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Mit Prototypen arbeiten

AG
by Adele G.

Typologien, Prototypen und Sprachspiele nach Strube

1. Strubes ‚Sprachspiele‘ in der Literaturwissenschaft 🗣️

Strube beschreibt drei Arten von „Sprachspielen“, die Literaturwissenschaftler auf dem Gebiet der Gattungen spielen können:

  1. Typologie literarischer Elemente → Werke nach Struktur und Elementen gliedern.

  2. Eintragung in das literaturwissenschaftliche Lexikon → Begriffe sammeln, definieren, lexikalisieren.

  3. Einleitung in die Geschichte der literarischen Gattungen → historische Einordnung.

💡 Hinweis: Alle drei Punkte behandelt Strube eher oberflächlich.

2. Typologische Begriffe: Gliederung nach Typen 🔹

  • Ziel: „Verwickelte Welt der Literatur nach Typen gliedern“

  • Typologische Begriffe beziehen sich auf:

    • Allgemeine literarische Elemente → episch, lyrisch, dramatisch

    • Spezielle Elemente bestimmter Werke → Figurenroman, Raumroman

  • Eigenschaften:

    • Unscharf: Werke gehören mehr oder weniger einem Typ an

    • Vergleichend: „komparative Begriffe“

    • Elastisch: flexible Zuordnung möglich

3. Prototypen: Ausgangspunkt für neue Gattungen ⭐

  • Strube: Klassifikation benötigt Prototypen, um neue Gattungen zu isolieren.

  • Vorgehen:

    • Auswahl eines klaren, unzweideutigen Ausgangsbeispiels

    • Abstraktion und Idealisierung → komplexe Fälle werden zunächst ignoriert

    • Beispiel: Wolfgang Düsing isoliert den Novellenroman anhand eines prototypischen Werkes

  • Prototypen dienen als Referenzpunkt, um die Kategorie aufzubauen und zu erweitern.

4. Prototypensemantik in der Linguistik 📚

  • Definition: „Ein bestes Exemplar bzw. zentraler Vertreter einer Kategorie“

  • Kategorien sind nicht homogen: Manche Exemplare sind „bessere Beispiele“ als andere

    • Beispiel Obst: Apfel vs. Hagebutte

    • Beispiel Vogel: Schwalbe vs. Pinguin

  • Anwendung auf Literatur:

    • Tragödie, Epos, Novelle → es gibt gute vs. weniger gute Vertreter

    • Filmgenres: „typischer Western“ oder „Horrorfilm mit allem, was dazugehört“

5. Lernen von Kategorien über Prototypen 👶

  • Kinder lernen Kategorien zunächst an prototypischen Beispielen

  • Erst durch induktive Erweiterung wird die Kategorie größer → mehr Werke werden einbezogen

  • Analogie auf Literatur:

    • Zunächst Prototyp für Roman, Gedicht oder Schauspiel

    • Später Ausweitung der Kategorie auf komplexere oder atypische Werke

💡 Schlussfolgerung: Typologisieren und Klassifizieren in der Literaturwissenschaft setzt Prototypen voraus. Sie bilden die Basis, bevor eine Kategorie erweitert oder systematisiert wird.

Prototypen, Cue Validity und Kategorisierung in der Literatur

1. Eigenschaften von Prototypen – Cue Validity 🔑

  • Prototypen bilden sich durch bestimmte Eigenschaften, die als besonders relevant gelten.

  • Beispiel Vogel: fliegen können, Federn, typische Gestalt, Größe, Schnabel, Krallen.

  • Cue Validity: Messbare Relevanz von Eigenschaften für die Zugehörigkeit zu einer Kategorie.

  • Abweichungen mindern die Prototypikalität: Wenn ein Exemplar von den typischen Eigenschaften abweicht, gilt es als weniger prototypisch.

  • Prototypen sind kontextabhängig:

    • Wo bestimmte Exemplare unbekannt sind, können sie kein Prototyp sein.

    • Manchmal gibt es gar kein Exemplar, das alle typischen Eigenschaften erfüllt, der Prototyp existiert nur als abstraktes Konstrukt im Kopf.

  • Übertragung auf Literatur: Das „beste Beispiel“ einer Gattung kann möglicherweise nicht real existieren; es bleibt eine geistige Vorstellung.

2. Typologische Begriffe und ihre Grenzen ⚠️

  • Typologische Begriffe sind unscharf, nicht exakt und widerspruchsfrei.

  • Keine klare pyramidale Struktur: Anders als klassische Klassifikationen.

  • Prototypensemantik gliedert Kategorien in drei Ebenen:

    1. Basic Level: Ausgangspunkt, kognitiv am elementarsten → z. B. Hund, Roman, Gedicht

    2. Subordinate Level: Untergeordnete Spezialisierungen → Boxer, Kunstlied, Mysterienspiel

    3. Superordinate Level: Übergeordnete, allgemeinere Kategorien → Tier, Lyrik, Epik, Drama

  • Basic-Level-Kategorien sind oft kurz und leicht einprägsam, bilden die erste Orientierung beim Wahrnehmen von Kategorien.

3. Rezeptionsorientierte Perspektive auf Gattungen 👀

  • Prototypische Vorstellungen sind kulturrelativ, aber „naturwüchsig“ in der Wahrnehmung.

  • Klassifikatoren nutzen sie als Ausgangspunkt, um Ordnung in Literatur zu bringen.

  • Herausforderung: Gattungen verändern sich ständig → Mischformen und Übergänge schwer klassifizierbar.

  • Beispiel: Wolfgang Düsing isoliert den Novellenroman als Gattung:

    • Ausgangspunkt: Gattungsname („Novellenroman“) → Suche nach gemeinsamen Merkmalen der Textgruppe

    • Ziel: Struktur und Intention dieser Werke bestimmen

    • Vorgehensweise: typologisch-analytisch, an prototypischen Beispielen orientiert

4. Spannungsfeld: Prototyp vs. Klassifikation ⚖️

  • Klassifikation: strebt nach systematischer Ordnung, unabhängig von individuellen oder kulturellen Vorstellungen.

  • Prototypen: zeigen, wie wir Kategorien tatsächlich wahrnehmen

  • Literaturwissenschaft bewegt sich zwischen:

    1. Kulturell geprägter Wahrnehmung (Prototyp)

    2. Systematischer Klassifikation (Gattungsdefinition)

  • Fazit: Prototypen sind nützlich für die Analyse und Orientierung, ersetzen aber nicht die wissenschaftliche Klassifikation.


Gattungsforschung, Novellenroman und methodische Reflexion

1. Das Dilemma der Korpusbildung – Hermeneutischer Zirkel 🔄

  • Kritikpunkt: „Man müsse erst einen Begriff vom Novellenroman haben, um ein Korpus zu erstellen, aus dem man den Begriff ableiten könne.“

  • Das ist konzeptionell abstrakt, praktisch geht die Forschung flexibler vor.

  • Verbindung zum hermeneutischen Zirkel:

    • Nicht deduktiv: Nur von festen Voraussetzungen ausgehen → keine Hinterfragung.

    • Nicht rein induktiv: Ohne Ausgangspunkt → kein Anfang.

    • Lösung: Voraussetzungen fortlaufend reflektieren und transparent machen.

  • Übertragung: Das gilt auch für kleinere wissenschaftliche Arbeiten, z. B. Hausarbeiten.

2. Düsing: Erste Definition des Novellenromans 📝

  • Ausgangspunkt: Gattungsname „Novellenroman“.

  • Grobe Definition (analog zum Briefroman):

    • Ein Roman, dessen Struktur durch Novellen geprägt ist.

  • Typologisierung: Düsing unterscheidet zwei Varianten:

    1. Novellen in einem mehr oder weniger selbständigen Rahmen eingebettet

    2. Novellen, die allein durch ihre Verknüpfung den Roman bilden

3. Strube vs. Düsing – Unterschiede in der Klassifikation ⚖️

  • Strube: Novellenroman koordiniert dem Roman gleichgestellt, Rahmen zwingend.

  • Düsing: Novellenroman als Untergattung, Rahmen nicht zwingend.

  • Problem:

    • Strube schließt vermutlich die zweite Düsing-Variante aus.

    • Andernfalls wäre die Variante kein Novellenroman nach Strube, da Rahmen fehlt.

4. Wissenschaftliche Reflexion und Sprachspiele 🧩

  • Wichtiger Punkt: Widersprüche in Fachtexten sind lehrreich, nicht peinlich.

  • Strube unterscheidet vier literaturwissenschaftliche Sprachspiele mit Gattungen:

    1. Klassifizieren

    2. Typologisieren

    3. Eintragen ins Lexikon

    4. Einleiten in die Gattungsgeschichte

  • Beobachtung: In der Praxis verschmelzen diese Verfahren häufig → Typologisierung durchzieht sie alle.

  • Fazit: Strubes Theorie ist soll systematisch sein, die Realität zeigt fließende Übergänge.


Author

Adele G.

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