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Überblick: Wandel Sozialer Ungleichheiten

CC
by Cathérine C.

Karl Marx (Klassisches Klassenmodell)

Wandelperspektive sozialer Ungleichheit:

  • Gesellschaftlicher Wandel als Resultat von Klassenkonflikten; Fokus auf strukturellen Wandel, nicht individueller Mobilität.

Grundidee: Gesellschaft ist im Wesentlichen durch ökonomische Beziehungen und Besitzverhältnisse strukturiert. Klassenkampf als Motor gesellschaftlicher Veränderungen.


Klassendefinition:

  • Klassen werden durch ihre Stellung im Produktionsprozess definiert, insbesondere durch den Besitz bzw. Nichtbesitz der Produktionsmittel (z. B. Fabriken, Maschinen, Land).

  • Es gibt zwei Hauptklassen:

    1. Bourgeoisie (Kapitalistenklasse):

      • Besitzer der Produktionsmittel.

      • Kontrollieren Produktionsmittel und damit die Arbeitskraft anderer.

      • Ziel: Profitmaximierung durch Aneignung des durch die Arbeiter Produzierten Mehrwerts

    2. Proletariat (Arbeiterklasse):

      • Besitzt keine Produktionsmittel, verkauft Arbeitskraft gegen Lohn.

      • Produziert Mehrwert, erhält aber nur einen Teil davon als Lohn.

      • Durch Bourgeoisie ausgebeutet.

Zusätzliche Klassen:

  • Kleinbürgertum / Kleinbürger:

    • Besitzer kleiner Produktionsmittel (z. B. Handwerker, kleine Händler).

    • oft prekäre Position und zwischen Bourgeoisie und Proletariat angesiedelt

  • Lohnabhängige Bauern:

    • In klassischen marxistischen Modellen weniger zentral, aber relevant in agrarischen Gesellschaften.

Mehrdimensionale Aspekte:

  • Marx sah soziale Klassen nicht nur als ökonomische Kategorien, sondern auch als soziale Gruppen mit gemeinsamen Interessen und Klassenbewusstsein.

  • Der daraus resultierende Klassenkampf (zwischen Bourgeoisie und Proletariat) ist der Hauptantrieb für sozialen Wandel und gesellschaftliche Transformation.

Klassenbewusstsein:

  • = kollektives Bewusstsein über eigene Stellung und Interessen innerhalb der Gesellschaft

  • Ohne Klassenbewusstsein bleiben Klassenverhältnisse oft unhinterfragt.


„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“

  • Kapitalismus ist für Marx eine historische Phase, die letztlich zum Sozialismus/Kommunismus überwunden werden soll.




Max Weber (Klassentheoretiker)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Anerkennt Wandel durch ökonomische Veränderungen; Mobilität zwischen Besitz- und Erwerbsklassen möglich, aber soziale Klassen stabil, wenn Mobilität (auch intergenerational) untypisch wird.


Grundidee: Weber erweitert und differenziert Marxs Klassenmodell

  • für ihn ist soziale Ungleichheit mehrdimensional und nicht allein auf ökonomische Faktoren reduzierbar.

  • Klassen sind zwar ökonomisch definiert, aber auch Status und Macht sind eigenständige Dimensionen der sozialen Ungleichheit.

Weber’s Klassenbegriff

  • Eine Klasse ist eine Gruppe von Menschen, die eine ähnliche wirtschaftliche Lage haben und ähnliche Chancen auf dem Markt (insbesondere Arbeitsmarkt).

  • Die entscheidende Variable ist das ökonomische Kapital (z. B. Besitz, Einkommen, Chancen), aber auch die Marktchancen.

  • Klassen sind im Kern ökonomisch definiert, aber nicht einfach Besitz vs. Nichtbesitz, sondern differenzierter:

    • Unterschiedliche Klassen haben unterschiedliche Lebenschancen auf dem Markt.

    • Beispielsweise gibt es mehrere Klassen innerhalb der Lohnabhängigen je nach Qualifikation und Einkommen.

Drei Dimensionen sozialer Ungleichheit bei Weber

  1. Klasse (economic class)

    • Ökonomische Lage und Marktchancen.

    • Beispiel: Kapitalisten, Unternehmer, Facharbeiter, ungelernte Arbeiter.

  2. Stand (Statusgruppe)

    • Soziale Ehre, Prestige, Lebensstil, gesellschaftliche Anerkennung.

    • Wird durch Lebensführung, Bildung, Herkunft, Religion, Beruf beeinflusst.

    • Beispiel: Adelige, Akademiker, Handwerker, Klerus.

  3. Partei (Macht)

    • Fähigkeit, sozialen Einfluss und politische Macht auszuüben.

    • Organisierte Gruppen (Parteien, Gewerkschaften, Verbände), die Interessen durchsetzen.

    • Macht ist unabhängig von Besitz oder Status.

Die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen prägen soziale Struktur und Konflikte.


Klassenbildung bei Weber

  • Klassenbildung erfolgt auf dem Markt aufgrund ähnlicher ökonomischer Situation und Chancen.

  • Klassen sind häufig fließender und vielschichtiger als bei Marx.

  • Beispiel: Zwischen Kapitalisten und Proletariern gibt es viele Zwischenklassen (z. B. mittlere Angestellte, Facharbeiter).

= Soziale Mobilität ist möglich, aber abhängig von der Kombination aus Klasse, Status und Partei. Ungleichheit ist komplexer als ein einfacher Klassenkampf – verschiedene Dimensionen beeinflussen das Leben und Handeln der Menschen.


Achtung: Weber unterscheidet keine starren „Klassen“ wie Marx (Kapitalisten vs. Proletariat), sondern eher Klassenlagen, die sich durch unterschiedliche Marktchancen und ökonomische Positionen auszeichnen:

Klassenlage

Hauptmerkmal

Beispiele

1.Besitzklasse (Kapitalbesitzer)

Eigentum an Produktionsmitteln

Großkapitalisten, Unternehmer

2.Selbständige / Kleinunternehmer

Eigenes Kapital, kleine Betriebe

Ladenbesitzer, Handwerker

3.Erwerbsklasse (qualifiziert)

Höhere Marktchancen, qualifizierte Arbeit

Facharbeiter, Angestellte

4.Erwerbsklasse (ungelernt)

Niedrige Marktchancen, einfache Arbeit

Ungelernte Arbeiter

5.Prekäre Klasse / Arbeitslose

Geringe bis keine Marktchancen

Arbeitslose, prekär Beschäftigte


Wichtige Unterschiede zu Marx

  • Klasse ist nur eine von drei unabhängigen Dimensionen sozialer Ungleichheit.

  • Nicht alle Macht- und Statusunterschiede sind durch Besitz bestimmt.

  • Statusgruppen können auch ökonomisch unterschiedlich sein, haben aber eine eigene soziale Wirklichkeit (z. B. Wohlstand kann Status nicht immer kaufen).

  • Klassenlagen sind durch Marktchancen definiert, nicht nur durch Besitz der Produktionsmittel.


Theodor Geiger (Schichtungstheoretiker)


Wandelsperspektive sozialer Ungleichheit: Dynamik durch „dominantes Schichtungsprinzip“, das sich historisch ändern kann.


Grundidee: Soziale Schichtung ist eine hierarchische Ordnung von Gruppen, die sich in sozial bedeutsamen Merkmalen unterscheiden.

  • Dominantes Schichtungsprinzip bedeutet, dass ein Merkmal (z.B. Einkommen, Beruf, Bildung) die Schichtung der Gesellschaft hauptsächlich bestimmt, je nach gesellschaftlicher Epoche und Kontext.

  • Berufsprinzip: Für Geiger ist Beruf oft das zentrale Ordnungsprinzip, weil er Einkommen, Prestige, Macht und Lebensstil, sowie soziale Sicherheit miteinander verbindet.

    • Berufliche Positionen ordnen die Menschen in eine Rangfolge ein.

    • Andere Faktoren (wie Bildung, Einkommen, Besitz) sind wichtig, aber häufig sekundär oder abhängig vom Beruf.

  • Das Schichtungsprinzip kann sich im historischen Wandel ändern, aber für die moderne Industriegesellschaft bleibt das Berufsprinzip zentral.

  • Schichtung ist mehrdimensional, nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell und sozial.

  • Mobilität: Schichten sind relativ stabil, aber nicht starr; Personen können innerhalb der Schichtung auf- oder absteigen


Hauptschichten nach Geiger (vereinfacht)

  1. Oberschicht

    • Sehr hohe soziale Stellung, große Macht, hohes Prestige.

    • Meist Führungskräfte, Unternehmer, hohe Beamte, Intellektuelle.

    • Hohe Einkommen und Bildung.

  2. Mittelschicht

    • Berufliche Selbstständige, leitende Angestellte, Facharbeiter mit höherer Qualifikation.

    • Relativ gesicherte Einkommen und soziale Sicherheit.

    • Starker Einfluss von Bildung und Beruf.

  3. Unterschicht

    • Ungelernte Arbeiter, gering qualifizierte Beschäftigte.

    • Weniger Einkommen, geringes Prestige, oft prekäre soziale Lage.

    • Häufig unsichere Arbeitsverhältnisse.

  4. Unterschicht / soziale Randgruppen

    • Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, teilweise marginalisierte Gruppen.

    • Niedrigstes Einkommen, sehr geringe soziale Anerkennung.


Parsons, Davis/Moore (Funktionalistische Schichtungstheoretiker)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Fokus auf Ordnung, aber Wandel über Veränderungen der Bewertungsmaßstäbe (z. B. Leistung vs. Eigentum). Mobilität als Ausdruck individueller Leistung, was oft kritisiert wird.


Grundidee: soziale Schichtung als notwendig und nützlich für das Funktionieren moderner Gesellschaften. Ungleichheit entsteht, weil unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft unterschiedlich wichtig sind und daher auch unterschiedlich entlohnt und bewertet werden müssen.

  • T. Parsons: sieht Gesellschaft als ein soziales System, das stabil und geordnet ist, wenn seine Teile funktionieren.

    • Individuen übernehmen verschiedene Rollen, die zur Erfüllung gesellschaftlicher Funktionen nötig sind.

    • Leistungsprinzip: Soziale Positionen werden nach Leistung verteilt (Meritokratie).

    • Gemeinsame Werte sorgen dafür, dass Menschen das System akzeptieren.

    • Unterschiedliche Belohnungen und Statuspositionen motivieren Menschen, schwierige und wichtige Aufgaben zu übernehmen.

  • Davis & Moore: Gesellschaften müssen bestimmte Positionen besetzen, die unterschiedlich wichtig sind. Höher bewertete Positionen sind meist mit mehr Fähigkeiten verbunden und erfordern besondere Anstrengungen oder Ausbildung.

    • soziale Ungleichheit motiviert die geeignetsten Personen, die wichtigen Positionen einzunehmen, weil sie mit höheren Belohnungen verbunden sind.

    • Schichtung als notwendiges Übel: Ungleichheit ist notwendig, um gesellschaftliche Effizienz zu gewährleisten.

    • Dabei geht es um funktionale Notwendigkeiten, nicht um moralische Bewertung.

    • Höhere Status- und Einkommensunterschiede sorgen für Anreiz und Legitimation der sozialen Ordnung.

Kritik der funktionalistischen Theorien

  • Vernachlässigung von Macht- und Herrschaftsaspekten.

  • Unterschätzung von sozialen Ungleichheiten, die nicht nur funktional, sondern auch strukturell ungerecht sind.

  • Überbetonung von Leistung und Qualifikation, während oft soziale Herkunft entscheidend ist.

  • Nichtberücksichtigung von Diskriminierung und sozialen Barrieren.


Helmut Schelsky – „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Gegenentwurf zur marxistischen Klassenanalyse.)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Auflösung ständisch-klassenspezifischer Unterschiede. Mobilität als Normalfall, Herkunft verliert an Bedeutung. Ungleichheit wird weniger sichtbar, soziale Integration nimmt zu.


Grundidee: Die Gesellschaft in Westdeutschland entwickelte sich laut Schelsky zu einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft, in der die große Mehrheit der Bevölkerung eine ähnliche soziale und wirtschaftliche Position hat.

  • stellte sich bewusst gegen traditionelle Vorstellungen von Klassen oder Schichten und die Annahme einer vertikal gegliederten Gesellschaft mit klaren sozialen Hierarchien.

  • Er beobachtete stattdessen eine starke Angleichung der Lebensverhältnisse – sowohl materiell als auch kulturell –, die alte Klassengegensätze zunehmend irrelevant mache.

  • Unterschiede insbesondere innerhalb des Mittelstands, werden kleiner bzw. "niedriger" (niedrigere Differenzierung, weniger Statusunterschiede).

Zentrale Thesen Schelskys 1953

  • Auf- und Abstiegsprozesse: In den letzten zwei Generationen (v. a. durch Krieg und Nachkriegszeit) gab es umfangreiche soziale Mobilität:

    • Industriearbeiter und Verwaltungsangestellte stiegen in den „neuen Mittelstand“ auf.

    • Teile des ehemaligen Bildungs- und Besitzbürgertums stiegen durch Enteignung oder Vertreibung sozial ab.

    • Folge: Abschwächung von Klassengegensätzen und zur Entdifferenzierung traditioneller Berufsgruppen = Soziale Nivellierung:

      • Es entstand eine einheitlichere Gesellschaftsschicht, die weder klar bürgerlich noch proletarisch sei.

      • Klassenspannungen und vertikale Hierarchien verlieren an Relevanz.

  • Soziale Mobilität als Entschichtung: Es handelt sich laut Schelsky nicht mehr um ein „Umschichten“ zwischen klaren Schichten, sondern eher um ein „Entschichten“ – das Auflösen alter Schichtgrenzen.

    • Zwar seien Unterschiede noch beobachtbar, aber daraus könnten keine festen Gruppenzugehörigkeiten oder kollektiven Interessen mehr abgeleitet werden.

  • Keine klare Klassengegensätze mehr: nicht mehr zeitgemäß.

    • Konflikte bestehen eher zwischen Individuen oder organisierten Interessengruppen (z. B. Gewerkschaften vs. Bürokratien), nicht mehr entlang klarer Klassenlinien.

  • Prestigedenken bleibt bestehen:

    • Obwohl objektive Unterschiede nivelliert sind, halten viele Menschen weiterhin am Prestige alter Klassenränge fest.

    • Dieses Bedürfnis nach Geltung und Sicherheit ist Ausdruck einer hoch mobilen Gesellschaft, die keine stabilen Identitäten mehr bieten kann.

  • Kulturelle Vereinheitlichung: Soziale und kulturelle Unterschiede verringern sich; Statussymbole und Lebensstile ähneln sich über weite Teile der Gesellschaft hinweg.

    • Die Lebensformen und Werte orientieren sich zunehmend am „kleinbürgerlich-mittelständischen“ Ideal.

  • Begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten:

    • Die „soziale Leiter“ ist kürzer geworden, Aufstiegswünsche stoßen an Grenzen.

    • Auch in der nivellierten Gesellschaft bleiben Unsicherheiten und Spannungen bestehen.

  • Auflösung des „Mittelstandsproblems“:

    • Das frühere soziologische Problem, wie Angestellte einzuordnen seien (Arbeiter oder Bürgertum?), verliert an Bedeutung.

    • Mittelschichtspositionen werden zur gesellschaftlichen Normalform.


Kritik an Schelsky

  • Ralf Dahrendorf kritisierte die Annahme einer Angleichung als unrealistisch:

    • Große Mobilität sei in Wirklichkeit selten – nur jedes zehnte Arbeiterkind habe reale Aufstiegschancen.

    • Die Vorstellung einer harmonisierten Gesellschaft verdecke bestehende Herrschaftsverhältnisse und strukturelle Konflikte.

  • Weitere Kritiker wie Bolte u. a. betonen:

    • Die beobachtete Nivellierung sei übertrieben dargestellt.

    • Wie bei funktionalistischen Modellen werde die Bedeutung von Macht, Konflikten und Ungleichheit ausgeblendet.


Schelskys Modell war prägend für die Soziologie der 1950er-Jahre – vor allem als Gegenentwurf zur marxistischen Klassenanalyse.

Es wirkte durch seine Provokation weit über die damalige Zeit hinaus, wurde jedoch nie als reale Beschreibung der Gesellschaft allgemein akzeptiert.


Ralf Dahrendorf (Klassenmodelle der 50/60er Jahre)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Ungleichheit = „Stachel“ sozialen Wandels: Konflikte führen zu Reformen. Fokus auf Rollen und Positionen (und nicht Eigentum) → funktionaler Ansatz aber Betonung von Interessen und Machtpositionen in Organisationen (z. B. Betriebe, Verbände).


Grundidee: „Der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen liegt […] in der Existenz von mit Sanktionen versehenen Normen des Verhaltens.“

  • In jeder Gesellschaft gibt es Normen (Erwartungen an Verhalten).

  • Diese Normen werden durch Sanktionen (Belohnung oder Bestrafung) abgesichert.

  • Menschen sind also nicht gleich, weil sie unterschiedlich stark in der Lage sind, sich normgerecht zu verhalten – und das hängt von ihrer sozialen Position ab.


= Auf Norm ( Verhaltenserwartung) kommt eine Sakntion (Mittel zur Durchsetzung dieser Erwartung), wodurch sich eine Herrschaft (Macht, diese Normen festzulegen) entwickelt.


Heißt: Herrschaft geht der sozialen Schichtung voraus. Die herrschende Klasse definiert, was „richtig“ ist – und belohnt oder bestraft danach.→ Die Schichtung spiegelt also Herrschaftsverhältnisse wider.


Obwohl Dahrendorf Begriffe wie herrschende und beherrschte Klassen übernimmt, grenzt er sich von Marx ab:

  • Der industrielle Klassenkonflikt ist institutionalisiert und verliert an Schärfe.

  • Es gibt nicht mehr nur die eine herrschende Klasse, sondern mehrere Herrschaftsverbände

  • → In einer modernen Gesellschaft existieren mehrere parallele Konflikte, je nach gesellschaftlichem Bereich (Industrie, Politik, Verwaltung etc.) und nicht nur einer.

Dahrendorf vertritt, im Gegensatz zu funktionalistischen Integrationstheorien, eine Konflikttheorie der Gesellschaft:

  • Konflikte entstehen um Lebenschancen um:

    • Optionen (Möglichkeiten) und

    • Ligaturen (Bindungen, z.B. Familie)

  • Konflikt ist für ihn nicht destruktiv, sondern: „der Stachel, der soziale Strukturen in Bewegung hält“

  • Unklar bleibt: Wie kommt es zu einem echten Wandel der herrschenden Normen und wenn Normkonformität belohnt wird, wie gelangen neue Gruppen in eine führende Position?

Dahrendorf ergänzt seine Theorie durch ein Modell zur sozialen Schichtung in Deutschland (1965), das auf Geiger (1932) zurückgeht:


Hausmodell nach Dahrendorf:

  • Eliten: heterogene Führungsgruppe aus Politik, Wirtschaft, Kultur etc.

  • Dienstklasse: Beamte und Verwaltungsangestellte, eher individuell geprägt.

  • Mittelstand: Selbständige mit eher defensiver Haltung.

  • Arbeiterelite: z.B. Meister, aber ohne gesellschaftliche Leitfunktion.

  • „Falscher Mittelstand“: z.B. Kellner, ordnen sich subjektiv der Mittelschicht zu.

  • Arbeiterklasse: differenziert nach Beruf, Qualifikation, Branche, mit eigenständiger Mentalität.

  • Unterschicht: z.B. Langzeitarbeitslose, Kriminelle – keine einheitliche Mentalität.

Das Modell ist flexibel gedacht (vergleichbar mit einem Haus mit offenen Wänden) und soll nicht exakt vermessen, sondern Orientierung bieten.


Moore/Kleining, Scheuch und Bolte zu Prestigemodellen


Wandelsperspektive sozialer Ungleichheit: Gesellschaft wird als kontinuierlich differenzierte Pyramide von Berufen nach Prestige-Rang (soziale Bewertung durch Dritte) gesehen. Wandel entsteht durch Verschiebungen im Prestige, z.B. durch Bildungsexpansion, technologische Veränderungen, Statusangleichungen.


Grundidee: soziale Ungleichheit und somit soziale Schichtung einer Gesellschaft entsteht durch die unterschiedliche Wertschätzung (Prestige) von Personen oder Gruppen (z.B. Berufsgruppen)

  • Prestige Definition: Wertschätzung, die eine Person oder Gruppe (z.B. Berufsgruppe) genießt (Klima 2007: 506).

    • = soziale Ansehen, unabhängig von individuellen Eigenschaften.

    • Wegener (1988): Prestige ist eine Mischung aus subjektiver Wertung und objektivem Strukturmerkmal.

  • Beispiel: Der Status einer Berufsgruppe wie „Polizist“ basiert auf Prestige, Qualifikation oder Einkommen.

    • Status = mehr oder minder hohe Position in einer Schichtungshierarchie (Laatz 2007: 632)

      • Häufig mit Wertschätzung verbunden (z.B. Besitz, Beruf, Macht).

      • Status kann inkonsistent sein (z.B. hohes Einkommen, aber niedrige Bildung).

      • Statuskriterien variieren je nach Gesellschaft, Milieu und Zeit.

      • Beispiel: Ein teures Auto gilt in einem Milieu als Statussymbol, in einem anderen nicht.

      • Status verändert sich mit gesellschaftlichem Wandel (Inflation von Statussymbolen).

  • Unterschied Prestige & Status:

    • Prestige betont die Wertschätzung.

    • Status umfasst eine Stellung im sozialen Gefüge, die auch andere Dimensionen (z.B. Besitz, Macht) miteinschließt.

  • Weber: Begriff „Stand“ ähnlich dem Status, fokussiert auf Gruppenbeziehungen.

= Prestigemodelle sehen soziale Schichtung als Hierarchie von Positionen, die sich durch unterschiedliche gesellschaftliche Wertschätzung (Prestige) unterscheiden.


Schichtmodell Moore/ Kleining:

Grundidee: Beruf ist das zentrale Kriterium zur Schichteinstufung.

  • Ausnahme: Oberste und unterste Schichten definieren sich nicht primär über den Beruf.

  • Methode: soziale Selbsteinschätzung (SSE)

    • Befragte bekommen eine Liste mit neun Gruppen, je vier Berufen als Beispiele und ordnen sich selbst der Gruppe zu, die ihrem eigenen Beruf am ähnlichsten erscheint.

    • Forschende schließen von dieser Selbsteinstufung auf die soziale Schicht.

  • Schichteinstufung orientiert sich am Beruf des Mannes und wird auf die Familie übertragen, da diese als kleinste gesellschaftliche Einheit gilt und beeinflusst verschiedene Lebensbereiche, nicht nur den Beruf:

    • z.B. Familie (Kindererziehung), Konsum, Meinungen, Kleidung, Sprache.

Schichtenaufbau in DE nach Moore/ Kleining

Schicht

Anteil der Bevölkerung

Oberschicht

1 %

Obere Mittelschicht

5 %

Mittlere Mittelschicht

15 %

Untere Mittelschicht

30 % (17 % nicht-industriell, 13 % industriell)

Obere Unterschicht

28 % (10 % nicht-industriell, 18 % industriell)

Untere Unterschicht

17 %

Sozial Verachtete

4 %

= breite Mitte: Untere Mittelschicht und obere Unterschicht zusammen ca. 58 %.


Prestigemodell nach E.K. Scheuch

Grundidee: Der Beruf bzw. die Berufsgruppe (z.B. nach der internationalen Standardklassifikation ISCO) ist ein zentrales Kriterium. Zusätzlich werden weitere Merkmale berücksichtigt, z.B. Einkommen, Schulbildung, Nationalität.

  • Diese Merkmale erhalten Punktwerte, die je nach Bedeutung gewichtet und zu einem Gesamtprestige-Index summiert werden.

  • Die Vergabe von Punktwerten und Gewichtungen basiert auf Befragungen und empirischen Bewertungen.

  • Beispiel: Schulbildung wird bewertet (mittlere Reife = 9 Punkte, Hochschulabschluss = 20 Punkte).

  • Anfangs verwendete Scheuch neun Variablen. Später reduzierte er den Index auf die drei wichtigsten Merkmale für die Schichtzuordnung: Schulbildung, Beruf, Einkommen (1961).


Methodisch unterscheidet sich Scheuchs Vorgehen von Moore/Kleining, aber die Ergebnisse ähneln sich:

Soziale Schichtung nach Scheuch

Schicht

Anteil (%)

Oberschicht

2,5

Obere Mittelschicht

6,1

Mittlere Mittelschicht

14,6

Untere Mittelschicht

20,7

Obere Unterschicht

36,6

Untere Unterschicht

19,5

Die meisten Menschen sind in der unteren Mittelschicht und oberen Unterschicht konzentriert.


Fazit: Scheuchs Modell verwendet ein mehrdimensionales Indexverfahren zur Prestigeermittlung, das Beruf, Bildung und Einkommen kombiniert.

  1. Das Modell bestätigt die Existenz einer breiten Mittelschicht und einer starken unteren Schichtenschicht, ähnlich wie bei Moore/Kleining, aber mit anderen Anteilswerten.

  2. Sozialprestige wird als zentrales Merkmal sozialer Hierarchie gesehen.


K.M. Bolte’s Zwiebelmodell sozialer Schichtung und Prestige

Grundidee: Bolte betrachtet soziale Schichtung nicht als strikt vertikal geschichtetes System, sondern als Zwiebelmodell:

  • Oben und unten enge, relativ klar abgegrenzte Bereiche (Schichten).

  • Dazwischen eine breite „untere Mitte“ mit fließenden Übergängen und Überlappungen.

  • Diese „untere Mitte“ ist ein Sammelbecken sehr unterschiedlicher Gruppen, die nebeneinander und auch teilweise übereinander liegen, also keine klar abgegrenzten Schichten bilden.

Bolte unterscheidet zwischen Statusgruppen und Schichten:

  • Statusgruppen = Gruppierungen mit eigenem Rangbewusstsein, klarer Abgrenzung und entsprechender Verhaltensweise.

    • Statusinkonsistenzen sind häufig, z.B. jemand mit niedriger Bildung, aber hohem Einkommen oder gesellschaftlichem Ansehen.

    • Beruf prägt Einkommen, Lebensstil und Umgang mit anderen, aber es gibt keine zwingende, klare Verknüpfung zwischen Berufsstatus und anderen Statuslagen.

  • Schichten = in seinem Verständnis real existierende, klar abgegrenzte soziale Gruppen.

Viele gesellschaftliche Gruppen bilden eher Statusgruppen mit fließenden Grenzen als eindeutige Schichten

  • soziale Status in der Gesellschaft ist kein starres Schichtensystem, sondern eher ein Kontinuum mit fließenden Übergängen.

  • Oben und unten im Statusaufbau gibt es stärkere Schichtungstendenzen; dazwischen herrscht große Durchlässigkeit und Unschärfe.

  • Viele Menschen haben keinen präzise bestimmbaren sozialen Status.

Fazit: Die Gesellschaft ist sozial ungleich, aber die Grenzen zwischen Gruppen sind oft unscharf und überlappend.

  1. Beruf ist ein wichtiger, aber nicht alleiniger Statusindikator; andere Faktoren können zu Inkonsistenzen führen.

  2. Das Modell ist eher ein Status- und Prestigegefüge als ein klassisches Schichtmodell.


Leisewitz‘ Klassenanalyse (Neomarxistische Ansätze)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Soziale Ungleichheit ist ein dynamischer Prozess, der sich mit den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen verändert und wandelt.


In den 1970er Jahren keine Einigung in der Klassen-Schicht-Kontroverse. Ab den 1980ern verlagerte sich die Debatte hin zu Kritik an beiden Konzepten und Suche nach neuen Modellen für veränderte Gesellschaften.


Grundidee: Klassengesellschaft als zentrale Struktur, die gesellschaftliche Über- und Unterordnungen durch die Stellung in der Wirtschaft und das Eigentum an Produktionsmitteln erklärt. Klasseninteressen sind gegensätzlich und führen zu Konflikten; der Klassenkampf wird als treibende Kraft gesellschaftlicher Entwicklung gesehen.

  • Neomarxistische Klassenansätze ordnen sich meist eindeutig einer (linken) politischen Richtung zu und wird oft auch von führenden Sozialdemokraten abgelehnt.

  • Nur Klassentheorie und kann Ursachen von Über- und Unterordnung erklären.

  • Klasseninteressen sind widersprüchlich und konfliktreich.

  • Klassenanalyse ist dynamisch, nicht nur beschreibend.

  • Politische Unterstützung ist notwendig, z.B. Bewusstseinsbildung unter Arbeitern und Angestellten.

  • Differenzierung zu Marx: unterscheiden dadurch, dass sie neben Bourgeoisie und Arbeiterklasse auch verschiedene Mittelklassen differenzieren und damit die Klassenstruktur komplexer und lebensnäher darstellen, während klassische Marxistische Theorien hauptsächlich die Zweiteilung in Kapitalisten (Besitzer der Produktionsmittel) und Proletarier (Arbeitskraftverkäufer) betonen.

Zwei wichtige neomarxistische Forschungsansätze:

  1. Institut für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF, 1974)

  • Bourgeoisie: Produktionsmittelbesitzer, Manager.

  • Mittelschichten:

    • Selbständige Mittelschichten (mit kleinen Produktionsmitteln, eigene Arbeitskraft).

    • Lohnabhängige Mittelschichten (Leitungs- und Aufsichtspersonal, mit weniger „Warencharakter“ der Arbeitskraft als Arbeiter).

    • Selbständige und lohnabhängige Intelligenz (Ärzte, Künstler, Spezialisten).

  • Mittelschichten haben kaum Klassencharakter, keine eigenständige politische Position.

  • Arbeiterklasse: Lohnabhängige mit entfaltetem Warencharakter der Arbeitskraft, Arbeitslose.

  • Zahlenverteilung (1950/1974/1985): Arbeiterklasse etwa 65-73%, Mittelschichten ca. 22-27%, Bourgeoisie ca. 1-3%.

  1. Projekt Klassenanalyse (PKA, 1973-1982)

  • Bourgeoisie: Produktionsmittelbesitzer mit mind. 4 Beschäftigten (aktive Kapitalisten und Kapitaleigentümer).

  • Mittelklasse: Kleinunternehmer mit geringem Profit und lohnabhängige Mittelklasse (Arbeitnehmer bei nicht-gewinnorientierten Arbeitgebern, z.B. Staat, Wohlfahrtsverbände).

  • Arbeiterklasse: Arbeitslose und Arbeiter mit gewinnorientierten Arbeitgebern (kommerzielle Lohnarbeiter und produktive Arbeiter).

  • Hierarchische Schichtung der Arbeiter nach Qualifikation (qualifizierte Arbeiter gehören trotzdem zur Arbeiterklasse).

  • Zahlenverteilung 1978: Arbeiterklasse fast 2/3, Mittelklasse 31% (20% lohnabhängig, 11% Kleinbourgeoisie), Kapitalisten 3%.

Beide Ansätze:

  • Anerkennen neben kleiner Bourgeoisie und großer Arbeiterklasse auch Mittelklassen.

  • Abbildung eher pyramidenförmig, nicht zwiebelartig wie Schichtmodelle.

  • Aber: PKA zählt qualifizierte Angestellte zum Proletariat, IMSF eher zur Mittelschicht.

  • Und: Unterschiede bei Definitionen von „Warencharakter“ der Arbeitskraft und Klassenabgrenzungen.


Geißler (Modernisiertes Schichtungsmodell)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Ergebnis eines Dynamisierungs- und Pluralisierungsprozesses; betont Durchlässigkeit, weniger die Bedingungen des Wandels selbst.


Grundidee: Schichten als Oberbegriff für Gruppen mit ähnlicher Soziallage, verbunden mit typischen Subkulturen und Lebenschance, beruhend auf einer dynamischen und pluralen Schichtstruktur, nicht auf der Auflösung von Klassen oder Schichten.

  • Seiner Ansicht nach wird durch die starke Betonung der Vielfalt von Lebenslagen, Milieus und Lebensstilen die weiterhin relevante vertikale soziale Schichtung oft vernachlässigt und warnt davor, dass dadurch der kritische Blick auf soziale Ungleichheit verloren gehe.

Die fünf Thesen Geißlers zur modernen Schichtstruktur

  1. Multidimensionalität: Vertikale soziale Strukturen sind nur eine Dimension; andere wie Geschlecht und Ethnie spielen ebenfalls eine Rolle.

  2. Dominanz der vertikalen Dimension: Bildung und Beruf bestimmen weiterhin maßgeblich Lebenschancen, etwa im Bildungsbereich.

  3. Keine klaren Schichtgrenzen: Schichten überlappen sich, typische Ressourcen, Einstellungen und Chancen sind häufig, aber nicht zwingend an bestimmte Bildungs-Berufs-Kombinationen gebunden.

  4. Latente Schichtstruktur: Die Schichtung ist oft nicht direkt sichtbar, aber in der „Tiefenstruktur“ der Gesellschaft weiterhin wirksam.

  5. Konzentrische Kreise: Es gibt einen Kern mit stark schichtspezifischer Prägung, umgeben von weniger stark geprägten Segmenten. Beispiel: Wahlbeteiligung ist schichtneutraler als Parteiarbeit.

Geißler stützt sich auf Theodor Geiger, der schon früh eine multidimensionale Sicht sozialer Schichtung und Offenheit für neue Ungleichheitsformen vertreten hat.

  • Beruf spielt in Geißlers Modell eine zentrale Rolle, weil er verschiedene Faktoren bündelt: Funktion, Qualifikation, Einkommen, Prestige, Einfluss.

  • moderne Schichtstruktur ähnelt einem residenten „Wohnhaus“ mit durchlässigeren Wänden, das komplexer und pluraler geworden ist.

  • Die höhere Dienstleistungsschicht hat zugenommen, während traditionelle Arbeitereliten zurückgingen.

  • Kritik: konkrete Verknüpfung der Merkmale in Geißlers modernisiertem Modell oft nicht transparent und seine Betonung der latenten Schichtstruktur erschwert die empirische Überprüfung.




Goldthorpe, Wright, Eder (Neuere Klassenmodelle)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit:


Grundidee: ab 1970er Jahren betonen, dass trotz gesellschaftlicher Veränderungen und Kritik an älteren Theorien die Analyse sozialer Ungleichheit über Klassen weiterhin wichtig bleibt, da vertikale Ungleichheiten und Herrschaftsverhältnisse oft in anderen Modellen unzureichend berücksichtigt werden.


Erik Olin Wright:

Grundidee: differenziertes neomarxistisches Klassenmodell, das neben Besitz von Produktionsmitteln auch Organisationsmacht und Qualifikation als Ressourcen berücksichtigt und so komplexe Klassenlagen abbildet.

  • unterscheidet nicht nur Bourgeoisie (Kapitalbesitzer) und Proletariat (Lohnarbeiter), sondern auch das Kleinbürgertum und mehrere Zwischenklassen mit widersprüchlichen Klassenlagen (z.B. Manager, semi-autonome Arbeitnehmer).

  • neuere Version (ab 1985) basiert auf drei Ressourcen:

    • Produktionsmittelbesitz,

    • Organisationsmacht und

    • Qualifikation.

  • Klassen ergeben sich aus Kombinationen mit folgenden Ressourcen:

    • Ausbeuter (z.B. Bourgeoisie),

    • Ausgebeutete (z.B. Arbeiter),

    • und Zwischenklassen mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung.

      • Ausstattung mit Organisationsmacht

      • Ausstattung mit Qualifikation

      • oder weder Ausbeuter noch ausgebeutet

  • = 12 Klassen, darunter Fachqualifizierte Manager, Aufsichtspersonen, qualifizierte Nicht-Manager, Kleinbürger usw.


Modell betont weiterhin die zentrale Bedeutung von Ausbeutung, geht aber über die traditionelle Zweiklassengesellschaft hinaus.

  • Proletariat ist nicht mehr automatisch der zentrale Gegenspieler der Bourgeoisie.

  • Mittelklassen spielen eine wichtige Rolle im Klassenkonflikt;

Empirisch konnte Wrights Modell Einkommensunterschiede und Klassenbewusstsein gut erklären (z.B. in Deutschland, Erbslöh et al. 1990).


Kritik: Das Modell integriert soziale Ungleichheitsdimensionen wie Geschlecht oder andere außerökonomische Faktoren wenig.


John H. Goldthorpe EGP Klassenschema

Grundidee: Nicht-marxistisches Klassenmodell, basierend auf beruflicher Stellung als Indikator für Klassenlage.

  • Beruf spiegelt Arbeitsbedingungen, Marktlage, Macht- und Marktorientierung wider (Kombination von Marx und Weber).

  • Weit verbreitetes, empirisch oft eingesetztes Modell (z.B. ALLBUS, Deutschland).

  • Fokus auf Beschäftigungsverhältnisse und deren Kontroll- und Autonomiegrade.


  • Dienstklassen sind zentral (Anlehnung an Dahrendorf), insbesondere die „relative Autonomie“ in Dienstverhältnissen.

  • Arbeitskontrolle ist bei Dienstverhältnissen schwerer möglich, Qualifikation ist hoch (Humankapital).

  • Im Gegensatz dazu sind bei Arbeitsverträgen (z.B. bei Arbeitern) Kontrolle leichter möglich, Qualifikation oft geringer.

  • Es gibt auch Mischformen (z.B. Routineangestellte mit geringer Qualifikation, aber schwerer Kontrolle).

Häufig verwendete Sieben-Klassen-Variante (EGP-Schema):

  1. Obere und untere Dienstklasse

  2. Nicht-manuelle Berufe mit Routinetätigkeiten

  3. Kleinbürgertum

  4. Landwirte

  5. Facharbeiter

  6. An- und Ungelernte

  7. Landarbeiter

Empirische Befunde:

  • In Deutschland ca. 27-36 % (je nach Region) in Dienstklassen, 33-42 % in Arbeiterklassen.

  • Trotz gesellschaftlicher Veränderungen zeigen sich anhaltende klassenbedingte Ungleichheiten in sozialen Verhaltensmustern.

  • Mobilität innerhalb der Dienstklasse (Auf- und Abstieg) deutlicher als zwischen anderen Klassen.

  • Klassenhierarchie weniger klar als bei manchen anderen Modellen.

Kritik:

  • Grenze zwischen Klassen erscheint teilweise willkürlich (starke Fokussierung auf Berufsgruppen).

  • Vernachlässigung von außerwirtschaftlichen Ungleichheitsdimensionen (z.B. Geschlecht, Nicht-Erwerbstätige).

  • Modell erklärt Einkommensunterschiede und Klassenbewusstsein nur bedingt (Zerger 2000).

  • Wahlverhalten wird eher von Kohorten als von Klassenlage beeinflusst.

  • Trotzdem bestätigen einige Untersuchungen (z.B. Müller 1998a) eine Fortexistenz traditioneller Klassenkonflikte.


Walter Müller Modernes Klassenverständnis

Grundidee: Orientierung am Klassenbegriff Max Webers:

  • Neben Besitz zählt vor allem Qualifikation als wichtige Klassenlage-Komponente.

  • Unterscheidung u.a. von abhängig Erwerbstätigen nach manuellen vs. nicht-manuellen Tätigkeiten und Qualifikation.

Kritisch gegenüber Überbetonung von Entstrukturierung und Individualisierungsthese.

  • Betonung: Soziale Ungleichheit wird weiterhin durch gesellschaftliche Bedingungen reproduziert.

  • Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit bleibt zentral, auch wenn er sich durch den Einfluss des (Wohlfahrts-)Staates und Differenzierungen im lohnabhängigen Bereich verändert hat.

Klassenbegriff:

  • Klasse = strukturelle Lage, aber nicht als kollektiver Akteur.

  • Kein Automatismus vom Sein zum Bewusstsein, aber Klassenlage wirkt auf Handeln und Deutungen.

Forschungsfelder:

  • Wahlverhalten: Klassenlage strukturiert Wahlverhalten weiterhin deutlich (Müller 1997, 1998a).

  • Bildung: Soziale Ungleichheiten in Bildungsbeteiligung bleiben stark.

  • Methode: Nutzung multivariater Modelle zur Bestimmung relevanter Ungleichheitsdimensionen.


Reinhard Kreckel: Zentrum-Peropherie-Modell sozailer Ungleichheit

Grundidee: Zentrum und Peripherie statt nur Klassen. Er benutzt die Begriffe „Zentrum“ und „Peripherie“, um zu zeigen, dass es Gruppen gibt, die sehr viel Macht, Ressourcen und Einfluss haben (Zentrum), und andere, die weit weg davon sind und deswegen benachteiligt sind (Peripherie).

  • Zentrum: Organisationen mit starker Ressourcenbasis und hoher Konfliktfähigkeit, z.B. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Staat (korporatistisches Dreieck).

  • Peripherie: Lagen mit strukturell verankerten Benachteiligungen, geringerer Organisations- und Konfliktfähigkeit (z.B. Arbeitslose, Empfänger von Transferleistungen, illegale Einwanderer).

  • Ziel: umfassendere Erfassung sozialer Ungleichheiten in modernen westlichen Gesellschaften, die über die klassische vertikale (hierarchische) Betrachtung hinausgeht.

    • = Kein einfaches „oben und unten“, sondern viele Schichten, Kreise oder Gruppen mit unterschiedlichen Verbindungen und Überschneidungen. Manche liegen irgendwo zwischen Zentrum und Peripherie („Semiperipherie“).


In dem Modell wird verdeutlich, dass es eine Ungleichheit in den Beziehungen zwischen Gruppen gibt, geprägt durch:

  • Primäre Asymmetrie: grundlegende Machtungleichgewicht zwischen Kapital (also den Arbeitgebern oder Besitzern von Produktionsmitteln) und Arbeit (den Arbeitnehmer*innen).

  • Sekundäre Asymmetrien: Innerhalb der Gruppen Arbeit und Kapital entstehen kleinere, weitere Ungleichheiten innerhalb der Gruppen. Zum Beispiel:

    • Unterschiedliche Lagen auf dem Arbeitsmarkt:

      • Manager und leitende Angestellte haben mehr Einfluss und Sicherheit.

      • Illegale Einwanderer oder Menschen mit prekären Jobs haben eine sehr schlechte Lage, weniger Rechte und Schutz.

    • Diese sekundären Unterschiede sorgen dafür, dass nicht alle Arbeitnehmer*innen oder nicht alle Kapitalbesitzer gleich sind.

  • Weitere Ungleichheitsdimensionen:

    • Askripitive Merkmale (Dinge, die man „zugeschrieben“ bekommt, also z.B. Geschlecht, Herkunft oder Alter.), welche als eigenständige Struktur von Produktion und Reproduktion eine wesentliche Rolle für Benachteiligungen spielt.

      • = beeinflussen auch die soziale Ungleichheit, aber im Zentrum-Peripherie-Modell nur schwer zu erfassen sind.

Kreckel erkennt weiterhin Konflikte um Ressourcen (materielle und relationale) an, sieht aber auch die Stabilität von Gesellschaften durch Konsens (Prestigeordnung) und Zwang (Rechtsordnung, Gewaltmonopol) als erklärungsbedürftig.


Abgrenzung zu anderen Modellen:

  • Das Zentrum-Peripherie-Modell geht über rein ökonomische Betrachtungen hinaus und umfasst unterschiedliche Konfliktlinien und Überlappungen, ohne auf eine einfache Hierarchie zu reduzieren.

  • Es ist empirisch offen für Mischungen von Klassenzugehörigkeiten, Milieus und atomisierten Ungleichheiten.

  • Der Klassenbegriff als kollektiver Akteur wird nicht vorausgesetzt.

Kritik:

  • Manchen Kritikern ist der Ansatz zu deskriptiv und wenig theoretisch stringent.

  • Andere bemängeln, dass kulturelle und staatliche Einflüsse zu wenig berücksichtigt werden.

  • Trotzdem wird die Einbeziehung von Organisationen als Vorteil gesehen


W. Georg, Spellerberg (Lebensstile)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Lebensstile beschreiben, wie Menschen ihren Alltag gestalten: ihre Routinen, Vorlieben, Werte, Freizeitaktivitäten, Konsumgewohnheiten, soziale Kontakte, Einstellungen usw. und zeigen so, wie Menschen mit ihren Ressourcen umgehen und wie sie sich durch ihr Verhalten zu sozialen Gruppen zuordnen oder abgrenzen.

  • Anders als Klassen- oder Schichtmodelle, die sich oft nur auf materielle Kriterien (z.B. Einkommen, Beruf) stützen, betonen Lebensstilansätze vor allem die kulturellen und symbolischen Dimensionen des Lebens.

Heißt: Lebensstil ist also mehr als nur eine Sammlung von individuellen Vorlieben (z.B. Pfirsiche essen) — es geht um zusammenhängende Muster von Verhalten und Einstellungen, die sozial relevant sind.


Grundideen:

  • Max Weber: Lebensstil (style of life) ist Ausdruck des sozialen Prestiges (Stand), z.B. durch Konsummuster, Werte.

  • Georg Simmel: Lebensstil hilft Menschen, Identität in einer modernen Welt mit vielen Wahlmöglichkeiten zu finden; gleichzeitig mildert er die starke Individualität durch stilisierte Verhaltensweisen ab.

  • Thorstein Veblen: Lebensstil als Ausdruck sozialer Distinktion, z.B. demonstrativer Müßiggang der „feinen Leute“.

Diese Klassiker sahen Lebensstil auch als ein Mittel, um soziale Zugehörigkeit nach außen sichtbar zu machen und soziale Abgrenzungen zu erzeugen.

  • Moderne Lebensstilansätze entwickelten sich oft aus Marktforschung, um Konsum- und Wahlverhalten besser zu verstehen.

  • Lebensstile = Mittel, um Menschen in Gruppen mit ähnlichen Verhaltensmustern einzuteilen (z.B. „geltungsbedürftige Frau“, „Fun&Action“-Typ).

  • Im soziologischen Sinne sind Lebensstile mehrdimensional: betreffen

    • expressives Verhalten (Freizeit, Konsum),

    • interaktives Verhalten (Geselligkeit),

    • evaluatives Verhalten (Werte, Wahlverhalten) und

    • kognitives Verhalten (subjektive Zugehörigkeiten).

Funktionen von Lebensstilen

  • Sie strukturieren das Verhalten, indem sie Routinen und Orientierung geben.

  • Sie demonstrieren Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und grenzen diese gegen andere ab.

  • Sie fördern die persönliche Identität.

Vorteile von Lebensstilansätzen gegenüber Klassen- und Schichtmodellen

  • Weniger einseitig auf objektive Merkmale wie Einkommen fixiert.

  • Berücksichtigen die kulturelle Komponente und den Umgang mit Ressourcen.

  • Berücksichtigen gestiegene Wahlfreiheiten und die subjektive Perspektive.

  • Verknüpfen die Makroebene sozialer Strukturen mit der Mikroebene individueller Handlungsmuster.

  • Sie ermöglichen es, soziale Ungleichheit differenzierter zu erfassen, auch wenn Lebensstilgruppen nebeneinander existieren und nicht immer in Konkurrenz stehen.

Zwei Richtungen in der Lebensstilforschung

  1. Strukturierungsmodelle: Lebensstile werden als durch strukturelle Merkmale (Alter, Bildung, Geschlecht, soziale Lage) geprägt verstanden. Hier ergänzen Lebensstile klassische Sozialstrukturmodelle. Vertreter: Bourdieu, H.-P. Müller.

  2. Entstrukturierungsmodelle: Lebensstile sind ein eigenständiges, alternatives Konzept sozialer Differenzierung, das sich relativ von sozialen Ressourcen löst. Individuen handeln vor allem nach ihren Präferenzen. Vertreter: Karl H. Hörning, H. Lüdtke.


Lebensstile nach W. Georg

Grundidee: Georg versteht Lebensstile nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu Klassen- und Schichtmodellen.

  • Lebensstile entwickeln sich relativ früh in der Biographie (Hinweise auf Grundmuster).

  • Lebenszyklische Veränderungen werden nicht ausgeschlossen, z.B. durch Familiengründung.

  • Die Dynamik von Lebensstilen über die Lebensspanne ist aber kein zentraler Forschungsschwerpunkt bei Georg (und vielen anderen).

  • Zwei Analyseschwerpunkte:

    • Klassen- und Schichtungsforschung: Ungleiche materielle Ressourcen.

    • Lebensstilanalyse: Symbolische Ausdrucksformen von Ungleichheit und deren Auswirkungen (soziale Schließung, Sozialintegration).

Definition von Lebensstilen:

„Relativ stabile, ganzheitliche und routinisierte Muster der Organisation von expressiv-ästhetischen Wahlprozessen“ (Georg 1998: 92).

  • Expressiv-ästhetische Wahlprozesse: Fokus auf Geschmack und Verhalten als zentrale Dimensionen von Lebensstil.

  • Lebensstil zeigt sich in „wahrnehmbarer, klassifizierbarer und prestigeträchtiger Stilisierungspraxis“ im Alltag, mit repräsentativer Außenwirkung.

  • Beispiele: Freizeitgestaltung, Musikgeschmack, Wohnungseinrichtung, Kleidung, Kulturkonsum, Lesegewohnheiten, Mitgliedschaften, Interaktionsverhalten.

Ebenen, die zu einem Lebensstil führen:

  1. Soziale Lage

    • Vertikale Ressourcen: Einkommen, Bildung, soziale Netzwerke.

    • Horizontale Lebensbedingungen: Alter, Kohortenzugehörigkeit, Region.

  2. Mentale Ebene

    • Gemeinsame Wertorientierungen, Einstellungen, Lebensziele.

    • Symbolische Zugehörigkeiten und Abgrenzungen (Identitätsstiftende Funktion) mit eigenständiger Prädiktionskraft für Lebensstile

Wichtig: Georg nimmt keinen vorab feststehenden Zusammenhang zwischen sozialer Lage, mentaler Ebene und Lebensstil an, sondern betont die empirische Überprüfung. Dabei sollen besonders bedeutsame soziale Merkmale für Lebensstil-Ausprägungen herausgefunden werden.


Empirische Untersuchung (Georg 1990, Daten von Lifestyle '90):

  • Methode: Clusteranalyse (SINUS-Institut, repräsentative Stichprobe westdeutsche Bevölkerung ab 14 Jahren).

  • Ergebnis: 7 Lebensstiltypen mit jeweiligen Anteilen in der Bevölkerung:

Typ

Lebensstilbezeichnung

Anteil

1

Hedonistisch-expressiver Lebensstil

10,2 %

2

Familienzentrierter Lebensstil

19,2 %

3

Kulturbezogen-asketischer Lebensstil

11,3 %

4

Konservativ-passiver Lebensstil

14,9 %

5

Prestigebezogene Selbstdarstellung

11,1 %

6

Zurückhaltend-konventioneller Lebensstil

16,1 %

7

Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus

11,6 %

  • Beispiel zum Typ 4 „Konservativ-passiver Lebensstil“:

    • Unauffällige, traditionelle Lebensweise (Kleidung, Ernährung, Wohnung = konventionelle Gemütlichkeit).

    • Alter über Durchschnitt, sozioökonomisch eher niedriger Status (niedriges Einkommen, geringe Bildung).

    • Mentalität: rigide Geschlechterrollen, konservative Werte.


Wichtige Einflussfaktoren der sozialen Lage (stärkster Einfluss auf Lebensstile):

  • Alter (Kohorteneffekt, d.h. generationstypische Lebensstile eher als altersbedingte Veränderungen)

  • Familienstand („mit Partner zusammenlebend oder verheiratet, meist mit Kind“)

  • Bildungsniveau

  • Geschlecht

  • Einkommen und beruflicher Status spielen eine geringere Rolle als oft in Schichtmodellen.


Bedeutung der Mentalen Ebene auf die Soziale Lage:

  • Klassische Sozialmodelle sagen oft: Lebensstil hängt vor allem von sozialem Status (Beruf, Einkommen) ab.

  • Georg zeigt aber, dass Werte und Einstellungen der Menschen selbst ein eigener, wichtiger Faktor sind, der beeinflusst, wie Menschen leben, was sie konsumieren, wie sie sich ausdrücken – also ihren Lebensstil prägen.

  • Das heißt: Man kann Menschen mit ähnlicher sozialer Lage haben, die trotzdem unterschiedliche Lebensstile leben, weil sie unterschiedliche Werte und Einstellungen haben.

A. Spellerberg Lebensstile

Grundidee: Lebensstile sind für sie die „individuelle Organisation und expressive Gestaltung des Alltags“ und können helfen, Unterschiede in der Lebensqualität zu erklären

  • Unterschied: Georg sieht Werte als Einflussfaktor, der zu Lebensstilen führt. Spellerberg hingegen zählt Werte direkt zu den Bestandteilen eines Lebensstils – sie sind also Teil des Lebensstils selbst.

Dimensionen des Lebensstils nach H.P.Müller/ übernommen von Spellerberg

  1. Interaktive Dimension – z. B. Freizeitverhalten, soziale Kontakte

  2. Expressive Dimension – z. B. Musikgeschmack, Kleidung, Einrichtung

  3. Evaluative Dimension – z. B. Lebensziele, Werte, Überzeugungen

Einflussfaktoren auf Lebensstile:

  • Alter (als Kohorteneffekt)

  • Bildung

  • Geschlecht

  • Später auch: Einkommen und Kinder im Haushalt

Gruppen sind hypothetisch, aber sie spiegeln gut die Art von Kategorien wider, die Spellerberg anhand von kulturellen Vorlieben, Aktionsradius (häuslich vs. außerhäuslich) und Werten aufstellt:

Bezeichnung

Merkmale

Erlebnisorientierte Häusliche

Bleiben eher zuhause, suchen dort aber bewusst Erlebnisse (z. B. Medien, Gäste)

Hochkulturell Interessierte

Theater, Klassik, Literatur, oft mit höherem Bildungsniveau verbunden

Hedonistische Lebensgenießer

Genussorientiert, ausgehen, Unterhaltung, Konsumfreude

Traditionell-Familiäre

Werte wie Pflicht, Familie, Stabilität wichtig

Sozial Engagierte

Politisches Interesse, Vereine, Umwelt, Mitbestimmung

Moderne Individualisten

Selbstverwirklichung, flexibles Denken, kreativer Lebensstil



Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Gesellschaft differenziert nicht nur entlang ökonomischer Klassen, sondern auch nach Lebensstilen, Werthaltungen, Selbstbildern und Einstellungen. Solche Gruppen nennt man soziale Milieus – Milieus beeinflussen Chancen zur Teilhabe, z. B. an Bildung oder Politik – nicht alle Milieus haben gleiche Voraussetzungen

  • und entstehen durch die Verbindung von sozialer Lage (vertikale Dimension) mit grundlegenden Werthaltungen (horizontale Dimension).

    • Milieus repräsentieren Menschen, die in ähnlicher sozialer Lage leben und sich ähnlich zur Welt verhalten, denken und fühlen.

  • Dabei spielt der Begriff Habitus (nach Bourdieu) eine zentrale Rolle: Es handelt sich um tief verinnerlichte Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die das tägliche Leben prägen.

Allgemeine Milieudefinition (Hradil): Milieus sind Gruppen Gleichgesinnter, die gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten teilen.

  • Sie sehen und gestalten ihre Umwelt auf ähnliche Weise.

  • Sie sind an bestimmte soziale Lagen gebunden, aber filtern diese milieuspezifisch.

  • Es gibt fließende Übergänge zwischen den Milieu

= „Milieumodelle machen sichtbar, wie soziale Ungleichheit im Alltag entsteht, fortwirkt und sich im Lebensstil, in Werten und Selbstbildern spiegelt – nicht nur im Einkommen.“


Milieumodelle im Überblick & Vergleich

Theoretiker/Modell

Kernidee

Soziale Ungleichheit

Milieu-Beispiele

Pierre Bourdieu (frz. Soziologe)


Theorie der Kapitalien (ökonomisch, sozial, kulturell), Habitus, Lebensstil = Klassenfraktion

Ungleichheit durch ungleiche Kapitalverteilung & Habitus wird reproduziert

Unterschiedliche Geschmackskulturen, Bildungszugänge

Gerhard Schulze („Erlebnisgesellschaft“)

Lebensstile nach Erwartungshorizont (z. B. Harmonie, Selbstverwirklichung) statt rein sozialer Lage

Kulturelle Milieus zeigen, dass Ungleichheit nicht nur materielle, sondern auch symbolische Dimensionen hat

Harmoniemilieu, Integrationsmilieu, Selbstverwirklichungsmilieu

Ulrich Beck („Risikogesellschaft“)

EIGENE LERNKARTE MIT FOKUS INDIVIDUALIIERUNG

Individualisierung führt zu neuen Biografien & Lebenslagen → alte Klassenstrukturen lösen sich auf

Ungleichheit verlagert sich in Lebensrisiken (z. B. Arbeitslosigkeit) → neue Unsicherheiten

Entgrenzte, hybride Lebensformen – alte Milieus verlieren Strukturkraft

Sinus-Institut (empirisches Modell)

Kombination aus sozialer Lage + Grundorientierung (traditionell – modern – postmodern)

Deckt feine Unterschiede im Alltag auf → Konsum, Medien, Politik

Bürgerliche Mitte, Expeditives Milieu, Prekäres Milieu etc.

Franz Schultheis / Vester (Milieustudien)

Soziale Milieus entstehen durch Verbindung von Habitus + sozialer Lage

Ungleichheit zeigt sich auch in alltäglichem Denken, Fühlen, Handeln

z. B. traditionsverwurzeltes Milieu, sozialökologisches Milieu, prekäres Milieu


Milieumodelle im Detaill:


Pierre Bourdieu (Sozialer Raum)

Grundidee: nicht nur ökonomische Klassen wie bei Marx, sondern auch kulturelle und soziale Unterschiede werden berücksichtigt. Der soziale Raum ist also eine Art Landkarte sozialer Positionen, die auf verschiedenen Arten von Kapital basieren:


Kapitalarten nach Bourdieu:

die bestimmen, wo jemand im sozialen Raum steht:

Kapitalart

Bedeutung & Beispiele

Ökonomisches Kapital

Geld, Vermögen, Besitz (z.B. Immobilien, Aktien) – direkt in Geld umwandelbar.

Kulturelles Kapital

Wissen, Bildung, Bildungstitel, kulturelle Güter. Unterteilt in:

- Inkorporiertes

Bildung, Sprachgebrauch, Geschmack – durch Erziehung und Erfahrung erworben.

- Objektiviertes

Bücher, Kunstwerke, Instrumente – materiell, aber mit kulturellem Wert.

- Institutionalisiertes

Schul- und Hochschulabschlüsse, Diplome – offiziell anerkannte Bildungstitel.

Soziales Kapital

Beziehungen, Netzwerke, Zugehörigkeit zu Gruppen – z.B. einflussreiche Bekannte.

Symbolisches Kapital

Prestige, Ruf, gesellschaftliche Anerkennung – die „legitime“ Form der anderen Kapitale.

Um zu verstehen, wo jemand im sozialen Raum steht, braucht es drei Faktoren:

  1. Kapitalvolumen – Wie viel Kapital (gesamt)?

  2. Kapitalstruktur – Welche Form überwiegt? (z.B. mehr Bildung als Geld?)

  3. Soziale Laufbahn – Wie hat sich das Kapital im Lebenslauf verändert? (z.B. Aufstieg oder Abstieg?)

Der soziale Raum ist dynamisch und veränderbar, aber nicht beliebig - Menschen kämpfen darum, ihre Position zu verbessern

ChatGPT:

Super, dann gehen wir jetzt Schritt für Schritt ins Detail. Hier ist der erste Teil, „6.1 Soziale Positionen und Klassen“, sorgfältig gegliedert und erklärt:

6.1 Soziale Positionen und Klassen (nach Pierre Bourdieu)

1. Der soziale Raum – ein Modell der Gesellschaft

Pierre Bourdieu entwirft ein Modell des sozialen Raums, das nicht nur ökonomische Ungleichheiten, sondern auch kulturelle und soziale Unterschiede erfasst. Er erweitert den Begriff der „Klasse“ um Lebensstile und symbolische Ressourcen.

🔹 Zentrale Idee: Die Stellung eines Menschen in der Gesellschaft hängt nicht nur von Geld ab, sondern auch von Bildung, Beziehungen und Ansehen.

2. Die drei (bzw. vier) Kapitalarten

Bourdieu beschreibt verschiedene Kapitalsorten, die bestimmen, wo jemand im sozialen Raum steht:

Kapitalart

Bedeutung & Beispiele

Ökonomisches Kapital

Geld, Vermögen, Besitz (z.B. Immobilien, Aktien) – direkt in Geld umwandelbar.

Kulturelles Kapital

Wissen, Bildung, Bildungstitel, kulturelle Güter. Unterteilt in:

- Inkorporiertes

Bildung, Sprachgebrauch, Geschmack – durch Erziehung und Erfahrung erworben.

- Objektiviertes

Bücher, Kunstwerke, Instrumente – materiell, aber mit kulturellem Wert.

- Institutionalisiertes

Schul- und Hochschulabschlüsse, Diplome – offiziell anerkannte Bildungstitel.

Soziales Kapital

Beziehungen, Netzwerke, Zugehörigkeit zu Gruppen – z.B. einflussreiche Bekannte.

Symbolisches Kapital

Prestige, Ruf, gesellschaftliche Anerkennung – die „legitime“ Form der anderen Kapitale.

3. Die drei Bestimmungsgrößen für die soziale Position

Um zu verstehen, wo jemand im sozialen Raum steht, braucht es drei Faktoren:

  1. Kapitalvolumen – Wie viel Kapital (gesamt)?

  2. Kapitalstruktur – Welche Form überwiegt? (z.B. mehr Bildung als Geld?)

  3. Soziale Laufbahn – Wie hat sich das Kapital im Lebenslauf verändert? (z.B. Aufstieg oder Abstieg?)

4. Beispiele für Kapitalstruktur-Vergleiche

Person

Kapitalstruktur

Bemerkung

Fußballprofi ohne Abschluss

Hohes ökonomisches, niedriges kulturelles Kapital

Gesellschaftlich angesehen, aber „einseitig“

Historikerin im Museum

Hohes kulturelles, niedriges ökonomisches Kapital

Gebildet, aber materiell nicht besonders reich

Lehrer vs. Ingenieur

Lehrer: mehr kulturelles Kapital Ingenieur: mehr ökonomisches Kapital

Unterschiedliche Positionen im sozialen Raum

5. Klassen im sozialen Raum

Bourdieu unterscheidet drei Hauptklassen (aus der französischen Gesellschaft der 60er Jahre):

a) Herrschende Klasse

  • Zwei Flügel:

    • Wirtschaftskapitalstark: z.B. Unternehmer

    • Kulturkapitalstark: z.B. Professoren, Künstler

  • Dazwischen: Freiberufler mit ausgeglichener Kapitalstruktur

b) Mittelklasse

  • Absteigendes Kleinbürgertum: kleine Händler, Handwerker – gebunden an vergangene Lebensformen

  • Exekutives Kleinbürgertum: z.B. Lehrer, Büroangestellte – eher stabil, aber wenig Aufstiegspotenzial

  • Neues Kleinbürgertum: Berater, Medienberufe, Verkäufer – heterogene und dynamische Laufbahnen

c) Volksklasse (Beherrschte Klasse)

  • Arbeiter, Hilfsarbeiter, Landarbeiter – wenig Kapital, wenig Einfluss

Bourdieu betont, dass soziale Positionen nicht statisch sind:

  • Menschen kämpfen um Aufstieg oder Erhalt ihrer Position.

  • Sozialer Aufstieg ist möglich, aber anstrengend: „Man sieht dem Aufsteiger die Mühe an.“

  • Der soziale Raum ist daher nicht festgelegt, aber strukturierend.

Bourdieu: „Wenn ich sozial aufsteigen möchte, habe ich eine enorme Steigung vor mir, die ich nur mit äußerstem Kraftaufwand erklettern kann […]. Dieser Raum ist also von einer penetranten Realität – aber veränderbar.“


Gerhard Schulze - Erlebniswelt

Grundidee: In der Erlebnisgesellschaft lässt sich ein Individuum nicht mehr einfach nur einem einzigen Lebensstil oder Milieu zuordnen. Stattdessen bestimmt sich die Position eines Menschen durch die Kombination aus Nähe und Distanz zu verschiedenen alltagsästhetischen Schemata. Es gibt drei grundlegende Schemata, die beschreiben, wie Menschen ihre Lebenswelt ästhetisch und emotional gestalten:

  • Hochkulturschema (Interesse an klassischer Kultur, Anspruch, Bildung)

  • Trivialschema (Orientierung an populärer, leichter, trivialer Unterhaltung)

  • Spannungsschema (Suche nach Nervenkitzel, Abwechslung, Aktivität)

Eine Nähe oder Distanz zu diesen Schemata wird mit einem „+“ bzw. „–“ angegeben.

Die verschiedenen Kombinationen aus Nähe und Distanz zu diesen drei Schemata bilden fünf typische soziale Milieus. Jedes Milieu ist eine Gruppe von Menschen mit charakteristischen Lebensweisen, Interessen und Kommunikationsformen, die sich von anderen Milieus deutlich abheben.


Erläuterung der Milieus

  • Niveaumilieu: Menschen mit hoher Nähe zum Hochkulturschema, aber Distanz zu trivialer Unterhaltung und Spannung. Sie legen Wert auf Bildung, kulturelle Ansprüche und gesellschaftlichen Status.

  • Integrationsmilieu: Nähe zu Hochkultur und Trivialkultur, aber keine Spannung. Diese Menschen suchen soziale Integration und Konformität, kombinieren Anspruch mit Alltagsnähe.

  • Harmoniemilieu: Distanz zu Hochkultur und Spannung, aber Nähe zum Trivialschema. Fokus liegt auf familiärer Geborgenheit, Harmonie und einfachen Genüssen.

  • Selbstverwirklichungsmilieu: Nähe zu Hochkultur und Spannung, Distanz zum Trivialschema. Hier finden sich Menschen, die sich individuell entfalten wollen, sich kulturell vielfältig interessieren (Kleinkunst, Popmusik) und aktiv neue Erfahrungen suchen.

  • Unterhaltungsmilieu: Distanz zu Hochkultur und Trivialschema, aber Nähe zum Spannungsschema. Die Orientierung liegt auf Spaß, Abwechslung und Nervenkitzel

Soziale Einordnung der Milieus

Die Zugehörigkeit zu einem Milieu wird stark beeinflusst durch zwei sozial leicht sichtbare Dimensionen:

  • Alter (jünger oder älter als ca. 40 Jahre)

  • Bildungsniveau (niedrig, mittel, hoch)

Diese beiden Faktoren erzeugen eine „gespaltene Vertikalität“: Die klassische soziale Hierarchie (Bildung, Beruf) wird durch die altersbezogene Erlebnisorientierung ergänzt und zum Teil relativiert.

Übersicht der fünf Milieus mit den Nähe-Distanz-Kombinationen

Milieu

Hochkulturschema

Trivialschema

Spannungsschema

Zentrale Orientierung

Niveaumilieu

+

Streben nach Rang, Status, Niveau

Integrationsmilieu

+

+

Streben nach sozialer Konformität

Harmoniemilieu

+

Streben nach Geborgenheit und Harmonie

Selbstverwirklichungsmilieu

+

+

Streben nach Selbstverwirklichung und Individualität

Unterhaltungsmilieu

+

Streben nach Stimulation und Abwechslung

Zusammenfassung

  • Die Milieus repräsentieren keine starren Schubladen, sondern unterschiedliche Erlebnisorientierungen und kulturelle Präferenzen.

  • Sie entstehen durch spezifische Kombinationen von Nähe und Distanz zu drei alltagsästhetischen Schemata.

  • Alter und Bildung sind entscheidende soziale Merkmale für die Milieuzugehörigkeit.

  • Zwischen den Milieus herrscht kein klassischer Konflikt, sondern eher Gleichgültigkeit oder leichte Verachtung ohne feste Hierarchie.

  • Das Modell ist besonders für Zeiten relativen Wohlstands aussagekräftig, wobei aktuelle Forschungen bestätigen, dass es weiterhin eine gute Beschreibung gesellschaftlicher Lebensstile bietet.

SINUS Milieus:

Grundidee: Annahme, dass Menschen sich in sozialen Milieus zusammenfinden, die sich durch ähnliche Lebensauffassungen und Lebensweisen auszeichnen. Diese Milieus bilden somit subkulturelle Einheiten innerhalb der Gesellschaft. Das Modell wurde vom SINUS-Institut (Becker & Nowak, 1985) entwickelt und ist stark an den Bedürfnissen der Marktforschung orientiert. Ziel ist es, anhand von Milieus typische Konsumstile zu identifizieren, um Werbe- und Marketingstrategien gezielt auszurichten.

  • Das Modell ist als zweidimensionales Koordinatensystem aufgebaut:

    • Horizontale Achse: Wertorientierungen, von traditionellen zu postmateriellen bzw. modernisierten und individualisierten Werten.

    • Vertikale Achse: Soziale Lage basierend auf Bildung, Beruf und Einkommen.

  • Modell wurde fortlaufend an gesellschaftliche Veränderungen angepasst, z.B. Einführung neuer Milieubezeichnungen wie „Prekäre“ oder „Expeditive“.

  • Ab 2000 ein gesamtdeutsches Milieumodell, auch differenziert für Ost- und Westdeutschland.

  • Das Modell wird auch auf andere Zielgruppen (Migranten, andere Länder) angewandt und in Meta-Milieus zusammengefasst.

Die Achsen des SINUS-Milieus-Modells

Achse

Beschreibung

Horizontal

Wertorientierung (Tradition – Modernisierung/Individualisierung – Neuorientierung)

Vertikal

Soziale Lage (Bildung, Beruf, Einkommen)

Beispielmilieu: Die „Expeditiven“

  • Merkmale:

    • Nonkonformistisch, kreativ, Avantgarde

    • Mental, kulturell und geografisch mobil

    • Vernetzt sowohl online als auch offline

  • Sie symbolisieren die kulturelle Avantgarde und gelten als Trendsetter.

Allgemeine Verteilung (2017) — einige Milieus (Auszug)

Milieu

Wertorientierung

Soziale Lage

Typische Merkmale

Traditionelle

Tradition

eher niedrig bis mittel

Bewahrung von Bewährtem, Familienorientierung

Konsum-Materialisten

Modernisierung/Individualisierung

untere Mittelschicht/Unterschicht

Fokus auf Konsum, materielle Sicherheit

Prekäre

Modernisierung/Individualisierung

untere soziale Schichten

Unsicherheiten, materielle Sorgen

Modern Mainstream

Modernisierung/Individualisierung

Mitte

Wunsch nach Harmonie, sozialer Sicherheit

Expeditiven

Neuorientierung

obere Mittelschicht

Kreativ, mobil, nonkonformistisch

Funktion und Kritik des Modells

  • Funktion:

    • Erfassung von Lebenswelten und subjektiven Lebenslagen

    • Zielgruppenanalyse für Marketing und Werbung

    • Darstellung gesellschaftlicher Vielfalt jenseits klassischer Schichtmodelle

  • Kritik:

    • Erfassung der Werthaltungen oft nur eindimensional (Schulze, 1990)

    • Einbeziehung sozialstruktureller Kategorien widerspricht zum Teil dem Anspruch der Milieuforschung

    • Mangelnde Berücksichtigung von Determinanten und Dynamiken des Milieuwechsels (Müller, 1989)

    • Zusammenhang zwischen individuellem Wertewandel und gesellschaftlichem Wandel nicht immer ausreichend dargestellt

Zusammenfassung

Das SINUS-Milieumodell ist ein praxisnahes Instrument, das gesellschaftliche Vielfalt und Lebensstile auf Basis von Wertorientierungen und sozialer Lage erfasst. Es ist besonders für die Marktforschung von Bedeutung, wird aber auch in soziologischen Kontexten genutzt. Das Modell spiegelt die Veränderungen der Gesellschaft wider und bietet mit seiner zweidimensionalen Struktur eine differenzierte Sicht auf Milieus. Zugleich gibt es methodische und theoretische Grenzen, die im wissenschaftlichen Diskurs kritisch reflektiert werden.

Falls du möchtest, kann ich dir auch die wichtigsten Milieus mit ihren typischen Merkmalen noch detaillierter aufschlüsseln!


Vester et al.

Grundidee: Gruppen mit ähnlichem Habitus und ähnlicher Alltagskultur (Anlehnung an Bourdieu). Milieus sind keine starren politische Großgruppen mehr, sondern lebendige Traditionslinien, die sich in ihren Lebensstilen und Einstellungen unterscheiden. Trotz Modernisierung und Differenzierung existieren weiterhin Kulturschranken und gegenseitige Vorurteile zwischen den Milieus.

  • Autorität = entscheidende kulturelle Trennlinie innerhalb der Gesellschaft.

  • Einstellung beeinflusst maßgeblich, wie Menschen ihr Leben gestalten, welche Normen und Werte sie internalisieren und wie sie auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren.

    • Bandbreite reicht von autoritären bis zu avantgardistischen Grundeinstellungen.

Die Achsen des Vester-Milieumodells

Achse

Beschreibung

Vertikal

Soziale Lage (Wohlstand, soziale Chancen, Macht, Einfluss)

Horizontal

Einstellung zu Autorität (von autoritär bis avantgardistisch)


Merkmale der Pole:

Autoritäre Grundeinstellung

Avantgardistische Grundeinstellung

- Wertschätzung von Ordnung, Gehorsam, Disziplin

- Kritik an traditionellen Autoritäten

- Betonung von festen sozialen Rollen und Normen

- Offenheit für neue Lebensformen und Experimente

- Glaube an klare Hierarchien und deren Legitimität

- Suche nach Individualisierung und Selbstverwirklichung

- Tendenz zu konservativen bis reaktionären Werten

- Politisch oft progressiv oder kritisch gegenüber Machtstrukturen

- Sicherheitsbedürfnis und Stabilität im Vordergrund

- Flexibilität und Unsicherheitsbereitschaft

  • Während andere Milieumodelle oft primär über Wertorientierungen (z.B. traditionell vs. modern/postmateriell) oder soziale Lage (Schicht) differenzieren, bringt Vester mit der Autoritätsdimension eine explizite kulturelle Konfliktlinie ins Spiel.

  • Diese ermöglicht eine differenziertere Analyse von sozialen Spannungen, politischen Einstellungen und Milieuspezifischem Umgang mit Macht und Kontrolle.

  • So lässt sich etwa erklären, warum bestimmte Milieus trotz sozialer Modernisierung autoritäre Einstellungen bewahren oder warum avantgardistische Milieus eher zu gesellschaftlichen Reformen neigen.

Wichtige Erkenntnisse

  • Milieus passen ihre Lebensweisen und Einstellungen stets an gesellschaftliche Veränderungen an, bleiben dabei aber milieuspezifisch geprägt.

  • Unterprivilegierte, insbesondere arbeitslose Milieus, zeigen oft aktive Anpassung (z.B. informelle Gelegenheitsarbeit), anstatt zu resignieren.

  • Mittlere Milieus legen oft mehr Wert auf Beständigkeit und Zuverlässigkeit, was sie in einer sich wandelnden Gesellschaft anfälliger machen kann.

  • Die vertikale Dreiteilung der Gesellschaft wird wieder stärker beachtet: Respektable Milieus und unterprivilegierte Verlierergruppen sind zunehmend sozial getrennt.

Beispielhafte Milieustruktur (Westdeutschland, 2003)

  • Oberschichtliche, avantgardistische Milieus: hohe soziale Chancen, moderne, teilweise postmaterielle Werte

  • Mittlere Milieus: Stabilität, beruflicher Erfolg, konservative bis moderne Wertorientierungen

  • Unterprivilegierte Milieus: prekäre soziale Lage, eingeschränkte soziale Teilhabe, oft mit resignativem oder aktiven Anpassungsverhalten

Zusammenfassung

Das Milieumodell von Vester et al. betont die Lebensweltlichkeit sozialer Gruppen und deren Wandel im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung. Es berücksichtigt soziale Ungleichheit und kulturelle Einstellungen als zentrale Dimensionen. Dabei wird deutlich, dass soziale Milieus nicht statisch sind, sondern sich mit veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kontinuierlich wandeln und ihre Identität neu justieren. Besonders die Sicht auf prekarisierte Milieus und deren Umgang mit Unsicherheiten stellt eine wichtige soziologische Ergänzung dar.

Soziale Lagen/ Intersektionalität

Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: will über klassische Klassen- und Schichtmodelle hinausgehen, indem es mehrdimensionale soziale Ungleichheiten abbildet – also nicht nur Beruf oder Einkommen, sondern auch Lebensbedingungen, soziale Absicherung, Bildung, Wohnverhältnisse etc.


Hradil Lagemodell

Grundidee: strukturell orientierte, dynamikoffene Form, soziale Ungleichheit differenzierter zu analysieren. Es berücksichtigt mehrere Dimensionen gleichzeitig, vermeidet starre Hierarchien und ermöglicht Wandelanalysen


Zentrale Merkmale

Merkmal

Erläuterung

Mehrdimensionalität

Soziale Lagen bestehen aus mehreren Dimensionen (z. B. Geld, Bildung, Macht, soziale Beziehungen, Absicherung, Wohn- und Arbeitsbedingungen). Diese werden in primäre und sekundäre Dimensionen unterteilt.

Nicht-additive Verknüpfung

Die Dimensionen wirken nicht einfach additiv, sondern unterschiedlich stark – je nach Lage. Bestimmte Merkmale können dominant sein (z. B. bei Reichen ist Geld zentral, bei der Bildungselite die Qualifikation).

Statusinkonsistenz erfassbar

Menschen mit widersprüchlichen Merkmalen (z. B. viel Bildung, aber wenig Geld) lassen sich trotzdem systematisch einordnen.

Nicht strikt hierarchisch

Es gibt zwar vorteilhaftere oder nachteiligere Lebenslagen, aber keine klare vertikale Rangordnung wie in Schichtmodellen.

Objektive Lebensbedingungen im Fokus

Lagen beschreiben vor allem die strukturelle Ausgangslage (nicht das subjektive Erleben). Subjektive Aspekte (z. B. Werte, Lebensstile) können ergänzend über Milieus betrachtet werden.

Kontextspezifisch und wandelbar

Lebenslagen sind kontextabhängig und können sich im Lebensverlauf verändern (Mobilität, neue Lebensumstände, gesellschaftlicher Wandel).


📊 Soziale Lagen nach Hradil

Nr.

Bezeichnung

Primäre Dimension(en)

Sekundäre Dimensionen (Beispiele)

1

Macht-Elite

Formale Macht (1)

Geld (1–2), Bildung (1–2), Prestige (1–2)

2

Reiche

Geld (1)

Bildung (1–3), Prestige (1–2), Formale Macht (1–3)

3

Bildungselite

Formale Bildung (1)

Geld (2–3), Prestige (1–2), Formale Macht (2–3)

4

Manager

Formale Macht (2)

Geld (1–2), Bildung (1–2), Prestige (2), Arbeit (2–4), Freizeit (3–4)

5

Experten

Formale Bildung (2)

Geld (1–3), Prestige (2–3), Formale Macht (2–4), Arbeit (2–4), Freizeit (2–4)

6

Studenten

Formale Bildung (3)

Geld (3–5), Arbeit (1–3), Freizeit (1–3)

7

Normalverdiener mit geringen Risiken

Geld (3–4), Risiken (1–2)

Bildung (3–4), Prestige (3–4), Arbeit (1–3), Freizeit (1–2), Wohnen (2–3)

8

Normalverdiener mit mittleren Risiken

Geld (3–4), Risiken (3–4)

Bildung (3–4), Prestige (3–4), Arbeit (2–4), Freizeit (2–4), Wohnen (2–4)

9

Normalverdiener mit hohen Risiken

Geld (3–4), Risiken (5–6)

Bildung (4–5), Prestige (4–5), Arbeit (3–5), Freizeit (2–4), Wohnen (3–4)

10

Rentner

Geld (2–4), Soziale Rollen (5–6)

Freizeit (3–4), Wohnen (2–5), Beziehungen (3–5), Institutionen (4–5)

11

Langfristig Arbeitslose

Geld (4–5), Risiken (5–6)

Bildung (4–5), Prestige (4–5), Beziehungen (3–5), Institutionen (4–5), Wohnen (2–5)

12

Arme (nicht erwerbstätig)

Geld (6)

Prestige (5), Beziehungen (3–5), Institutionen (4–5), Wohnen (4–5)

13

Randgruppen

Diskriminierung (5–6)

Geld (3–5), Bildung (4–5), Wohnen (3–6), Rollen (4–6), Institutionen (4–6)


Schwenks Analyse

Grundidee: Systematische und empirisch fundierte Anwendung von Hradils Modell der sozialen Lagen um eine Differenzierte Beschreibung sozialer Ungleichheit auf mehreren Ebenen zu vollziehen.

  • Methode: Sekundäranalyse mit einer Clusteranalyse auf Basis von sieben Merkmalen.

    • Bildung

      • Schul- und Berufsabschluss

      • Bildungsniveau im Haushalt

    • Berufliche Stellung / Erwerbsstatus

      • Erwerbstätig, arbeitslos, Rentner*in, Hausfrau/-mann etc.

      • Stellung im Beruf (z. B. Arbeiterin, Angestellter, Selbstständige*r)

    • Einkommen

      • Nettoeinkommen des Haushalts

      • Äquivalenzeinkommen

      • Einkommenszufriedenheit

    • Wohnverhältnisse / Wohnumfeld

      • Wohnungsgröße, Ausstattung, Eigentum vs. Miete

      • Wohnlage (z. B. Innenstadt, Peripherie)

    • Soziale Integration / Einbindung

      • Anzahl und Qualität sozialer Kontakte

      • Vereinsmitgliedschaften, nachbarschaftliche Einbindung

    • Subjektives Wohlbefinden / Anomie

      • Gefühl von Einsamkeit, Perspektivlosigkeit, Orientierungslosigkeit

      • Werteverlust oder Normunsicherheit

    • Freizeitverhalten / kulturelle Teilhabe

      • Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen

      • Mediennutzung, Sport, Konsumverhalten

Schwenk unterscheidet insgesamt:

  • 10 soziale Lagen in Westdeutschland

  • 9 soziale Lagen in Ostdeutschland

  • Die Lagen werden nicht in ein einheitliches Ungleichheitsmodell für Deutschland überführt.

    • Grund: Komplexität und Differenz der Bedingungen in Ost und West.

Schwenk ordnet die Lagen in drei Gruppen:

  1. Vorteilhafte Lebensbedingungen

  2. Nachteilige Lebensbedingungen

  3. Kombinierte Lebensbedingungen (Mischformen)

Fazit:

  • Das Modell der sozialen Lagen nach Schwenk bietet eine mehrdimensionale, empirisch fundierte Beschreibung sozialer Ungleichheit.

  • Es geht über einfache Schichtmodelle hinaus, da:

    • Mehrere Dimensionen (auch subjektive) berücksichtigt werden.

    • Es weniger stark auf Berufstätigkeit fokussiert ist.

  • Dennoch bleibt es deskriptiv und erfordert bei der Anwendung konsequente methodische Klarheit.

Habich & Noll (2008)

  • Erweitern den Begriff der sozialen Lage:

    • Umfassen nicht nur „alte“ Dimensionen (z. B. Bildung, Beruf), sondern auch „neue soziale Ungleichheiten“.

    • Berücksichtigen neben objektiven auch subjektive Merkmale.

  • Differenzieren zusätzlich nach:

    • Erwerbsstatus (auch Rentner*innen)

    • Geschlecht

    • Region (Ost/West)

    • Alter


Prekäre Lagen


B. Vogel – „Prekärer Wohlstand“ und soziale Verwundbarkeit

Grundidee: Menschen in prekären Wohlstandslagen haben noch Ressourcen, aber ihr Leben ist extrem fragil: Lebenslagen als uneindeutige, spannungsreiche soziale Positionen - ähnlich wie ein Kartenhaus.

  • Soziale Sicherheit ist hier ein Voraussetzungskriterium für das Gefühl der Verwundbarkeit.

  • Vogel verbindet damit materielle Sicherheit mit psychischer Unsicherheit als zentrales Charakteristikum prekarer Lagen.

P. Böhnke – Differenzierung von Verunsicherung und Ausgrenzung

  • Böhnke grenzt klar ab zwischen:

    • Objektiver sozialer Ausgrenzung (z.B. Armut, Langzeitarbeitslosigkeit, verbunden mit Qualifikationsmangel).

    • Subjektiver Verunsicherung (Angst vor sozialem Abstieg, Verlustängste in Mittelschichten).

  • Seine Analyse zeigt:

    • Prekarität breitet sich nicht sprunghaft in der Gesellschaft aus, sondern bleibt stark an Bildung und Klasse gebunden.

    • Verunsicherung ist jedoch ein breiteres Phänomen, das auch mittlere soziale Lagen betrifft.

  • Wichtig ist für Böhnke die Unterscheidung beider Formen, um angemessen politisch und sozial intervenieren zu können.

  • Er schlägt vor, in Zukunft Lebensverläufe zu untersuchen, um die Wirkung von Abstiegsängsten auf objektive Lebenslagen besser zu verstehen.

3. Neugebauer (Friedrich-Ebert-Stiftung-Studie 2006) – Milieu-Modell

  • Neugebauer verwendet ein politisch-kulturelles Milieu-Konzept, das Milieus über Werteprofile definiert (Libertarismus – Autoritarismus, soziale Gerechtigkeit – Marktfreiheit, Religiosität – Säkularität).

  • Das Milieu „abgehängtes Prekariat“ (8% der Bevölkerung) steht für eine Gruppe mit prekären Lebensverhältnissen, geprägt von:

    • Häufigem Arbeitslosigkeitsrisiko

    • Erlebten Abstiegsbiografien

    • Zukunftsängsten und Skepsis gegenüber politischen Reformen

    • Hoher Nichtwählerquote und Stimmverteilung zu Randparteien (links wie rechts)

  • Die Studie zeigt, dass soziale Ungleichheit und politische Einstellungen miteinander verknüpft sind.

  • Sie erweitert die Ungleichheitsforschung um eine mehrdimensionale Perspektive, die vertikale soziale Schichtung und kulturelle Milieuunterschiede integriert.

  • Damit zeigt das Modell, dass sich soziale Unsicherheiten nicht ausschließlich über klassische Schichtmerkmale, sondern auch über Werte und politische Einstellungen erfassen lassen.



Ulrich Beck + P.A. Berger (Individualisierung)


Wandelperspektive sozialer Ungleichheit: Individualisierungsthese nach Beck behauptet, dass sich soziale Ungleichheit heute nicht mehr entlang klarer Klassen- oder Schichtlinien beschreiben lässt, sondern sich in einer pluralisierten, individualisierten Gesellschaft in biografischen Entscheidungsprozessen und Risiken ausdrückt. Sie stellt klassische soziologische Kategorien infrage und betont die Ambivalenz zwischen Freiheit und Zwang. Kritiker werfen Beck jedoch vor, gesellschaftliche Strukturen zu unterschätzen.


Grundidee: These, dass traditionelle Großkategorien wie Klasse, Stand oder Schicht nicht mehr geeignet sind, die gesellschaftliche Realität zu beschreiben. Soziale Ungleichheit ist nicht mehr klar strukturiert, sondern zunehmend fragmentiert und individualisiert. Er spricht deshalb von einer Entstrukturierung sozialer Ungleichheit.

  • Fahrstuhleffekt: Beck argumentiert, dass sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Gesellschaft stark verändert hat. Es kam zu einem allgemeinen Wohlstandszuwachs, der klassische Klassenstrukturen aufgeweicht hat. Zwar bestehen soziale Ungleichheiten (z. B. in Einkommen oder Bildung) weiterhin, aber sie treten weniger deutlich in den Vordergrund, weil sich alle sozialen Gruppen verbessert haben.

  • = Die Ungleichheit (die Abstände) bleibt zwar bestehen, aber niemand steht mehr ganz unten, und subjektiv fühlt es sich weniger dramatisch an.


Drei Dimensionen der Individualisierung (Beck 1986)

  1. Freisetzung

    • Loslösung von traditionellen Bindungen (z. B. Herkunft, Geschlecht, Rolle).

    • Mehr Entscheidungsspielräume (z. B. Berufswahl, Lebensform).

    • Beispiel: Arbeiterkinder werden nicht automatisch wieder Arbeiter.

  2. Entzauberung

    • Freiheit bringt Unsicherheit, neue Risiken.

    • Wegfall kollektiver Sicherheiten (z. B. Klassenloyalität, Familienbindung).

    • Individuen müssen ihre Biografie selbst planen, auf eigene Faust Risiken tragen.

    • Verantwortung für Misserfolg wird dem Einzelnen zugeschrieben (z. B. bei Arbeitslosigkeit).

  3. Reintegration

    • Individuen werden nicht einfach freigesetzt, sondern neu eingebunden – aber nicht über Kollektive, sondern direkt durch Institutionen (z. B. Arbeitsmarkt, Bildungssystem, Sozialstaat).

    • Beck nennt dies „institutionelle Individualisierung“.

    • Freiwillige Bindungen und Eigenverantwortung treten in den Vordergrund.

Doppelgesicht der Individualisierung

  • Individualisierung bedeutet mehr Freiheit, aber auch mehr Druck und Unsicherheit.

  • Beispiel: Frauen können heute arbeiten, stoßen aber auf strukturelle Barrieren am Arbeitsmarkt.

  • Biografien sind einzigartiger, aber nicht beliebig – es gibt weiterhin Standardisierungen und strukturelle Einflüsse (z. B. Bildungswege).

Ursachen der Individualisierung

  • Wirtschaftlicher Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg (→ „Fahrstuhleffekt“):

    • Alle Gesellschaftsschichten profitieren in gewissem Maß – Unterschiede bleiben, aber subjektiv weniger bedeutsam.

  • Soziale Mobilität:

    • Menschen wechseln Wohnorte, Berufe – verlieren den direkten Bezug zu Herkunftsmilieus.

  • Wohlfahrtsstaatliche Absicherung:

    • Bildung und soziale Sicherung stärken die Handlungsmöglichkeiten des Individuums.

Konsequenzen für das Verständnis sozialer Ungleichheit

  • Es gibt keine festen, klar abgrenzbaren Gruppen mehr.

  • Stattdessen: „Bastelbiographien“, Vielfalt der Lebensverläufe, aber weiterhin von Strukturen beeinflusst.

  • Die Gesellschaft wird komplexer, differenzierter, pluralisierter – Klassenzugehörigkeit ist nicht mehr das zentrale Erklärungsmodell.

  • Becks These führt zu einem Paradigmenwechsel: von der Struktur zu den individuellen Lebensverläufen und deren Risiken.


Kritik: Entstrukturierung als radikale These

  • Kritiker wie R. Geißler oder H.-P. Müller sehen Becks Ansatz als überzogen oder als „Phänomenologie“ sozialer Ungleichheit, die keine klare Systematik mehr erkennen lässt.

  • Sie plädieren stattdessen für eine modifizierte Weiterverwendung klassischer Kategorien (z. B. Schichtmodell).


Author

Cathérine C.

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