Abgrenzung zu anderen Theorien der kognitiven Entwicklung
Diskontinuierliche Entwicklung in Stufen statt kontinuierliche Entwicklung (3. grundlegende Frage zur Kindesentwicklung)
Grundannahmen der Theorie
Konstruktivismus
Metapher “des Kindes als Wissenschaftler”
Aktivität des Kindes von Geburt an
Wissen wird als Reaktion auf Erfahrungen und in Auseinandersetzung mit der Umwelt aktiv konstruiert
Das Kind verfügt über intrinsische Motivation zum Lernen
Das Kind bildet Hypothesen
Das Kind experimentiert
Das Kind schlussfolgert aus eigenen Beobachtungen
Zusammenspiel von Anlage und Umwelt
Umwelt:
Jede Erfahrung, die das Kind macht (Konstruktivismus)
Anlage:
Reifendes Gehirn und reifender Körper
Fähigkeit wahrzunehmen, zu handeln und aus Erfahrung zu lernen
Motivation, den zwei grundlgenden Funktionen Organisation und Adaption gerecht zu werden
= Schemata sind hierarchisch organisierte und aus Erfahrung aufgebaute geistige Systeme wie ein Muster von Gedanken und Handlungen
= Schemata sind eine überdauernde Wissensbasis zur Interpretation der Umwelt
Einordnung eingehender Informationen
Verbindung von eingehender und ausgehender Information
Durch den Aufbau immer adäquaterer Schemata
Durch Organisation einerseits
Durch Adaption andererseits
= Organisation ist die Zusammenfügung verschiedener, schon existierender Schemata zu größeren kognitiven Strukturen
= Adaption ist das Bedürfnis, sich so an die Umwelt anzupassen, dass man mit ihr in einem kognitiven Gleichgewicht d.h. in einem Äquilibrium steht
= Ein Äquilibrium ist die Passung zwischen den eigenen Schemata und den Vorkommnissen der Umwelt
Entwicklungsprozesse
Assimiliation
Akkomodation
Äquilibration
= Assimilation ist der Prozess, durch den Menschen eintreffende Informationen in eine Form überführen, die sie verstehen können
Einfügung eintreffender Informationen in Konzepte, die bereits verstanden werden
Anpassung der Umwelt an ein vorhandenes Schema
= Akkomodation ist der Prozess, durch den Menschen vorhandene Wissenstrukturen als Reaktion auf neue Erfahrungen anpassen
Anpassung der Schemata an die Umwelt
= Äquilibration ist der Prozess, durch den Menschen Assimilation und Akkomodation ausbalancieren, um ein stabiles Verstehen zu schaffen
Äquilibrium
Zufriedenheit mit dem Verständnis eines Phänomens
Keine Diskrepanz zwischen den Erfahrungen und dem Verständnis eines Phänomens
Disäquilibrium
Erkenntnis durch neue Informationen, dass das Verständnis eines Phänomens unzureichend ist
Entwicklung einer besseren Alternative noch nicht möglich
Stabileres Äquilibrium
Entwicklung eines differenzierteren Verständnisses, das die Unzulänglichkeiten der bisherigen Verstehensstrukturen überwindet
Beispiel: Entdeckung, dass Pflanzen auch Lebewesen sind
Stufentheorie
Qualitative Veränderung
Kinder verschiedenen Alters denken auf qualitativ unterschiedliche Weise
Breite Anwendbarkeit
Die für eine Stufe charakteristische Art des Denkens durchdringt das Denken des Kindes über verschiedene Themen und Kontexte hinweg
Kurze Übergangszeiten
Es gibt eine kurze Übergangsphase vor dem Erreichen einer neuen Stufe, in der das Kind zwischen der neuen und alten Art des Denkens hin und her schwankt
Invarianz der Abfolge
Die Stufen werden immer in derselben Reihenfolge durchlaufen (unabhängig von Ort und Zeit -> transkulturell und transhistorisch)
Keine der Stufen kann übersprungen werden
Sensumotorisches Stadium (Kindheit)
Präoperationales Stadium (Kindheit)
Konkret-operationales Stadium (Kindheit)
Formal-operationales Stadium (Jugend)
Stufentheorie - Sensumotorisches Stadium
Im Alter von 0 bis 2 Jahren
Intelligenz entwickelt sich durch sensorische und motorische Fähigkeiten und drückt sich in diesen Fähigkeiten aus
Intelligenz ist an die unmittelbaren Wahrnehmungen und Handlungen gebunden d.h. an das Hier und Jetzt
Mittels Wahrnehmung und Handlung werden Informationen über Gegenstände und Menschen gewonnen und elementare Formen grundlegender Begriffe konstruiert z.B. Kausalität
Einsatz von Reflexen (Geburt bis 1 Monat)
Primäre Kreisreaktionen (1 bis 4 Monate)
Sekundäre Kreisreaktionen (4 bis 8 Monate)
Koordination sekundärer Kreisreaktionen (8 bis 12 Monate)
Tertiäre Kreisreaktionen (12 bis 18 Monate)
Mentales Schlussfolgern (18 bis 24 Monate)
= Kreisreaktionen sind Handlungen, die immer wieder wiederholt werden
= Objektpermanenz ist das Wissen, dass Objekte auch dann weiter existieren, wenn sie im Moment nicht wahrgenommen werden
Bis 8 Monate -> Fehlen von Objektpermanenz
Kein aktives Suchen nach verschwundenen Objekten
Objekte werden nur in den Momenten geistig repräsentiert, in denen sie wahrgenommen werden
9 bis 12 Monate -> Geringe Stabilität von Objektrepräsentationen
Aktives Suchen nach verschwundenen Objekten
Objekte werden auch dann geistig repräsentiert, wenn sie nicht wahrgenommen werden
Aber: A-nicht-B-Suchfehler d.h. die geistigen Repräsentationen sind nicht sehr stabil
Kind hat wiederholt an Ort A ein verstecktes Objekt gefunden
Kind sieht, dass das Objekt nun an einem anderen Ort (Ort B) versteckt wird
Kind sucht das Objekt trotzdem wieder an Ort A -> Tendenz, dorthin zu greifen, wo das Objekt zuletzt gefunden (nicht, wo es zuletzt gesehen) wurde
12 bis 18 Monate -> Objektbegriff
Kind kann sichtbaren Bewegungen eines Objekts folgen
Kind sucht dort nach einem Objekt, wo es zuletzt gesehen wurde
Kind sucht dann dort nach einem Objekt, wo es zuletzt gefunden wurde, wenn nicht alle Lageveränderungen sichtbar waren
18 bis 24 Monate -> Volle Objektpermanenz
Kind berücksichtigt nur nur sichtbare Bewegungen eines Objekts, sondern kann auch unsichtbare Lageveränderungen rekonstruieren
Fehlen von Objektpermanenz
A-nicht-B-Suchfehler
Fähigkeit zur Bildung stabiler mentaler Repräsentationen
Volle Objektpermanenz (Objekte werden intern repräsentiert)
Verzögerte Nachahmung (Handlungen werden intern repräsentiert)
Stufentheorie - Präoperationales Stadium
Im Alter von 2 bis 7 Jahren
Fähigkeit zur Bildung stabiler mentaler Repräsentationen von Objekten und Handlungen
Fähigkeit zur sprachlich-symbolischen Repräsentation
Fähigkeit zur Erinnerung an Erfahrungen über längere Zeit
Fähigkeit zur Bildung differenzierter Konzepte
Weil mentale Operationen noch nicht vollständig ausgeführt werden können
Weil mentale Operationen auf Wenn-dann-Beziehungen aufbauen, die noch nicht wieder rückgängig gemacht werden können
Weil somit noch Schwierigkeiten bestehen, logisch und konsistent zu denken
= Mentale Operationen sind mentale Manipulationen interner Repräsentationen
Sprachlich-symbolische Repräsentationen
Sprache als wichtigstes Symbolsystem
Symbolspiel (Objekten werden in der Phantasie neue Funktionen gegeben z.B. Bauklotz als Telefon)
Egozentrismus
= Das Denken ist auf die eigene Perspektive zentriert d.h. die Tenzdenz, die Welt ausschließlich aus der eigenen Perspektive wahrzunehmen
Zentrierung
= Das Denken ist auf nur eine Dimension zentriert d.h. Nicht-Beachtung mehrerer Dimensionen
Statisches Denken
= Das Denken ist auf statische Zustände konzentriert d.h. wenig prozesshaftes Denken
Der Drei-Berge-Versuch von Piaget und Inhelder
Das Kind steht vor einem Tisch mit einem Modell einer Berglandschaft
Auf der anderen Seite des Tisches sitzt eine Puppe
Das Kind wird gefragt, welches von mehreren Fotos die Ansicht zeigt, die die Puppe hat
Die meisten 4-Jährigen wählen ein Foto der eigenen Perspektive, weil es ihnen nicht möglich ist, sich vorzustellen, welche Ansicht sich aus einer anderen Blickrichtung ergibt
Grund: Schwierigkeiten, die räumliche Perspektive anderer Menschen einzunehmen
• Das Experiment zum Balkenwaageproblem von Piaget und Inhelder
Das Kind steht vor einer Balkenwaage, auf die an bestimmten Positionen Gewichte gelegt werden
Das Kind wird gefragt, zu welcher Seite sich die Waage durch das Auflegen der Gewicht neigen wird
Die meisten 4-Jährigen antworten “nach links”, weil sie sich auf die Menge der Gewichte zentrieren anstatt auch den Abstand der Gewichte vom Angelpunkt zu beachten
Grund: Zentrierung auf eine Dimesion
Das Verfahren zur Überprüfung von Erhaltungs- bzw. Invarianzkonzepten
= Das Erhaltungs- bzw. Invarianzkonzept ist die Vorstellung, dass das bloße Verändern des Erscheinungsbildes eines Objekts seine grundlegenden Eigenschaften unverändert lässt
Erhaltung der Menge
Erhaltung der Masse
Erhaltung der Zahl
Weil Kinder im präoperationalen Stadium charakteristische Schwierigkeiten bei Erhaltungsaufgaben haben
Erhaltung der Menge: “Das schmale, hohe Glas enthält mehr Flüssigkeit”
Erhaltung der Masse: “Die längere, dünnere Form besteht aus mehr Ton”
Erhaltung der Zahl: “Die längere Reihe enthält mehr Objekte”
Gründe:
Zentrierung auf wahrnehmungsbezogen auffällige Dimensionen und Nicht-Beachtung weniger auffällger, aber ebenso wichtiger Dimensionen (Zentrierung)
Konzentration auf statische Zustände und Ignorieren der erfolgten Tranformationsprozesse (statisches Denken)
Übersehen der Möglichkeit, dass die eigene Perspektive irreführend sein kann (Egozentrismus)
Stufentheorie - Konkret-operationales Stadium
Im Alter von 7 bis 11 Jahren
Fähigkeit zum logischen Denken über konkrete Objekte und Ereignisse
Dezentrierung -> Erhaltungs- bzw. Invarianzkonzept
Prozesshaftes Denken und Reversibilität des Denkens -> Vollständige Ausführung mentaler Operationen
Überwindung des Egozentrismus
Fähigkeit zum abstrakten Denken / Objektbezogenheit
Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten
Erhaltung der Menge: “Beide Gläser enthalten gleich viel Flüssigkeit”
Erhaltung der Masse: “Beide Formen bestehen aus gleich viel Ton”
Erhaltung der Zahl: “Beide Reihen enthalten gleich viele Objekte”
Beachtung mehrerer Dimensionen (Denzentrierung)
Berücksichtigung der erfolgten Transformationsprozessen (prozesshaftes Denken und Reversibilität des Denkens)
Einsicht, dass die eigene Perspektive irreführend sein kann (Überwindung des Egozentrismus)
Zuletzt geändertvor 5 Monaten