Diabetes mellitus : Abstract ?
Mit Diabetes mellitus bezeichnet man eine Gruppe metabolischer Erkrankungen, deren gemeinsames Kennzeichen eine Erhöhung der Glucose im Blut (Hyperglykämie) ist.
Die beiden wichtigsten Vertreter der Gruppe sind Diabetes mellitus Typ 1 und 2.
Bei Ersterem kommt es durch eine autoimmune Reaktion zur Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse.
Der häufigere Diabetes mellitus Typ 2 hat sowohl eine starke genetische Komponente als auch eine wesentliche Assoziation mit Überernährung.
Eine gestörte Wirkung des Insulins an den Körperzellen (Insulinresistenz) und eine (zunächst kompensatorisch erhöhte und im Verlauf) verminderte Insulinsekretion der Betazellen führen hier zur Hyperglykämie.
Dieser Diabetes-Typ bleibt fatalerweise häufig über viele Jahre klinisch inapparent, führt aber bereits durch die pathologische Stoffwechsellage über Mikro- und Makroangiopathien zu schwerwiegenden Organschädigungen insb. von Herz, Kreislauf, Nieren, Augen und Nervensystem.
Therapeutisch müssen weitere Risikofaktoren (wie bspw. eine arterielle Hypertonie) behandelt und zudem der Versuch unternommen werden, den Glucosestoffwechsel möglichst zu normalisieren.
Theoretisch wären bei Typ-2-Diabetikern oftmals eine Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung ausreichend, um eine Manifestation und das Voranschreiten der Erkrankung zu verhindern.
Leider gelingt dies nur äußerst selten, sodass zur Blutzuckerkontrolle (neben diätetischen Anweisungen) zunächst orale Antidiabetika und bei Sekundärversagen Insulininjektionen erforderlich werden.
Beim Typ-1-Diabetes ist dagegen direkt der Ausgleich des absoluten Insulinmangels durch mahlzeitengesteuerte Insulingaben notwendig, die der kohlenhydratdefinierten Nahrungsaufnahme (keine Diät!) entsprechen.
Eine intensive Patientenschulung ist erforderlich, um lebensgefährliche Hypo- und Hyperglykämien zu vermeiden und dem Ziel einer normoglykämischen Stoffwechsellage nahezukommen.
Diabetes mellitus : Epidemiologie ?
Steigende Prävalenz in den letzten Jahren [Insbesondere für den Typ-2-Diabetes wird eine Zunahme der Prävalenz prognostiziert. Ursächlich sind Gewichtszunahme und Bewegungsmangel.]
Geografisch deutliche Unterschiede [Der Typ-1-Diabetes ist insb. in Skandinavien, der Typ-2-Diabetes v.a. auf einigen Pazifikinseln zu finden. Nordamerika nimmt weltweit jeweils eine Mittelfeldposition ein.]
Diabetes mellitus : Ätiologie ?
Diabetes mellitus Typ 1
Autoimmun, HLA-Assoziation [Genetische Faktoren spielen eine prädisponierende Rolle: Ca. 10% der Erkrankten haben eine positive Familienanamnese, mehr als 90% weisen eine charakteristische HLA-Assoziation auf (HLA-DR-3 und HLA-DR-4: 4- bis 6-fach erhöhtes Risiko gegenüber Nicht-Genträgern).]
Humangenetik: HLA-Typisierung zur Berechnung des Wiederholungsrisikos bei werdenden Eltern möglich
Assoziation zu anderen Autoimmunerkrankungen
Hashimoto-Thyreoiditis
Typ-A-Gastritis
Zöliakie
Morbus Addison
Diabetes mellitus Typ 2
Meist mit metabolischem Syndrom assoziiert
Starke erbliche Komponente [Ein Kind mit einem erkrankten Elternteil hat eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, im Verlauf seines Lebens einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Die Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen beträgt sogar >75% – dies auch unabhängig davon, ob die Zwillinge in unterschiedlichen Elternhäusern (sozialer Einfluss) aufwachsen. Die genetische Veranlagung ist folglich entscheidend dafür, ob eine Person ein hohes Risiko aufweist, an einem Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. Umweltfaktoren haben nur einen modulierenden Einfluss, sodass die Erkrankung bspw. je nach Ernährung früher oder später auftritt.]
Diabetes mellitus : Klassifikation ?
Diabetes mellitus Typ 1 (früher auch „juveniler Diabetes“ genannt)
Immunologisch (Typ 1A) [Durch den Nachweis von Autoantikörpern wird die immunologische Genese bewiesen.]
Sondertyp: LADA [Latent Autoimmune Diabetes in Adults: Latent insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit Manifestation im Erwachsenenalter. CAVE: Aufgrund der späten Manifestation kann es zur Fehldiagnose Diabetes mellitus Typ 2 kommen! Schätzungen zufolge liegt bei bis zu 5–15% aller Diabetiker, bei denen aufgrund des klinischen Bildes ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert worden ist, eigentlich ein LADA vor.]
Idiopathisch (Typ 1B) [Die Entstehung des Typs 1B ist unklar (kein Nachweis von Autoantikörpern). Interessanterweise zeigt sich bei diesem Typ ein stärkerer erblicher Faktor.]
Diabetes mellitus Typ 2 (früher auch „Altersdiabetes“ genannt)
Weitere spezifische Diabetestypen (Typ 3)
Gestationsdiabetes (Typ 4)
Diabetes mellitus : Pathophysiologie ?
Sekretion: Mehrschrittiger Prozess
Spaltung des Polypeptids Proinsulin → Entstehung von Insulin (physiologisch wirksam) und dem nicht stoffwechselaktiven C-Peptid (Connecting Peptide) → Sekretion ins Blut
Wirkung: Vielfältig, physiologische Ziele sind die Schaffung von Energiereserven, die Verminderung der Serumglucose-Konzentration und die Versorgung der Gewebe mit Glucose
Kohlenhydratstoffwechsel: Insulin ist das einzige blutzuckersenkende Hormon (antiglykämischer Effekt)
Lipidstoffwechsel: Insulin hält das Fett in den Depots (antilipolytischer bzw. antiketogener Effekt)
Proteinstoffwechsel: Stimulation der Proteinsynthese (Anabolie)
Elektrolythaushalt: Verschiebung von Kalium in den Intrazellulärraum
Meist autoimmun
Progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhans-Inseln des Pankreas → Absoluter Insulinmangel → Bei Zerstörung von 80% der Betazellen: Anstieg des Blutzuckers
Mehrere Faktoren spielen bei der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes eine Rolle:
Periphere Insulinresistenz mit starker genetischer Prädisposition, zusätzlich verstärkt durch Adipositas
Insulinabhängige Versorgung von Muskel- und Fettzellen mit Glucose vermindert
Zusätzlich Förderung der Hyperglykämie bedingt durch den Wegfall der insulinvermittelten hemmenden Wirkung auf Glykogenolyse und Gluconeogenese in der Leber
Pankreas
Abnorm verminderte Insulinsekretion (insb. postprandial)
Mikroangiopathie (bei allen Formen): Nach ca. 5–10 Jahren hyperglykämischer Stoffwechsellage
Folgeschäden: Nephropathie, Retinopathie und Neuropathie
Makroangiopathie (vermehrt bei Typ 2): Beim Myokardinfarkt bspw. besteht aufgrund des metabolischen Syndroms eine komplexe Pathogenese.
Diabetes mellitus : Symptome/Klinik ?
Rasche Manifestation des Krankheitsbildes bei meist jungen Patienten
Coma diabeticum als Erstmanifestation möglich
Häufiges Auftreten im Anschluss an eine Virusinfektion
Schleichende Entwicklung bei meist älteren Patienten
Häufig als Zufallsbefund bzw. bei einer Check-up-Untersuchung durch erhöhte Nüchternblutzucker bzw. erhöhtes HbA1c auffällig
Bei Erkrankungsbeginn sogar Hypoglykämien möglich!
Im Verlauf abnehmende Insulinsekretion ("Ausbrennen der endokrinen Pankreasfunktion") und zunehmende Hyperglykämie
Siehe auch DD: Diabetes mellitus Typ 1 vs Typ 2
Leistungsminderung, Müdigkeit
Polyurie → Quälender Durst (Polydipsie): Polyurie ist bedingt durch Glucosurie
Als osmotisch aktives Teilchen zieht Glucose Wasser mit sich und führt so zur vermehrten Harnausscheidung.
Wadenkrämpfe
Pruritus
Sehstörungen: Starke Blutzuckerschwankungen können durch osmotisch bedingtes Aufquellen der Linse zu einer transitorischen Refraktionsänderung (oft Myopie) führen
Bei absolutem Insulinmangel: Gewichtsabnahme
Diabetes mellitus : Diagnosesicherung Diabetes mellitus ?
Klinische Chemie: Pathologischer Nüchternblutzucker (nach 8 h Nahrungskarenz)
Bestimmung aus venösem Blutplasma
Diabetes mellitus
„Prädiabetes“
Gesund
Glucose in mg/dL (nüchtern)
≥126 (≥7,0 mmol/L)
100–125 (5,6–6,9 mmol/L) = Abnorme Nüchternglucose
<100 (<5,6 mmol/L)
HbA1c in %
≥6,5 (≥48 mmol/mol Hb)
5,7–6,4 (39–47 mmol/mol Hb)
<5,7 (<39 mmol/mol Hb)
2-h-Wert des oGTT* in mg/dL
≥200 (≥11,1 mmol/L)
140–199 (7,8–11,0 mmol/L) = Pathologische Glucosetoleranz
<140 (<7,8 mmol/L)
* oGTT = oraler Glucosetoleranztest : Wird nicht in der klinischen Routine, sondern nur bei unklarer Diagnose angewendet. Kann aber auch zum Ausschluss einer gestörten Glucosetoleranz durchgeführt werden. Die Bestimmung des HbA1c-Gehalts im Blut ist dafür ungeeignet, da dieser noch lange normal bleiben kann.
Urin
Albuminurie Grad A2 als Frühzeichen der diabetischen Nephropathie
Glucosurie
Die normale Nierenschwelle liegt bei 150–180 mg/dL Glucose im Blut, d.h. die Rückresorptionsmechanismen der Niere sind vollständig ausgelastet
Bei höheren Blutglucosewerten kommt es zur Glucosurie
Die Bestimmung der Glucose im Urin ist jedoch zur Diagnosesicherung nicht geeignet
Spezifische Autoantikörpertestung bei Diabetes mellitus Typ 1
Indikation: Nicht routinemäßig zu bestimmen, nur bei unklarer Diagnose bzw. zur Differenzierung zwischen Typ-2-Diabetes und Sonderformen des Typ-1-Diabetes (insb. LADA)
Antikörper
GAD65-AK (gegen Glutamatdecarboxylase, GAD65A)
IA-2-AK (gegen Tyrosinphosphatase 2)
Zytoplasmatische Inselzell-AK (gegen Ganglioside, ICA)
Insulin-Autoantikörper (IAA)
Zink-T8-AK: Autoantikörper gegen den Zinktransporter 8 (ZnT8)
C-Peptid-Bestimmung: C-Peptid↓ beim Typ-1-Diabetes, da ein absoluter Insulinmangel besteht (siehe auch: Pathophysiologie)
Regelmäßige Kontrolle nach eigenem Ermessen
Diabetesschulungen des Patienten sind unerlässlich!
Vorbeugung einer Depression: In den Leitlinien zu Diabetes mellitus wird explizit darauf hingewiesen, dass auf eine depressive Stimmung geachtet und bei Anzeichen dafür eine weitere Abklärung eingeleitet werden sollte
Kontrollen alle 3–6 Monate
Blut: Nüchternblutzucker und HbA1c-Messung als "Blutzuckergedächtnis der letzten acht Wochen"
Kontrollen 1× im Jahr
Parameter des metabolischen Syndroms kontrollieren
Kardiovaskuläre Vorsorgeuntersuchungen zur Vorbeugung arteriosklerotischer Komplikationen
Vorbeugung des diabetischen Fußsyndroms: Untersuchung der Füße (Inspektion, Fußpulse, Stimmgabeltest)
Tragen von weichem Schuhwerk zur Vermeidung von Verletzungen und medizinische Fußpflege empfehlen, ggf. verordnen
Vorbeugung der diabetischen Nephropathie
Kontrolle GFR, Nierenretentionsparameter (Kreatinin), Elektrolyte im Blut
Urintest auf Albuminurie Grad A2 und Urinstatus
Vorbeugung der diabetischen Retinopathie: Untersuchung des Augenhintergrundes
Alle Patienten mit Diabetes mellitus sollen bei Einleitung einer medikamentösen Therapie eine spezifische Schulung erhalten. (DGIM - Klug entscheiden in der Endokrinologie)
Diabetes mellitus : Therapie ?
Die Therapie des Diabetes mellitus ist komplex, vielschichtig und nicht zuletzt auch abhängig von der vorliegenden Diabetesform. Grundsätzlich ist beim Typ-1-Diabetiker immer eine Insulintherapie erforderlich. Für Typ-2-Diabetiker gibt es konservative Therapieansätze (Gewichtsreduktion, Antidiabetika), die beim Typ-1-Diabetiker allesamt unwirksam sind. Im Folgenden soll eine integrative Betrachtung der Teilaspekte erfolgen:
Allgemeine Empfehlungen: Insb. Ernährungsempfehlungen und Therapieziele bzgl. der Verhinderung von Komplikationen
Siehe: Diabetes mellitus - Therapieziele und Ernährung
Insulintherapie: Bei Typ-1-Diabetikern immer erforderlich, bei Typ-2-Diabetikern als Eskalationsstufe der Therapie
Siehe: Insulintherapie
Siehe: Probleme bei der Insulintherapie
Siehe: Insuline
Medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus Typ 2
Siehe: Stufenschema für Typ-2-Diabetiker
Siehe: Antidiabetika
Kontrolle und Prävention therapieassoziierter Komplikationen
Siehe: Hypoglykämie - Therapie
Behandlung akuter Blutzuckerentgleisungen
Siehe: Hyperglykämisches Koma - Therapie
Diabetes mellitus : (Therapie) Therapieziele und Ernährung ?
Allgemeine Empfehlungen
Lebensstil: Insb. werden körperliche Aktivität und Tabakentwöhnung empfohlen
Körperliche Bewegung führt zu Blutzuckerspiegel↓ und Insulinempfindlichkeit↑
Körpergewicht
Blutzucker
Blutdruck
Lipidstatus
Typ-1-Diabetiker: Im Vordergrund steht die optimale Abstimmung von Kohlenhydrataufnahme (durch die Nahrung) und Insulinzufuhr
Typ-2-Diabetiker: Eine Gewichtsnormalisierung (durch energiereduzierte Kost, körperliche Aktivität) kann die Manifestation des Diabetes mellitus Typ 2 verhindern oder zumindest verzögern
Empfehlungen
Häufige kleine Mahlzeiten
Zusammensetzung der Nahrung: ca. 55% Kohlenhydrate, ca. 25% Fette, ca. 15–20% Eiweiße
Erhöhung des Anteils langsam resorbierbarer Kohlenhydrate und Reduktion der Aufnahme einfacher Zucker wie Glucose und Saccharose
Keine Diabetiker- oder Diätprodukte mit Zuckeraustauschstoffen (Fructose, Xylit, Sorbit) empfehlen!
Ballaststoffreiche Ernährung
Alkoholkonsum sollte (wenn überhaupt) möglichst zusammen mit der Einnahme von Kohlenhydraten erfolgen, um Hypoglykämien zu verhindern
Es gibt keine „Diabetikerkost“ im eigentlichen Sinne - was für alle gesund ist, tut auch dem Diabetiker gut!
Bei der Behandlung des Diabetes mellitus beim älteren Patienten > 75 Jahre, soll die Zielgröße eines HbA1c an die funktionellen Fähigkeiten des Patienten angepasst werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Inneren Medizin)
Sowohl beim Ziel der Gewichtsreduktion als auch ggf. zur Einstellung einer Insulintherapie sind Grundkenntnisse über den Energiegehalt von Nahrungsmitteln unerlässlich.
Brennwert von Grundnährstoffen
VOLLBILDTABELLEN-QUIZ
Brennwert
kcal/g
kJ /g
Kohlenhydrate
≈ 4
≈ 17
Proteine
Fett
≈ 9
≈ 37
Ethanol
≈ 7,2
≈ 29
Kohlenhydrateinheit
Für akute Effekte beim Blutzuckerspiegel ist primär die Aufnahme von Kohlenhydraten verantwortlich. Diabetiker müssen bei der Nahrungsaufnahme daher den Kohlenhydratgehalt der Nahrungsmittel einschätzen können. Die Kohlenhydrataufnahme kann normiert dargestellt werden.
Kohlenhydrateinheit (KE): 1 KE umfasst 10 g Kohlenhydrate und steigert den Blutzucker um etwa 30–40 mg/dL
Broteinheit (BE): Der Begriff Broteinheit (BE) verliert zunehmend an Bedeutung. Laut deutscher Diätverordnung entsprach eine BE definitionsgemäß 12 g Kohlenhydraten
Diabetes mellitus : (Therapie) Stufenschema für Typ-2-Diabetiker ?
Therapiegrundsätze
Individuell festgelegte Therapieziele berücksichtigen
HbA1c-Wert zwischen 6,5% und 8,5% (48 und 69 mmol/mol Hb) anstreben
Individualisierte Anpassung des HbA1c-Zielwertes anhand folgender Faktoren: Lebenserwartung, Komorbiditäten, Polymedikation, Risiko für Hypoglykämien und weitere Nebenwirkungen, Belastung durch die Behandlung, soziale Unterstützung, kognitive Fähigkeiten, Diabetesdauer
Therapeutisches Vorgehen
Auswahl der Antidiabetika: Individuelle Entscheidung, basierend auf einer integrativen Beurteilung der Risikofaktoren
Für Vor- und Nachteile sowie prognostische Effekte der einzelnen Antidiabetika siehe: Antidiabetika
Anwendung der Stufen
Im Allgemeinen Beginn mit nicht-medikamentösen Maßnahmen (entspricht Stufe I)
Jede Stufe wird für 3–6 Monate angewandt
Ist eine ausreichende Senkung des HbA1c-Wertes allein durch die Basistherapie nicht zu erwarten, kann direkt mit Stufe II begonnen werden
Therapie-Eskalation, wenn der HbA1c anschließend ≥7,5% (≥58 mmol/mol Hb) bzw. oberhalb des individuell festgelegten Therapieziels liegt
Initiale Kombinationstherapie
Bei klinisch relevanter kardiovaskulärer Erkrankung: Kombination aus Metformin + SGLT2-Inhibitoren oder GLP-1-Analoga
Stufenschema für Typ-2-Diabetiker
Therapieempfehlung
Stufe I
Basistherapie: Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität, Ernährungstherapie, „Lifestyle“-Schulung
Stufe II
Monotherapie: 1. Wahl Metformin
Stufe III
Zweifachtherapie: Antidiabetische Kombinationstherapie oder Antidiabetikum in Kombination mit Insulin
1. Wahl Metformin +
Zweites orales Antidiabetikum
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Insulin
Stufe IV
Dreifachtherapie: Zwei Antidiabetika + Insulin oder drei Antidiabetika
Zweites orales Antidiabetikum oder GLP-1-Rezeptor-Agonisten +
Drittes Antidiabetikum oder Insulin
Stufe V
Intensivierte Insulintherapie, ggf. in Kombination mit Antidiabetika (insb. Metformin)
Diabetes mellitus : (Therapie) Insulintherapie?
Indikation
Typ-1-Diabetes: Immer!
Typ-2-Diabetes:
Bei Versagen der Basistherapie (Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung und körperliche Bewegung) und oralen Antidiabetika
Bei metabolischen Entgleisungen, bspw. bei Erstdiagnose
Bei Indikation zur passageren Insulintherapie
Tagesbedarf: Als Faustregel und Merkhilfe gilt, dass der durchschnittliche Tagesbedarf 40–50 Insulineinheiten (IE) beträgt
Basal/prandial: Verhältnis beträgt ca. 1:1, also 20 IE für den basalen Stoffwechsel und 20 IE für die Nahrungsaufnahme
Korrekturdosierungen bei Nahrungsaufnahme: Die prandialen Insulindosen richten sich nach der aufgenommenen Kohlenhydrat-Menge und sind bei jedem Diabetiker individuell im Therapieverlauf zu ermitteln und ggf. im Krankheitsverlauf an veränderte Begebenheiten anzupassen
Eine IE Insulin senkt den Blutzucker um etwa 30–40 mg/dL (1,7–2,2 mmol/L), sofern keine Insulinresistenz vorliegt
Eine Kohlenhydrateinheit (KE) entspricht etwa 10 g Kohlenhydraten und erhöht den Blutzucker (BZ) um 30–40 mg/dL (1,7–2,2 mmol/L)
Es wird also grob etwa 1 IE für 1 KE benötigt
Insulinbedarf nach Tageszeit: Es besteht eine Tageszeiten-abhängige Insulinempfindlichkeit
Insulinbedarf pro Kohlenhydrateinheit ändert sich im Tagesverlauf
Pro KE: Morgens 2 IE, mittags 1 IE, abends 1,5 IE
Deeskalation der Insulintherapie
Falls die Indikation für eine passagere Insulintherapie nicht mehr besteht
Bei Erreichen oder Unterschreiten der persönlichen Zielwerte
Bei Hypoglykämien
Bei Änderung der persönlichen Therapieziele (bspw. bei Multimorbidität)
Besonderheiten der Insulintherapie bei Diabetes Typ 1
Externer Insulinbedarf abhängig von verbleibender Restproduktion in der Bauchspeicheldrüse
Nach Beginn der intensivierten Insulintherapie: Häufig vorübergehende Reduktion des Insulinbedarfs
Die Bestimmung des Insulinbedarfs ist immer individuell; es gibt orientierende Größen, aber keinen Standard!
Basal-Insulin zur Nacht
Kurzbeschreibung: Erweiterung der oralen antidiabetischen Therapie um ein langwirksames Insulinpräparat (sog. Basal unterstützte orale Therapie (BOT)); bei Diabetes mellitus Typ 2 als Vorstufe oder Alternative zur konventionellen bzw. intensivierten Insulintherapie
Durchführung: Täglich einmalige Gabe eines Verzögerungsinsulins zur jeweils gleichen Tageszeit (z.B. Insulin Glargin abends) unter Fortführung einer oralen antidiabetischen Therapie
Indikation: Stufe III und IV , insb. bei morgendlich erhöhten Blutzuckerwerte (Nüchternblutzucker) bei Typ-2-Diabetikern unter bestehender oraler antidiabetischer Therapie
Konventionelle Insulintherapie
Kurzbeschreibung: Feste Insulindosierungen morgens und abends, entsprechend auch feste Vorgaben zur Nahrungsaufnahme
Durchführung: 2× täglich Insulinapplikation (Kombinationsinsulin aus Normalinsulin und NPH-Insulin) mit jeweiliger Blutzuckerselbstmessung
Vorteile
Einfache Durchführung
Nicht so zeitaufwendig
Patientenschulung nicht so schwierig
Nachteile
Nur bei festem Ernährungsplan erfolgversprechend
Ggf. Zwischenmahlzeiten erforderlich, um Hypoglykämien zu vermeiden
Intensivierte Insulintherapie
Kurzbeschreibung: Es wird versucht, einen nahezu physiologischen Glucosestoffwechsel mit Blutzuckerwerten um 100 mg/dL (5,6 mmol/L) zu erreichen. Postprandial sollten die Werte bei <140 mg/dL (<7,8 mmol/L) liegen
Methoden:
Intensivierte konventionelle Insulintherapie (Basis-Bolus-Prinzip, ICT)
Durchführung
Langwirksame Basalinsuline (z.B. Insulin Glargin, Insulin Detemir): Ein- oder zweimal täglich Gabe
Und mahlzeitbezogene Insuline (z.B. Normalinsulin, Insulin Lispro, Insulin Aspart, Insulin Glulisin): Zusätzlich zum Basalinsulin je nach gemessenem Blutzucker, Tageszeit und geplanter Größe der Mahlzeit (siehe auch: Kohlenhydrateinheit)
Zielgruppe
Insb. alle Typ-1-Diabetiker
Gut schulbare Typ-2-Diabetiker
Insulinpumpe (CSII )
Prinzip: Externe Pumpe mit kontinuierlicher Applikation von Normalinsulin (oder schnell wirksamem Analoginsulin)
Basal- und Bolusgaben individuell einstellbar
Indikationen
Schwangerschaft
Dawn-Phänomen
Typ-1-Diabetiker mit unzureichender Stoffwechselkontrolle unter der intensivierten konventionellen Insulintherapie (z.B. wiederholte Hypoglykämien, stark variierende Insulinempfindlichkeit)
Leichtere Einstellung des Blutzuckers möglich, kein fester Ernährungsplan („Der Patient isst, was und wann er will, und treibt Sport, wann und so viel er will“)
Bei guter Compliance optimale Einstellung möglich und Senkung des Risikos für Spätkomplikationen
Zeitaufwendig durch häufige Blutzuckerselbstkontrollen
Häufiger Hypoglykämien als bei konventioneller Insulintherapie
Gute Compliance des Patienten und intensive Schulung vonnöten
Diabetes mellitus : (Therapie) Probleme bei der Insulintherapie?
Häufig (insb. junge Typ-1-Diabetiker betroffen)
Definition: Frühmorgendliche Hyperglykämie durch erhöhten Insulinbedarf in der zweiten Nachthälfte, der durch eine vermehrte Sekretion von Wachstumshormonen verursacht wird
Therapie
Vor Therapiebeginn nächtliche Blutzuckerkontrollen
Abenddosis des Verzögerungsinsulins später geben (gegen 23 Uhr) oder vorsichtig erhöhen
Bei Kindern evtl. Insulinpumpe
Somogyi-Effekt
Selten
Definition: Zu hohe abendliche Insulindosis führt zu nächtlicher Hypoglykämie, die durch hormonelle Gegenregulation eine postprandiale Hyperglykämie am Morgen verursacht
Therapie: Senkung des abendlichen Verzögerungsinsulins
Bei moderater körperlicher Anstrengung (insb. mit Muskelaufbau)
Insulinbedarf eher abnehmend, da die Skelettmuskulatur vermehrt Glucose aufnimmt (Insulineffektivität steigt)
Typ-2-Diabetiker, die ihr Bewegungsverhalten ändern und mehr Sport treiben, können bei Beibehaltung hoher Insulindosierungen eine Neigung zur Hypoglykämie entwickeln
Bei extremer körperlicher Anstrengung
Zunehmender Insulinbedarf, da Glucocorticoide und Adrenalin ausgeschüttet werden
Bei Insulinmangel kann daraus eine hyperglykämische Stoffwechselentgleisung resultieren
Diabetiker können und sollen Sport treiben. Im Bereich des Leistungssports ist allerdings ein sehr vorsichtiges und individuelles Vorgehen gefragt!
Viele Erkrankungen führen durch eine Stressreaktion zu einem Anstieg des Blutzuckers, sodass sich oftmals ein Mehrbedarf an Insulin bzw. eine Hyperglykämie zeigt
Erkrankungen mit Erbrechen und/oder Durchfall führen zu einer verringerten Glucoseaufnahme und gehen daher mit dem Risiko einer Hypoglykämie einher
Siehe auch: Medikamentöse Einflüsse auf den Insulinbedarf
Insulin-Purging
Bewusste Nicht-Applikation von Insulin nach Nahrungsaufnahme, um Gewichtszunahme entgegenzuwirken
Absichtliche Herstellung eines Insulinmangelzustands → Insulinabhängige Glucoseaufnahme in die Zellen↓ und anaboler Insulineffekt↓
Junge Diabetes-Typ-1-Patienten mit Essstörungen nutzen Insulin-Purging als Alternative zum Nahrungsverzicht, Erbrechen etc.
Folge: Schlecht eingestellter Diabetes mit massiver Gefahr eines hyperglykämischen Komas
Diabetes mellitus : Komplikationen ?
Bei unerkanntem Diabetes mellitus oder unzureichender Therapie: Schwere Hyperglykämien bis hin zum hyperglykämischen Koma
Unter Therapie: Gefahr lebensbedrohlicher Hypoglykämien
Koronare Herzkrankheit, arterielle Verschlusskrankheit der Hirnarterien (Schlaganfall), periphere arterielle Verschlusskrankheit
Mönckeberg-Mediasklerose (Mediakalzinose vom Typ Mönckeberg = „Sonderform der pAVK“)
CAVE: Fehlerhafte Diagnostik bei pAVK
Diabetische Nephropathie
Diabetische Retinopathie
Diabetische Neuropathie
Diabetisches Fußsyndrom
Entscheidend zur Vorbeugung einer Mikroangiopathie ist eine strenge Blutzuckereinstellung!
Weitere Komplikationen
Diabetische Kardiomyopathie
Ätiologie: Nicht sicher geklärt, vermutet wird ein metabolischer Einfluss
Klinik: Herzinsuffizienz (insb. linksventrikuläre Funktionseinschränkung), schlechteres Outcome nach einem Myokardinfarkt
Therapie: Analog der Therapie der Herzinsuffizienz
Diabetische Fettleber
Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus
Erhöhte Infektanfälligkeit
Sialadenose
Limited Joint Mobility (früher: Cheiroarthropathie)
Necrobiosis lipoidica
Definition: Entzündliche, granulomatöse Hauterkrankung mit Kollagendegeneration und Lipidanreicherung in der Dermis
Epidemiologie
>60% Assoziation mit Diabetes mellitus
♀ >> ♂
Klinik
Prädilektionsstelle: Streckseiten der unteren Extremitäten
Effloreszenz: Scharf begrenzte, rötliche Plaques mit zentraler Atrophie und papulösem Rand
Meist symptomlos
Teilweise Ulzerationen mit narbiger Abheilung
Histopathologie: „Nekrobiotische Palisadengranulome“
Lymphohistiozytäre Infiltrate mit Plasmazellen, Schaumzellen und Riesenzellen
Wandverdickte und okkludierte kleine Blutgefäße
Untergang von kollagenem Bindegewebe in der gesamten Dermis
Therapie: Glucocorticoide können wirksam sein (z.B. intraläsionale Injektion)
Katarakt: Ein Diabetes mellitus fördert die Entstehung und Progression einer Katarakt
Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Nephropathie ?
Pathologie: Noduläre Glomerulosklerose (Morbus Kimmelstiel-Wilson)
Glomeruläre Filtration initial erhöht (Hyperperfusion), anschließend zunehmender Abfall → Progrediente Niereninsuffizienz mit Gefahr der Urämie (u.a. urämische Polyneuropathie)
Arterielle Hypertonie (frühzeitige antihypertensive Therapie verzögert Progression der diabetischen Nephropathie!)
Ggf. renale Anämie
Diagnostik
Urin: Albuminurie-Screening
Initial Albuminurie Grad A2
Im Verlauf Albuminurie Grad A3
Progression in ein nephrotisches Syndrom möglich
Bei Albuminurie: Reduzierte Proteinzufuhr
Prävention: Eine optimale Einstellung des Blutzuckers und eine konsequente antihypertensive Therapie können die Krankheitsprogression deutlich verzögern
Frühsymptom der diabetischen Nephropathie ist die Albuminurie Grad A2. Das Ausmaß der Albuminurie korreliert mit der Höhe des kardiovaskulären Risikos!
Verlaufsuntersuchungen bei Risikopatienten sollen Kreatinin-Bestimmungen und Urinstatus beinhalten. (DGIM - Klug entscheiden in der Nephrologie)
Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Retinopathie ?
Definition: Krankhafte Veränderung der Netzhautgefäße durch die bei Diabetes mellitus auftretende Mikroangiopathie
Ca. 90% der Typ-1-Diabetiker und ca. 25% der Typ-2-Diabetiker entwickeln nach spätestens 15 Jahren eine Retinopathie
Häufigste Erblindungsursache im erwerbsfähigen Alter (in Deutschland)
Symptome: Lange symptomlos, später Sehverschlechterung bis Erblindung
Ophthalmoskopischer Befund und Klassifikation
Nicht-proliferative Retinopathie (mild, mäßig, schwer)
Mikroaneurysmen
Leichte intraretinale mikrovaskuläre Anomalien (IRMA)
Intraretinale Blutungen
Harte Exsudate
Netzhautödem
Kaliberschwankungen der Venen („perlschnurartig“)
Cotton-Wool-Herde
Proliferative Retinopathie: Präretinale Neovaskularisationen (Neubildungen von Blutgefäßen) definieren den Übergang zur proliferativen Form , mögliche Befunde sind:
Fibrovaskuläre Membranen
Glaskörperblutung, ggf. mit Traktionsamotio
Rubeosis iridis → Sekundärglaukom, zusätzlich Veränderungen wie bei nicht-proliferativer Retinopathie
Diabetische Makulopathie
Klinisch signifikantes Makulaödem
Harte Exsudate im Bereich der Makula
Ischämische Makulopathie
Bei proliferativer Retinopathie sowie ggf. bereits bei schwerer nicht-proliferativer Retinopathie
Panretinale Laserkoagulation in mehreren Sitzungen
Risiken der Lasertherapie: Einschränkungen des Nachtsehens, Gesichtsfeldreduktion, Zunahme der narbigen Schrumpfung mit Netzhautablösung
Vitrektomie bei Traktionsamotio
Makulaödem: Zentrale Laserbehandlung des hinteren Pols (fokale Laserkoagulation)
Bei Foveabeteiligung : Intravitreale Applikation von VEGF-Inhibitoren (Zulassungsstatus beachten!), evtl. auch intravitreale Steroidapplikation
Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Neuropathie ?
Definition: Unter dem Begriff „diabetische Neuropathie“ werden an den peripheren Nerven auftretende Schädigungsmuster zusammengefasst, die infolge eines Diabetes mellitus auftreten
Periphere sensomotorische Polyneuropathie (ca. 80%): Insb. distal und symmetrisch
Schmerzempfinden↓, Areflexie
Parästhesien und/oder Allodynie
Small-Fiber-Neuropathie („Burning Feet“)
Autonome diabetische Neuropathie
Kardial
Stummer Herzinfarkt
Variabilität der Herzfrequenz↓ bis Frequenzstarre
Orthostatische Hypotonie
Ruhetachykardie
Ventrikuläre Arrhythmie
Magen-Darm-Trakt
Gastroparese (Verzögerte Magenentleerung, Gefahr der postprandialen Hypoglykämie)
Diarrhö, Obstipation, Inkontinenz
Urogenital: Erektile Dysfunktion, Blasenatonie
Weitere Manifestationen
Störungen von Pupillenfunktion, Thermoregulation und Sudomotorik (Dyshidrose)
Fehlsteuerung endokriner Prozesse, bspw. eine verminderte Wahrnehmung der Hypoglykämie infolge fehlender hormoneller Gegenregulation (durch Cortisol, Glucagon oder Katecholamine)
Fortwährende Aufmerksamkeit bei Visiten, ambulanten Konsultationen und Verlaufsuntersuchungen
Eine kausale Therapie besteht nicht!
Periphere sensomotorische Neuropathie: Schmerztherapie mit dem Ziel einer Schmerzreduktion und Verbesserung der Lebensqualität
Eingesetzte Analgetika und Co-Analgetika
Nicht-Opioid-Analgetika (z.B. Paracetamol, Metamizol)
Opioid-Analgetika (z.B. Tramadol, Morphin, Oxycodon)
Antikonvulsiva (Pregabalin oder Gabapentin)
Antidepressiva
SSNRI: Duloxetin
Trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin
Autonome diabetische Neuropathie: Symptomatische Therapie der jeweiligen Ausfallerscheinungen und Beschwerden bzw. Erlernen des Umgangs mit den jeweils vorliegenden Einschränkungen (z.B. kreislaufwirksame Gymnastik vor dem Aufstehen bei orthostatischer Dysregulation)
Diabetische Gastroparese: Versuch einer prokinetischen Therapie, z.B. mit Domperidon
Stuhlunregelmäßigkeiten: Stuhlregulierende Maßnahmen, z.B. mit Macrogol oder Flohsamenschalen
Diabetes mellitus : (Komplikationen) Diabetische Fußsyndrome ?
Häufigste Form des diabetischen Fußes
Klinik: Warme, trockene Haut
Sensibilität und Vibrationsempfinden↓
Schmerz- und Temperaturempfinden↓
Fußpulse tastbar
Komplikationen
Malum perforans (neuropathisches Ulkus) : Schmerzlose neuropathische Ulzera (insb. an Fußballen und Ferse), die Ausgangspunkt für eine lebensgefährliche Phlegmone sein können
Diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie (Charcot-Fuß): Deformierende Erkrankung der Gelenke und Knochen
Fehlstellungen (Verlust der Fußquer- und Längswölbung), Osteolysen, Frakturanfälligkeit, Destruktion des Fußskeletts
Klinik: Kühler, blasser Fuß mit fehlenden Fußpulsen
Man kann einem Diabetiker nicht oft genug auf die Füße schauen!
Bei etwa ⅓ der Patienten mit diabetischem Fußsyndrom handelt es sich um eine kombinierte Form aus ischämischem und neuropathischem Fuß!
Bei mangelhafter Durchblutung sollte von einer Exzision eines diabetischen Ulkus ohne vorherige, erfolgreiche Revaskularisation abgesehen werden, da aufgrund der schlechten Wundheilung die Gefahr besteht, dass hierdurch lediglich ein noch größerer Defekt geschaffen wird!
Diabetes mellitus : Prognose ?
Entscheidend für die Prognose ist die Blutzuckereinstellung sowie die Mitbehandlung von Komorbiditäten (Hypertonie, Hyperlipidämie)
Todesursachen sind meist Myokardinfarkt und Nierenversagen
Diabetes mellitus : Prävention ?
Screening der Nüchternblutzuckerwerte bei „Gesunden“ (Personen >35. Lebensjahr, alle drei Jahre)
Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität
Diabetes mellitus : Besondere Patientengruppen ?
Definition: Eine erstmals während der Schwangerschaft aufgetretene oder diagnostizierte Glucosetoleranzstörung
Pathophysiologie
Insulinbedarf verändert sich während der Schwangerschaft
Im 1. Trimenon besteht eine erhöhte(!) Insulinsensitivität mit einer Neigung zu Hypoglykämien
Im 2. und 3. Trimenon entwickelt sich hormonell bedingt eine zunehmende Insulinresistenz (insb. postprandial kann es zu deutlichen Hyperglykämien kommen)
Auftreten: Meist im 2. und im 3. Trimenon (seltener im 1. Trimenon)
Risikofaktoren
Betroffene Frauen weisen zumeist die gleichen Risikofaktoren wie Frauen mit einem Typ-2-Diabetes auf
Folgende Risikofaktoren erhöhen explizit das Risiko des Wiederauftretens
Internistisch
Typ-2-Diabetes bei Familienangehörigen 1. Grades, passagere Glucoseintoleranz in der Anamnese
Übergewicht mit BMI >27 kg/m2
Hohes Alter
Geburtshilfe
Gestationsdiabetes in früheren Schwangerschaften
Habituelle Aborte
Frühere Geburt mind. eines makrosomen Kindes mit Geburtsgewicht >4.500 g
Klinische Symptomatik fehlt oft
Vor der 24. Schwangerschaftswoche bei Patientinnen mit Risikofaktoren: Bestimmung des Nüchternblutzuckers
24–28. Schwangerschaftswoche (wird bei allen Schwangeren empfohlen!): Oraler Glucosetoleranztest (oGTT)
„Abgeschwächter“ oraler Glucosetoleranztest (50 g statt 75 g Glucose)
Therapie des Gestationsdiabetes
Ernährungsumstellung
Insulingabe bei Versagen diätetischer Maßnahmen
Akute Folgen für die Mutter
Erhöhtes Risiko für schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
Harnwegsinfekte: Glucosurie erhöht das Infektionsrisiko
Erhöhtes Risiko für Aborte und Frühgeburtlichkeit
Makrosomie: Evtl. Notwendigkeit einer operativen Entbindung
Polyhydramnion aufgrund einer Polyurie des Kindes
Akute Folgen für das Kind (Fetopathia diabetica)
Vermehrte Adipogenese: Makrosomie
Erhöhter Sauerstoffbedarf bei Makrosomie → Gesteigerte Bildung von Erythropoetin → Polyglobulie
Verminderte Surfactantbildung → Atemnotsyndrom
Einlagerung von Glykogen in den Herzmuskel → Kardiomyopathie
Postnatale Komplikationen aufgrund gesteigerter fetaler Insulinspiegel durch gewohnt hohe Glucosespiegel
Postnatale Hypoglykämie
Elektrolytstörungen: Hypokalzämie, Hypomagnesiämie
Bei frühem Gestationsdiabetes bzw. vorbestehendem, schlecht eingestelltem Diabetes mellitus
Erhöhtes Risiko für Fehlbildungen: Herzfehler, Darmfehlbildungen etc.
Kaudale Regression (kaudales Regressionssyndrom): Seltene Anomalie, bei der es zu einer Aplasie oder Hypoplasie des Steißbeins und der Lendenwirbelsäule kommt
Prognose
Schwere Verläufe führen in der Neonatalperiode aufgrund kardialer und renaler Komplikationen häufig zum Tod
Überlebende Kinder sind normal leistungsfähig
Abhängig von der Ausprägung kann es von leichten Bewegungsstörungen bis hin zu kompletten Paresen und Blasenentleerungsstörungen kommen
Auch Fehlbildungen der unteren Extremität und Fußdeformitäten sind nicht selten
In den meisten Fällen verschwindet diese Form des Diabetes mellitus nach Beendigung der Schwangerschaft wieder
Es besteht fortan aber ein erhöhtes Risiko, einen Gestationsdiabetes bei Folgeschwangerschaften (etwa 50%) und einen permanenten Diabetes mellitus im Laufe der nächsten Jahre zu entwickeln (bis zu 50%/10 Jahre)
Mammakarzinom : Abstract ?
(Brustkrebs)
Das Mammakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung der Frau und geht mit einem Lebenszeitrisiko für Frauen von ca. 12% einher.
Männer hingegen erkranken mit einem Lebenszeitrisiko von lediglich 0,1% deutlich seltener an Brustkrebs.
Die bedeutendsten Risikofaktoren sind endokrine Faktoren (bspw. ein langer hormonell aktiver Zeitraum), ein höheres Lebensalter sowie eine genetische Prädisposition (v.a. BRCA1/BRCA2-Genmutation).
Klinische Symptome zeigen sich beim Mammakarzinom meist erst im fortgeschrittenen Tumorstadium, bspw. in Form von tastbaren, nicht verschieblichen Knoten oder Veränderungen an der Haut oder Mamille.
Am häufigsten ist der obere äußere Quadrant betroffen.
Histologisch unterscheidet man das am häufigsten auftretende invasive Karzinom ohne speziellen Typ (ehemals „invasiv duktales Karzinom nicht anders spezifiziert“) vom invasiven Karzinom mit speziellem Typ (z.B. das invasiv-lobuläre Karzinom).
Daneben gibt es zahlreiche Risikoläsionen, die aufgrund ihrer klinischen Inapparenz insb. im Rahmen der Früherkennungsdiagnostik erkannt werden können.
Zur Früherkennungsdiagnostik gehört neben der klinischen Tastuntersuchung im Rahmen der gynäkologischen Routinevorsorge v.a. das Mammografie-Screening, das bei Frauen ab 50 Jahren durchgeführt werden sollte.
In Abhängigkeit von zusätzlichen Risikofaktoren können weitere Maßnahmen oder ein früherer Beginn sinnvoll sein.
Bei auffälligen Befunden erfolgt die Diagnosesicherung i.d.R. durch eine Mamma- und ggf. Lymphknotenbiopsie.
Bei positivem Befund schließt sich die Stagingdiagnostik mit CT-Thorax und -Abdomen sowie einer Skelettszintigrafie an.
Zu den typischen Metastasierungsorten gehören neben regionalen und nicht-regionalen Lymphknoten die Knochen, Lunge und Pleura sowie Gehirn und Leber.
Therapeutisch hat die operative Entfernung des Tumors die größte Relevanz.
Bei günstiger Relation zwischen Brust- und Tumorgröße wird i.d.R. brusterhaltend operiert.
Daneben erfolgt je nach Befund eine Strahlen- und/oder systemische Therapie (Antihormon-, Antikörper-, Chemotherapie), die adjuvant oder ggf. auch neoadjuvant durchgeführt werden kann.
Das gewählte Therapieschema ist dabei insb. von Tumorbiologie und dem individuellen Patientenrisiko abhängig und sollte im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz beschlossen werden.
Mammakarzinom : Epidemiologie ?
Weltweit (Stand 2018)
Inzidenz
Häufigstes Karzinom der Frau
Häufigstes Karzinom insgesamt (zusammen mit dem Bronchialkarzinom)
Mortalität
Häufigste Krebstodesursache der Frau
Deutschland (Stand 2018)
Mittleres Erkrankungsalter: 64 Jahre (♀)
Geschlechterverteilung: ♀ >> ♂ (100:1)
♀: 166 pro 100.000 Frauen pro Jahr
Mit einem Anteil von ca. 30% häufigstes Karzinom der Frau
Statistisch gesehen erkrankt ca. jede 8. Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom!
Mammakarzinom : Ätiologie ?
Hormonelle Risikofaktoren
Langer hormonell aktiver Zeitraum: Frühe Menarche und späte Menopause
Keine/wenige Schwangerschaften, späte erste Geburt, keine/kurze Stillzeit („Nonnenkarzinom“ )
Adipositas, v.a. in der Postmenopause
Möglicherweise Hormonersatztherapie in der Postmenopause
Möglicherweise Einnahme hormoneller Kontrazeptiva
Hereditäre Risikofaktoren
Genetisch bedingtes Brustkrebsrisiko: Insb. aufgrund von Keimbahnmutationen in DNA-Reparaturproteinen (Tumorsuppressorgenen)
Hohes Risiko: Mutationen der BRCA1-, BRCA2- oder PALB2-Gene
Siehe hierzu auch
Familiäres Mammakarzinom (BRCA1/2-Mutation)
Einschlusskriterien der genetischen Diagnostik bei Mamma- und Ovarialkarzinom
Moderat bis niedriges Risiko: Mutationen von Genen anderer erblicher Krebssyndrome mit erhöhtem Mammakarzinomrisiko
Li-Fraumeni-Syndrom: Autosomal-dominant vererbte Mutation des p53-Tumorsuppressorgens (in einigen Fällen auch anderer Gene), die zum Auftreten zahlreicher Tumoren häufig bereits im Kindesalter führt
Assoziierte Tumorerkrankungen: Mammakarzinom , Sarkome, Leukämien, Lymphome, Hirntumoren, Nebennierenrindenkarzinome
Ionisierende Strahlung (bspw. Strahlentherapie) kann Tumorwachstum auslösen
Familiäre Belastung ohne Mutationsnachweis
Sonstige Risikofaktoren
Höheres Alter
Hohe Brustdichte
Brustkrebsanamnese
Nicht-proliferative Läsionen
Proliferative Läsionen mit oder ohne Atypien
Risikoläsionen für das Mammakarzinom
Brustkrebs (CIS, invasives Karzinom, Karzinom der kontralateralen Mamma )
Toxische Faktoren
Strahlungsexposition der Brust (insb. in jungem Alter)
Hoher Alkoholkonsum
Rauchen
Meist sind Risikoläsionen klinisch unauffällig und werden lediglich im Rahmen von Früherkennungsmaßnahmen diagnostiziert. Obwohl es sich bei allen Formen um Neubildungen (= Neoplasien) handelt, gehen sie dennoch mit einem unterschiedlichen Progressionsrisiko einher. Daher handelt es sich nicht bei allen Läsionen um obligate Präkanzerosen, sondern teilweise lediglich um Risikoläsionen, die die Entstehung eines invasiven Karzinoms begünstigen.
Duktale Risikoläsionen
Duktales Carcinoma in situ (DCIS)
Definition: Präkanzerose des invasiven Mammakarzinoms, die von den Milchgängen (Duktus) ausgeht und die Basalmembran nicht durchbricht
Häufigkeit: 95% der nicht-invasiven Krebsvorstufen
Inzidenz in den letzten Jahren zunehmend
Geringe Mortalität (3,3%) aufgrund guter therapeutischer Möglichkeiten
Charakteristika
Ca. 80% der DCIS bleiben asymptomatisch, ggf. Tastbefund
Häufiges mammografisches Korrelat: Mikrokalk entlang der Milchgänge
Zeitintervall zwischen DCIS und invasivem Mammakarzinom ca. 9 Jahre
Wachstum entlang der Milchgänge
I.d.R. unizentrisch, aber multifokales Wachstum möglich
Komedonekrosen möglich: Rasche intraduktale Zellproliferation mit zentraler Nekrosenbildung und erhöhter Entartungstendenz
Sonderform: Morbus Paget der Mamille
Diagnosesicherung: Häufig mammografisch gesteuerte Vakuumbiopsie bei Mikrokalk
Operatives Vorgehen: Vollständige Resektion mit ausreichenden Resektionsrändern
Brusterhaltende Therapie (BET) als Standard, Mastektomie nur in Ausnahmefällen indiziert
Keine Axilladissektion oder Sentinel-Node-Biopsie empfohlen
Radiotherapie: Sollte allen Patientinnen angeboten werden
Lobuläre Risikoläsionen
Lobuläre intraepitheliale Neoplasie (LIN)
Definition: Epitheliale Proliferation, die von den Milchdrüsenläppchen (Lobuli) ausgeht und sich auf diese und die terminalen Milchgänge (die sog. terminalen duktulobulären Einheiten) beschränkt; Basalmembran wird nicht durchbrochen
Umfasst gemäß WHO-Klassifikation die atypische lobuläre Hyperplasie (ALH) und das lobuläre Carcinoma in situ (LCIS)
Primär Risikoläsion, die mit einem generell erhöhten Tumorrisiko ipsi- und kontralateral einhergeht
Häufigkeit: 5% der nicht-invasiven Krebsvorstufen
Wachstum innerhalb der terminalen duktulobulären Einheiten (TDLE)
Häufig multizentrisch in einer Mamma lokalisiert, zu 30–40% bilateral
Isolierter Befund oder Zufallsbefund eines klassischen (Niedrig-Risiko‑) LIN in der Biopsie: Keine weitere offene Biopsie
Hoch-Risiko-LIN (pleomorph, floride, mit Komedonekrosen): Komplette Exzision
Anschließende Bestrahlung aufgrund geringer Strahlensensitivität nicht empfohlen
Milchgangspapillom (Intraduktales Papillom)
Siehe: Milchgangspapillom
Mammakarzinom : Symptome/Klinik ?
In der Regel zeigen invasive Mammakarzinome erst in fortgeschrittenen Stadien klinische Symptome. Ein DCIS geht nur in etwa 20% der Fälle mit klinischen Symptomen einher. Als typische klinische Zeichen können sich folgende zeigen:
Unscharf begrenzte, ggf. druckunempfindliche Verhärtungen und nicht verschiebliche Knoten
Hauteinziehungen, Hautödem, bleibende Rötungen
Entzündlich veränderte Haut (inflammatorisches Mammakarzinom)
Orangenhaut (Peau d'orange)
Mamillenretraktion, Entzündung und Sekretion aus den Mamillen
Größenveränderung der Brust, Asymmetrie zur Gegenseite
Vergrößerung der axillären und/oder supraklavikulären Lymphknoten
In fortgeschrittenem Stadium
Exulzeration
Cancer en cuirasse (Panzerkrebs)
Ca. 55%: Oberer äußerer Quadrant (inkl. Übergang zur Axilla)
Ca. 15%: Oberer innerer Quadrant
Ca. 15%: Mamille sowie retromamillär (zentraler Bereich)
Ca. 10%: Unterer äußerer Quadrant
Ca. 5%: Unterer innerer Quadrant
Ca. 5–25%: Multizentrische Lokalisation in einer Mamma
Ca. 1–3%: Primär bilateral
Frühe lymphogene und hämatogene Metastasierung
Lymphogen
Regionale Lymphknotenmetastasen (N1-N3)
Axilläre Lymphknoten (ipsilateral): Lymphknoten entlang der V. axillaris und ihrer Nebengebiete sowie interpektorale Lymphknoten (Rotter-Lymphknoten)
Level I: Lymphknoten lateral des M. pectoralis minor
Level II: Lymphknoten zwischen dem lateralen und medialen Rand des M. pectoralis minor sowie interpektorale Lymphknoten (Rotter-Lymphknoten)
Level III: Lymphknoten apikal und medial des M. pectoralis minor
Infraklavikuläre Lymphknoten (ipsilateral)
Supraklavikuläre Lymphknoten (ipsilateral)
Lymphknoten entlang der A. mammaria interna (ipsilateral): Extrapleural, parasternal und tief in der interkostalen Muskulatur (ca. ICR I-III)
Lymphknoten Fernmetastasen (M1): Alle sonstigen befallenen nicht-regionalen Lymphknoten (bspw. zervikale Lymphknoten) sowie regionale kontralaterale Lymphknoten
Hämatogen (M1)
Nach absteigender Häufigkeit
Knochen
Lunge, Pleura
Leber
Thoraxwand, Axilla
Gehirn
Selten u.a.: Ovar, Milz
Bei Lymphknotenbefall in der Axilla ist eine bereits stattgefundene hämatogene Metastasierung wahrscheinlich!
Mammakarzinom : Verlaufs- und Sonderformen ?
Der Morbus Paget der Mamille ist ein duktales Carcinoma in situ oder ein invasives Karzinom, das die Mamille und die umgebende Haut infiltriert.
Klinik: Jucken, Brennen und ekzematös-schuppige Hautveränderungen von Mamille und Areola, Mamilleneinziehung oder blutige Mamillensekretion möglich
Ggf. Mamillentumor tastbar
Zytologische Untersuchung, besser Probeexzision (Stanzbiopsie)
Mammografie, Mammasonografie
Histologie: Maligne, intraepitheliale Pagetzellen
Differenzialdiagnose: Mamillenekzem, Hauttumoren (Morbus Bowen, Basalzellkarzinom, superfiziell spreitendes Melanom), Strahlendermatitis
Therapie: Leitliniengerecht entsprechend der Grunderkrankung (DCIS, invasives Karzinom), wenn möglich operativ
Definition: Seltene und aggressive Sonderform des fortgeschrittenen invasiven Mammakarzinoms, bei der es zu einer Ausbreitung der Tumorzellen in kutane Lymphbahnen (Lymphangiosis carcinomatosa) kommt
Pathologie: Meist invasives Mammakarzinom ohne speziellen Typ
Diffuse Rötung (Erythem) und Überwärmung der Brust
Ödematöse Hautschwellung und Verdickung (Peau d'orange)
Schnelle Größenzunahme der Brust, ggf. Mamillenretraktion
Ggf. geschwollene axilläre und/oder (supra-/infra‑)klavikuläre Lymphknoten
Meist kein solider Tumor tastbar
Therapie: Neoadjuvante Chemotherapie + radikale Mastektomie + postoperative Strahlentherapie
Prognose: Schlecht
Das inflammatorische Mammakarzinom wird der TNM-Klassifikation nach in das T4-Stadium eingeteilt!
Mammakarzinom : Stadien ?
Die Einteilung des Mammakarzinoms nach Größe des Primärtumors (T) und Ausbreitung (Lymphknotenbefall (N), Metastasierung (M)) erfolgt anhand der TNM-Klassifikation. Zusammengefasst werden diese Kriterien in der aktuellen UICC-Klassifikation, nach der sich auch die Therapieempfehlungen richten.
TNM-Klassifikation
Tumorausbreitung
TX
Keine Beurteilung möglich
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumorgröße: ≤2 cm
T1mi: Mikroinvasion ≤0,1 cm
T1a: ≤0,5 cm
T1b: >0,5 cm und ≤1 cm
T1c: >1 cm und ≤2 cm
T2
Tumorgröße: >2 cm und ≤5 cm
T3
Tumorgröße: >5 cm
T4
Tumor jeder Größe mit Infiltration der Haut oder Brustwand
N1
Befall beweglicher axillärer Lymphknoten des Levels I–II
pN1
pN1mi: Mikrometastasen
pN1a: 1–3 axilläre Lymphknoten
pN1b: Lymphknoten entlang A. mammaria interna (mikroskopisch, aber klinisch nicht erkennbar)
pN1c: pN1a + pN1b
N2
Befall fixierter axillärer Lymphknoten des Levels I–II oder klinisch diagnostizierter isolierter Befall ipsilateraler Lymphknoten der A. mammaria interna
N3
Befall supra- oder infraklavikulärer Lymphknoten (Level III), gleichzeitiger Befall von axillären und Mammaria-interna-Lymphknoten
M
M0: Keine Fernmetastasen
M1: Fernmetastasen
Zusammengefasst werden die TNM-Klassifikationsangaben in der aktuellen UICC/AJCC-Klassifikation, nach der sich auch die Therapieempfehlungen richten.
UICC/AJCC-Stadium
0
Tis, N0, M0
I
IA
T1, N0, M0
IB
T0–T1, pN1mi, M0
II
IIA
T0–T1, N1, M0
T2, N0, M0
IIB
T2, N1, M0
T3, N0, M0
III
IIIA
T0–T2, N2, M0
T3, N1–N2, M0
IIIB
T4, N0–N2, M0
IIIC
Jedes T, N3, M0
IV
Jedes T, jedes N, M1
Mammakarzinom : Diagnostik ?
Klinische Untersuchung von Mammae und Axillae
Inspektion und Palpation der Mammae
Jackson-Test
Durchführung: Zusammenschieben der Brust über der zu tastenden Verhärtung
Hinweis auf gutartige Veränderung: Haut wölbt sich vor
Hinweis auf bösartige Veränderung: Hauteinziehung der Brust (= Plateau-Phänomen) verstärkt
Palpation der axillären, supra- und infraklavikulären Lymphknoten
Wird ein Mammakarzinom aufgrund eines palpablen Tumors diagnostiziert, liegt häufig bereits ein Stadium T2 oder höher nach TNM-Klassifikation vor!
Apparative Diagnostik
Mammografie
Bei auffälligem Tastbefund
Frauen ab 40 Jahre: I.d.R. immer zur Abklärung auffälliger Befunde
Frauen unter 40 Jahre: Nur wenn sonstige Untersuchungen (bspw. klinische Tastuntersuchung, Sonografie) keine ausreichende Abklärung gewährleisten
Bei nachgewiesenem Malignom: Prätherapeutisch beidseitige Mammografie
Durchführung: Im kranio-kaudalen und medio-lateral-obliquen Strahlengang als Standardaufnahmen, ggf. Zusatzaufnahmen oder 3D-Mammografie erwägen
Sonografie
Bei auffälligem Tastbefund: Standarddiagnostik bei Frauen unter 40 Jahren (i.d.R. hohe Brustdrüsendichte)
Abklärung unklarer mammografischer und MR-tomografischer Befunde
Kontrastmittel-MRT der Mamma: Spezifischen Fragestellungen bei unklaren Befunden in der konventionellen Diagnostik vorbehalten
Galaktografie: Bei einseitiger Sekretion aus der Mamille sowie bei blutiger oder eitriger Sekretion einseitig oder beidseits
Pneumozystografie: Selten bei symptomatischen Zysten indiziert
Die beidseitige Mammografie und Sonografie spielen sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Nachsorge des Mammakarzinoms als kostengünstige und ubiquitär verfügbare Verfahren die wichtigste Rolle!
Mamma-Biopsie
Verfahren: Insb. Stanzbiopsie oder Vakuumbiopsie (sonografisch, mammografisch oder MRT-gesteuert)
Lymphknoten-Biopsie
Verfahren: Stanzbiopsie
Präoperative Befundmarkierung: Mithilfe des Verfahrens, bei dem der Befund am besten darstellbar ist
Indikation: Neu diagnostiziertes Mammakarzinom ab Stadium UICC II mit erhöhtem Metastasierungsrisiko sowie immer im Stadium UICC III oder IV oder bei geplanter Systemtherapie (Chemo-/Antikörpertherapie)
Erhöhtes Metastasierungsrisiko: N+, Tumorstadium >T2, bei aggressiver Tumorbiologie (HER2-positiv, triple-negativ), klinischer Symptomatik
Stagingverfahren
CT-Thorax und -Abdomen
Skelettszintigrafie
Bei unklarem Befund ggf. PET oder PET-CT
Bei Verdacht auf ZNS-Metastasen: MRT
Mammakarzinom : Pathologie ?
Man unterscheidet anhand der Ursprungsgewebe duktale und lobuläre Neoplasien.
Invasives Karzinom ohne speziellen Typ (Invasive carcinoma of no special type, NST): Etwa 75% aller Mammakarzinome
Nomenklatur geändert: Ehemals „Invasiv-duktales Karzinom nicht anders spezifiziert“ (invasive carcinoma not otherwise specified, NOS)
Histologie
Nest- oder strangartige, kohäsiv wachsende Tumorzellverbände mit variabler glandulärer Differenzierung
Meist mit desmoplastischer Stromareaktion
Invasive Karzinome mit speziellem Typ: Etwa 25% aller Mammakarzinome
Invasiv-lobuläres Karzinom: Etwa 15% aller Mammakarzinome (größter Anteil der speziellen Mammakarzinome)
Histologie: Kleine, nicht-kohäsiv wachsende , runde Tumorzellen, kettenförmig angeordnet
„Indian Files“: Reihen aus Tumorzellen in dichtem Stroma (Gänsemarschformation, einreihig)
„Targetoid Pattern“: Ringförmiges Wachstum um erhaltene Milchgänge
Oft multifokal und/oder bilateral
Zum Vergleich: Normalbefunde
Das in aktuellen Leitlinien für invasive Mammakarzinome empfohlene System ist das von Elston und Ellis modifizierte Bloom-Richardson-Grading (BRE-Graduierung) .
Dignitätskriterien
Ausmaß der Kernpolymorphien
Anteil der tubulären Strukturen
Anzahl der Mitosen
Interpretation
G1: Gut differenziert, geringer Malignitätsgrad
G2: Mäßig differenziert, mäßiger Malignitätsgrad
G3: Schlecht differenziert, hoher Malignitätsgrad
Multifokalität: Auftreten mehrerer voneinander getrennter Tumorherde in einem Quadranten bzw. in einem Abstand <4 cm
Multizentrizität: Auftreten mehrerer voneinander getrennter Tumorherde in mehr als einem Quadranten bzw. in einem Abstand >4 cm
Regelhafte Bestimmung bereits in der Primärdiagnostik (idealerweise bereits aus Stanzbiopsie):
Östrogen (ER)- und Progesteron (PR)-Rezeptorstatus
Definition Hormonrezeptor-positiver (HR-positiver) Karzinome: Ab ≥1% ER‑ oder PR‑positiver Tumorzellen
Bestimmung über Immunhistochemie
Assoziiert mit gutem Ansprechen auf endokrine Therapie
Vorkommen Hormonrezeptor-positiver Tumoren: Ca. 75–80% aller Mammakarzinompatientinnen
HER2/neu-Status
Bestimmung über Immunhistochemie (Protein-Überexpression) oder Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
Positiver HER2/neu-Status assoziiert mit
Gutem Ansprechen auf Antikörpertherapie mit Trastuzumab
Gutem Ansprechen auf Anthracycline und Taxane
Schlechtem Ansprechen auf endokrine Therapie mit Tamoxifen
Triple negatives Mammakarzinom: Östrogen-negativ + Progesteron-negativ + HER2-negativ
Interpretation: Ein hoher Proliferationsindex spricht für ein schnelles Tumorwachstum
Sehr hohe (>25%) oder sehr niedrige Werte (<10%) sollten bei der Therapieentscheidung mitberücksichtigt werden
Mammakarzinom : Differenzialdiagnosen ?
Benigne Veränderungen
Entzündlich
Mastitis
Mammaabszess
Mamillenekzem
Dermatosen der Mamma (Erysipel, Erythem, Furunkel, Dermatitis)
Tumorartig
Fibroadenom
Mastopathie
Schwellungen im Rahmen des Brustwachstums bzw. der -differenzierung in der Thelarche → In der Regel harmlos, Verlaufskontrolle ausreichend
Lipom, Hamartom, Atherom
Zyste
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Mammakarzinom : Therapie ?
Nach Stadium
Lokal begrenztes Karzinom: ≤ Stadium IIA → Primär kurativer Therapieansatz
Lokal fortgeschrittenes Karzinom: ≥ Stadium IIB ohne Fernmetastasen (M0) → Primär kurativer Therapieansatz
Fernmetastasiertes Karzinom: Stadium IV (M1) → Palliativer Therapieansatz
Kurativer Therapieansatz: Operative Maßnahmen + Strahlentherapie und/oder Systemtherapie (abhängig von Tumorstadium und Risikofaktoren)
Operative Therapie bei Mammakarzinom
Systemische Therapie bei Mammakarzinom
Strahlentherapie bei Mammakarzinom
Palliativer Therapieansatz: Möglichkeiten der systemischen Therapie des Mammakarzinoms und palliative Therapiemaßnahmen stehen im Vordergrund (siehe auch: Komplikationen des Mammakarzinoms)
Mammakarzinom : {Therapie} Operative Therapie bei Mammakarzinom ?
Ziel: Komplettresektion des Tumors mit tumorfreien Resektionsrändern (R0)
Bei adjuvanten Therapiemaßnahmen: Knapper Resektionsrand i.d.R. ausreichend
Indikation: Wenn möglich, ist eine brusterhaltende OP stets einer radikalen Mastektomie vorzuziehen!
DCIS
Karzinome mit günstigem Verhältnis von Brustvolumen zu Tumorvolumen
Tumoren mit intraduktaler Komponente und der Möglichkeit einer R0-Resektion
Durchführung: Komplettresektion des Tumors mit tumorfreien Resektionsrändern (R0)
Intraoperativ
Eindeutige Fadenmarkierung der Resektionsränder für die pathologische Begutachtung und zum Zweck einer möglichen Nachresektion
Intraoperative Markierung des Tumorbetts mit Clips zur gezielten Tumorbettbestrahlung
Nach einer brusterhaltenden Therapie muss bei invasiven Formen des Mammakarzinoms stets eine adjuvante lokale Radiatio durchgeführt werden, um das Risiko von intramammären Rezidivtumoren zu minimieren!
Indikation: Bei Kontraindikation einer brusterhaltenden Therapie (BET)
Ungünstiges Tumor-Brust-Verhältnis
Keine komplette Tumorentfernung trotz Nachresektion möglich
Inflammatorisches Mammakarzinom
Bei Kontraindikationen für die notwendige adjuvante Bestrahlung nach BET
Multizentrisches Karzinom
Patientinnenwunsch bzw. Ablehnung einer nach BET obligaten Strahlentherapie
Durchführung: Entfernung des kompletten Drüsenkörpers und je nach Verfahren unterschiedlicher weiterer Anteile
Die komplette oder partielle Entfernung der axillären Lymphknoten hat sowohl Bedeutung für das Staging als auch für die lokoregionäre Tumortherapie und sollte bei allen invasiven Mammakarzinomen durchgeführt werden.
Sentinel-Lymphonodektomie bei Mammakarzinom (SLNE)
Definition: Standardverfahren, bei dem der bzw. die Wächterlymphknoten entfernt werden, um repräsentativ den axillären Lymphknotenstatus zu erfassen (axilläres Staging)
Bei klinisch negativem Lymphknotenbefund (cN0-Situation)
Vorteil: Deutlich geringere Morbidität als Axilladissektion bei gleichwertig hoher Sicherheit in den indizierten Fällen
Verfahren zur Detektion der Sentinel-Lymphknoten
Nuklearmedizinische Markierung: Am Vortag der OP durch peritumorale Applikation von Technetium99m → Lymphabflussszintigrafie zur Lokalisation der Lymphknoten im Anschluss und Befundmarkierung auf der Haut
Durchführung: Biopsie von i.d.R. max. 3 Lymphknoten
I.d.R. intraoperative Schnellschnittuntersuchung bei klinischer Konsequenz
Klinisch auffällige Lymphknoten sollen auch bei bisher negativem Biopsiebefund immer mitentfernt werden
Axilladissektion
Definition: Entfernung der axillären Lymphknoten der Level I und II im Rahmen des Stagings bzw. zur regionalen Tumorkontrolle
Bei Nachweis axillärer Lymphknotenmetastasen in der Sentinel-Lymphonodektomie (pN1-Situation)
Bei Kontraindikation einer Sentinel-Lymphonodektomie
Bei geplanter Mastektomie
Nachteil: Höheres OP-Risiko als bei der Sentinel-Lymphonodektomie (bspw. Lymphödeme und Nervenläsionen)
Durchführung: Präoperative Anzeichnung der Schnittführung, die als Querschnitt entlang der Faltlinien erfolgen sollte
Entfernung von mind. 10 Lymphknoten und Untersuchung auf Malignität
Mammakarzinom : {Therapie} Systemische Therapie bei Mammakarzinom ?
Besteht aus einer präoperativen (neoadjuvanten) Chemotherapie und ggf. einer Antikörpertherapie (HER2) und/oder Antihormontherapie (nach Hormonrezeptorstatus)
Absolute Indikation
Lokal fortgeschrittenes oder primär inoperables Karzinom
Ermöglichung der Operabilität bis hin zur Komplettresektion (R0)
Erhöhung der Rate brusterhaltend zu operierender Karzinome
Neoadjuvante (primäre) Chemotherapie
Vorgehen
Sollte das gleiche Therapieschema prä- oder postoperativ indiziert sein, ist die neoadjuvante Therapie vorzuziehen
Therapieschema: Anthracyclin und Taxan, siehe auch: Chemotherapie-Schemata bei Mammakarzinom
Therapiedauer: 18–24 Wochen
Bei HER2-positiven Tumoren zusätzlich
Trastuzumab: Präoperative Gabe bis ein Jahr postoperativ oder
Duale Blockade mit Trastuzumab und Pertuzumab
Grundsätzliche Therapieentscheidung: Anhand einer Risiko-Nutzen-Entscheidung auf Basis von
Stadium
Grading
Patientinnenalter
Menopausenstatus
Adjuvante Chemotherapie
Stärkster Effekt auf Frauen <50 Jahre
Luminal-B-Tumoren mit hohem Rezidivrisiko
HER2-positive Tumoren ab pT1b, N0
Triple-negative Tumoren
Chemotherapie-Schemata bei Mammakarzinom
Anthracyclin und Taxan als Standard-Chemotherapie (bspw. Epirubicin + Docetaxel)
Ggf. Hinzunahme eines Platinderivats bei triple-negativem Karzinom möglich
Alternative (aktuell nicht mehr als Therapie der 1. Wahl empfohlen!): FAC- (5-FU, Doxorubicin , Cyclophosphamid) bzw. FEC-Schema (5-FU, Epirubicin, Cyclophosphamid)
Bei Anthracyclin-Kontraindikationen
Taxan-Monotherapie (z.B. Paclitaxel) insb. auch bei älteren und multimorbiden Patientinnen
Bei HER2-positiven Tumoren: Simultan Chemotherapie + Anti-HER2-Therapie mit Trastuzumab über ein Jahr
Prämenopausale Patientinnen sollten vor einer Chemotherapie über fertilitätserhaltende Maßnahmen aufgeklärt werden!
Adjuvante Antihormontherapie (Endokrine Therapie)
Indikation: Hormonrezeptor-positive Karzinome
Reduktion des relativen Rezidivrisikos und der Mortalität bei diesen Tumoren!
Beginn: I.d.R. adjuvant
Empfohlene Dauer: Mind. 5 Jahre, ggf. Verlängerung der Antihormontherapie sinnvoll
Therapieoptionen
Tamoxifen (selektiver Östrogenrezeptor-Modulator) → Prä- und Postmenopause
GnRH-Analoga → Prämenopause zur Ovarsuppression
Aromatasehemmer → Postmenopause
Empfehlungen nach Menopausenstatus
Prämenopausale Patientinnen
Ziel: Blockade der Östrogenrezeptoren, evtl. zusätzlich Supprimierung der Hormonproduktion in den Ovarien
Endokrine Therapie der Wahl: Tamoxifen (selektiver Östrogenrezeptor-Modulator) über mind. 5 Jahre
Wirkung
Östrogen-antagonistisch am Brustdrüsengewebe
Östrogen-agonistisch am Endometrium
Nebenwirkungen
Hitzewallungen
Übelkeit
Exanthem
Risikoerhöhung für thromboembolische Ereignisse
Risikoerhöhung für Endometriumkarzinome
Schmerzen an betroffenem Gewebe und Knochen
Teilreversible Sehstörungen
Alternative: Fulvestrant
Weitere Therapiemöglichkeiten: Ausschalten der Ovarialfunktion (Ovarialsuppression) durch GnRH-Analoga oder bilaterale Adnexektomie
Postmenopausale Patientinnen
Ziel: Supprimierung der Hormonproduktion extraovariell und Blockade der Östrogenrezeptoren
Endokrine Therapie der Wahl
Aromatasehemmer (z.B. Anastrozol, Letrozol, Exemestan) für mind. 5 Jahre
Wirkung: Inhibition der Umwandlung von Androgenen zu Östrogenen (insb. peripher in Muskel- und Fettgewebe)
Nebenwirkungen (Auszug)
Schwäche
Kopf- und Gelenkschmerzen
Ödeme
Osteoporose
Weitere Therapiemöglichkeit: Tamoxifen + Aromatasehemmer
Tamoxifen wirkt agonistisch(!) an Östrogenrezeptoren des Endometriums und erhöht dadurch das Risiko für ein Endometriumkarzinom!
Zur Entscheidung über eine adäquate antihormonelle Therapie werden bei unklarem Menopausenstatus die Serumspiegel von Östrogen (postmenopausal↓) und FSH (postmenopausal↑) bestimmt!
Adjuvante Antikörpertherapie
Indikation: HER2-positive Karzinome und Tumordurchmesser ≥1 cm
Beginn: Idealerweise während der Taxan-Phase der (neo)-adjuvanten Chemotherapie
Empfohlene Dauer: 1 Jahr
Therapie der Wahl: Trastuzumab
Wirkung: Monoklonaler Antikörper gegen den humanen epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor 2 (HER2)
Kardiotoxizität (!)
Infektanfälligkeit
Allgemeine Beschwerden wie Fieber, Grippe-ähnliche Symptome, Abgeschlagenheit
Muskel- und Gelenkschmerzen
Verdauungsbeschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Diarrhö)
Gewichtsverlust
Blutbildveränderungen (z.B. Anämie)
Weitere Therapieoptionen
CDK4/6-Inhibitoren: Hemmen die Aktivität der Zellzyklus-regulierenden Cyclin-abhängigen Kinasen
Wirkstoffe
Palbociclib
Ribociclib
Abemaciclib
Indikation: Mammakarzinom mit Fernmetastasierung bzw. Rezidiv, Progress oder Nichtansprechen unter (adjuvanter) endokriner Therapie
Mammakarzinom : {Therapie} Strahlentherapie bei Mammakarzinom ?
Ziel: Risikoreduktion für Rezidiv und Fernmetastasen sowie Senkung der krebsspezifischen Mortalität
Strahlentherapie nach BET
Indikation: Obligater Bestandteil der Therapie bei allen invasiven Mammakarzinomen
Bisher keine Patientinnengruppe bekannt, bei der auf eine Bestrahlung verzichtet werden kann
Ausnahmen möglich (nach individueller Beratung!)
Strahlentherapie nach Mastektomie
Ziel: Senkung des Lokalrezidivrisikos und Verbesserung des Gesamtüberlebens bei lokal fortgeschrittenem und nodal positivem Karzinom
Nach neoadjuvanter Chemotherapie: Anhand des prätherapeutischen Stadiums
Mammakarzinom : Komplikationen ?
Paraneoplastische Syndrome
Hyperkalzämie
Lymphödem des Armes nach Axilladissektion und Bestrahlung
Thromboembolische Ereignisse als paraneoplastisches Geschehen
Metastasen (siehe auch: Metastasierung des Mammakarzinoms)
Lokalrezidive oder Fernmetastasen (auch noch nach Jahren möglich)
Pathologische Frakturen bei Skelettmetastasen
Therapiespezifische Komplikationen
Strahlenfolgen: Rötungen, Missempfindungen, Schwellungen, Strahlenpneumonitis, Zweitneoplasien, kardiovaskuläre Komplikationen
Kardiotoxizität nach Anthracyclintherapie und/oder Trastuzumab
Hämatome, Infektionen
Malposition, Dislokation oder Ruptur des Implantats
Kapselfibrose
Häufigste Komplikation nach Einlage von Expanderprothesen/Brustimplantaten
Teils schmerzhafte Verhärtung der physiologischerweise um das Implantat ausgebildeten Kapsel (Auftreten meist innerhalb von 3 Jahren nach Implantateinlage)
Therapie: Operative Revision
Entwicklung eines Endometriumkarzinoms nach Therapie mit selektiven Östrogenrezeptormodulatoren
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Mammakarzinom : Prognose ?
Gesamtüberleben
5-JÜR: 88% (♀)
10-JÜR: 82% (♀)
Lokal begrenztes Karzinom
5-JÜR: 90–100%
Faktoren, die bereits zu Therapiebeginn bekannt sind und den individuellen Krankheitsverlauf sowie das Gesamtüberleben unabhängig von der Therapie beeinflussen. Dazu gehören:
pTNM-Status (Tumorausbreitung (T), Lymphknotenstatus (N) und Fernmetastasierung (M))
Histologische Klassifikation
Histopathologisches Grading (G1–G3: gut, mäßig, schlecht differenziert)
Resektionsrandstatus (R)
Alter
Hormonrezeptorstatus (ER-/PR-Status)
HER2-Status
Proliferationsindex Ki-67
Peritumorale Lymphgefäßinvasion
Mammakarzinom : Besondere Patientengruppen ?
Das fernmetastasierte Mammakarzinom
Mammakarzinom des Mannes
Mammakarzinom in der Schwangerschaft
Mammakarzinom der älteren Patientin
Mammakarzinom : {Besondere Patientengruppen}
Das familiäre Mammakarzinom (BRCA1/2-Mutation) ?
Mutationen im BRCA1- oder BRCA2-Gen: Vererbung folgt autosomal-dominantem Erbgang
Erhöhtes Risiko v.a. für Mamma- und Ovarialkarzinome (aber auch für Pankreas-, Prostata-, Magen- und Kolonkarzinome)
Mammakarzinom
Bei etwa 5–10% aller Mammakarzinome nachweisbar
Lebenszeitrisiko: Ca. 60% (bzw. 40% für ein kontralaterales Mammakarzinom)
Erkrankungsalter: Im Schnitt 20 Jahre früher als Frauen ohne Mutation im BRCA1/2-Gen
Ovarialkarzinom: 16–55%iges Risiko an einem Ovarialkarzinom zu erkranken
Einschlusskriterien der genetischen Diagnostik bei Mamma- und Ovarialkarzinom (hohes Erkrankungsrisiko): In einer Linie der Familie mind.
3 Frauen mit Mammakarzinom
2 Frauen mit Mammakarzinom, wobei mind. eine Frau vor dem 51. Lebensjahr erkrankt sein muss
2 Frauen mit Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primärem Peritonealkarzinom
1 Frau mit Mamma- und Ovarialkarzinom
1 Frau mit Mammakarzinom und 1 Frau mit Ovarialkarzinom
1 Frau ≤35 Jahre mit Mammakarzinom
1 Frau ≤50 Jahre mit bilateralem Mammakarzinom
1 Frau mit Mamma- oder Ovarialkarzinom und 1 Mann mit Mammakarzinom
Bei Patient:innen mit triple-negativem Mammakarzinom ≤59 Jahre
1 Frau mit Ovarialkarzinom ≤79 Jahre
Prädiktive (vorhersagende) Testung bei bekannter Mutation eines Risikogens für Mamma- oder Ovarialkarzinome in der Familie
Bei Erfüllung der Kriterien → Genetische Testung und ggf. Anbindung an ein Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs
Durchführung der Testung: Molekulargenetische Blutuntersuchung, zunächst Durchführung bei Indexpatientin
Bei positivem Gentest: Intensiviertes Früherkennungsprogramm und ggf. weitere prophylaktische Maßnahmen
Bei negativem Gentest: Evaluation des persönlichen Risikos, ggf. dennoch intensivierte Früherkennungsmaßnahmen indiziert
Besonderheiten in der Prävention
Intensivierte Früherkennungsuntersuchungen
Mammografie jährlich oder halbjährlich ab 40 Jahren
MRT der Brust jährlich ab 25 Jahren
Ärztliche Tastuntersuchung und Sonografie der Brust alle 6 Monate ab 25 Jahren
Regelmäßige Brustselbstuntersuchung
Gesunde Patientinnen mit BRCA1- bzw. BRCA2-Mutation
Präventive bilaterale Mastektomie (PBM) kann erwogen werden, stellt jedoch eine Einzelfallentscheidung dar
Beidseitige laparoskopische Salpingo-Oophorektomie (Entfernung der Eierstöcke und Eileiter) empfohlen (i.d.R. um das 40. Lebensjahr, nach abgeschlossener Familienplanung und mit nachfolgender Hormonersatztherapie bis zum Alter von 50 Jahren)
Nachteil: U.a. großer Eingriff, frühzeitiges Einsetzen klimakterischer Beschwerden
Möglicher Vorteil: Vermutlich Risikoreduktion für das Auftreten eines Mammakarzinoms um ca. 50%
Therapeutische Besonderheiten
Operative und medikamentöse Therapie sollten entsprechend des sporadischen Mammakarzinoms erfolgen
Brusterhaltende Therapie (BET) und Mastektomie sind in ihrem Therapieerfolg als gleichwertig anzusehen
Das fernmetastasierte Mammakarzinom ?
Therapieansatz: I.d.R. palliativ
Therapieprinzip
Ansetzen an tumorspezifischen Targets (bspw. HER2/neu-Status, ER-/PR-Status)
Anpassung der Therapie an den individuellen Remissionsdruck
Für allgemeine Informationen zur Metastasierung siehe: Metastasierung des Mammakarzinoms
Die Therapieentscheidung sollte stets in einem interdisziplinären Tumorboard getroffen werden und ist vom Einzelfall abhängig!
Therapie von Knochenmetastasen bei Mammakarzinom
Operation + postoperative Radiatio: Methode der Wahl bei
Rückenmarkskompression und neurologischer Symptomatik
Stabilitätsgefährdenden Knochenmetastasen (mit oder ohne bereits eingetretener Fraktur)
Operative Therapie, ggf. mit anschließender Strahlentherapie
Pathologische Frakturen (insb. im Bereich der Extremitäten)
Rückenmarkskompression
Drohende Fraktur
Solitäre Spätmetastase
Strahlenresistente Osteolysen
Therapierefraktäre Schmerzen
Strahlentherapie: Remineralisierung des Knochens möglich (frühestens nach 3 Monaten)
Schmerzsymptomatik
Bewegungseinschränkung
Frakturgefahr (mit Stabilitätsminderung)
Nach operativer Stabilisierung
Stabile ossäre Metastasen (insb. ohne Myelonkompression)
Als Alternative bei Myelonkompression (ohne vorhergehende OP)
Systemtherapie: Bei stabilen ossären Metastasen (insb. ohne Myelonkompression)
Ggf. Korsettversorgung bei Wirbelkörperfrakturen
Medikamentöse Therapie mit Bisphosphonaten/Denosumab
Supportive analgetische Therapie
Ischämischer Schlaganfall : Abstract ?
(Zerebrale Ischämie, Ischämischer Insult, Hirninfarkt)
Beim Großteil aller Schlaganfälle handelt es sich um ischämische Schlaganfälle (Hirninfarkte).
Bei diesen kommt es zu einer akuten zerebralen Durchblutungsstörung (z.B. durch Stenosen) im arteriellen Stromgebiet.
Leitsymptome sind eine neu aufgetretene Hemiparese, Sprach- und Sehstörungen, wobei abhängig vom Ort der Läsion unterschiedlichste Beeinträchtigungen möglich sind.
Charakteristisch ist zudem das plötzliche Einsetzen der Symptome.
Wichtigstes diagnostisches Verfahren ist die kraniale CT, um eine ursächliche Blutung auszuschließen.
Anschließend ist beim ischämischen Schlaganfall die schnellstmögliche Rekanalisation zur Rettung des Gebietes relativer Ischämie anzustreben („Time is brain!“).
Die ebenfalls zu den Schlaganfällen zählende intrazerebrale Blutung und Subarachnoidalblutung werden in separaten Kapiteln behandelt.
Zum thrombotischen Verschluss venöser Hirngefäße bzw. der Hirnsinus siehe: Zerebrale Sinus- und Venenthrombose
Ischämischer Schlaganfall : Formen des Schlaganfalls ?
Es werden verschiedene Formen des Schlaganfalls unterschieden. Inhalt dieses Kapitels ist nur der ischämische Schlaganfall, andere Formen werden in separaten Kapiteln behandelt.
Ischämischer Schlaganfall (ca. 80–85% aller Schlaganfälle): Episode neurologischer Dysfunktion infolge einer fokalen Ischämie des ZNS
Hämorrhagischer Schlaganfall: Episode neurologischer Dysfunktion infolge einer
Intrazerebralen Blutung (ca. 10–15% aller Schlaganfälle): Einblutung in das Hirnparenchym
Subarachnoidalblutung (ca. 5% aller Schlaganfälle): Einblutung in den liquorgefüllten Subarachnoidalraum
Ischämischer Schlaganfall : Epidemiologie ?
Ca. 270.000 Schlaganfälle pro Jahr in Deutschland
Ca. 250/100.000 Einwohner/Jahr
Anteil ischämischer Schlaganfälle: 80–85%
Behinderung durch Schlaganfall: Ca. 700.000 Menschen in Deutschland
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ischämischer Schlaganfall : Ätiologie ?
Kardiale Embolien
Thromboembolie bei Vorhofflimmern
Paradoxe Embolie bei persistierendem Foramen ovale oder Atriumseptumdefekt (ASD) durch
Zusätzliche Fehlbildungen des Vorhofs, die zur Entstehung eines Vorhofembolus führen, insb. bei Vorhofseptumaneurysma
Embolisierung einer Phlebothrombose
Septische Embolien: Bei infektiöser Endokarditis
Atherosklerose
Durch die Pathomechanismen der Atherosklerose werden die hirnversorgenden Arterien geschädigt. Mögliche Folgen sind:
Makroangiopathie
Konsequenz: Arterioarterielle Embolie (z.B. an der Karotisgabel) , seltener hämodynamische Infarkte
Mikroangiopathie
Konsequenz: Lakunäre Ischämien
Dissektion eines hirnversorgenden Gefäßes
Karotis- und Vertebralisdissektion , seltener Dissektion intrazerebraler Arterien
Weitere Ursachen
Fettembolien und Luftembolien
Zerebrale Vaskulitis
Beeinflussbare Risikofaktoren
Arterielle Hypertonie
Vorhofflimmern
Bewegungsmangel
Adipositas
Stenose der A. carotis interna
Alkoholmissbrauch
Hyperlipidämie
Polyglobulie infolge myeloproliferativer Erkrankungen
Psychosoziale Belastungsfaktoren
Weitere kardiologische Erkrankungen mit Embolierisiko
Umstritten: Persistierendes Foramen Ovale (PFO)
Nicht-beeinflussbare Risikofaktoren
Männliches Geschlecht
Genetische Disposition
Die wichtigsten Risikofaktoren für den ischämischen Schlaganfall sind die arterielle Hypertonie und das Vorhofflimmern!
Ischämischer Schlaganfall : Klassifikation ?
Transitorische ischämische Attacke (TIA): Vorübergehende Episode neurologischer Dysfunktion infolge einer fokalen Ischämie des ZNS ohne Anhalt für zugrundeliegenden Infarkt
Kein Läsionsnachweis in diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen
Dauer meist einige Minuten, im Einzelfall länger möglich
Vielfältige Symptomatik, u.a. etwa Störung von Motorik, Sensibilität, Sprache, Koordination, Sehen (Amaurosis fugax)
Pathogenese: Vermutlich durch Ablösung von Mikroembolien aus Stenosen/Plaques der A. carotis interna
Schlaganfallrisiko nach TIA
90-Tage-Risiko für Schlaganfall nach TIA: Ca. 10%
Besonders starke Risikoerhöhung in ersten Tagen/Wochen nach TIA
Ischämischer Schlaganfall: Episode neurologischer Dysfunktion infolge eines fokalen Infarktes des ZNS (Gehirn, Retina, Rückenmark)
Minor Stroke: Schlaganfall mit gering ausgeprägter Symptomatik (etwa NIHSS <4 und ohne behindernde neurologische Defizite)
Progressive Stroke: Neurologische Defizite nehmen im Verlauf weiter zu (meist innerhalb von Stunden)
Eine TIA geht mit einem hohen Risiko für einen späteren ischämischen Schlaganfall einher – Diagnostik und Sekundärprophylaxe entsprechen der des ischämischen Schlaganfalls!
Territorialinfarkt
Oft großes, keilförmiges Infarktareal mit kortikaler und subkortikaler Ausdehnung
Ätiologie: Meist embolischer Verschluss oder Arteriosklerose einer größeren Arterie
Hämodynamisch-bedingte Infarkte
Ätiologie
Unzureichende Perfusion in Kapillargebieten durch einen Blutdruckabfall oder ein vermindertes Herzzeitvolumen
Grundlage ist meist eine schon bestehende regional eingeschränkte Perfusion (bspw. durch arteriosklerotische Gefäßverengung)
Durch die hämodynamische Verschlechterung (bspw. Blutdruckabfall oder Herz-Kreislauf-Stillstand nach Reanimation) kommt es zur kritischen Minderperfusion mit Gewebsuntergang
Subtypen
Endstrominfarkt: Infarkt in einem nicht durch Kollateralen versorgten Endstromgebiet einer Arterie, immer subkortikal, als „Ischämie der letzten Wiese“
Grenzzoneninfarkt: Infarkt an der Grenze von zwei arteriellen Stromgebieten, häufig fronto-parietal oder parieto-okzipital
Lakunäre Infarkte
Kleine subkortikale Infarkte (Durchmesser max. 1,5 cm), vereinzelt oder multipel (Status lacunaris)
Meist unterhalb des Kortex (subkortikal) oder im Bereich von Stammganglien, Thalamus und Hirnstamm lokalisiert
Ätiologie: Meist arteriosklerotische Veränderungen kleiner Arterien (Mikroangiopathie)
Ischämischer Schlaganfall : Symptome/Klinik ?
Leitsymptom des Schlaganfalls: Akutes fokal-neurologisches Defizit, d.h.
Neurologische Defizite, die sich einem bestimmten arteriellen Versorgungsgebiet zuordnen lassen
Klassisch: Hemiparese, Hemihypästhesie, Sprach- und Sehstörungen (z.B. verwaschene Artikulation, Wortfindungsstörungen oder plötzlich aufgetretene Hemianopsie)
Aber: Auch unspezifische Symptome möglich, bspw.
„Nur“ Bewusstseinseintrübung und Schwindel
Einseitig gesteigerte Muskeleigenreflexe
Plötzlicher Beginn (innerhalb von Sekunden)
Jedes plötzlich aufgetretene neurologische Defizit deutet auf einen Schlaganfall hin und muss als Notfall behandelt werden!
Hirninfarkte im Karotisstromgebiet
A. carotis interna: Meist Symptome des Mediainfarkts
Hauptäste der A. carotis interna
A. cerebri media (Mediainfarkt): Häufigste Infarktlokalisation
Kontralaterale brachiofaziale (d.h. arm- und gesichtsbetonte) sensomotorische Hemisymptomatik
Blickdeviation zum Herd („Der Kranke guckt den Herd an.“)
Dysarthrie
Aphasie, Apraxie (wenn die dominante Hemisphäre betroffen ist)
Hemineglect (wenn die nicht-dominante Hemisphäre betroffen ist): Extinktion eines Reizes auf der betroffenen Seite bei bilateraler Stimulation
Mögliches Residuum: Wernicke-Mann-Gangbild
A. cerebri anterior (Anteriorinfarkt): Selten
Kontralaterale, beinbetonte Hemiparese
Apraxie
Hirninfarkte im vertebrobasilären Stromgebiet
Vertebralisstromgebiet
A. vertebralis
Symptome eines Kleinhirninfarkts (siehe: Kleinhirnsymptome) bzw. Hirnstamminfarkts
A. inferior posterior cerebelli (PICA, größter Ast der A. vertebralis): Symptome eines Kleinhirnhemisphäreninfarkts
Ataxie (Extremitätenataxie >> Gang- und Standataxie), Schwindel, Nystagmus, Dysmetrie (siehe auch: Kleinhirnsymptome)
Basilarisstromgebiet
A. basilaris (Basilaristhrombose): Lebensbedrohlicher Notfall mit hoher Mortalität, unbehandelt ca. 80%!
Allgemeine Klinik
Typische Konstellation: Vigilanzminderung + Zeichen einer Hirnstammschädigung + schwere motorische Störung
Symptomatik je nach Höhe des Verschlusses
Unterformen
Distaler Verschluss
Okulomotorik- und Pupillenstörungen
Akute Bewusstseinsstörung bis zum Koma, ggf. auch delirante Symptomatik und Gedächtnisstörungen
Kortikale Blindheit
Mittlerer Verschluss
Tetraplegie/-parese
Locked-in-Syndrom möglich
Bewusstsein i.d.R. nicht beeinträchtigt
Proximaler Verschluss
Dysarthrie, Dysphagie (Ausfall kaudaler Hirnnerven (IX–XII))
Ataxie
Hemi- und Tetraplegie/-parese, Atemlähmung
Koma
A. inferior anterior cerebelli (AICA)
Ataxie, Dysarthrie, Schwindel, Übelkeit, Nystagmus (siehe auch: Kleinhirnsymptome)
Ipsilateral: Hirnnervenausfall VII (faziale Parese) und VIII (vestibulokochleäre Störung)
Ischämischer Schlaganfall : Diagnostik ?
(Fremd‑)Anamnese: Fokus auf
Symptomatik
Beginn (genauen Zeitpunkt erfragen)
Bestimmbarer Zeitpunkt: Ist der Patient im Thrombolysezeitfenster? (<4,5 h nach Symptombeginn)
Bei nicht bestimmbarem Zeitpunkt, z.B. beim sog. „Wake-up Stroke“ (= Symptombeginn während des Schlafs): Letzten erinnerlichen Zeitpunkt erfragen, an dem keine Symptome vorhanden waren („Last seen well“), dieser wird als Beginn angenommen
Verlauf
Ereignissituation/Auslöser
Medikamentenanamnese, insb. Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmer
Basisinformationen
Patientenalter
Mobilität vor Ereignis
Vorerkrankungen
Ggf. Patientenverfügung vorhanden
Bei Patienten im Thrombolysezeitfenster: Gewicht? Wesentliche Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie erfragen!
Fokussierte neurologische Untersuchung: Fokus auf fokal-neurologische Defizite
FAST (Neurologie): Als schnelles Screening (insb. in der Prähospitalphase)
F („Facial Expression“): (Meist einseitige) veränderte bzw. verminderte Mimik
A („Arm Weakness“): Unfähigkeit oder Schwierigkeit, einen Arm angehoben zu halten
S („Speech Difficulties“): Gestörtes Sprachverständnis oder Sprachproduktion
T („Time is Brain“): Bei Hinweisen auf einen Schlaganfall (= eines der 3 oberen Kriterien trifft zu) ist schnelles Handeln notwendig → Zügige Einweisung bzw. Bildgebung veranlassen!
Erheben des NIHSS
Grobe Einstufung des Behinderungsgrades, i.d.R. mithilfe der modifizierten Rankin-Skala
Erfassen besonderer Gefährdung
Symptome einer Basilaristhrombose?
Schluckstörung?
Hirndruckzeichen?
Ggf. ausgedehntere Untersuchung notwendig, z.B. bei unklarer Symptomatik
Bei V.a. auf Schlaganfall muss schnellstmöglich eine (CT‑)Bildgebung erfolgen!
Bei V.a. einen Schlaganfall muss für die anschließende Therapie herausgefunden werden, ob es sich um ein ischämisches oder um ein hämorrhagisches Ereignis handelt. Diese Unterscheidung ist am besten mit einem cCT möglich. Auch wenn sich ein ischämischer Infarkt erst nach einigen Stunden demarkiert, ist eine frische Blutung sofort zu identifizieren.
Die Bildgebung dient insb. dem Ausschluss einer intrazerebralen Blutung als Ursache der Defizite! Zeigt sich keine Blutung, wird von einer frischen Ischämie ausgegangen – und die entsprechende Notfalltherapie eingeleitet!
Die cCT ist die wichtigste Untersuchung bei V.a. Schlaganfall!
CT-Diagnostik
Nativ-cCT
Indikation: Alle Patienten mit akutem V.a. Schlaganfall
Ziele
Ausschluss einer Hirnblutung
Ggf. Nachweis ischämischer Frühzeichen
Befunde des ischämischen Schlaganfalls im Nativ-cCT
Zeit nach Symptombeginn
Typische Darstellung
2–6 Stunden
Ggf. Frühzeichen wie
Verstrichene Sulci
Verlust der Mark-Rinden-Grenze und unscharfe Abgrenzung grauer und weißer Substanz in Basalganglien und insulärem Kortex
Frühe Hypodensität
Hyperdenses Mediazeichen (bei Mediainfarkt)
12–24 Stunden
Zunehmende Demarkierung
Hypodensität im Infarktgebiet
Ggf. Ödembildung (insb. bei großen Infarkten) mit Kompression von Umgebungsstrukturen
Tag 10–18
Fogging-Phase
Passagere Nicht-Sichtbarkeit des Infarkts
Ab 3. Woche
Definitive Demarkierung
Bleibende Hypodensität im Infarktareal (liquorisodense Infarktnarbe)
Befunde einer intrazerebralen Blutung im Nativ-cCT
Darstellung im cCT: Nachweis der Blutung → Hyperdense Darstellung von frischem Blut (früher sichtbar als ischämischer Schlaganfall)
Akute Blutung: Hyperdense Raumforderung
Hyperakute Blutung: Hypodense Raumforderung (vor Eintreten der Blutkoagulation)
cMRT
In Akutsituation
Bei unklarem Zeitfenster (insb. bei Wake-up Strokes) oder Symptombeginn >4,5 h als Grundlage für eine revaskularisierende Therapie
Ggf. bei V.a. Infarkt im vertebrobasilären Stromgebiet
Im Verlauf
Zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen bei unklarer Klinik (sog. „Stroke Mimics“)
Zur Darstellung des Infarktmusters
Zusatznutzen
Frühere Darstellung von Infarktgewebe (DWI-MRT)
Einschätzung des Risikogewebes (Penumbra) durch Mismatch-Bildgebung möglich
Hohe Sensitivität auch bei kleinen und infratentoriellen Läsionen
Sequenzen der „Schlaganfall-MRT“
FLAIR („Fluid-Attenuated Inversion Recovery“): MRT-Sequenz, bei der durch einen zusätzlichen Impuls das Signal von Wasser unterdrückt wird, sodass andere Gewebe besser zur Darstellung kommen
Diffusions-MRT (= DWI-MRT, „Diffusion Weighted Imaging“) : Stellt das Areal des Gehirns dar, in dem die Diffusion eingeschränkt ist (also den „Infarkt-Kern“) → In diesem Areal sind bereits alle Zellen irreversibel geschädigt
Perfusions-MRT (= PWI-MRT, „Perfusion Weighted Imaging“): Stellt das Areal des Gehirns dar, in dem die Durchblutung eingeschränkt ist → In diesem Gebiet sind die Nervenzellen zum Teil bereits irreversibel, zum Teil aber auch noch reversibel geschädigt
Blutungssensitive Sequenz (Meist T2*-gewichtete Gradientenechosequenz)
MR-Angiografie: Stellt das Gefäßsystem dar und kann extra- und intrakranielle Gefäßstenosen zeigen
Darstellung von Infarktarealen in der MRT
T2-Wichtung: Hyperintens
T1-Wichtung: Hypointens
Perfusions-Diffusions-Mismatch (PWI-DWI-Mismatch, „Penumbra Imaging“)
Ziel: Abschätzung der Penumbra
Auswertung
Die Diskrepanz (= Mismatch) von Perfusions- und Diffusions-MRT entspricht in etwa der Penumbra
Je größer das Mismatch, desto mehr Gewebe könnte prinzipiell durch eine Thrombolysetherapie bzw. mechanische Thrombektomie gerettet werden
Basis-Labordiagnostik bei Schlaganfall
Lumbalpunktion: Bei V.a. SAB ohne Blutungsnachweis im CT
EKG
Im Rahmen des Monitorings in der Akutphase
Nachfolgend ggf. Langzeit-EKG
Echokardiografie (vorzugsweise als TEE): Zur Suche einer Emboliequelle, insb. kardiale Thromben oder PFO
Darstellung der hirnversorgenden Arterien, i.d.R. durch Doppler-Sonografie: Stenosen, Verschlüsse, Dissektionen, bei V.a. Vaskulitiden und fibromuskuläre Dysplasie
Ischämischer Schlaganfall : {Diagnostik} Übersicht klinisch wichtiger Skalen und Scores ?
Ziel: Standardisierte und zeitsparende Beurteilung der Schwere neurologischer Defizite beim Schlaganfall
Anwendung bspw im Rahmen von
Akutphase (Objektivierung der Defizite, insb. durch regelmäßige Testung auf der Stroke Unit)
Verlaufsbeurteilung
Prognostischer Abschätzung
Klinischen Studien
NIHSS: Tabellarische Übersicht
Funktionsbereiche/Items
Abstufung
1A: Vigilanz
Vigilanz testen
1B: Orientierung
Frage nach Monat und Alter
1C: Befolgung von Aufforderungen
Aufforderung, die Augen und die Faust zu schließen
2: Blickparese
Aufforderung, dem Finger des Untersuchers zu folgen
3: Gesichtsfeld
Grobe Gesichtsfeld-Perimetrie
4: Faziale Parese
Mimik prüfen
5 A+B: Armparese
Aufforderung, den Arm anzuheben (rechts und links getrennt testen!)
6 A+B: Beinparese
Aufforderung, das Bein anzuheben (rechts und links getrennt testen!)
7: Extremitätenataxie
Aufforderung zum Finger-Nase-Versuch und Knie-Hacke-Versuch
8: Hemihypästhesie
Testen von Berührungsempfinden und Schmerz an beiden Körperhälften
9: Aphasie
Sprache beobachten, ggf. Gegenstände benennen lassen
10: Dysarthrie
Sprache beobachten, ggf. Wortliste lesen lassen
11: Neglect
Auslöschungs- und Vernachlässigungsphänomene prüfen
Ziel: Grobe Einschätzung des Behinderungsgrades nach Schlaganfall
Durchführung/Auswertung
Zuordnung eines Punktwertes von 0–6, je nach Behinderungsgrad
Je höher der Punktwert, desto schwerer die Beeinträchtigung
Anwendungsbereiche: Insb. zur Verlaufsbeurteilung oder für Outcome-Studien
mRS: Tabellarische Übersicht
Punktwert
Behinderungsgrad
Keine Behinderung, keine Symptomatik
Überhaupt keine Symptome
1
Keine signifikante Behinderung trotz Symptomatik
Kann sich eigenständig versorgen
2
Leichte Behinderung
Braucht in einzelnen Bereichen wenig Hilfe
Fast selbstständige Versorgung
3
Mäßige Behinderung
Braucht Hilfe in mehreren Bereichen
Weitgehend selbstständige Versorgung
Gehen noch ohne Hilfe
4
Schwere Behinderung
Braucht Hilfe bei Aktivitäten des tägl. Lebens
Keine selbstständige Versorgung möglich
Gehen nur mit Hilfe
5
Sehr schwere Behinderung
Ständige Hilfe und Überwachung notwendig
Bettlägerigkeit
Inkontinenz
6
Tod
–
Ziel: Standardisierte Erfassung des Behandlungserfolges nach Rekanalisierung
Durchführung/Auswertung: Einstufung der Perfusion des zuvor verschlossenen Gefäßes anhand von angiografischer Bildgebung
TICI: Tabellarische Übersicht
Grad
Perfusion nach Rekanalisation
Keine
Fluss distal des Verschlusses vorhanden, aber mit inkompletter Füllung
a
Antegrader Fluss und <50% Perfusion des Territoriums
b
Antegrader Fluss und >50% Perfusion des Territoriums
c
Antegrader Fluss mit fast kompletter Perfusion des Territoriums, aber langsamem Fluss oder kleinen Embolien
Komplette Perfusion aller distalen Äste
Interpretation: TICI 2b/3 oder höher entspricht erfolgreicher Rekanalisation
Scores zur primären Risikoabschätzung
ACC/AHA CV Risk Calculator (2013)
Scores zur Erfassung der Pflegebedürftigkeit
Barthel-Index
Frühreha-Barthel-Index
Scores zur Antikoagulation bei TIA-/Schlaganfall-Patienten mit nachgewiesenem Vorhofflimmern
CHA2DS2VASc-Score
HAS-BLED-Score
Ischämischer Schlaganfall : Pathologie ?
Verlauf und Histologie
Initiale Nekrose und Demarkation (0–5 Tage) mit ödematöser Erweichung und Auflockerung; sichtbare Abgrenzung zu vitalem Gewebe
Resorptionsphase (ab 5. Tag) mit kleinzystischem Zerfließen; Einwanderung von Makrophagen mit lipidgefüllten Vakuolen im Zytoplasma
Organisationsphase (ab 1.–8. Woche) mit Kapillarproliferation, Ausbildung eines zystischen Parenchymdefektes, reaktive Gliose im Randbereich
Bedeutung: Hypoxiebedingter, selektiver Untergang von einzelnen Nervenzellen bei erhaltenem umliegenden Gewebe
Vorkommen: Hypoxische/ischämische Schädigung des Hirns mit anschließender Reperfusion (inkomplette Ischämie) z.B. durch passageren Herz-Kreislauf-Stillstand; Epilepsie (Ammonshornsklerose)
Gliazellen und Gefäße bleiben erhalten; Deckung des Defekts durch Astrogliavermehrung
Laminäre oder pseudolaminäre Schichtung möglich
Makroskopisches Abblassen der geschädigten Schichten durch verminderte Anfärbbarkeit
Ischämischer Schlaganfall : Therapie ?
Die wichtigsten Ziele sind:
Prähospital: Schnellstmögliche stationäre Aufnahme
Im Krankenhaus: Zügige diagnostische Abklärung und Einleitung der Akuttherapie mit Reperfusion minderperfundierter Areale
Siehe: Schlaganfall - Akuttherapie im Krankenhaus
Auf der Stroke Unit
Therapie/Vermeidung von Komplikationen (siehe: Frühversorgung auf der Stroke Unit)
Etablierung einer Sekundärprophylaxe (siehe: Prävention bei Schlaganfall)
Transport in Krankenhaus mit Stroke Unit
Bedarfsgerechte Sicherung/Stabilisierung der Vitalfunktionen
Bei schwerer Symptomatik: Gabe von 2–4 L Sauerstoff über eine Nasensonde
Arterielle Hypertonie i.d.R. tolerieren, da Perfusion der Penumbra direkt vom mittleren arteriellen Druck (MAP) abhängt
Ischämischer Schlaganfall : {Therapie} Akuttherapie im Krankenhaus ?
Bei Eintreffen des Patienten mit V.a. Schlaganfall/TIA im Krankenhaus steht nach Diagnosesicherung und Blutungsausschluss im cCT oder MRT die Entscheidung an, ob eine rekanalisierende Therapie möglich ist.
Ziel: Reperfusion minderperfundierter Areale (sog. Penumbra oder „Tissue At Risk“ ), da hier der Zelluntergang noch verhindert werden kann („Time is brain!“).
Thrombolysetherapie und/oder
Mechanische Thrombektomie
Thrombolysetherapie bei Schlaganfall
Wirkprinzip: Gabe von Alteplase → Aktivierung von Plasminogen → Bildung von Plasmin → Auflösung von Fibrin im Thrombus → Thrombolyse → Reperfusion vormals verschlossener Gefäße
Wirkstoff: Alteplase (=rt-PA, rekombinanter gewebespezifischer Plasminogenaktivator)
Indikation: Ischämischer Schlaganfall innerhalb von 4,5 h nach Symptombeginn („Thrombolysezeitfenster“)
Schnellstmögliche Durchführung!
Keine obere Altersgrenze
Kontraindikationen für eine Thrombolysetherapie bei Schlaganfall: Insb. bei erhöhtem Blutungsrisiko (Auswahl)
Aktive oder anamnestisch stattgehabte intrazerebrale Blutung
Gerinnungsparameter: Thrombozyten <100.000/μL, INR >1,7, Quick <50%
Erkrankungen mit erhöhtem Blutungsrisiko (Malignom, akute Pankreatitis, Ösophagusvarizen)
Gewebedefekte: OP oder Trauma innerhalb der letzten zwei Wochen, nicht-komprimierbare Punktionen (Organ-, Gefäß- oder Lumbalpunktion) innerhalb der letzten Woche
Schwangerschaft/Entbindung/Wochenbett
Nicht kontrollierbare arterielle Hypertonie >185/110 mmHg
Bakterielle Endokarditis
Blutungen (insb. intrakraniell)
Orolinguales Angioödem mit Gefahr der Atemwegsverlegung
Nach Thrombolysetherapie
Erneute cCT-Untersuchung 24 h nach Thrombolysetherapie (Kontroll-CT zum Blutungsausschluss)
Danach Beginn einer antithrombozytären Therapie bzw. Antikoagulation in Abhängigkeit von Kontroll-CT, Klinik und ätiopathogenetischen Erwägungen
Interventionelle Therapie des Schlaganfalls (mechanische Thrombektomie)
Akuter Verschluss der großen hirnversorgenden Gefäße des vorderen Kreislaufs (distale A. carotis interna, M1-Abschnitt der A. cerebri media)
Bis 6 h nach Symptombeginn, im Einzelfall auch darüber hinaus
Zusätzlich bei Symptombeginn vor <4,5 h: Vorherige intravenöse Thrombolysetherapie (falls nicht kontraindiziert)
Auch bei relativ geringen Symptomen (NIHSS <5) sinnvoll
Akuter Verschluss der A. basilaris
Keine definierte zeitliche Obergrenze
Zusätzlich intravenöse Thrombolysetherapie (falls nicht kontraindiziert)
Prozedere
Nicht-invasive Gefäßdarstellung (CT-Angiografie, MR-Angiografie) bei potenziell geeigneten Patienten für interventionelle Therapie → Darstellung des Hauptstammverschlusses
Darstellung des Perfusions-Diffusions-Mismatch (PWI-DWI-Mismatch)
Innerhalb des 4,5-Stunden-Zeitfensters: Vorab zusätzlich intravenöse Thrombolysetherapie mit rt-PA (bei fehlenden Kontraindikationen)
Ein Wirkungseintritt sollte nicht abgewartet werden, da dies die mechanische Thrombektomie verzögert
Falls notwendig, notfallmäßige Verlegung in Zentrum mit endovaskulärer Therapiemöglichkeit („drip-and-ship“-Strategie)
Mechanische Thrombektomie mittels Stent Retriever
Nur 5–10% aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall kommen für eine interventionelle Therapie infrage!
Ischämischer Schlaganfall : {Therapie} Frühversorgung auf der Stroke Unit ?
Die Versorgung in der Frühphase nach Schlaganfall dient der Vermeidung von Rezidiven und sekundären Komplikationen. Sie sollte auf einer Stroke Unit (Schlaganfall-Station) erfolgen.
Stroke-Unit-Konzept
Definition: Neurologische Stationen, die auf die Therapie von Schlaganfall-Patienten spezialisiert sind
Bestandteile: Strukturiertes Initialmanagement mit hohen diagnostischen und therapeutischen Qualitätsstandards
Monitoring: Beginn unmittelbar nach stationärer Aufnahme
Kontinuierliches Monitoring der Vitalparameter: EKG, Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung
Regelmäßige Kontrolle
Neurologischer Befund
Temperatur und Blutzucker
Infektparameter (→ Antibiotische Behandlung bakterieller Infektionen, keine antibiotische Prophylaxe)
Dysphagie-Screening („Schluckversuch“) vor erster oraler Kost
Neuroprotektive Basismaßnahmen bei ischämischem Schlaganfall/TIA
Blutdruckmanagement
Antihypertensive Therapie nur bei Überschreitung kritischer Blutdruckgrenzen
In den ersten Tagen nach Schlaganfall leichte Hypertonie anstreben
Schnelle und drastische Blutdrucksenkung vermeiden!
Aber: Konsequente Therapie hypotoner Blutdruckwerte
Zielwerte: 180/100 mmHg für bekannte Hypertoniker bzw. 160/90 mmHg für Nicht-Hypertoniker
Korrektur: ab ≥220/120 mmHg, bei Bestehen einer Thrombolysetherapie oder bei intrakranieller Blutung schon ab >140/90 mmHg
Blutzuckermanagement: Vermeidung schwerer Hyperglykämien
Korrektur: Ab ≥200 mg/dL, i.d.R. mit Alt-Insulin
Fiebersenkung mit dem Ziel der Normothermie (<37,5 °C)
Ausgleich von Elektrolytstörungen
Erwägung einer nasogastralen Sonde zur Ernährung
Thromboseprophylaxe
Supportiv
Frühmobilisation und ausreichende Volumentherapie
Frührehabilitative Behandlung: Hierbei handelt es sich um eine Rehabilitationsmaßnahme, die bereits während der akutmedizinischen Behandlung einsetzt (u.a. physio- und ergotherapeutische sowie logopädische Maßnahmen)
Rehabilitation bspw. nach dem Bobath-Konzept
Bei akutem ischämischem Apoplex soll eine medikamentöse Blutdrucksenkung in der Regel nicht erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme 2)
Frühe Sekundärprophylaxe nach ischämischem Schlaganfall beginnen (siehe Prävention)!
Ischämischer Schlaganfall : Komplikationen ?
Intrakranielle Druckerhöhungen können nach einem ischämischen Infarkt auf dem Boden einer sekundären Blutung und/oder der Entwicklung eines Hirnödems auftreten.
Maligner Media-Infarkt
Definition: Ausgedehnte Ischämie im Stromgebiet der A. cerebri media mit Entwicklung eines Hirnödems und daraus resultierender Kompression der Seitenventrikel und Mittellinienverlagerung
Klinik: Hirndruckzeichen zusätzlich zu Symptomen des Mediainfarkts
Operative Hirndrucksenkung: Dekompressive Hemikraniektomie, evtl. mit anschließender Hypothermie
Konservative Hirndrucksenkung: Nur bei Kontraindikation/Ablehnung der Hemikraniektomie
Häufigkeit
Ca. 30–50% aller Patienten mit Schlaganfall
Pharmakotherapie der 1. Wahl: SSRI
Ischämischer Schlaganfall : Prävention ?
Optimale Einstellung der Grundkrankheiten bzw. Beseitigung der veränderbaren Risikofaktoren (siehe auch: Prävention der Atherosklerose)
Blutzuckereinstellung
Blutdruckeinstellung
Nikotinverzicht
Risikoadaptierte LDL-Cholesterineinstellung mit Statinen
Ggf. Gewichtsreduktion
Regelmäßig Sport treiben
Bei Vorhofflimmern: Ggf. Antikoagulation und/oder Kardioversion (für detaillierte Informationen siehe: Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern)
Vermeidung eines hohen Alkoholkonsums (>40 g täglich)
Schlaganfallpatienten OHNE Vorhofflimmern: Frühe Rezidivprophylaxe mit einfacher Thrombozytenaggregationshemmung (ASS oder bei Unverträglichkeit Clopidogrel) innerhalb von 48 h nach Ereignis
Schlaganfallpatienten MIT Vorhofflimmern
Therapeutische Antikoagulation mit DOAK oder Cumarinen
Keine zusätzliche Gabe von ASS oder Clopidogrel (Ausnahme: Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung nach frischer PCI)
Siehe auch: Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern
Weitere Empfehlungen
Behandlung mit Statinen
Blutdruckeinstellung mit Zielkorridor von 120/70–140/90 mmHg
Siehe auch: Therapie atherosklerotisch bedingter Erkrankungen
Ischämischen Schlaganfällen liegen i.d.R. kardiologische Grunderkrankungen (insb. Atherosklerose und Vorhofflimmern) zugrunde. Die (Sekundär‑)Prophylaxe muss daher immer die optimale Einstellung dieser internistischen Erkrankungen einschließen!
Symptomatische Karotisstenose: Bei einem Stenosierungsgrad >50% nach NASCET-Standard wird eine zeitnahe operative Versorgung empfohlen (meist mittels Thrombendarteriektomie)
Asymptomatische Karotisstenose: Bei einer Stenosierung von >60% ist eine Thrombendarteriektomie indiziert, wenn die Summe von Mortalität und Morbidität der Behandlung <3% (bezogen auf 30 Tage) und die Lebenserwartung >5 Jahre beträgt – Männer haben einen größeren Benefit von dem Eingriff als Frauen
In Stadium IV der zerebrovaskulären Insuffizienz und bei gleichzeitiger kontralateraler Karotisstenose (symptomatisch oder asymptomatisch): Indikation zur Operation zur Vorbeugung eines erneuten Schlaganfalls
Die Bestimmung des Stenosegrades bei Veränderungen der Arteria carotis soll mit der farbkodierten Duplex-Sonografie (FKDS) erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Angiologie)
Zuletzt geändertvor 2 Jahren