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Georg Simmel: Exkurs über dem Fremden

AG
by Adele G.

Der Fremde

📌 Georg Simmel: Der Fremde (aus: Soziologie, 1908)

🧠 Kernidee:

Der „Fremde“ ist nicht einfach ein Reisender, sondern eine soziale Figur, die gleichzeitig Nähe und Distanz zur Gruppe vereint.

🧭 1. Definition des Fremden

  • Fremder ≠ Wanderer, der nur kurz verweilt.

  • Fremder = Der, der bleibt, aber nie vollständig dazugehört.

    • Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden

  • Er ist räumlich anwesend, aber sozial nicht vollständig integriert.

📍 2. Nähe & Distanz

  • Der Fremde symbolisiert die Einheit von Nähe und Entferntheit.

    • Distanz: Er gehört nicht „ursprünglich“ zur Gruppe.

      • Der Fremde: Qualitäten, die aus ihm (Raum) nicht stammen, in ihn hineinträgt.

    • Nähe: Er lebt dauerhaft in der Gruppe.

    • ein Bewohner vom Sirius ist uns weder Nah noch Fern: er existiert für uns nicht

  • Paradox: „Der Nahe ist fern, der Ferne ist nah“.

    • Distanz im Verhältnis während räumlicher Nähe

🔁 3. Soziale Rolle & Wechselwirkung

  • Der Fremde ist Teil der Gruppe, aber nicht aus ihr hervorgegangen.

  • Vergleichbar mit Armen oder „inneren Feinden“gleichzeitig drinnen und draußen.

  • Seine Beziehung zur Gruppe ist positiv, aktiv, wechselseitig, nicht bloß Ausschluss.

💰 4. Wirtschaftliche Rolle: Der Fremde als Händler

  • Historisch erscheint der Fremde oft als Händler. Dies erfordert Produkte außerhalb des eigenen Kreises.

  • Handel hat immer Menschen, die außerhalb des geschlossenen Kreises agieren. Auch wenn Menschen wandern um Güter zu ksufen - so sind sie doch woanders Fremde.

  • Der Fremde wird gebraucht, weil er nicht an lokale Produktion gebunden ist.

  • Der Handel ermöglicht ihm wirtschaftliche Nische & Mobilität.

  • Beispiel: Europäische Juden

🏘️ 5. Kein „Bodenbesitzer“

  • Fremder besitzt weder physischen Boden noch ideellen sozialen „Boden“.

  • Auch in persönlichen Beziehungen bleibt er außenstehend, solange er als Fremder empfunden wird.

🔄 6. Beweglichkeit & Objektivität

  • Der Fremde ist nicht fixiert – er bleibt beweglich und objektiv.

  • Kann mit vielen in Kontakt treten, aber gehört keiner Gruppierung tiefgehend an.

  • Diese „Objektivität“ ist Teil seiner sozialen Funktion.

✍️ Merksatz (vereinfacht):

Der Fremde ist der, der bleibt – und doch nie ganz dazugehört.

Objektivität als soziale Funktion

📌 Georg Simmel: Der Fremde – Objektivität als soziale Funktion

🧠 Kernidee:

Die Objektivität des Fremden ist keine Gleichgültigkeit, sondern eine besondere, distanziert-engagierte Haltung, die durch seine soziale Nicht-Verwurzlung entsteht.

🧭 1. Objektivität des Fremden

  • Objektivität = Haltung, die Nähe und Distanz, Engagement und Unbeteiligtheit vereint.

  • Fremde sind nicht an lokale Interessen oder Gruppenbindungen gebunden.

  • Dadurch urteilen und handeln sie freier, neutraler, unabhängiger.

⚖️ 2. Beispiel: Fremde als Richter

  • In mittelalterlichen italienischen Städten wurden Richter von außen geholt.

  • Grund: Keine familiären oder parteilichen Verstrickungen → größere Objektivität.

🗣️ 3. Offenheit gegenüber Fremden

  • Menschen beichten Fremden oft Dinge, die sie engen Vertrauten verschweigen.

  • Grund: Fremde sind nicht in das soziale Netz eingebunden → geringere Angst vor Konsequenzen.

🧠 4. Objektivität ist aktive Freiheit

  • Fremde sind nicht passiv, sondern aktiv urteilende Beobachter.

  • Sie filtern individuelle Verzerrungen aus – ähnlich wie ein objektiver Forscher.

  • Sie haben eine gewisse Freiheit, die sie vorm präjudizieren schützt.

  • Diese Freiheit von Bindungen erlaubt eine besondere Klarheit und Unvoreingenommenheit.

⚠️ 5. Gefahr: Missbrauch der Rolle

  • Fremde gelten oft als Unruhestifter oder Aufwiegler in Konflikten.

  • Beispiel: Aufstände werden häufig „äußeren Hetzern“ zugeschrieben → Entschuldigung der Beteiligten.

  • Der Fremde kann – real oder fiktiv – als Katalysator sozialer Umbrüche erscheinen.

🌐 6. Nähe & Ferne im sozialen Verhältnis

  • Beziehungen zu Fremden basieren meist auf allgemeinen Gemeinsamkeiten (z. B. Menschsein, Gruppe).

  • Beziehungen zu Einheimischen basieren auf spezifischen, geteilten Erfahrungen oder Differenzen.

  • Je allgemeiner die geteilten Merkmale, desto weniger tiefgreifend und wirksam ist das Verhältnis.

✍️ Merksatz (vereinfacht):

Der Fremde ist objektiv, weil er nicht verstrickt ist – darin liegt seine Stärke, aber auch sein Risiko.

Nähe, Ferne und Allgemeinheit

📌 Georg Simmel: Der Fremde – Nähe, Ferne & Allgemeinheit

🧠 Kernidee:

Das Verhältnis zum Fremden ist durch eine besondere Mischung aus Nähe und Ferne geprägt – basierend auf allgemeinen Gemeinsamkeiten, nicht auf individueller Verbundenheit.

🔄 1. Nähe & Ferne durch „allgemeine Gemeinsamkeit“

  • Wenn Beziehungen auf allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten beruhen (z. B. Nationalität, Beruf, Menschsein), entsteht ein Gefühl von:

    • Nähe → gemeinsame Merkmale

    • Ferne → weil diese Merkmale nicht exklusiv sind, sondern viele betreffen

  • Folge: Beziehung wirkt zufällig, entindividualisiert, entwertet.

❤️ 2. Beispiel: Entfremdung in Liebesbeziehungen

  • In der Leidenschaft der beginnenden Beziehung wird diese als einmalig erlebt. Generalisierungsgedanken werden abgewehrt.

  • Entfremdung beginnt oft, wenn man merkt:

    „Das hätte auch mit jemand anderem passieren können.“

  • Diese Erkenntnis schwächt das Gefühl der Einzigartigkeit und fördert Distanz.

👤 3. Allgemeinheit als Ursache von Fremdheit

  • Selbst intime Beziehungen enthalten oft Elemente, die nicht exklusiv, sondern allgemein-menschlich sind.

  • Dies kann zu einer subtilen Fremdheit führen – auch ohne große Unterschiede.

⚔️ 4. Gegentyp: radikale Fremdheit ohne Gemeinsamkeit

  • Es gibt auch Fremdheit, bei der nicht einmal das Allgemeine geteilt wird:

    • z. B. Griechen vs. „Barbaren“ – dem Anderen wird das Menschsein abgesprochen.

  • In solchen Fällen ist keine Beziehung möglich – es handelt sich um reine Ausgrenzung. Nur eine Nicht-Beziehung.

🧬 5. Der Fremde als Typ, nicht als Individuum

  • Fremde werden nicht als Einzelne, sondern als Vertreter eines Typs wahrgenommen.

  • Ihr „Fremdsein“ ist generisch – z. B. als „die Juden“, „die Ausländer“, „die Zugezogenen“.

💰 6. Beispiel: Judensteuer im Mittelalter

  • Christliche Bürger: Steuer orientiert sich am Vermögen → individuell.

  • Jüdische Bürger: Feste Kopfsteuer → nicht individuell, sondern typisiert.

  • Grund: soziale Rolle nicht als Einzelner, sondern als „Jude“.

🧩 7. Fazit: Der Fremde als organisches Paradox

  • Der Fremde ist Teil der Gruppe, aber mit einer besonderen, nicht integrierbaren Rolle.

  • Sein Verhältnis zur Gruppe basiert auf einer Spannung zwischen Nähe und Ferne, die formgebend für seine soziale Position ist.

✍️ Merksatz (vereinfacht):

Der Fremde ist uns nah durch das Allgemeine – und fern, weil das Allgemeine nicht nur uns verbindet.

Author

Adele G.

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