Triebpsychologie
Definition
In der Triebpsychologie Freuds wird das ganze seelische Erleben und Verhalten unbewusst von Trieben verursacht und gesteuert.
Trieb: ein biologisch begründeter, grundlegender Drang verstanden, der von einer psychisch nie aufhebbaren Energie gespeist wird und den Menschen antreibt, Lust zu erleben bzw. Unlust zu vermeiden
Dies treibt ihn in unausweichliche Konflikte mit sich und anderen. D
as Wesen des Triebes, nämlich das nie enden wollende Begehren und das Versagen der vollen Befriedigung, stellt den Menschen vor eine fundamentale Aufgabe bezüglich seines Seelenlebens.
Grundüberlegungen
Streben nach (körperlich erlebter) Lust
Trieb „füttert“ psychische Energie, die dem Lustprinzip folgt, aber inhaltlich frei besetzt werden kann
Trieb ist latent; erlebbar wird er über z.B. Gedankenimpulse, Wünsche und Verhalten (=Triebabkömmlinge)
Trieb drängt nach Abfuhr, Befriedigung, Lösung oder Vermeidung von unlustvoller Spannung strebt („Ich will alles jetzt sofort ohne Rücksicht auf Verluste“ = Lustprinzip)
Trieb kann niemals vollständig befriedigt werden
Ursprung des Triebes
Körperlich und biologisch verankerter Vorgang, der dranghafte erregende innere Spannung erzeugt, die angeborene und biologisch-körperliche Energie = Libido
Varianten der Triebtheorie
Freud: Idee des Dualismus von gegeneinander gerichteten Kräften
Heute: werden motivationale/effektiv besetzte Regungen berücksichtigt, z.B.
Physiologische Bedürfnisse (Ernährung, körperliche Sicherheit, Wärme)
Bedürfnis nach Bindung und Verbundenheit
Bedürfnis nach Exploration und Selbstbehauptung
Bedürfnis, aversiv zu reagieren durch Widerspruch und/oder Rückzug
Bedürfnis nach sinnlichem Vergnügen und sexueller Erregung
Vier Bestandteile des Triebs
Quelle: V.a. erogene Zonen (oral, anal, genital) —> Auf dem Weg von der Quelle zum Ziel wird der Trieb psychisch wirksam
Drang: Motorisches, spannungsvolles Element des Triebes, das auf Befriedigung drängt (=Triebabkömmling)
Ziel: körperlich lustvolle Befriedigung
Objekt: Mittel zum Zweck —> Triebenergie wird an Objekte gebunden, um Befriedigung und Triebabfuhr zu erreichen; das Objekt ist nicht ursprünglich vorbestimmt
Aggressions- und Todestrieb
Energie Destrudo, auf Zerstörung ausgerichtet
Freud: Allem Lebendigen liegt zeitlich ein Nicht-Lebenszustand voraus; Todestrieb möchte alle belebten Dinge in diesen unbelebten Ruhezustand zurückführen; im Alltag Zerstörung von Bindungen und Zusammenhängen
Beispiele: Abbruch einer Therapie, destruktives Agieren und Entwerten bei Borderline-PatientInnen mit Wunsch nach Welt- oder Selbstvernichtung
Unbewusste Tötungsfantasien zeigen sich z.B. in Phobien vor damit assoziierten Gegenständen (Wunsch jemanden zu überfahren) oder in ausgeprägter Sorge um Menschen
Psychosexuelle Entwicklung
Intentionale Phase
Orale Phase
Anale Phase
Ödipale Phase
Urvertrauen vs. Urmissvertrauen
Schizoide Neurosenstruktur
Grundkonflikt der Nähe
Orale Phase 0,5 bis 1,5 Jahre
Nähe vs. Trennung
Depressive Neurosenstruktur
Grundkonflikt der Bindung
Anale Phase 1,5 bis 3 Jahre
Autonomie vs. Scham und Zweifel
Zwanghafte Neurosenstruktur
Grundkonflikt der Autonomie
Ödipale Phase 3-6 Jahre
Initiative vs. Schuldgefühl
Hysterische Neurosentruktur
Grundkonflikt der Identität
Fixierung als Erkrankungsdisposition
Haftenbleiben der Libido in einer bestimmten Entwicklungsphase
Psychodynamik: Druck innerer/äußerer Belastungen —> Reaktualisierung der fixierten, nicht integrierten frühen Konflikte vorheriger Entwicklungsphasen —> massive Angst —> Regression auf die Fixierung zurück —> Symptom als Kompromiss zwischen Triebabkömmling und Abwehr
Charakterneurose/ Neurosenstruktur: Fixierung ist stark mit der Persönlichkeit verwoben, ohne zwangsläufig Symptome zu entwickeln
Fähigkeit Distanz zu halten, Rolle des kühlen Beobachters
Unbewusster Appell: „Erkläre mir die Situation, aber lass mir meine eigene logische Beobachterwelt, in der ich allein sein kann“
Folgen für Therapie: Zusammenarbeit und Annahme fallen schwer, TherapeutInnen werden nicht wertgeschätzt, müssen dies aushalten
Fähigkeit sich nützlich zu machen & mit wenig auszukommen
Suche nach Wärme, Nähe, Geborgenheit, Anerkennung
Abhängigkeits- und Anklammerungstendenzen
Gefügigkeit, Vermeidung von Aggressionen
Angst vor Selbstständigkeit
Sehr höflich und rücksichtsvoll
Abhängig von Anerkennung und Liebe anderer, oft insgeheim fordernde Haltung
Fähigkeit, das Leben und Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der Ordnung zu erleben, sich nur auf sich selbst verlassen
Unbewusster Appell: „Gib mir Halt durch das Einhalten meiner Ordnung, lass sie mir“
Folgen für die Therapie: An Kleinigkeiten kann die Begegnung scheitern, nicht am großen Ziel
Histrionische Neurosenstruktur
Fähigkeit, mit dem ganzen Körper zu kommunizieren und als aufregende Person alle Emotionen einzusetzen
Unbewusster Appell: „Nimm mich an und zeige mir, dass ich ganz wichtig für dich bin“
Folgen für die Therapie: Durch die aufgeladene Emotionalität kann die rationale Klärung scheitern, deshalb ist das Verständnis der Affektivität als nonverbale Kommunikationsverstärkung wichtig
Symptome aus Triebtheoretischer Sicht
Symptom als Kompromiss zwischen Triebimpuls und Abwehr
Übertragung
spontan
Wirkt umso stärker, je weniger man ihr Vorhandensein ahnt
Psychoanalyse bemächtigt sich ihrer, um die psychischen Vorgänge nach dem erwünschten Ziele zu lenken
Aktualisierung innerer Beziehungs-Schemata in der therapeutischen Beziehung
PatientIn passt die therapeutische Beziehung in die vorhandenen psychischen Strukturen persönlicher, subjektiver Welt ein —> beeinflusst Erleben und Verhalten in der Situation/ Beziehung
Umwelt wird zu Reaktionen veranlasst, die den Beziehungserwartungen entspricht
Gegenübertragung
Alle Gefühle, Empfindungen, Fantasien, Impulse des Therapeuten gegenüber dem Patienten
Konkordante Gegenübertragung: man empfindet wie der Patient
Komplementäre Gegenübertragung: Man empfindet wie wichtige frühere Bezugspersonen
Fünf Ebenen: Körper, Befürchtungen, Kognition, Erfahrung, Wünsche
Hypothesenbildung - Dreieck der Einsicht
Ich-Psychologie
Die Ich-Psychologie beschäftigt sich mit der Frage der
Anpassung des Menschen an soziale Anforderungen, insbesondere mit der Entwicklung des Ich
Funktionen des Ich
und der Abwehr.
Fokus: Tätigkeit und Beschaffenheit des Ich
Augenmerk auf die Fähigkeit zur Anpassung, Realitätsprüfung und auf die Abwehrprozesse
In der inneren Welt: Umgang mit Bedürfnissen, Affekten und Fantasien
In der äußeren Welt: Realitätsanforderungen
Fähigkeiten werden langsam erlernt, bei Störungen —> Strukturdefizit, Strukturpathologie, z.B. mit Affektintoleranz, Affektüberschwemmung, mangelnder Impulskontrolle
Frühe Ich-Psychologie
Ich muss eine Harmonie bewältigen unter den Kräften und Einflüssen des Es und das Über-Ich
Symptom als Ausdruck eines aus Angst abgewehrten Triebimpulses
Angst stammt aus dem Druck der Triebe und der Kontrolle des Über-Ichs
Späte Ich-Psychologie
Fokus auf Ich als autonome und vom Trieb unabhängige Struktur, als Organ der Anpassung des Individuums an seine Umwelt
Ich-Funktionen
Kognitive Funktionen (Wahrnehmung, Denken, Realitätsprüfung)
Vermittelnde Funktionen (Anpassung an Werte)
Schützende Funktionen (Abwehr, Entwicklung von Angst als Signal für Gefahren)
Autonome Funktionen (Affektregulation, Gehen, Laufen, Intention)
Symptomverständnis in der frühen Ich-Psychologie
Symptome als unbewusste Kompromissbildung gegen die Angst des Ichs vor verdrängten Wünschen in relevanten Versagungs-/Versuchungssituationen
Ausprägung der Symptomatik hängt dann von der Ich-Reife bzw. vom Integrationsniveau ab
Symptomverständnis in der späten Ich-Psychologie
Symptomatik als Ausdruck struktureller Ich-Defizite als Folge eines Entwicklungsmangels, nicht auf Basis ungelöster Konflikte!
Objekt-Beziehungspsychologie
Die Objektbeziehungstheorie untersucht die Frage,
wie sich frühe Beziehungen zwischen Mutter und Kind zu wichtigen Beziehungspersonen (Objekten) in Erinnerungsspuren innerseelisch niederschlagen (Repräsentanzen)
und wie diese Repräsentanzen später Wahrnehmung, Fantasien, Verhalten und Fühlen im Umgang mit anderen Menschen beeinflussen
Von der Ein-Personen Psychologie zur zwei-Personen Psychologie
Psyche entwickelt und strukturiert sich aus der Interaktion mit der Umwelt
Schwere Pathologien entstehen in den ersten drei Jahren: Einschränkungen in der Selbstregulation, in der Aufnahme und Aufrechterhaltung stabiler Beziehungen mit destruktiven Tendenzen in der Beziehung zu sich und anderen
Individuelle Muster der frühen Objektbeziehungen zeigen hohe Kontinuität und Wiederholungstendenz über das gesamte Leben
Objekt
Gegenüber aus subjektiver Wahrnehmung heraus
Objektbeziehung
Unbewusst erlebte Beziehung zwischen Subjekt und Objekt mitsamt unbewussten Vorstellungen, Affekten, Motivationen, Bedürfnissen, usw.
Repräsentanzen
sich verdichtende „Abbildungen“ der Erfahrungen aus den Objektbeziehungen
Objektrepräsentanz
das subjektiv wahrgenommene Bild des anderen, resultierend aus Erfahrungen mit dem anderen; nie identisch mit der Person, die sie repräsentieren, enthält reale und fantasierte subjektiv zugeschriebene Anteile
Selbstrepräsentanz
Abbilder über sich selbst aus der Erfahrung des Selbst in Beziehung mit anderen, entstehen z.T. aus Objektrepräsentanzen, da Aspekte des Objekts internalisiert werden
Beziehungsrepräsentanz
Unbewusster gefühlsmäßiger Niederschlag aus gemeinsamen Interaktionen mit anderen; innerlich abgespeichertes unbewusstes Abbild einer ganzen Beziehung mit Selbstanteilen und Objektanteilen, Gefühlen, Fantasien, Bedürfnissen, Vorstellungen, etc.
Theorie von Melanie Klein
Menschliche Destruktivität als Versuch, die intrapsychische, gegen das Selbst gerichtete Zerstörungstendenz nach außen zu lenken
Baby verfügt von Geburt an über Ich und kann Objektbeziehungen aufbauen
Charakteristisch ist ein Pendeln zwischen Introjektion und Projektion, das zum Aufbau einer differenzierten psychischen Struktur führt:
Weil es Angst vor dem inneren aggressiven Erleben empfindet, nutzt das Baby die Projektion in die Außenwelt —> die böse Brust
o Aus Angst vor dem bösen Objekt möchte es dieses dann beseitigen: Introjektion
o Die Bedrohung ist einverleibt und innerlich und muss erneut projiziert werden, was angstlindert wirkt
Entwicklung/ Psyche sind entlang zweier zentraler Positionen organisiert
—> Lebenslanges wechselndes dynamisches Spannungsverhältnis zwischen den beiden Positionen
Paranoid-schizoide Position
Negative Gefühle bzw. ungewollte Selbstaspekte werden nach außen projiziert
Negative Gefühle und Destruktivität ist dann eine von außen kommende Kraft
Als erwachsener Mensch kann auf diesen Modus regrediert werden
Bei Borderline-PatientInnen üblicher Modus
Depressive Position
Negative Selbstaspekte können symbolisiert werden und müssen so nicht mehr abgewehrt werden
Mit der Pendelbewegung und Bildung einer differenzierten inneren psychischen Struktur sowie differenzierten Objektrepräsentanzen entwickelt sich die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz
Eigene negative Gefühle in Beziehungen werden bewusst, einhergehend mit Schuldgefühlen und Gewissensbissen bzw. Wiedergutmachungswünschen und Verantwortungsübernahme
Otto Kernbergs Theorie der Borderline Persönlichkeitsorganisation
Es existiert zu Beginn des Lebens ein Gemisch aus noch nicht zu unterscheidenden Selbst- und Objektanteilen (Mutter-Kind-Symbiose) + Affekte
Mit zunehmender Entwicklung bilden sich dann immer mehr voneinander getrennte Repräsentanzen vom eigenen Selbst und vom Objekt heraus, bis ein integriertes Bild vom Selbst und dem anderen (Objekt) entsteht
Es entsteht ein Konflikt zwischen einer emotional gefärbten Selbstrepräsentanz auf der einen Seite und einer emotional gefärbten Objektrepräsentanz auf der anderen Seite
Spaltung: Da das Ich anfangs noch unfähig ist, komplexe Valenzen gemeinsam abzuspeichern, werden affektiv aufgeladene Ereignisse als Repräsentanzen getrennt verinnerlicht
Selbstpsychologie
das Selbst und sein Erleben als entscheidender Inhalt der Persönlichkeit angesehen. Das Selbst wird dabei verstanden als der Kern der Persönlichkeit.
Primärer und Sekundärer Narzissmus
Primär: Säugling als asoziales Triebbündel, dessen Libido vor allem auf sich selbst und die eigene Triebbefriedigung gerichtet
Sekundär: Kleinkind wendet sich zum gegengeschlechtlichen Elternteil; wenn diese Entwicklung gehemmt oder gestört wird, kann es zu einer Rückwendung der Libido auf sich selbst kommen
Fokus: Eigene Sicht auf sich selbst und Selbsterleben als zentrale Bestandteile des Psychischen (Unbewussten)
Zentrales Bedürfnis des Menschen, mit sich und seinem Selbstgefühl im Einklang sein, Bedürfnis nach Selbstanerkennung, nach resonanter liebevoller Spiegelung und Bestätigung, nach Selbstwert und kreativem Selbstausdruck
Unterscheidung zwischen Ich und Selbst
Ich: Zentraler Organisator des Psychischen, welcher zugleich intentional auf Objekte ausgerichtet ist
Selbst: Reflexive psychische Struktur; Ich nimmt sich selbst zum Ort der Wahrnehmung und wird dadurch zum Selbst mit Selbstbild, Selbstwert und Identität; das Selbst integriert alle psychischen Funktionen zu einem Ganzen, steuert sich und organisiert die Beziehung zum Anderen
Entwicklung des Selbsts
Für Entwicklung des Selbst ist Kohuts Anspruch vom „Glanz im Auge der Mutter“ relevant —> wohlwollende, einfühlsame mütterliche Bestätigung des kindlichen Tuns: Spiegelung
Idee: Es kann nur das psychische Realität werden, was mit einem anderen gespiegelt geteilt wurde —> Reflexives Selbst: Ich erkenne/erlebe/Entwickle mich durch den Spiegel im Anderen
Selbstobjekt
Selbstobjekte: Alles wodurch wir subjektiv ein inneres Gefühl des Selbstseins erhalten und aufrechterhalten können (z.B. Freunde, Menschen, Arbeit, Hobbys)
Selbstobjektbedürfnisse und Entwicklungsstufen des Selbst
Aushaltbare optimale Frustrationen der Selbstobjektbedürfnisse wirken entwicklungsfördernd und strukturbildend
Bedürfnisse:
Verschmelzung
Effektanz
Spiegelung
Idealisierung
Alter Ego oder Zwilling
Aversive Bedürfnisse
Narzissmus-Entwicklung (Kohut, 1977)
Zuletzt geändertvor 2 Jahren