Definiere Kognitive Entwicklung
Die Entwicklung all jener Funktionen, die dem Erkennen und Erfassen der Gegenstände und Personen der Umgebung und der eigenen Person gelten
Intelligenz bzw Denken
Wahrnehmung
Problemlösen
Gedächtnis
Sprache
Neurogenese
Neurogenese – Bildung von Nervenzellen
Neurogenese bedeutet: Bildung neuer Neuronen (Nervenzellen) durch Zellteilung.
Sie beginnt etwa am 19.–21. Tag nach der Befruchtung, wenn sich das Neuralrohr (Vorläufer des Gehirns und Rückenmarks) gebildet hat.
Ab dann entstehen bis zu 250.000 Neuronen pro Minute – eine extrem schnelle Zellproduktion.
Wanderung und Verteilung
Die frisch gebildeten Neuronen migrieren (also „wandern“) in die Regionen des sich entwickelnden Gehirns, wo sie später ihre Funktion übernehmen.
Wann ist die Neurogenese abgeschlossen?
Nach etwa 18 Wochen Schwangerschaft ist die Hauptphase der Neurogenese beendet.
Der Fötus hat zu diesem Zeitpunkt fast so viele Neuronen wie ein Erwachsener (ca. 100 Milliarden).
Fazit:
Die Grundstruktur des Gehirns entsteht sehr früh in der Schwangerschaft – und zwar mit rasanter Geschwindigkeit. Die spätere Entwicklung betrifft vor allem Vernetzung, Spezialisierung und Erfahrungseinflüsse.
Synaptogenese
Synaptogenese – Bildung von Verbindungen im Gehirn
Synaptogenese ist der Prozess, bei dem Synapsen entstehen – also Verbindungsstellen zwischen Neuronen.
Das ermöglicht, dass Nervenzellen miteinander kommunizieren können.
Wie läuft das ab?
Nachdem die Neuronen ihren Platz im Gehirn erreicht haben, beginnen sie zu wachsen und sich zu verzweigen. → Dabei entstehen Axone (leiten Signale weiter) und Dendriten (empfangen Signale) – dieser Prozess heißt Arborisierung.
Dabei entstehen Billionen von Synapsen.
Wann passiert das?
Die Synaptogenese beginnt bereits vor der Geburt.
Besonders im Kortex ist sie nach der Geburt sehr intensiv – hier spielt die Erfahrung eine große Rolle.
Die Entwicklung des Gehirns ist ein Zusammenspiel von Anlage (Biologie) und Umwelt (Erfahrung).
Synaptogenese sorgt dafür, dass aus den gebildeten Neuronen ein vernetztes, funktionierendes Gehirn wird.
Myelinisierung
Myelinisierung – „Isolierung“ der Nervenleitungen
Myelinisierung bezeichnet die Bildung einer Myelinschicht um bestimmte Axone (= Nervenfasern).
Diese Schicht wirkt wie eine elektrische Isolierung und sorgt dafür, dass Nervenimpulse schneller und effizienter weitergeleitet werden.
Die Myelinisierung beginnt vor der Geburt und dauert bis ins frühe Erwachsenenalter an.
Sie startet im Hirnstamm (tiefer liegende Hirnregionen) und wandert langsam nach außen in Richtung Cortex.
Die Myelinschicht ist wichtig für eine schnelle Reizleitung im Gehirn. Ihre langsame Entwicklung erklärt auch, warum viele Fähigkeiten (z. B. komplexes Denken oder Selbstkontrolle) erst im Jugend- oder Erwachsenenalter voll ausgereift sind.
Theorie kognitiver Entwicklung von Piaget
Zentrale Idee
Jean Piaget (1896–1980) entwickelte eine umfassende Theorie darüber, wie Kinder Denken und Intelligenz entwickeln.
Seine zentrale These:
Kinder konstruieren Wissen aktiv durch ihre eigene Neugier und Erfahrung mit der Umwelt.
Forschungsansatz
Piaget beobachtete intensiv das Verhalten seiner eigenen Kinder und entwickelte daraus seine Theorie.
Beispiel: Ein Kind tritt eine Glocke, sieht den Effekt – und testet dann dasselbe mit einem Ball. → Frühes Experimentieren mit Ursache und Wirkung.
Vier Stufen der kognitiven Entwicklung (diskontinuierlich & universell)
Sensumotorische Phase (0–2 Jahre): Lernen durch Sinneswahrnehmung und Bewegung. Objektpermanenz entsteht.
Präoperationale Phase (2–6 Jahre): Symbolisches Denken beginnt, aber Denken ist noch egozentrisch (andere Perspektiven werden kaum verstanden).
Konkret-operationale Phase (7–11 Jahre): Kinder können logisch denken, aber nur in Bezug auf konkrete Dinge.
Formal-operationale Phase (ab 12 Jahren): Entwicklung von abstraktem, hypothetischem Denken (z. B. Wenn-dann-Schlüsse).
Grundprinzipien des Denkens nach Piaget
Denken löst sich schrittweise von direkter Wahrnehmung.
immer mehr differenziertere Lösungsformen auf abstrakt-begrifflicher Grundlage
Kinder sind aktive Konstrukteure ihres Wissens.
Sie bilden Hypothesen, Experimentieren und ziehen Schlüsse.
Kernprozesse: Assimilation & Akkommodation
Schema: Denkstruktur zur Einordnung von Erfahrungen.
Assimilation: Neue Information wird in ein vorhandenes Schema eingeordnet. → z. B. Ein Kind sieht einen kleinen Hund und sagt: „Wauwau!“
Akkommodation: Schema wird angepasst, wenn es nicht mehr passt. → z. B. Kind sieht eine Katze, denkt erst „Wauwau“, merkt aber, sie miaut – neues Schema „Miau“ entsteht.
Ziel ist ein kognitives Gleichgewicht (Äquilibrium) – ein inneres „Verstanden-haben“. Ungleichgewicht (Disäquilibrium) motiviert zur Anpassung des Denkens.
Piagets Theorie zeigt, wie Denken sich in Stufen entwickelt – vom konkreten Handeln hin zu abstraktem, logischem Denken. Kinder sind dabei keine „leeren Gefäße“, sondern aktive Entdecker ihrer Welt.
Sensumotorische Phase nach Piaget
1. Sensumotorische Phase (0–2 Jahre)
Denken entsteht durch Sinneseindrücke und Handlungen (z. B. Greifen, Sehen, Hören).
Kinder denken noch nicht mit inneren Bildern oder Begriffen, sondern durch Handeln mit der Umwelt.
In dieser Phase entwickelt sich schrittweise:
Verständnis von Ich vs. Umwelt
Raum, Zeit, Ursache-Wirkung
Erste logische Vorformen
Wichtige Begriffe und Phänomene
Objektpermanenz: → Verständnis, dass Dinge weiter existieren, auch wenn man sie gerade nicht sieht (ab ca. 6–8 Monate).
A-non-B-Suchfehler: → Ein Kind sucht einen versteckten Gegenstand an der alten Stelle, obwohl es gesehen hat, dass er an einem neuen Ort versteckt wurde. → Piaget erklärte das mit noch fehlender Trennung von Wahrnehmung und Handlung.
Frühe Formen des Lernens (empirische Forschung)
Assoziatives Lernen: → Säuglinge erkennen Zusammenhänge zwischen Reizen, z. B. Geruch von Milch = gleich kommt Nahrung.
Kontingenzlernen: → Sie lernen, dass ihr eigenes Verhalten Folgen hat (z. B. Strampeln bewegt ein Mobile).
Habituation: → Gewöhnung an wiederholte Reize – Zeichen für Gedächtnis und Aufmerksamkeit. → Wird in vielen Baby-Studien genutzt, um zu testen, ob sie etwas wiedererkennen.
Kernwissen („Core Knowledge“)
Säuglinge haben angeborenes Wissen über grundlegende physikalische und soziale Regeln:
z. B. Objekte dürfen nicht schweben (Schwerkraft), andere Menschen haben Absichten.
Dieses Wissen ist vermutlich evolutionsbiologisch angelegt.
Erkenntnis über das Selbst
Bereits Neugeborene haben ein Gefühl für das eigene „Ich“ (Selbst-Einheit).
Sie reagieren gezielt auf Reize wie Stimmen, Gesichter oder Gerüche und organisieren ihr Verhalten danach.
Fazit
Piaget zeigte, dass Kinder von Anfang an aktiv „mitdenken“, aber viele Kompetenzen wurden später unterschätzt.
Neuere Forschung zeigt: Auch Säuglinge verfügen über erstaunliche Fähigkeiten, etwa beim Erkennen von Zusammenhängen, sozialen Signalen und physikalischen Regeln.
Präoperationale Phase nach Piaget
1. Allgemeine Merkmale der präoperationalen Phase (2–6 Jahre)
Kinder beginnen, mit Symbolen und Sprache zu denken. → Sie verstehen z. B., dass ein Wort („Ball“) für ein Objekt stehen kann.
Denken ist aber noch stark an konkrete Wahrnehmungen und Handlungen gebunden.
Abstrakte, logische Denkprozesse (wie Mengenverständnis oder Umkehrbarkeit) sind noch nicht möglich – daher „prä-operational“.
2. Typische Denkweisen und Begrenzungen
Egozentrisches Denken:
Kinder können sich noch nicht gut in andere hineinversetzen.
Beispiel: Ein Kind nickt am Telefon – es versteht noch nicht, dass der andere es nicht sehen kann.
Drei-Berge-Versuch: Das Kind beschreibt nur, was es selbst sieht, nicht was der andere sieht.
Animistisches Denken:
Kinder schreiben unbelebten Dingen menschliche Eigenschaften zu.
Beispiel: „Der Baum hat sein Blatt runtergeschubst.“
Zentrierung:
Kinder konzentrieren sich auf ein auffälliges Merkmal und übersehen andere wichtige Informationen.
Beispiel (Piagets Mengenexperiment): Ein Kind sieht zwei gleiche Mengen Wasser. Wird das Wasser in ein höheres Glas umgefüllt, denkt das Kind: „Jetzt ist mehr drin“ – weil es sich nur auf die Höhe konzentriert.
3. Empirische Einordnung – Rolle der Hirnreifung
Neuere Studien (z. B. Poirel et al., 2012) zeigen: Die Fähigkeit zu logischem Denken (z. B. Mengenerhaltung) hängt auch mit der Reifung des Gehirns, insbesondere des präfrontalen Kortex, zusammen. → Kinder müssen erst lernen, irrelevante Reize zu hemmen (z. B. die Höhe des Glases nicht überzubewerten).
In der präoperationalen Phase denkt das Kind bereits symbolisch und sprachlich, ist aber noch stark auf konkrete Reize fixiert.
Typische Denkfehler (Egozentrismus, Animismus, Zentrierung) zeigen, dass logisches Denken sich noch entwickelt – oft parallel zur Gehirnreifung.
Konkret-operationale Phase nach Piaget
1. Konkret-operationale Phase (7–11 Jahre) – Jean Piaget
In dieser Phase beginnt das Kind, logisch und strukturiert zu denken, aber noch bezogen auf konkrete Inhalte (nicht abstrakt oder hypothetisch).
Wichtige Merkmale:
Reversibilität: Kinder verstehen, dass man Denkprozesse umkehren kann (z. B. 3 + 2 = 5 → 5 − 2 = 3).
Mehrere Dimensionen gleichzeitig einbeziehen: z. B. Farbe und Größe.
Perspektivübernahme: Das Kind kann sich nun besser in andere hineinversetzen.
Neue kognitive Fähigkeiten:
Klassifikation: Dinge können mehreren Kategorien zugeordnet werden (z. B. jemand ist gleichzeitig Vater und Sohn).
Seriation: Objekte nach Merkmalen ordnen (z. B. Stäbchen der Größe nach sortieren).
Transitivität: Logisches Schließen über Relationen (z. B. Wenn A > B und B > C, dann ist A > C).
2. Entwicklung ist individuell verschieden
Übergänge zwischen Piagets Phasen sind nicht scharf, sondern fließend.
Große Unterschiede je nach:
Genetik
Lernerfahrung
Domänenspezifischem Wissen (z. B. Mathe vs. Sprache)
3. Soziokulturelle Theorie – Lev Vygotsky
Vygotsky betont die Rolle sozialer Interaktion und Sprache beim Denkenlernen.
Wichtige Konzepte:
Wissen entsteht im Dialog mit anderen (z. B. durch Gespräche mit Eltern, Lehrern, älteren Kindern).
Private speech (Selbstgespräche) hilft beim Denken und Problemlösen.
Scaffolding (abgestufte Unterstützung): → Erwachsene helfen Kindern zunächst stark, dann immer weniger – je nach Lernfortschritt.
Zone der proximalen Entwicklung: → Bereich, in dem das Kind mit Hilfe etwas leisten kann, was es allein noch nicht schafft. → Effektives Lernen findet innerhalb dieser Zone statt.
Im Grundschulalter entwickeln Kinder logisches, flexibleres Denken, das aber noch an konkrete Inhalte gebunden ist (laut Piaget).
Vygotsky ergänzt: Lernen geschieht am besten sozial und sprachlich vermittelt, durch unterstützendes Miteinander (scaffolding).
Formal-operationale Phase
1. Formal-operationale Phase (ab 12 Jahren) – Jean Piaget
In dieser Phase entwickelt sich die Fähigkeit zu abstraktem und hypothetischem Denken. Das bedeutet:
Abstraktes Denken: Kinder und Jugendliche können über Dinge nachdenken, die sie nicht direkt sehen oder anfassen können (z. B. Gerechtigkeit, Freiheit, Zukunft).
Hypothetisches Denken: Sie können systematisch Alternativen durchdenken, z. B. „Was wäre, wenn …?“
Planungsfähigkeit und logisches Argumentieren nehmen zu.
2. Neue Denkfähigkeiten
Abstrakte Perspektivübernahme: Sie können sich nun auch in fremde, gesellschaftliche oder moralische Perspektiven hineinversetzen (z. B. “Wie geht es Geflüchteten?”).
Operationen zweiter Ordnung: Jugendliche können über das Denken selbst nachdenken, also z. B. Argumentationsstrukturen reflektieren.
3. Empirische Erkenntnisse – nicht alle erreichen diese Phase
Viele Jugendliche (und auch Erwachsene) erreichen nicht durchgängig die formal-operationale Denkweise.
Ob und wann das passiert, hängt stark von:
Lernumfeld
Kultur und Bildung
Trainingsmöglichkeiten ab
4. Hirnentwicklung im Jugendalter
Die Reifung des präfrontalen Cortex (zuständig für Planung, Kontrolle, Organisation) ist erst mit ca. 22–25 Jahren abgeschlossen.
Beispiel Anna: Sie will ihre Aufgaben planen, ist aber oft überfordert, weil die nötigen Hirnfunktionen (Exekutivfunktionen) noch reifen.
5. Informationsverarbeitungstheorie – Exekutivfunktionen
Exekutivfunktionen sind Denkprozesse, die zielgerichtetes Verhalten steuern, z. B.:
Kognitive Flexibilität (zwischen Aufgaben wechseln)
Arbeitsgedächtnis (Ziele setzen, Überblick behalten)
Impulskontrolle (nicht ablenken lassen)
Diese Fähigkeiten sind entscheidend für Selbstorganisation, Lernen und Alltag – und reifen langsam bis ins junge Erwachsenenalter.
Ab ca. 12 Jahren entwickeln Jugendliche die Fähigkeit zu abstraktem, logischem und reflektiertem Denken – aber nicht alle gleich schnell.
Die Hirnreifung und der Ausbau der Exekutivfunktionen erklären, warum Jugendliche zwar theoretisch planen können, aber praktisch noch Unterstützung und Struktur brauchen.
Pros und Cons von Piagets Theorie
Pro (Stärken von Piagets Theorie):
Wegweisend: Erste umfassende Theorie zur kognitiven Entwicklung
Einzige “Grand Theory”, sonst eher domänenspezifisches Arbeiten
Kind als aktiver Lerner: Kinder konstruieren Wissen selbstständig durch Handlungen und Erfahrungen.
Empirische Grundlage: Viele Experimente und Beobachtungen, viele Erkenntnisse sind bis heute bestätigt.
Pädagogischer Nutzen: Piagets Theorie hatte großen Einfluss auf Schule und Bildung (z. B. Lernumgebungen, kindgerechtes Denken).
Stimulation der Forschung: Hat viele neue Forschungsfragen und Theorien angestoßen (z. B. Vygotsky, Neurokonstruktion).
Contra (Kritikpunkte):
Unterschätzung von Kindern: Jüngere Kinder können oft mehr, als Piaget ihnen zutraute (z. B. durch „Kernwissen“ belegt).
Zu starres Stufenmodell: Entwicklung verläuft oft fließend und individuell, nicht in klar getrennten Phasen.
Individuelle Unterschiede fehlen: Keine Berücksichtigung von Begabungen, sozialen Unterschieden oder kulturellen Einflüssen.
Soziale Interaktion unterbewertet: Die Rolle von Sprache, Eltern, Kultur wird kaum berücksichtigt (anders als bei Vygotsky).
Nicht für alle Bereiche gültig: Die Theorie ist sehr allgemein, während heute domänenspezifisches Denken (z. B. Mathe, Sprache) stärker betont wird.
Was sind die drei aktuellen Ansätze kognitiver Entwicklung?
Maturational Viewpoint:
Kognitive Entwicklung = Reifung des Gehirns
Gene steuern Hirnwachstum → dadurch entstehen kognitive Fähigkeiten.
Interactive Specialization:
Hirnfunktionen sind anfangs rudimentär
Durch Erfahrung und “skill learning” werden bestimmte neuronale Netzwerke spezialisierter
Entwicklung = Ergebnis von Lernen + Interaktion + Gehirnreifung
Neuroconstructivism:
Fähigkeiten entstehen durch dynamisches Zusammenspiel von Gehirn & Umwelt
Neuronale Schaltkreise formen sich allmählich durch Erfahrung
Entwicklung ist probabilistisch (d. h. abhängig von vielen Faktoren, nicht fix vorgegeben)
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