Methoden zur Erfassung früher Gedächtnisleistungen
Habituationsparadigma (Vgl. Sitzung 3)
Habituationsreaktionen sind ab der 32. SWS voll ausgebildet
Ab ca. 37. SWS: Erinnerung an Reize bis 24 Stunden später möglich.
Siehe auch “Drei + Zwei Komponentenmodell“
Verzögerte Imitation (Vgl. Sitzung 3)
Ab 9 Mon: Auch neue Handlungen werden imitiert, auch bei nur einmaliger Demonstration.
Verzögerte Imitation einfacher Handlungen noch nach einem Tag
Mobile Versuch (Paradigma) als Gedächtnistest
Ein Mobiléist über eine Schnur mit dem Bein des Babys verbunden.
Das Kind lernt, dass Strampeln und Mobilébewegung zusammenhängen.
Untersucht wird, ob das Kind vermehrt strampelt, sobald man das Mobilé erneut über das Bettchen hängt (ohne Verbindung zum Fuß).
-> Wie lange kann es sich an diesen Zusammenhang erinnern?
-> Unter welchen Umständen wird die Strampelreaktion gezeigt?
Schon in den ersten Wochen kontinuierliche Verbesserung der Gedächtnisleistung für den Zusammenhang zwischen Mobilé und eigener Aktivität. (Rovee-Collier et al.,1997)
Vergessen ist Abrufproblem: bei “Wiedereinsetzung“ durch den Versuchsleiter wird die erhöhte Strampelreaktion wieder gezeigt. (Reinstatement = Erinnerungshilfe an einen Teil der Lernerfahrung)
Erinnerungsleistungen sind besser, wenn der Test unter gleichen Kontextbedingungen durchgeführt wird (gleiches Muster des Bettchens).
Mit zunehmendem Alter wird die Art des Mobilés egal (-> Generalisierung) (Bis 6 Monate Erinnerung nur beim Original-Mobilé)
Inhalt früher Gedächtnisrepräsentation
-> was genau merken sich die Kinder von einem Reiz?
Auf Objektebene interessant:
Wie entstehen stabile Objektrepräsentationen?
Versuche zur Objektpermanenz
Überdauernde Existenz eines Gegenstands auch wenn er aktuell nicht sichtbar ist
Objektpermanenz nach Jean Piaget
Objektpermanenz erst bei Säuglingen ab 8 Monaten.
Indikator: 8 Monate alte Kinder greifen nach einem zuvor verdeckten Objekt
-> “Einfache Objektpermanenz” (Piaget)
-> suchen nach verdeckten Gegenständen (müssen verdeckten Gegenstand repräsentiert haben)
-> einfach: wegen A nicht B Suchfehler (Lokalisation gehört zum Objekt dazu)
Objekte existieren unabhängig davon, ob sie aktuell sichtbar sind oder nicht.
Diese frühe Form der Objektrepräsentation scheint aber noch beeinflußbar zu sein durch spezifische Veränderungen, die an einem Objekt vorgenommen werden. (“Einfache” Objektpermanenz)
Zwischen 8 und 12 Monaten zeigen Kinder den so genannten A-/nicht-B Suchfehler
Zwischen 12 und 18 Monaten wird der A-/nicht-B Suchfehler überwunden
-> Objekte existieren dann unabhängig von ihrer Lokation, sofern es sich im Versuch um sichtbare Ortsveränderungen handelt
Weiterhin Probleme mit dem Verständnis unsichtbarer Ortsveränderungen (diese Probleme werden zwischen ca. 18 und 24 Monaten überwunden)
Generelle Kritik (Objektpermanenz Piaget):
Aus defizitärer Handlungskoordination wird auf defizitäres Wissen geschlossen
Versuche zur Objektpermanenz - Neuere Untersuchungen
Kinder scheinen bereits wesentlich früher über stabile mentale Objekt-Repräsentationen zu verfügen als von Piaget angenommen.
Methodenbedingte Unterschiede in den Befunden: Manuelle Suchaufgaben (Piaget) versus visuelle Aufgaben
-> z.B. Drehbrückenversuch
Neuere Erklärungen des A /nicht B Suchfehlers:
Meilensteine der Gedächtnisentwicklung im ersten Lebensjahr
Gedächtnisentwicklung bei älteren Kindern
Recall (Erinnern, aktives Reproduzieren von Gedächtnisinhalten)
Fragt man die Kinder nach dem Entfernen der 10 Gegenstände, an welche sie sich erinnern können.
Mit 2-3 Jahren können Kinder max. 2 Items erinnern. Mit 4 -5 Jahren sind es 3-4 Items.
Zwischen 2 und 4 Jahren:
Große Diskrepanz zwischen guten Recognitions-Leistungen und schwachen Recall-Leistungen.
Allg. Recognition besser als Recall
Bei Recognitionsaufgaben liegen viele Hinweisreize für das “Wiedererkennen“ vor
Bei Recallaufgaben meist nur ein Hinweisreiz
Gedächtnisspanne
Geringfügige, langsame Zunahmen:
Wortspanne (einsilbig): 6 Jährige ca. 4 -12 Jährige ca. 5 Wörter
Zahlenspanne: 4 Jährige ca. 4 -12 Jährige ca. 6 Items
(Ged-Spanne bei Erwachsenen ca. 7 +/-2)
Trotz rel. Langsamer Veränderungen in der Gedächtnisspanne, deutliche Entwicklungsfortschritte in allg. Gedächtnisleistungen
Für diese Fortschritte sind vor allem bedeutsam:
Informationsverarbeitungsprozesse
Gedächtnisstrategien
Metagedächtnis
Informationsverabreitungsprozesse
Mentale Prozesse werden mit zunehmendem Alter stärker automatisiert und effizienter, brauchen weniger Arbeitsspeicher,
-> Es bleiben mehr Speicherressourcen übrig
Die Artikulationsgeschwindigkeit für Wörter nimmt zu (sie laufen schneller durch die artikulatorische Schleife -> vgl. KZG-Modell nach Baddeley & Hitch, 1974),
dadurch können mehr Wörter erinnert werden.
Rehearsal (Encodieren)
Verbales Wiederholen der Inhalte, die man sich merken soll
Die Nutzung dieser Strategie steigt zwischen 5 und 10 Jahren massiv an.
„Astronautenhelm-Versuch“ (e.g. Flavellet al., 1966; Ornstein, 1999)
Vorgabe einer Reihe von Bildern (Merkaufgabe)
Während der Merkphase: „Astronauten-Helm“ (Augen der Kinder verdeckt) für 15 Sek.
Erfassung der Lippenbewegungen
-> Ältere Kinder zeigen häufiger und mehr Lippenbewegungen
Sortierung (Organisieren)
Räumliche Zuordnung von Objekten nach einem best. Kriterium.
12 gleich aussende Dosen. In 6 Dosen werden Bonbons, in die anderen 6 Dosen werden Holzklötze gelegt.
Das Kind wird aufgefordert sich zu merken, in welchen Dosen Bonbons sind.
Die meisten Kinder zwischen 2 & 5 Jahren stellen die „Bonbondosen“ spontan auf die eine Seite und die Holzklotzdosen die anderen.
Sortierung als Gedächtnisstütze.
Gruppierung (Organisieren)
Items werden in Kategorien eingeordnet –Abruf der erinnerten
Information erfolgt anhand der betreffenden Kategorien-
Überschriften.
Z.B. Hase, Banane, Karotte, Affe
Grundschulzeit:
Gruppierungskriterien wechseln von thematischen zu systematischen Oberbegriffen; Strategie wird zunehmend häufiger angewendet.
Skriptbildung (Organisieren)
Skripts =eine Art Drehbücher für bestimmte Ereignisse
(Teilaspekte eine Restaurantbesuchs, Einkaufs,…)
Skript-Wissen ist für das Erinnern von großer Bedeutung
3-jährige nennen mehrere Aspekte (z.B. Setzen, Essen, bezahlen, gehen) in der logisch richtigen Reihenfolge.
Mit dem Alter steigt die Anzahl von Teilschritten, die differenziert werden (z.B. Mantel ausziehen, Setzen, Bestellen, Essen, Nachtisch, bezahlen, Mantel Anziehen, Gehen)
Nachfragen der Eltern fördern die Abspeicherung und den Abruf
Assoziationsbildung (Elaborieren)
Assoziationsbildung zwischen Items, bildlich oder verbal (Bsp.: Eselsbrücken)
-> Nutzung von Retrieval Cues
-> Einsatz erst ab Adoleszenz
Strategiedefizite & Metagedächtnis
Strategiedefizite (Probleme beim Einsetzen bewußter Maßnahmen zur Lösung von Gedächtnisaufgaben):
Kindergartenkinder: Mediationsdefizit -> Strategien werden nicht spontan gezeigt und nützen auch bei Unterweisung nichts.
Vorschulkinder: Produktionsdefizit -> Strategien werden nicht spontan eingesetzt, nützen aber etwas (wenn Kinder unterwiesen werden)
Frühes Schulalter: Nutzungsdefizit -> Strategien werden spontan eingesetzt, nützen aber nichts (fordern noch zu viel Aufmerksamkeit)
Deklaratives Metagedächtnis: Wissen über Gedächtnisvorgänge (bei einem selbst und anderen Personen, bei bestimmten Aufgaben, bei bestimmten Strategien) verbessert sich im Verlauf der Grundschulzeit(6 –10 Jahre) kontinuierlich.
Prozedurales Metagedächtnis: Fähigkeit zur Überwachung (Leistungsvorhersage) und Regulation gedächtnisbezogener eigener Aktivitäten (bezüglich der notwendigen Anstrengung) Auch hier wesentliche Verbesserungen während der Grundschulzeit.
Exekutive Funktionen (EF)
Kontrollprozesse, die besonders dann eingesetzt werden, wenn automatisiertes Handeln zur Problemlösung nicht mehr ausreicht.
Z.B. Fehlerkorrektur, Erlernen neuer komplexer Fertigkeiten, Durchbrechen von Gewohnheiten, …
Zu EF gehören u.a.:
Setzen von Zielen
Strategische Handlungsplanung zur Zielerreichung
Prioritätensetzung
Selbstkontrolle (Impulskontrolle und Emotionsregulation),
Arbeitsgedächtnis
Bewusste Aufmerksamkeitssteuerung, Perspektivübernahme
Zielgerichtetes Beginnen, Koordinieren und Sequenzieren von Handlungen
Motorische Umsetzung, Beobachtung und ggfs. Korrektur von Handlungsergebnissen
Selbstmotivation, Volition, Initiative
Wichtige Hirnregionen:
Frontalhirn v.a. Präfrontaler Cortex, Reifungsprozesse noch bis frühes Erw.alter Thalamus, Teile der Basalganglien
Exekutive Funktionen - Übersicht und Taxonomie
Definition EF:
Regulations-und Kontrollmechanismen, die zielorientiertes und situationsangepasstes Handeln ermöglichen (Drechsler, 2007)
Beinhaltet verschiedene, unabhängige Prozesse, die selektiv gestört sein können.
Exekutive Leistungen – Modelle
Vgl. Arbeitsgedächtnismodell nach Baddeley (1986):
„Zentrale Exekutive“ als Teil des Arbeitsgedächtnisses, mit den Funktionen
Fähigkeit der Aufmerksamkeitsausrichtung (focusattention)
Verlagerung des Aufmerksamkeitsfokus (task switching)
Regulation der Aufmerksamkeitsverteilung, bei gleichzeitigen Aufgaben (dual task performance)
Verknüpfung von Inhalten des Arbeitsgedächtnisses mit dem Langzeitgedächtnis
Exekutive Funktionen - Entwicklung
Arbeitsgedächtnis:
Ab ca. 3 Jahren wesentliche Entwicklungsschritte
Inhibition:
ca. 1/2 Jahr kurzes Innehalten einer Bewegung bei „NEIN-Ansage“
4-5 Jahre Verbesserungen bei Bedürfnisaufschub
ca. 12 Jahre Inhibitionsfähigkeiten vergl. Zu Erwachsenen
Flexibiltät/Shifting/Perspektivenübernahme:
Säuglingsalter verschiedene Wege zur Zielerreichung möglich
Ca. 4 Jahre: einfache Wechsel von Regeln können beachtet werden
Theory of Mind (Explizite Aufgaben) Übergang von non-repräsentationaler zu repräsentationaler ToM (-> siehe entspr. Folien)
Exekutive Funktionen und Schulleistungen
Exekutive Funktionen in engem Zusammenhang mit Schuleignung und schulischen Leistungen
Siehe Kriterien der Schulfähigkeit:
Sozial-emot. Kompetenzen (Emot-regulation / Prosoz.Verhalten /Aggressionskontrolle),
Anpassungsfähigkeit an die Anforderungen des Unterrichtsgeschehens
Motivation,
ausgereifte Lernkompetenz,
Vorläuferfertigkeiten für den Schrifterwerb
Möglichkeiten der Förderung/Förderansätze (vgl. Diamond & Lee, 2011)
Ansätze, die exekutive Funktionen nachweislich fördern:
Computerbasierte Förderung
Förderung durch Sport und Bewegung
Förderung durch traditionellen Kampfsport und der Achtsamkeit
Förderung durch Schulkonzepte
Förderung durch additive Programme
-> Zahlreiche weitere Programme auch dt-sprachig
EF und AUfmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Einordnung:
Verhaltens-und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Hauptkennzeichen:
Probleme mit Aufmerksamkeit
Impulsivität und Selbstregulation;
z.T. zusätzlich starke körperliche Unruhe (Hyperaktivität)
Prävalenz: 5,3% (Mehr Jungen als Mädchen)
Bei ca. 40-80% der diagnostizierten Kinder besteht die Störung bis ins Jugendalter fort (Im Erw.alter ca. noch 1/3).
Häufigkeit ADHS-Diagnose bei 3–17-jährigen,
Grundlage: Kinder-und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), Robert-Koch Institut, 2003
Neuropsychologische Merkmale, u.a.:
Einschränkung des Arbeitsgedächtnisses
Beeinträchtigung der Exekutivfunktionen
Abneigung gegenüber dem Aufschub von Belohnungen
Motorische Überaktivität
Regulation von Aktivierung und Wachheit, Störungen der Zeitverarbeitung
Erhöhte inter-und intraindividuelle Variabilität der Reaktionszeit
Dysfunktionale Regulierung der Anstrengungsbereitschaft in Hinblick auf zielbezogenes Verhalten (kurzfristige bzw. entfernte Ziele)
Ursachen/Risikofaktoren u.a.:
Gehirn (z.B: funktionelle Defizite in versch. Kerngebieten
Neurotransmitter (v.a. Verminderte Signalübertragung durch Dopamin, Noradrenalin, Glutamat)
Genetische Faktoren (Erblichkeitsrisko bei Kindern 70-80%)
Schadstoffe (z.B: Blei, PCB, Tabak,…)
Soziales Umfeld als Risiko/Schutzfaktor
Zuletzt geändertvor 2 Jahren