Psychologische Diagnostik (Definition)
„Psychologische Diagnostik […]
dient der Beantwortung von Fragestellungen, die sich auf die Beschreibung, Klassifikation, Erklärung oder Vorhersage menschlichen Verhaltens und Erlebens beziehen.
erhobene Informationen werden für die Beantwortung der Fragestellung interpretiert
Das diagnostische Handeln wird von psychologischem Wissen geleitet.
Verwendung von Methoden, die wissenschaftlichen Standards genügen.“
Diagnostischer Prozess (Definition)
„Als diagnostischer Prozess wird die Abfolge von Maßnahmen zur Gewinnung diagnostisch relevanter Informationen und deren Integration zur Beantwortung einer Fragestellung bezeichnet.“
Psychologisches Gutachten (Definition)
„Ein psychologisches Gutachten
dokumentiert ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen und
beantwortet eine von einer Auftraggeberin /einem Auftraggeber vorgegebene Fragestellung
Im Gutachten werden dieser Prozess und die Beantwortung der Fragestellung nachvollziehbar dargestellt.“
Häufige Kontexte
Familienpsychologische Gutachten (Fragen zum Kindeswohl)
Rechtspsychologische Gutachten (Kriminalprognose, Glaubwürdigkeit von Zeug:innen)
Verkehrspsychologische Gutachten (“Idiot:innentest”)
Neuro-psychologische Begutachtung (Berufliche Wiedereingliederung nach Unfall)
Potenzialanalyse für (angehende) Führungskräfte
= Lebensbereichen, in denen wichtige Entscheidungen von und für Menschen getroffen werden, die DOKUMENTIERT werden sollen, deren Klärung in den EXPERTISEBEREICH VON PSYCHOLOG:INNEN fällt
Anforderungen an Gutachter:in
Fachliche Kompetenz
Vorliegen formaler Qualifikationen
Unbefangenheit
Anforderung an Gutachtenprozess
Qualität des gutachterlichen Handelns und Schlussfolgerns
Wissenschaftliche Fundierung des Vorgehens
Anforderungen an Gutachten
Qualität der Abfassung des schriftlichen Gutachtens
Transparenz und Nachvollziehbarkeit
Diagnostischer Prozess (7 Schritte)
Auftragsklärung und Formulierung der Fragestellung
Ableitung diagnostischer Kriterien und Formulierung “psychologischer Fragen”
Auswahl der diagnostischen Instrumente
Durchführung der Untersuchung
Auswertung der Ergebnisse
Beantwrotung “psychologischer Fragen”/Befund
Stellungnahme
Diagnostischer Prozess
Prüfung der Fragestellung
Ethisch vertretbar?
Rechtlich zulässig?
Prinzipiell genügend Wissen zur Beantwortung vorhanden?
Gutachtende Person verfügt über ausreichend Expertise?
Fragestellung hinreichend präzise?
Schritt 1: Fragestellung Eigenschaften
von der Fragestellung hängt alles weitere ab
erster eigenständiger Gliederungspunkt im Gutachten
Wörtliche, d.h. ausformulierte Wiedergabe
Rücksprache der gutachtenden mit der auftraggebenden Person, um Verständis des Auftrags abzuklären
keine nachträgliche Änderung
Achtung! Unrealistische Erwartungen von Auftraggebenden/Wünschen von Ergebnissen
auf Grenzen der Begutachtung hinweise
Objektivität betonen
Ergebnisoffenes Vorgehen betonen
Schritt 2: Diagnostische Kriterien und Psychologische Fragen
= Übersetzung und Zerlegung der globalen (aus dem Leben abgeleiteten) Fragestellung in psychologische Teilfragen, die zur Beantwortung der globalen Fragestellung essenziell sind
Diagnostische Kriterien = Anforderungen/psychologische Konstrukte
Diagnostische Kriterien in Frageform = psychologische Fragen
manchmal auch als Hypothesen bezeichnet
Achtung! Diagnostische Kriterien und Psychologische Fragen
Kriterien müssen nachvollziehbar aus der Fragestellung abgeleitet werden
Psychologische Fragen sind wertlos, wenn sie nicht mit wissenschaftlichen Methoden beantwortbar sind
Formulierungshilfen für Psychologische Fragen
Kriterienkataloge (ICD,DSM z.B.), Beurteilungsrichtlinien, gesetzliche Regelungen
empirisch gesicherte Gesetzmäßigkeiten
Bewährte Taxonomien (z.B. kognitive Fähigkeiten, Verhaltensgewohnheiten, Interessen, Motivation)
Verhaltensanalytische Herangehensweise (SORKC, V=f(U, O, K, E, M, S)
Gewichtung und Verrechnung der Diagnostischen Kriterien
Kompensatorisches Entscheidungsmodell (ich verrechne)
Disjunktives Entscheidungsmodell (Entweder das eine oder das andere Kriterium ist gegeben)
Konjunktives Entscheidungsmodell (zwei oder mehr Kriterien müssen gegeben sein um zu einer positiven Aussage zu kommen)
Nomothetisches Vorgehen
Nutzung allgemeingültiger (empirisch abgesicherter) Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Merkmalen der Person / der Situation und dem zu erklärenden Kriterium / der zu beantwortenden Fragestellung
—> Greift zu kurz, da zu wenig Informationen
—> Bsp: Prognosetafel zur Rückfallwahrscheinlichkeit männlicher Straftäter
Idiografisches Vorgehen
Fehlen geeignete Instrumente, die auf einer statistischen Vorhersage basieren, oder entscheidet sich die Diagnostikerin aus grundsätzlichen Überlegungen gegen “starre” statistische Erklärungsansätze, kann mithilfe des ideografiscgen Ansatzes eine Prognose erstellt werden.
Ziel des Ansatzes ist es, ein individuelles Erklärungsmodell für die Probandin auszuarbeiten, um damit zu einer Prognose zu gelangen.
—> Idealerweise Kombination aus beiden Ansätzen
Klinische vs. Mechanische Urteilsbildung
Klinisch = eher intuitiv Informationen verrechnen
Mechanisch/statistisch = nach festgelegten Regeln
SKID und DIPS zB mechanisch, da in der Verrechnung strikte Regeln vorhanden
Diagnostische Kriterien und Psychologische Fragen: Mögliche Fehler
nicht die richtigen/nicht relevante Kriterien mit aufgenommen
relevante/wichtige Kriterien nicht erhoben
Konsequenz: Treffen falscher diagnostischer Aussagen
Schritt 3: Instrumente
= Für die Beantwortung der jeweiligen psychologischen Fragen erwiesenermaßen geeignete diagnostische Verfahren
—> Besonderheiten der begutachteten Person beachten (z.B. altersangemessen, zielgruppenangemessen)
Internationale Richtlinien für Testanwendung I (Vorher? Technisches Manual und Benutzerhandbuch?)
vor der Testauswahl alle aktuellen Informationen zum Test überprüfen
Liefert das technische Manual und Benutzerhandbuch ausreichende Informationen zu:
Geltungsbereich, Repräsentativität des Testinhalts
Angemessenheit der Normgruppen
Schwierigkeitsgrad des Inhalts
Genauigkeit der Messung und nachgewiesene Reliabilität im Hinblick auf relevante Populationen
Validität und Bedeutsamkeit für die vorgesehene Verwendung
Fehlen eines systematischen Fehlers in Hinblick auf die vorgesehen Probandengruppen
Annehmbarkeit für die an der Testanwendung Beteiligten (Fairness, Bedeutsamkeit)
Praktikabilität (Zeit-, Kosten-, Ressourcenaufwand)
Internationale Richtlinien für die Testanwendung II
Fachkompetente Testanwendende …
Vermeiden Anwendung von Tests mit unzureichender oder unklarer technischer Dokumentation
Verwenden Tests nur für Zwecke, für die bedeutsame und angemessene Validitätsbelege vorliegen
vermeiden es, einen Test nur auf der Grundlage des Augenscheins, den Berichten anderer Anwenderinnen oder den Empfehlungen von Personen mit kommerziellen Interesse zu beurteilen (z.B. Testverlage)
stellen interessierten Personen und Personengruppen auf Anfrage ausreichende Informationen zur Verfügung, damit diese die Gründe für die Auswahl eines Testes nachvollziehen können
Instrumente (multimethodales Vorgehen)
Instrumente müssen nicht ausschließlich Tests sein
multimethodales Vorgehen
Dokumentenanalysen
direkte mündliche Befragungen
Verfahren zur Verhaltensbeobachtung und -beurteilung
messtheoretisch fundierte Fragebögen
messtheoretisch fundierte Tests
Weitere Qualitätsstandards
Entscheidungsorientiertes Gespräch
Standards der Assessment-Center Methode
Interview-Standards
Multimethodalität Bausteine
Psychometrische Fundierung (Verlangen wir von Tests und Fragebögen, unklar bei eigens konzipierten Anwendungen
Verfälschbarkeit (zB in Fragebögen: Selbstdarstellung)
Interaktivität (in Fragebögen kann man nicht interagieren)
Informationsquelle (zB Eltern bei Kindern)
Anpassbarkeit (Psychometrische Verfahren meist nicht anpassbar an die Fragestellung)
Maximal- vs. typisches Verhalten (ggf Fremdbeurteilung besser)
Vertiefungsmöglichkeit (bei manchen Fragebögen keine Möglichkeit der Vertiefung)
situativ vs. biografisch (was ist jetzt, was war in der Vergangenheit?)
—> Es macht Sinn multimethodal vorzugehen
Instrumente: Mögliche Fehler
Insuffiziente Verfahrensauswahl aufgrund von
mangelndern Sachkenntnis
mangelnder Motivation
normativem Druck (“So ist das hier üblich, das haben wir schon immer so gemacht”)
begrenzter Verfügbarkeit
—> ethisch nicht vertretbar
Schritt 4: Durchführung
Sorgfältige Planung
Ort der Durchführung
Abfolge der Verfahren
Dauer einer Testung
Notwendigkeit mehrerer Testungen
Ausschluss von Störungen
Sicherstellen einer Durchführung entsprechend der Handhabungshinweise/Manuale
Informierte Einwilligung der begutachteten Personen (o. gesetzl. Vertreter)
Dokumentation von Störungen
Dokumentation von sog. “Gelegenheitsbeobachtungen”
Datenschutzkonforme Verwahrung/Speicherung der Ergebnisse
Schritt 5: Auswertung
Nüchterne Auswertung der Ergebnisse aus den diagnostischen Untersuchungen
Berücksichtigung aller relevanter, aber auch nur der der relevanten Ergebnisse
Auswertung nach state-of-the-art
Auswertung unter Berücksichtigung der Messgenauigkeit der Verfahren (sofern bekannt) —> Reliabilität
Konfidenzintervalle
Feststellung der Genauigkeit, mit der ein Individualergebnis ermittelt wurde
Angabe von KIs wichtig, da Rückmeldung ohne KIs implizieren würde, dass Reliabilität = 1 ist
Regressionsmethode (vs. Äquivalenzmethode)
Regressionsmethode
empfohlen, da genauer und besser verbalisierbar
1) “Wahrer Wert” einer Person wir regressionsanalytisch geschätzt
2) Berechnung des Standardschätzfehlers (Standardmessfehler bei Äquivalenzmethode)
3) Verwendung einer üblichen Irrtumswahrscheinlichkeit (meist alpha=.05)
Beobachteter Wert wird abgetragen —> zur Mitte korrigiert —> Berechneter KI wird um den korrigierten Wert gelegt
Normorientierte Einordnung
Schritt 6: Befund
= Befund beantwortet die vorab formulierten psychologischen Fragen
Integration und Interpretation der Ergebnisse aus den unterschiedlichen diagnostischen Instrumenten
Bei Widersprüchen prüfen, ob Interpretation möglich oder weitere Diagnostik nötig
Wichtig! nach vorher festgelegter Gewichtung verrechnen
Schritt 7: Stellungnahme
= Beantwortet die vorab formulierte globale Fragestellung
Die Brunswik’sche Linse
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