Definition von Psychotherapie
ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess
zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen,
die nach Konsens (z.B. Arzt und Patient) für behandlungsbedürftig gehalten werden,
mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation),
in Richtung auf ein definiertes Ziel (z.B. Symptomminimierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit),
mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.
In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig.
4 anerkannte Therapieformen
Analytische Psychotherapie (AP)
Systemische Psychotherapie (SP)
Kognitive Verhaltenstherapie (VT)
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP)
Definition II
von Psychotherapie
Psychotherapie ist ein "Heileingriff" (Eingriff geht per definitionem über eine Grenze hinaus)
Psychotherapie braucht einen Rahmen, eine Vereinbarung, eine therapeutische Allianz
Psychotherapie findet oft über eine längere Zeit in einer emotional intensiven Beziehung, in der Bedürfnisse auf beiden Seiten bedeutsame Rolle spielen, statt, und deshalb ist sie verwicklungs- und fehleranfällig
Diese Verwicklungen muss man reflektieren können
Dafür muss man Prinzipien und Grenzen unserer Handlung kennen
Dabei hilft Triangulierung: u.a. Berufsethik und Berufsrecht, aber auch Supervision und Selbsterfahrung
Definition Ethik
Das Wort Ethik stammt vom griechischen Wort êthikê=das sittliche
"Ethik" meint die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit moralischen Werthaltungen oder gesellschaftlichen Normen. Moralische Aussagen – wie etwa "Sterbehilfe ist moralisch unzulässig und sollte verweigert werden" – werden kritisch reflektiert und zugrunde liegende Argumente auf logische Konsistenz und (empirische) Stichhaltigkeit geprüft - zum Beispiel "sonst wäre Euthanasieprogrammen für Betagte und Kranke Tür und Tor geöffnet" (Trachsel et al. 2018)
Teilbereich der praktischen Philosophie
Vorläufer der ethischen Gesinnung in der Medizin und Psychotherapie (3)
Eid des Hippokrates von Kos (460-370 v.Chr.) enthält mehrere Elemente, die noch heute ihre Gültigkeit haben: das Prinzip des "zu Nutz und Frommen des Kranken" Handelns, das Prinzip des NichtSchadens, Schweigegebot, Verbot der sexuellen Handlungen mit Patienten.
Nürnberger Kodex (1947): im Zuge des Nürnberger Ärzteprozesses entstanden, setzt Regel für die Forschung an Menschen auf
Genfer Deklaration des Weltärztebundes bzw. das Genfer Gelöbnis wurde am 2.9.1948 im Rahmen der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes verabschiedet. Sie setzt die die Prüfung der Zeit überstandenen Prinzipien des Eides des Hippokrates fort und wurde mehrfach revidiert, zuletzt 2017. Sie wird der Musterberufsordnung der in Deutschland tätigen Ärzte und Ärztinnen vorangestellt.
1964 verabschiedete der Weltärztebund die Deklaration von Helsinki: "Deklaration zu ethischen Grundsätzen für die medizinische Forschung an Menschen"
Vier Prinzipien der Bioethik von Tom Beuchamp und James Childress (1987)
Nichtschaden bzw. Schadensvermeidung
Fürsorge bzw. Wohltun
Achtung der Selbstbestimmung des Patienten
Soziale Gerechtigkeit
Das Prinzip des Nichtschadens ist sehr alt und ist bereits im Eid des Hippokrates – vier Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung – zu finden
Es beinhaltet das Verbot, Handlungen durchzuführen, die anderen Personen schaden (z.B. auf Verführung einzugehen, oder aber auch sich nicht an Vereinbarungen zu halten (Behandlungsvertrag))
Es beinhaltet auch die Arbeit an der Ambivalenz und den (auto)destruktiven Tendenzen der Patientinnen und Patienten und auch von uns selber
Ebenfalls beinhaltet es aktives Eingreifen, wenn Gefahr im Verzug ist
—> Beinhaltet "die "positive Verpflichtung" – also das Gebot – Handlungen durchzuführen, die das Wohlergehen anderer Personen fördern, die andere Personen davor bewahren, Schaden zu erleiden oder einen erlittenen Schaden oder Nachteil anderer Personen wiedergutzumachen oder zu kompensieren" (Rauprich 2005)
—> "Es beinhaltet auch das Abwägen von Vor- und Nachteilen, von Wirkungen und Nebenwirkungen oder von Chancen und Risiken medizinischer respektive psychotherapeutischer Behandlungen mit dem Ziel, stets diejenige Handlungsoption zu wählen, die voraussichtlich am meisten Wohl für den Patienten hervorbringt" (Trachsel 2018)
Achtung der Autonomie bzw. der Selbstbestimmung
—> Dieses Prinzip beinhaltet die "Verpflichtung, das Vermögen von Personen zu selbstbestimmten Entscheidungen anzuerkennen und zu fördern" (Rauprich 2005)
—> Das bedeutet, dass wir – wie ich bereits erwähnt habe – die Wünsche und Bedürfnisse unserer Patientinnen und Patienten kennenlernen (das ist nicht so leicht und man sieht sie evtl. nicht gleich) und mit ihnen daran arbeiten, was sie tun können, um die Erreichung der Wünsche herzustellen
—> Das ist die Antwort auf die Frage der Patientinnen und Patienten "Was soll ich tun?" – "Wir sollen miteinander herausfinden, was Sie tun möchten und wie Sie es erreichen können
Paradoxon der Psychotherapie: intensive, lange Beziehung und Gebot der Neutralität und Abstinenz sowie Karenz
Psychotherapie findet in einer Beziehung statt
Das ist eine sehr besondere Beziehung – für die Patienten kann es eine sehr bedeutsame Beziehung werden
Für uns Psychotherapeuten ist es Arbeitsbeziehung
Diese Arbeitsbeziehung ist asymmetrisch, es entsteht immer ein Machtgefälle, wir sind am längeren Hebel – das verpflichtet
Dieses Machtgefälle ist die Quelle der Grenzüberschreitungen
Wir müssen Abstinenz wahren
Wir müssen neutral bleiben
Dies – Intimität und Abstinenz sowie Neutralität – macht einen Spannungsbogen, den wir halten müssen
Abstinenz und Karenz
—> Abstinenz in der Psychotherapie bedeutet, dass wir unsere Beziehung zu Patienten professionell gestalten: die Vertrauensbeziehung benutzen wir nicht zur Befriedigung eigener Interessen
—> Unsere private Themen aus der Therapie halten wir heraus und gehen keine private Beziehungen mit den Patienten ein, auch nach der Therapie nicht, solange die Behandlungsnotwendigkeit bzw. Abhängigkeit besteht (Karenz)
—> Außertherapeutische Kontakte sollen auf Minimum beschränkt werden, um die therapeutische Beziehung nicht zu gefährden und um den therapeutischen Raum nicht zu zerstören —> Die Annahme von entgeltlichen oder unentgeltlichen Dienstleistungen i. S. einer Vorteilnahme ist unzulässig.
—> Psychotherapeuten dürfen durch Geschenke, Zuwendungen, Erbschaften und Vermächtnisse keine Vorteile erlangen, es sei denn, der Wert ist geringfügig
Neutralität
Um Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten sowie die therapeutische Beziehung nicht zu gefährden, müssen wir neutral bleiben
Das bedeutet z.B. für alle Patienten gleicher Zugangsweg (soziale Gerechtigkeit). Selektivverträge sind Verletzungen der Neutralität
Konflikte, die die Patienten schildern, sind subjektiv, d.h. es kann fatal sein, wenn wir uns mit den Patienten (zu sehr) identifizieren und parteiisch werden, unsere Neutralität verlieren
Befangenheit vermeiden – keine Bekannten, geschweige denn Familienangehörige Ihrer Patienten behandeln
Risiken und Nebenwirkungen in der Psychotherapie: Differenzierung
Nebenwirkung: Vorübergehende Verschlechterung
Fehler: kleine (z.B. Unachtsamkeit) bis grobe Regelverstöße, die strafrechtlich verfolgt werden (sexuelle Übergriffe, finanzieller Missbrauch u.ä.)
Grenzüberschreitung (potenziell reparabel, kann aber auch in schwere Grenzverletzungen übergehen):
Empathieversagen
Verwicklung
Aufklärungsmangel
Dokumentationsmangel
Verweigerung der Einsicht in die Akte
Setting- und Rahmenverletzungen
Mangelhafte Diagnostik
Mangelhafte Technik
Befangenheit
Mismatch
Nebenwirkungen/ Unerwünschte Ereignisse, zit. nach A. Schleu 2021
Empathie
Empathie wird häufig mit Sympathie oder menschlicher Wärme fälschlich gleichgesetzt.
Empathie ist auch nicht Mitfühlen bzw. Mitleiden.
Empathie ist eine Fähigkeit, sich mit einem anderen Menschen zu identifizieren (um die Sicht des Patienten "von innen" sehen zu können), diese Identifizierung wieder zurückzunehmen und zwischen beiden Teilfunktionen oszillieren zu können (also "beim Patienten" sein und "bei sich" sein)
Fähigkeit, sich vorzustellen, wie der andere fühlt, denkt, erlebt. Aufgrund der Mitteilungen der Patienten machen wir uns "Gedächtniskonfigurationen" (aus unserem Gedächtnis), projizieren da aber nicht unsere Inhalte hinein, sondern füllen sie mit den spezifischen Inhalten der Patienten
=> Das ist die häufigste Beschwerde der Patienten beim Ethikverein e.V. (kommt in 47% bzw. 67% der Beschwerdefälle vor)
Empathieversagen kann ein hilfreicher Hinweis im therapeutischen Prozess sein, z.B. man bekommt Schwierigkeiten, eine Empathie beim vernachlässigten Patienten zu empfinden, weil man sich in der Gegenübertragung mit dem vernachlässigten Elternteil identifiziert
Empathieversagen kann aber auch ein grober Behandlungsfehler sein, z.B. wenn man eine gehemmte Steuerfachkraft seine eigene Steuererklärung machen lässt (das ist keine Bestätigung der Patientin und Empathie, sondern Abstinenzverletzung!) oder wenn man Patienten ermutigt, über schwierige Themen zu sprechen, und dann einschläft (!)
30 % bzw. 42% der Beschwerdefälle
Die Regelungen der Rahmenbehandlung werden nicht eingehalten:
Verfahren und Methoden kommen zur Anwendung, für die keine Ausbildung besteht
Verbindlichkeit der Therapiesitzungen wird nicht gewährleistet
Sitzungen wiederholt vorzeitig beendet oder zu spät begonnen
Sitzungen überzogen
Wenn ein Patient in Behandlung genommen wird, ohne Aussicht auf Behandlungserfolg bzw. wenn man nicht über die geeigneten Kompetenzen verfügt, die die Behandlung braucht
Kein Behandlungsvertrag, der Besonderheiten wie Ausfallhonorar einschließt, ausgehandelt
Therapieabbruch und Therapiebeendigung (21%)
=> Es handelt sich hier um eine unsachgemäße Beendigung der Therapie durch den Therapeuten:
Unabgesprochen, unvorbereitet
Abrupt, nicht direkt, z.B. per SMS
Ohne Gründe dafür zu erklären
Vorgeschobene Gründe, z.B. wg. "Unlust", einen Bericht an den Gutachter zu schreiben, sagt man dem Patienten, dass die Therapie mit der Ausschöpfung des Stundenkontingents der Kurzzeittherapie (24 Std.) "nicht mehr weiter geht" => Das ist Verletzung der Therapievereinbarung
=> Ebenfalls ist es Zerstörung des therapeutischen Prozesses
Ökonomischer Missbrauch (16%)
Sitzungen abrechnen, die gar nicht stattgefunden haben
Zuzahlungen, die von den Krankenkassen nicht vorgesehen sind
Unbezahlte Dienstleistungen durch Patienten:
Gegenstände für den Therapeuten auf ebay verkaufen
Erstellung der Berechnungen für Promotionsarbeit des Therapeuten
Babysitter- und Chauffeurdienste
Sich in Immobilien der Therapeuten einmieten
Wohnungen der Therapeuten renovieren
Verletzung der Aufklärung-, Dokumentations- und Schweigepflicht
Das ist elementar und trotzdem wird es häufig nicht gemacht – 29,4% der Beschwerden
Es gibt Daten (Schleu, 2021), die sagen, dass nur ca. 30% der Patienten überhaupt benennen können, welches Therapieverfahren sie wahrnehmen – mangelnde Aufklärung schreit in den Himmel!
Die Patienten werden über ihre Rechte nicht aufgeklärt
Auch nicht über die Rahmenbedingungen (gesetzliche Regelungen, z.B. wie viele Therapiestunden dem P zustehen), alternative Therapien, Intensivierung der Therapie (stationäre Behandlung)
Unzureichende Dokumentation – kann strafbar werden, z.B. im Falle eines Suizids des Patienten
Befangenheit (10%)
Wenn man jemanden in die Therapie über eine Protektion nimmt
Wenn man feststellt, dass man die Person, von dem der Patient spricht, kennt
Wenn man mit der Lebenshaltung des Patienten nicht einverstanden ist, ihn aber trotzdem in die Therapie nimmt, noch schwieriger, wenn man eigene Vorbehalte nicht kommuniziert
Hat mit Nicht-Einhalten-Können-Der-Neutralität zu tun
Umgang mit Grenzverletzungen in der Psychotherapie TRIANGULIERUNG, innere und äußere
Sich selbst immer wieder kritisch hinterfragen
Ernst nehmen, wenn die Patienten sich beschweren oder agieren
Anerkennen, dass man Fehler gemacht hat bzw. eine Grenzüberschreitung begangen hat
Scham überwinden
Hilfe suchen – Triangulierung
U.a. Ethikverein e.V. aufsuchen
Mit Patienten die Fehler aufarbeiten, sich entschuldigen, dafür sorgen, dass Patienten es verarbeiten kann
Zuletzt geändertvor 2 Jahren