm konsequent.“

  • In einer differenzierten und eklektischen Gesellschaft versagen kollektive Sinnangebote (z. B. Religion, Tradition). Daher muss der Einzelne sein Leben selbst gestalten

Fazit: Simmels Konzept der erfüllten Individualität ist eine ethische Selbstbestimmung, die in der modernen Welt die verlorengegangene Einheit von Leben und Sinn durch ein innerlich gesetztes, individuelles Gesetz wiederherstellen will. > Es geht nicht um bloße Freiheit, sondern um eine verantwortete, gestalterische Lebensführung, deren Maßstab aus dem eigenen Leben selbst hervorgeht.

Welche Wege sieht Simmel, um mit der Ambivalenz von Moderne und Individualismus umzugehen?

Aristokratischer Individualismus (Elite-Modell)

  • Nur einer kleinen intellektuell und ästhetisch gebildeten Elite zugänglich (durch Bildung, Selbstreflexion, ästhetische Sensibilität)

  • Leben nach dem „individuellen Gesetz“:

    • Ihre Lebensführung ist kohärent, eigenständig und schöpferisch, nicht abhängig von Mode oder Norm.

    • Diese Menschen formen die moderne Kultur aktiv mit – sie sind nicht nur Konsumenten, sondern Produzenten von Werten und Stilen.

    • Goethe als Idealfigur einer gelungenen, schöpferischen Lebensgestaltung: jemand, der durch schöpferische Gestaltung ein tiefes und ganzheitliches Selbst verwirklicht.

➡️ Diese Form von Individualität ist in der Lage, den Hiatus produktiv zu überbrücken – durch Bildung und schöpferische Integration der objektiven Kultur in das eigene Leben.


Demokratisch-massenkulturelle Individualismus:

  • steht der breiten Masse offen, aber er bleibt oberflächlicher.

  • Der Einzelne versucht, Individualität über Konsum, über Stil- und Modeangebote auszudrücken.

  • Identität wird externalisiert: Sie hängt ab von Marken, Trends, Freizeitverhalten, sozialer Performance.

  • Dieses Streben nach Individualität führt jedoch häufig zu Unzufriedenheit, da es keine innere Substanz erzeugt.

  • Achtung: Simmel ist skeptisch, ob solche konsumgestützten Lebensstile Sinn und Beständigkeit erzeugen können.

➡️ Wenn diese Form von Individualismus versagt – etwa durch Überforderung, Scheitern, Entfremdung – bleibt nur die therapeutische Betreuung: Psychotherapie ersetzt dann gesellschaftliche Integration. (nach Wolfgang Eßbach, Andreas Reckwitz oder Ulrich Bröckling)


Wer war Max Weber und woran forschte er?

wahrscheinlich der letzte Universalgelehrte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts uns galt gleichermaßen als Ökonom, Jurist, Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologe, manche sagen sogar als Philosoph.

Gilt als multipler Gründungsvater der

  • ökonomische Soziologie, wie Richard Swedberg (1998) eindrucksvoll dargelegt hat;

  • Arbeits-, Berufs, Professions-, Organisations- und Industriesoziologie, und er ist stets ein Geheimtipp für „Management Studies“, wie die Arbeiten von Peter Drucker (1993) zeigen;

  • Soziologie sozialer Ungleichheit, Mobilität und Schichtung, wo er einen der drei theoretischen Ansätze neben Marxens Klassentheorie und der funktionalistischen Schichtungstheorie (Müller 1997) repräsentiert;

  • politische Soziologie und Soziologie des Staates, wo Weber das Modell des westfälischen Staates (Ertman 1997) kodifiziert haben dürfte;

  • Kultur- wie Religionssoziologie, in der Weber nicht nur einen bemerkenswerten Ansatz bereitgestellt, sondern durch sein Studium der Weltreligionen Maßstäbe gesetzt hat

Er forschte über die okzidentale Moderne, ihre charakteristischen Eigenschaften, Besonderheiten und historische Eigenart.

im Einzelnen:

  • den Kapitalismus und hier vor allem den modernen bürgerlichen Betriebskapitalismus, die „schicksalsvollste[...] Macht unsres modernen Lebens“ (1972b: 4);

  • den Staat, die Bürokratie und das Recht, die erst dem entstehenden Kapitalismus einen stabilen gesellschaftlichen Rahmen zu seiner Entfaltung sichern;

  • die Religion als Kultur, denn die Religion war und ist eine der größten Lebensführungsmächte auf der Welt.

    • Weber untersucht in vergleichender Absicht die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, um herauszufinden, was gerade im asketischen Protestantismus den Aufstieg Europas und der USA ermöglicht hat und umgekehrt, was in anderen Religionen und Regionen der Welt diesen Take-off zur Modernisierung behindert hat. Webers Thema ist wie bei Marx der moderne Kapitalismus

    • Es ist die Religion, die den Menschen sagt, was sie tun und lassen sollen, was sie sich wünschen und wollen dürfen, und wie sie auf ihrem beschwerlichen Weg das Leben meistern, ihre Ziele erfüllen und am Ende ins „Paradies“ kommen können.

Webers Ansatz ist nicht leicht auf den Begriff zu bringen, aber folgende Komponenten lassen sich nennen:

  • eine Handlungs-, Ordnungs- und Kulturtheorie, die das Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Kultur untersucht;

  • eine verstehende Soziologie als Methode, die Verstehen und Erklären mit idealtypischer Begriffsbildung unter dem Postulat der Werturteilsfreiheit zu kombinieren unternimmt;

  • eine universalhistorische Analyse, die Entstehung, Durchsetzung und Etablierung der westlichen Moderne auf der Basis historisch-komparativer Studien der institutionellen Konfiguration des Okzidents zum Gegenstand hat

Was war Max Webers Forschungsprogramm?

“Die Sozialwissenschaft, die wir treiben wollen, ist eine Wirklichkeitswissenschaft. Wir wollen die uns umgebende Wirklichkeit des Lebens, in welches wir hineingestellt sind, in ihrer Eigenart verstehen – den Zusammenhang und die Kulturbedeutung ihrer einzelnen Erscheinungen in ihrer heutigen Gestaltung einerseits, die Gründe ihres geschichtlichen So-und-nicht-anders-Gewordenseins andererseits, die Gründe ihres geschichtlichen So-und-nicht-anders-Gewordenseins andererseits.“

= Es geht um die Realität, nicht die Idealität des sozialen Lebens, und zwar nicht allgemein, generell oder gar universal wie im Falle des Studiums des gesellschaftlichen Lebens an und für sich, etwa im Sinne von „Der Mensch in der Gesellschaft“. Vielmehr geht es um die jeweilige Eigenart, den spezifischen Charakter, also die differentia specifica einer konkreten sozialen Wirklichkeit

d. h. um den Zusammenhang, die Kulturbedeutung, die Gestalt und die Entstehungsgründe ihrer einzelnen Erscheinungen.

Nach Weber ist Soziologie weder Kuötur- noch Naturwissenschaft. Bei den Sozialwissenschaften handelt es sich um eine dritte Kultur, die weder in der einen noch der anderen Kultur einseitig aufgeht. Seine eigene, dritte Lösung lautet: Erklären und Verstehen, oder kurz: erklärendes Verstehen.

  • Die Kausalanalyse gilt ihm als selbstverständlicher Bestandteil jeglichen erklärenden Verstehens. Nur warnt er vor einer Überschätzung von Gesetzeswissen

  • Aber: ob und inwiefern es Gesetze im sozialen Leben gibt und wir sie entdecken können, hilft es uns im Alltagsgeschäft soziologischen Verstehens nur bedingt weiter.

  • Tatsächlich ist die Feststellung von Ursache-Wirkungs-Relationen, von „Gesetzen“ und „Faktoren“ stets nur eine Vorarbeit. Im nächsten Schritt hat die individuelle Anordnung der „Faktoren“ sowie die Aufdeckung ihrer Bedeutsamkeit und ihres konkreten Zusammenwirkens zu erfolgen. Sodann muss man sich um eine historische Erklärung ihrer Entstehung bemühen, um schließlich „die Abschätzung möglicher Zukunftskonstellationen“ vorzunehmen zu können.

Was versteht Weber unter Soziologie?

Erklärendes Verstehen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.

=Handlungs-, Ordnungs- und Kulturtheorie

Handeln = jedes menschliche Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden

Soziales‘ Handeln = ein solches Handeln, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.

Und besteht aus:

  • Verstehen und erklären

  • Kausalanalyse

  • Idealtypus: Es gibt keine analytische Ausschöpfbarkeit der Wirklichkeit durch Begriffe. Das ist nicht nur eine Schimäre, sondern auch ein gefährliches, weil falsches Wissenschaftsideal. Ebenso naiv und falsch wäre es anzunehmen, dass Begriffe einfach Abbilder der Wirklichkeit sind. Begriffe sind vielmehr analytische Konstruktionen, die stets gesichtspunktabhängig bleiben und von einer Wertbeziehung, also letztlich den Wertideen abhängig sind.

    • Der Idealtypus „wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde

  • Werturteilsfreiheit: ist nach Webers Denkvoraussetzungen gar nicht möglich, denn Problem- und Fragestellungen empfangen die Sozialwissenschaften als Kulturwissenschaften von den sog. „Wertideen“, die eine „Wertbeziehung“ zwischen der Kultur und der soziologischen Arbeit stiften = Kulturwertideen, die den Sozialwissenschaften Perspektiven, Probleme, Themen, Ideen und Ideale, Visionen und Utopien vorgeben. Wertfreiehit spielt nur eine Rolle im Begründungszusammenhang, in dem wissenschaftliche Analysen möglichst objektiv, valide und reliabel durchgeführt werden sollen. Im Entstehungs- und Verwendungszusammenhang in dem Politik und Gesellschaft saß Recht suf Entscheidung was mit den Resultaten geschehen soll zu.

Welche war die berühmteste Schrift Webers und worum ging es dort?

Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus

-Ausgangspunkt seiner Analyse ist die empirische Beobachtung, dass Protestanten häufiger als Katholiken das Unternehmertum und die gebildeteren Arbeiterkreise stellen.

  • Woher rührt „spezifische Neigung zum ökonomischen Rationalismus“ bei den Protestanten?

  • laut Weber bedeutete sie im Alltag eine „unendlich lästige und ernstgemeinte Reglementierung der ganzen Lebensführung“.

  • Woher soll die behauptete Wahlverwandtschaft zwischen Religion und Wirtschaft, Puritanismus und Kapitalismus kommen?

Zur Beantwortung konstruiert Weber seinen Idealtyp vom „Geist des Kapitalismus“ = „Ideal des kreditwürdigen Ehrenmannes“ aka. Dem amerikanischen „Businessman“ als Nachfolgemodell des englischen „Gentleman“

  • geht es einzig und allein darum, mit ehrlichen Mitteln und durch unaufhörliches Streben sein Kapital zu vermehren.Kapitalbildung als Selbstzweck, so Weber (ebd.: 33), =” Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung“

  • Antwort zur Brücke zwischen Religion und Wirtschaft: Tüchtigkeit im Beruf. Die Reformation bringt eine mächtige moralische Aufwertung der Arbeit mit sich, wie er sowohl anhand von Luthers als auch von Calvins Berufskonzeption demonstriert. Das strukturkonservative Luthertum schließt Weber in der Folge aus, weil die lutherische Frömmigkeit („sola fide“ – allein der Glaube zählt) auf eine gottgewollte mystische Gefühlskultur zielt, die den Einzelnen im Alltag in seinem sozialen Status traditionalistisch festhält („Schuster, bleib bei Deinem Leisten!“) und folglich wenig für die ökonomische Dynamik leistet. Ganz anders die Lehre von Jean Calvin, denn die reformierte Frömmigkeit („fides efficax“ – nur der Glaube zählt, der wirkt) legt gottgewirktes, asketisches Handeln nahe = methodisch-rationale Lebensführung, die der Wirtschaft die entscheidende Dynamik stürmischer Entwicklung verleiht

  • Webers Augenmerk richtet sich daher auf die Berufsethik des asketischen Protestantismus. = Calvinismus, Pietismus, Methodismus, und die aus der Täuferbewegung hervorgegangenen Sekten (Baptisten, Mennoniten und Quäker).

  • ihn interessiert, warum und wie diese religiösen Ethiken die puritanische Berufsidee hervorgebracht haben, die in der Folge dem Kapitalismus die notwendige methodisch-rationale Lebensführung für seine Entstehung und Etablierung bereitgestellt hat. Im Zentrum des Calvinismus steht für Weber die Lehre von der Gnadenwahl.

  • Es ist die Prädestination = Vorherbestimmung durch Gott, wer in den Himmel und wer in die Hölle kommt. Gott gilt als „deus absconditus“, als unergründliches Wesen, das frei und willkürlich seine Entscheidung über die Verteilung von Seligkeit und Verdammnis der Menschen fällt – ungeachtet ihrer diesseitigen Verdienstes

  • Der Mensch ist vollkommen auf sich allein gestellt, soll gleichwohl zum Wohle Gottes wirken und kann nur hoffen, durch gottwohlgefällige Lebensführung die Gnade Gottes zur Rettung vor dem ewigen Höllenschicksal zu erringen. Die Folge ist die Entstehung eines religiösen Individualismus

—>(„Gott hilft dem, der sich selbst hilft!“), der „eine der wichtigsten geschichtlichen Grundlagen des modernen ‚Individualismus’“ (ebd.: 235) werden sollt

  • Anhand der Schriften von Richard Baxter untersucht er, wie die Puritaner im Alltag mit dieser Lehre umgegangen sind. Zwei Ratschläge waren es, die Baxter den Gläubigen empfahl:

  • 1. Die Umbiegung des Dogmas: Jeder hat sich für erwählt zu halten. Zweifel daran zeigen bereits, dass man den Anfechtungen des Teufels zu erliegen droht.

  • 2. Die Wahl der Mittel: „rastlose Berufsarbeit“ als ein Weg, um die eigenen Ängste abzubauen und die Selbstgewissheit zu erlangen, zu den „beati electi“, den glücklich Auserwählten Gottes, zu gehören. Der reine Calvinismus führt, wenn man ihn logisch zu Ende denkt, zu schicksalsergebenem Fatalismus, denn man kann ohnehin nichts für sein Seelenheil tun, da Gottes Ratschluss ja von jeher feststeht. Der baxterianische Puritanismus dagegen sorgt für eine axiologische Kehre, für die Drehung der Wirkung gegenüber dem Wollen im Glauben, um 180 Grad.

  • Statt fatalistischer Schicksalsergebenheit führt die Pflicht zur Selbsterwähltheit und rastloser Berufsarbeit zu aktiver Selbst- und Weltbeherrschung. Es dieser religiöse Bewährungsgedanke, der mittels methodisch-rationaler Lebensführung zur lebenslangen Kontrolle des Gnadenstandes in der Berufsarbeit zwingt. „Diese Rationalisierung der Lebensführung innerhalb der Welt im Hinblick auf das Jenseits war die Wirkung der Berufskonzeption des asketischen Protestantismus

  • Allen Religionen ist Reichtum suspekt, denn verdirbt er nicht den Charakter und führt zur Hybris der Menschen? Der Puritanismus macht darin keine Ausnahme, aber er verurteilt nur das Ausruhen auf dem Besitz oder seinen eitlen Genuss, nicht aber seine unbeschränkte Anhäufung. Denn der ökonomische Erfolg gilt ja als Zeichen der „Auserwähltheit“ durch Gott. Weber notiert daher den Hang zur Selbstgerechtigkeit der Puritaner, weil sie ökonomischen und religiösen Erfolg derart engführen. Die Zeit spielt eine Schlüsselrolle, denn „Zeit ist Geld“

  • Puritaner adeln harte, stetige und disziplinierte körperliche oder geistige Arbeit als Heilmittel wie als Schutz gegen ein „unclean life“: „Wer arbeitet, sündigt nicht“. Ebenso treiben sie die Arbeitsteilung voran, wenn denn Spezialisierung die Arbeitsleistung zu steigern verspricht. Berufsarbeit und nicht Arbeit an sich sowie Berufsmobilität stehen im Zentrum der religiösen Bewährungsethik, zumal sie Gottwohlgefälligkeit und Profitabilität kongenial zu kombinieren erlauben. Armut hingegen ist das Skandalon des Puritanismus. Der Arme zeigt schon durch seine Armut, dass er des Teufels ist

  • Protzerei dagegen ist verpönt. Angesichts des bescheidenen Konsums sind alle Kräfte auf die Produktion gerichtet, so dass die puritanische Lebensführung einer regelrechten Akkumulationsethik gleichkommt: „Kapitalbesitz durch asketischen Sparzwang“ – Webers (ebd.: 192) Version der „ursprünglichen Kapitalakkumulation“ (Karl Marx) und der Geburt des modernen Kapitalismus aus dem Geist des Puritanismus. Dennoch hat die Askese eine Schattenseite, so dass sich hier die Paradoxie der Wirkung gegenüber dem Wollen zeigt, denn die „Askese [ist, H.-P. M.] die Kraft, ‚die stets das Gute will und stets das Böse’ – das in ihrem Sinn Böse: den Besitz und seine Versuchungen – ‚schafft’

Zeitdiagnose nach Weber: „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein – wir müssen es sein.

Resultat seiner Studie lautet: „Einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, ist [...] geboren aus dem Geist der christlichen Askese.“ Deshalb spricht er auch nicht von „Kausalität“, sondern nur von einer „Wahlverwandtschaft“ zwischen Religion und Kultur, Reformation und Kapitalismus, Die Reformation bringt eine religiös inspirierte methodisch-rationale Lebensführung hervor, eine Wirtschafts- und Berufsethik, die zum Kapitalismus in seiner Entstehungszeit kongenial „gepasst“ hat.

Was sind zentraler Aspekte aus Max Webers Gesellschaftsdiagnose zur Moderne?

1. Webers Grundannahmen zur Moderne

Weber spricht nicht von „Gesellschaft“, sondern von Vergesellschaftung (wie Simmel), und untersucht institutionelle Differenzierung.

Die moderne Gesellschaft gliedert sich in Wertsphären (Sinnangebote) und Lebensordnungen (Institutionen).

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2. Zwei Säulen der Moderne: Kapitalismus & Religion

Religion: in traditionalen Gesellschaften prägend für Lebensführung, Kultur, Volkscharaktere.

Kapitalismus: in modernen Gesellschaften dominierend – durch Rationalisierung, Bürokratisierung und Technisierung.

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3. Folgen der Rationalisierung

a) Institutionell: Religion wird aus rationalem Diskurs verdrängt

Religion verliert Autorität an Wissenschaft (kognitiv), Kunst (expressiv), Moral (evaluativ).

b) Individuell: Lebensführung verliert religiöse Orientierung

Säkularisierte Gesellschaften jagen weltlichen Erfolgen nach („Erlebnisgesellschaft“).

Religion nur noch bei einer kleinen Minderheit relevant.

c) Gesellschaftlich: Wertsphären konkurrieren

Religion, Wirtschaft, Politik, Kunst, Liebe, Wissenschaft – alle mit eigener Logik, oft widersprüchlich.

Keine Übertragung von Werten möglich (z. B. Liebe ≠ wirtschaftliches Kalkül).

Folge: dauerhafte Spannungen und Wertkonflikte.

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4. Drei Schlussfolgerungen Webers

1. Pessimismus gegenüber Moderne:

Bürokratie + Kapitalismus = „stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit“, Verlust von Sinn & Einheit.

2. Pluralismus der Werte:

Es gibt keine gemeinsame Moral mehr, keine „Überwährung“ zur Harmonisierung.

3. Skepsis gegenüber individueller Sinnstiftung:

Fortschrittsglaube ist trügerisch. Der Mensch läuft im Dienst widersprüchlicher Kulturgüter leer.

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5. Berufsethik als letzter Anker

Beruf ≠ Selbstverwirklichung, sondern: Selbstbegrenzung, Dienst an der Sache.

Wahre Persönlichkeit zeigt sich in Treue zu letzten Werten – trotz pluraler Moderne.

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Cathérine C.

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