Fallstudie 1: Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis; Suspendierung
A fährt jeden Morgen relativ früh (6.45 Uhr) von zu Hause los, um seine um 8:00 Uhr beginnende Arbeit anzutreten. Normalerweise benötigt er für die Strecke je nach Verkehrslage 45-60 Minuten. Angesichts der stets katastrophalen Verkehrsverhält-nisse in der morgendlichen „rush hour“ zieht A es vor, etwas früher aufzustehen. Er sitzt lieber eine halbe Stunde eher im Büro als im Stau. Am Donnerstag, dem 08. Ju-ni, „geht“ leider „nichts mehr“. Neben dem üblichen Stau ist wegen plötzlichen Hoch-wassers seine übliche Strecke gesperrt und A muss einer hochwasserbedingten weiträumigen Umleitung folgen. Als A genervt im Büro eintrifft, ist es 11:30 Uhr.
Meinen Sie, dass A die dem Arbeitgeber entgangene Arbeitsleistung nachholen muss, oder dass er von seiner Arbeitspflicht für den Zeitraum von dreieinhalb Stunden frei ge-worden ist? Was gilt für die Gegenleistung (Vergütungszahlung) des Arbeitgebers?
Grundsatz: kein Lohn ohne Arbeit
Lehre vom Wegerisiko, dieses trägt grds. der AN. Er kann keinen Lohn fordern!]
hier: plötzlichen Hochwassers mit hochwasserbedingten weiträumigen Umleitung
Da A wegen der Umleitung nicht den direkten Weg nutzen konnte, war es ihm unmöglich, seine Arbeit pünktlich anzutreten, so dass er von seiner Leistungs- bzw. Arbeitspflicht frei geworden ist.
Etwas anderes würde gelten, wenn der AN aus persönlichen Gründen verhindert ist, z.B.:
schwere Krankheit eines nahen Angehörigen, Niederkunft der Ehefrau, Tod o. Erkran-kung des Ehepartners o. Kindes, die Ablegung von Prüfungen, eine gerichtliche La-dung, Wohnungsbrand, Wahrnehmung gewerkschaftlicher Pflichten, …. In der Regel sind nur wenige Tage gedeckt. Grund darf sich nicht auf einen größeren Personen-kreis erstrecken
Bei Verkehrsstau, Eisglätte, Schneeverwehungen, Naturkatastrophen, politischen Un-ruhen liegen die Gründe für das Arbeitshinderniss nicht in der Person des AN selbst, sondern erstrecken sich auf einen größeren Personenkreis.
Für die Zeit zwischen 8:00-11:30 Uhr hat A in diesem Fallbeispiel keinen Vergütungsan-spruch, der AG ist von seiner Lohnzahlungspflicht befreit. Hier: Aufhebung der gegenseitigen Rechte und Pflichten aus Arbeitsvertrag.
Geselle Paul, seit vielen Jahren bei der Fa. Roth beschäftigt, hatte vom 02.-30.01 2012 Urlaub von 4 Wochen erhalten. Da er dabei einen Arbeitgeber kennenlernte, der ihm mehr Lohn versprach, erklärte er mit dem am selbigen Tag übergebenen Schreiben vom 01.02.2012 die Kündigung seines bisherigen Arbeitsvertrages. (Hin-weis: 2012 war ein Schaltjahr!)
Der bisherige Arbeitgeber, Meister Roth, Inhaber des Betriebes, ist enttäuscht und fragt, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung endet.
Weiterhin will er wissen, ob er bereits gewährten Urlaub, namentlich Urlaubsentgelt, zurückverlangen könne.
Für die Kündigung des AN ist eine Frist von 4 Wochen zum 15. oder Letzten des Monats ge-geben. Da die Kündigung am 01. Februar übergeben wurde und da 2012 ein Schaltjahr war, wirkt die fristgerechte Kündigung zum 29. Februar.
Ein Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Urlaubsentgelts be-steht nicht. Die richtige Berechnung des Urlaubsentgelts obliegt ihm.
Der AG kündigt das Arbeitsverhältnis seines AN am 23.03. mit der ordentlichen Kün-digungsfrist von einem Monat zum 30.04. Das Arbeitsverhältnis besteht schon länger als fünf Jahre.
Wann endet nun das Arbeitsverhältnis?
Der AG kündigt das Arbeitsverhältnis seines AN am 23.3. mit der ordentlichen Kündigungs-frist von einem Monat zum 30.4. Weil das Arbeitsverhältnis aber schon länger als fünf Jahre besteht, ist eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende maßgeblich. Das Ar-beitsverhältnis endet deshalb erst am 31.5., wenn der AN gegen die Kündigung Klage erhebt.
Ein Architekt möchte einem seiner angestellten Bauzeichner kündigen, der seit dem Jahr 2005 nunmehr acht Jahre in seinem Architekturbüro beschäftigt ist. Er ist sich unsicher, ob er einen allgemeinen Kündigungsschutz des Bauzeichners berücksich-tigen muss. Insgesamt beschäftigt er folgende AN:
Architekt (Firmeninhaber)
=
Architekt in Vollzeit (40 Std.)
Architekt in Teilzeit (32 Std.)
Architekt in Teilzeit (30 Std.)
Bauzeichner in Vollzeit (40 Std.)
Bauzeichner in Teilzeit (25 Std.)
Statiker in Teilzeit (24 Std)
Statiker in Teilzeit 20 Std.)
Sekretärin in Vollzeit (38 Std.)
Sekretärin in Teilzeit (28 Std.)
Büroangestellte in Teilzeit (16 Std.)
Bürobote (400,-Euro Job, < 20 Std.)
Reinigungskraft (400,- Euro Job, < 20 Std)
Mitarbeitende Ehefrau (10 Std.)
Auszubildender Bauzeichner
Praktikant, unbezahlt
Gesamt
Fällt der Bauzeichner unter den Schutz des KSchG?
=0
=1,0
=0,75
=0,5
10,5
Es sind mehr als 10 AN im Betrieb beschäftigt, so dass der Bauzeichner unter den Schutz des KSchG fällt. Der Architekt kann eine Kündigung nur dann aussprechen, wenn sie sozial gerechtfertigt ist, d.h. einer der gesetzlich geregelten Kündigungsgründe vorliegt
Ein AN befindet sich auf einer vierwöchigen Urlaubsreise. Bei seiner Rückkehr findet er zu Hause in seinem Briefkasten die schriftliche Kündigung des AG vor, die dort unstreitig an seinem ersten Urlaubstag eingeworfen worden war.
Was kann er gegen diese Kündigung tun?
Die 3-Wochen-Frist ist verstrichen, da die Kündigung am ersten Urlaubstag, also vor mehr als drei Wochen zuging. Da indessen der AN von der Existenz der Kündigung nichts wusste, er also nicht in der Lage war, rechtzeitig Klage zu erheben und da er insoweit Sorgfaltspflich-ten mangels Kenntnis nicht missachten konnte, kann er die nachträgliche Zulassung der Klage bei gleichzeitiger Klageerhebung beantragen. Er hat dabei eine weitere Frist von zwei Wochen ab Kenntnis zu beachten.
Ein AN mit einer 5-Tage Woche (Mo-Fr) erkrankt.
Wann hat er grundsätzlich seine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) vor-zulegen?
Der AN ist verpflichtet, dem AG die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dies geschieht in der Regel telefonisch, indem der AN am ersten Krankheitstag, möglichst zum eigentlichen Arbeitsbeginn, den AG unterrichtet.
Dauert die AU länger als drei Tage, hat der AN eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) vorzulegen. (…dem auf die drei Kalendertage folgenden ersten AT).
Geselle Fleiß, 55 Jahre alt und seit seiner Ausbildung in der Schreinerei Holz be-schäftigt, ist seit 5 Jahren Schwerbehinderter (Ausweis vorhanden), wovon er aber aus Scham dem Inhaber Holz nie etwas berichtet hat. Aufgrund eines Terminauftrags macht Holz Druck: Er verlangt Mehrarbeit von seinen Mitarbeitern, die von Mo-Fr 11 Stunden und am Sa-Vormittag 4 Stunden arbeiten sollen. Fleiß kann und will nicht mehr. Er outet sich als Schwerbehinderter, lehnt die geforderte Mehrarbeit ab und verlangt für die zurückliegenden 5 Jahre den offenen Zusatzurlaub von 5 Wochen.
Holz fragt, ob er die Mehrarbeit verlangen kann und ob er den zusätzlichen Urlaub ge-währen muss.
A. Mehrarbeit
Das verlangte Volumen von Mehrarbeit ist rechtswidrig, da er nach § 3 ArbZG die werktägli-che Arbeitszeit 8 Stunden und im Ausnahmefall 10 Stunden nicht überschreiten darf. Schon alleine deshalb ist Fleiß nicht verpflichtet, die geforderte Mehrarbeit zu leisten. Hinzu kommt, dass Schwerbehinderte nach § 124 SGB IX verlangen können, von Mehrarbeit frei-gestellt zu werden.
B. Zusatzurlaub
Nach § 125 SGB IX hat Fleiß Anspruch auf zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen je Urlaubs-jahr, da er schwerbehindert ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber Holz bislang davon keine Kenntnis hatte.
Das Verlangen von Fleiß jedoch, den Zusatzurlaub für die zurückliegenden 5 Jahre zu erhal-ten, ist ohne Anspruchsgrundlage. Der Anspruch auf Zusatzurlaub erlischt, sofern er noch nicht genommen wird, mit Jahresende zum 31.12.
Ergebnis: Für Fleiß bedeutet dies, dass mit Ausnahme des laufenden Jahres die Ansprüche aus den ersten 4 Jahren erloschen sind und somit nicht mehr eingefordert werden können
Ein Zimmermann, seit 2 Jahren beschäftigt, hat sich als Amateurfußballer im Früh-jahr bei einem Fußballturnier den rechten Fußknöchel gebrochen, weshalb er 4 Wo-chen arbeitsunfähig war. Im Sommer dieses Jahres erleidet er beim Einsatz für seine Mannschaft eine schwerwiegende „Oberschenkelzerrung im linken Bein“. Er ist des-wegen vom 15. August bis 12. September (4 Wochen lang) arbeitsunfähig. Nachdem er am 13. September die Arbeit wieder aufgenommen hat, erleidet er am 15. Sep-tember einen Verkehrsunfall, weshalb er für 4 Wochen bis 13. Oktober arbeitsunfähig ist. Am 12. Oktober diagnostiziert sein behandelnder Arzt eine Lungenentzündung, wegen der er bis 9. November (weitere 4 Wochen) arbeitsunfähig ist. Der Inhaber des Unternehmens, dem Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stets ordnungsgemäß vorgelegt wurden, fragt entsetzt, ob er tatsächlich für insgesamt 16 Wochen in diesem Jahr Krankenvergütung zahlen muss?
Feststellung: alle Arbeitsunfähigkeitszeiten beruhen auf unterschiedlichen Krankheitsursa-chen, weshalb grundsätzlich für die Zeiten „Fußknöchel“, „Oberschenkelzerrung“ und „Ver-kehrsunfall“ Arbeitsentgelt im Krankheitsfall zu bezahlen ist (Umkehrschluss aus § 3 I 2 EntgfzG: Nur bei „derselben“ Krankheit ist die Krankenvergütung auf 6 Wochen begrenzt).
Allerdings ist die Krankheit „Lungenentzündung“ während der Zeit „Verkehrsunfall“ eingetre-ten, so dass durch sie keine erneute Pflicht zur Entgeltfortzahlung ausgelöst wird. Vielmehr wird die Arbeitsunfähigkeitszeit aufgrund „Verkehrsunfall“ auf insgesamt 6 Wochen verlän-gert.
Ergebnis: Die Vergütungspflicht wegen Krankheit endet somit nach insgesamt 14 Wochen.
Arbeitgeber und Betriebsrat regelten in der Ordnung einer betrieblichen Altersversor-gung u.a., dass Mitarbeiter, die länger als 15 Jahre beschäftigt sind, Anspruch auf eine betriebliche Rente, dass jedoch diejenigen, die in den letzten 5 Jahren vor Ein-tritt des Versorgungsfalles nicht mehr als 20 Stunden je Woche arbeiten, keinen An-spruch haben.
Eine Mitarbeiterin, seit über 20 Jahren, jedoch in den letzten 6 Jahren in Teilzeit mit 18 Stunden je Woche beschäftigt, wird unter Berufung auf diese Regelung die Be-triebsrente versagt. Sie klagt auf entsprechende Leistung. Mit Erfolg?
Anspruchsgrundlage ist hier die gemäß § 77 BetrVG geschlossene Betriebsvereinbarung zwi-schen Arbeitgeber und Betriebsrat. Diese unterliegt nach § 87 I Nr. 8 BetrVG dem Mitbe-stimmungsrecht des Betriebsrats. Eindeutig wurde darin geregelt, dass diejenigen AN, die nicht zum betrieblichen Erfolg beitragen, keine zusätzlichen Leistungen erhalten. Eine Rege-lung, die zunächst nachvollziehbar erscheint.
Allerdings hat mittlerweile der EuGH festgestellt, dass weit überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten, weshalb die auf den ersten Blick neutrale Regelung der Betriebsvereinbarung als „…mittelbare geschlechtsspezifische Diskriminierung“ zu bewerten ist.
Ergebnis: Die Betriebsrente muss an die Klägerin geleistet werden.
Kündigungfristen ?
Ordentliche Kündigungsfristen (§ 622, 1+2 BGB)
unter 2 J. 4 Wochen zum 15. oder zum Monatsende
ab 2 J. 1 Monat
ab 5 J. 2 Monate
ab 8 J. 3 Monate
ab 10 J. 4 Monate
ab 12 J. 5 Monate
ab 15 J. 6 Monate
ab 20 J. 7 M.
Zuletzt geändertvor 2 Jahren