Wie wird das Handelsrecht herkömmlich bezeichnet ?
Üblicherweise bezeichnet man das Handelsrecht als “Sonderprivatrecht für Kaufleute”
Was versteht man Allgemein unter dem Sonderprivatrecht ?
Privatrechtsnormen, die nur für ein Teilgebiet des Privatrechts gelten, insbesondere für bestimmte Gruppen von Personen
Frage 3:
Was kommt durch die für das Handelsrecht verwendete Bezeichnung als „Sonderprivatrecht für Kaufleute“ zum Ausdruck?
Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass das Handelsrecht Teil des Privatrechts ist. Als Sonderprivatrecht der Kaufleute muss es zudem gegenüber dem allgemeinen Privatrecht einen engeren Geltungskreis haben
Frage 4:
Aus welcher Vorschrift ergibt sich der Charakter des HGB als speziellere Regelung gegenüber dem BGB und inwiefern wird das BGB durch das HGB modifiziert?
Antwort zu Frage 4:
Nach Art. 2 Abs. 1 EGHGB kommen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in Han- delssachen nur insoweit zur Anwendung, als nicht im HGB oder im EGHGB etwas anderes bestimmt ist. Damit verdrängen die Vorschriften des Handelsrechts als Sonderprivatrecht der Kaufleute das allgemeine bürgerliche Recht. Das allgemeine bürgerliche Recht kommt aber zur Anwendung, sobald keine speziellen handelsrechtlichen Normen eingreifen. Das HGB ergänzt oder ersetzt also das BGB. Aufgrund dieser engen Verzahnung mit dem BGB lässt sich fest- halten: Das HGB modifiziert das BGB. Das BGB bleibt subsidiär aber immer anwendbar.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem oben dargestellten Verhältnis des HGB zum bür- gerlichen Recht für die Fallbearbeitung im Handelsrecht?
In der Regel sind bei der Klausurlösung Vorschriften des bürgerlichen Rechts und Vorschriften des Handelsrechts heranzuziehen. Dabei werden die bürgerlich-rechtlichen Normen durch das Handelsrecht modifiziert. Da sich im Handelsrecht nur wenige Anspruchsgrundlagen finden (zu nennen sind beispielsweise: §§ 37 II, 25, 28, 87 HGB), sind rein handelsrechtliche Klausu- ren die Ausnahme. Meist wird der Einstieg in die Lösung der Klausur über eine Vorschrift des allgemeinen bürgerlichen Rechts erfolgen. Eine einschlägige Vorschrift des Handelsrechts sollte bei der Klausurlösung erstmals erwähnt werden, wenn sie für die Lösung der Klausur bedeutsam wird. Insbesondere ist eine abstrakte Prüfung der Kaufmannseigenschaft als Vor- frage zu Beginn der Klausur deshalb regelmäßig fehlerhaft (Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auflage 2020, § 27 Rn. 499).
Frage 6:
Die für das Handelsrecht verwendete Bezeichnung als „Sonderprivatrecht für Kaufleute“ zeigt, dass das Handelsrecht dem Privatrecht zuzuordnen ist. Finden sich gleichwohl im HGB Nor- men mit öffentlich-rechtlichem Charakter?
Das Handelsrecht enthält aufgrund des bestehenden Sachzusammenhangs auch öffentlich- rechtliche Normen. Diese finden sich insbesondere in den Vorschriften über das Handelsregis- ter (sehr deutlich § 14 HGB), im Rahmen des Firmenrechts (z. B. § 37 Abs. 1 HGB) sowie im dritten Buch des HGB, das die Rechnungslegung behandelt.
Frage 7:
Kennen Sie auch öffentlich-rechtliche Vorschriften im BGB?
Antwort zu Frage 7:
Ja, z.B. die §§ 22 f., §§ 43 f., § 80 BGB.
Frage 8:
Eine wichtige Modifizierung des bürgerlichen Rechts durch das Handelsrecht stellt beispiels- weise die Vorschrift des § 377 HGB dar. Wie wird diese Regelung im Rahmen einer Fallbear- beitung berücksichtigt?
Antwort zu Frage 8:
§ 377 HGB hat seine Bedeutung im Rahmen der Frage nach Mängelrechten des Käufers gegen den Verkäufer gem. §§ 437 ff. BGB. Nach § 377 Abs. 1 HGB hat der Käufer – wenn der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft darstellt – die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsgemäßem Geschäftsgange tunlich ist, zu un- tersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen. Unterlässt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware gem. § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt (es sei denn, dass es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war). Hieraus ergibt sich, dass der Käufer im Rahmen eines beiderseitigen Handelskaufs die gelie- ferte Ware untersuchen muss und einen entsprechenden Mangel unverzüglich beim Verkäufer zu rügen hat. Verletzt der Käufer diese Obliegenheit, so gilt die Ware als genehmigt und Män- gelrechte des Käufers sind ausgeschlossen.
Die Verletzung der Rügeobliegenheit durch den Käufer führt deshalb zu einem Ausschluss sei- ner Mängelrechte gem. § 437 ff. BGB. Für die Fallbearbeitung bedeutet dies, dass Mängel- rechte zunächst nach den einschlägigen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu untersuchen sind, mithin nach den §§ 437 ff. BGB und den Voraussetzungen der entsprechenden An- spruchsgrundlagen (insbesondere Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages, Vorhandensein eines Mangels bei Gefahrübergang, kein Ausschluss der Mängelrechte). Im Rahmen der Frage nach dem Ausschluss der Mängelrechte ist der besondere Ausschlussgrund des § 377 HGB zu untersuchen.
Mithin handelt es sich bei § 377 HGB um eine typische Modifizierung des Bürgerlichen Rechts durch das Handelsrecht.
Warum besteht das Erfordernis für ein Sonderprivatrecht für Kaufleute?
Antwort zu Frage 9:
Typischerweise werden insbesondere folgende Gründe für die Geltung eines Sonderprivat- rechts für Kaufleute genannt:
- Schnelligkeit des Rechtsverkehrs und rasche Abwicklung
- gesteigerter Verkehrs- und Vertrauensschutz
- geringere Schutzbedürftigkeit der Kaufleute (Selbstverantwortlichkeit des Kaufmanns
bzw. Erweiterung der Privatautonomie)
- stärkere Bindung an Bräuche und Gepflogenheiten
Frage 10:
Nennen Sie ein Beispiel für eine Vorschrift, die eine raschere Abwicklung des handelsrechtli- chen Geschäftsverkehrs bezweckt.
Ein Beispiel stellt die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gem. § 377 HGB dar (vgl. bereits Frage 8). § 377 HGB bezweckt eine zügige Abwicklung der Geschäfte, insbesondere im Inte- resse des Verkäufers, möglichst rasch Gewissheit darüber zu erhalten, ob die gelieferte Ware als ordnungsgemäße Lieferung anzusehen ist oder mit der Geltendmachung von Mängelge- währleistungsansprüchen zu rechnen ist.
Frage 11:
Als Beispiel für einen gesteigerten Verkehrs- und Vertrauensschutz im Handelsverkehr als Grund für ein Sonderprivatrecht der Kaufleute lässt sich § 366 HGB nennen. Worin besteht die Besonderheit im Vergleich zu § 932 BGB?
§ 366 HGB erweitert den Gutglaubensschutz insbesondere der §§ 932 ff. BGB: Die bürgerlich- rechtlichen Gutglaubensvorschriften setzen voraus, dass der Erwerber im Hinblick auf die Ei- gentümerstellung des Veräußerers gutgläubig ist, er also den Veräußerer für den Eigentümer hält. § 366 HGB erweitert den Gutglaubensschutz insoweit, dass es ausreicht, dass der Erwerber den Veräußerer für befugt hält, über die Sache zu verfügen; im Rahmen des § 366 HGB ist also die Gutgläubigkeit im Hinblick auf die Verfügungsbefugnis des Veräußerers ausreichend.
Frage 12:
Nennen Sie ein Beispiel für eine Vorschrift aus dem HGB, aufgrund derer Kaufleute einen geringeren Schutz genießen als nach BGB-Vorschriften!
Als Beispiel lässt sich 350 HGB nennen: Danach finden bestimmte Formvorschriften (insbe- sondere § 766 S. 1 BGB für die Bürgschaft) keine Anwendung. Als weiteres Beispiel lassen sich die Wirkungen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens (dazu später) nennen.
Frage 13:
Die Anwendbarkeit des Handelsrechts setzt i.d.R. die Kaufmannseigenschaft zumindest eines der an einem Rechtsgeschäft beteiligten Rechtssubjekte voraus; mit anderen Worten folgt das HGB in erster Linie dem „subjektiven System“. Gibt es gleichwohl Konstellationen, in denen Handelsrecht anwendbar ist, ohne dass auch nur ein Kaufmann beteiligt ist?
Ja, solche Konstellationen gibt es.
Beispielsweise gelten die Vorschriften des HGB über Handelsvertreter, Handelsmakler und Kommissionäre nach den speziellen Vorschriften der §§ 84 Abs. 4, 93 Abs. 3 und 383 Abs. 2 S. 1 HGB auch dann, wenn das jeweilige Unternehmen einen in kaufmännischer Weise einge- richteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert und es daher an der Kaufmannseigenschaft fehlt. Außerdem folgt auch das 5. Buch des HGB zum Seehandel nicht dem „subjektiven System“, sondern stellt auf den Gegenstand des Vertrags ab (z.B. regeln die §§ 481 ff. HGB den See- frachtvertrag zwischen Verfrachter und Befrachter).
Frage 14:
Wann ist das HGB in Kraft getreten, wie hieß sein Vorläufer und wodurch wurde dieser Vor- läufer beeinflusst?
Das HGB ist wie das BGB am 01.01.1900 in Kraft getreten. Sein Vorläufer ist das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) aus dem Jahre 1861. Das ADHGB wurde durch den französischen Code de commerce von 1807 beeinflusst.
Frage 15:
Gibt es auch ein Handelsprozessrecht und eine Gerichtsbarkeit speziell für handelsrechtliche Streitigkeiten? Sind Ihnen vielleicht auch prozessuale Regelungen bekannt, die innerhalb des Handelsrechts von besonderer Bedeutung sind?
Es gibt weder ein Handelsprozessrecht noch eine besondere Handelsgerichtsbarkeit. Vielmehr gehören handelsrechtliche Streitigkeiten als bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten vor die or- dentlichen Gerichte gem. § 13 GVG.
Innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es bei handelsrechtlichen Streitigkeiten eine Besonderheit: Bei den Landgerichten entscheiden bei handelsrechtlichen Streitigkeiten beson- dere Spruchkörper, nämlich die Kammern für Handelssachen (§§ 93 ff. GVG). Für Handelssa- chen (vgl. § 95 GVG) tritt nach § 94 GVG die Kammer für Handelssachen an die Stelle der Zivilkammer, wenn der Kläger dies in der Klageschrift beantragt (vgl. § 96 GVG). Die Kammer für Handelssachen ist mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt (vgl. § 105 Abs. 1 GVG); sog. Handelsrichter (§ 45a DRiG). Trotzdem genießen alle drei Richter gleiches Stimmrecht, vgl. § 105 Abs. 2 GVG. Die (ehrenamtlichen) Handelsrichter sollen als eingetragene Kaufleute, Prokuristen, Geschäftsführer usw. für eine höhere Praxisnähe sorgen. Weitere wichtige prozessuale Vorschriften mit Bezug zum Handelsrecht finden sich in der ZPO in §§ 29 Abs. 2, 38 Abs. 1 ZPO: Diese Vorschriften erleichtern die Vereinbarungen über die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts (Gerichtsstandsvereinbarung bzw. Prorogation) unter Kaufleuten.
Frage 16:
Worum handelt es sich bei Handelsgewohnheitsrecht? Welche Bedeutung kommt diesem zu
Bei Gewohnheitsrecht handelt es sich um objektives Recht (Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auflage 2020, § 1 Rn. 15). Handelsgewohnheitsrecht wird durch eine in kaufmännischen Verkehrskreisen langanhaltend praktizierte und vom Rechtsgeltungswillen getragene Übung begründet. Handelsgewohnheitsrecht kann zwingenden oder dispositiven Charakter haben. Die Bedeutung des Handelsgewohnheitsrechts wird unterschiedlich eingeschätzt.
(Von einer erheblichen Bedeutung des Handelsgewohnheitsrechts geht aus K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Auflage 2014, § 1 III 2 Rn. 46 ff.; anders: Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auflage 2020, § 1 Rn. 15.)
Die wichtigsten Beispiele für Handelsgewohnheitsrecht sind die – später noch näher zu betrach- tenden – Rechtsinstitute der
Ø Lehre vom Scheinkaufmann und die
Ø Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben
(str. vgl. hierzu Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 23 II Rn. 9, Fn. 15 mit weiteren Nachweisen).
Was sind Handelsbräuche?
Antwort zu Frage 17:
Handelsbräuche sind bestimmte Gewohnheiten und Verkehrssitten im Handelsverkehr. Als Verkehrssitten beruhen sie auf der gleichmäßigen Übung der beteiligten Verkehrskreise über einen angemessenen Zeitraum hinweg. Sie dienen insbesondere der Auslegung von Willenser- klärungen und der Ergänzung unvollständiger vertraglicher Regelungen (Jung, Handelsrecht, 12. Auflage 2019, § 34 Rn. 11).
Frage 18:
Wie unterscheiden sich Handelsbräuche vom Handelsgewohnheitsrecht?
Antwort zu Frage 18:
Im Gegensatz zum Handelsgewohnheitsrecht setzten Handelsbräuche nur eine dauernde, gleichmäßige, einheitliche und freiwillige tatsächliche Übung der beteiligten Verkehrskreise voraus. Sie müssen nicht von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der beteiligten Kreise getragen sein (Jung, Handelsrecht, 12. Auflage 2019, § 34 Rn. 12).
Kommt zur dauernden Übung der allgemeine Rechtsgeltungswille hinzu, kann aber auch aus bloßem Handelsbrauch ein Handelsgewohnheitsrecht entstehen (Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auflage 2020, § 1 Rn. 16). Auch aus diesem Grund ist die Abgrenzung von Handelsgewohnheitsrecht zum Handelsbrauch nicht immer einfach (K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Auflage 2014, § 1 III 3 Rn. 49).
Eines erscheint aber relevant: Handelsgewohnheitsrecht ist – wie auch sonst Gewohnheits- recht – als den Gesetzen gleichberechtigt anzusehen; es kann sogar geschriebenes Recht abändern. Das ist bei bloßen Handelsbräuchen nicht der Fall; sie sind nur Verkehrssitten des Handelsrechts.
Was versteht man unter sog. Incoterms?
Incoterms ist die Abkürzung für International Commercial Terms. Es handelt sich um interna- tionale Regeln für die Auslegung der handelsüblichen Vertragsformeln und um die bekanntes- ten und verbreitetsten Handelsklauseln für den internationalen Warenverkehr. Sie liefern eine international einheitliche Definition des Inhalts bestimmter abgekürzter Vertragsklauseln.
Die Incoterms werden seit 1936 von der Internationalen Handelskammer (International Cham- ber of Commerce, ICC) in Paris herausgegeben und wurden zuletzt im Jahre 2020 überarbeitet.
Incoterms werden täglich hunderttausendfach in neuen vertraglichen Vereinbarungen zwischen Käufern und Verkäufern vereinbart. Durch Bezug auf eine der 11 Incoterm-Klauseln können die Vertragsparteien sehr einfach die Bedingungen und Regeln für die technische Durchführung eines Warentransports regeln. Dabei betreffen die Incoterms vorwiegend den Transport und die Gefahrtragung. Ohne dass es dafür näherer Bestimmungen im Vertrag bedürfte, wird durch die Verwendung eines Incoterm eine eindeutige Regelung des Übergangs der Kosten und Trans- portgefahren vom Verkäufer auf den Käufer getroffen.
Frage 20:
Was ist im Zusammenhang mit Incoterms beispielsweise mit EXW, was ist mit FOB gemeint?
Antwort zu Frage 20:
EXW (ex works), also ab Werk, besagt, dass die Lieferung auf dem Gelände des Verkäufers oder einem benannten Ort (z.B. Werk, Fabrik, Lager) erfolgt. Der Verkäufer muss also die Ware nicht auf ein abholendes Transportmittel verladen; er muss sie auch nicht zur Ausfuhr freimachen, falls dies erforderlich sein sollte.
FOB (free on board) meint, dass der Verkäufer die Ware an Bord des vom Käufer bezeichneten Schiffes im benannten Verschiffungshafen zu liefern hat. Wird FOB als Vertragsklausel ver- einbart, trägt der Verkäufer – grob gesprochen – alle Gefahren und Kosten bis zur Verladung auf dem Schiff und ist auch für die Ausfuhrformalitäten verantwortlich. Der Käufer trägt dage- gen die Transportkosten, die Gefahren des Transports und ist für die Importmodalitäten zustän- dig.
Welchen Einfluss haben Rechtsakte der EU auf das Handelsrecht in Deutschland?
Antwort zu Frage 21:
Europarechtliche Vorschriften haben im Rahmen der Rechtsangleichung durch EU-Recht einen großen Einfluss auf das deutsche Handelsrecht. Als bedeutsame Beispiele sind hier das Han- delsvertreterrecht (§§ 84 ff. HGB), das durch die Handelsvertreterrichtlinie aus dem Jahre 1986 überlagert wird, die Publizitätsrichtlinie aus dem Jahre 1968, die zur Einführung des § 15 Abs. 3 HGB führte, sowie die durch EG-Vorgaben geprägten Rechnungslegungsvorschriften zu nennen.
Frage 22:
Das internationale Handelsrecht besteht aus staatlichen und überstaatlichen Rechtsregeln bzw. Gebräuchen, die den Welthandelsverkehr betreffen (Jung, 12. Auflage 2019, § 48 Rn. 1). Dabei geht es auch um Rechtsregeln, die in mehreren Staaten einheitlich gelten, sog. international geregeltes Einheitsrecht (auch: international vereinheitlichtes Sachrecht). Können Sie in diesem Zusammenhang die Abkürzungen CISG und CMR erläutern?
CISG ist die Abkürzung für Convention on Contracts for the International Sale of Goods. Be- kannter ist der deutsche Begriff (Wiener) UN-Kaufrecht. Es handelt sich hierbei um einen völ- kerrechtlichen Vertrag, der in der Bundesrepublik Deutschland am 01.01.1991 in Kraft getreten ist (Jung, Handelsrecht, 12. Auflage 2019, § 49 Rn. 13; Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auf-lage 2020, § 22 Rn. 422). Das CISG schafft ein Sonderrecht für Kauf- und Werklieferungsver- träge über Waren, bei denen die Vertragsparteien ihre Niederlassungen erkennbar in verschie- denen Staaten haben. Der Konvention sind aktuell deutlich mehr als 90 Staaten beigetreten (siehe https://iicl.law.pace.edu/cisg/page/cisg-table-contracting-states, letzter Abruf am 06.11.2022).
CMR (Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route) ist die Abkürzung für das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Stra- ßengüterverkehr. Es handelt sich hierbei um einen völkerrechtlichen Vertrag über die grenz- überschreitende Güterbeförderung.
Frage 23:
Können Sie Beispiele für Bestrebungen zur Vereinheitlichung des internationalen Handels- rechts nennen, die von nichtstaatlichen Organisationen ausgehen?
Zu nennen sind hier die vom Institut für Rechtsvereinheitlichung in Rom (UNIDROIT http://www.unidroit.org, zuletzt abgerufen am 06.11.2022) herausgegebenen Grundregeln für internationale Handelsverträge, deren Geltung von den Parteien vereinbart werden kann, sowie die Lehre von der lex mercatoria.
Frage 24:
Was ist unter der Lehre von der lex mercatoria zu verstehen?
Der Begriff der lex mercatoria (lateinisch für „Recht der Kaufleute“) taucht immer wieder auf, ist aber in seiner Bedeutung unscharf. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Vorstellung eines – auf dem Konsens der Rechtsgemeinschaft beruhenden – Welt-Handelsrechts, das aus der in- ternationalen Handelspraxis erwächst. Die lex mercatoria fügt sich in die gewohnte Rechts- quellenlehre nicht ohne Weiteres ein (K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Auflage 2014, § 1 III 5 Rn. 67 f.) Der Inhalt der lex mercatoria, ihre Bedeutung für die internationale Vertragsgestal- tung und die Handelsschiedsgerichtsbarkeit sowie das Verhältnis zu den nationalen Rechtsord- nungen sind daher vielfach noch ungeklärt und umstritten.
B)Frage 1:
Damit Handelsrecht als „Sonderprivatrecht der Kaufleute“ anwendbar ist, muss grundsätzlich (– es gibt Ausnahmen, dazu später –) mindestens eine der beteiligten Parteien Kaufmann sein. Wer ist Kaufmann im Sinne des § 1 Abs. 1 HGB?
Nach § 1 Abs. 1 HGB ist Kaufmann, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Was ein Handelsge- werbe ist, bestimmt § 1 Abs. 2 HGB.
B)Frage 2:
Neben der Kaufmannseigenschaft aufgrund des Betriebs eines Handelsgewerbes nach der Grundvorschrift des § 1 Abs. 1 HGB („Ist-Kaufmann“) gibt es einige weitere Fälle, in denen jemand Kaufmann ist. Können Sie diese benennen?
Zu nennen sind hier zunächst die Kaufleute kraft Eintragung. Zu diesen zählen der Kaufmann nach § 2 HGB („Kann-Kaufmann“), die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, die die Kauf- mannseigenschaft unter den Voraussetzungen des § 3 HGB erlangen können, und der Fiktiv- kaufmann gem. § 5 HGB. Weiterhin sind noch die Formkaufleute nach § 6 HGB und die Grundsätze über den Scheinkaufmann zu nennen.
B)Frage 3:
Das Handelsrecht wird – wie schon besprochen – üblicherweise als „Sonderprivatrecht der Kaufleute“ bezeichnet. Nach § 6 Abs. 1 HGB finden die in Betreff der Kaufleute gegebenen Vorschriften auch auf die Handelsgesellschaften Anwendung. Inwiefern kann in diesem Zu- sammenhang der Kaufmannsbegriff bei juristischen Laien zu Fehlvorstellungen über den An- wendungsbereich des Handelsrechts führen?
Der juristische Laie wird bei Kaufleuten jedenfalls zunächst an Einzelkaufleute im Sinne des § 1 Abs. 1 HGB denken. Nach § 6 Abs. 1 HGB gelten die Vorschriften des Handelsrechts aber auch für die Handelsgesellschaften. Den kaum 200.000 eingetragenen Einzelkaufleuten stehen weit mehr als eine Mio. Handelsgesellschaften gegenüber (vgl. bereits Meyer, Handelsrecht – Grundkurs und Vertiefungskurs, 2. Auflage 2011, Rn. 82). Im Bereich der Handelsgesellschaf- ten findet sich somit ein maßgeblicher Anwendungsbereich des HGB. Wohl auch deshalb be- zeichnen Brox/Henssler das Handelsrecht als das „Sonderprivatrecht für Kaufleute und wirt- schaftlich tätige Unternehmen“ (Brox/Henssler, Handelsrecht, 23. Auflage 2020, § 1 Rn. 1).
B)Frage 4:
Gibt es einen einheitlichen Begriff des Gewerbes?
Der Begriff des Gewerbes kommt in verschiedenen Gesetzen vor, beispielsweise in der Gewer- beordnung (GewO): Hier wird der Gewerbebegriff aber auch nicht exakt definiert, sondern als historisch gewachsen vorausgesetzt und nur im Hinblick auf den Regelungsbereich des Gewer- beordnungsrechts eingegrenzt (vgl. § 6 GewO).
Auch in § 15 Abs. 2 S. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) und im Strafrecht, in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB („gewerbsmäßig stiehlt“) ist der Begriff „Gewerbe“ bzw. „gewerblich“ zu fin- den. Der Gewerbebegriff ist jedoch jeweils im Hinblick auf den jeweiligen Regelungsbereich des Gesetzes auszulegen; sog. „Relativität der Rechtsbegriffe“ (Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 2 Abs. 1 Rn. 1).
Eine für alle Rechtsgebiete verbindliche Legaldefinition des Gewerbebegriffes gibt es demnach nicht (vgl. BGH, Urteil v. 16.03.2000 – VII ZR 324/99 – juris Rn. 13).
B)Frage 5
Ist der Begriff des Gewerbes im HGB geregelt? Welche Rolle spielt die steuerrechtliche Be- griffsbestimmung für das Handelsrecht?
Der Begriff des Gewerbes ist im HGB nicht geregelt, sondern wird vorausgesetzt. Trotz inhalt- licher Parallelen werden durch die Verwendung des Gewerbebegriffes in anderen Rechtsgebie- ten lediglich unverbindliche Anhaltspunkte gegeben. Dies trifft insbesondere auch für die steu- errechtliche Begriffsbestimmung zu. So werden nach § 15 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) land- und forstwirtschaftliche Betriebe ausdrücklich vom Gewerbebegriff ausgenom- men. Dagegen soll sich aus § 3 HGB aber ergeben, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe prinzipiell als Gewerbe einzuordnen sind (umstritten, vgl. Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, §3I Rn.30, Fn.44 m.w.N.; K. Schmidt, Handelsrecht, 6.Auflage 2014, §10VI Rn. 75 ff, Rn. 78; MüKo-HGB/K. Schmidt, 5. Auflage 2021, § 3 Rn. 9 f.).
Der BGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Begriff des Gewerbebetriebes für jedes Gesetz selbständig und nach Inhalt und Zweck der jeweiligen Vorschrift zu bestimmen ist (vgl. BGH, Urteil v. 16.3.2000 – VII ZR 324/99 – juris Rn. 13 m.w.N.).
B) Frage 6
Wie ist der Begriff des Gewerbes für das Handelsrecht zu definieren?
Ein Gewerbe im Sinne des Handelsrechts ist
Ø jede nach außen erkennbare,
Ø planmäßig auf gewisse Dauer angelegte,
Ø selbständige,
Ø zum Zwecke der Gewinnerzielung ausgeübte Tätigkeit (teilweise im Schrifttum: ent-
geltliche Tätigkeit),
Ø die nicht freier Beruf ist.
Umstritten ist, ob der Gewerbebegriff voraussetzt, dass die Tätigkeit erlaubt ist; die h.M. hält die Erlaubtheit der Tätigkeit nicht für erforderlich, um von einem Gewerbe i.S.d. Handelsrechts auszugehen (vgl. auch § 7 HGB).
B) Frage 7
Wie wird das Merkmal der „Selbständigkeit“ im Rahmen des handelsrechtlichen Gewerbebe- griffes definiert, und welche Funktion kommt diesem Begriff zu?
Einen Anhaltspunkt, wann von Selbständigkeit ausgegangen werden kann, liefern § 611a Abs. 1 BGB und § 84 Abs. 1 S. 2 HGB: Selbständig ist, wer in persönlicher Unabhängigkeit seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit frei bestimmen kann. Diese Definition kann auch außerhalb des Rechts der Handelsvertreter herangezogen werden. Ent- scheidend ist dabei die rechtliche, nicht die wirtschaftliche Selbständigkeit. Durch das Merkmal der Selbständigkeit soll der Gewerbetreibende von Arbeitnehmern oder Beamten, die in recht- lich abhängiger Position tätig sind, abgegrenzt werden.
B) Frage 8
Wann wird eine Tätigkeit „zum Zweck der Gewinnerzielung“ ausgeübt, und welches andere Merkmal soll nach teilweise in der Literatur vertretener Ansicht das Kriterium der Gewinner- zielungsabsicht ersetzen?
Eine Tätigkeit erfolgt zum Zwecke der Gewinnerzielung, wenn die Absicht besteht, einen Über- schuss der Einnahmen über die Ausgaben zu erzielen. Dabei ist es unerheblich, ob tatsächlich ein Gewinn erzielt wird. Ein Gewinn wird nicht bezweckt, wenn die Tätigkeit nur auf Kosten- deckung angelegt ist oder karitative Zwecke verfolgt werden.
Nach in der Literatur teilweise vertretener Ansicht soll stattdessen darauf abgestellt werden, ob eine entgeltliche Tätigkeit vorliegt. Dies wird damit begründet, dass das Wirtschaftsleben zahl- reiche Betätigungsformen kennt, bei denen entgeltliche Leistungen am Markt erbracht werden, ohne dass vordergründig eine Gewinnerzielungsabsicht besteht. Soll das Handelsrecht wirksam der Vereinfachung und Sicherung des Handelsverkehrs dienen, so müsse es auch solche An- bieter erfassen, deren Engagement ideellen Zwecken und nicht der Gewinnerzielung dient. Dies gelte umso mehr, als es sich bei der Gewinnerzielungsabsicht um eine innere Tatsache handelt, die den Geschäftspartnern nicht erkennbar ist. Das Kriterium der entgeltlichen Tätigkeit am Markt sei daher vorzuziehen.
Der BGH hat bisher ausdrücklich offengelassen, ob er im hier maßgeblichen Bereich des Han- delsrechts am Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht festhalten will. In anderen Bereichen au- ßerhalb des Handelsrechts, z.B. im Bereich des Verbraucherkreditrechts und des Verbrauchs- güterkaufs, verzichtet der BGH jedoch auf dieses Kriterium (BGH, Urteil v. 29.3.2006 – VIII
B) Frage 9
Welche Berufe zählen zu den freien Berufen und welche Bedeutung kommt dabei den Aufzäh- lungen in § 1 Abs. 2 PartGG und § 18 Abs. 1 EStG zu?
Zu den freien Berufen zählen beispielsweise folgende Berufsgruppen:
- Ärzte (§ 1 Abs. 2 BÄrzteO),
- Zahnärzte (§ 1 Abs. 4 ZahnheilkundeG),
- Rechtsanwälte (§ 2 BRAO),
- Steuerberater (§ 57 SteuerBerG),
- Wirtschaftsprüfer (§ 1 Abs. 2 WPO) und
- Architekten.
Nach h.M. gelten die in den § 1 Abs. 2 PartGG und § 18 Abs. 1 EStG enthaltenen Aufzählungen freier Berufe zwar grundsätzlich nur für die jeweiligen Gesetze. § 1 Abs. 2 PartGG strebt an, möglichst vielen Berufen den Weg zur Partnerschaftsgesellschaft zu öffnen, weshalb die Auf- zählung des § 1 Abs. 2 PartGG für die Zwecke des Handelsrechts wohl zu weit ist (Canaris, Handelsrecht, 24. Auflage 2006, § 2 I Rn. 10). Daher werden z.B. die in § 1 Abs. 2 PartGG genannten Ingenieure in dieser Vorschrift zu den Freiberuflern gezählt, obwohl sie im Sinne des HGB auch als Gewerbetreibende angesehen werden. Trotzdem ist die Aufzählung in § 1 Abs. 2 PartGG hilfreich, weil sie eine „Indizwirkung“ für das Vorliegen eines freien Berufes entfaltet.
B) Frage 10
Warum werden die freien Berufe, auch künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit nicht als Gewerbe qualifiziert?
Bei den „freien Berufen“ steht nach der Rechtsprechung die persönliche Leistungserbringung im Vordergrund und die Gewinnerzielungsabsicht der jeweiligen Berufstätigen tritt demgegen- über zurück. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG haben die freien Berufe im allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt. Die Literatur betont, dass bei den freien Berufen die Leistungserbringung höchstpersönlicher Art ist, es mithin in erster Linie um individuelle Fähigkeiten geht, während demgegenüber der Einsatz von Produktionsmitteln und fremder Arbeitskraft zurücksteht.
B) Frage 11
Sind Konstellationen denkbar, in denen Angehörige eines freien Berufs zum Gewerbetreiben- den werden?
Bei den genannten Berufsgruppen soll die höchstpersönliche Leistungserbringung im Vorder- grund stehen (vgl. schon Frage 10); damit wird erklärt, dass diese Berufsgruppen kein Gewerbe betreiben. Tritt aber bei Freiberuflern die höchstpersönliche Leistungserbringung zurück, be- steht kein Grund mehr, auf die Einordnung der Tätigkeit als Gewerbe zu verzichten. Betreibt etwa ein Arzt z.B. ein Sanatorium, steht nicht mehr seine höchstpersönliche Leistungserbrin- gung, sondern der Einsatz von Produktionsmitteln und fremder Arbeitskraft im Vordergrund.Im Ergebnis ist somit bei derartigen Mischtätigkeiten eine Schwerpunktbetrachtung des Ein- zelfalls vorzunehmen.
B) Frage 12
Das HGB spricht von „Kauf“mann, „Kauf“frau, „Kauf“leuten (vgl. §§ 1 ff. HGB) und vom „Handels“geschäft (vgl. § 343 HGB). Lässt sich aus diesen Begriffen der Schluss ziehen, dass das HGB nur Kaufverträge anwendbar ist?
Nein, § 1 HGB stellt auf das Vorliegen eines Handelsgewerbes ab. Der Begriff des Gewerbes erfasst aber nicht nur Händler, die Waren kaufen oder verkaufen, sondern z.B. auch Handwer- ker, Produzenten etc. (vgl. zum Gewerbebegriff die Fragen 4 ff.).
B) Frage 13
Im Rahmen des § 1 Abs. 1, 2 HGB wird meist vom sog. „Ist-Kaufmann“ gesprochen. Können Sie diesen Begriff erläutern?
Beim „Ist-Kaufmann“ beruht die Kaufmannseigenschaft nicht wie beim „Kann-Kaufmann“ auf der freiwilligen Entscheidung für eine Eintragung ins Handelsregister. Vielmehr ist jeder, der ein Handelsgewerbe betreibt, schon nach § 1 Abs. 1 HGB Kaufmann. § 1 Abs. 2 HGB regelt, wann ein Gewerbebetrieb als Handelsgewerbe anzusehen ist. Dies ist nur dann zu verneinen, wenn das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Liegen die Voraussetzungen des § 1 HGB vor, ist der Betrei- ber dagegen kraft Gesetzes Kaufmann. Die vom Gesetz verlangte Handelsregistereintragung (vgl. § 29 HGB) wirkt nur noch deklaratorisch, d.h. sie stellt nur noch nach außen fest, wie die Rechtslage sowieso schon ist.
B) Frage 14
Unter welchen Voraussetzungen liegt ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäfts- betrieb vor?
Ein solcher Geschäftsbetrieb liegt vor, wenn die Einrichtungen vorhanden sind, die gerade ein Kaufmann für die ordnungsgemäße Geschäftsführung benötigt. Hierzu zählen insbesondere die im HGB beschriebenen spezifisch kaufmännischen Einrichtungen wie kaufmännische Buch- führung, Bilanzierung, kaufmännisches Personal (beispielsweise durch die Bestellung von Pro- kuristen) oder kaufmännische Firmenführung zur Identifikation des Geschäftsinhabers.
B) Frage 15
Der Gewerbetreibende G wird durch den plötzlichen Erfolg seines Gewerbebetriebs überrascht. Obwohl der Betrieb des G nach Art und Umfang mittlerweile einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert, verzichtet der überforderte G weiterhin auf Einrich- tungen, die für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung nötig wären. Ist G dennoch Kaufmann nach § 1 Abs. 1, 2 HGB?
Nach § 1 Abs. 2 HGB ist für das Vorliegen eines Handelsgewerbes entscheidend, ob der Ge- werbebetrieb nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichtete Geschäfts- betrieb erfordert, mit anderen Worten, ob ein solcher erforderlich ist. Damit kommt es nicht darauf an, ob der zu beurteilende Betrieb entsprechenden Einrichtungen tatsächlich auch auf- weist. Für G ist nach Art und Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebe- trieb erforderlich. Damit ist G Kaufmann nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 HGB.
B) Frage 16
Welche Kriterien können bei der Frage, ob gem. § 1 Abs. 2 HGB „nach Art oder Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb erforderlich“ ist, herangezogen wer- den, und wie unterscheiden sich dabei die Begriffe „Art“ und „Umfang“?
Bei dem Begriff „Art“ stehen eher qualitative, bei dem Begriff „Umfang“ eher quantitative Aspekte des Geschäftsbetriebes im Vordergrund.
Im Rahmen der Art des Betriebs kann auf die Vielfalt der Erzeugnisse und Leistungen, die Vielfalt der Geschäftsbeziehungen, die Inanspruchnahme von Krediten und Teilzahlungen, die Teilnahme am Scheck- und Wechselverkehr, die Art und Weise der betrieblichen Organisation und das Vorliegen eines weiträumigeren Tätigkeitsfeldes abgestellt werden.
Beim Umfang liefern der Umsatz, die Höhe des Anlage- und Kapitalvermögens, die Beschäf- tigtenzahl sowie die Lohnsumme, die Anzahl der Betriebsstätten und die Zahl der Geschäfts- abschlüsse wichtige Anhaltspunkte für das Erfordernis eines in kaufmännischer Weise einge- richteten Gewerbebetriebes.
Entscheidend sind nicht einzelne Aspekte, vielmehr ist eine eingehende Würdigung des Ge- samtbildes erforderlich.
B) Frage 17
Um festzustellen, ob nach Art oder Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Ge- schäftsbetrieb erforderlich ist und damit ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB betrieben wird, werden eine Vielzahl von Abgrenzungskriterien, darunter der Umsatz und die Vielfalt der Geschäftsbeziehungen, herangezogen (vgl. vorstehende Frage). Für Außenste- hende, die mit den Interna eines Gewerbebetriebes nicht vertraut sind, ist es daher oft schwierig zu erkennen, ob der Vertragspartner ein Handelsgewerbe betreibt. Wie begegnet der Gesetzge- ber der damit verbundenen Rechtsunsicherheit?
Der Gesetzgeber begegnet der Gefahr der Rechtsunsicherheit mit einer in § 1 Abs. 2 HGB ent- haltenen widerleglichen Vermutung. Danach ist zunächst bei jedem Gewerbebetrieb davon aus- zugehen, dass nach Art oder Umfang eine kaufmännische Einrichtung erforderlich ist und damit um ein Handelsgewerbe vorliegt. Das lässt sich der Formulierung „...es sei denn, dass ...nicht...“ in § 1 Abs. 2 HGB entnehmen. Die widerlegliche Vermutung führt dazu, dass ein Vertrags- partner, der geltend macht, der Betreffende sei kein Kaufmann, da er kein Handelsgewerbe betreibe, die Vermutung widerlegen muss; er muss also Tatsachen darlegen und beweisen, aus denen sich ergibt, dass nach Art oder Umfang kein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb erforderlich ist.
B) Frage 18
Greift die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB auch im Handelsregisterverfahren, wenn beispiels- weise um die Notwendigkeit der Eintragung nach § 29 HGB gestritten wird und sich das Re- gistergericht auf § 1 Abs. 2 HGB beruft?
Im Registerverfahren kommt das FamFG zur Anwendung (vgl. § 8 HGB, §§ 374 ff. FamFG). Damit gilt gemäß § 26 FamFG auch der Amtsermittlungsgrundsatz: Das Registergericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen (hier: Kaufmannseigenschaft) erforderli- chen Ermittlungen zu veranlassen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 2 HGB greift daher nur, wenn sich aus den angestellten Er- mittlungen kein Ergebnis herleiten lässt.
B) Frage 19
Was versteht man unter „Kleingewerbetreibenden“? Können – und wenn ja: wie – die Klein- gewerbetreibenden die Kaufmannseigenschaft erlangen?
Kleingewerbetreibende sind Gewerbetreibende, deren Unternehmen nach Art oder Umfang ei- nen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Aus § 1 Abs. 2 HGB ergibt sich, dass es sich bei Kleingewerbetreibenden nicht um Kaufleute handelt. Nach § 2 HGB haben Kleingewerbetreibende jedoch die Möglichkeit, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen. Wenn sie sich im Handelsregister eintragen lassen, gilt der Gewerbebetrieb des Kleingewerbetreibenden als Handelsgewerbe (vgl. § 2 S. 1 HGB). Der eingetragene Klein- gewerbetreibende ist dann „vollwertiger Kaufmann“ und unterliegt in jeder Hinsicht dem Han- delsrecht, das in seiner Gesamtheit auf den eingetragenen Kleingewerbetreibenden anwendbar ist. Die Handelsregistereintragung wirkt bei einem „Kann-Kaufmann“ – anders als für den „Ist- Kaufmann“ – konstitutiv: Erst aufgrund der Eintragung im Handelsregister wird der Gewerbe- treibende zum Kaufmann.
B) Frage 20
Der Rechtswissenschaftler Karsten Schmidt bezeichnet die im Handelsregister eingetragenen Kleingewerbetreibenden als „Kannkaufleute mit Rückfahrkarte“ (NJW 1998, 2163). Was meint er damit?
Ein Kleingewerbetreibender kann sich freiwillig für eine Eintragung im Handelsregister ent- scheiden; damit erwirbt er die Kaufmannseigenschaft (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 HGB). Er ist zur Eintragung berechtigt, aber nicht verpflichtet. Das ist anders als beim „Ist-Kaufmann“, der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 HGB kraft Gesetzes Kaufmann ist. Der Kleingewerbe- treibende kann demgegenüber wählen, ob er die Eintragung vornimmt und so zum Kaufmann wird oder nicht. Dies erklärt die Bezeichnung „Kann-Kaufmann“.
Hat sich der Kleingewerbetreibende für die Eintragung im Handelsregister entschieden, kann er jedoch auch jederzeit wieder die Löschung der Eintragung aus dem Handelsregister be- antragen, falls nicht inzwischen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB eingetreten sind (§ 2 S. 3 HGB). Er hat also die Möglichkeit, sich nachträglich doch wieder gegen die Kaufmanns-eigenschaft zu entscheiden und gewissermaßen eine „Rückfahrkarte“ zu lösen.
B) Frage 21
Was ist unter Landwirtschaft oder Forstwirtschaft im Sinne des § 3 HGB zu verstehen?
Charakteristisch für Land- oder Forstwirtschaft im Sinne des § 3 HGB ist die Gewinnung und Verwertung pflanzlicher oder tierischer Rohstoffe durch Boden(aus)nutzung.
Dies bedeutet, dass der reine Handel mit land- und forstwirtschaftlichen Produkten oder die bloße industrielle Aufzucht von Tieren ohne Bodennutzung keine land- oder forstwirtschaftli- che Tätigkeit darstellt. Gärtnereien oder Baumschulen betreiben nur dann einen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des HGB, wenn sie überwiegend selbstgezogene Pflan- zen verkaufen.
B) Frage 22
Bauer B betreibt im großen Stile ein landwirtschaftliches Unternehmen. Das Unternehmen des B erfordert nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebe- trieb; eine Handelsregistereintragung liegt nicht vor. Ist B Kaufmann?
Nach § 3 Abs. 1 HGB finden auf den Betrieb der Landwirtschaft die Vorschriften des § 1 HGB keine Anwendung. Obwohl für den Betrieb des B nach Art und Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist, ergibt sich damit die Kaufmannseigen- schaft des B nicht schon aus § 1 Abs. 1, 2 HGB. B ist kein Kaufmann.
B) Frage 23
Welche Möglichkeit hat B aus der vorherigen Frage, um die Kaufmannseigenschaft zu erlan- gen?
Da der landwirtschaftliche Betrieb des B laut Sachverhalt nach Art und Umfang einen in kauf- männischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, steht dem B die Möglichkeit of- fen, sich im Handelsregister eintragen zu lassen. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 HGB. Er kann also freiwillig die Kaufmannseigenschaft erlangen. Wie bei § 2 HGB wirkt hier die Eintragung konstitutiv, d.h. sie begründet die Kaufmannseigenschaft. Da B lediglich zur Eintragung berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, kann man B ebenfalls als „Kann-Kaufmann“ bezeichnen. In der Literatur werden Kaufleute im Sinne des § 3 Abs. 2 HGB teilweise auch als „uneigentliche Kann-Kaufleute“ bezeichnet.
B) Frage 24
Können Sie im Zusammenhang mit § 3 HGB den Begriff „Kann-Kaufmann ohne Rückfahr- karte“ erklären?
Diese Bezeichnung lässt sich mit dem Unterschied zu den „Kann-Kaufleuten mit Rückfahr- karte“ im Sinne des § 2 HGB erklären. Wie schon erklärt (siehe oben Frage 20) hat der Kann- Kaufmann nach § 2 HGB, der sich für eine Eintragung im Handelsregister entschieden hat, jederzeit die Möglichkeit, die Löschung der Eintragung aus dem Handelsregister zu beantragen, wenn nicht inzwischen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HGB eingetreten sind (§ 2 S. 3 HGB). Er kann sich ohne Weiteres wieder gegen die Kaufmannseigenschaft entscheiden und hat sozusagen eine „Rückfahrkarte“.
Das ist anders beim Land- oder Forstwirt gem. § 3 HGB: Wenn sein Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und er von der Eintragungsoption Gebrauch macht, kann er gem. § 3 Abs. 2 HGB – anders als der „Kann-Kaufmann“ nach § 2 HGB – die Löschung seiner Firma aus dem Handelsregister und damit den Verlust der Kaufmannseigenschaft nur nach den allgemeinen Vorschriften, welche für die Löschung kaufmännischer Betriebe gelten, herbeiführen. Die in § 2 S. 3 HGB einge- räumte Rückzugsoption für Kleingewerbetreibende, also die Möglichkeit, die Kaufmannsei- genschaft wieder abzugeben, steht also für land- oder forstwirtschaftliche Großbetriebe nicht zur Verfügung. Eine „Löschung nach den allgemeinen Vorschriften“ kommt für Letztere nur in Betracht, wenn die Eintragung von vornherein unzulässig erfolgt ist oder das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht mehr erfordert. Ist eine Löschung nach den allgemeinen Vorschriften aber nicht möglich, be- steht die einmal durch Eintragung erlangte Kaufmannseigenschaft weiter fort. Mit der Aus- übung seines Wahlrechts ist der Unternehmer an seine Entscheidung, Kaufmann zu werden, gebunden und bleibt unwiderruflich dem Handelsrecht unterstellt.
Im Gegensatz zum „Kann-Kaufmann mit Rückfahrkarte“ (§ 2 S. 3 HGB) ist es dem im Han- delsregister eingetragenen Betreiber eines größeren land- oder forstwirtschaftlichen Unterneh- mens i.S.v. § 3 Abs. 2 HGB daher nicht möglich, nach Belieben die Kaufmannseigenschaft wieder abzulegen; er hat deshalb sozusagen keine „Rückfahrkarte“.
Handelt es sich hingegen um land- oder forstwirtschaftliche Kleinbetriebe, die gar keine kauf- männischen Einrichtungen benötigen, ist § 3 Abs. 2 HGB schon nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Sofern man diesen eine Eintragungsoption gem. 2 HGB zubilligt (umstritten, siehe Frage 26), besteht nach der Eintragung durch § 2 S. 3 HGB dagegen die Möglichkeit, die Ein- tragung auf Antrag wieder löschen zu lassen.
B) Frage 25
Eine Gärtnerei, in der lediglich selbstgezogene Nutzpflanzen verkauft werden, ist, wegen der erfolgten Bodennutzung als landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des § 3 HGB einzuordnen. Ändert sich hieran etwas, wenn der Betreiber der Gärtnerei zur Abrundung des Sortiments auch einige eingekaufte Pflanzen anbietet?
Der Handel allein mit eingekauften Pflanzen ist, anders als der Verkauf der selbstgezogenen Pflanzen, mangels Bodenbewirtschaftung nicht als Landwirtschaft im Sinne des § 3 HGB an- zusehen. Da die Gärtnerei im Fall also nur teilweise Landwirtschaft betreibt, handelt es sich um einen sogenannten Mischbetrieb. Bei Mischbetrieben kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an. Entscheidend ist, durch welche Tätigkeit das Unternehmen geprägt wird. Da im Beispiel nur wenige eingekaufte Pflanzen angeboten werden, wird das Unternehmen durch den Verkauf der selbstgezogenen Nutzpflanzen und damit durch eine landwirtschaftliche Tätigkeit geprägt. Die Gärtnerei ist damit als landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des § 3 HGB anzusehen. Das Anbieten einiger weniger hinzugekaufter Pflanzen ändert daran nichts.
B) Frage 26
Eine spannende Frage: Kann ein landwirtschaftliches Unternehmen, das keinen in kaufmänni- scher Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, die Kaufmannseigenschaft gem. §§ 1–3 HGB erlangen?
Gem. § 3 Abs. 1 HGB findet auf ein landwirtschaftliches Unternehmen § 1 HGB keine Anwen- dung; schon aus diesem Grunde kann sich aus § 1 Abs. 2 HGB keine Kaufmannseigenschaft des genannten landwirtschaftlichen Unternehmens ergeben.
Eine Kaufmannseigenschaft aufgrund einer Eintragung in das Handelsregister gem. § 3 Abs. 2 HGB kommt ebenfalls nicht in Betracht: § 3 Abs. 2 HGB gilt zwar für landwirtschaftliche Be- triebe, doch setzt die Eintragungsoption nach dieser Vorschrift voraus, dass das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfor- dert. Diese Voraussetzung fehlt ja gerade im vorliegenden Beispiel.
Also stellt sich die Frage, ob das in Rede stehende kleingewerbliche landwirtschaftliche Unter- nehmen die Kaufmannseigenschaft gem. § 2 HGB erlangen kann.
Auf den ersten Blick überrascht diese Möglichkeit, denn § 3 Abs. 2 HGB bestimmt ja gerade ausdrücklich, dass landwirtschaftliche Betriebe, die einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb er- fordern, das Recht zur Eintragung in das Handelsregister haben und die Möglichkeit, auf diese Weise die Kaufmannseigenschaft zu erlangen. Man könnte deshalb die Auffassung vertreten, § 3 HGB sei abschließend und nur die dort genannten land- und forstwirtschaftlichen Betriebe hätten die Möglichkeit, durch Eintragung in das Handelsregister die Kaufmannseigenschaft zu erlangen.
Jedoch sieht die wohl herrschende Ansicht das anders: Danach gelangt für land- und forstwirt- schaftliche Betriebe, die keinen kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern (und für die § 3 Abs. 2 HGB damit nicht eingreift), gleichwohl § 2 HGB zur Anwendung. Insoweit lässt sich argumentieren, § 3 Abs. 1 HGB schließt für land- und forstwirtschaftliche Betriebe lediglich die Anwendung des § 1 HGB aus; § 2 HGB bleibt damit anwendbar. Außerdem wird angeführt, auch land- und forstwirtschaftliche Betriebe übten ein Gewerbe aus (– früher wurde dies abgelehnt; vgl. Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 39. Auflage 2020, § 3 Rn. 3 m.w.N. –), sodass der Weg zu § 2 HGB eröffnet sei. Schließlich lässt sich die Anwendbarkeit des § 2 HGB damit begründen, dass § 3 HGB keinen abschließenden Charakter hat: § 3 Abs. 2 HGB solle lediglich land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erfordern, privilegieren, und stelle diesen (abweichend von § 1 Abs. 2 HGB) eine Eintra- gungsoption zur Verfügung. § 3 Abs. 2 HGB bezwecke aber nicht, land- und forstwirtschaftli- chen Kleinunternehmen (, die keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erfordern,) die Mög- lichkeit zu verschließen, sich in das Handelsregister eintragen zu lassen (so etwa Jung, Han- delsrecht, 12. Auflage 2019, § 5 Rn. 21; Körber in: Oetker, Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 3 Rn. 5, aber str.). Nach dieser herrschenden Ansicht hat damit ein land- oder forstwirt- schaftliches Kleinunternehmen (, das eben keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erfordert,) gem. § 2 HGB die Möglichkeit zur Anmeldung in das Handelsregister und kann auf diese Weise die Kaufmannseigenschaft erlangen.
C) Frage 1
Wo sind die Rahmenbedingungen zur Handelsfirma im HGB geregelt? Welche Regelungskom- plexe sind dabei zu unterscheiden?
Die Rahmenbedingungen zur Handelsfirma sind in den §§ 17–37a HGB geregelt. Hierbei kön- nen drei Regelungskomplexe unterschieden werden:
- Die §§ 17–24 HGB enthalten Regelungen zur Zulässigkeit der Firmenbildung und Fortführung.
- Regelungen über die Haftung des neuen Unternehmensinhabers, unter anderem bei Unternehmensübertragung, finden sich in den §§ 25–28 HGB.
- Die §§ 29–37a HGB haben das Firmenregisterrecht und Vorschriften über den Fir- menschutz zum Inhalt.
C) Frage 2
Was ist unter einer „Firma“ im Sinne des HGB zu verstehen?
Unter einer „Firma“ im Sinne des HGB ist der Name eines Kaufmanns zu verstehen, unter dem er im Handel seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt (§ 17 Abs. 1 HGB) und unter der er selbst klagen oder verklagt werden kann (§ 17 Abs. 2 HGB). Obwohl dies umgangs- sprachlich weit verbreitet ist, darf der Begriff „Firma“ rechtlich nicht mit dem Begriff „Unter- nehmen“ oder „Betrieb“ gleichgesetzt werden. Die „Firma“ im Sinne des HGB ist (lediglich) der Name des Unternehmensträgers.
C) Frage 3
Woran muss man denken, wenn ein Nichtkaufmann eine Firma führt?
Eine Firma ist der Name eines Kaufmannes (§ 17 Abs. 1 HGB). Nichtkaufleute dürfen daher keine Firma führen. Tun sie es dennoch, können sie als Scheinkaufmann zu behandeln sein (dazu mehr in Kapitel B).
C) Frage 4
Wozu dient die Firma?
Die Firma dient dazu, den Unternehmensträger im Handelsverkehr zu identifizieren und mit seinen geschäftlichen Leistungen von anderen zu unterscheiden. Die Firma schützt damit den Unternehmensträger und den Geschäftsverkehr vor Verwechslungen (Kennzeichnungs-funktion). Ferner kann der Unternehmensträger durch die gewählte Firma Informationen über das betriebene Unternehmen vermitteln und für das Unternehmen werben (Auskunfts- und Werbefunktion). Darüber hinaus verkörpert die Firma einen besonderen Wert, da sie Trägerin der einem Unternehmen wegen seiner Leistungen entgegengebrachten Wertschätzung ist (Wertträgerfunktion).
C) Frage 5
Von welchen anderen Unternehmensbezeichnungen ist die „Firma“ im Sinne des HGB insbe- sondere abzugrenzen?
Die „Firma“ im Sinne des HGB ist insbesondere von Geschäftsbezeichnungen, Firmenabkür- zungen und Markenbezeichnungen abzugrenzen.
C) Frage 6
Was ist eine bloße Geschäftsbezeichnung?
Bloße Geschäftsbezeichnungen beschreiben ein Unternehmen oder Geschäftslokal und geben diesem einen Namen. Dagegen weist die Firma auf den Unternehmensträger hin.
C) Frage 7
Kann ein Kaufmann eine Geschäftsbezeichnung verwenden, die sich inhaltlich mit der Firma seines Betriebs deckt?
Ja, das ist sogar in aller Regel der Fall. In diesen Fällen ist die Zulässigkeit des gewählten Namens nach Firmenrecht, also nach den §§ 17 ff. HGB, zu beurteilen.
C) Frage 8
Der Kleingewerbetreibende A betreibt ein Hotel. Dieses nennt er „Hotel zur Post“. Darf A als Kleingewerbetreibender eine diese Bezeichnung verwenden? Wann kann eine Verwendung von Geschäftsbezeichnungen durch Nichtkaufleute problematisch werden?
Durch die Bezeichnung „Hotel zur Post“ wird lediglich das Geschäft bzw. die Art des Unter- nehmens bezeichnet. Diese Bezeichnung gibt dagegen keinen Hinweis auf den Träger des Un- ternehmens. Es handelt sich damit um eine Geschäftsbezeichnung, die auch von Kleingewer- betreibenden geführt werden darf. Die Verwendung einer Geschäftsbezeichnung durch Nicht- kaufleute kann problematisch werden, wenn die Verwendung so erfolgt, dass die Geschäftsbe- zeichnung im Handelsverkehr als Firma aufgefasst werden kann. Da die Verwendung einer Firma durch Nichtkaufleute unzulässig ist, kann sie vom Registergericht nach § 37 Abs. 1 HGB verboten werden.
C) Frage 9
Welche Regelungsmaterie umfasst das Markengesetz?
Im Markengesetz ist geregelt, wie das Recht an einer Marke entsteht, und welche Rechte der Markeninhaber gegen einen Markenrechtsverletzer hat. Marken beziehen sich vor allem auf ein Produkt, also auf Waren und Erzeugnisse eines Gewerbetreibenden; sie dienen vor allem dazu, dieses Produkt von Produkten anderer Gewerbetreibender zu unterscheiden.
C) Frage 10
Welche Arten der Firma sind zu unterscheiden?
Es ist unabhängig von der Rechtsform (Einzelkaufmann oder Gesellschaft) zwischen
- Personenfirmen, die sich an den bürgerlichen Namen des Unternehmensinhabers an- lehnen (z.B. „Klaus Müller e.K.“),
- Sachfirmen, bei denen die Firma dem Gegenstand des Unternehmens entnommen ist (z.B. „Saarbrücker Möbelhaus OHG“), und
- Phantasiefirmen, bei denen Worte oder Zeichen verwendet werden, die sich weder als Personen- noch als Sachfirma eignen (z.B. „Meditec GmbH“), zu unterscheiden. Daneben sind
- Mischfirmen (z.B.: „Meditec Klaus Müller GmbH“) denkbar.
Nach § 18 Abs. 1 HGB ist notwendig, dass die gewählte Firma zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet (Namensfunktion) ist, d.h. die Firma als Name individualisierbar ist und Unterscheidungskraft besitzt.
C) Frage 11
Kaufmann B, der einen Schlüsseldienst betreibt, will im Telefonbuch möglichst weit vorne zu finden sein. Deshalb hat er sich überlegt, die Firma „AAAA Schlüsselnotdienst e. K.“ zu wäh- len. Kaufmann A würde gerne das Zeichen „@“ in seiner Firma führen, um seine Erreichbarkeit über das Internet zu dokumentieren. Ist dies jeweils firmenrechtlich zulässig?
Aus § 17 Abs. 1 HGB wird hergeleitet, dass der Name grundsätzlich aus Worten bestehen muss, wobei er aber auch mit anderen Zeichen als Buchstaben (z.B. Anführungszeichen, Punkt, Klam- mern, mathematische Zeichen) kombiniert werden darf, wenn diese wörtlich aussprechbar sind. Ob bloßen Buchstaben- oder Zahlenfolgen Kennzeichnungseignung im Sinne des § 18 Abs. 1 HGB zukommt, ist umstritten. Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestmaß an Sinngehalt oder Einprägsamkeit. Dies lässt sich bei der von B gewählten Firma „AAAA Schlüsselnotdienst“ trotz der gewählten Gattungsbezeichnung „Schlüsselnotdienst“ verneinen. Der Bezeichnung „AAAA“ kommt weder ein Sinngehalt zu noch besteht für den Rechtsverkehr ein Anlass, das Unternehmen des B mit dieser Bezeichnung in Verbindung zu bringen (vgl. etwa Heidinger, in: MüKo-HGB, 4. Auflage 2016, § 18 Rn. 20).
Aber auch das Firmenrecht entwickelt sich fort: Ob die Verwendung des Zeichens „@“, wie von A geplant, zulässig ist, war noch vor einigen Jahren umstritten. Die Vereinbarkeit mit dem Firmenrecht wurde von Teilen der Rechtsprechung ursprünglich verneint, da das Zeichen „@“ nicht eindeutig aussprechbar sei (vgl. etwa BayOblG NJW 2001, 2337). Seit einiger Zeit lassen die Registergerichte indes das @-Zeichen als Firmenbestandteil zu (vgl. LG Berlin NJW-RR 2004, 835; LG München I MittBayNot 2009, 315).Die Voranstellung eines der Firma vorangestellten „double slash“, also „//“, vor dem Wort „crash“ hält der BGH nicht für eine Kennzeichnung i.S.v. § 18 Abs. 1 HGB geeignet. Es lasse sich nicht feststellen, dass diese Sonderzeichen im allgemeinen Sprachgebrauch bereits als Wortersatz verwendet werden oder eine dem @-Zeichen vergleichbare Sprachbedeutung er- langt hätten. (BGH v. 25.01.2022, Az.: II ZB 15/21, NJW-RR 2022, 760).
C) Frage 12
Kann ein Einzelkaufmann eine Sachfirma wählen?
Bei einer Sachfirma enthält die Firma nicht den bzw. einen Namen des Unternehmensinhabers. Nach früher geltendem Recht durften nur Kapitalgesellschaften eine Sachfirma führen, doch bereits seit 1998 ist dies auch Einzelkaufleuten gestattet. Die Zulässigkeit der Sachfirma ergibt sich aus § 18 Abs. 1 HGB.
C) Frage 13
Welche Anforderungen ergeben sich aus § 18 Abs. 1, 2 HGB an die Sachfirma?
Es muss ein Bezug der Sachfirma zu der Geschäftstätigkeit gegeben sein.
D)
Frage 1:
Wer wird verpflichtet, wenn der Geschäftsinhaber (Unternehmensinhaber) unter seiner Firma ein Rechtsgeschäft abschließt?
Wenn der Geschäftsinhaber (Unternehmensinhaber) unter seiner Firma ein Rechtsgeschäft abschließt, wird nicht etwa „die Firma“ (– diese ist ja lediglich der Name des Kaufmanns, vgl. § 17 HGB und siehe bereits in Kapitel C), sondern der Geschäftsinhaber (der Unternehmens- träger) selbst berechtigt und verpflichtet. „Die Firma“ selbst ist im rechtlichen Sinne nicht rechtsfähig und kann nicht Träger von Rechten und Pflichten sein.
Frage 2
Das HGB enthält Regelungen, die sich mit der Frage beschäftigen, was bei einem Inhaber- wechsel mit Forderungen und Verpflichtungen des bisherigen Firmeninhabers geschieht. Welche Regelungen sind hier zu unterscheiden?
Es sind drei Fälle zu unterscheiden.
Ø § 25 HGB beschäftigt sich mit der Haftung des Übernehmers und der Stellung der Altschuldner beim Erwerb eines Handelsgeschäfts unter Lebenden.
Ø § 27 HGB hat die Haftung der Erben bei der Fortführung eines zum Nachlass gehö- renden Handelsgeschäfts zum Gegenstand.
Ø § 28 HGB regelt die Haftung bei Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns.
Frage 3
A betreibt unter der Firma „A-Schreibwaren e.K.“ einen Schreibwarengroßhandel. Er veräu- ßert sein Unternehmen an B. Welche Rechtsnatur hat dieser Vertrag?
Es handelt sich um einen Unternehmenskauf, der als Kaufvertrag nach § 453 Abs. 1, § 433 BGB geschlossen wird. Dem steht nicht entgegen, dass die § 453 Abs. 1, § 433 BGB in erster Linie auf den Kauf einzelner Sachen und Rechte zugeschnitten sind, es sich bei einem Unter- nehmen aber um eine Sach- und Rechtsgesamtheit aus Sachen, Forderungen, sonstigen Rech- ten und Gütern handelt. Denn nach der Verkehrsanschauung wird das Unternehmen als Ein- heit veräußert, sodass die Anwendung der § 453 Abs. 1, § 433 BGB dem tatsächlichen wirt- schaftlichen Tatbestand und den Vorstellungen des Rechtsverkehrs entspricht.
Frage 4
Das Unternehmen ist als Einheit mit einer Vielzahl von einzelnen Gegenständen anzusehen. Was kann hier grundsätzlich Gegenstand der Übertragung sein? Wie ist zu ermitteln, was im Einzelfall zum verkauften Unternehmen gehören soll?
Gegenstand der Übertragung können das
Ø Unternehmensvermögen (wie bewegliche und unbewegliche Sachen),
Ø Rechte (wie Immaterialgüterrechte, beispielsweise Marken und Patente)
Ø und weitere schutzwürdige Güter (z.B. Know-How, Kundenstamm, Lieferantenbezie-
hung etc.) sein.
Was hiervon im Einzelfall Gegenstand der Übertragung ist, bleibt letztlich eine Frage des Einzelfalls, insbesondere des Vertragsinhaltes und der Vertragsauslegung.
Frage 5
Zwischen welchen beiden Gestaltungsmöglichkeiten ist beim Unternehmenskauf zu unter- scheiden und wie wird der Unternehmenskauf jeweils abgewickelt?
Es ist zwischen dem Kauf des ganzen Unternehmens als Einheit („asset deal“) und dem Kauf von Beteiligungen am Unternehmensträger („share deal“) zu unterscheiden.
Der „asset deal“ wird durch Einzelübertragung aller Sachen, Rechte und sonstigen Vermö- genswerte vollzogen. Beim „share deal“ handelt es sich dagegen um einen Rechtskauf i.S.d. § 453 Abs. 1 BGB, bei dem Beteiligungen am Unternehmensträger erworben werden. Dem- zufolge bleiben beim „share deal“ die aktiven und passiven Vermögenswerte unverändert dem Unternehmensträger zugeordnet, weshalb eine Einzelübertragung der verschiedenen Vermögenswerte nicht erforderlich ist.
Frage 6
Kann beim „asset deal“ das „Eigentum am Unternehmen“ übertragen werden? Wie wirkt sich dies auf den Vollzug des Unternehmenskaufs aus?
Beim „asset deal“ kann nicht das „Eigentum am Unternehmen“ übertragen werden, da es kein „Eigentum am Unternehmen“, sondern lediglich an allen einzelnen zum Unternehmen gehö- renden Vermögensgegenständen gibt. Die Erfüllung des Unternehmenskaufs erfordert daher in der Regel zahlreiche dingliche Verfügungen (Abtretung von Forderungen nach § 398 BGB, Übereignung beweglicher Sachen nach §§ 929 ff. BGB, Übereignung unbeweglicher Sachen nach §§ 873, 925 BGB).
Frage 7
Bedarf der Unternehmenskaufvertrag der Einhaltung einer besonderen Form?
Der Unternehmenskaufvertrag bedarf grundsätzlich keiner Form. Im Einzelfall können aber besondere Formvorschriften eingreifen. Hier ist insbesondere § 311b BGB zu nennen, der anzuwenden ist, wenn ein Grundstück zum Unternehmen gehört (§ 311b Abs. 1 BGB). Ferner ist an § 311b Abs. 3 BGB zu denken, wenn das Unternehmen das ganze Vermögen des Inha- bers darstellt.
In diesem Kontext ist zudem auf die Anwendbarkeit des § 1365 BGB hinzuweisen, sofern der Unternehmensinhaber im gesetzlichen Güterstand verheiratet ist. Ebenso bedürfen Eltern, die das Unternehmen ihres Kindes veräußern oder ein Unternehmen für ihr Kind erwerben, der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (vgl. §1643 Abs.1, §1822 Nr.3 BGB). Im Rahmen einer Schenkung ist § 518 BGB zu beachten.
Frage 8
Nennen Sie die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 HGB.
§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB setzt zunächst den Erwerb eines Handelsgeschäftes i.S.d. § 1 Abs. 1 HGB unter Lebenden voraus. Nicht ausreichend ist die Veräußerung eines nichtkaufmänni- schen Unternehmens: Der Veräußerer muss Kaufmann sein. Ferner ist die tatsächliche Fort- führung der Geschäfte unter Beibehaltung der bisherigen Firma erforderlich. Zudem darf kein Haftungsausschluss nach § 25 Abs. 2 HGB vorliegen.
Frage 9
Kommt es für einen „Erwerb“ i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB auf die Wirksamkeit des schuld- rechtlichen Vertrages oder des dinglichen Eigentumserwerbs an?
Nein, entscheidend ist der tatsächliche Erwerb, also der tatsächliche Übergang der Vermö- genswerte, die den Kern des Unternehmens bilden. Auf die Wirksamkeit der bei dem Erwerb abgegebenen Willenserklärungen kommt es hingegen nicht an. Auch die Einwilligung des bisherigen Unternehmensinhabers zur Firmenfortführung ist nicht erforderlich.
Frage 10
Welche Anforderungen sind an die Voraussetzung „Fortführung unter der bisherigen Firma“ zu stellen
Es reicht aus, wenn die Firma im Wesentlichen fortgeführt wird. Hierfür ist die Übernahme der prägenden Teile des Firmennamens ausreichend. Es ist insbesondere keine wort- und buchstabengetreue Fortführung notwendig. Daher kommt eine Firmenfortführung insbesonde- re auch bei einer Änderung des Rechtsformzusatzes in Betracht.
Frage 11
Welche Rechtsfolgen löst § 25 Abs. 1 S. 1 HGB im Hinblick auf den Erwerber und den frühe- ren Inhaber aus?
Nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB haftet der Erwerber unbeschränkt mit seinem ganzen Vermögen. Die Haftung des neuen Inhabers erstreckt sich hierbei auf alle im Betrieb des Geschäfts be- gründeten „Verbindlichkeiten“. Der neue Firmeninhaber haftet neben dem alten Firmeninha- ber als Gesamtschuldner gem. § 421 BGB. Es liegt ein Fall des gesetzlichen Schuldbeitritts vor. Der frühere Unternehmensinhaber haftet aber gem. § 26 HGB zeitlich begrenzt.
Frage 12
Worin besteht der Regelungsgegenstand des § 25 Abs. 2 HGB?
Der alte und der neue Geschäftsinhaber können abweichend von § 25 Abs. 1 S. 1 HGB ver- einbaren, dass der Erwerber für die Altschulden nicht einzustehen hat. Ob der bisherige Inha- ber eine solche Vereinbarung (Haftungsausschluss) einem Dritten, also insbesondere einem Gläubiger, entgegenhalten kann, bestimmt sich nach § 25 Abs. 2 HGB. Hiernach ist eine Ein- tragung im Handelsregister und Bekanntmachung oder eine Mitteilung an den Dritten erfor- derlich.
Frage 13
Ist der Haftungsausschluss nach § 25 Abs. 2 HGB einem Dritten gegenüber wirksam, falls eine handelsregisterliche Bekanntmachung noch nicht erfolgt ist, der Dritte aber von der Haf- tungsvereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber auf andere Weise, z.B. zufällig, gehört hat?
Nach h.M. hat der Haftungsausschluss in diesem Fall nur interne Bedeutung und ist demnach gegenüber einem Dritten nicht wirksam. Zur Begründung wird dabei der klare Wortlaut der Norm und der Sinn und Zweck des abstrakten Verkehrsschutzes von § 25 Abs. 1 S. 1 HGB herangezogen. Zudem handelt es sich bei § 25 Abs. 2 HGB nicht um eine Gutglaubensvor- schrift (vgl. BGHZ 29, 1, 4 f.).
Frage 14
Ist der Haftungssauschluss gem. § 25 Abs. 2 HGB auch auf andere zwingende Haftungstatbe- stände wie etwa § 613a BGB anwendbar?
Eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 2 HGB auf andere zwingende Haftungstatbestände ist ab- zulehnen. Bei dem Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 2 HGB handelt es sich nämlich um eine Sonderregelung zu § 25 Abs. 1 S. 1 HGB, dessen Reichweite sich auf diese Norm be- schränkt.
Frage 15
Was regelt § 25 Abs. 1 S. 2 HGB und was ist der Zweck dieser Regelung?
Nach § 25 Abs. 1 S. 2 HGB gelten für den Fall der Firmenfortführung mit Einwilligung auch die im Betrieb begründeten (Alt-)Forderungen als übergegangen. Durch diese Regelung werden Schuldner geschützt, wenn sie ihre Verbindlichkeiten durch Leistung an den neuen Firmeninhaber begleichen. Hintergrund der Regelung ist die Tatsache, dass die Schuldner regelmäßig nicht wissen können, ob der bisherige Inhaber die Forderung tatsächlich an den Erwerber abgetreten hat, sodass sie ohne die Regelung des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB unter Um- ständen nicht schuldbefreiend an den Erwerber leisten könnten.
Als Korrektiv zum Schutz des bisherigen Inhabers stellt das Erfordernis seiner Einwilligung in die Firmenfortführung sicher, dass der Verkehrsschutz des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB nicht oh- ne sein Zutun bzw. seine Veranlassung eingreift (vgl. Vossler, in: Oetker, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 6. Auflage 2019, § 25 Rn. 47 ff.).
Frage 16
Was muss – zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB – vorliegen, damit § 25 Abs. 1 S. 2 HGB zur Anwendung kommt?
Weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB ist, dass der bisherige Inhaber in die Fortführung der Firma zweifelsfrei eingewilligt hat.
Frage 17
Bewirkt § 25 Abs. 1 S. 2 HGB den Übergang einer Forderung des bisherigen Unternehmens- inhabers auf den Erwerber des Unternehmens (den neuen Unternehmensinhaber), der die Fir- ma fortführt?
Die in dem Betrieb begründeten Forderungen gelten den Schuldnern gegenüber als auf den Erwerber übergegangen. Das bedeutet, dass der Schuldner mit befreiender Wirkung an den neuen Unternehmensinhaber leisten kann (§ 362 Abs. 1 BGB). Versteht man die Vorschrift als Schutznorm zugunsten des Dritten, bleibt der bisherige Unternehmensinhaber indes als tatsächlicher Gläubiger Inhaber der Forderung (vgl. etwa Jung, Handelsrecht, 12. Auflage 2019, § 19 Rn. 14).
D) Frage 18
Spielt § 25 Abs. 1 S. 2 HGB im Hinblick auf eine Forderung des bisherigen Unternehmensin- habers gegen einen Schuldner eine Rolle, die der Unternehmensinhaber im Rahmen der Un- ternehmensveräußererung an den Unternehmenserwerber gem. § 398 HGB abgetreten hat?
In diesem Falle spielt § 25 Abs. 1 S. 2 HGB keine Rolle. Mit der Abtretung einer Forderung durch den bisherigen Unternehmensinhaber an den Unternehmenserwerber wird der Unter- nehmenserwerber Inhaber der Forderung. Leistet der Schuldner nun an den Unternehmenser- werber (also an den tatsächlichen Forderungsinhaber), erfolgt die Leistung an den richtigen Gläubiger, so dass der Schuldner gem. § 362 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit wird.
Frage 19
Unter welchen zwei selbständigen Aspekten kann eine Haftung des Erben bei einem Unter- nehmenserwerb kraft Erbrechts und Unternehmensfortführung durch den Erben angenommen werden?
Es ist zwischen der erbrechtlich begründeten Haftung des Erben gem. § 1967 BGB und der handelsrechtlich begründeten Haftung des Erben gem. § 27 HGB zu unterscheiden. Stirbt der Inhaber eines kaufmännischen Unternehmens, so geht das Unternehmen kraft Univer- salsukzession gem. § 1922 BGB auf die Erben über, die grundsätzlich nach § 1967 BGB für die Verbindlichkeiten haften.
Frage 20
Welche Möglichkeiten haben die Erben, um ihre erbrechtlich begründete Haftung zu be- schränken?
Zunächst kann ein Erbe die Erbschaft ausschlagen (§§ 1942 ff. BGB). Sofern dies nicht ge- schieht, können die Erben die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten auf den Nachlass be- schränken, indem sie eine Nachlassverwaltung (§§ 1975 ff. BGB) oder ein Nachlassinsol- venzverfahren (§§ 1975, 1980 BGB i.V.m. §§ 315 ff. InsO) veranlassen bzw. die Dürftig- keitseinrede gem. § 1990 BGB erheben.
Frage 21
Was sind die Voraussetzungen für die handelsrechtlich begründete Haftung des Erben gem. § 27 HGB?
Es muss zunächst ein einzelkaufmännisches Handelsgeschäft in den Nachlass gefallen sein, das durch den/die Erben fortgeführt wird. Ferner müssen, da es sich bei § 27 HGB um eine Rechtsgrundverweisung auf § 25 Abs. 1 und Abs. 2 HGB handelt, die Voraussetzungen des § 25 HGB gegeben sein, insbesondere die Fortführung der Firma. Schließlich tritt die han- delsrechtliche Erbenhaftung nur ein, wenn der Betrieb nicht innerhalb der Bedenkfrist des § 27 Abs. 2 HGB eingestellt wird. Sinn dieser Bedenkfrist ist, dem Erben zunächst Gelegen- heit zur Prüfung der Lage des Geschäfts zu geben.
Eine „Einstellung“ des Betriebs setzt übrigens ein tatsächliches Zerschlagen des Unterneh- mens voraus; eine Weiterveräußerung des Betriebs samt seiner Firma stellt keine „Einstel- lung“ i.S.v. § 27 Abs. 2 HGB dar (umstritten).
Frage 22
Was sind die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 28 Abs. 1 HGB?
§ 28 Abs. 1 HGB setzt zunächst das Handelsgeschäft eines Einzelkaufmanns, die Entstehung einer Personenhandelsgesellschaft durch den Eintritt eines Gesellschafters sowie die Fortfüh- rung des bisherigen Unternehmens durch die neu entstandene Gesellschaft voraus. Ferner darf keine abweichende Vereinbarung gem. § 28 Abs. 2 HGB bestehen. Sind diese Voraussetzun- gen erfüllt, kommt es zur Haftung der neu entstandenen Personengesellschaft für alle Ver- bindlichkeiten des früheren Geschäftsinhabers, vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 HGB. Die im einzel- kaufmännischen Handelsgeschäft begründeten Forderungen gelten den Schuldnern gegenüber als auf die Personenhandelsgesellschaft übergegangen, vgl. § 28 Abs. 1 S. 2 HGB.
Frage 23
Worin besteht ein wichtiger Unterschied des § 28 HGB zu den §§ 25 und 27 HGB?
Bei § 28 HGB kommt es auf eine Firmenfortführung nicht an.
Frage 24
Kommt § 28 HGB auch zur Anwendung, wenn es durch den „Eintritt“ lediglich zur Errich- tung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) kommt?
Teilweise wird für diese Situation eine analoge Anwendung des § 28 HGB mit der Begrün- dung befürwortet, dass nach h.M. ja auch § 130 HGB analog angewandt wird, wenn ein Ge- sellschafter in eine schon bestehende GbR eintritt. Gegen eine Anwendung des § 28 HGB spricht jedoch die Regelung des § 28 Abs. 2 HGB, wonach eine abweichende Regelung in das Handelsregister eingetragen werden kann. Diese Möglichkeit steht den GbR-Gesellschaftern aber — anders als den OHG- bzw. KG-Gesellschaftern — nicht offen.
Frage 25
Der Gesetzeszweck der §§ 25 ff. HGB ist äußerst umstritten. Welche Theorien werden hierzu vertreten, und welche Einwände werden gegen die Theorien jeweils vorgebracht?
Nach der Erklärungs- und Rechtsscheinstheorie (die teilweise als jeweils eigenständige Theorie eingeordnet werden) stellt § 25 Abs. 1 HGB einen Fall der Vertrauenshaftung dar. Aus einer Erklärung des Erwerbers, die in der Firmenfortführung zu sehen sei, ergebe sich eine Rechtsscheinwirkung. – Gegen diese Theorie spricht, dass der Erwerber einen Nachfol- gezusatz in die Firma aufnehmen kann, und es damit an einer entsprechenden Erklärung fehlt, er aber trotzdem haften soll. Dies läuft dann auf eine bloße Willensfiktion hinaus.
Die Haftungsfondstheorie beruht auf dem Gedanken der Zusammengehörigkeit von Aktiva und Passiva. Denn das in Gestalt des Unternehmens übertragene Vermögen hafte auch für dessen Verbindlichkeiten, da ja das Vermögen auch der Erfüllung von Verbindlichkeiten die- ne. – Gegen diese Theorie spricht, dass sie nicht auf die Firmenfortführung, sondern allein auf die Fortführung des Unternehmens abstellt.
Die Theorie von der Haftungskontinuität geht davon aus, dass §§ 25 und 28 HGB einheit- lich zu betrachten seien und § 28 HGB ja nicht auf die Firmenfortführung abstellt. In den Fäl- len der §§ 25 und 28 HGB ergebe sich die Haftung daher aus der bloßen Tatsache der Fort- führung des Unternehmens. – Hiergegen spricht wiederum, dass der Erwerber die Haftung ausschließen kann, vgl. § 25 Abs. 2 HGB.
E)
Frage 1
Ein Geschäftsinhaber kann nicht alle Rechtsgeschäfte persönlich vornehmen. Er ist auf Mitar- beiter angewiesen, die ihn vertreten. Aus diesem Grund gibt es im Handelsrecht verschiedene Regelungen zu kaufmännischen Vollmachten. Welche verschiedenen Arten der handelsrecht- lichen Vertretung sind zu unterscheiden?
Es ist zwischen
Ø der Prokura (§§ 48 ff. HGB),
Ø der Handlungsvollmacht (§§ 54 ff. HGB) und
Ø der Ladenvollmacht (§ 56 HGB) zu unterscheiden.
Bei der Ladenvollmacht (§ 56 HGB) ist allerdings umstritten, ob es sich tatsächlich um eine Vollmacht handelt. Es wird teilweise vertreten, dass es sich bei der Regelung in § 56 HGB nur um eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer Vollmacht handelt.
In welchem Verhältnis stehen die Vorschriften im HGB zu Vollmachten und den Vertretungs- regeln des Bürgerlichen Rechts? Welche Konsequenz hat dieses Verhältnis für die Fallprüfun
Die handelsrechtlichen Regelungen modifizieren lediglich die bürgerlich-rechtlichen Vertre- tungsregeln. Dies bedeutet für eine Fallbearbeitung, dass der „Einstieg“ immer über die bür- gerlich-rechtlichen Vorschriften zu erfolgen hat, insbesondere über die Frage, ob eine Willens- erklärung für und gegen den Kaufmann wirkt (§ 164 Abs. 1 BGB). Bei den einzelnen Tatbe- standsvoraussetzungen sind dann erst gegebenenfalls die handelsrechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen.
Welche Voraussetzungen erfordert eine wirksame Stellvertretung nach den §§ 164 ff. BGB?
Eine wirksame Stellvertretung nach den §§ 164 ff. BGB setzt voraus
Ø die Zulässigkeit der Stellvertretung,
Ø die Abgabe einer eigenen Willenserklärung des Vertreters (als Abgrenzungskrite-
rium zum bloßen Boten, der eine fremde Willenserklärung übermittelt) sowie
Ø ein Handeln in fremdem Namen (Offenkundigkeitsprinzip), wobei es ausreicht,
wenn sich das Handeln in fremdem Namen aus den Umständen ergibt, vgl. § 164
Abs. 1 S. 2 BGB, und der Vertreter muss gehandelt haben
Ø mit Vertretungsmacht.
Eine Stellvertretung ist bei höchstpersönlichen Geschäften unzulässig. Gibt es auch im kauf- männischen Bereich höchstpersönliche Rechtsgeschäfte, bei denen der Kaufmann nicht vertre- ten werden darf?
Ja, die gibt es: Hier sind als Beispiele insbesondere die
- die Prokuraerteilung (§ 48 Abs. 1 HGB),
- die Unterzeichnung des Jahresabschlusses (§ 245 HGB) sowie
- bei Kapitalgesellschaften das Stellen eines Insolvenzantrags gem. § 15a Abs. 1 S. 1
InsO zu nennen.
Welche Rechtsfolgen hat das Fehlen oder Überschreiten der Vertretungsmacht?
Bei Fehlen oder Überschreiten der Vertretungsmacht handelt der Betreffende als Vertreter ohne Vertretungsmacht; er wird auch als falsus procurator bezeichnet (lat. für: „falscher Vertreter“). Es greifen dann die §§ 177 ff. BGB.
Nach § 164 Abs. 1 S. 2 BGB muss der Vertreter nicht ausdrücklich in fremdem Namen han- deln, sondern es reicht aus, wenn sich das Handeln im fremden Namen aus den Umständen ergibt. Was versteht man in diesem Zusammenhang unter einem „unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft“?
Ein Dritter, der einen Vertrag abschließt, will im Zweifel, dass nicht irgendjemand, sondern der Inhaber des Geschäfts berechtigt und verpflichtet wird. Auf § 164 Abs. 1 S. 2 BGB wird daher die Auslegungsregel bei einem unternehmensbezogenen Geschäft gestützt, wonach ein Dritter im Zweifel mit dem Unternehmensträger in Vertragsbeziehungen treten will, selbst wenn er dessen genaue Identität nicht kennt. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der den Vertrag Unter- zeichnende selbst der Geschäftsinhaber ist oder als Vertreter handelt und dies auch kenntlich macht. Für die Anwendung der Regeln über unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte ist aber vorauszusetzen, dass sich die Unternehmensbezogenheit des Geschäftes aus den Umständen, insbesondere aus dem Ort des Vertragsschlusses, aus Zusätzen bei der Unterschrift oder aus der vertraglichen Bestimmung der Leistung für den Betrieb ergibt.
Wie ist die Prokura rechtsdogmatisch einzuordnen?
Die Prokura ist eine handelsrechtliche Sonderform der rechtsgeschäftlichen Vollmacht des § 167 BGB. Die Besonderheit: Der Umfang der Vertretungsmacht ist bei der Prokura gesetzlich festgelegt; er kann gegenüber Dritten nicht individuell begrenzt werden (vgl. §§ 49, 50 HGB). Grundsätzlich gelten die Vertretungsvorschriften der §§ 164 ff. BGB, die durch die §§ 48 ff. HGB modifiziert werden.
Welches sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Prokura?
Die Prokuraerteilung, eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, muss
- durch den Inhaber eines Handelsgeschäfts (Kaufmann) oder durch dessen gesetzlichen Vertreter
- im Wege einer persönlichen und ausdrücklichen Erklärung (vgl. § 48 Abs. 1 HGB) er- folgen.
Die Erteilung einer Prokura durch einen rechtsgeschäftlichen Vertreter oder eine „Unterpro- kura“ sind damit ausgeschlossen.
Kann eine Prokura konkludent erteilt werden?
Nach § 48 Abs. 1 HGB kann die Prokura nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt werden. Damit ist eine konkludente Prokuraerteilung ausgeschlossen. Ausdrücklich bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht unbedingt, dass auch der Begriff „Prokura“ explizit fallen muss; es genügt, wenn dies eindeutig aus der Äußerung erkennbar ist.
Ist die Eintragung der Prokura im Handelsregister (vgl. § 53 Abs. 1 HGB) Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prokura?
Nein, der Eintragung ins Handelsregister kommt hier nur deklaratorische Wirkung zu. Dies lässt sich aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 HGB herleiten, der für das Entstehen der Eintra- gungspflicht die „Erteilung der Prokura“ voraussetzt.
Gibt es eine sog. Duldungsprokura? Wie kann eine solche Duldung zu behandeln sein?
Da eine Prokura nach § 48 Abs. 1 HGB ausdrücklich zu erteilen ist, reicht es nicht aus, dass der Geschäftsinhaber das Auftreten eines Mitarbeiters als Prokurist stillschweigend hinnimmt oder duldet, um das Vorliegen einer Prokura bejahen zu können. Demzufolge ist eine Duldungspro- kura nicht anzuerkennen.
Eine solche Duldung durch den Geschäftsinhaber kann aber unter Umständen als Erteilung ei- ner Handlungsvollmacht anzusehen sein. Weiter kommt in diesen Fällen eine Haftung des Kaufmanns nach Rechtsscheingrundsätzen in Betracht. Es ist allerdings umstritten, ob es eine Prokura kraft Rechtsscheins geben kann (zustimmend Jung, Handelsrecht, 12. Aufl. 2019, § 25 Rn. 5; eher ablehnend, allerdings die Möglichkeit einer Rechtsscheinvollmacht mit dem Um- fang einer Prokura anerkennend Schubert, in: Oetker, HGB, 7. Aufl. 2021, § 48 Rn. 33).
Wer kann Inhaber einer Prokura sein?
Es ist nicht gesetzlich geregelt, wem eine Prokura erteilt werden kann. Nach h.M. kann jeder natürlichen Person, die zumindest beschränkt geschäftsfähig und nicht mit dem Inhaber iden- tisch ist, Prokura erteilt werden. Die Prokura kann nach § 52 Abs. 2 HGB selbst mit Zustim- mung des Geschäftsinhabers nicht übertragen werden. Der Prokuraerteilung liegt in der Regel ein besonderes persönliches Vertrauen zugrunde. Daher kann nach überwiegender Ansicht ei- ner juristischen Person mit wechselnden Vertretungsberechtigten keine Prokura erteilt werden (str.).
Welchen Umfang hat die Prokura?
Der Umfang der Prokura ergibt sich aus § 49 Abs. 1 HGB. Danach ermächtigt die Prokura „zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt“. Hierzu zählen beispielsweise
- alle alltäglichen Rechtshandlungen wie Erwerb von Büromaterialien etc., aber auch
- das Einstellen von Personal,
- die Aufnahme von Darlehen,
- die Begründung oder Auflösung von Dauerschuldverhältnissen,
- das Unterzeichnen von Wechseln,
- der Erwerb von Unternehmensbeteiligungen und
- das Führen von Zivilprozessen.
Entscheidend ist dabei nur, dass die Geschäfte beim Betrieb eines (zu verstehen als „irgendei- nes“, in Abgrenzung zu § 54 Abs. 1 HGB: „eines bestimmten“) Handelsgewerbes vorkommen können, sodass auch ungewöhnliche oder branchenfremde Geschäfte erfasst werden.
Was sind die Grenzen der Prokura?
Gemäß § 49 Abs. 2 HGB ermächtigt die Prokura nicht zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken. Auch werden die sog. Grundlagen- und Inhabergeschäfte nicht von der Prokura gedeckt.
Ohne Zweifel ist der Umfang der Vertretungsmacht eines Prokuristen außerordentlich weit. In dem über 100 Jahre alten Buch „Handelsrecht“ (Band I, 6. Aufl. 1879, § 56, 2) nennt Heinrich Thöl zum Umfang der Prokura folgendes Beispiel: „Ein Weinhändler, von einer Reise zurück- kehrend, kann sich als Bankier wiederfinden.“ Bitte denken Sie doch mal kurz darüber nach und beantworten: Ist dieses Beispiel zutreffend?
Der Prokurist ist nur ermächtigt zu Geschäften, die „der Betrieb (irgend)eines Handelsgewer- bes“ mit sich bringt. Davon ausgeschlossen sind Geschäfte, die gar nicht zum Geschäftsverkehr und damit nicht zum Betrieb (irgend)eines Handelsgewerbes gehören, sondern die die geschäft- lichen Grundlagen des Betriebs betreffen. Grundlagengeschäfte sind nicht von der Prokura umfasst. Beispiele hierfür sind die Aufnahme eines Gesellschafters, die Aufgabe des Handels- geschäftes, die Änderung der Firma, die Sitzverlegung oder die Bestimmung des Gegenstands des Unternehmens. Da es sich im genannten Beispiel um eine Veränderung des Unternehmens- gegenstandes und damit um ein Grundlagengeschäft handelt, ist der Prokurist hierzu nicht be- vollmächtigt. Die Aussage von Thöl ist demnach nach heutigem Recht unzutreffend.
Was versteht man unter Inhabergeschäften?
Inhabergeschäfte sind solche, die dem Kaufmann kraft Gesetzes selbst vorbehalten und von ihm höchstpersönlich vorzunehmen sind. Hierzu zählen insbesondere die Prokuraerteilung (vgl. § 48 Abs. 1 HGB) und die Unterschrift unter den Jahresabschluss (§ 245 HGB).
Ist ein Prokurist, der im Namen der Firma ein Grundstück erwerben will, ohne besondere Er- mächtigung des Prinzipals befugt, dem Verkäufer des Grundstücks zur Absicherung des Kauf- preises eine Restkaufpreishypothek an dem zu erwerbenden Grundstück zu bestellen, die zu- sammen mit der Eigentumsübertragung in das Grundbuch eingetragen wird?
Ein Prokurist ist gemäß § 49 Abs. 2 HGB grundsätzlich nicht zur Belastung von Grundstücken befugt. Sinn und Zweck der Vorschrift liegen darin, den vorhandenen Grundstücksbestand des Prinzipals unangetastet zu lassen und deshalb von der Prokura auszunehmen. Jedoch liegt in dem genannten Beispiel – bei wirtschaftlicher Betrachtung – nicht ausschließlich eine Belas- tung eines Grundstücks vor; vielmehr erwirbt der Geschäftsinhaber Eigentum an einem Grund- stück, mag dieses auch von Anfang an belastet sein. Deshalb ist die Vorschrift des § 49 Abs. 2 HGB teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass ein Prokurist auch ohne besondere Ermäch- tigung befugt ist, zur Sicherung des Kaufpreises an einem zu erwerbenden Grundstück eine Restkaufpreishypothek/-grundschuld an diesem Grundstück zu bestellen (vgl. Jung, Handels- recht, 12. Aufl. 2019, § 25 Rn. 11).
Frage 18
Welche Wirkungen entfalten von dem Prinzipal gegenüber dem Prokuristen ausgesprochene rechtsgeschäftliche Beschränkungen der Prokura gegenüber Dritten?
Nach § 50 Abs. 1 HGB ist eine Beschränkung des Umfangs der Prokura Dritten gegenüber, d.h. im Außenverhältnis, unwirksam.
Ist eine Beschränkung des Umfangs der Prokura im Innenverhältnis möglich?
Im Innenverhältnis zwischen Unternehmensinhaber und dem Prokuristen wirkende Beschrän- kungen sind möglich. Der Prinzipal kann also dem Prokuristen beispielsweise untersagen, Ge- schäfte über einen Betrag von 50.000 € eigenmächtig abzuschließen. Derartige Beschränkun- gen der Prokura, die auch im Handelsregister nicht eintragungsfähig sind, bleiben aber – wie gesagt – im Außenverhältnis zu Dritten gem. § 50 Abs. 1 HGB unwirksam.
Mit anderen Worten: Ein von einem Prokuristen abgeschlossenes Rechtsgeschäft ist grundsätz- lich im Außenverhältnis auch dann verbindlich und berechtigt bzw. verpflichtet den Unterneh- mensinhaber, wenn der Prokurist gegen eine ihm im Innenverhältnis auferlegte Beschränkung verstoßen hat. Das „rechtliche Können“ im Außenverhältnis ist also streng vom „rechtlichen Dürfen“ im Innenverhältnis zu unterscheiden.
E) Frage 20
Wenn sich nach dem Gesagten eine Beschränkung des Umfangs der Prokura im Außenverhält- nis nicht auswirkt: Wofür sind Beschränkungen des Umfangs der Prokura dann überhaupt be- deutsam?
Nach dem Gesagten wirken sich im Innenverhältnis zwischen dem Geschäftsherrn (Kaufmann) und dem Prokuristen bestehende interne Beschränkungen (z.B. die Weisung, bestimmte Rechtsgeschäfte nicht zu tätigen) im Außenverhältnis zwar nicht aus. Deshalb sind Rechtsge- schäfte, die gegen eine solche interne Beschränkung verstoßen, gleichwohl wegen § 50 Abs. 1 HGB im Außenverhältnis gegenüber Dritten wirksam.
Jedoch kann sich der Verstoß im Innenverhältnis zwischen Geschäftsherrn (Kaufmann) und Prokuristen auswirken: Denkbar sind Schadensersatzansprüche des Geschäftsherrn (Kauf- mann) gegen den Prokuristen (insbesondere aus § 280 Abs. 1 BGB), aber auch arbeitsrechtliche Konsequenzen oder der Widerruf der erteilten Prokura.
Welche Ausnahmen vom Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Prokura im Außenverhältnis kennen Sie?
Hier sind zu nennen die
- Gesamtprokura (§ 48 Abs. 2 HGB) und die
- Filialprokura (§ 50 Abs. 3 HGB) sowie die
- Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht.
Was ist eine Gesamtprokura nach § 48 Abs. 2 HGB?
Eine Gesamtprokura liegt nach § 48 Abs. 2 HGB vor, wenn die Erteilung der Prokura an meh- rere Personen gemeinschaftlich erfolgt. Die Gesamtprokuristen sind dann nur gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt. Hierbei bedarf es allerdings nicht eines gemeinsamen Handelns zur selben Zeit am selben Ort, sondern das Zusammenwirken kann auch sukzessive erfolgen.
Was ist eine Filialprokura nach § 50 Abs. 3 HGB?
Nach der Regelung des § 50 Abs. 3 HGB kann ein Kaufmann, der mehrere Niederlassungen unter verschiedenen Firmen betreibt, die Prokura auf einen dieser Betriebe beschränken. Dies hat zur Folge, dass der Prokurist dann nur diese Niederlassung wirksam vertreten kann.
Warum handelt es sich bei § 50 Abs. 3 HGB genau genommen gar nicht um eine Beschränkung der Prokura?
§ 50 Abs. 3 HGB spricht zwar von einer „Beschränkung der Prokura“. Allerdings ist hiermit keine inhaltliche Beschränkung auf Geschäfte mit Zugehörigkeit zur Branche der Niederlas- sung verbunden. Vielmehr bleibt es diesbezüglich bei dem von § 49 Abs. 1 HGB aufgestellten Grundsatz (siehe oben Frage 13). Die Besonderheit des § 50 Abs. 3 HGB besteht darin, dass die Vertretungswirkung gegenüber dem Geschäftsherrn nur eintritt, wenn der Prokurist unter der Firma der Niederlassung handelt. Wenn dies der Fall ist, wird der Geschäftsherr vollum- fänglich verpflichtet, nicht nur das „Filialvermögen“.
Was ist unter einem Missbrauch der Vertretungsmacht zu verstehen? Welche Rechtsfolgen können in einem solchen Fall eingreifen?
Ausgangspunkt der Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht ist die Unterscheidung zwischen dem Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter (= rechtliches Dürfen) und dem Außenverhältnis gegenüber einem Dritten (= rechtliches Können). Wie bereits gesagt, wir- ken sich bei der Prokura interne Beschränkungen des Geschäftsherrn (Kaufmanns) gegenüber dem Prokuristen gem. § 50 Abs. 1 HGB im Außenverhältnis gegenüber Dritten grundsätzlich nicht aus (siehe bereits oben Frage 19). Hält sich also beispielsweise ein Prokurist nicht an eine interne Beschränkung des Geschäftsherrn (Kaufmanns), so kann der Prokurist den Geschäfts- herrn gleichwohl im Außenverhältnis gegenüber einem Dritten wirksam vertreten.
Ausnahmsweise greifen jedoch die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht, die zur Folge haben können, dass sich doch eine Überschreitung des rechtlichen Dürfens auch auf das rechtliche Können auswirkt. Im Rahmen dieser Grundsätze wird grundsätzlich zwischen folgenden Fallkonstellationen unterschieden:
Ø Von einer sog. Kollusion spricht man im Falle eines bewussten Zusammenwirkens zwischen dem Vertreter und einem Dritten zum Nachteil des Vertretenen. Nach h.M. führt ein solches kollusives Zusammenwirken zwischen Vertreter und Drittem zum Nachteil des Vertretenen zur Nichtigkeit des Vertretergeschäfts gem. § 138 Abs. 1 BGB.
Ø Darüber hinaus können die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht zur Anwendung kommen, wenn zwar kein bewusstes Zusammenwirken zwischen Vertre- ter und dem Dritten zulasten des Vertretenen vorliegt, gleichwohl der Vertreter gegen interne Weisungen des Vertretenen handelt und der Dritte dieses pflichtwidrige Han- deln des Vertreters positiv kennt. Der Dritte ist in diesem Fall nicht schutzwürdig.
Ø Auch greifen die Grundsätze bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Dritten vom pflichtwidrigen Handeln des Vertreters ein (so jedenfalls die herrschende Ansicht). Einzelheiten sind hier jedoch streitig, z.B. die Frage, ob dem Prokuristen die Pflicht- widrigkeit seines Handelns bewusst sein muss (vgl. BGH NJW 1990, 384, 385; Cana- ris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 12 Rn. 37) oder ob allein auf die objektive Pflicht- widrigkeit des handelnden Vertreters abzustellen ist (vgl. Jung, Handelsrecht, 12. Aufl. 2019, § 25 Rn. 12; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 Rn. 73).
Auch werden die Rechtsfolgen im Rahmen dieser Fallgruppe unterschiedlich beurteilt: Die Rechtsprechung geht bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht von einem wirksamen Vertretergeschäft aus, gibt dem Vertretenen aber die Möglichkeit, dem An- spruch des Geschäftsgegners (des Dritten) die Einrede der unzulässigen Rechtsaus- übung nach § 242 BGB entgegenzuhalten; nach Auffassungen im Schrifttum sollen die §§ 177 ff. BGB entsprechend angewandt werden.
E) Frage 26
Auf welche Weise kann die Prokura erlöschen?
Die Prokura kann insbesondere erlöschen
- durch Widerruf (vgl. § 52 Abs. 1 HGB),
- durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 168 BGB),
- durch den Tod des Prokuristen (vgl. § 52 Abs. 3 HGB) sowie
- durch den Verlust der Kaufmannseigenschaft.
Das Erlöschen der Prokura ist gem. § 53 Abs. 2 HGB im Handelsregister eintragen zu lassen. Wie bei der Erteilung (siehe oben Frage 10) hat auch hier die Eintragung rein deklaratorische Bedeutung.
F)
Wie lässt sich das Handelsregister beschreiben; von wem wird es geführt?
Das Handelsregister ist ein öffentliches Verzeichnis, das der Offenlegung der wichtigsten Rechtsverhältnisse der kaufmännischen Unternehmen zur Sicherung des Handelsverkehrs dient. Allgemeine Regelungen zum Handelsregister finden sich in §§ 8 ff. HGB und in den §§ 374 ff. FamFG. Weitere speziellere Regelungen sind an vereinzelten Stellen des HGB zu finden, beispielsweise in § 106 HGB.
Das Handelsregister wird nach § 8 HGB i.V.m. § 23a Abs. 2 Nr. 3 GVG, § 374 FamFG bei den Amtsgerichten geführt, wobei grundsätzlich nicht jedes Amtsgericht, sondern nur noch überört- liche Amtsgerichte ein Handelsregister führen, vgl. § 376 Abs. 1 i.V.m. § 374 Nr. 1 FamFG. Im Saarland wird das zentrale Handelsregister durch das Amtsgericht Saarbrücken geführt.
Welche Funktionen kommen dem Handelsregister zu?
Das Handelsregister ermöglicht jedem Interessierten, sich ein Bild über im Handelsverkehr be- deutsame Tatsachen zu machen, z.B. über Vertretungs- und Haftungsverhältnisse (Publizitäts- funktion).
Das Registergericht ist grundsätzlich verpflichtet, die formellen und materiellen Voraussetzun- gen einer Eintragung ins Handelsregister zu prüfen (Kontrollfunktion).
Weiterhin eröffnet das Handelsregister dem Kaufmann eine Möglichkeit, allen Geschäftspart- nern bedeutsame Veränderungen, etwa den Widerruf einer Prokura, durch eine Eintragung mit- zuteilen (vgl. § 15 Abs. 2 HGB). Es bewahrt den Kaufmann somit davor, diese Änderungen jedem Geschäftspartner einzeln mitteilen zu müssen (Publikationsfunktion).
Eintragungen in das Handelsregister erleichtern die Beweisführung, da den Eintragungen der Beweis des ersten Anscheins für ihre Richtigkeit zukommt (Beweisfunktion).
Nach welchen Vorschriften richtet sich das Registerverfahren?
Die Registerführung ist eine Sondermaterie der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Daher kommt das FamFG, insbesondere die Regelungen der §§ 374 ff. FamFG zur Anwendung. Nähere Rege- lungen des Registerverfahrens finden sich in der Handelsregisterverordnung. Das Handelsre- gister wird nach § 8 Abs. 1 HGB elektronisch geführt.
Unter welchen Voraussetzungen ist eine Einsichtnahme ins Handelsregister möglich?
Die Einsichtnahme in das Handelsregister sowie in die zum Handelsregister eingereichten Do- kumente ist jedem zu Informationszwecken durch einzelne Abrufe gestattet; der Nachweis ei- nes besonderen Interesses ist hierfür nicht erforderlich (anders: § 12 Abs. 1 GBO für die Ein- sicht in das Grundbuch: Einsicht nur für den, der ein berechtigtes Interesse darlegt). Es besteht vor allem die Möglichkeit, das von den Ländern gemeinsam eingerichtete Internetportal (www.handelsregister.de) zu nutzen.
Welche Tatsachen müssen und welche Tatsachen können in das Handelsregister eingetragen werden?
Obwohl dem Handelsregister Publizitäts- und Publikationsfunktion zukommt (vgl. Frage 2), soll das Handelsregister aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die Dokumentation wesentlicher Tatsachen begrenzt bleiben. Das Handelsregister soll deshalb kein lückenloses Bild aller Tat- sachen liefern, die möglicherweise für den Handelsverkehr interessant sein könnten. Deshalb sind nur bestimmte Rechtstatsachen überhaupt eintragungsfähig.
Bei den Tatsachen, die in das Handelsregister eingetragen werden können, ist zwischen den eintragungspflichtigen und den eintragungsfähigen Tatsachen zu unterscheiden.
Zu den eintragungspflichtigen Tatsachen, die kraft Gesetzes eingetragen werden müssen, zäh- len z.B.
- die Firma des Kaufmanns (vgl. § 29 HGB),
- die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 32 HGB),
- die Erteilung und das Erlöschen einer Prokura (vgl. § 53 HGB) sowie
- die Handelsgesellschaften OHG (§ 106 HGB), KG (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 106 HGB),
AG (§ 36 AktG), GmbH (§ 7 GmbHG).
Von den eintragungspflichtigen Tatsachen sind die bloß eintragungsfähigen Tatsachen zu unterscheiden. Wie der Begriff bereits sagt: Eintragungsfähige Tatsachen können, müssen aber nicht in das Handelsregister eingetragen werden. Hierzu zählen beispielsweise
- der Ausschluss der Erwerberhaftung (vgl. § 25 Abs. 2 HGB) oder
- der Ausschluss der Haftung der Gesellschaft (vgl. § 28 Abs. 2 HGB).
Wie kann das Registergericht die Pflicht zur Anmeldung eintragungspflichtiger Tatsachen durchsetzen?
Nach § 14 S. 1 HGB kann das Registergericht denjenigen, der seiner Pflicht zur Anmeldung zum Handelsregister nicht nachkommt, durch Festsetzung von Zwangsgeld hierzu anhalten. Dabei darf das einzelne Zwangsgeld den Betrag von 5.000 Euro nicht übersteigen, § 14 S. 2 HGB
Erfolgen Eintragungen in das Handelsregister von Amts wegen?
Grundsätzlich setzt die Eintragung in das Handelsregister eine Anmeldung durch den Anmel- depflichtigen voraus, vgl. § 12 HGB. Nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen, beispiels- weise bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, erfolgt die Eintragung von Amts wegen (vgl. § 32 Abs. 1 S. 1 HGB).
Welche unterschiedlichen Wirkungen kann die Eintragung von Tatsachen in das Handelsregis- ter entfalten?
Eintragungen in das Handelsregister können entweder konstitutiv (rechtsbegründend) oder de- klaratorisch (rechtsbestätigend) wirken.
Von einer konstitutiven Wirkung der Eintragung spricht man, wenn die betreffende Tatsache erst durch die Eintragung wirksam wird und zur Entstehung gelangt. Als bestes Beispiel kann hier die Eintragung des „Kann-Kaufmanns“ gemäß § 2 HGB genannt werden, der erst durch die Eintragung die Kaufmannseigenschaft erlangt. Konstitutiv wirkende Eintragungen sind auch der Haftungsausschluss beim Unternehmenserwerb nach § 25 Abs. 2 HGB und das Ent- stehen einer GmbH nach § 11 Abs. 1 GmbHG.
Demgegenüber kommt einer nur deklaratorischen Eintragung nur eine rechtsbestätigende Wir- kung zu, d.h. die Eintragung ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Rechtshandlung – diese ist bereits rechtswirksam eingetreten und die Eintragung hat nur noch feststellende / rechtsbekundende Wirkung. Beispiel: Eintragung eines (Ist-)Kaufmanns nach § 1 Abs. 2 HGB.
Gem. § 53 Abs. 1 HGB ist die Erteilung einer Prokura von dem Inhaber des Handelsgeschäfts zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Hat die entsprechende Eintragung im Han- delsregister deklaratorische oder konstitutive Wirkung?
Die Eintragung einer Prokuraerteilung hat nur deklaratorische Wirkung. Die Prokura wird be- reits in dem Moment wirksam, in dem ein Kaufmann die Prokura z.B. einem Mitarbeiter aus- drücklich erteilt, vgl. § 48 Abs. 1 HGB. Entsprechendes gilt für den Widerruf einer Prokura: Mit der Erklärung des Widerrufs erlischt die Prokura. Zwar ist das Erlöschen der Prokura gem. § 53 Abs. 2 HGB eintragungspflichtig – doch die Eintragung des Widerrufs hat lediglich de- klaratorische Wirkung.
H)
Welche grundsätzliche Unterscheidung ist bei den kaufmännischen Hilfspersonen zu treffen?
Es ist zwischen unselbständigen und selbständigen Hilfspersonen zu unterscheiden.
Zu den unselbständigen Hilfspersonen gehören die kaufmännischen Angestellten. Wie werden diese in den §§ 59 ff. HGB bezeichnet und welche Art von Regeln beinhalten diese Vorschrif- ten?
Das HGB bezeichnet die kaufmännischen Angestellten als Handlungsgehilfen. Die §§ 59 ff. HGB enthalten spezielle arbeitsrechtliche Regelungen, die zu den §§ 611 ff. BGB und den ar- beitsrechtlichen Sondervorschriften ergänzend hinzutreten.
Können Sie einige Beispiele für selbständige kaufmännische Hilfspersonen nennen (Absatz- mittler)?
Hierzu zählen Handelsvertreter (vgl. §§ 84 ff. HGB), Handelsmakler (vgl. §§ 93 ff. HGB), Kommissionäre (vgl. §§ 383 ff. HGB) sowie die gesetzlich nicht geregelten Vertragshändler, Kommissionsagenten oder Franchisenehmer.
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Gibt es ein einheitliches Berufsbild des Handelsvertreters?
Es gibt kein einheitliches Berufsbild des Handelsvertreters. Sowohl nach der Branche als auch nach dem Umfang der getätigten Absatzgeschäfte ist die rechtstatsächliche Variationsbreite sehr groß und reicht vom kleinen arbeitnehmerähnlichen Bezirksvertreter bis hin zum Allein- importeur. Dem wurde seitens des Gesetzgebers in den §§ 87 Abs. 2, 92, 92a, 92b HGB Rech- nung getragen. Es lassen sich aber gleichwohl alle verschiedenen Typen der Begriffsbestim- mung des § 84 Abs. 1 S. 1 HGB unterordnen.
Unter welchen Voraussetzungen ist ein Absatzmittler als Handelsvertreter einzuordnen?
Gem. § 84 Abs. 1 S. 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbständiger Gewerbebetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.
Setzt der Begriff des „Gewerbetreibenden“ in diesem Zusammenhang voraus, dass der Han- delsvertreter selbst Kaufmann i.S.d. §§ 1 Abs. 2, 2 HGB ist?
Nein, nach § 84 Abs. 4 HGB sind die Vorschriften des siebenten Abschnitts, der die Regelun- gen zum Recht der Handelsvertreter enthält, auch dann anzuwenden, wenn deren Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert, die Kaufmannseigenschaft also nicht gegeben ist. Anders als § 407 Abs. 3 S. 2 HGB verweist § 84 Abs. 4 HGB zwar nicht zusätzlich auf die §§ 343 ff. HGB; diese Regelungen können aber ggf. analoge Anwendung finden.
Wann ist ein Gewerbetreibender selbständig?
Der Begriff der Selbständigkeit wird in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB näher definiert. Nach dieser De- finition ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Außerdem kann zur Abgrenzung § 611a BGB herangezogen werden.
Können Sie einige Kriterien für die Abgrenzung zur nicht selbständigen Tätigkeit nennen? Was ist bei der Heranziehung dies er Kriterien zu beachten?
Es kann hierbei auf die aus dem Arbeitsrecht bekannten Kriterien zurückgegriffen werden. In- dizien für eine selbständige Tätigkeit sind demnach: Eigene Geschäftsräume, das Tragen der Geschäftsunkosten, die Führung von eigenen Handelsbüchern, der Erhalt von Provision, die Übernahme des Unternehmensrisikos, eine nur eingeschränkte Weisungsgebundenheit, selbst ausgesuchtes Personal, Freiheit im Arbeitsumfang und Arbeitsgestaltung.
Indizien für eine unselbständige Tätigkeit sind: Die Vorgabe eines Tätigkeitsortes, die Bestim- mung der Arbeitszeit durch den Unternehmer, die Vorgabe eines Arbeitsplanes durch den Un- ternehmer und die Genehmigungspflicht für Nebentätigkeiten.
Hierbei ist stets zu beachten, dass nicht auf einzelne dieser Indizien abgestellt werden darf, sondern stets das Gesamtbild entscheidend ist.
Was ist unter dem Merkmal „tätig werden für einen oder mehrere Unternehmer“ zu verstehen? Muss dieser Unternehmer Kaufmann sein?
Dies bedeutet, dass der Handelsvertreter für den Unternehmer in dessen Namen und auf dessen Rechnung tätig wird. Hierbei kann der Handelsvertreter nur für einen Unternehmer (sog. Ein- firmenvertreter, vgl. § 92a HGB) oder für mehrere Unternehmer (sog. Mehrfirmenvertreter) tätig werden. Der Unternehmer muss kein Kaufmann sein, da der Gesetzgeber seit einer No- velle von 1953 bewusst den Begriff „anderer Unternehmer“ gebraucht.
Die Voraussetzung, dass der Handelsvertreter „im Namen eines anderen Unternehmers“ auf- treten muss, dient der Abgrenzung von anderen selbständigen kaufmännischen Hilfspersonen. Welche sind dies?
Tritt der Absatzmittler nicht im Namen eines anderen Unternehmers, sondern in eigenem Na- men auf, so ist er Kommissionär, Kommissionsagent, Vertragshändler, Franchisenehmer oder Eigenhändler.
Wann ist der Absatzmittler „ständig mit der Vermittlung oder mit dem Abschluss von Geschäf- ten betraut“? Von welcher anderen selbständigen kaufmännischen Hilfsperson unterscheidet sich der Handelsvertreter durch diese ständige Betrauung?
Eine solche ständige Betrauung ist anzunehmen, wenn die Tätigkeit auf eine unbestimmte Viel- zahl von Vertragsschlüssen gerichtet und damit auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Durch diese ständige Betrauung unterscheidet sich der Handelsvertreter vor allem vom Handelsmakler (vgl. § 93 HGB).
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Welche Folgen ergeben sich für die Rechtsnatur des Handelsvertretervertrags daraus, dass die- ser auf eine unbestimmte Vielzahl von Vertragsabschlüssen gerichtet und damit auf eine ge- wisse Dauer angelegt ist?
Daraus folgt u.a., dass der Handelsvertretervertrag als Geschäftsbesorgungsverhältnis i.S.d. §§ 675, 611 ff. BGB einzuordnen ist und diese Vorschriften neben den §§ 84 ff. HGB ergän- zend auf den Handelsvertretervertrag Anwendung finden.
Zuletzt geändertvor 2 Jahren