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Gattungsgeschichte schreiben

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by Adele G.

Gattungsgeschichte

1. Das vierte Sprachspiel – „Gattungsgeschichte“ ⏳

  • Ziel: Darstellung der historischen Entwicklung einer Gattung, z. B. Novelle oder Novellenroman.

  • Rückgriff auf Lexikonartikel oder historiographische Quellen als Materialfundament.

  • Beobachtung: Gattungen sind ständigen Veränderungen unterworfen; vollständige Erstarrung = Grenzfall.

2. Problem der historiographischen Definition ⚖️

  • Klassifizierender Literaturwissenschaftler → definiert Begriffe.

  • Historiographischer Literaturwissenschaftler → formuliert oft essentialistische, aber vage Definitionen, um die Gattung über die Geschichte hinweg erfassen zu können.

  • Herausforderung:

    • Gattungen wandeln sich → schwierige vorab festgelegte Definition

    • Begriff kann historisch nicht existieren oder verschiedene Bedeutungen haben (z. B. Novellenroman).

3. Lösung: Unscharfe / generalisierte Definition 🧩

  • Definition soll wesentliche Kernelemente abbilden, aber nicht zu restriktiv sein → alle relevanten Texte bleiben einbezogen.

  • Beispiel Johannes Klein (Urform der Novelle):

    • Mittelpunkts-Ereignis

    • Leitmotiv

    • Idee

  • Anwendung:

    • Kurzprosa von Boccaccio (14. Jh.)

    • Umfangreiche Texte wie Ludwig Tiecks „Der junge Tischlermeister“ (19. Jh.)

4. Fazit für die Forschung

  • Historiographische Gattungsgeschichtsschreibung muss flexibel bleiben, da Gattungen wandelbar sind.

  • Essentialistische Definitionen sind ein praktisches Werkzeug, um historische Vielfalt abzubilden.

  • Dieses Sprachspiel zeigt: Gattungsbegriffe sind nicht statisch, sondern dynamische Werkzeuge zur Ordnung von Literaturgeschichte.


1. Strubes Kritik am Vorgehen der Gattungshistoriker ⚠️

  • Historiographische Gattungsgeschichte sucht nach wesentlichen Merkmalen einer Gattung über die Geschichte hinweg.

  • Strube vergleicht das Vorgehen mit Francis Galtons Mischphotographie:

    • Verschiedene Gesichter werden übereinandergelegt → man erhält ein „Durchschnittsgesicht“.

    • Analog: Gattungshistoriker überlagern viele Werke, um einen „Durchschnittstyp“ der Novelle zu bestimmen.

  • Problem:

    • Ergebnis ist nur ein synthetischer Durchschnitt, kein tatsächlicher Wesensbegriff.

    • Realistisch kaum praktikabel → so wird heute kaum Gattungsgeschichte betrieben.

2. Familienähnlichkeit nach Wittgenstein 👨‍👩‍👧‍👦

  • Wittgenstein: kein einzelnes Merkmal ist allen Mitgliedern einer Kategorie gemeinsam (Beispiel „Spiele“).

  • Analogie zur Literatur: Novellen, Dramen, Aphorismen…

  • Klaus W. Hempfer: Familienähnlichkeit beschreibt historisch unterschiedliche Merkmalsbündel, die teilweise überlappen → diachrone Identität ohne einheitliches Merkmal.

3. Beispiel Novelle: Merkmalsverschiebungen 🔄

  • Historische Novellen variieren in ihren Merkmalen (A–H).

  • Modell nach Zymner:

Typ

Merkmale

a

A B C D

b

B C D E

c

C D E F

d

D E F G

e

E F G H

  • Erkenntnis:

    • Jede Novelle teilt Merkmale mit den vorhergehenden Typen.

    • Der erste Typ hat keine Merkmale mit dem letzten Typ → trotzdem alle „Novellen“.

  • Fazit: Ein „Durchschnittstyp“ reicht nicht aus, um historische Vielfalt abzubilden.

4. Konsequenzen für Definitionen ⚖️

  • Formale Definitionen (z. B. mindestens 4 von 8 Merkmalen) sind theoretisch möglich, aber:

    • Erklären nicht, wie sich Gattungen über die Zeit entwickeln.

    • Genetische Betrachtung (Entstehung und Veränderung) bleibt zentrale Aufgabe der Gattungsgeschichtsschreibung.

5. Zusammenfassung

  • Essentialistische Definition = „Durchschnittstyp“ → zu vereinfachend.

  • Familienähnlichkeit = flexible Beschreibung, die Verschiebungen und Überlappungen historischer Merkmalsbündel berücksichtigt.

  • Gattungsgeschichtsschreibung muss die Dynamik und Geschichte von Gattungen im Blick behalten, nicht nur statische Merkmale.


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Adele G.

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