(Seite 4) Wie versteht der klassische Entwicklungsbegriff menschliche Entwicklung grundsätzlich?
Er betrachtet Entwicklung als Abfolge qualitativ unterscheidbarer Stadien, die:
universell gültig (kulturunabhängig) sind,
lebensaltersabhängig auftreten,
und sich deutlich voneinander abgrenzen lassen. Beispiel: Kohlbergs Modell der Moralentwicklung.
(Seite 6) Welche vier Merkmale kennzeichnen den klassischen Entwicklungsbegriff?
Aufbaucharakter: Jeder Schritt baut auf dem vorherigen auf.
Gerichtetheit: Entwicklung strebt ein höherwertiges Endniveau an.
Altersspezifität: Bestimmte Phasen sind an bestimmte Lebensalter gebunden.
Universalität: Entwicklungsverläufe gelten für alle Menschen gleichermaßen.
(Seite 7) Welche zentralen Kritikpunkte werden am klassischen Entwicklungsbegriff geäußert?
Nicht-linearität: Entwicklung verläuft nicht immer aufbauend.
Einseitiger Fokus: Abbauprozesse werden ignoriert; „höherwertig“ = Werturteil.
Alter erklärt nichts – es beschreibt nur.
Kulturelle Einflüsse werden vernachlässigt.
Details merken:
Auf- und Abbauprozesse sind häufig gleichzeitig vorhanden und individuell verschieden.
(Seite 9) Welche fünf Grundmerkmale kennzeichnen den umfassenden Entwicklungsbegriff?
Lebenslange Entwicklung
Multidimensionalität
Multidirektionalität
Plastizität
Beachtung von Kontextfaktoren
(Seite 11) Was bedeutet „lebenslange Entwicklung“ im modernen Entwicklungsverständnis?
Entwicklung findet vom Beginn bis zum Lebensende statt – sie endet nicht im Jugendalter.
Auch im hohen Alter sind Veränderungen in Verhalten, Kognition und Persönlichkeit möglich.
Beispiel: Menschen heiraten noch mit über 90 Jahren – Entwicklung bleibt möglich.
(Seite 13–14) Wie werden Persönlichkeitsmerkmale im Kontext lebenslanger Entwicklung definiert?
Persönlichkeit umfasst relativ stabile Merkmale des
– Denkens,
– Erlebens und
– Verhaltens,
die mittelfristig konstant, aber über die Lebensspanne veränderbar sind.
Das Big-Five-Modell (OCEAN) beschreibt fünf Hauptdimensionen:
Offenheit
Gewissenhaftigkeit
Extraversion,
Verträglichkeit
Neurotizismus.
(Seite 17–20) Was zeigen kulturvergleichende Studien zu Veränderungen der Big Five über die Lebensspanne?
• Neurotizismus (N) und Extraversion (E) nehmen meist ab,
• Offenheit (O), Verträglichkeit (A) und Gewissenhaftigkeit (C) steigen im Durchschnitt an.
Diese Muster gelten in über 20 Kulturen – also weitgehend kulturunabhängig.
Fazit:
Persönlichkeitsentwicklung verläuft ähnlich über Kulturen hinweg – sie ist also universell, aber variabel im Tempo.
(Seite 21) Welche zwei Theorien erklären Persönlichkeitsveränderungen über die Lebensspanne?
Social Investment Principle: – Soziale Rollen (Beruf, Familie) fördern stabile, adaptive Eigenschaften wie geringe Ängstlichkeit und hohe Gewissenhaftigkeit.
Intrinsic Maturation: – Veränderungen sind biologisch-evolutionär programmiert und ähneln denen anderer Primatenarten.
(Seite 23) Was bedeutet Multidimensionalität in der Entwicklungspsychologie?
Entwicklung verläuft in verschiedenen Dimensionen, z. B.:
– Wahrnehmung, Motorik, Kognition, physische, soziale und emotionale Entwicklung.
Diese Bereiche können:
miteinander zusammenhängen,
sich aber auch unabhängig voneinander entwickeln.
Merke: Eine Person kann in einer Dimension fortgeschritten, in einer anderen zurückliegen.
(Seite 26) Was beschreibt der Begriff Multidirektionalität?
Entwicklung kann gleichzeitig Auf- und Abbauprozesse enthalten.
→ Es gibt Gewinne und Verluste in unterschiedlichen Domänen zur selben Zeit.
Beispiele:
Sprachfähigkeiten verbessern sich, während motorische Geschwindigkeit abnimmt.
Lernsprünge („diskontinuierliche Entwicklung“) sind möglich.
(Seite 27) Was passiert bei der Synapsenreduktion (Pruning) im Gehirn?
• Nach der Geburt entsteht zunächst ein Überschuss an Synapsen.
• Etwa 40 % werden später abgebaut, wenn sie kaum genutzt werden.
• Prinzip: „Use it or lose it.“
Vorteil: Hohe Plastizität und Anpassungsfähigkeit des Gehirns.
Nachteil: Verletzlichkeit, wenn entscheidende Reize (z. B. Sprache) fehlen.
(Seite 28) Was zeigt das Beispiel zur Gesichtserkennung bei Babys?
• Mit 6 Monaten: Erkennen Gesichter von Menschen und Affen.
• Mit 9 Monaten: Nur noch menschliche Gesichter unterscheidbar.
→ Folge des Pruning: Spezialisierung durch Erfahrung.
Das Gehirn reduziert Verbindungen, die nicht mehr gebraucht werden.
(Seite 29) Wie unterscheiden sich fluide und kristalline Intelligenz über die Lebensspanne?
A:
Fluide Intelligenz: Problemlösefähigkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit → nimmt ab.
Kristalline Intelligenz: Wissen & Erfahrung → bleibt stabil, erst spät Rückgang.
Quelle: Salthouse (2012)
(Seite 30–31) Was zeigen Studien zu Zufriedenheit und Gesundheit im Alter?
• Abbauprozesse beginnen früh (z. B. Hörverlust ab 25, Sehverlust ab 40).
• Trotzdem: hohe Plastizität und Lebenszufriedenheit bis ins hohe Alter.
• Beispiel: Heidelberger Hundertjährigen-Studie – 100-Jährige sind oft so glücklich wie 40-Jährige.
Faktoren wie soziale Beziehungen (z. B. Freundschaft in der Ehe) wirken stark auf Lebenszufriedenheit.
(Seite 33) Was bedeutet Plastizität im umfassenden Entwicklungsbegriff?
Plastizität beschreibt die Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit des Menschen – sowohl
psychisch (Verhalten, Lernen) als auch
biologisch (Gehirnstrukturen).
Neuronale Plastizität: Fähigkeit des Gehirns, sich durch Erfahrung oder Training strukturell und funktional zu verändern.
(Seite 34) Wie zeigt sich neuronale Plastizität am Beispiel einer Balancieraufgabe?
Nach nur 2 Wochen Training (2×45 min/Woche):
→ Messbare strukturelle Veränderungen in grauer und weißer Substanz,
insbesondere im präfrontalen Kortex und in motorischen Arealen.
Quelle: Taubert et al. (2010)
(Seite 35–37) Welche Risiken und Folgen kann hohe Plastizität im digitalen Zeitalter haben?
Bei intensiver Social-Media-Nutzung ( > 2–3 h/Tag ):
Veränderungen der neuronalen Plastizität durch Dauerreizung,
Kontrollverlust über Medienverhalten („Social Media Disorder“),
Verdreifachung riskanter Nutzung seit 2019 (DAK, 2023).
Psychische Folgen laut Metaanalysen:
• Depressivität
• Einsamkeit
• niedriger Selbstwert
• Sexuelle & Beziehungsunzufriedenheit
Plastizität = Chance zur Anpassung, aber auch Einfallstor für Überreizung und Abhängigkeit.
(Seite 39) Was meint der umfassende Entwicklungsbegriff mit der Beachtung von Kontextfaktoren?
Entwicklung geschieht nicht isoliert, sondern im Kontext sozialer und kultureller Einflüsse.
Wichtige empirische Faktoren:
Kultur – Werte, Normen, Denk- & Verhaltensmuster
Ethnische Zugehörigkeit
Sozioökonomischer Status (SES) – Beruf, Bildung, Einkommen
Gender – gesellschaftlich geprägte Geschlechtsrollen
Quelle: Santrock (2013)
(Seite 40–43) Wie zeigen sich Kontextfaktoren am Beispiel von Familie und Geschlechterrollen?
• In den 1950er Jahren: klare Rollenerwartungen an Ehefrauen („Have dinner ready“, „A good wife knows her place“).
• Heute: Erziehungsziele und Familienstrukturen haben sich stark gewandelt – mehr Gleichberechtigung und Individualität.
Schlussfolgerung:
Erziehung, Rollenbilder und Werte sind zeit- und kulturabhängig.
(Seite 43 & 53) Wie unterscheiden sich Erziehungsvorstellungen kulturell?
Japan: Weinen beim Abschied zeigt emotionale Bindung.
Afrikanische Länder: Frühes Sitzenlassen = Förderung der Selbstständigkeit.
Deutschland: Eigenständiges Schlafen = förderlich, Sitzen im Eimer = schädlich.
→ Interpretation von Verhalten hängt stark vom kulturellen Wertesystem ab.
(Seite 45) Was besagt Bronfenbrenners ökosystemische Perspektive auf Entwicklung?
Entwicklung ist das Ergebnis des ständigen Wechselspiels zwischen Individuum und Umwelt.
Systemebenen:
Mikrosystem: direkter Kontext (z. B. Familie, Schule)
Mesosystem: Verbindungen zwischen Mikrosystemen
Exosystem: indirekter Einfluss (z. B. Arbeitsplatz der Eltern)
Makrosystem: kulturelle und gesellschaftliche Werte (z. B. Individualismus vs. Kollektivismus)
Quelle: Bronfenbrenner (1986)
(Seite 46) Welche Bedeutung haben physische Umweltfaktoren für Entwicklung laut WHO?
Physische Faktoren wie Wasserqualität, Luft, Klima beeinflussen die kindliche Entwicklung massiv.
→ 1 von 4 Kindersterblichkeiten weltweit ließe sich durch Reduktion von Umweltbelastungen verhindern.
Atemwegsinfektionen
Durchfallerkrankungen
Malaria
Unfälle
Neonatale Komplikationen
Fazit: Umwelt = entscheidender Kontextfaktor für Gesundheit und Entwicklung.
(Seite 47 & 52) Wie wirken sich digitale Kontexte (z. B. Social Media) auf soziale Entwicklung aus?
Social Media prägt Freundschaften und Beziehungen:
bietet neue Formen der Nähe,
erhöht aber auch Vergleichsdruck und Abhängigkeit. → Digitale Umwelten sind heute ein zentraler Bestandteil des sozialen Mikrosystems.
(Seite 54) Wie hat sich das Verständnis von Altern in der modernen Gesellschaft verändert?
„Altern“ wird heute als aktive Lebensphase gesehen – nicht mehr nur als Abbau.
→ Fokus auf Selbstverwirklichung, Engagement und Lebensqualität.
Quelle: Denninger et al. (2014) – „Aktivgesellschaft“
→ Altersbilder werden neu verhandelt, Betonung auf Eigenverantwortung und Teilhabe.
(Seite 55) Was zeigt der Deutsche Alterssurvey über die Zufriedenheit im Rentenalter?
• Zufriedenheit nimmt im Ruhestand tendenziell zu.
• Spätere Renteneintritte gehen mit höherem Wohlbefinden einher.
→ Grund: mehr Kontrolle über Lebensgestaltung und höheres Selbstwirksamkeitserleben.
Quelle: Henning et al. (2022)
(Seite 56) Wie verändert sich die Persönlichkeit im hohen Alter?
Auch im Alter bleibt Persönlichkeit veränderbar, z. B.:
Neurotizismus kann weiter sinken,
Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit oft stabil oder zunehmend. → Entwicklung bleibt bis zum Lebensende offen und dynamisch.
Quelle: Costa, McCrae & Löckenhoff (2019)
(Seite 57) Wofür steht das SOK-Modell von Baltes & Baltes (1990)?
Das Modell beschreibt, wie ältere Menschen Verluste ausgleichen und weiterhin lernen:
Selektion: Konzentration auf wichtige Lebensbereiche.
Optimierung: Training und Nutzung vorhandener Ressourcen.
Kompensation: Ersatz verlorener Fähigkeiten durch andere Strategien.
Ziel: Trotz Einbußen → erfolgreiches Altern und subjektive Zufriedenheit.
(Seite 58) Was besagt die evolutionäre Perspektive auf das Altern?
Altern dient einer kollektiven Funktion:
Ältere Generationen bewahren Wissen und geben es weiter.
→ Erhalt der Art durch Wissensweitergabe.
„Reduzierte fluide Fähigkeiten, aber stabile Erfahrung = evolutionäre Anpassung.“
Quelle: Kaplan & Gangestad (2005)
(Seite 59) Wie deutet die bindungstheoretische Perspektive die Rolle älterer Menschen?
Ältere Generationen bieten eine „sichere Basis“ für die Jüngeren – ähnlich wie Eltern-Kind-Bindung.
→ Sie schaffen emotionale Stabilität und Orientierung in Veränderungsprozessen.
Zitat (Brent, 1978):
„Mit dem Gewesenen und Bestehenden eine sichere Basis für die Exploration der Jungen darstellen.“
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