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Kognitive Entwicklung 07.05.

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by Frederik C.

Theorie kognitiver Entwicklung von Piaget

Zentrale Idee

Jean Piaget (1896–1980) entwickelte eine umfassende Theorie darüber, wie Kinder Denken und Intelligenz entwickeln.

Seine zentrale These:

Kinder konstruieren Wissen aktiv durch ihre eigene Neugier und Erfahrung mit der Umwelt.

Forschungsansatz

Piaget beobachtete intensiv das Verhalten seiner eigenen Kinder und entwickelte daraus seine Theorie.

Beispiel: Ein Kind tritt eine Glocke, sieht den Effekt – und testet dann dasselbe mit einem Ball. → Frühes Experimentieren mit Ursache und Wirkung.

Vier Stufen der kognitiven Entwicklung (diskontinuierlich & universell)

  1. Sensumotorische Phase (0–2 Jahre): Lernen durch Sinneswahrnehmung und Bewegung. Objektpermanenz entsteht.

  2. Präoperationale Phase (2–6 Jahre): Symbolisches Denken beginnt, aber Denken ist noch egozentrisch (andere Perspektiven werden kaum verstanden).

  3. Konkret-operationale Phase (7–11 Jahre): Kinder können logisch denken, aber nur in Bezug auf konkrete Dinge.

  4. Formal-operationale Phase (ab 12 Jahren): Entwicklung von abstraktem, hypothetischem Denken (z. B. Wenn-dann-Schlüsse).

Grundprinzipien des Denkens nach Piaget

  • Denken löst sich schrittweise von direkter Wahrnehmung.

    • immer mehr differenziertere Lösungsformen auf abstrakt-begrifflicher Grundlage

  • Kinder sind aktive Konstrukteure ihres Wissens.

  • Sie bilden Hypothesen, Experimentieren und ziehen Schlüsse.

Kernprozesse: Assimilation & Akkommodation

  • Schema: Denkstruktur zur Einordnung von Erfahrungen.

  • Assimilation: Neue Information wird in ein vorhandenes Schema eingeordnet. → z. B. Ein Kind sieht einen kleinen Hund und sagt: „Wauwau!“

  • Akkommodation: Schema wird angepasst, wenn es nicht mehr passt. → z. B. Kind sieht eine Katze, denkt erst „Wauwau“, merkt aber, sie miaut – neues Schema „Miau“ entsteht.

  • Ziel ist ein kognitives Gleichgewicht (Äquilibrium) – ein inneres „Verstanden-haben“. Ungleichgewicht (Disäquilibrium) motiviert zur Anpassung des Denkens.

Fazit:

Piagets Theorie zeigt, wie Denken sich in Stufen entwickelt – vom konkreten Handeln hin zu abstraktem, logischem Denken. Kinder sind dabei keine „leeren Gefäße“, sondern aktive Entdecker ihrer Welt.

Sensumotorische Phase nach Piaget

1. Sensumotorische Phase (0–2 Jahre)

  • Denken entsteht durch Sinneseindrücke und Handlungen (z. B. Greifen, Sehen, Hören).

  • Kinder denken noch nicht mit inneren Bildern oder Begriffen, sondern durch Handeln mit der Umwelt.

  • In dieser Phase entwickelt sich schrittweise:

    • Verständnis von Ich vs. Umwelt

    • Raum, Zeit, Ursache-Wirkung

    • Erste logische Vorformen

Wichtige Begriffe und Phänomene

  • Objektpermanenz: → Verständnis, dass Dinge weiter existieren, auch wenn man sie gerade nicht sieht (ab ca. 6–8 Monate).

  • A-non-B-Suchfehler: → Ein Kind sucht einen versteckten Gegenstand an der alten Stelle, obwohl es gesehen hat, dass er an einem neuen Ort versteckt wurde. → Piaget erklärte das mit noch fehlender Trennung von Wahrnehmung und Handlung.

Frühe Formen des Lernens (empirische Forschung)

  • Assoziatives Lernen: → Säuglinge erkennen Zusammenhänge zwischen Reizen, z. B. Geruch von Milch = gleich kommt Nahrung.

  • Kontingenzlernen: → Sie lernen, dass ihr eigenes Verhalten Folgen hat (z. B. Strampeln bewegt ein Mobile).

  • Habituation: → Gewöhnung an wiederholte Reize – Zeichen für Gedächtnis und Aufmerksamkeit. → Wird in vielen Baby-Studien genutzt, um zu testen, ob sie etwas wiedererkennen.

Kernwissen („Core Knowledge“)

  • Säuglinge haben angeborenes Wissen über grundlegende physikalische und soziale Regeln:

    • z. B. Objekte dürfen nicht schweben (Schwerkraft), andere Menschen haben Absichten.

  • Dieses Wissen ist vermutlich evolutionsbiologisch angelegt.

Erkenntnis über das Selbst

  • Bereits Neugeborene haben ein Gefühl für das eigene „Ich“ (Selbst-Einheit).

  • Sie reagieren gezielt auf Reize wie Stimmen, Gesichter oder Gerüche und organisieren ihr Verhalten danach.

Fazit

  • Piaget zeigte, dass Kinder von Anfang an aktiv „mitdenken“, aber viele Kompetenzen wurden später unterschätzt.

  • Neuere Forschung zeigt: Auch Säuglinge verfügen über erstaunliche Fähigkeiten, etwa beim Erkennen von Zusammenhängen, sozialen Signalen und physikalischen Regeln.

Präoperationale Phase nach Piaget

1. Allgemeine Merkmale der präoperationalen Phase (2–6 Jahre)

  • Kinder beginnen, mit Symbolen und Sprache zu denken. → Sie verstehen z. B., dass ein Wort („Ball“) für ein Objekt stehen kann.

  • Denken ist aber noch stark an konkrete Wahrnehmungen und Handlungen gebunden.

  • Abstrakte, logische Denkprozesse (wie Mengenverständnis oder Umkehrbarkeit) sind noch nicht möglich – daher „prä-operational“.

2. Typische Denkweisen und Begrenzungen

Egozentrisches Denken:

  • Kinder können sich noch nicht gut in andere hineinversetzen.

  • Beispiel: Ein Kind nickt am Telefon – es versteht noch nicht, dass der andere es nicht sehen kann.

  • Drei-Berge-Versuch: Das Kind beschreibt nur, was es selbst sieht, nicht was der andere sieht.

Animistisches Denken:

  • Kinder schreiben unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften zu.

  • Beispiel: „Der Baum hat sein Blatt runtergeschubst.“

Zentrierung:

  • Kinder konzentrieren sich auf ein auffälliges Merkmal und übersehen andere wichtige Informationen.

  • Beispiel (Piagets Mengenexperiment): Ein Kind sieht zwei gleiche Mengen Wasser. Wird das Wasser in ein höheres Glas umgefüllt, denkt das Kind: „Jetzt ist mehr drin“ – weil es sich nur auf die Höhe konzentriert.

3. Empirische Einordnung – Rolle der Hirnreifung

  • Neuere Studien (z. B. Poirel et al., 2012) zeigen: Die Fähigkeit zu logischem Denken (z. B. Mengenerhaltung) hängt auch mit der Reifung des Gehirns, insbesondere des präfrontalen Kortex, zusammen. → Kinder müssen erst lernen, irrelevante Reize zu hemmen (z. B. die Höhe des Glases nicht überzubewerten).

Fazit:

In der präoperationalen Phase denkt das Kind bereits symbolisch und sprachlich, ist aber noch stark auf konkrete Reize fixiert.

Typische Denkfehler (Egozentrismus, Animismus, Zentrierung) zeigen, dass logisches Denken sich noch entwickelt – oft parallel zur Gehirnreifung.

Konkret-operationale Phase nach Piaget

1. Konkret-operationale Phase (7–11 Jahre) – Jean Piaget

In dieser Phase beginnt das Kind, logisch und strukturiert zu denken, aber noch bezogen auf konkrete Inhalte (nicht abstrakt oder hypothetisch).

Wichtige Merkmale:

  • Reversibilität: Kinder verstehen, dass man Denkprozesse umkehren kann (z. B. 3 + 2 = 5 → 5 − 2 = 3).

  • Mehrere Dimensionen gleichzeitig einbeziehen: z. B. Farbe und Größe.

  • Perspektivübernahme: Das Kind kann sich nun besser in andere hineinversetzen.

Neue kognitive Fähigkeiten:

  • Klassifikation: Dinge können mehreren Kategorien zugeordnet werden (z. B. jemand ist gleichzeitig Vater und Sohn).

  • Seriation: Objekte nach Merkmalen ordnen (z. B. Stäbchen der Größe nach sortieren).

  • Transitivität: Logisches Schließen über Relationen (z. B. Wenn A > B und B > C, dann ist A > C).

2. Entwicklung ist individuell verschieden

  • Übergänge zwischen Piagets Phasen sind nicht scharf, sondern fließend.

  • Große Unterschiede je nach:

    • Genetik

    • Lernerfahrung

    • Domänenspezifischem Wissen (z. B. Mathe vs. Sprache)

3. Soziokulturelle Theorie – Lev Vygotsky

Vygotsky betont die Rolle sozialer Interaktion und Sprache beim Denkenlernen.

Wichtige Konzepte:

  • Wissen entsteht im Dialog mit anderen (z. B. durch Gespräche mit Eltern, Lehrern, älteren Kindern).

  • Private speech (Selbstgespräche) hilft beim Denken und Problemlösen.

  • Scaffolding (abgestufte Unterstützung): → Erwachsene helfen Kindern zunächst stark, dann immer weniger – je nach Lernfortschritt.

  • Zone der proximalen Entwicklung: → Bereich, in dem das Kind mit Hilfe etwas leisten kann, was es allein noch nicht schafft. → Effektives Lernen findet innerhalb dieser Zone statt.

Fazit:

Im Grundschulalter entwickeln Kinder logisches, flexibleres Denken, das aber noch an konkrete Inhalte gebunden ist (laut Piaget).

Vygotsky ergänzt: Lernen geschieht am besten sozial und sprachlich vermittelt, durch unterstützendes Miteinander (scaffolding).

Formal-operationale Phase

1. Formal-operationale Phase (ab 12 Jahren) – Jean Piaget

In dieser Phase entwickelt sich die Fähigkeit zu abstraktem und hypothetischem Denken. Das bedeutet:

  • Abstraktes Denken: Kinder und Jugendliche können über Dinge nachdenken, die sie nicht direkt sehen oder anfassen können (z. B. Gerechtigkeit, Freiheit, Zukunft).

  • Hypothetisches Denken: Sie können systematisch Alternativen durchdenken, z. B. „Was wäre, wenn …?“

  • Planungsfähigkeit und logisches Argumentieren nehmen zu.

2. Neue Denkfähigkeiten

  • Abstrakte Perspektivübernahme: Sie können sich nun auch in fremde, gesellschaftliche oder moralische Perspektiven hineinversetzen (z. B. “Wie geht es Geflüchteten?”).

  • Operationen zweiter Ordnung: Jugendliche können über das Denken selbst nachdenken, also z. B. Argumentationsstrukturen reflektieren.

3. Empirische Erkenntnisse – nicht alle erreichen diese Phase

  • Viele Jugendliche (und auch Erwachsene) erreichen nicht durchgängig die formal-operationale Denkweise.

  • Ob und wann das passiert, hängt stark von:

    • Lernumfeld

    • Kultur und Bildung

    • Trainingsmöglichkeiten ab

4. Hirnentwicklung im Jugendalter

  • Die Reifung des präfrontalen Cortex (zuständig für Planung, Kontrolle, Organisation) ist erst mit ca. 22–25 Jahren abgeschlossen.

  • Beispiel Anna: Sie will ihre Aufgaben planen, ist aber oft überfordert, weil die nötigen Hirnfunktionen (Exekutivfunktionen) noch reifen.

5. Informationsverarbeitungstheorie – Exekutivfunktionen

  • Exekutivfunktionen sind Denkprozesse, die zielgerichtetes Verhalten steuern, z. B.:

    • Kognitive Flexibilität (zwischen Aufgaben wechseln)

    • Arbeitsgedächtnis (Ziele setzen, Überblick behalten)

    • Impulskontrolle (nicht ablenken lassen)

  • Diese Fähigkeiten sind entscheidend für Selbstorganisation, Lernen und Alltag – und reifen langsam bis ins junge Erwachsenenalter.

Fazit:

Ab ca. 12 Jahren entwickeln Jugendliche die Fähigkeit zu abstraktem, logischem und reflektiertem Denken – aber nicht alle gleich schnell.

Die Hirnreifung und der Ausbau der Exekutivfunktionen erklären, warum Jugendliche zwar theoretisch planen können, aber praktisch noch Unterstützung und Struktur brauchen.

Author

Frederik C.

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