Die neue Welt des autonomen Diskurses (nach Ong)
“Ein tieferes Verständnis der alten oder primären Oralitäten ermöglicht uns auch ein besseres Verständnis der neues Welt der Schrift.”
Primäre Oralität: ➡️ Traditionelle mündliche Kulturen ➡️ Denken ist natürlich, unmittelbar, körperlich verwurzelt
Schriftkultur („literalisierte Menschen“): ➡️ Denken entsteht nicht mehr urwüchsig, sondern durch die Technologie des Schreibens geformt ➡️ Auch mündliche Äußerungen werden vom Schreibdenken geprägt
„Ohne die Schrift könnte das literalisierte Bewusstsein nicht so denken, wie es denkt.“
Schrift ist kontextfrei, d. h. unabhängig von der konkreten Gesprächssituation
Wird nicht direkt hinterfragt oder angefochten
„Autonomer Diskurs“: Text steht unabhängig vom Autor
(wie bei Platon)
„Ein Diskurs also, der nicht wie die orale Rede befragt oder angefochten werden kann, weil er sich nämlich von seinem Autor unabhängig gemacht hat.“
Autonome Diskurse gibt es auch in der oralen Tradition
Z. B. feststehende Sprüche, Prophezeiungen, Rituale
Sprecher ist nur Medium (z. B. Delphisches Orakel hat auch nur Wort eines Gottes verkündet)
„Das Delphische Orakel war für die Prophezeiungen nicht verantwortlich, denn sie galten als die Stimme des Gottes.“
Bücher „entfernen“ den Text von der Quelle (Autor)
Text bleibt bestehen, selbst nach Kritik
Dies ist der Grund für: „Es steht geschrieben“ ≈ „Es ist wahr“
„Nach totaler und vernichtender Kritik bleibt er doch stets der alte.“
Texte können nicht „zur Rechenschaft gezogen“ werden
bleiben auch nach Kritik bestehen
Daher wurden Bücher verbrannt, um ihre Wirkung zu stoppen
„Wenn ein Text etwas behauptet, das der Meinung der ganzen Welt zuwiderläuft, dann tut er das, solange er als Text existiert.“
1️⃣ Unmenschlich:
Schreiben „tut so“, als könne Denken außerhalb des Geistes existieren
wie bei Computern: diese gelten auch als etwas künstlich hergestelltes, das den Denkprozess externalisiert
2️⃣ Gedächtnisschwund:
Verlassen auf äußere Zeichen statt innere Kräfte
bei Taschenrechnern Angst, dass Kinder deswegen weniger intelligent werden
3️⃣ Nicht befragbar:
Schrift kann keine Rückfragen beantworten
bei Computern: “Blödsinn rein, Blödsinn raus”
4️⃣ Wehrlos:
Schrift kann sich nicht verteidigen → passiv & „tot“
„Schreiben sei passiv, äußerlich, in einer irrealen, unnatürlichen Welt angesiedelt.“
diese unnatürliche Welt ist auch der Computer
z. B. beim Druck (z. B. 15. Jh.): Angst vor Gedächtnisverlust & geistiger Schwächung
„Das Überangebot an Büchern […] zerstöre das Gedächtnis und schwäche den Geist.“
Platon muss seine Kritik schriftlich formulieren, um sie zu verbreiten
Kritiker des Drucks drucken ihre Kritik
Kritiker von Computern nutzen Computer, um diese zu verbreiten
Ist erst das Wort technologisiert, gibt es keinen effektiven Weg, dies zu kritisieren, es sei denn mit Hilfe fortgeschrittenster technischer Errungenschaften.
Havelock erkannt das Platons komplette Kritik an der Schrift eigentlich nur eine Zurückdrängung der oralen Tradition war.
außerdem baut seine Ideenlehre auf dem Begriff der idea auf; und diese bezieht sich auf etwas Visuelles
aber warum kommt es vor, dass Kritik an Technologie sich selbst so widerspricht
Das Denken nimmt äußere Werkzeuge (Schrift, Computer) in sich auf
Werkzeuge werden Teil des Denkens selbst
„Das Denken internalisiert äußere Hilfsmittel, macht sie zu Teilen des eigenen Reflexionsprozesses.“
Assoziationen mit Schrift ist Tod
findet sich auch bei Platon, wenn er schreib Schrift sei inhuman, verdinglicht
aber auch in andere Quellen wie Horaz, 2. Korintherbrief
Aber: Gerade diese „Abgestorbenheit“ sichert ihre Beständigkeit
„Gerade die Abgestorbenheit des Textes garantiert seine Fortdauer.“
Text ist unbeweglich, aber dadurch dauerhaft
Zitate zeigen diese Spannung:
„Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig.“ (2. Korintherbrief)
Horaz: „Ich habe ein Denkmal errichtet, dauerhafter als Erz.“
Bücher als „Epitaph“ (Grabinschrift)
„Die tote Blume […] ist das psychische Äquivalent des verbalen Textes.“
Nicht nur Werkzeug, sondern formt Bewusstsein selbst
Schrift kann nicht befragt werden, ist „widerspenstig“ und eigenständig
Kritik an Technik muss Technik nutzen
Schrift = zugleich tot und unsterblich
Fixiert Inhalte, garantiert Weiterleben über Generationen
Aspekt
Schrift
Mündliche Rede
Herkunft
Verdinglicht, „tot“
Lebendig, interaktiv
Flexibilität
Starr, autonom
Anpassungsfähig
Gedächtnis
Äußere Stütze, schwächt
Fördert innere Kraft
Dauer
Ewig, unzerstörbar
Vergänglich, flüchtig
Kritikfähigkeit
Nicht befragbar
Dialogisch, offen
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