(Seite 4) Welche zentralen Gedächtnisformen unterscheidet man in der Allgemeinen Psychologie?
Es werden zwei Hauptarten unterschieden:
Deklaratives Gedächtnis (explizit):
Verbalisierbare Inhalte wie Fakten und Ereignisse.
Beispiele: „Paris ist Hauptstadt von Frankreich“ (semantisch) oder „Urlaubsreise nach Paris“ (episodisch).
Nicht-deklaratives Gedächtnis (implizit):
Nicht-verbalisierbare Spuren vergangener Erfahrungen, erkennbar über implizite Messverfahren.
Enthält Fertigkeiten (motorisch, perzeptiv, kognitiv) und Bahnungseffekte (Priming).
(Seite 4) Wie unterscheiden sich episodisches und semantisches Gedächtnis im deklarativen System?
Beide gehören zum deklarativen Langzeitgedächtnis, unterscheiden sich aber in ihrem Inhalt:
Episodisches Gedächtnis: Persönlich erlebte Ereignisse an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt.
Semantisches Gedächtnis: Allgemeines Faktenwissen, unabhängig von der Lernepisode.
(Seite 4) Welche Inhalte zählen zum impliziten Gedächtnis?
Drei Hauptkomponenten:
Prozedurales Gedächtnis: „Wissen, wie“ – z. B. Radfahren oder Spiegelschrift schreiben.
Priming (Bahnungseffekt): Schnellere Reaktion auf Reize, die bereits verarbeitet wurden.
Konditionierung und einfache Assoziationen: Unbewusste Verknüpfungen von Reizen und Reaktionen.
(Seite 7) Was zeigt der Fall des Patienten H.M. über den Unterschied zwischen explizitem und implizitem Gedächtnis?
H.M. hatte eine anterograde Amnesie: Er konnte neue Fakten und Ereignisse (explizites Wissen) nicht mehr speichern.
Trotzdem lernte er neue Fertigkeiten – etwa Spiegelschrift schreiben – durch Übung.
👉 Beleg für die Unabhängigkeit des prozeduralen (impliziten) vom deklarativen (expliziten) Gedächtnis.
(Seite 8) Wie zeigen amnestische Patienten implizites Lernen trotz massiver Gedächtnisdefizite?
Auch mit gestörtem bewusstem Erinnerungsvermögen können sie:
Einfache Sequenzen unbewusst erlernen (z. B. in der seriellen Reaktionszeitaufgabe).
Typisches Muster: Reaktionszeiten steigen, wenn die bekannte Reizsequenz plötzlich durch Zufallsreize ersetzt wird.
Details merken:
Diese Effekte treten ohne bewusste Erinnerung an das Lernmaterial auf → Beleg für intaktes implizites Lernen.
(Seite 9) Was versteht man unter Bahnungseffekten (repetition priming) im impliziten Gedächtnis?
Bahnungseffekt (Priming):
Ein Reiz wird schneller oder besser verarbeitet, wenn er zuvor bereits aufgetreten ist.
Auch amnestische Patienten zeigen diesen Effekt, obwohl sie das Lernmaterial nicht wiedererkennen.
Beispiel: Wortfragment-Aufgaben → gleiche Leistung wie Gesunde trotz fehlender bewusster Erinnerung.
(Seite 12) Wie zeigt sich die Dissoziation zwischen episodischem und semantischem Gedächtnis bei Amnesien?
Es gibt doppelte Dissoziationen, d. h. unabhängige Beeinträchtigungen beider Systeme:
Fall A: Stärkere Defizite im episodischen Gedächtnis (Erinnerung an persönliche Ereignisse), aber intaktes semantisches Wissen über Sprache, Lesen, Problemlösen → (Tulving, 1999).
Fall B: Verlust großen Teils des semantischen Wissens (z. B. Schulwissen), bei erhaltener Erinnerung an persönliche Erlebnisse → (De Renzi et al., 1987; Grossi et al., 1988; Yasuda et al., 1997).
→ Beleg dafür, dass episodisches und semantisches Gedächtnis funktional und neuropsychologisch getrennt sind.
(Seite 14) Was ist ein Konzept – und welche Funktion hat es im Gedächtnis?
Konzept: Eine Informationseinheit, die für ein Objekt oder eine Objektklasse steht.
Funktionen:
Kategorisierung – Einordnung einzelner Objekte in übergeordnete Gruppen.
Eigenschaftszuschreibung – Verknüpft typische Merkmale mit einem Objekt.
Konzepte sind bedeutungsbezogene Repräsentationen, keine sprachlichen Formen → sie liegen als Propositionen (Bedeutungseinheiten) vor.
(Seite 15–16) Wie konnte experimentell gezeigt werden, dass Wissen in Form von Propositionen gespeichert wird?
Wanner (1968):
Versuchspersonen hörten Textinstruktionen.
Später mussten sie inhaltlich oder stilistisch veränderte Sätze wiedererkennen.
Ergebnis:
→ Bessere Erkennung bei inhaltlichen Veränderungen als bei bloßen sprachlichen Umformulierungen.
Schlussfolgerung:
Gedächtnis speichert Bedeutungen (Propositionen), nicht die exakte sprachliche Formulierung.
(Seite 18–19) Wie ist das hierarchische Netzwerkmodell des semantischen Gedächtnisses nach Collins & Quillian (1969) aufgebaut?
Das Modell beschreibt Wissen als hierarchisch organisiertes Netz:
Knoten: Begriffe (z. B. Tier, Vogel, Kanarienvogel).
Kanten: Beziehungen („ist ein“, „hat“, „kann“).
Eigenschaften: Auf höheren Ebenen gespeichert und vererbt an untergeordnete Konzepte.
Beispiel:
„Kanarienvogel → Vogel → Tier“ → weiß, dass er fliegen kann, weil Vögel fliegen können.
(Seite 20–21) Wie werden Ausnahmen und Schlussfolgerungen im hierarchischen Modell erklärt?
Ausnahmen: Spezifisch am untergeordneten Begriff vermerkt (z. B. Strauß – kann nicht fliegen).
Schlussfolgerungen: Automatisch möglich durch Vererbung von Merkmalen entlang der Ebenen. → Wenn ich weiß, dass Kanarienvögel Vögel sind, weiß ich, dass sie fliegen können.
(Seite 22–23) Welche empirischen Befunde stützen das hierarchische Modell – und wo liegen seine Grenzen?
Unterstützung:
Collins & Quillian (1969): Reaktionszeiten (RZ) steigen mit zunehmender Ebenendifferenz zwischen Begriff und Eigenschaft.
Probleme:
Spätere Befunde (Juola & Atkinson 1971) zeigen:
„Kanarienvögel haben Haut“ → schnellere RZ
„Pinguine haben Haut“ → langsamere RZ → Widerspricht der Modellannahme.
Fazit:
Das hierarchische Modell ist zu unflexibel, um Unterschiede zwischen prototypischen und atypischen Konzepten zu erklären.
(Seite 25–26) Wie wird Wissen im nicht-hierarchischen Netzwerkmodell nach Collins & Loftus (1975) organisiert?
Grundidee:
Wissen ist als Netz von Knoten (Konzepten) und Kanten (semantischen Verbindungen) organisiert.
Es gibt keine starre Hierarchie mehr.
Mechanismus:
Zwischen Knoten findet eine Aktivationsausbreitung statt:
Startet bei einem aktivierten Konzept,
breitet sich über verbundene Knoten aus,
nimmt mit zeitlicher und semantischer Distanz ab.
(Seite 27) Wie lässt sich die Aktivationsausbreitung empirisch nachweisen?
Lexikalische Entscheidungsaufgabe (lexical decision task):
Aufgabe: „Ist das gezeigte Wort ein echtes Wort?“
Reaktionszeiten (RZ) sind kürzer, wenn das vorher präsentierte Wort semantisch verwandt ist.
„chair → table“ → schnellere Entscheidung
als
„chair → butter“
Semantisch assoziierte Begriffe aktivieren sich gegenseitig – Beleg für Aktivationsausbreitung im semantischen Netzwerk.
(Seite 30) Was beschreibt der Fehlinformationseffekt im Gedächtnis?
Der Fehlinformationseffekt tritt auf, wenn nachträglich präsentierte Informationen die Erinnerung an ein ursprüngliches Ereignis verzerren.
Klassisches Beispiel (Loftus & Palmer, 1974):
Versuchspersonen sahen Autounfälle und beantworteten Fragen zur Geschwindigkeit.
Je nach Formulierung („smashed“ vs. „hit“) wurden höhere Geschwindigkeiten geschätzt.
Später erinnerten sich mehr Personen fälschlich an Glasscherben, obwohl keine vorhanden waren.
Kernaussage:
👉 Erinnerung ist formbar und anfällig für suggestive Informationen nach dem Ereignis.
(Seite 31) Wie konnte Loftus (1978) den Fehlinformationseffekt noch präziser belegen?
Versuchsaufbau:
Ein roter Datsun hielt an einem Stoppschild.
Später wurde in einer Frage fälschlich von einem Vorfahrt-gewähren-Schild gesprochen.
Über 50 % der Befragten erinnerten sich an das falsche Schild, wenn sie die Fehlinformation gehört hatten.
Ohne Fehlinformation lag der Anteil bei nur 25 %.
Interpretation:
Nachträgliche Fehlinformationen führen zu retroaktiver Interferenz, d. h. die neue Information überschreibt die alte Gedächtnisspur.
(Seite 32) Was sind Schemata – und wie können sie zu falschen Erinnerungen führen?
Schemata:
Wissensstrukturen, die typische Beziehungen zwischen Ereignissen, Handlungen und Objekten abbilden.
Helfen beim Verstehen und Erweitern von Situationen, können aber Erinnerungen verzerren.
Experiment (Brewer & Treyens, 1981):
Vpn warteten in einem Büro und sollten später beschreiben, was sie gesehen hatten.
Fast ein Drittel erinnerte sich fälschlich an Bücher, die gar nicht da waren.
Erklärung:
→ Die Erinnerung wurde schemakonform ergänzt, basierend auf typischen Erwartungen über Büros.
(Seite 33–34) Wie zeigen Bransford & Johnson (1973), dass Schemata das Lernen und Erinnern beeinflussen?
Versuchsdesign:
Zwei Texte mit mehrdeutigem Inhalt (z. B. „Beobachtung eines Friedensmarsches“ vs. „Raumfahrt“).
Eine Gruppe bekam Überschriften, die passende Schemata aktivierten, die andere nicht.
Mit Überschrift: Deutlich bessere Erinnerung an die Inhalte.
Ohne Überschrift: Schlechteres Verständnis und Erinnern.
Aktivierte Schemata strukturieren neue Information → erleichtern Verstehen und Gedächtnisbildung.
(Seite 35) Was sind Flashbulb Memories – und warum sind sie oft unzuverlässig?
Flashbulb Memories:
Besonders lebhafte, detailreiche Erinnerungen an emotional bedeutsame Ereignisse (z. B. 9/11, Tod von Lady Di).
Befunde:
Brown & Kulik (1977): 79 von 80 Personen erinnerten sich genau, wo sie von Kennedys Tod erfuhren.
Neisser & Harsch (1992): Nach dem Challenger-Unglück zeigten spätere Berichte jedoch große Abweichungen von den ursprünglichen Angaben.
→ Auch Flashbulb Memories sind konstruktiv und fehleranfällig, trotz subjektiver Überzeugung ihrer Genauigkeit.
(Seite 36) Welche zentralen Gedächtnissysteme umfasst das Langzeitgedächtnis?
Deklaratives Langzeitgedächtnis (explizit):
Episodisch: Persönliche Ereignisse an Zeit & Ort gebunden.
Semantisch: Allgemeines Wissen, unabhängig von der Lernsituation.
Implizites Langzeitgedächtnis:
Prozedural: Fertigkeiten („Wissen, wie“).
Priming (Bahnungseffekt): Schnellere Reaktion auf bekannte Reize.
(Seite 36) Was sind zentrale Begriffe aus der Vorlesung Gedächtnis 4?
Überblick:
Bahnungseffekte (Priming): Voraktivierung steigert Reaktionsgeschwindigkeit.
Konzepte: Bedeutungseinheiten zur Kategorisierung.
Semantische Netzwerke: Strukturierte Wissensrepräsentationen mit Aktivationsausbreitung.
Fehlinformationseffekt: Erinnerung wird durch nachträgliche Info verzerrt.
Schemakonforme Ergänzung: Falsche Erinnerungen durch Wissensstrukturen.
Flashbulb Memories: Lebhafte, aber unzuverlässige Erinnerungen an emotionale Ereignisse.
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