(Folie 3) Was bedeutet neuronale Plastizität – und wie passt sich das Gehirn an neue Erfahrungen an?
Neuronale Plastizität = Fähigkeit des Gehirns, seine funktionelle und strukturelle Organisation an Gegebenheiten anzupassen.
• Neue Nervenverbindungen entstehen beim Lernen neuer Fähigkeiten oder Assoziationen
• Wiederholung & Übung → stärkere Bahnung dieser Pfade
• Ungenutzte Verbindungen → werden schwächer oder abgebaut
(Folie 3) Warum ist Übung für die Plastizität des Gehirns entscheidend?
• Wiederholung verstärkt die Nutzung neuer Bahnungen im Gehirn
• Dadurch werden Synapsen stabilisiert → dauerhafte Gedächtnis- und Lernprozesse
• Nicht-geübte Pfade verkümmern
Details merken:
Das Gehirn arbeitet wie ein Straßennetz:
– oft befahrene Wege = Autobahnen (stabile Netzwerke)
– selten genutzte Trampelpfade = verblassen mit der Zeit
(Folie 6) Wie wurde die Plastizität im Gehirn von Londoner Taxifahrern untersucht?
Studie Maguire et al., 2000
• 2 Messzeitpunkte: Beginn der Ausbildung (T1) & 3–4 Jahre später (T2)
• Gruppen:
– Qualifizierte Taxifahrer (Prüfung bestanden)
– Unqualifizierte (durchgefallen)
– Kontrollgruppe (kein Training)
• Fokus: Hippocampus (Langzeitgedächtnis-Speicher)
(Folie 7) Welche Veränderung im Hippocampus wurde bei erfolgreichen Taxifahrern beobachtet?
• Größenzunahme des Hippocampus nur bei erfolgreichen Taxifahrern
• Korrelation: je länger & intensiver gelernt, desto stärker das Wachstum
• Erklärung: räumliches Gedächtnistraining (Straßen, Sehenswürdigkeiten) → baut Gehirnareale aktiv aus
(Folie 8) Worin unterscheiden sich Profimusiker von Musiklehrkräften oder schwächeren Musikern?
• Profimusiker*innen hatten schon in der Jugend deutlich mehr Übungszeit mit dem Instrument
• Intensives Üben führt zu früher und stärkerer Anpassung des Gehirns
(Folie 9) Welche Hirnareale reagieren bei erwachsenen Musikern stärker auf Musik als bei Nicht-Musikern?
• Primärer & sekundärer auditorischer Kortex → Hören
• Motorische Areale → Aktivierung auch nur beim Zuhören
• Inferiorer frontaler Kortex (Broca-Areal, links) → Sprache
• Parietaler Assoziationskortex → Verknüpft Sinnesreize (Sehen, Hören, Fühlen)
(Folie 11) Wie verändert Musikunterricht im Kindesalter den auditorischen Kortex?
Studie Hyde et al., 2009:
• Kinder (6 J.) mit 15 Monaten Keyboard-Unterricht → stärkeres Wachstum des Heschl’schen Gyrus (primärer auditorischer Kortex)
• Zusammenhang: je mehr Wachstum, desto besser bei Melodie- & Rhythmustests
Musik → fördert Gehirnwachstum und verbessert damit Erkennen & Verarbeitung von Tönen und Rhythmen.
(Folie 13) Was ist die Grundidee der Constraint-Induced-Therapy (CIT) bei Schlaganfallpatient:innen?
• Die gesunde Hand/Arm/Bein wird fixiert (eingepackt)
• Patient:in wird gezwungen (constraint-induced), die gelähmte Seite aktiv zu nutzen
• Ziel: neue Nervenverbindungen im Gehirn aufbauen → Funktion wiedererlangen
(Folie 14) Wie verändert CIT die Aktivierung im motorischen Kortex nach einem Schlaganfall?
• Normal: linker motorischer Kortex → steuert rechten Arm (kontralateral)
• Nach Schlaganfall links: rechter Kortex übernimmt → untypisch (ipsilateral)
• Durch CIT: neue Bahnungen entstehen im linken Kortex → übernimmt wieder Bewegungssteuerung
(Folie 15–16) Wie wird CIT bei Aphasie umgesetzt (Constraint-Induced Aphasia Therapy, CIAT)?
• Patient:innen sitzen um einen Tisch mit Bildkarten
• Sichtschutz → nur verbale Kommunikation möglich
• Zwang: Fragen stellen, Antworten geben
• Schwierigkeitsgrad steigt mit der Zeit
→ Deutlich bessere Sprachverbesserungen als bei konventioneller Sprachtherapie
(Folie 17) Welche Veränderungen im Gehirn zeigt CIT bei Aphasie-Patient:innen?
• Aktivierung beider homologen Sprachareale (links & rechts)
• Rechts: IFG (homolog zum linken Broca-Areal) wird zunehmend aktiv
• Training → Verbesserung der Sprachfähigkeit messbar
(Folie 19) Warum gilt der Fall des Mathematikstudenten mit Hydrozephalus als extremes Beispiel für Neuroplastizität?
• Student mit IQ 126, sozial unauffällig, hochbegabt in Mathematik
• MRT: Gehirn nur ca. 25 % der normalen Größe (vergrößerte Ventrikel → weniger Nervenzellen)
• Trotz massiv reduzierter Substanz → normale kognitive & soziale Funktionen
(Folie 21) Warum musste bei Jodi eine Hemisphärektomie durchgeführt werden?
• Ursache: Rasmussen-Enzephalitis (Entzündung des Großhirns)
• Folgen: schwere epileptische Anfälle, Sprachstörungen, Lähmungen
• Therapie: komplette Entfernung der befallenen rechten Hirnhälfte
(Folie 22) Wie entwickelte sich Jodi nach der Entfernung einer Hirnhälfte?
• Operation im Alter von 3 Jahren
• Nach OP + Therapien (Logo-, Physio-, kognitive Psychotherapie): normale Entwicklung
• 25 Jahre später: lebt selbstständig, verheiratet, trotz fehlender Hemisphäre
Das junge Gehirn kann komplette Funktionen einer Hemisphäre kompensieren, wenn ausreichend früh trainiert wird.
(Folie 24–25) Was zeigte die Studie von Kliemann et al. (2019) über Erwachsene, die im Kindesalter eine Hemisphärektomie hatten?
• Patient:innen (OP im Alter von 3 Monaten – 11 Jahren)
• Alter bei Studie: ca. 22 Jahre
• Befunde:
– normale Sprachfunktion
– berufstätig
– keine besonderen Auffälligkeiten
→ Trotz halbem Gehirn: weitgehend normale kognitive & physische Funktionen
(Folie 26) Wie wird das Gehirn in funktionale Netzwerke eingeteilt und warum ist das wichtig?
• Netzwerke = Areale, die zusammenarbeiten für bestimmte Funktionen
– Visuelles Netzwerk → Sehen (z. B. visueller Kortex)
– Somatosensorisches Netzwerk → Fühlen (z. B. somatosensorischer Kortex)
– Motorisches Netzwerk → Bewegung
• Frage der Studie: Können diese Netzwerke nach Hemisphärektomie weiterhin zusammenarbeiten?
(Folie 27) Wie unterscheiden sich die Gehirnnetzwerke von Hemisphärektomie-Patient:innen im Vergleich zu Gesunden?
• fMRT-Ergebnis: gleiche Zusammenarbeit der Netzwerke wie bei Gesunden
• Teilweise sogar stärkere Kooperation (intensivere Aktivierung) in HS-Gehirnen
• Beispiel: Sehen + Fühlen beim Erkennen von Gegenständen funktioniert normal oder verstärkt
(Folie 29) Welche drei zellulären Prozesse sind für Neuroplastizität entscheidend?
• Angiogenese → Neubildung von Blutgefäßen für Versorgung von Nervengewebe
• Neurogenese & Synaptogenese → Entstehung neuer Nervenzellen & Synapsen
• Gliogenese → Bildung von Gliazellen für
– Versorgung (Bluthirnschranke)
– Signalweiterleitung (Myelinisierung)
– Schutz (Mikroglia)
(Folie 30) Was sind Neurotrophine und wie beeinflussen sie die Plastizität?
• Protein-Hormone (durch Wachstumshormon GH reguliert)
• Funktionen:
– Überleben von Nervenzellen
– Differenzierung (z. B. ob Zelle im Kortex oder Rückenmark wirkt)
– Wachstum (Synapsen, Dendriten)
(Folie 31) Welche Rolle spielt Training bei der Ausschüttung von Neurotrophinen?
• Training → regt Neurogenese & Synaptogenese an
• Effekt durch erhöhte Ausschüttung von Neurotrophinen
• Beispiel:
– Hippocampus-Wachstum bei Taxifahrern
– Auditorischer Kortex bei Kindern mit Musiktraining
(Folie 32) Warum fördern Schlaf & Ernährung die Neuroplastizität?
• Energieverbrauch + Training → Stressresistenz, Reparatur alter Pfade
• Schlaf + Nährstoffe → Zellwachstum, Aufbau neuer Verbindungen
• Wichtig: Konsolidierung von tagsüber Gelerntem im Schlaf
(Folie 33–34) Wie verändert sich die Fähigkeit zur Neuroplastizität mit dem Alter?
• Frühe Kindheit (0–2 J.): Wachstum für Sinnesverarbeitung & Sprache am stärksten
• Jugend & Erwachsenenalter: höhere kognitive & soziale Funktionen entwickeln sich
• Alter: Plastizität bleibt erhalten, aber langsamer → mehr Training nötig
(Folie 35) Warum gelingt Plastizität nach Hirnschäden leichter im Kindesalter als im Alter?
• Kinder: Gehirnnetzwerke noch im Aufbau → können komplette Funktionen kompensieren (z. B. nach Hemisphärektomie)
• Ältere: Netzwerke sind stabil & spezialisiert → Training ermöglicht nur Teilerholung (z. B. Sprache oder Motorik), aber nicht ganze Hemisphären
Last changed16 days ago