Der Fremde
🧠 Kernidee:
Der „Fremde“ ist nicht einfach ein Reisender, sondern eine soziale Figur, die gleichzeitig Nähe und Distanz zur Gruppe vereint.
Fremder ≠ Wanderer, der nur kurz verweilt.
Fremder = Der, der bleibt, aber nie vollständig dazugehört.
Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden
Er ist räumlich anwesend, aber sozial nicht vollständig integriert.
Der Fremde symbolisiert die Einheit von Nähe und Entferntheit.
Distanz: Er gehört nicht „ursprünglich“ zur Gruppe.
Der Fremde: Qualitäten, die aus ihm (Raum) nicht stammen, in ihn hineinträgt.
Nähe: Er lebt dauerhaft in der Gruppe.
ein Bewohner vom Sirius ist uns weder Nah noch Fern: er existiert für uns nicht
Paradox: „Der Nahe ist fern, der Ferne ist nah“.
Distanz im Verhältnis während räumlicher Nähe
Der Fremde ist Teil der Gruppe, aber nicht aus ihr hervorgegangen.
Vergleichbar mit Armen oder „inneren Feinden“ – gleichzeitig drinnen und draußen.
Seine Beziehung zur Gruppe ist positiv, aktiv, wechselseitig, nicht bloß Ausschluss.
Historisch erscheint der Fremde oft als Händler. Dies erfordert Produkte außerhalb des eigenen Kreises.
Handel hat immer Menschen, die außerhalb des geschlossenen Kreises agieren. Auch wenn Menschen wandern um Güter zu ksufen - so sind sie doch woanders Fremde.
Der Fremde wird gebraucht, weil er nicht an lokale Produktion gebunden ist.
Der Handel ermöglicht ihm wirtschaftliche Nische & Mobilität.
Beispiel: Europäische Juden
Fremder besitzt weder physischen Boden noch ideellen sozialen „Boden“.
Auch in persönlichen Beziehungen bleibt er außenstehend, solange er als Fremder empfunden wird.
Der Fremde ist nicht fixiert – er bleibt beweglich und objektiv.
Kann mit vielen in Kontakt treten, aber gehört keiner Gruppierung tiefgehend an.
Diese „Objektivität“ ist Teil seiner sozialen Funktion.
Der Fremde ist der, der bleibt – und doch nie ganz dazugehört.
Objektivität als soziale Funktion
Die Objektivität des Fremden ist keine Gleichgültigkeit, sondern eine besondere, distanziert-engagierte Haltung, die durch seine soziale Nicht-Verwurzlung entsteht.
Objektivität = Haltung, die Nähe und Distanz, Engagement und Unbeteiligtheit vereint.
Fremde sind nicht an lokale Interessen oder Gruppenbindungen gebunden.
Dadurch urteilen und handeln sie freier, neutraler, unabhängiger.
In mittelalterlichen italienischen Städten wurden Richter von außen geholt.
Grund: Keine familiären oder parteilichen Verstrickungen → größere Objektivität.
Menschen beichten Fremden oft Dinge, die sie engen Vertrauten verschweigen.
Grund: Fremde sind nicht in das soziale Netz eingebunden → geringere Angst vor Konsequenzen.
Fremde sind nicht passiv, sondern aktiv urteilende Beobachter.
Sie filtern individuelle Verzerrungen aus – ähnlich wie ein objektiver Forscher.
Sie haben eine gewisse Freiheit, die sie vorm präjudizieren schützt.
Diese Freiheit von Bindungen erlaubt eine besondere Klarheit und Unvoreingenommenheit.
Fremde gelten oft als Unruhestifter oder Aufwiegler in Konflikten.
Beispiel: Aufstände werden häufig „äußeren Hetzern“ zugeschrieben → Entschuldigung der Beteiligten.
Der Fremde kann – real oder fiktiv – als Katalysator sozialer Umbrüche erscheinen.
Beziehungen zu Fremden basieren meist auf allgemeinen Gemeinsamkeiten (z. B. Menschsein, Gruppe).
Beziehungen zu Einheimischen basieren auf spezifischen, geteilten Erfahrungen oder Differenzen.
Je allgemeiner die geteilten Merkmale, desto weniger tiefgreifend und wirksam ist das Verhältnis.
Der Fremde ist objektiv, weil er nicht verstrickt ist – darin liegt seine Stärke, aber auch sein Risiko.
Nähe, Ferne und Allgemeinheit
Das Verhältnis zum Fremden ist durch eine besondere Mischung aus Nähe und Ferne geprägt – basierend auf allgemeinen Gemeinsamkeiten, nicht auf individueller Verbundenheit.
Wenn Beziehungen auf allgemein menschlichen Gemeinsamkeiten beruhen (z. B. Nationalität, Beruf, Menschsein), entsteht ein Gefühl von:
Nähe → gemeinsame Merkmale
Ferne → weil diese Merkmale nicht exklusiv sind, sondern viele betreffen
Folge: Beziehung wirkt zufällig, entindividualisiert, entwertet.
In der Leidenschaft der beginnenden Beziehung wird diese als einmalig erlebt. Generalisierungsgedanken werden abgewehrt.
Entfremdung beginnt oft, wenn man merkt:
„Das hätte auch mit jemand anderem passieren können.“
Diese Erkenntnis schwächt das Gefühl der Einzigartigkeit und fördert Distanz.
Selbst intime Beziehungen enthalten oft Elemente, die nicht exklusiv, sondern allgemein-menschlich sind.
Dies kann zu einer subtilen Fremdheit führen – auch ohne große Unterschiede.
Es gibt auch Fremdheit, bei der nicht einmal das Allgemeine geteilt wird:
z. B. Griechen vs. „Barbaren“ – dem Anderen wird das Menschsein abgesprochen.
In solchen Fällen ist keine Beziehung möglich – es handelt sich um reine Ausgrenzung. Nur eine Nicht-Beziehung.
Fremde werden nicht als Einzelne, sondern als Vertreter eines Typs wahrgenommen.
Ihr „Fremdsein“ ist generisch – z. B. als „die Juden“, „die Ausländer“, „die Zugezogenen“.
Christliche Bürger: Steuer orientiert sich am Vermögen → individuell.
Jüdische Bürger: Feste Kopfsteuer → nicht individuell, sondern typisiert.
Grund: soziale Rolle nicht als Einzelner, sondern als „Jude“.
Der Fremde ist Teil der Gruppe, aber mit einer besonderen, nicht integrierbaren Rolle.
Sein Verhältnis zur Gruppe basiert auf einer Spannung zwischen Nähe und Ferne, die formgebend für seine soziale Position ist.
Der Fremde ist uns nah durch das Allgemeine – und fern, weil das Allgemeine nicht nur uns verbindet.
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