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7. Vorlesung Selektive Wahrnehmung Teil 2

FC
by Frederik C.

Was zeigte Lavies Experiment zur Flankierungsaufgabe über den Einfluss perzeptueller Anforderungen auf den Zeitpunkt der Reizselektion?

  • Fragestellung: Erfolgt die Auswahl relevanter Reize früh, spät oder abhängig von der Aufgabe?

  • Experimentelle Aufgabe: Flankierungsaufgabe mit Zielbuchstaben („x“ → R1, „z“ → R2)

    • Geringe perzeptuelle Anforderungen: Zielreiz steht allein

    • Hohe perzeptuelle Anforderungen: Zielreiz eingebettet in Zufallsbuchstaben

    • Flankierreize oben/unten → kompatibel oder inkompatibel

  • Ergebnisse:

    • Geringe Anforderungen → starker Flankierungseffekt (452 vs. 501 ms)

    • Hohe Anforderungen → kleinerer Flankierungseffekt (594 vs. 613 ms)

  • Interpretation:

    • Je höher die perzeptuelle Belastung, desto früher erfolgt die Selektion

    • Bei niedriger Belastung bleibt mehr Kapazität für irrelevante Reize

  • Widerspruch zur Lichtkegelmetapher: Selektion ist nicht konstant, sondern flexibel

Beispiel: Suche nach einem Buchstaben auf einem Bildschirm

Stell dir vor, du machst ein Reaktionstest-Spiel am Computer:

Variante 1:

Leicht (geringe Anforderungen)

Du siehst auf dem Bildschirm nur einen einzigen Buchstaben in der Mitte:

z

Oben und unten steht jeweils ein weiterer Buchstabe:

x

z

Deine Aufgabe:

Wenn in der Mitte ein „z“ steht, drück Taste 1.

Wenn ein „x“ steht, drück Taste 2.

➡ Die Aufgabe ist leicht, weil du den Zielbuchstaben sofort erkennst.

➡ Du wirst aber trotzdem leicht durch die anderen Buchstaben abgelenkt, weil dein Gehirn noch Kapazität hat, sie mitzuverarbeiten.

➡ Ergebnis: längere Reaktionszeit bei ablenkenden Buchstaben (Flankierungseffekt).

Variante 2:

Schwer (hohe Anforderungen)

Jetzt steht der Zielbuchstabe in der Mitte eingebettet in andere Buchstaben:

nkzmsv

Oben und unten stehen wieder Flankierer:

x

z

➡ Du musst dich mehr anstrengen, um den „z“ in der Mitte zu erkennen.

➡ Dadurch ist dein Gehirn voll mit dem Ziel beschäftigt und verarbeitet die flankierenden Buchstaben kaum noch.

➡ Ergebnis: Ablenkung durch die Flankierer ist kleiner oder gar nicht mehr messbar.

Fazit:

Je anspruchsvoller die Hauptaufgabe, desto weniger wird deine Aufmerksamkeit von Störreizen abgezogen.

Das nennt man:

👉 anforderungsabhängige Selektion (wie in Lavies Theorie)

Was zeigt LaBerges Experiment zur Buchstaben- und Wortverarbeitung über das Gradientenmodell der Aufmerksamkeit?

  • Visuelle Aufmerksamkeit kann als Gradient verstanden werden:

    • Stärkste Verarbeitung im Zentrum, schwächer zur Peripherie

    • Keine harte Grenze, sondern kontinuierlicher Abfall der „Auflösungskraft“

  • LaBerge (1983): Test mit Fünfbuchstabenwörtern (z. B. TABLE, SUSAN)

    • Zwei Aufgaben:

      • Wortaufgabe: Ist das Wort ein Name oder ein Gegenstand?

      • Buchstabenaufgabe: Ist der mittlere Buchstabe vorne oder hinten im Alphabet?

    • In kritischen Durchgängen erscheint ein Testreiz (Z oder 7) an zufälliger Position

  • Ergebnisse:

    • Wortaufgabe: Reaktionszeiten gleich, unabhängig von Position

    • Buchstabenaufgabe: Schnellste Reaktion bei mittlerer Buchstabenposition, Reaktionszeit steigt zur Peripherie

  • Interpretation:

    • Bei breiter Aufmerksamkeit (Wort): gleichmäßige Verarbeitung

    • Bei enger Aufmerksamkeit (Buchstabe): Fokussierung auf die Mitte, Reize am Rand schlechter verarbeitet

    • → Beleg für Gradientenmodell der Aufmerksamkeit

Beispiel aus dem Alltag

Stell dir vor, du fährst mit dem Fahrrad durch die Stadt und siehst ein Straßenschild mit mehreren Informationen:

↔️ Zentrum (fokussiert):

In der Mitte steht:

„Bahnhofstraße“

➡ Du möchtest wissen, ob das dein Ziel ist – also konzentrierst du dich stark auf dieses Wort.

➡ Deine Aufmerksamkeit ist auf das Zentrum gerichtet.

⬅️➡️ Peripherie (nicht fokussiert):

Links daneben steht klein: „30 km/h“, rechts: „Schule“

➡ Diese Informationen nimmst du vielleicht nur schwach oder verzögert wahr.

➡ Je weiter entfernt vom Zentrum, desto schwächer ist die Verarbeitung.

💡 Verbindung zum Gradientenmodell:

Deine Aufmerksamkeit wirkt wie ein Lichtkegel mit Fokus in der Mitte:

  • Im Zentrum (Bahnhofstraße): volle Verarbeitungsleistung

  • Zur Seite hin (30 km/h, Schule): Auflösungskraft nimmt ab

  • Du verarbeitest also nicht alles gleich gut, sondern am besten dort, wo du gerade hinschaust

Was versteht man unter Neglect und Extinktion und wie unterscheiden sie sich von Halbseitenblindheit?

  • Neglect (Heilman, 1979):

    • Aufmerksamkeitsstörung nach Hirnläsion, meist rechter Parietallappen

    • Patient*innen reagieren nicht auf Reize auf der gegenüberliegenden (kontraläsionalen) Seite

    • Nicht durch Seh- oder Bewegungsstörung erklärbar

  • Typische klinische Beobachtungen:

    • Anstoßen an Objekte auf der betroffenen Seite

    • Rasieren/Schminken nur einer Gesichtshälfte

  • Extinktion:

    • Mildere Form oder Begleitphänomen von Neglect

    • Kontraläsionaler Reiz wird nur übersehen, wenn gleichzeitig ein ipsiläsionaler Reiz erscheint

  • Beides attentionale Störungen → zeigen, dass Aufmerksamkeit auch ortsbezogen organisiert ist

  • Differentialdiagnose: Abgrenzung von Halbseitenblindheit (visuelle Störung), da bei Neglect die Reize physisch wahrnehmbar wären, aber nicht beachtet werden

  • Halbseitenblindheit – in der Fachsprache auch Hemianopsie genannt – ist eine neurologische Sehstörung, bei der eine Hälfte des Gesichtsfeldes auf beiden Augen nicht mehr wahrgenommen wird. Sie ist also kein Aufmerksamkeitsproblem wie Neglect oder Extinktion, sondern ein visueller Ausfall, z. B. durch eine Schädigung der Sehbahn oder des visuellen Kortex.

(🧠 Beispiel: Rechte Hemianopsie

(Betroffen ist die rechte Gesichtsfeldhälfte beider Augen)

  • Patient sieht alles links normal.

  • Alles, was rechts vom Blickzentrum liegt, nimmt er nicht mehr wahr.

  • Er weiß aber, dass ihm etwas fehlt, und dreht aktiv den Kopf nach rechts, um zu kompensieren.)

Beispiel Neglext und Extinktion

🧠 1.Neglect (Vernachlässigung)

Beispiel:

Ein Patient sitzt am Frühstückstisch. Auf dem Tisch stehen:

  • Rechts: ein Glas Wasser

  • Links: ein Teller mit Brot

Er trinkt das Wasser, beachtet das Brot aber nicht – er verhält sich so, als sei es nicht da.

Wenn man ihn fragt: „Was steht auf dem Tisch?“ sagt er nur: „Ein Glas Wasser.“

Erklärung:

  • Er nimmt alles auf der linken Seite (kontraläsional) nicht wahr, obwohl er sehen könnte.

  • Der Patient vernachlässigt also die kontraläsionale Raumhälfte – ständig, auch ohne Ablenkung.

🧠 2.Extinktion

Beispiel:

Du hältst dem Patienten nur links ein Löffelbild hoch – er erkennt es: „Ein Löffel!“

Dann zeigst du nur rechts ein Bild – auch das erkennt er: „Ein Messer!“

Aber:

Zeigst du beide Bilder gleichzeitig, sagt er nur: „Ein Messer!“ – das linke wird übersehen.

Erklärung:

  • Einzelreize links kann er wahrnehmen.

  • Gleichzeitig dargebotene Reize (rechts & links): Der rechte Reiz „unterdrückt“ die Wahrnehmung des linken.

  • Die Aufmerksamkeit wird durch den ipsiläsionalen Reiz (rechts) absorbiert – der kontraläsionale Reiz „verlöscht“ (→ Extinktion).

Author

Frederik C.

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