Was versteht man unter Change Blindness und was zeigt sie über die Rolle der Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung?
Change Blindness = Veränderungsblindheit
Menschen übersehen oft selbst deutliche Veränderungen in ihrer Umgebung
Ursache: fehlende oder unzureichende fokussierte Aufmerksamkeit
Wahrnehmung allein reicht nicht aus, um Veränderungen sicher zu erkennen
Gezielte Aufmerksamkeit auf Details ist notwendig für vollständige Verarbeitung
Wie definierte William James Aufmerksamkeit und welche zentralen Fragen sind in der Aufmerksamkeitsforschung offen?
Definition (William James, 1890):
Fokussierte Zuwendung auf ein Objekt/Gedankengang
Bewusste Konzentration erfordert Vernachlässigung anderer Reize
Gegenteil: verwirrter, zerstreuter Zustand
Aufmerksamkeit = selektive Fokussierung auf relevante Reize
Verarbeitungskapazität ist begrenzt
Offene Forschungsfragen:
Wie erfolgt Reizauswahl?
Welche Informationen sind entscheidend?
Auf welcher Stufe findet Selektion statt?
Können nicht ausgewählte Reize auch einen Effekt auf Verhalten zeigen?
Was zeigt das Cocktail Party Phänomen laut Colin Cherrys dichotischer Höraufgabe über die Funktion selektiver Aufmerksamkeit?
Cocktail Party Phänomen: selektive Aufmerksamkeit trotz vieler Störreize
Aufmerksamkeit kann gezielt auf eine Schallquelle (z. B. Gesprächspartner) gerichtet werden
Colin Cherry (1953): Dichotisches Hören – verschiedene Texte auf beiden Ohren
Aufgabe: Text auf einem Ohr nachsprechen (Beschattungsaufgabe)
Ergebnis:
Inhalte des beachteten Ohrs gut erinnert
Inhalte des unbeachteten Ohrs meist nicht bewusst wahrgenommen
Zeigt: starke Selektion durch Aufmerksamkeit
Welche Veränderungen in einer unbeachteten Hörbotschaft werden laut Cherry (1953) wahrgenommen – und welche nicht?
Inhalt der unbeachteten Botschaft wird kaum erinnert
Nur auffällige physikalische Merkmale werden bemerkt:
z. B. Dauerton, Wechsel des Sprecher-Geschlechts
Nicht bemerkt:
Sprachwechsel (z. B. Englisch → Deutsch)
Umgekehrte Bandlaufrichtung
Interpretation: Aufmerksamkeit erfasst physikalische Reizmerkmale eher als inhaltliche Bedeutung
Kognitive Verarbeitung unbeachteter Reize stark eingeschränkt
Was besagt das Early-Selection-Modell von Broadbent und wie wurde es durch Moray (1959) in Frage gestellt?
Broadbent (1952, 1958): Early-Selection-Modell
Frühe Auswahl der Reize erfolgt anhand physikalischer Merkmale (z. B. Tonhöhe, Richtung, Stimme)
Nicht ausgewählte Reize werden komplett ausgeblendet („Alles-oder-nichts“-Modell)
Kritik von Moray (1959):
Hoch relevante Reize (z. B. eigener Name) dringen trotzdem ins Bewusstsein
→ Cocktail Party Effekt widerspricht vollständiger Filterung
Zeigt Grenzen des frühen Aufmerksamkeitsfilters
Welche Befunde sprechen gegen eine rein physikalisch basierte frühe Selektion bei der auditiven Aufmerksamkeit?
• Dichotisches Hören: bedeutungstragende Phrasen werden über beide Ohren verteilt präsentiert
• Versuchspersonen reproduzieren Inhalte inhaltlich sinnvoll, nicht strikt ohrgetreu
• Beispiel: „Who goes there“ statt „Who – Six – One“
• Bedeutungsbezogene Verarbeitung offenbar auch ohne bewusste Aufmerksamkeit möglich
• Fazit: Semantische Verarbeitung kann bereits vor oder parallel zur Selektion stattfinden
• Early-Selection-Modell muss überarbeitet werden
Wie unterscheidet sich das Attenuation Model von Anne Treisman vom ursprünglichen Early-Selection-Modell?
• Anne Treisman (1964): Revision von Broadbents Early-Selection-Modell
• Kritik: Unbeachtete Informationen können trotzdem teilweise verarbeitet werden
• Attenuation Model: keine vollständige Filterung, sondern Abschwächung (Dämpfung) irrelevanter Reize
• Bedeutungsvolle Reize (z. B. eigener Name) können trotz geringer Gewichtung durchdringen
• Modell erklärt semantische Effekte bei nicht-beachteten Reizen besser
Was besagt das Late-Selection-Modell von Deutsch & Deutsch über die Verarbeitung und Auswahl von Reizen?
Deutsch & Deutsch (1963): alle Reize werden semantisch (inhaltlich) verarbeitet
Selektion erfolgt erst nach Bedeutungsverarbeitung, auf späten Gedächtnisebenen
Relevanz eines Reizes wird durch Bedeutung, nicht durch physikalische Merkmale bestimmt
Auch nicht bewusst beachtete Reize können Verhalten beeinflussen
Beleg durch subliminales Priming: unbewusste Reize aktivieren verhaltensrelevante Inhalte
Beispiel: subliminale Werbung
Unterschwellige Präsentation (1ms, alle 5 Sek.) von “Eat popcorn”, “Drink Coke”, in Kinofilmen
Steigerung der Verkäufe vpon Popcorn (58%) und Coke (18%)
Wie unterstützt das Experiment von Dehaene et al. (1998) das Late-Selection-Modell und was wirft es für Fragen auf?
Dehaene et al. (1998): Priming-Experiment mit Zahlenformaten
Aufgabe: Entscheiden, ob Zahl größer oder kleiner als 5
Vorher: subliminale Präsentation (z. B. „9“ oder „NINE“)
Ergebnisse: Priming beeinflusst Reaktionszeit trotz fehlender bewusster Wahrnehmung
Befund unterstützt Late-Selection-Modell → semantische Verarbeitung ohne Aufmerksamkeit
Frage: Unterscheiden sich Early- und Late-Selection-Ergebnisse je nach Untersuchungsparadigma?
Was besagt die Perceptual Load Theory von Lavie und wie wurde sie experimentell nachgewiesen?
Lavie (1995, 2000, 2005): Perceptual Load Theory vereint Early- & Late-Selection-Modelle
Selektion hängt von Belastung des Wahrnehmungssystems ab, nicht von einem festen Filterort
Hohe perzeptuelle Belastung → Early Selection (weniger Verarbeitung ablenkender Reize)
Niedrige Belastung → Late Selection (mehr Verarbeitung auch irrelevanter Reize)
Experiment:
Aufgabe: X oder Z identifizieren (Zielreiz in der Mitte)
UV 1: Wahrnehmungsbelastung (wenige vs. viele Reize)
UV 2: Kompatibilität ablenkender Reize (incompatible vs. neutral)
Befund: Ablenkung wirkt stärker bei niedriger Belastung → spricht für flexible Selektion
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