(Seite 6) Wovon hängt laut der Theorie der Verarbeitungstiefe die Erinnerungsleistung entscheidend ab?
Von der Tiefe der Verarbeitung während der Enkodierung (Craik & Lockhart, 1972).
Je tiefer (semantischer) die Verarbeitung, desto besser die Gedächtnisleistung.
Oberflächliche Verarbeitung (z. B. Groß-/Kleinschreibung) führt zu schwacher Erinnerung.
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Untersuchungen (Hyde & Jenkins 1973) zeigen:
Semantische Verarbeitung > phonologische > perzeptuelle Verarbeitung.
(Seite 7) Welche Rolle spielt die Lernabsicht (inzidentell vs. intentional) für das Behalten?
Keine entscheidende Rolle.
Sowohl bei inzidentellem (ohne Lernabsicht) als auch bei intentionalem Lernen zeigt sich derselbe Effekt: Die Orientierungsaufgabe (also die Verarbeitungsart) bestimmt die Leistung.
→ Tiefe Verarbeitung zählt, nicht die Absicht zu lernen.
Quelle: Hyde & Jenkins (1969)
(Seite 8) Was versteht man unter elaborativer Enkodierung?
Eine Anreicherung des Lernmaterials durch Verknüpfung mit vorhandenem Wissen im Langzeitgedächtnis.
Je mehr Beziehungen zu bekannten Informationen hergestellt werden, desto besser die Erinnerung.
→ Fördert verständnisorientierte Repräsentationen.
Beispiel:
Das Wort „Telefon“ wird besser erinnert, wenn es in einen bedeutungsvollen Satzkontext eingebettet ist (Craik & Tulving, 1975).
(Seite 9) Warum ist die Passung zwischen Enkodierung und Abruf entscheidend für die Erinnerungsleistung?
Weil der Erfolg des Abrufs von der Übereinstimmung zwischen Lern- und Abrufprozessen abhängt (Morris et al., 1977).
Semantische Verarbeitung hilft bei semantischen Tests.
Phonologische Verarbeitung hilft bei Reim-Tests. → Entscheidend ist die Transferangemessenheit der Verarbeitung, nicht nur deren Tiefe.
(Seite 10) Was sind Retrieval Cues und warum sind sie so wichtig für den Gedächtnisabruf?
Retrieval Cues sind Hinweisreize, die gespeicherte Erinnerungen aktivieren können.
Wahrnehmungen (z. B. ein Ort, Geruch, Geräusch) können Erinnerung auslösen.
Selbst Teilinformationen (z. B. erster Buchstabe eines Wortes) helfen beim Abruf.
Wiedererkennen gelingt meist besser als freie Reproduktion, weil die Reize direkt gegeben sind.
(Seite 11) Wie zeigten Tulving & Psotka (1971), dass Retrieval Cues den Abruf verbessern?
In ihrem Experiment sollten Vpn sechs Wortlisten lernen, die zu semantischen Kategorien (z. B. Kleidung, Obst) gehörten.
Beim freien Abruf sank die Leistung stark mit jeder Liste.
Wurden die Kategorien als Cues vorgegeben, blieb die Leistung stabil hoch.
→ Cued Recall > Free Recall: Hinweise erleichtern die Aktivierung passender Gedächtnisinhalte.
(Seite 12) Welche Rolle spielt der Kontext beim Erinnern?
Eine Übereinstimmung des Kontexts zwischen Lern- und Abrufphase verbessert die Gedächtnisleistung.
Kontextinfos können selbst als Retrieval Cues dienen.
Effekt gilt für äußere (Ort, Umgebung) und innere Zustände (Stimmung, Drogenzustand).
Beispiele:
Godden & Baddeley (1975): Taucher erinnern sich besser unter Wasser, wenn sie dort gelernt haben.
Eich (1989): Bessere Leistung, wenn in Lern- und Abrufphase Alkohol konsumiert wird. → Effekt verschwindet weitgehend bei Wiedererkennenstests.
(Seite 13) Welche praktische Bedeutung haben Kontexteffekte für das Lernen und Erinnern?
Kontextübereinstimmung kann gezielt genutzt werden, um Gedächtnisleistung zu verbessern:
Lernsituation sollte möglichst viele Überschneidungen mit der späteren Abrufsituation haben.
Schon die Vorstellung des ursprünglichen Lernkontexts (Smith, 1979) verbessert das Erinnern.
Kognitives Interview: Zeugen werden angeleitet, sich an äußere und innere Kontexte der Tat zu erinnern (z. B. Licht, Stimmung, Blickwinkel).
Taucher sollten sicherheitsrelevante Informationen unter Wasser lernen, nicht an Land.
(Seite 14) Wie kann Elaboration den Abruf von Gedächtnisinhalten erleichtern?
Elaboration schafft vielfältige Verknüpfungen zwischen Gedächtniseinträgen.
Aktivierung breitet sich von einem Eintrag zu allen assoziierten Inhalten aus.
Je mehr Verbindungen ein Lernelement hat, desto größer die Abrufwahrscheinlichkeit.
Kernaussage:
Mehr Verknüpfungen → mehr potenzielle Retrieval Cues → besserer Abruf.
(Seite 15) Was ist der Unterschied zwischen anterograder und retrograder Amnesie?
Anterograde Amnesie: → Unfähigkeit, neue Informationen nach einer Schädigung zu speichern. → Neugedächtnisbildung gestört.
Retrograde Amnesie: → Verlust von Erinnerungen vor der Schädigung. → Betrifft vor allem die Zeit kurz vor dem Ereignis (Gedächtnislücke) und teilweise ältere Erinnerungen.
Ursachen: Schlaganfall, Trauma, Enzephalitis u. a.
(Seite 16) Was zeigt der Fall des Patienten H.M. über selektive Gedächtnisausfälle?
Patient H.M. (Scoville & Milner, 1957):
Nach Entfernung hippocampaler Strukturen → massive anterograde Amnesie, aber intaktes Kurzzeitgedächtnis.
Konnte sich nicht an neue Ereignisse oder Personen erinnern, selbst nach täglicher Begegnung.
Zeigt: Langzeitgedächtnisbildung kann selektiv gestört sein, während kurzfristige Reproduktion erhalten bleibt.
(Seite 17) Was besagt die Konsolidierungshypothese bei anterograder Amnesie?
Ursache ist eine Störung der Konsolidierung, also der Verfestigung neuer Informationen im Langzeitgedächtnis.
Hippocampus verbindet neue Inhalte mit bestehenden, über den Kortex verteilten Gedächtnisinhalten.
Informationsaufnahme kurzfristig möglich – langfristige Speicherung gestört.
Football-Spieler mit Gehirnerschütterung erinnern sich sofort an das Ereignis, verlieren aber wenige Minuten später die Erinnerung (Lynch & Yarnell, 1973).
(Seite 18) Was erklärt der zeitliche Gradient retrograder Amnesien?
Frühere Erinnerungen bleiben meist erhalten, jüngere (kurz vor der Schädigung) gehen verloren.
Erklärung: Konsolidierung ist ein langandauernder Prozess. → Ältere Erinnerungen sind bereits stabil im Kortex verankert, neuere noch abhängig vom Hippocampus.
Belege:
Squire (1984); Alvarez & Squire (1994)
(Seite 19) Was spricht dafür, dass bei Amnesien Erinnerungen oft nicht zerfallen, sondern nur nicht abrufbar sind?
Viele Patienten zeigen mit der Zeit Erholung: Gedächtnislücken verkürzen sich (z. B. von 2 Jahren auf 2 Wochen; Barbizet, 1970).
Fälle, in denen Erinnerungen später plötzlich wieder zugänglich werden – etwa durch passende Situationen oder Reize.
→ Befund: Informationen sind gespeichert, aber der Abruf misslingt → kein echter Zerfall.
(Seite 20) Was zeigt die Peterson-Aufgabe über das Behalten im Kurzzeitgedächtnis?
Schon wenige Sekunden ohne Wiederholen reichen, um die Reproduktion von 3 Items stark zu verschlechtern.
Frühe Interpretation: Gedächtnisspuren zerfallen schnell, wenn kein Rehearsal (Wiederholung) möglich ist.
→ Begriff: Spurenzerfall im Kurzzeitgedächtnis.
(Seite 21) Warum reicht der Spurenzerfall allein nicht aus, um Vergessen zu erklären?
Weil Erinnerungen auch durch Interferenz gestört werden können:
Retroaktive Interferenz: Neues Lernen stört ältere Inhalte. → z. B. alte Telefonnummer schwer abrufbar nach neuer.
Proaktive Interferenz: Früheres Wissen stört neues Lernen. → z. B. alter Name wird mit neuem verwechselt.
→ Ähnlichkeit der Inhalte verstärkt die Beeinträchtigung.
(Seite 22) Wie unterscheiden sich proaktive und retroaktive Interferenz im Lernexperiment?
In Paarassoziationsaufgaben (z. B. Haus–Auto, Jahr–Wasser …):
Proaktive Interferenz: Frühere Paare stören das Lernen neuer Kombinationen.
Retroaktive Interferenz: Neue Paare erschweren den Abruf alter Kombinationen.
→ Beide Mechanismen führen zu Vergessen durch Überschneidung von Gedächtnisinhalten.
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