Stärken und Schwächen diagnostischer Interviews - (Dohrenbusch, 2016; Fisseni, 1997)
Vorteile:
Flexible Abstimmung auf die Befragten und ihr individuelles Antwortverhalten: Art und Abfolge der Fragen (zu Beschwerden, Biografie, Beschwerdeverarbeitung, Funktionsund Leistungsniveau);
Adaptives Vorgehen bei der Datengewinnung, da flexible Anpassung von neue Frageninhalte und - techniken an Antworten und an veränderte Situationsbedingungen;
sukzessive Aufnahme nonverbaler und paraverbaler Informationen;
Gestaltung lebensnäher: enger orientiert an individuellen Besonderheiten der Personen und Situationen der Befragten
→ Informationsgewinn über Leisungsbeiträchtigung etc. durch individuellen Kontext leichter möglich;
Verfolgung wichtige Themen beliebig weit & Vernachlässigung periphere Inhalte möglich;
Sprachregelungen möglich: Je nach Personengruppe kann Sprache an
Emotionalität, Wissen, Intelligenz und Fähigkeit angepasst werden
Problem bei diagnostischem Interview? (Dohrendbusch 2016)
Gedächtnis der Befragten als Ausgangspunkt der Befragung, da Fragen sich auf
Ereignissen und Zuständen aus der Vergangenheit beziehen
➢ Problem: individuelle Gedächtnisprozesse
❖ Informationen werden nicht in ihrer Gesamtheit abgespeichert
❖ Verarbeitung = selektiv, vereinfacht und in Beziehung zu bestehenden
Inhalten
❖ können vergessen werden
❖ werden selektive im Interview abgerufen
→ Bedeutung für die begutachtende Person: Bewusstsein dessen und anstreben einer Informationserhebung, die zuverlässige und gültige Ergebnisse erzielt.
Themenbereiche im Diagnostischen Interview
❖ Entwicklung der psychischen Erkrankung: Wann? Unter welchen
Bedingungen? Wer war beteiligt? Erstmalige Beschwerden und Verlauf
❖ Erleben der Symptome und Beschwerden: Wie?
Gedanken/Gefühle/Verhalten/physiologische Prozesse?
❖ Therapie der Erkrankung: Welche Therapien bisher? Aktives Mitwirken in
Therapie? Was hat Symptome beeinflusst? Wodurch wurde Veränderung
bemerkt?
❖ Verarbeitung der Beschwerden: Einstellungen/Überzeugungen gegenüber
Beschwerden? Umgang mit Beschwerden? Auswirkungen? Wie reagiert
Umwelt und sie auf Umwelt?
❖ Auswirkungen der Symptomatik auf Funktions- und Leistungsfähigkeit:
beruflicher Alltag? Besondere Leistungsanforderungen? Auswirkungen der
Beschwerden auf Leistung & Alltag? Wie werden Beeinträchtigungen
ausgeglichen?
Erkenntnisse über Arbeits- und Organisationsweise sowie Störungen des
Gedächtnis, sollten bei der Gestaltung eines diagnostischen Interviews berücksichtigt
werden
❖ Angenehme Ereignisse werden besser erinnert als unangenehme
→ Bei gleich vielen positiven und negativen Erfahrungen, sollte die Person
eher in der Lage sein, über Erfolge zu berichten
❖ Emotionale Inhalte werden eher als neutrale abgespeichert und erinnert
→ emotionale Ereignisse sollten differenzierter beschrieben werden können
❖ Tunnelgedächtnis bei stark belastenden Ereignissen: Ereignis wird genau
erinnert, Kontext und Bedingungen weniger
→ Z.B. könnte dies bei traumatischen Ereignissen zutreffen
❖ Nachträgliche Informationen können ursprüngliche Gedächtnisinhalte
unwiderrufbar verändern→ Z.B. könnten Erinnerungen eines anfänglich leichten Krankheitsverlaufs
durch späterer schwerwiegenderer Symptomatik verblassen
❖ Nutzung/Verhinderung von kognitiven Schemata kann Erinnerung fördern
oder erschweren
→ z. B. könnte ein leiden betontes Vokabular, die Erinnerungen an das
Leiden intensivieren
❖ Verbesserung der Erinnerungsleistung bei übereinstimmenden
Befragungskontexten
→ z. B. könnte ein ähnliches Setting in Gutachten und Therapie bedingen,
dass eher therapie- als leistungsbezogene Inhalte erinnert und berichtet
Aussagepsychologische Implikationen (Dohrenbusch, 2016)
➢ Aussagepsychologie: Aus den Aussagen der Befragten Erkenntnisse über deren Gültigkeit ableiten: werden die Merkmale einer erlebnisfundierten Aussage aufgewiesen?
➢ Relevant, da im Gutachten ggf. verzerrte Selbstdarstellung durch Betroffenheit
➢ Bei Begutachtung von Personen mit psychischer Erkrankung sollten folgendes geklärt werden (nach Greuel, et al., 1998):
❖ Aussagetüchtigkeit: Verfügt die Person über notwendige kognitive
Voraussetzungen?
→ Erst danach sinnvoll den Erlebnisbezug einer Aussage zu hinterfragen.
❖ Aussagequalität: Inwieweit weist Aussage Merkmale auf, die in
erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind, in erfundenen/induzierten
Aussagen aber fehlen?
→ Abgleich von Aussagen mit charakteristischen Merkmale des Störungsbild,
Einflüssen und Therapiewirkungen
→ Vorsicht mit suggestiven Fragestil: fördert bestimmtes
Antwortverhalten/-inhalte
❖ Aussagevalidität: Inwieweit liegen Störfaktoren vor, die Zweifel an der
Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?
→ Risiko verzerrter Selbstdarstellung durch persönliches Interesse
(Konsistentenz zwischen Aussagen und zwischen Aussagen und Verhalten
im Interview?)
Realkennzeichenorientierung in sozialmedizinischer Begutachtung
➢ aus Strafrecht entstandene Realkennzeichen als Indikatoren zur Beurteilung der Aussagengültigkeit
➢ Gültigkeit in Frage zustellen:
❖ Logische Inkonsistenz: Widersprüchlichkeit verschiedener Aussagen
❖ Sprunghafte Darstellung: sprunghafter Themenwechsel v.a. beim
Hinweisen auf Widersprüchlichkeiten
❖ Mangelnder quantitativer Detailreichtum: Antwortverhalten ist reduziertes mit sich widerholden stereotypen Kernaussagen
Auf Gültigkeit Hinweisend:
❖ Schilderung von ausgefallenen/nebensächlichen Einzelheiten
❖ Verhaltensnahe Beschreibung von Ereignissen (lassen sich aber auch
leicht fälschen)
❖ Spontane Verbesserung eigener Aussagen zum fraglichen Sachverhalt
❖ Eingestehen von Erinnerungslücken oder verzerrter Darstellung
❖ Unvorteilhafte Selbstdarstellung im Sinne des Untersuchungsanliegens
Auswahl der Interviewthemen [Bedingungen valider Datenerhebungen: einige Empfehlungen zum explorativen Vorgehen in der Begutachtung (Dohrenbusch, 2016)]
➢ Bei Beweisfragen zur krankheitsbedingt geminderten Funktions- oder Arbeitsfähigkeit
sollte eine am Begutachtungsleitfaden ausgerichtete Exploration folgendes enthalten:
❖ Symptomatik/Beschwerdebild
❖ Psychische und psychosomatische Funktionen
❖ Vorbehandlungen
❖ Art und Qualität der bisherigen Krankheitsverarbeitung
❖ Motivationale Bedingungen der Krankheitsverarbeitung
❖ Erhaltung oder Wiederherstellung der Funktions- und/oder Arbeitsfähigkeit
❖ Aktivitäten bzw. Aktivitätsbeeinträchtigungen
❖ Tendenziöse Haltungen und Partizipation
Hinweise zur Durchführung des Interviews
um Abruf relevanter Informationen zu ermöglichen und zu authentischen und nicht
verzerrten Aussagen zu motivieren
❖ Aufbau von Rapport: entspannte Interviewatmosphäre schaffen durch
Anpassen an die Person (z.B. Wortwahl, Mimik)
❖ Wertfreies Interesse: durch nonverbale (z.B. Nicken) und verbale
Beziehungsbotschaften: interessiert (z.B. durch Verständnisfragen),
bestätigend, akzeptierend (z.B. Fragen zu gesundheitlicher Situation),
❖ Dosierte Konfrontation: mit Widersprüchen und Eigenverantwortung im
Krankheitsgeschehen in angemessener Form konfrontieren
❖ Verhältnis von Fragen zu bestätigenden und konfrontierenden
Sachverhalten: ausbalancieren von Fragen zu Beeinträchtigungen &
Fähigkeiten/Ressourcen, zur Wahrung der Neutralität der gutachtenden
Person
❖ Schrittweise Differenzierung und Konkretisierung von Sachverhalten:
Erst offene Fragen, freier Bericht der Person, danach differenzierte,
strukturierte Befragung ggf. festes Antwortformat ❖ Kognitives Interview: zur Verbesserung der Erinnerung; Vorgehen:
Zurückversetzung in die betreffende Situation (damalige
Gedanken/Gefühle?); in zeitlich umgekehrter Reihenfolge schildern; aus
Perspektive anderer Personen.
❖ Abschlussfragen: Fragen, ob noch etwas wichtig ist. Frage, ob Person sich
bemüht hat, einen bestimmten Eindruck zu vermitteln.
Diagnostik des prämorbiden Zustandes
Erfassung von Personenmerkmalen und situativen Bedingungen vor “Schadensereignis” manifest waren und bedeutend sind für Beurteilung konkurrrierender Kausalität
Schwerpunkt Diagnostik des prämorbiden Zustandes
1: Diagnostik prämorbider psychischer Störungen 2: Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage 3: Diagnostik allgemeiner prämorbider Vulnerabilität 4: Diagnostik prämorbider psychosozialer Funktionen 5: Diagnostik situativer Bedingungen
Probleme der Prämorbiditätsdiagnostik
▪ Es darf kein Zweifel (= vollbeweislich) bei der Feststellung eines prämorbiden Gesundheitsschaden oder einer Krankheitslage, d.h. somit auch an konkurrierenden Kausalfaktoren (Norm aus dem Zivilrecht abgeleitet)
▪ Der Versicherte als Informationsquelle: Der Mensch mit dem Krankheitsleiden dient als Informationsquelle für konkurrierende Kausalfaktoren und generelle Informationen über den (prämorbiden) Zustand —> motivationale Einflüsse, überzeichnen/verharmlosen/leugnen, Bagatellisierungstendenzen, Dissimulationstendenzen
+ Gedächtnisverzerrungen (neurokognitive Defizite, emotionale Ereignisse werden meisst besser erinnert - emotionsauslösende Ereignisse werden genauer und länger erinnert als alltägliche/neutrale ODER negative Ereignisvalenzen gehen mit Vermeidungstendenz einher dann Beeinträchtigung der Erinnerungsleistung)
+Psychische und physische Zustand während der Befragung beeinflusst Art und Qualität der Erinnerung
+Fehlende Erinnerungen werden aufgefüllt und an spätere Ereignisse angepasst (Konfabulationen = das Füllen von Gedächtnislücken durch frei erfundene Begebenheiten (s. lost-in-the-mall-technique von Elizabeth Loftus: Einpflanzung von komplett unwahren Erinnerungen) - Erinnerungen werden im Sinne des Selbstkonzepts rekonstruiert
Gültigkeit individueller Aussagen zum prämorbiden Zustand
nicht 100% gegeben, da diese Angaben willentlich motivational bedingte Prozesse und durch unwillentlich Gedächtnisprozesse verunreinigt sein können
Daher sollte man sich für die Beurteilung dessen eine möglichst breite Datenbasis verwenden (bspw. Fremd- und Eigenanamnese, Psychometrische Testungen und Interviews…)
Diagnostik prämorbider Störungen: Sicherung des Krankheitswertes
—>ICD 10 Diagnosen, am besten zeitnah vor Schadensfall!
ODER pharmakologische oder psychotherapeutische Behandlungen
KEIN BELEG: gelegentliche Beratungsgespräche im Rahmen der Grundversorgung
▪ Bedeutung der zeitlichen Distanz: Wie weit liegen diese Ereignisse zurück? Bspw. die ICD-Diagnose? Hat sie noch Relevanz für das jetzige Ereignis?
▪ Rekonstruktion prämorbider Störungen ohne Fremdbelegen: Man kann diese "Belege" auch versuchen rückwirkend auszustellen
▪ Fremd- und Eigenberichte sollten übereinstimmen, um prämorbide Störungen gesicherter nachzuweisen
▪ Sicherung des Krankheitwertes prämorbider Störungen mit Flussdiagramm
Mögliche Informationsquelen zur Erfassung prämordbider Störungen:
▪ Krankenkassenberichte bzgl. psychodiagnostische/psychotherapeutische Leistungen
▪ Abrechnungsbelege über privat finanzierte med. oder psychotherapeutische Leistungen
▪ Arbeitsunfähigkeitsbelege
▪ Berufliche Einsatzfähigkeit
▪ Ärztliche Berichte
▪ Ärztliche Psychotherapieindikationen
▪ Entlassungsberichte
▪ Angaben des belasteten Menschen
▪ Angaben Angehöriger und Freund*innen
Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage
Störungsspezifische Schadenanlage = personenbezogene Merkmale, welche die Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer bestimmten belastungsreaktiven krankheitswertigen Störung oder Erkrankung erhöhen
Die Diagnostik störungsspezifischer Schadenslage orientiert sich am Ätiologischen-Modell der betrachteten Störung (d.h. das bspw. bei einer Schizophrenie auf Merkmale, welche nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand bei der Ausbildung einer Schizophrenie (bspw. Drogenkonsum) die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens erhöht und es wird weniger auf irrelevante Merkmale geachtet (bspw. hatte der Mensch in der Vergangenheit eine Essstörung → aber: ist das auftreten einer psychischen Erkrankung nicht immer als ein Risikofaktor für weitere Erkrankungen zu betrachten?)
Diagnostik allgemeiner prämorbider Vulnerabilitäten
Grundsätzlich gibt es ein allgemeines Vulnerabilitätsmodell, aber die Autor*innen halten es nicht für sinnvoll, da es auch kein allgemeines Ätiologiemodell für psychische Störungen gibt
Sowohl psychodynamisch wie auch lerntheoretisch lass sich allgemeine Vulnerabilitäten v.a. in den Bereichen: Beziehung, Konflikt und Struktur beschreiben und erkennen
▪ Psychodynamische Betrachtung einer generell erhöhten Vulnerabilität
▪ Überwiegend durch unbewusste Anteile geprägte Beziehungsgestaltung
▪ Hohe Bedeutsamkeit repetitiv-dysfunktionaler Konflikte
▪ Geringe Ausprägung oder Desintegration zentraler Strukturmerkmale (Wahrnehmung, Regulierung, Kommunikation, Bindung)
▪ Kognitiv-lerntheoretische Betrachtung prämorbider erhöhter Vulnerabilität
▪ Soziale Kompetenzdefizite, geringe soziale Verstärkererfahrungen sowie interpersonelle Probleme die prämorbide soziale Situation bestimmt haben
▪ Widersprüchliche und inkonsistente Lernerfahrungen auf der Grundlage einer individuellen psychophysiologischen Disposition dauerhaft zu irrationalen Denk- und Verhaltensmustern sowie Verhaltensambivalenzen geführt haben
▪ Geringe Bereitschaft oder Fähigkeit zur Selbstregulation und zur Integration belastender oder widersprüchlicher Erfahrungen
Diagnostik allgemeiner prämorbider Vulnerabilitäten - Fazit
▪ Die Einschätzung einer allgemeinen Vulnerabilität wird notwendig, wenn keine störungsspezifische Vulnerabilität festgestellt werden kann (bspw., wenn keine empirischen Ergebnisse bis dato bekannt)
▪ Allgemeine Vulnerabilitätsfaktoren sind i.d.R. habituierte Erlebnis- oder Verhaltensweisen, welche sich dauerhaft und situationsübergreifend manifestiert haben (dyfunktional, da u.a. nicht auf Situation bspw. angemessen reagiert werden kann, sondern ein Habitus gezeigt wird)
▪ Kann in Situationen mit anderen Menschen sowie in Situationen mit sich selbst auftreten
Diagnostik des prämorbiden Funktionsniveaus
▪ Prämorbides Funktionsniveau ≠ prämorbide krankheitswertige Störungen
▪ Betrachtet wird das prämorbide kognitive, psychische, körperliche und soziale Funktionsniveau eines Menschen
▪ Nutzung: Abschätzung der Schwere der erlittenen Schädigung & Beurteilung konkurrierender Kausalfaktoren
▪ Im Vordergrund der Betrachtung steht das "beschädigte" Funktionsniveau (bspw. ich kann nach einem Unfall nicht mehr so gut laufen, dann muss mein körperliches Funktionsniveau betrachtet werden)
Retrospektive Funktionseinschätzung:
▪ Funktionseinschätzung kann durch gedächtnisbedingten Ausfällen oder Konfabulationen verzerrt sein (s.o.)
▪ Neben dem Vergleich des morbiden und des prämorbiden Funktionsniveaus vergleicht macht auch das jetzige Funktionsniveau mit dem Funktionsniveau altersgleicher "Normalpersonen"
▪ Schätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveau:
▪ Mittels faktischer "Beweise" bspw. Zeugnisse, Testungen o.ä.
▪ Kann auf regressionsanalytischer Grundlage geschätzt werden
▪ Sozialformel von Leplow & Friege (1998):
• Geht davon aus, dass man anhand sozidemografischer Merkmale hinreichend zuverlässig das prämorbide Funktionsniveau schätzen kann
• Z.B. anhand von Geschlecht, Einkommen, Bildung, Beruf, Wohngebiet, Medienkonsum
—>Formel vorhanden aber fragwürdig
Schätzung prämorbider sozialer Funktionen
▪ Vergleich multipler Quellen → Konsistenzabgleich
▪ Allgemein: Umfang und Qualität des sozialen Netzwerkes und sozialer Funktionen wird betrachtet
Informationen zur Erhebung des prämorbiden sozialen Funktionsniveaus:
• Umfang/Anzahl sozialer Kontakte
• Räumlich-zeitliche Nähe zu Familie, Mitbewohnis, Freund*innen → Kontaktdauer & Kontakthäufigkeit
• Funktionalität & Qualität sozialer Rollen
• Bedürfnis nach sozialen Beziehungen, soziale Abhängigkeit, dysfunktionale Beziehungen, Wechselseitigkeit und Balanciertheit sozialer Leistungen
• Affektive Valenz sozialer Beziehungen
• Positive vs. negative Bewertung sozialer Partner, sozialer Rollen und sozialer Beziehungen
• Art und Ausmaß sozialer Unterstützung
• Anzahl von Personen, welche einen prämorbid unterstützten, Anzahl der Personen, welche man selbst unterstützt
• Art, Umfang und Qualität der sozialen Unterstützung
Diagnostik prämorbider situativer Bedingungen
▪ Wichtigste Erhebungsquelle = Exploration
▪ Es gibt auch ein paar standardisierte Erhebungsmöglichkeiten, welche allerdings aufgrund ihres situativen Bezug zeitnah zum Schadensereignis eingesetzt werden sollte!
▪ Situative Bedingungen, welche die Ausbildung einer psychoreaktiven Störung begünstigen können: (müssen daher als konkurrierende Kausalfaktoren überprüft werden)
▪ Physikalische Umweltbedingungen mit begleitender muskulärer Anspannung, physiologsicher Aktivierung, Veränderung der Reizwahrnehmung und -verarbeitung
▪ Z.B. Lärm, Kälte, Dunkelheit usw.
▪ Zwischenmenschliche Konflikte bzw. familiäre Spannungen sofern diese mit erhöhter Erregbarkeit, Stimmungslabilität, Gereiztheit, innerer Unruhe u.a. einher gegangen sind
▪ Soziale oder leistungsbezogene Konflikte am Arbeitsplatz mit begleitenden emotionalen Reaktionen oder Zuständen
▪ Arbeitsbelastung oder Zeitdruck mit begleitender Erschöpfung, Müdigkeit, Konzentrationsminderung, Minderung der Reaktionsbereitschaft, der Reaktionsfähigkeit oder der Umstellungsfähigkeit
▪ Einnahme psychotroper Substanzen mit Auswirkung auf die Wahrnehmung, die Konzentrations-, Denk- und Merkfähigkeit oder auf emotional-affektive personale Bedingungen
Diagnose zum Zeitpunkt der Auftragsstellung
„Querschnittsdiagnose“: bereits vorliegende Diagnosen (Verzicht auf remittierte & irrelevante Störungen (z.B. keine Behandlungsnot oder kein ausreichender Leidesdruck) -Diagnose nach ICD-10: korrekte verbale Bezeichnung und ICD-10 Code in Klammern -Diagnosesicherheit mit G (gesichert), V (Verdachtsdiagnose), A (ausgeschlossene Diagnose), Z (symptomloser Zustand nach der betreffenden Diagnose) -Nummerierung für Haupt- und Nebendiagnosen (z.B. Komorbiditäten) -nur behandelbare und zu behandelnde Diagnosen aufführen -i.d.R. pro Diagnose eigener Behandlungsplan -Sparsamkeit mit Diagnosen
Persönlichkeitsstörungen als Diagnose
-meist ich-synton (ausreichendes Störungsverständnis der Pat. nicht immer gegeben) -Unterschiede in Ich-Syntonie = teilweise auch mit VT-Methoden zugänglich (z.B. Dialektisch Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung) -falls für Fallverständnis wichtig: bei Angabe der Diagnose auch markante Interaktionsgewohnheiten beschreiben (als Persönlichkeitsstile oder markante Persönlichkeitsanteile benannt= weniger stigmatisierend für Pat.)
=ICD-10: Kodierung von „Akzentuierung von Persönlichkeitszügen“ in Rubrik „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung Z73“
diagnosen bei Kindern und Jugendlichen
üblicherweise multiaxiale Diagnostik →diagnostische Einschätzungen zu folgenden Punkten: (1) klinisch psychiatrisches Syndrom (2) umschriebene Entwicklungsrückstände (3) Intelligenzniveau (4) körperliche Symptomatik (5) assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände (6) globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus
Differentialdiagnostische Angaben
-falls erforderlich; ABER begrenzen: nur wenn Bedenken bzgl. Validität der bestehenden Diagnose bestehen (z.B. bei Auftreten von dissoziativen [Krampfanfällen], die von nicht-epileptischen Anfällen anderer Genese oder epileptischen Anfällen abgegrenzt werden müssen [→ epileptologische Untersuchungen]) -Angabe Diagnoseunterschiede: Diagnose z.B. fachärztlicher Konsiliarbericht/anderer Fremdbefunde anders als Bericht an GutachterInnen
Störungsspezifische Therapie benötigt Diagnostik
„Uniformitätsmythos“ – Annahme, dass alle PatientInnen und TherapeutInnen gleich sind →unzulässig
Verhaltenstherapie: Therapieverfahren, die gezielt auf Besonderheiten der psychischen Störungen eingehen = Störungsspezifische Interventionen (+ zusätzlich störungsübergreifende Therapieinterventionen und Basisfertigkeiten)
Flexibilität: im Therapieverlauf neue Problembereiche möglich, die neuer Interventionen bedürfen →selbst „Routineverfahren“ aus ausführlichen Therapiemanualen können nur von ausgebildeten Klinikern hinreichend flexibel angepasst werden
Wesentliche Voraussetzung störungsspezifischer Therapieansätze: zuverlässige Störungsdiagnostik (idealerweise in größeren diagnostischen Kontext eingebettet [z.B. Beziehungsaufbau und somatische Differenzialdiagnose enthalten])
Diagnostischer Kontext
Störungsdiagnostik durch strukturierte Interviews i.d.R. in diagnostischen Kontext eingebettet: 5 Schritte (in der Regel, überlappen in Praxis oft)
1) Beziehungsaufbau und allgemeiner Eindruck 2) klassifikatorische/kategoriale Diagnose (Entscheidungsbaum→) 3) organische Ursachen und Komplikationen Abklärung falls noch nicht geschehen 4) Analyse des Problemverhaltens (z.B. durch strukturierte Interviews, verhaltenstherapeutische Verhaltens- oder Problemanalyse) + multidimensionale Skalen zur Erfassung der allgemeinen Psychopathologie & standardisierte Tagebücher als Zusätze möglich 5) weitere diagnostische Maßnahmen vor und während der Therapie (Bewältigungsversuche/-strategien, hilfesuchendes Verhalten, frühere Behandlungserfahrungen, Erklärungsmodelle des Patienten für seine Störung, zusammenhängende Probleme/Konflikte, Zusammenhänge mit
Lebensplänen/Grundannahmen über Selbst & Welt, Lebensereignisse oder Belastungen, funktionale Zusammenhänge, Umwelt, Therapieziele)
endet diagnostischer Prozess mit Beginn der Therapie?
diagnostischer Prozess endet nicht mit Beginn der Therapie
& Verzerrungen diagnostischer Entscheidungen sind möglich
Diagnostische Hilfsmittel
Standardisierte Befunderhebung = zuverlässigere Diagnosen + Objektivität von Durchführung und Auswertung: durch Vorgabe von Fragen und genauen Durchführungs- und Kodierungsregeln erhöht (ggü. unstandardisierten Befragungen)
—> Checklisten, Strukturierte Interviews und standardisierte Interviews
!! strukturierte Interviews = reliable und valide Diagnostik (+ ökonomisch, effizient, anwenderfreundlich) ABER nur klassifikatorische Diagnostik oft nicht ausreichend, therapiebezogene Info wichtig, z.B. DIPS
Therapiebezogene Diagnostik: das DIPS (Diagnostisches Interview bei Psychischen Störungen)
− Kombination von kategorialer Diagnostik und Erhebung therapiebezogener Daten
− Erfassung der für den psychotherapeutischen Bereich wichtigsten Störungen mit Möglichkeit zur Differenzialdiagnose
− Neben kategorialer Diagnostik und demographischen Angaben zusätzliche Erfassung klinisch relevanter Informationen zur Therapieplanung, wie z. B.
o Fragen zu Entstehung und Verlauf der Probleme
o Fragen zu situativen und kognitiven Einflussfaktoren
o Detaillierte Skalen zur Einschätzung der Symptome
− Zusätzlich Erhebung einer psychiatrischen Anamnese und einer Familienanamnese psychischer Störungen des DSM-5 (Überführung der DSM-Diagnosen in ICD-10-Diagnosen anhand einer Tabelle möglich)
− Durchführungsdauer: 60 – 90 Minuten (in Abhängigkeit von der Anzahl der vorliegenden Störungsbilder)
− Möglichkeit einer validen und reliablen Diagnosestellung
− Hohe Akzeptanz des Verfahrens sowohl auf Seiten der Interviewer*innen als auch auf Seiten der Patient*innen
Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen: das Kinder-DIPS
− Diagnostik aktueller und früherer psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen anhand der Kriterien des DSM-5 und der ICD-10
− Kinderversion zur direkten Befragung des Kindes bzw. Jugendlichen sowie parallele Elternversion zur Befragung eines Elternteils oder sonstiger Erziehungsperson
− 3 Teile
o Überblicksteil: Screening zur Erfassung der im Vordergrund stehenden Probleme und Lebensereignisse in den vergangenen 6 Monaten
o Spezieller Teil: Erfassung der spezifischen psychischen Störungen
o Abschnitt zur Erhebung der Anamnese und Familienanamnese psychischer Störungen
− Durchführungsalter: 6. - 18. Lebensjahr
− Durchführungsdauer: jeweils 60 – 90 Minuten (Kind und Eltern bzw. sonstige Erziehungsperson)
Kurzinterview für rasche Diagnosen: das Mini-DIPS
− Überblicksartige Erfassung der für den psychotherapeutischen Bereich wichtigsten psychischen Störungen nach den Kriterien des DSM-5 und der ICD-10
− Wesentlicher Unterschied zu anderen diagnostischen Interviews: Kürze der Durchführung erreicht durch:
o Besonderen Aufbau des Interviews
▪ Zusammenfassung der einzelnen Diagnosen zu Problembereichen mit “Vor-Screeningfragen” für die einzelnen Störungen
▪ Voranstellung störungsübergreifender, differenzialdiagnostischer Aspekte in Form einer “Checkliste”
→ Maximierung der Möglichkeit, unnötige Fragen auszulassen
→ Klärung nur dann notwendig, wenn die anderen Kriterien für eine Störung erfüllt sind.
o Verzicht auf rein therapierelevante Fragen
o Verzicht auf über die Diagnose hinausgehende Einschätzungen (z. B. Intensität der Symptome, Stärke der Belastung)
− Durchführungsdauer: nur ca. 30 Minuten! (ohne inakzeptable Qualitätsverluste hinsichtlich der Gütekriterien)
− Ergänzung der diagnostischen Fragen durch stichwortartige Hinweise
→ Gewährleistung einer besseren Genauigkeit der Diagnose trotz der Kürze des Verfahrens
− Diagnosestellung erst am Ende des gesamten Interviews
→ Minimierung der Gefahr, dass gleichzeitig vorliegende (komorbide) Störungen übersehen werden.
Zur Beachtung:
− Keine explizit ausformulierte Vorgabe der Diagnosekriterien im Gegensatz zur
vollständigen Version des DIPS!
→ Voraussetzung eines höheren Ausmaßes an diagnostischen Kenntnissen und Erfahrungen seitens des/der Interviewers/Interviewerin
− In Folge der starken Verkürzung des Interviews grundsätzliche Möglichkeit einer Einbuße an Genauigkeit!
→ Konzeption dahingehend, dass nicht zu vermeidende Fehler möglichst in Form von falsch-positiven und nicht von falsch-negativen Diagnosen auftreten.
Durchführung strukturierter Interviews
Reliable und valide Diagnose nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
1) Training der Interviewer*innen
2) Vorbereitung der Patient*innen
3) Durchführung durch Fachleute (klinische Psycholog*innen, Psychiater*innen, diagnostisch geschulte ärztliche Psychotherapeut*innen)
Was ist ein diagnostisches Interview und Welche diagnostischen Interviews gibt es?
= zentrale diagnostische Zugang bei der Begutachtung von psychischen und psychosomatischen Krankheitsbildern
Skid (strukturiertes Interview, Fragenreihenfolge festgelegt, kein open access) und dips (Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen, semi-strukturierter Aufbau, Open Access)
Welche Formen von Interviews gibt es?
Definitionen dazu
Klinische Interviews, Halbstrukturierte Interviews, Strukturierte Interviews, Standardisierte Interviews
DI Unterscheidung im Grad der Strukturiertheit & Standardisierung
Zentral Grad der Standardisierung einer Befragung: das bezieht sich auf die Freiheitsgrade der befragten Person.
Bei einer standardisierten Befragung werden (in Form geschlossener Fragen) Antwortmöglichkeiten vorgegeben, unter denen die befragte Person auswählt
strukturiertes Interview:
Grad der Strukturiertheit einer Befragung bezieht sich auf die Freiheitsgrade der Forscher/innen. Bei einer strukturierten Befragung sind Wortlaut und Reihenfolge der Fragen genau vorgegeben.
Bei einer halbstrukturierten Befragung ist als Orientierung ein Leitfaden mit vorformulierten Fragen vorgegeben; der/die Forscher/in kann jedoch die genaue Formulierung und die Reihenfolge der Fragen variieren
Ganz oben : nicht strukturiert/ standardisiert sondern frei
Definition klinisches Interview
Freies Gespräch mit bestimmter Zielsetzung
Ablauf individuell festgelegt , Auswertung nicht festgelegt
Strukturiert vs standardisiert vs klinisches Interview
Klinisches: freies Gespräch mit bestimmter Zielsetzung, Ablauf vom Interviewer individuell festgelegt, Auswertung nicht festgelegt
Struktur: fragen und Ablauf vorgegeben ebenso Auswertung
Standardisiert: Prozess festgelegt, auch Kodierung der Antworten
Aufbau diagnostischer Interviews
einfache einfangsfragen (aktuelle Lebens- und Problemsituation)
Offener Teil (freie Darstellung durch begutachtende Person) - wichtigste Infos des psychischen Querschnittsbefundes und Verständnisfragen
Halbstrujturierter Teil *Beschwerden [Diff. Diagnose erwägen], *Erkrankungen und Bewältigung [psych. und physisch], *Medikamentenanamnese, Suchtanamnese + Erkrankungen mit Impulskontrollstörungen [Spielsucht, selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, Delinquenz], *Vegetativanamnese [Größe, Gewicht], *Unverträglichkeiten, Appetit, Durst, Stuhlgang, Wasserlassen, Schlafstörungen, *Sozial- und Familienanamnese [berufl. Werdegang zb Arbeitsunfähigkeit eruieren, Kinder, Partnerschaften], *Biografische Anamnese [Geburt, Zeugung, Kindergarten, Schule, Trennungen], *außerberufliche Lebensgestaltung, *Freundschaften und sozialkontakte, *Ressourcen/Strategien/Krankheitsverarbeitung, *sysstematische Erhebung der Aktivitäten/Tagesablauf, Einschätzung), *Einschätzung des zukünftigen Heilverlaufs und Leistungsvermögens [reduzierte Arbeitszeit/Pläne/Wünsche, *Beurteilung der kausalen Beziehung eines definieren Schadensereignisses zum seelischen Störungsbild/spät im Interview (zb PTBS: respektive Traumafolgestörung, Schilderung des Ereignisses und initiale psychische Reaktion)
Stärken und Schwächen unstandardisierter Interviews (also wenn der Prozess nicht komplett vorgegeben ist)
**lebensnähere Gestaltung [kontextbezogene Bewertung, individuelle Besonderheiten der Person/situation],
**Beliebige Zentrierung von Themen [Vertiefung/Vernachlässigung],
**Bedeutungsäquivalenz statt Wortäquivalenz [Bedeutung können dieselben sein ohne dass die Worte die gleichen sind; Anpassung der Sprachregelungen auf Sprachfähigkeit, Intelligenz, Wissensvoraussetzungen usw]
Nachteile:
**Fehlende Vergleichbarkeit (wg. individueller Erhebung)
**Auslassung wichtiger Informationen (wg untersch. Akzentuierung durch Begutachterinnen)
**Verzerrte selbstdarstellung (Verbergen/Hervorheben von Stärken, Schwächen - keine Generalisierung möglich)
**Übertragungs- und Gegenübertragungseffekte
—>unkontrollierbare Einflussgrößen: Objektivität und Gültigkeit der Ergebnisse unbestimmt
**Die Einschränkung fraglicher Objektivität (logisch konsistente Sachinfos [Biographie, Fakten, Daten, Emotionale Infos: Risiko der Beeinflussung erhöht], Infos über emotionale, konflikthafte, widersprächliche Sachverhalte [hier erhöhtes Risiko]
Beeinflussung durch spezifische Befragungsbedingungen (6)
Frageinhalte
Wahl des Sprachcodes
Art und Geschwindigkeit des Fragens
Abfolge der Fragen
Körpersprache
Intonation des Fragenden und Befragten
—>Raum für Antworten lassen, kein leidensbetontes Vokabular, Reihenfolgeeffekte möglich
wann Risiko erhöht für geringere Reliabilität und Objektivität
mit erhöhter Anzahl potenziell ereignisbeeinflussender und nur bedingt kontrollierbarer Einflüsse
—>Testgütekriterien in dieser Interviewmethode zu erfüllen schwierig, durch Komplexität des Interaktionsgeschehens
Wie und unter welchen Bedingungen sollten Krankheits- und gesundheitsbeozgene Infos unter Berücksichtigung der Funktionsweise des Gedächtnisses erhoben werden?
Gedächtnisforschung: neue Info werden selektiv aufgenommen, verarbeitet, reduziert, zu bestehenden Wissen in Beziehung gesetzt, abgespalten/Vergessen
-Fragen stellen, die nicht Vergangenheit und Gegenwart betreffen
-Gedächtnisorganisation der zu begutachtenden Person relevant
-Aussagen die auf Basis des Gedächtnisses getroffen werden: sind selektiv kodierte individuell verarbeitete und gewichtete Erfahrungswerte
Alle Gutachter*innen müssen prüfen, ob die Art & Weise, wie biografische Angaben explorativ erhoben werden, auch tatsächlich geeignet ist, um zuverlässige und gültige Ergebnisse zu erzielen.
Erkenntnisse zur Gedächtnisorganisation
• Positiv verzerrte Erinnerung von Zuständen vor traumatischen Ereignissen
• Tendenziell bessere Erinnerung angenehmer Ereignisse als unangenehmer (Escobedo& Adoplphs, 2006)
• Emotional getönte Inhalte eher bevorzugt gespeichert & erinnert als emotional neutrale (Brainerd et al., 2008)
• Tunnelgedächtnis bei emotional stark belastenden Erlebnissen (Paz-Alonso & Goodman, 2008): Kontextereignisse nur schlecht erinnert
• Veränderung ursprünglicher Gedächtnisinhalte durch nachträgliche Informationen (Loftus, 1979)
• Erinnerung gefördert oder erschwert, indem kognitive Schemata genutzt oder verhindert werden (Hendersen et al., 2009)
• Verbesserte Erinnerungsleistung bei Übereinstimmung von Kontexten in der Befragung (Tulving & Thomson, 1973 )
Für die verschiedenen Themenbereiche verschiedene Voraussetzungen
Erleben der Symptome und Beschwerden; Verarbeitung der Beschwerden; Auswirkungen auf die Funktions-& Leistungsfähigkeit usw.
—> Unterschiedliche Gedächtnisvoraussetzungen
Ein leidensbetontes Vokabular der Untersucher*innen kann die Erinnerung an das Leiden zu Lasten ressourcenbezogener Erinnerungen intensivieren!
Aussagepsychologie und Realkennzeichen
definition “Aussagen”
= versucht aus den Aussagen der Befragten Erkenntnisse zur Gültigkeit der getätigten Aussagen abzuleiten (auf Basis der Gedächtnisorganisation)
Aussagen: selektiv kodierte, individuell verarbeitete und gewichtete Erfahrungswerte
Realkennzeichen
-> bringen was?
—>was sind Hinweise auf Wahrheitsgehalt
= können Hinweise auf eine fragliche Gültigkeit von Aussagen enthalten
logische Inkonsistenz der Angaben (ich habe schmerzen bei bewegung vs ich gehe gerne stundenlang spazieren zb in sozialmedizinischer Begutachtung)
sprunghafte Darstellung (Wechsel zwischen Beschreibung der Symptomatik& Erklärung dieser; Reaktionen der Umwelt auf die Symptomatik & Darstellungen die mit der Symptomatik nichts zu tun haben) ACHTUNG: Ideenflucht bei affektiven Störungen
mangelnder quantitativer Detailreichtum (minimalistisch stereotyope Wiederholungen)
Wahrheitsgehalt (indikationen für wahrheit):
Ausgefallene oder nebensächliche Einzelheiten ACHTUNG: Detailreichtum lässt sich leicht bewusstseinsnah verfälschen!
Verhaltensnahe Beschreibung (zb Angst bei kochen etwas abzubrennen oder Schwierigkeiten bei Arbeit)
Einbezug von Alltagserfahrungen
Beschreibung eigener psychischer Vorgänge
Spontane Verbesserung eigener Aussagen zum fraglichen Sachverhalt ACHTUNG: unterscheidung zu logischer Inkonsistenz zb durch eigene Verbesserungen “wobei, mir fällt grade ein..”
Spontanes Eingestehen von Erinnerungslücken (Bewusstsein über Grenzen dere eigenen Perspektive)
unvorteilhafte Darstellung der eigenen Person (zb Vorteile der Versicherungsleistungen)
Verwertbarkeit der Realkennzeichen (BGH)
• Als grundsätzlich empirisch überprüft angesehen
• Geringe Validität einzelner Indikatoren
• Gutachterliche Schlussfolgerung aus Gesamtheit aller Indikatorenà höhere Aussagekraft
• Teilweise nicht unerhebliche Fehlerspannen
• Inwieweit Differenzierung gegenüber Personen aus unterschiedlichen Altersgruppen ist unklar
—>Fehleranteile durch das Zusammenwirken der Indikatoren gesenkt
Welche 3 Untersuchungsfragen muss man sich als Begutachtende Person stellen?
• Verfügt die Aussageperson über die notwendigen kognitiven Voraussetzungen (Aussagetüchtigkeit) ?
—> Prüfbar durch sozialmedizinische Gutachten, medizinische Vorbefunde & psychopathologischen Befund; Beobachtungs- Erinnerungs-& Ausdrückvermögen (Gedächtnisstörungen/ dissoziative, wahnhafte, psychosenahe Symptome) = Frage nach Aussagetüchtigkeit auch Frage nach psychopathologischen Störungen
• Inwieweit weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten, aber nicht in frei erfundenen oder von Dritten induzierten Aussagen zu erwarten sind ?(Aussagequalität)
—> Charakteristische Merkmale des Störungsbildes/Psychopathologie/Funktions & Leistungsniveau, Therapieeinflüsse mit den Aussagen abgleichen
• Inwieweit liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können (Aussagevalidität)?—> Konsistenzprüfungen [verzerrte Selbstdarstellung durch persönliche Interessenlagen zb Widersprüche in Verhalten und Gesagtem)
Hinweise zur Durchführung des Interviews (7?)
Aufbau von Rapport
- Entspannte Interviewatmosphäre
- Anpassung von Wortwahl, Sprachcode, Emotionalität, Lautstärke usw. (Bedeutungsäquivalenz statt Wortäquivalenz)
Wertfreies Interesse
- Verbale & nonverbale Beziehungsbotschaften (z.B. Nicken, Blickkontakt, bestätigende Inhalte, sachliches Interesse)
—>erhöht Bereitschaft authentisch zu berichten
Dosierte Konfrontation
- Mit Wiedersprüchen oder der Frage der Eigenverantwortung
- Entschärfung durch Hinweise auf Notwendigkeit der Frage (Neutralität+ Vertrauensverhältnis) - “ich muss für vollumfassendes bild diese Fragen stellen - nicht nur bestätigende Interaktion
Verhältnis von Fragen zu bestätigenden und konfrontierenden Sachverhalten
- Balance zw. störungsbezogenen vs. gesundheitsorientiert
- Beantwortung ausführlich& differenziert vs. zurückhaltend & verzerrt (zb leiden werden Ausführlich beschrieben und Bewältigungsversuche kaum = bedrohlich und entgegengesetzt erlebt)
Schrittweise Differenzierung und Konkretisierung
- Vorerst Raum für freien Bericht —> dann strukturierte Befragung
- Reihenfolgeeffekte! (spezifische Frage beeinflusst die Antwort auf eine nachfolgende allgemeine Frage mit erhöhter Wahrsch. während auf eine allg. Frage die nachfolgenden Antworten auf konkrete Fragen weniger beeinflusst scheinen (Wie schlecht ging es ihnen in der depressiven Phase vor einem Monat? Wie würden Sie ihren Gemütszustand letzten Monat beschrieben)
„Kognitives Interview“
- Verbesserung der Erinnerungsleistung durch Kontextübereinstimmung (Kontexte: Reproduktion- und Wahrnehmungskontext (Assoziationskoetten- zurückversetzen))
- Umgekehrte zeitliche Reihenfolge/ unterschiedliche Perspektiven = 1/3 mehr korrekte Informationen in Studien
Abschlussfragen
- „Gibt es noch Sachverhalte, die Sie für wichtig halten oder die Sie gerne ansprechen wollen, die bisher nicht zur Sprache kamen?“
- Nachfrage nach Bemühungen einen bestimmten Eindruck zu vermitteln
—>wie nimmt Person die Begutachtung wahr? Misstrauensgefüfühle?
wie verhalten sich allgemeine und spezifische Fragen in der Reihenfolge?
spezifische Frage beeinflusst die Antwort auf eine nachfolgende allgemeine Frage mit erhöhter Wahrsch. während auf eine allg. Frage die nachfolgenden Antworten auf konkrete Fragen weniger beeinflusst scheinen (Wie schlecht ging es ihnen in der depressiven Phase vor einem Monat? Wie würden Sie ihren Gemütszustand letzten Monat beschrieben
kurz: was ist ein diagnostisches Interview?
zentraler diagnostischer Zugang bei der Begutachtung
wann steigt das Risiko geringerer Reliabilität und Objektivität?
mit der Anzahl nur bedingt kontrollierbarer Einfülsse im Diagnostischen Interview
was muss von Begutachterinnen in bezug auf zuverlässigkeit und gültigkeit geprüft werden?
ob Art und Weise, wie biografische Angaben explorativ ehoben werden dafür auch geeignet ist, zuverlässige und gültige Ergebnisse zu erzielen
Was kann Vokabular beeinflussen?
leidensbetontes Vokabular der Untersucherinnen kann die Erinnerung an das Leiden zu Lasten ressourcenbezogener Erinnerungen intensivieren
was ist wichtig bei Realkennzeichen zu beachten? und beispiel
können Hinweise auf fragliche Gültigkeit von aussagen enthalten ; zb logische inkonsitenzen getarnt als “spontane korrektur eigener Aussagen”
es gibt 3 wichtige untersuchungsfragen, wofür?
zur Prüfung der Aussagetüchtigkeit, Aussagequalität, Aussagevalidität
5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen
Diagnostik
..prämordbider psychischer Störunge
..einer Störungsspezifischen Schadensanlage
..allgemeiner prämorbider Vulnerabilitäten
..prämorbider psychosozialer Funktionen
..prämorbider situativer Bedingungen
Diagnostik prämorbider psychischer Störungen (5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen)
-Maßnahmen zur Sicherung des Krankheitswertes prämorbider psychischer Störungen
-Nachweise erforderlich, um die Unfall- oder Schädigungsfolgen als Verschlimmerung eines Vorschadens benennen zu können
Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage (5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen)
Nachweis störungsspezifischer Bedingungen, die nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand zur Ausbildung bzw. Entstehung der zu bewertenden psychoreaktiven Störung beigetragen haben
Angaben zur Schadensanlage = Voraussetzung zur Beurteilung der konkurrierenden Kausalität
Störungsspezifische Bedingungen = individuelle biopsychosoziale Dispositionen, Persönlichkeitsmerkmale, psychophysiologische Vulnerabilität
Diagnostik allgemeiner prämorbider Vulnerabilität (5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen)
Informationserhebung zur generellen Anfälligkeit belastungsreaktiver psychischer Störungen
Relevant bei eingeschränkt möglichen Aussagen zur störungsspezifischen Schadensanlage oder bei der Beantwortung prognostischer Fragen
Orientierung an psychodynamischen und kognitiv-lerntheoretischen Ansätzen
Diagnistik prämordbider psychosozialer Funktionen (5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen)
Ziel: reliable und valide Einschätzung der Schwere schädigungsbedingter psychosozialer Funktionsminderung
Diagnostik zur Abschätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus
Abgleich prämorbides Funktionsniveau mit Funktionsniveau nach der Schädigung à schädigungsbedingte Funktionsminderung
= z.B. Einschätzung prämorbider Intelligenz oder Qualität prämorbider emotional-motivationaler oder sozialer Funktionen
- Veranschaulicht Art und Ausmaß der schädigungsbedingten Funktionsminderung
Diagnistik prämordbider situativer Bedingungen (5 Schwerpunkte der Diagnostik des prämordbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen)
Ziel: Identifikation derjenigen situativen (externen) Umweltbedingungen, die vor oder zeitnah zum Schadensereignis bestanden haben und die wahrscheinlich die spätere Ausbildung der psychoreaktiven Störung im Sinne konkurrierender Kausalfaktoren mit beeinflusst haben
Probleme der Prämorbiddiagnostik
• Nach Beweisregeln im Öffentlichen Recht und im Zivilrecht müssen konkurrierende Kausalfaktoren vollbeweislich gesichert sein.
• Feststellung eines prämorbiden Gesundheitsschadens / einer Krankheitsanlage muss mit so hohem Grad an Gewissheit getroffen werden, dass bei vernünftiger lebensnaher Betrachtung kein begründbarer Zweifel an der Tatsache besteht
Probleme bei Rekonstruktion des prämorbiden Zustands durch:
motivationale Verzerrungen
unbewusste bzw. unwillkürliche Merkmale der Organisation und Funktionsweise des Gedächtnisses
Gedächtnisbedingte Verzerrungen
—>gedächtnisbezogene Artefakte und Gedächtnislücken und Ambivalenzen bezüglich der Angabe konkurrierender Kausalfaktoren zu berücksichtigen!
Sowohl bewusstseinsnah-willentliche (motivationale) als auch durch die Organisation des Gedächtnisses bedingte unwillkürliche Einflüsse schränken Gültigkeit individueller Aussagen zum prämorbiden Zustand ein —> Beurteilung des prämorbiden Zustandes aufgrund möglichst breiter Datenbasis
Motivationale Verzerrungen bei Prämorbiddiagnostik:
Der Versicherte als Informationsquelle
Beweislast für prämorbide gesundheitliche Zustände oder Prädispositionen liegt beim Versicherer (Gegenpartei des Geschädigten)
Geschädigte Person hat gesetzliche Mitwirkungspflicht (unterliegt motivationalen Einflüssen) und geschädigte Person hat eventuell Interesse daran, verschlechterten oder schlechten gesundheitlichen Zustand kausal auf Unfall oder Ereignis zurückführen zu lassen
Bagatellisierungs-/Dissimulationstendenzen
Prämorbider Zustand tendenziell beschönigt
-eher seltener, wenn gesundheitliche Verschlechterung geltend gemacht wird, dann eher Aggravationstendenzen
Aggravationstendenzen
veränderter (zb nach Unfall) Gesundheitszustand wird dramatisiert
Neurokognitive Defizite (z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma) können die erinnerte zeitliche Ordnung beeinträchtigen:
Episodisches und kontextbezogenes Wissen durch SHT in der Regel stärker beeinträchtigt als semantisches (Welt-) Wissen (Knight & O'Hagan, 2008) [d.h. wann und unter welchen Umständen länger zurückliegende Ereignisse stattgefunden haben, wird durch Schädel-Hirn-Verletzungen in der Regel stärker beeinträchtigt als semantisches (Welt-)Wissen (Knight & O'Hagan, 2008). Betroffen sind vor allem Erinnerungen, die zeitnah zum Unfallereignis aufgetreten sind. Die szenische Rekonstruktion von Ereignissen, Vorgängen oder Abläufen sowie Angaben über komplexe Person-Umwelt-Interaktionen können beeinträchtigt sein, sodass Auslösebedingungen, Krankheitsverlauf und Behandlungswirkungen nicht immer zuverlässig beurteilt werden können]
Emotionale Ereignisse werden meist besser erinnert:
Personen erinnern emotionsauslösende Ereignisse in der Regel genauer und dauerhafter als alltägliche Ereignisse (Christianson, 1992)
negative Ereignisvalenz kann Erinnerungsleistung beeinträchtigen, wenn sie mit Vermeidungstendenzen einher geht (Cohen, 1996)
[emotional aufwühlende Erfahrungen mit größerer Wahrscheinlichkeit im Gedächtnis als neutrale Erinnerungen. emotionsauslösende Ereignisse in der Regel genauer und dauerhafter als alltägliche Ereignisse (Christianson, 1992). // Manche Studien: negative Ereignisvalenz die Erinnerungsleistung beeinträchtigen kann, wenn sie mit Vermeidungstendenzen einher geht (Cohen, 1996). // Insgesamt: Wahrscheinlichkeit, prämorbid belastende Ereignisse (z.B. Ängste, Stimmungsschwankungen, soziale Konflikte, Ärger) zu erinnern, über der Wahrscheinlichkeit liegt, mit der emotional neutrale Sachverhalte (etwa zum Funktionsniveau oder zu Verhaltensgewohnheiten im Alltag) erinnert werden. Dies kann Auswirkungen haben auf die Beurteilung des prämorbiden Funktionsniveaus.]
Der psychische und physische Zustand während der Befragung beeinflusst Art und Qualität der Erinnerungen:
Mit aktueller Stimmung oder Empfindungen übereinstimmende Inhalte werden besser erinnert
Bsp. Negative Stimmung = negative Sachverhalte schneller erinnert, positive langsamer
—>sowohl die Stimmung in der Untersuchungssituation als auch die Kongruenz der Stimmung mit der emotionalen Qualität des zu erinnernden Ereignisses können sich auf das Ergebnis der Erinnerung auswirken.
Während Begutachtung eher angespannte Stimmung vieler = zu erwarten, dass dies die Erinnerung an negativ besetzte Ereignisse begünstigt.
Fehlende Erinnerungen werden aufgefüllt und an spätere Ereignisse angepasst:
Konfabulation: erschaffen falscher Erinnerungen, wobei die Person selbst überzeugt ist, dass es die Wahrheit ist
Erinnerungen werden im Sinne des Selbstkonzepts rekonstruiert:
Informationen werden oft in Art und Weise abgespeichert und abgerufen, die mit dominierendem Selbstkonzept der betreffenden Person übereinstimmt / Bsp. Bewusstsein vom eigenen Opferstatus ///// Zusatz: (Nach Pohl (2007) ist eine zentrale Funktion des autobiografischen Gedächtnisses die Bildung des Selbstkonzepts. Informationen werden nicht immer «wahrheitsgemäß» abgespeichert und abgerufen, sondern eher in einer Art und Weise, die mit dem dominierenden Selbstkonzept des Betreffenden vereinbar ist. // Ist das Selbstkonzept eines Geschädigten durch das Bewusstsein vom eigenen Opferstatus und dem Bedürfnis nach Entlastung und Entschädigung bestimmt, dann kann sich dies auf den Abruf von Gedächtnisinhalten auswirken, die diskrepant zum dominierenden Selbstkonzept sind.)
auffüllen Fehlender Erinnerungen
Nicht selten füllen Probanden fehlende Erinnerungen an autobiografische Ereignisse durch Konfabulationen auf. Die Grenze zwischen Konfabulation und Rekonstruktion ist nicht immer ganz klar, weil auch im normalen Alltag Details realer Erinnerungen häufig konfabuliert werden.
Aus der Suggestivitätsforschung ist bekannt, dass es möglich ist, falsche Erinnerungen zu generieren und den Betreffenden zugleich davon zu überzeugen, dass diese Erinnerungen zutreffend sind (Cohen, 1996).
Vielfach werden Erinnerungen auch durch nachfolgende Lernerfahrungen (z.B. durch die Erfahrung der Beschwerdechronifizierung) an diese Lernerfahrung angepasst. So erinnern Patienten mit chronischen Schmerzen doppelt so häufig schmerzhafte Ereignisse im Vergleich zu Kontrollpersonen, ohne dazu aufgefordert zu werden (Ruoß, 1999). Die Exploration des prämorbiden Zustandes unterliegt insofern unbewussten Verzerrungen, die bei der Interpretation der Angaben berücksichtigt werden sollten.
Unter Konfabulation versteht man in der Medizin das Erzählen von frei erfundenen, objektiv falschen Begebenheiten oder Informationen, die keinen Zusammenhang zur Realität haben, die der Betroffene jedoch in dem Moment für wahr hält.
Konfabulation bezeichnet das unbewusste Erschaffen von falschen oder erdachten Erinnerungen aufgrund von Gedächtnislücken oder kognitiven Beeinträchtigungen. Eine Person, die konfabuliert, glaubt aufrichtig an ihre erdachten Erinnerungen, auch wenn sie realitätsfern oder unwahr sind. Dies kann beispielsweise bei Demenz oder Schizophrenie der Fall sein.
Sicherung des Krankheitswertes
optimal zeitnah vor dem Schadensfall:
Diagnosen nach ICD-10, durch ärztliche Berichte dokumentiert
gesicherte pharmakologische oder psychotherapeutische Behandlung (hinweis auf prämorbide Störung)
Gelegentliche ärztliche Beratungsgespräche ≠ Beleg für krankheitswert!
Bedeutung der zeitlichen Distanz:
Zeitnah vor dem Unfallsereignis vergebene Diagnosen sind idr aussagekräftiger als länger zurückliegende Diagnosen
Rekonstruktion prämorbider Störungen ohne Fremdbelege:
Grundsätzlich möglich
Informationen zur prämorbiden klinischen Symptomatik nachträglich mit Bezug auf unterschiedliche Quellen überzeugend rekonstruiert erfassen
KURZ:
Psychische Störung kann prämorbid vorliegen, auch wenn dies nicht dokumentiert wurde
Informationen zu prämorbiden klinischen Symptomen müssen nachträglich erfasst un rekonstruiert werden
Besondere Maßnahmen zur Beschwerdevalidierung und Konsistenzprüfung sind erforderlich
Zur Sicherung des Krankheitswertes sollten Informationen aus Selbst- und Fremdberichten übereinstimmen
Mögliche Quellen zur Erfassung prämorbider Störungen
Krankenkassenberichte /-belege (erstattete psychodiagnostischer/therapeutischer Leistungen prämorbid)
Abrechnungsbelege (provat finanziertes)
Berichte des Arbeitgebers (Arbeitsunfähigkeit)
ärztliche Berichte
Entlassungsberichte
Angaben der betroffenen Person und Angehöriger
Störungsspezifische Schadensanlage: personenbezogene Merkmale, die die Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer bestimmten belastungsreaktiven krankheitswertigen Störung oder Erkrankung erhöhen
Orientierung an Erkenntnissen zu ätiologischen Bedingungen der Störungen, die NACH dem schädigenden Ereignis aufgetreten sind
Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage- Beispiel PTBS
Beispiel PTBS:
· Diagnostische Leitfrage: Hat Proband*in vor dem Schadensereignis Merkmale aufgewiesen, die die Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer PTBS erhöhen oder die Schwere der Störung beeinflussen?
- Der Einstieg in die Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage sollte sich an Erkenntnissen zu den ätiologischen Bedingungen derjenigen Störungen orientieren, die nach dem schädigenden Ereignis aufgetreten sind
Vulnerabilisierende Bedingungen für die Entwicklung einer PTBS:
Genetische Einflüsse
· Nach DSM-IV Hinweise auf eine erbliche Komponente, die dafür sprechen, dass genetisch Verwandte gehäuft krankheitswertig auf stark belastende Ereignisse reagieren
· Erhöhte Vulnerabilität für Entwicklung einer PTBS bei Verwandten ersten Grades von Personen mit Depressionen
· Keine überzeugenden Hinweise auf eine genetische Disposition zur Entwicklung einer PTBS (Maercker, 2007)
· erhöhte Vulnerabilität für die Entwicklung einer PTBS bei Verwandten ersten Grades von Personen mit Depressionen
Psychische Dispositionen nach ICD-10 und DSM-IV
o Nach ICD-10: Prämorbide Persönlichkeitsfaktoren können Schwelle für Entwicklung Syndrom senken und Verlauf verstärken (ABER: Faktoren weder nötig noch ausreichend, um Auftreten der Störung zu erklären)
o Nach DSM-IV: soz. Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen & vorbestehende psychische Störungen können Ausbildung einer PTBS beeinflussen
o Prädisponierende Faktoren nicht notwendig, um Störung auszulösen; vulnerable Bedingungen beeinflussen jedoch Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
o —> Prämorbide Persönlichkeitsfaktoren = z.B. bestimmte Persönlichkeitszüge (z.B. zwanghafte) oder neurotische Erkrankungen
Weitere Ergebnisse zum Forschungsstand
§ Brewin et al. (2000) und Ozer et al. (2003): Metaanalysen zur Untersuchung der Frage nach störungsdisponierenden Faktoren für die Ausbildung einer PTBS
§ Beziehungen zwischen prädisponierenden Faktoren, Traumamerkmalen und nachfolgender PTBS
-Bisher untersuchte prämorbide vulnerabilisierende Bedingungen wirkten sich ausnahmslos in geringer Effektstärke auf die spätere Ausbildung einer PTBS aus
§ Vorhersagewert prätraumatischer Erfahrungen für spätere PTBS-Entwicklung unabhängig davon, ob Erfahrungen in Kindheit oder im Erwachsenenalter gemacht wurden
§ Prämorbide Gewalttraumata unter zivilen Bedingungentragen tragen stärker zur Vorhersage späterer PTBS bei als Kriegsereignisse oder Unfallerfahrungen
§ Psychische Probleme in zeitlicher Nähe vor Schädigungsereignis erhöhen Wahrscheinlichkeit für späteres Auftreten PTBS-Symptome
- Prämorbide Gewalttraumata unter zivilen Bedingungen = Gewaltverbrechen, Vergewaltigung, häusliche Gewalt
- Psychische Probleme in zeitlicher Nähe vor Schädigungsereignis: = dazu zählen Erfahrungen mit Psychotherapie, allgemeine emotionale Probleme, Ängste oder affektive Störungen sowie Persönlichkeitsstörungen
o Einfluss prämorbider Depressivität erhöht Wahrscheinlichkeit für PTBS stärker als andere psychische Beeinträchtigungen
o Prämorbide Anpassungsprobleme tragen nur bei Unfallereignissen oder nicht-kriegerischen interpersonellen Gewalterfahrungen zur PTBS-Vorhersage bei
o Interviewerhebungen führen eher als Fragebogenwerte zu Überschätzung Zusammenhang zw. prämorbiden Besonderheiten und späterer PTBS
Fazit:
Bei manifester PTBS sollten Informationen zu folgenden prämorbiden potenziell konkurrierenden Kausalfaktoren erhoben werden:
o Auffällige Belastungsverarbeitung bei Verwandten ersten Grades
o Familiäre Psychopathologie
o Eigene Gewalterfahrung
o Prämorbide Psychopathologie
o Prämorbide Persönlichkeit
Auffälligkeiten in mehreren dieser Merkmale? à Entwicklung einer PTBS wird nach Schadensereignis durch Schadensanlage begünstigt
Diagnostik einer störungsspezifischen Schadensanlage- Beispiel Anpassungsstörung
Vulnerabilisierende Bedingungen für die Entwicklung einer Anpassungsstörung:
Für Anpassungsstörungen keine wissenschaftlich hinreichend gesicherten Erkenntnisse zu relevanten störungsprädisponierenden Faktoren (Schadensanlage)
nach ICD-10 spielt individuelle Vulnerabilität für Auftreten und Form einer Anpassungsstörung größere Rolle als bei anderen belastungsreaktiven Störungen
DSM-IV: Personen erleben unter ungünstigen Lebensbedingungen mehr Belastungsfaktoren & haben daher möglicherweise höheres Risiko für Störung
Erhebung spezifischer vulnerabilisierender Bedingungen für Ausbildung einer Anpassungsstörung an klinischem Erscheinungsbild (Prägnanztyp) ausrichten (ergebnislage spricht dafür)
nur lesen und merken
- Tabelle zeigt für die wichtigsten psychopathologischen Prägnanztypen von Anpassungsstörungen die spezifischen prädisponierenden Bedingungen, die nach aktuellem Kenntnisstand als mögliche Schadensanlage in Frage kommen: Depression, Angst und Störung des Sozialverhaltens
- Sie sollten daher bei der Beurteilung der konkurrierenden Kausalität berücksichtigt werden
- Beispielsweise für Prägnanztyp „Depression“: vulnerabilisierende psychosoziale Bedingungen in der Vorgeschichte sind:
- Depressive Störungen bei Verwandten ersten Grades
- Kumulierte Hilflosigkeitserfahrungen
- Reduzierte Verstärkerbedingungen
- Schwache internale Kontrollüberzeugung
- Irrationale depressionsfördernde Denkmuster
Diagnostik “allgemeiner” prämorbider Vulnerabilität
Explorative Erhebung von Merkmalen einer generellen prämorbiden Vulnerabilität für psychoreaktiver Störungen auf Grundlage psychodynamischer oder kognitiv-lerntheoretischer Annahmen
Es existiert kein allgemeines störungsübergreifendes Bedingungs- oder Ätiologiemodell für psychische Störungen
Zur Vereinheitlichung der Datensammlung und daraus abgeleiteter Bewertungsprozesse soll sich Informationssammlung an psychodynamischen oder lerntheoretischen Grundkonzepten ausrichten
- Legt man die operationalisierte psychodynamische Diagnostik (Arbeitskreis OPD) zugrunde, dann eignen sich zur Beurteilung einer allgemeinen prämorbiden Vulnerabilität vor allem Angaben zu den Achsen 2 bis 4 (Beziehung, Konflikt, Struktur)
Merkmale erhöhter prämorbider Vulnerabilität aus psychodynamischer Sicht:
eine überwiegend durch unbewusste Anteile geprägte Beziehungsgestaltung
eine hohe Bedeutsamkeit repetitiv-dysfunktionaler Konflikte
eine geringe Ausprägung oder Desintegration zentraler Strukturmerkmale (Wahrnehmung, Regulierung, Kommunikation, Bindung)
Merkmale erhöhter prämorbider Vulnerabilität aus kognitiv-lerntheoretischer Sicht:
Soziale Kompetenzdefizite, geringe soziale Verstärkererfahrungen, interpersonelle Probleme
Widersprüchliche und inkonsistente Lernerfahrungen führen auf der Grundlage einer individuellen psychophysiologischen Disposition dauerhaft zu irrationalen Denk- und Verhaltensmustern sowie Verhaltensambivalenz
Geringe Breitschaft oder Fähigkeit zur Selbstregulation und zur Integration belastender oder widersprüchlicher Erfahrungen
Notwendige Einschätzung allgemeiner prämorbider Vulnerabilität für psychische Störungen bei fehlenden Belegen für störungsspezifische Vulnerabilität
Typische allgemein vulnerabilisierende Faktoren: prämorbide habituierte bzw. sich wiederholende Erlebnis- oder Verhaltensweisen, die sich im Umgang mit eigenen Ambivalenzen oder im Umgang mit sozialer Umwelt dauerhaft und situationsübergreifend dysfunktional manifestiert haben
Berücksichtigung psychometrische Faktoren, Kombination interviewbasierter Angaben mit den Ergebnissen standardisierter und normierter Erhebungsverfahren
Diagnostik zur Identifikation allgemeiner vulnerabler Faktoren: Berücksichtigung psychometrische Faktoren, Kombination interviewbasierter Angaben mit den Ergebnissen standardisierter und normierter Erhebungsverfahren
Disgnostik des prämorbiden Funktionsniveaus
-Sicherung von Infos zum prämordbiden kognitiven, psychischen, körperlichen oder sozialen Funktionsniveau
-Auswahl des zu beurteilenden Funktionsbereichs bemisst sich am Erscheinungsbild der schädigungsbedingten Erkrankungen oder psychischen Störungen
-Ziel: Beurteilung konkurrierender Kausalfaktoren UND Abschätzung der SChwere der erlittenen Schädigung
Geht nicht um den Nachweis krankheitswertiger Störungen, sondern um die Sicherung von Informationen zum prämorbiden kognitiven, psychischen, körperlichen oder sozialen Funktionsniveau
gewonnene Informationen können sowohl zur Beurteilung konkurrierender Kausalfaktoren als auch zur Abschätzung der Schwere der erlittenen Schädigung verwendet werden
Auswahl des zu beurteilenden Funktionsbereichs bemisst sich am Erscheinungsbild der schädigungsbedingten Erkrankung oder psychischen Störung
Klagt ein Proband z. B. über sozialen Rückzug und die Vermeidung sozialer Aktivitäten aufgrund eines unfallreaktiv aufgetretenen Tinnitus, dann zielt die prämorbide Diagnostik auf das psychosoziale Funktionsniveau vor dem Schädigungsereignis.
Liegen hingegen z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma konzentrative und gedächtnisbezogene Beeinträchtigungen vor, dann steht die Einschätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus im Vordergrund.
Schwere der Funktionsbeeinträchtigung bemisst sich an:
subjektiv erlittene Minderung der Funktionsfähigkeit
Übereinstimmung des posttraumatischen Funktionsniveaus mit altersgleicher Normgruppe
Ausrichtung von Exploration oder schriftlicher Befragung an gängigen Fragebögen oder Checklisten zu Alltagsaktivitäten und Alltagsfunktionen (z. B. Bullinger et al., 1993; Lübbers et al., 1993; Wade, 1992) - für möglichst vollständiges bild
Validierung der Angaben zum prämorbiden Funktionsniveau:
Vergleich von Explorations-ergebnissen mit schriftlichen Zeitdokumenten
Arbeits- und Tätigkeitsberichte
Zeugnisse
Ergebnisse handwerklicher, künstlerischer oder anderer geistiger Tätigkeit
Oder Schätzung des prämorbiden Funktionsniveaus anhand sicher zu erhebender soziodemografischer Prädiktorvariablen
Retrospektive Funktionseinschätzung
Das Ausmaß der erlittenen Schädigung ist bei sonst gleichem posttraumatischem Funktionsniveau umso höher zu veranschlagen, je höher bzw. unbeeinträchtigter das prämorbide Funktionsniveau war.
Angaben zum prämorbiden Funktionsniveau können leichter durch gedächtnisbedingte Ausfälle oder Konfabulationen verzerrt sein
Schätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus
Orientierende Schätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus:
nachträglich explorativ
z. B. über die Sichtung von Schul- und Arbeitszeugnissen, Aus- und Fortbildungsnachweisen sowie Belegen über den Anforderungscharakter der früheren beruflichen Tätigkeit erfolgen
nachträglich explorativ z. B. über die Sichtung von Schul- und Arbeitszeugnissen, Aus- und Fortbildungsnachweisen sowie Belegen über den Anforderungscharakter der früheren beruflichen Tätigkeit erfolgen.
Wahrscheinlichkeitsbasierte Schätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus auf regressions-analytischer Grundlage möglich:
Sozialformel zur prämorbiden (verbalen) Intelligenz (Leplow und Friege, 1998)
Abschätzung des kognitiven Leistungsniveaus mithilfe einfach zu erhebender soziodemografischer Merkmale
für Personen zwischen 18 und 75 Jahren, mit einem IQ von 87 bis 137 einsetzbar
Sozialformel zur Beurteilung der prämorbiden Intelligenz nach Leplow und Friege (1998) - aus Schätzung des prämorbiden kognitiven Funktionsniveaus
Prädiktorvariablen:
Geschlecht
Einkommensgruppe (3-stufig)
Bildung (4-stufig)
Beruf (4-stufig)
Einkommen gemäß Statistischem Jahrbuch (3-stufig)
Wohngebiet (Stadt-Land)
Medienkonsum (3-stufig: überregionale Zeitung - nur regionale Tageszeitung - nur Unterhaltungspresse)
Kritik:
Anwendbarkeit zwischenzeitlich durch mangelnde Aktualität eingeschränkt
veränderte Bildungskonsumgewohnheiten (z. B. Internet) und veränderte Nutzung von Printmedien à Überschätzung der prämorbiden Intelligenz
Sozialformel zu stark vereinfacht
Diagnostik prämorbider sozialer Funktionen
Allgemein Unterscheidung zwischen Umfang und Qualität des sozialen Netzwerks und sozialer Funktionen
Praxisrelevante Informationen:
Umfang/Anzahl sozialer Kontakte
Funktionalität und Qualität sozialer Rollen
Affektive Valenz sozialer Beziehungen
Art und Ausmaß sozialer Unterstützung
Quellen: Schulzeugnisse, Arbeitszeugnisse, handwerkliche oder künstlerische Produkte, schriftliche oder mündliche Befragung von Personen aus dem Umfeld, Videoaufzeichnungen, Tagebuchaufzeichnungen, Testprotokoll/Beurteilungen aus psychologischer Beratung, Explorationsergebnisse (Selbstbericht), standardisierte Fragebögen mit Bezug zum prämorbiden Zustand, Gutachter
primär multiple Quellenvergleiche
Konsistenzabgleich jeweils zwischen Quellen mit ähnlichen Informationsschwerpunkten
Normierte Fragebögen (mit Bezug auf prämorbiden Zustand)
Bspw. Erfassung des prämorbiden sozialen Netzwerks: standardisierte Interview SONET (Ardelt & Laireiter, 1995)
Externe Belastungsfaktoren bzw. situative Bedingungen, die unmittelbar vor oder zeitnah zum Schadensereignis bestanden
Exploration als wichtigste Quelle zur Erfassung situativer Bedingungen
Auch emotionale Zustände sollten erfasst werden
(sofern diese das Erleben oder Verhalten des Geschädigten während des Schädigungsereignisses oder während des Auftretens des Primärschadens beeinflusst haben)
In die Beurteilung konkurrierender Kausalfaktoren können auch externe situative Bedingungen einbezogen werden, die unmittelbar vor oder zeitnah zum Schadensereignis bestanden haben.
Externe Belastungsfaktoren bzw. situative Bedingungen
Auch emotionale Zustände sollten erfasst werden (sofern diese das Erleben oder Verhalten des Geschädigten während des Schädigungsereignisses oder während des Auftretens des Primärschadens beeinflusst haben)
Ausbildung psychoreaktiver Störungen begünstigende situative Bedingungen, die als konkurrierende Kausalfaktoren in Betracht kommen:
Physikalische Umweltbedingungen
Zwischenmenschliche Konflikte oder familiäre Spannungen
Soziale oder leistungsbezogene Konflikte am Arbeitsplatz
Arbeitsbelastung oder Zeitdruck
Einnahme psychotroper Substanzen
Bei Angaben über mehrere situative Belastungsfaktoren vor Schadensereignis:
Sinnvoll, explorativ gewonnene Informationen mit standardisierten Erhebungen, z. B. zu Alltagsbelastungen (z. B. Schmidt-Atzert, 1989), chronischem Stress (Schulz et al., 2004) oder kritischen Lebensereignissen (Filipp, 1990), abzugleichen
—> Sollten Aufgrund ihres situativen Bezugs nur zeitnah zum Schädigungsereignis verwendet werden!
Zusammenfassung “Diagnostik des prämorbiden Zustandes”
Allgemeines
Ziel Diagnostik prämorbider Zustand: Erfassung von Personenmerkmalen & situativen Bedingungen, die vor Schadensereignis manifest waren und für Beurteilung konkurrierender Kausalität von Bedeutung
Fünf Schwerpunkte der Diagnostik des prämorbiden Zustandes psychoreaktiver Störungen
Motivationale und gedächtnisbedingte Verzerrungen
Erfassung des prämorbiden Zustands bevorzugt über gesicherte Diagnosen oder Behandlungen (siehe Entscheidungsheuristik)
Zeitliche Nähe relevant
Störungsspezifische Schadensanlage = Personenbezogene Merkmale, die die Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer bestimmten belastungsreaktiven krankheitswertigen Störung oder Erkrankung erhöhen
Voraussetzung zur Beurteilung der konkurrierenden Kausalität
Diagnostik allgemeiner prämorbider Vulnerabilität
Bei fehlenden Belegen für störungsspezifische Vulnerabilität
Erhebung auf Grundlage psychodynamischer oder kognitiv-lerntheoretischer Annahmen
Sicherung von Informationen zum prämorbiden kognitiven, psychischen, körperlichen oder sozialen Funktionsniveau
Welches Funktionsniveau relevant abhängig von Erscheinungsbild der schädigungsbedingten Erkrankung oder psychischen Störung
Auch externe situative Bedingungen die unmittelbar vor oder zeitnah zum Schadensereignis bestanden haben in Beurteilung konkurrierender Kausalfaktoren einbeziehen
- Angaben zur Schadensanlage = Voraussetzung zur Beurteilung der konkurrierenden Kausalität
Prognose Stellung - Zielsetzung
„ Psychotherapie ist ausgeschlossen, wenn zwar eine seelische Krankheit vorliegt, aber ein Behandlungserfolg nicht erwartet werden kann, weil dafür beim Patienten die Voraussetzungen hinsichtlich seiner Motivationslage, seiner Motivierbarkeit oder seiner Umstellungsfähigkeit nicht gegeben sind oder weil Eigenart der neurotischen Persönlichkeitsstruktur der Patienten (ggf. seiner Lebensumstände) dem Behandlungserfolg entgegenstehen.“
(§ 22 Abs. 3 Nr.1 des Ausschlusskataloges der Psychotherapie-Richtlinie)
Vorhersage des zukünftigen Funktions- und Leistungsniveaus
bei psychosomatischen/psychischen Erkrankungen:
Welches Funktionsniveau ist nach der Therapie, Kompensation und Umweltveränderung zu erwarten?
Bei sozialrechtlichen Begutachtungen:
Kann die Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit mir zumutbaren Aufwand wiederhergestellt werden?
Statistische Prognosefaktoren
Variablen (biologisch, psychologisch, sozial, kontextbezogen) mit statistischem Vorhersagewert für Verlaufs- oder Outcome-Parameter bezüglich Krankheits- oder Funktionsverläufe
Ermittelt aus empirischen Untersuchungen:
*Verlaufsmerkmale von Störungen und Erkrankungen
*Wirksamkeit von Behandlungen
*Wirksamkeit von Rehabilitationsmaßnahmen
Statistische Prognosefaktoren (8):
Lebensalter
Art und Ausmaß der Erkrankung
Art und Wirksamkeit der Vorbehandlung
Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen
Krankheitsverarbeitung des Versicherten
Soziale Umweltfaktoren
Berufliche oder arbeitsbezogene Rahmenbedingungen
Erfahrungen mit relevanten Institutionen
Herausforderungen durch statistische Prognosefaktoren
Prognosen sind immer mit Unsicherheiten und Fehlerrisiken behaftet
Statistische Prognosefaktoren nur bedingt auf den individuellen Einzelfall anzuwenden
Schwierigkeit der Auswahl und Gewichtung von Prognosefaktoren
Verzerrung durch Einbezug von bedeutsamen sozialen oder soziodemografischen Prognosefaktoren ohne Krankheitsbezug
Gefahr des logischen Fehlers
Informationen werden verwendet, die im Behandlungs- oder klinischen Kontext ermittelt wurden jedoch vom Begutachtungskontext abweichen
Individualprognose
Auswahl und Gewichtung von relevanten Variablen
Integration der ausgewählten Variablen in ein Modell
schrittweises Vorgehen
-Auswahl und Bewertungen von Informationen zur Prognose der Störung
-Individueller Störungsverlauf: Vorbehandlung und Krankheitsverarbeitung
-Information zu Funktions-, Leistungs- und Partizipationsbeeinträchtigungen
-Zukünftige Umweltfaktoren
Auswahl und Bewertung von Informationen zur Prognose der Störung
Gut:
Mittel:
Schlecht:
umschriebene Ängste
Phobien
leichte affektive Störungen
belastungsreaktive Störungen
subsyndromale Störungen
schädlicher Substanzgebrauch
generalisierte Ängste
Zwangsstsörungen
rezidivierende affektive Störungen
somatoforme Störungen
dissoziative Störungen
Persönlichkeitsstörungen
Verhaltensstörungen
Psychose/Wahn
schwere Zwangstörungen
Sucht-/ Abhängigkeitserkrankungen
chronifizierte psychosomatische Störungen
Intelligenzminderung
Individueller Störungsverlauf: Vorbehandlung und Krankheitsverarbeitung
Einbezug von Art und Erfolg bisheriger Therapien und Bewältigungsbemühungen
Grundsatz:
Günstige Prognose: Bei Veränderung vorrangegangener, als überwiegend inadäquat und unwirksam zu bewertenden Maßnahmen hin zu adäquaten Methoden.
Ungünstige Prognose: Bei bereits erfolgter angemessener jedoch unwirksamer Behandlung.
Qualität vor Quantität! Konkrete Informationsermittlung zur Vorbehandlung, nicht nur Fokus auf Dauer und Intensität.
Überwiegend angemessen
Überwiegend wenig angemessen
leitlinienkonforme Therapie
verhaltensnahe, konkrete Maßnahmen und Änderungen
selbstregulationsorientiertes -,
übungsorientiertes -,
ressourcenorientiertes Verhalten in Selbsthilfe, Therapie und Rehabilitation
Funktions- und Rehabilitationsorientierung vor Heilungsorientierung
Umsetzung von Veränderungen im Alltag
Einseitig medikamentöse Therapie bei Verhaltensproblemen
Schwache Berücksichtigung der Motivation
Schwache Etablierung veränderter Denk- und Verhaltensweisen
Schwache Ausrichtung der Selbsthilfe oder Rehabilitation an Funktionsverbesserungen
Einseitig defizitorientiert
Kausale Ausrichtung der Therapie bei psychischen Störungen
Einseitige Fokussierung therapeutischer Maßnahmen auf die Beziehung zwischen Patient und Behandler
Informationen zu Funktions-, Leistungs- und Partizippationsbeeinträchtigung
Ziel: Vorhersage des Funktions- und Leistungsniveaus nicht des Krankheitsverlaufes
-abhängig von verschiedenen Faktoren:
Aktuelles Funktions- und Leistungsniveau
Personen Faktoren: Fähigkeiten, Persönlichkeitseigenschaften, Fertigkeiten, Defizite und Ressourcen
Kontextfaktoren: Hilfsmittel, Veränderungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, berufliche Umorientierung etc.
Ungünstige Prognose wenn adäquate Methoden bisher keine positive Wirkung gezeigt haben.
Zukünftige Umweltfaktoren (Prognose)
Bedeutung der Umweltfaktoren für die Prognose zukünftiger krankheitsbedingter Funktionsminderungen ist abhängig von zwei Fragestellungen :
In welchem Ausmaß ist der Umweltfaktor zur Kompensation gesundheitlicher Funktionsbeeinträchtigung geeignet?
Ist der Umweltfaktor an sich veränderbar bzw. ist eine Anpassung möglich?
—>Zu prüfen ist, ob die spezifischen externalen Bedingungen in Zukunft noch veränderbar und dem Einzelnen zumutbar sind oder nicht.
Prüfung:
Eignung spezifischer Umweltveränderungen
Motivationale Voraussetzungen
Realisierungswahrscheinlichkeit
—>Umweltfaktoren sind stärker zu Gewichten in der Individualprognose wenn absehbar ist, dass von ihnen eine deutliche positive Wirkung auf das Funktions- und Leistungsniveau ausgeht, sie durch willentliche Einflussnahme veränderbar sind und diese Veränderung durch den Versicherten tatsächlich umgesetzt wird.
Take Home Messages zu Prognose
Prognosestellung dient der Vorhersage des zukünftigen Funktions- und Leistungsniveaus
Stützt sich auf verschiedenste statistische Prognosefaktoren
Fehleranfälligkeit bewusst machen und versuchen Verzerrungen zu vermeiden
Statistische Prognosefaktoren an individuellen Fall anpassen – Auswahl treffen durch die Ermittlung ergänzender Informationen - Gewichtung der relevanten Variablen vornehmen
Prognosefaktoren sind additiv, keine lineare Steigung durch mehr Faktoren
Individualprognose erfolgt schrittweise
Wofür dient ein Erstgespräch?
Ø Motivation-Vorstellungen-Bereitschaft. Prüfen, ob eine Psychotherapie indiziert ist und ob der Klient die hierzu nötigen Inputs zu liefern bereit ist.
Ø Eruieren ob der Klient unter einem psychischen Problem leidet, das ambulant zu behandeln ist; der Klient entscheidet, ob er sich auf den vom Therapeuten grob skizzierten (noch vorläufigen) Therapieprozess einlassen möchte.
Ø Zentraler diagnostischer Zugang zur Begutachtung
Ø Entscheidende Informationsquelle, »rezeptiv-informative Phase«
Ø Auswahlverfahren für beide Seiten
Stavemann 2015, Schneider 2016
Weg zum Erstgespräch
-Verabredung des Erstgesprächs immer noch per Telefon
-Leidensgeschichten mit der eine Dringlichkeit des Behandlungswunsches
-Mit welchem Hintergrund, welchen Vorinformationen und Voraussetzungen nimmt ein Patient Kontakt auf?
-Terminservicestelle der kassenärztlichen Vereinigung (116117)
Was gehört zum Erstgespräch?
Versuchen Sie, in 30 Minuten das/die psychische/n Problem/e des Patienten und dessen/deren Symptomatik zu erfassen und es provisorisch diagnostisch einzuordnen.
• Patienten begrüßen und einleitend Inhalt und Ziel des Erstgesprächs erläutern: Was hat der Patient darin zu erwarten, was wird heute besprochen, was später?
• Warum kommt der Patient? Wer hat ihn »geschickt«? Warum kommt er gerade jetzt?
• Das/die psychische(n) Problem(e) herausarbeiten und resultierende Symptome erheben
• Welche kognitiven Muster sind erkennbar? Auf Symptomgewinn und aufrechterhaltende Bedingungen achten.
• Liegen weitere, z. B. hierarchische Probleme vor? In welcher Form und Bedingung? Zeitlicher Verlauf?
• Erster Eindruck: Wodurch ist die Patientenpersönlichkeit gekennzeichnet? Typische Widerstände und Muster?
• Vorläufige diagnostische Einordnung vornehmen und erläuternde Rückmeldung an den Patienten geben.
• Könnte es somatische Ursachen für die Beschwerden geben? Gibt es körperliche Beschwerden oder Erkrankungen, die die Problematik verursachen (z.B. Schilddrüsenerkrankung, Hormonstörung) oder die dadurch bedingt sein könnten (z.B. psychosomatische Erkrankungen)?
Versuchen Sie in den verbleibenden 20 Minuten folgende Punkte zu klären bzw. zu besprechen:
•Über welche Bewältigungsstrategien und Therapieerfahrungen verfügt der Patient?
•Welcher Erfolg?
•Welche konkreten Erwartungen und Therapieziele hat der Patient?
•Therapeutisches Vorgehen erläutern: Was hat der Patient in seiner Behandlung zu erwarten? Möchte er das? Motivation stärken.
•Therapieziel vereinbaren, Therapiekontrakt besprechen und abschließen.
•Organisatorisches: Kostenträger, Termine, ggf. somatische Abklärung veranlassen etc. An Patienten aushändigen
Beziehungsaufbau - was gehört dazu?
• Menschen sollen durch die therapeutische Situation sich in ihrem Selbstwert nicht bedroht, sondern geschützt bzw. gestärkt sehen.
• Zu Beginn eine ängstlich abwartende Zurückhaltung oder manchmal gar eine feindselige (Abwehr-)Haltung in der Gegenübertragung gut spürbar . Verständnis, Zuneigung, Sympathie, gleichbleibendes Verhalten
Fallbeispiel: Kontrollzwänge
Eine Patientin mit starken Kontrollzwängen berichtet im Erstgespräch, dass es für sie sehr schwer ist zu telefonieren, da sie nach Beendigung des Gesprächs ständig überprüfen muss, ob der Hörer tatsächlich korrekt auf der Gabel liegt. Die daraus folgenden Kontrollen ziehen sich dann teilweise über Stunden hin. Da aus organisatorischen Gründen Telefongespräche mit der Patientin unumgänglich sind, schlägt die Therapeutin vor, dass sie direkt nach Ende des Gesprächs erneut anrufen und das Telefon dreimal klingeln lassen wird, damit durch die akustische Rückmeldung bestätigt wird, dass der Hörer richtig aufgelegt wurde. Durch diesen Vorschlag wird die Patientin sich verstanden und zugleich in ihrer Symptomatik ernst genommen fühlen.
Wirkfaktoren:
•Förderung von Hoffnung und Zuversicht/ Zutrauen und die Zuschreibung von Entwicklungspotenzial
•Ergründung problematischer Aspekte und ihre Integration in das eigene Selbstverstehen und -erleben
•Stetige Ermutigungen, neue Verhaltensweisen und Sichtweisen auszuprobieren.
Fragen die bei der Einschätzung der therapeutischen Beziehung helfen können?
Ø Nimmt der Patient Fragen oder Anmerkungen von mir auf und beantwortet sie?
Ø Kann ich mich in den Patienten hineinfühlen, Empathie aufbauen, oder bleibt er mir fremd? (Affektausdruck)
Ø Kann der Patient gelegentlich Blickkontakt aufnehmen?
Ø Sind die Affekte, die der Patient zeigt, kompatibel mit dem vorgetragenen Inhalt oder entsteht hier Verwirrung, heftiger Affekte über geringfügige Anlässe, Lachen bei todernsten Themen etc.?
Ø Nimmt der Patient mich als Person wahr oder spricht er ins Leere?
Beziehung und Einfluss auf folgende Parameter:
*Ausgangsbedingungen gleichwertig?
*Informationsgewinn/Gutachten
*Akzeptanz des Ergebnisses der Begutachtung
*Therapeutischer ggfs. Antitherapeutischer Effekt
*Akzeptierendes gleichbleibendes Verhalten, durch saubere Bez.gestaltung
*Abhängigkeitsgefühl zu vermeiden max. 2 Gutachtliche Gespräche
Das hier ist ein Kreislauf, die Punkte sind in der richtigen Reihenfolge
Aufbau des Erstgespräches:
•bezogen auf die aktuelle Lebens-, Problemsituation
•Offener Teil des Interviews, wichtigsten Informationen des psychischen Querschnittbefundes
•Was erwartet er/sie von der Therapie
•Was der Patient*in von uns möchte, weiß er im ersten Fall selbst noch nicht so genau, im zweiten Fall hat er aber sehr konkrete Vorstellungen davon.
•Eigen- oder Fremdmotivation den Einstieg in eine Psychotherapie
•Insbesondere Symptome, die ich-synton sind, d. h. die dem Patient*in gar nicht als krankhaft bewusst sind, stören im sozialen Umfeld erheblich und werden zum Anlass einer Therapieempfehlung. (An Krankheitseinsicht arbeiten)
Halbstrukturierter Teil des Interviews:
•Beschwerdenschilderung
•Systematisches Erfragen, erwägen von Differentialdiagnosen
•Frühere Erkrankungen und deren Bewältigung
•Medikamentenanamnese
•Suchtanamnese, Erkrankungen mit Impulskontrollstörungen
•Vegetativanamnese
•Biografische Anamnese
•Außerberufliche Lebensgestaltung
•Freundschaften und Sozialkontakte
•Ressourcen, Umgang mit Symptomen, Strategien zu Symptomlinderung
•Tagesablauf
•Einschätzung des Heilverlaufs-Leistungsvermögens, Pläne, Wünsche
•Trauma, Detaillierte Schilderung
Mindestens fünf Minuten vor Abschluss der Stunde einräumen.
Ø Stellung zur Frage der Indikation. Hält der/die TherapeutIn eine KVT für aussichtsreich? Schlägt er/sie eine andere Therapieform vor?
Ø Welcher Eindruck hat sich im Verlauf des Gesprächs bei ihm/sie verfestigt? Hier benennt er/sie Stärken und Schwächen des PatientenIn, Bedenken gegen eine Therapie oder erläutert, warum er eine solche Maßnahme für überflüssig hält.
Ø Wie kann sich der PatientIn verbindlich für die Therapie anmelden?
Ø Was sind die Regularien der Praxis dazu?
Zusammenfassung Erstgespräch:
Ø Welche formalen Voraussetzungen muss er/sie erfüllen?
Ø Mit welcher Wartezeit muss er/sie rechnen?
Ø Wer übernimmt die Initiative für ein mögliches Folgegespräch?
Ø Auch die Frage der Diagnose kann bereits gestreift werden, der Therapeut kann eine grobe Einschätzung vornehmen, z. B.: „Ich gehe davon aus, dass Ihre Beschwerden in erster Linie als Depression (Angststörung …) einzuordnen sind."
Ø Abschließend gibt der TherapeutIn Auskunft, ob er/sie selbst für die Behandlung zur Verfügung steht oder leitet er den Patienten an einen Kollegen weiter?
Take Home Messages zu Erstgespräch
Ø Erhebung von psychischen Querschnittbefund, längsschnittlichen bio-psycho-sozialen Entwicklungslinien + Subjektive Sicht, Erleben
Ø Beziehungsanfang, Aufbau, nicht übertragbar
Ø Anwesenheit Dritten kann der psychischen Querschnittbefund verfälschen
Ø Auswirkung der Beziehung auf dem therapeutischen, Krankheitsverlauf
Ø Wichtigsten diagnostischen Kriterien der Verdachtsdiagnosen werden abgeklärt
Schneider 2016
Vom Patienten geschilderte Symptomatik mit Angaben zu Schwere und Verlauf: Grundfragen für den Gutachtenden (3) und was sollte deutlich werden (3)?
Handelt es sich bei beschriebener Störung um St. mit Krankheitswert?
- Fällt die St. in den Indikationsbereich der VT?
- Leidensdruck und Beeinträchtigung (da störungsdefinierend und
Anzeigen des Schweregrads)
- Um welche Störung(en) handelt es sich hier
- Wie stark ist Patient (und Lebensgestaltung) beeinträchtigt/leidet
- Angaben zum Verlauf der Symptomatik wesentlich für Einschätzungen
zur Komplexität bzw. Chronifizierungsgrad
Darstellung der geschilderten Symptomatik - was wird dargestellt?
• Je nach Fall nur relevantes in Darstellung der Symptomatik aufnehmen
• Auch implizite Inhalte können rein
• Z.B. bei Dissimulationstendenzen (Verhaltensmuster oder Tendenzen, bei denen Klienten bewusst oder unbewusst Informationen zurückhalten oder verfälschen zb wg Angst, Schamgefühlen,..)
→ typisch bei sexuellen Dysfunktionen oder anderen schambesetzten Symptomen
Darstellung der geschilderten Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen - was wird dargestellt?
• Plausibel und nachvollziehbare Symptomatik; Verlauf und Schweregrad darstellen
• begrenztes Verständnis d. Kinder: Vokabular
→je jünger, desto wichtiger fremdanamnestische Infos
→ABER ganz wichtig: jeweilige Quelle angeben, da Info je nach Perspektive/
Wahrnehmung variieren kann
• Dieckmann et al. (2018) gehen bei 9-jährigen und älteren Kindern von problemloser
Symptomatik Berichterstattung aus
WIE soll geschildert werden?
• Formulierung aus Sicht des Patienten
• „in Patientensprache“ geschrieben
• Aneinanderreihung von psychopathologischen Begriffen vermeiden
• typischerweise Konjunktiv und indirekte Rede
• Z.B.: „Ich fühle mich ständig niedergeschlagen und traurig. Ich breche ständig in Tränen aus. Außerdem bin ich selbst nach kleinen Anstrengungen erschöpft und muss mich häufig hinlegen.“
→ Die Pat. berichtet, dass sie sich ständig niedergeschlagen und traurig fühle. Sie breche häufig unvermittelt in Tränen aus. Sie sei selbst nach kleinen Anstrengungen erschöpft und müsse sich des Öfteren hinlegen.
Symptombeschreibung nach Diagnosekriterien
• Vers. Möglichkeiten, diesen Bereich des Berichts zu gestalten
• Wesentlich: Notwendige Angaben machen und beschriebene Prinzipien beherzigen
• Immer auf angemessene Individualisierung achten (anhand der Erfahrung der Pat. berichten)
• Da einzelne Kriterien verschiedene Ausprägungen haben können, ist es notwendig zu benennen, welches jeweilige Merkmal zutrifft
• z.B. oft in Tränen ausbrechen, 10kg zugenommen = präzise und an Fall angepasst aber an Individuum orientiert
Angaben zum Verlauf - wofür relevant?
Wichtig, da sie
1. Validität der Diagnose unterstreichen (Zeitkriterium, Leidensdruck und Beeinträchtigung zb)
2. Argumente für Langzeitbehandlung liefern und/oder (bsp Agoraphobie: wie lange besteht sie schon? bei kurz erst bestehend leichter zu behandeln als chronifizierte)
3. Aussagen zur Ätiologie bzw. funktionalen Abhängigkeit transportieren
Darstellung von Verlaufsinformationen
• kurze Angaben zu Zeiteinheiten oder Zeitpunkten (kurz wie möglich, lang wie nötig)
• vage Aussagen ausreichend (Pat. können oft keine genauen Angaben machen zb zu Beginn etc, man kann “ca vor 3 Jahren” mit aufnehmen, nichts faken)
• Angaben zu Hintergründen bzw. Entstehungsbedingungen bei Symptombeschreibung ggf. sinnvoll (aber kurz halten)
• Bsp.: Die Patientin berichtet über eine traurige und niedergeschlagene Stimmung, die seit ca. 3 Jahren durchgängig bestehe
• Die beschriebene Schmerzsymptomatik habe vor ca. 10 Jahren begonnen und in den letzten 3 Jahren bemerke sie zunehmend eine traurige und niedergeschlagene Stimmung
Angaben zu Schwere
• teilweise gehören sie zur Diagnose selbst
• Schweregrad der Störung kann sich auf Genehmigung des Behandlungskontingents auswirken
• V.a. dann der expliziten Darstellung des Schweregrads besondere Achtung schenken, wenn diese nicht sofort augenscheinlich ist
Indizien für Schweregrad:
• Anzahl beschriebener Symptome
• Dauer
• Beeinträchtigungen, Funktionseinschränkungen und Leidensdruck
Faktoren, die den Schweregrad der Störung zum Ausdruck bringen?
Beispiele:
1. Probleme bei Versorgung der Kinder
2. Probleme bei Erledigung behördlicher Angelegenheiten
3. Beeinträchtigung der normalen Tagesroutine
4. Probleme bei Tätigkeiten im Haushalt (Reinigen der Wohnung, Haushalt…)
5. Einschränkungen hinsichtlich der beruflichen Tätigkeiten oder schulischen Leistungen
6. Krankschreibung aufgrund der Symptomatik
7. Ernste Konflikte, Trennungsabsicht oder Trennung vom Partner etc.
Darstellung von Infos zum Schweregrad
nach Möglichkeit auf psychische Symptomatik beziehen
• viele der beschriebenen Faktoren können auch ganz unabhängig von psych. Symptomatik auftreten oder im Ursachengefüge Rolle spielen
Beispiele: Darstellung des Schweregrads der Erkrankung
• Wegen Zwangshandlungen ständig zu spät gekommen und daraufhin Kündigung erhalten
• Aufgrund der depressiven Symptomatik sei sie nur eingeschränkt in der Lage, ihren Haushalt zu führen und sich um ihren Sohn zu kümmern ...
Mehrere Diagnosen und Problembereiche
• formal benötigt man für jede beschriebene Störung, die funktional unabhängig ist, eine eigene Verhaltensanalyse sowie eigenständigen Behandlungsplan
• sparsam sein mit Diagnosen bzw. Anzahl der Problembereiche
• v.a. Symptomatik, die zu Behandlung führte bzw. im Fokus der Behandlung steht
• sind 2 Störungsbereiche funktional abh. voneinander, kann häufig davon ausgegangen werden, dass die „Sekundärsymptomatik“ remittiert, wenn die zugrunde liegende Störung erfolgreich bearbeitet wird
• oder beide Störungen remittieren gleichermaßen, wenn die gemeinsamen ätiologischen Faktoren verändert werden
Darstellung bei mehreren komorbiden Störungen
• bei 2 oder mehr Störungen möglichst einen Schwerpunkt setzen
• bzw. Symptome der einzelnen Störungen sequenziell beschreiben
• deshalb wichtig, gewisse Ordnung herzustellen (die Patienten ggf. bei Erzählung nicht bewusst ist)
• Bezüge zw. beiden Störungen bereits bei Symptomschilderung äußern
Beispiele: Verknüpfung von komorbiden Störungen
Neben der beschriebenen depressiven Symptomatik berichtet die Patientin über soziale Ängste, die schon seit ihrer Adoleszenz bestünden
++ Außerdem zeigen sich bei der Pat. Neben der Zwangsstörung auch Panikattacken…
Auffälligkeiten bei Kontaktaufnahme, Interaktion und bzgl. des Erscheinungsbildes
• kann, aber muss nicht beigefügt werden
• Z.B. 1-2 Sätze zu Auftreten, Interaktionsverhalten sowie äußerem Erscheinungsbild
→ meist direkt vor Psychischen Befund gesetzt
Hilfreicher Standardsatz, der die Grundstruktur vorgibt:
• Der/die (körperl. Erscheinungsbild), (Kleidungsstil) gekleidete Patient/in berichtet
(Interaktion) über seine/ihre Symptomatik und Lebensgeschichte
Der/die (körperl. Erscheinungsbild), (Kleidungsstil) gekleidete
Patient/in berichtet (Interaktion) über seine/ihre Symptomatik
und Lebensgeschichte
Bereiche und Vorschläge für Attribute in Bezug auf das körperliche Erscheinungsbild, den Kleidungsstil und die Interkation
Körperliches Erscheinungsbild groß gewachsene / klein gewachsene / kräftig gebaute / adipöse / augenscheinlich normalgewichtige / schmale / auffallend schlanke / kachektisch wirkende / sportliche / jugendlich wirkende / altersangemessen wirkende / deutlich älter wirkende / bärtige / auffallend geschminkte / vom körperlichen Erscheinungsbild unauffällige
Kleidungsstil sportlich / dezent / modern / elegant / feminin / betont feminin / aufreizend / maskulin / leger / unauffällig / unscheinbar / nachlässig / altersangemessen / altersunangemessen / konservativ
Interaktion freundlich / zugewandt / lebendig / sehr selbstbewusst / aggressiv / adäquat / mitteilungsbereit / deutlich / klar / zurückhaltend / zögerlich / stockend / leise und kaum vernehmbar / schleppend / monoton / angespannt / den direkten Augenkontakt vermeidend / mit emotionaler Anspannung / mit sichtlicher emotionaler Beteiligung / vorsichtig-misstrauisch
Psychotherapie Richtlinien, soziodemografische Daten, Umwandlungs und Fortführungsanträge - Psychotherapie RICHTLINIEN
erste Psychotherapie Richtlinie 1976
Psychotherapie (PT) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
80er : Aufnahme VT
1998 Psychotherapeutengesetz: psycholog. Psychotherapeuten, KJPs
1999 Delegationsverfahren durch Ärzte aufgelöst (Pat. Psychotherapeut)
dann: Konsiliarverfahren
Pat. vorerst Kontakt zu Konsiliararzt, Untersuchung: Kontraindikationen für PT
2020 neues Psychotherapeutengesetz
PSYCHOTHERAPEUTISCHE SPRECHSTUNDE
jede/r Therapeut/in muss Sprechstunden anbieten
100min /Woche bei vollem Versorgungsauftrag
offene Sprechstunden oder mit Termin
pro Erwachsener: mind. 25min , max. 150min
pro Kind/Jugendlicher: mind. 25min , max. 250min
mind. eine 50min Sprechstunde = Voraussetzung für Beginn Richtlinien PT
außer: Pat. mit vorheriger Klinik Rehabehandlung
Ziele:
1.Klärung, ob Störung mit Krankheitswert vorliegt
2.Klärung, ob & welche Weiterbehandlung indiziert ist
Informationsblätter für Patient*innen
PTV11 : Individuelle Patienteninformation
PTV10 : Ambulante Psychotherapie für gesetzlich Krankenversicherte
PROBATORISCHE SITZUNGEN (wofür und was macht man da?)
Prüfen, ob Voraussetzung einer PT gegeben sind
schon in psychotherapeutischer Sprechstunde
daher: max. 4 Sitzungen ( 50min ) bei Erwachsenen, 6 Sitzungen
bei K&J
vor Aufnahme einer Richtlinien PT: mind. 2 Probatorik Sitzungen
nur Einzelstunden möglich
was macht man?
-biografische Anamnese
-Therapieziele, Teilziele
-Behandlungsmotivation
-Störungsbild individuelles Störungsmodell
Telefonische Erreichbarkeit
In kassenärztlicher Vereinigung (KV) tätige TherapeutInnen:
Akutbehandlung
Kurzzeittherapie KZT
Langzeittherapie
Gruppentherapie (GT)
Rezidivprophylaxe
Zusammenfassung Antragsschritte
Umwandlungs- und Fortführungsanträge
Soziodemografische Daten
Soziodemographische Daten Erwachsene
Soziodemographische Daten KiJu
Symtomatik- vom Patienten geschilderte Symptomatik mit Angaben zu Schwere und Verlauf
Darstellung der geschilderten Symptomatik
• Dissimulationstendenzen in der Therapie beziehen sich auf Verhaltensmuster oder Tendenzen, bei denen Klienten bewusst oder unbewusst Informationen zurückhalten oder verfälschen.
• Dies kann verschiedene Gründe haben, wie zum Beispiel Angst vor Urteilen, Schamgefühle, der Wunsch nach Kontrolle oder das Bestreben, ein bestimmtes Bild von sich selbst aufrechtzuerhalten.
Bei Kindern und Jugendlichen:
• Wie Erwachsene, aber…
• Infos aus Schule gehören z.B. zu fremdanamnestischen Infos
WIE soll geschilldert werden?
- Beschreibung der Symptomatik soll eindeutig und strukturiert sein
- (Patient wird selten von Fachbegriffen sprechen)
- Bsp: „Ich fühle mich ständig niedergeschlagen und traurig. Ich breche ständig in Tränen aus. Außerdem bin ich sogar nach kleinen Anstrengungen erschöpft und muss mich dann erstmal liegend ausruhen.“ à Wie würde man dies formulieren?
- Deutlich machen, welche Störung vorliegt und ggf. komorbide Störungen
- Außerdem Angaben zum Schweregrad und Verlauf der Symptomatik, da beides Argumente für die Genehmigung einer Langzeitbehandlung oder Umwandlung sein könnten
• Tipp: Sich bei Symptombeschreibung an jeweiligen Diagnosekriterien orientieren (für die Diagnose-Relevanz der Symptome und die Struktur der Symptomdarstellung
• angemessene Individualisierung = allgemeine Symptome sollten anhand der konkreten Erfahrungen des Patienten berichtet werden
• Individualität des Berichts: Äußerungen zu spezifischen Merkmalen des Patienten
• Vers. Ausprägungen: z.B. Gewichtsveränderung bei depressiver Symptomatik: Zunahme oder Abnahme und wie viel?
Angaben zum Verlauf
• 1. Wichtig, da Zeitpunkte und Zeiteinheiten zu formalen Voraussetzung für Diagnose mancher Störungen gehören
• zB setzt Diagnose einer GAS nach DSM-5-Kriterien beispielsweise voraus, dass die übermäßige Angst und Sorge mindestens 6 Monate an der Mehrzahl der Tage besteht
• Oder eine Anpassungsstörung innerhalb von 3 Monaten nach der Belastung auftreten muss und nicht länger als 6 Monate nach Beendigung der Belastung oder der daraus resultierenden Folgen andauern darf
• 2. außerdem Infos über Schwere- bzw. Chronifizierungsgrad
à kann wesentliches Argument für Durchführung einer Langzeitbehandlung sein
Z.B.: Agoraphobie, die erst seit wenigen Woche besteht vs. schon seit vielen Jahren
• Bsp. Agoraphobie: Erst seit wenigen Wochen sicherlich erfolgversprechender und kürzer zu behandeln als schon jahrelang andauernde Agoraphobie
nochmal: Faktoren, die den SChweregrad einer Störung zum Ausdruck bringen
Kontaktaufnahme und Somatischer Befund - wo zu finden?
unter:
2. Symptomatik und psychischer Befund
• Auffälligkeiten bei der Kontaktaufnahme,
der Interaktion und bezüglich des
Erscheinungsbildes
mögliche Auffälligkeiten bei Kontaktaufnahme, Interaktion und
bzgl. des Erscheinungsbildes
•Ziel: kurzes Skizzieren von Auftreten und Interaktionsverhalten sowie äußerem Erscheinungsbild , keine umfassende Charakterisierung der Person
—>kann aber muss nicht beigefügt werden
→ ein bis max. zwei Sätze zumeist direkt vor psychischem Befund (zb Erscheinungsbild bei Essstörung oder auffälligkeiten bei Perskeitsstilen oder Auffälligkeiten)
• keine bedeutsame Rolle im Gesamtgefüge des Berichts und in hohem Maße subjektiv
Beispielformulierung:
Der/die [körperliches Erscheinungsbild], [Kleidungsstil] gekleidete Patient/Patientin berichtet [Interaktion] über seine/ihre Symptomatik und Lebensgeschichte.
Fallbeispiele:
Herr K.: Der stämmige, leger und einfach gekleidete, gepflegt wirkende Patient berichtet mit leiser Stimme und bricht im Gespräch häufig in Tränen aus.
Frau H.: Die augenscheinlich normalgewichtige, stets elegant mit einem Rock bekleidete Patientin wirkt zunächst sehr misstrauisch und angespannt und berichtet mit sichtlicher emotionaler Beteiligung über ihre Symptomatik und Lebensgeschichte.
3. Somatischer Befund/ Konsiliarbericht - beinhaltet was? und dient als was?
Es muss abgeklärt werden, ob somatissche Gründe auslösend sind = Konsiliarbericht
• Somatische Befunde (ggf. einschließlich Suchtmittelkonsum)
• ggf. aktuelle psychopharmakologische Medikation
• Psychotherapeutische, psychosomatische sowie kinder und jugendpsychiatrische bzw. psychiatrische Vorbehandlungen (falls vorhanden Berichte beifügen)
somatische Befunde:
• Konsiliarbericht als Informationsquelle für somatische Befunde
→ i. d. R. Verweis ausreichend (z. B.: „Somatische Befunde: siehe Konsiliarbericht“)
• bei unzureichend ausgefüllten Konsiliarberichten nachbessern lassen oder eine erneute Konsiliaruntersuchung durch andere/n Konsiliararzt/Konsiliarärztin vornehmen lassen
Exkurs Konsiliarbericht:
Psychologische/r Psychotherapeut/in:
1.sendet eine Überweisung der Pat. an Konsiliarärztin bei best. Fragen (spätestens nach probatorischen Sitzungen und vor Beginn der Behandlung, auf Überweisung stehen Fragen die ich habe oder Untersuchungen)—> diese sendet einen Bericht an Psych. Psychtherapeuten und ein Exemplar geht an die Krankenkasse (weniger Detailreich)
2.sendet den Konsiliarbericht an Gutachterin, diese sendet einen Konsiliarbericht an psych. Psychotherapeutin
Alle Vertragsärzte aber eigentlich alle Ärzte außer Laborärzte und Radiologen dürfen Konsiliarberichte erstellen, allerdings sinnvoll bei Herzproblemen nicht Orthopäden anzufragen
somatische Befunde
• ausführliche Darstellung der somatischen Befunde nur bei Bezügen zur
beschriebenen Symptomatik oder Relevanz für Fallverständnis oder Behandlung → z. B. bei Pat. mit somatoformen Schmerzstörungen oder Vorliegen von medizinischem Krankheitsfaktor (Genese)
→ v. a. dann ausreichende Darstellung der Inhalte des ärztlichen Konsiliarberichts sowie ggf. ergänzenden Befunden mit Bezügen an geeigneter Stelle notwendig
SUCHTMITTELKONSUM
Im Falle der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen (Alkohol, Drogen und Medikamente) darf eine Psychotherapie erst durchgeführt werden, wenn eine Suchtmittelfreiheit bzw. Abstinenz bereits erreicht wurde oder diese parallel zur ambulanten Psychotherapie bis zum Ende von max. zehn Behandlungsstunden hergestellt werden kann (§ 26 oder 27 der Psychotherapie-Richtlinie)
→Abstinenz muss dann durch ärztliche Bescheinigung attestiert werden
→Fortsetzung der ambulanten Psychotherapie bei Rückfall nur, wenn unverzüglich geeignete Behandlungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Abstinenz ergriffen werden (Abstinenz wird dann aber nicht nochmal geprüft)
Aufführen der Suchtanamnese im Bericht bei Hinweisen auf einen über den sozial angemessenen Suchtmittelkonsum hinausgehenden Gebrauch einer Substanz mit Angaben dazu:
a) welche Substanz oder Substanzklasse konsumiert wird,
b) wann die Person mit dem Konsum begonnen hat,
c) wie lange ein problematisches Konsumverhalten besteht,
d) wie viel bzw. in welcher Dosis die Substanz zuletzt konsumiert wurde und
e) seit wann Abstinenz besteht bzw. wie diese hergestellt wurde (Entgiftung, Langzeittherapie)
wenn keine Hinweise “keine Hinweise”
bei Substanzabhängigkeit in der Vorgeschichte und bereits erreichte Abstinenz:
→ ausdrückliche und glaubhafte Schilderung sowie
→ Hinweis auf suchtspezifische Vorbehandlungen (Entgiftung, Entwöhnung etc.)
bei aktuell bestehende Substanzabhängigkeit und noch nicht erreichte Abstinenz:
→ Verweis auf entsprechendes Vorgehen (Psychotherapie Richtlinie)
→ Suchtmittelfreiheit bzw. Motivation zur Entzugs oder auch Entwöhnungsbehandlung als Therapieziel benennen und Aufführen entsprechender Methoden im Behandlungsplan (z.B. Motivational Interviewing)
→ ggf. Verweis auf Zusammenarbeit mit Institutionen der Suchthilfe (z.B. Suchtberatung)
Beispiel: Vorgehen bei bestehender Abhängigkeit von psychotropen Substanzen
Aufgrund der Abhängigkeit von […] wird innerhalb der ersten zehn
Behandlungsstunden eine Abstinenz angestrebt. Eine Bescheinigung der
Suchtmittelfreiheit gemäß § 26 der Psychotherapie Richtlinie wird nach erfolgter Abstinenz angefordert und als Teil der Behandlungsdokumentation der Akte beigefügt.
Aktuelle psychopharmakologische Medikation
•bei aktueller Einnahme psychopharmakologischer Medikation,
Benennung des Präparats bzw. der Präparate sowie der jeweiligen Dosierung
• evtl. auch Angabe der Medikationsdauer sowie der Compliance hinsichtlich der Einnahme → hilfreich für Fallverständnis
Psychotherapeutische, psychosomatische sowie
kinder und jugendpsychiatrische bzw. psychiatrische Vorbehandlungen
• Aufführen der psychotherapeutischen, psychosomatischen und psychiatrischen Vorbehandlungen möglichst vollständig, um Rückfragen oder Nachforderungen des Gutachters/der Gutachterin zu vermeiden
• Gutachter/in erhält häufig auch Einblick in Art und Umfang vorangegangener Behandlungen durch Krankenkasse (Auszug der letzten Jahre)
•stationäre Behandlungen:
→ Benennung der Klinik sowie des Behandlungszeitraumes
• psychotherapeutische Leistungen innerhalb der letzten zwei Jahre:
→ Art der Therapie (Verhaltenstherapie, Analytische Therapie) sowie
→ Art und Umfang der therapeutischen Leistungen (Sprechstunde, Akutbehandlung, probatorische Sitzungen etc.)
→ bei Beginn einer Richtlinienpsychotherapie innerhalb der zwei Jahre, Indikation einer erneuten Therapie in dem Zeitraum zusätzlich begründen
Berichte vorausgegangener psychotherapeutischer, psychosomatischer
und psychiatrischer Behandlungen
neue Vorgabe:
Fremdbefunde sollen Bericht an Gutachter/in beigefügt werden
• keine ausdrückliche Zustimmung des/der Pat. zur Weitergabe der Berichte erforderlich , da Zustimmung mit Vereinbarung des Behandlungsvertrags; persönliche Daten auf Berichten schwärzen bzw. unkenntlich machen
• Auswahl der Berichte abhängig von Relevanz für Fallverständnis
• falls Vorbefunde zum Zeitpunkt des Antrags noch nicht vorliegen, evtl. in Bericht aufnehmen (z. B.: „Die Vorbefunde wurden angefordert und liegen noch nicht [ggf. vollständig] vor.“)
Fallbeispiele: Darstellung des somatischen Befundes, der Medikation und von Vorbehandlungen
Herr K.: Siehe Konsiliarbericht. Tagesklinische Behandlung vor zehn Jahren; ambulante psychiatrische Behandlung: Venlafaxin (225 mg), seit drei Monaten krankgeschrieben. Keine psychotherapeutische Vorbehandlung. Kein Hinweis auf Sucht oder schädlichen Gebrauch einer Substanz.
Frau H.: Siehe Konsiliarbericht. Nach dem Überfall Krankschreibung durch den Hausarzt. Ambulante psychiatrische Vorstellung und Verordnung von Citalopram (20 mg). Einweisung in eine Tagesklinik, jedoch von Seiten der Patientin nach drei Tagen abgebrochen. Keine Suchterkrankung.
Kurz: Home Messages: Auffälligkeiten bei Kontaktaufnahme, Interaktion
und bzgl. des Erscheinungsbildes
• Auftreten und Interaktionsverhalten sowie äußeres Erscheinungsbild in ein bis max. zwei Sätzen kurz skizzieren, keine umfassende Charakterisierung der Person
kurz: Home Messages: Somatische Befunde und Konsiliarbericht
•beinhaltet somatische Befunde primär durch Konsiliarbericht abgedeckt; ausführlich nur bei Bezug zur Symptomatik oder Relevanz für Fallverständnis/Behandlung
• ggf. einschließlich Suchtmittelkonsum → bei Substanzabhängigkeit muss Abstinenz vor Beginn der Psychotherapie oder innerhalb von max. zehn Behandlungsstunden hergestellt und attestiert werden; Aufführen der Suchtanamnese im Bericht bei Hinweisen auf übermäßigen Gebrauch einer Substanz
• ggf. aktuelle psychopharmakologische Medikation → Benennung sowie Dosierung
• psychotherapeutische/psychosomatische/ kinder und jugendpsychiatrische bzw. psychiatrische Vorbehandlungen und
• entsprechende Berichte beifügen, falls vorhanden → Auswahl abhängig von Relevanz Universität Potsdam 16.06.2023 90
Diagnostischer Kontext - Die 5 Schritte des diagnostischen Vorgehens
1.Beziehungsaufbau/allgemeiner Eindruck (erste Kontaktaufnahme, Fragebogen, o.Ä.)
2.klassifikatorische/kategoriale Diagnostik (bspw. anhand von Entscheidungsbäumen)
3.Organische Ursachen und Komplikationen (und die Abgrenzung von diesen)
4.Analyse des Problemverhaltens (zu Therapiebeginn oft unvollständig)
5.Weitere Maßnahmen (Erforschen von Berwältigungsversuchen
oder strategien, Lebensereignisse
oder belastungen, etc.)
1.b Verzerrende Einflüsse auf Diagnosen
Kontext, Erwartungen, Glaubwürdigkeit der Infoquelle, Zusatzinfo, Therapeuteneigenschaft
2.a Strukturierte Interviews als Hilfsmittel - allgemein
-Strukturierung der Diagnostik hilft Therapeut*innen, Komplexität der Diagnosen zu bewältigen und verringert Varianz in der Diagnostik
-Drei Formen des strukturierten Interviews werden unterschieden (von frei nach standardisiert):
1. Checklisten: Auflistung der Kriterien und Entscheidungsbäume, ansonsten freie Formulierung
2. Strukturierte Interviews: vorformulierte Fragen; Entscheidung klinischer Relevanz liegt beim Therapeuten
3. Standardisierte Interviews: kein Entscheidungsspielraum,
Antworten werden nur kodiert
→strukturierte Interviews insbesondere valide, reliabel und viel eingesetzt
Struktirierte Interviews - Bsp Entscheidungsbaum
3 Interviewarten
Therapiebezogene Diagnostik: das DIPS
Eigenschaften des DIPS:
-Kategoriale Diagnostik und therapiebezogene Daten : i.e. Entstehung, Verlauf, situative und kognitive Einflussfaktoren
-Erfasst nur die “wichtigsten Störungen”, auch Familienanamnese
-60-90 Min., auch unter “schwierigen Bedingungen” zufriedenstellend (e.g. Suppiger et al., 2008)
Befunde zum DIPS (Suppiger et al., 2009):
-Patient*innen: “Hilfreich”: 78,5%; “therap. Beziehung positiv”: 96,5%; “anstrengend”:16%
-Therapeut*innen: “Möglichkeit auf Patient*inne einzugehen”: 92,6%
DIPS beispiel (Therapiebezogene Diagnostik:
Das Kinder DIPS bei Kindern und Jugendlichen
Eigenschaften des Kinder DIPS:
- umfasst Kinderversion sowie parallele Elternversion (erfolgen unabhängig)
-“Kinderstörungen” und Störungen des Kindes und Jugendalters
Aufteilung in drei Teile
1. Überblicksteil: Erfassung der im Vordergrund stehenden Probleme
und Lebensereignisse in letzten 6 Monaten
2. Spezieller Teil: Erfassung spezifischer, psychischer Störungen
3. Anamnese: auch Familienanamnese
-auch auslösende & modulierende Faktoren, Grad d. Beeinträchtigung erfasst
-Bearbeitungszeit: jeweils 60-90 Minuten
-Für Kinder vom 6. bis zum 18. Lebensjahr
Das Mini DIPS für rasche Diagnosen (Kurzinterview)
Eigenschaften des Mini DIPS:
-Bearbeitungszeit nur 30 Minuten, dabei akzeptable Qualität
-Effizienz erzielt durch unterschiedliche Methoden
-Hinreichend genaue Diagnose der Angst-, affektiven, somatischen
Belastungs --, körperdysmorphen, Traumafolge --, Ess und
Schlafstörungen sowie des Abhängigkeitsspektrums
-nicht alle Diagnosekriterien explizit ausformuliert → höheres Maß an diagnostischer Kenntnis möglich
-Gefahr von Ungenauigkeit besteht (eher falsch positiv als falsch negativ)
Regeln
1.Fragen in Originalform
2.Zusätzliche Fragen sind erlaubt, speziell Nachfragen
3.Symptomeinschätzung von Interviewer ist am wichtigsten
4.Patient*in und Interview müssen sich auf selben Zeitraum beziehen
5.Symptome müssen diagnostisch relevant sein
6.Alle Abschnitte durchführen
Vorbereitung des Patienten
1.Alles muss abgeklärt werden
2.Dauer des Interviews
3.Leitfaden als Orientierung für Diagnostiker
4.Unterbrechung/Zurückleitung bei Abweichung
5.Fragen von Patient*in
6.Bei Therapie: erstmal nur Diagnostik, nicht therapeutisches Gespräch
Diagnoserichtlinien für Diagnosestellung- allgemein
→ endgültige Diagnose soll erst nach Beendigung des gesamten Interviews gestellt werden → eine Reihe von Punkte muss für jede Störung abgeklärt werden
-Beschwerden unangemessen/irrational?
-Kein heuristisches Vorgehen?
-Zsmh mit anderen Störungen?
-Beeinträchtigung des Lebens?
-Keine organischen Faktoren?
Achse 1
-Erfüllung aller Kriterien
-Komorbidität
-Frühere Episoden
-Gewichtung bei Komorbidität
andere Achsen
-Achse 2: Persönlichkeit/geistige Behinderung
-Achse 3: Körperliche Störungen
-Achse 4: Psychosoziale/Umweltprobleme
-Achse 5: Psychosoziale Anpassung
Konkrete Empfehlungen für Diagnose im Antrag
1.In der Darstellung soll verbale Bezeichnung sowie ICD-10 Code vergeben werden
2.Auch: Diagnosesicherheit
a.G-gesicherte Diagnose
b.V-Verdachtsdiagnose
c.A-ausgeschlossene Diagnose
d.Z-symptomloser Zustand nach betreffender Diagnose
3.Nur Diagnosen, für die ein Behandlungsanliegen besteht auch Nicht Behandlung von Diagnosen begründen
4.Bei Kindern: multiaxiale Diagnostik
5.Differenzialdiagnostik: nur bei Bedenken bzgl. Validität der Diagnose
Fallbeispiele Erwachsene der ICD10 Krit im Bericht an den Gutachter
keine Angaben zu durchgeführten Verfahren notwendig sondern eher nur die Diagnose
Fallbeispiel Kinder multiaxiale Diagnostik KiJu (icd 10 Diagnosen)
Einführung des psychischen Befunds
•Notwendigkeit des psychischen Befunds im Bericht an den Gutachter
•kein verbindliches System für den Befund
--> jedoch sinnvoll: Orientierung am AMDP System
•üblich: kurze und stichwortartige Verfassung des Befundes
Geschichte des AMDP Systems
•1965 von DE und CH Arbeitsgruppe gegründet, später AU Arbeitsgruppe dazugekommen
• seit 1979 AMDP System genannt
• Ziel: internationale Vereinheitlichung psychiatrischer Diagnostik und Forschung
• Merkmale durch empirische Analysen der Befunde von über 2500 Patient: innen gewonnen
•Merkmalsauswahl durch Interrater Reliabilitätsstudien, Häufigkeit, Spezifität, Verlaufssensitivität
Aufbau des AMDP Systems
• 12 Oberbereiche:
jeweils unterschiedliche Anzahl von psychopathologischen Symptomen
• AMDP Manual:
Vorgabe einer Struktur zur Erhebung und Dokumentation des psychischen und somatischen Befunds
enthält Definition, Erläuterungen und Beispiele zu den Symptomen
Oberbereiche Psychischer Befund nach AMDP System
Bewusstseinsstörungen
Orientierungsstörungen
Aufmerksamektis- und Gedächtnisstörungen
formale Denkstörung
Befürchtungen und Zwänge
Wahn
Sinnestäuschungen
Ich-Störungen
Störungen der Affektivität
Antriebs- und psychomotorische Störungen
Circadiane Besonderheiten
Andere Störungen
Anwendung des AMDP-Systems
•Voraussetzung: Vertrautheit mit System—> Manual durcharbeiten + Trainings absolvieren
•Erhebungsdauer: ca. 30 Minuten, bei Erst Interview 45 60 Minuten
•Dokumentation dauert nur wenige Minuten
• vierseitiger Dokumentationsbogen mit Anamnese, psychischem und somatischem Befund
• zur Beurteilung alle zur Verfügung stehenden objektiven und subjektiven Informationsquellen heranziehen
• Datenquellen:
-S: Selbst; Patient:innen = Datenquelle, Selbstbericht,schilderung, aussage
-F: Fremd; andere Datenquellen, Untersucher:innen , Pflegepersonal, Angehörige
-S/F: beide Datenquellen zur Beurteilung relevant
•Fremdbeurteilungsverfahren
—> Untersucher:innen gewichten + beurteilen
•Beurteilungszeitraum: 3-4 Tage oder bei Verdachtsdiagnose an Zeitkriterium der jeweiligen Störung orientieren
Psycho. Befund bleibt ein Fremdbeurtreilungsverfahren auch wenn Selbstbericht dazu beträgt
man darf keine diagnose nach den genannten symptomen erstellen sondern muss alles abfragen
AMDP Entscheidungsbaum
Anwendung des AMDP Systems Entscheidungsbaum
• muss bei jedem Merkmal durchlaufen werden
• Beurteilbarkeit : nicht untersuchbar: wenn Patient: innen sich trotz Bemühens nicht untersuchen lassen, z.B. Mutismus (zb keine Orientierungsstörung feststellbar wenn eine Person die Fragen nicht beantwortet)
• Entscheidungssicherheit über das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein: fraglich: keine hinreichenden Informationen für eine sichere Einschätzung (seitens der Datenlage, nicht wenn ich unsicher bin ob ein symptom vorliegt oder nicht)
• Vorhandensein: Norm bei Beurteilung der Abweichung beachten
kulturelle Norm
spezielle Norm einer soz. kult. Gruppe
individuelle Norm
•Quantifizierung: bei Vorliegen mind. „leicht“ (vgl. mittel und schwer)
Leidensdruck: subjektive Belastung, die jemand unter einem Symptom erlebt
Beeinträchtigung: Folgen der Symptomatik aus Sicht der Patient:innen oder anderen
Wie sieht ein psychischer Befund aus?
•Aussagen zu allen 12 Oberbereichen
•Befundbeschreibung: Benennung von auffälligen und unauffälligen Merkmalen
Beispiel Darstellung eines Negativbefunds:
„In Bezug auf Aufmerksamkeit und Gedächtnis zeigen sich bei dem Patienten keine Störungen. Der formale Gedankengang ist ungestört.“
Beispiel Darstellung eines Positivbefunds:
„In Bezug auf Aufmerksamkeit und Gedächtnis zeigen sich bei dem Patienten Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen und Gedächtnisstörungen. Der formale Gedankengang ist eingeengt auf die
körperliche Symptomatik.“
Seltene psychopathologische Merkmale
•ambulantes psychotherapeutisches Setting: seltenes Vorkommen einiger psychopathologischer Symptome; z.B. selten:
klinisch relevante Bewusstseins oder Orientierungsstörungen
Auftreten von Wahnphänomenen und Sinnestäuschungen
vorteilhaft ist Standardsatz für seltene Kategorien:
„Die Patientin ist wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten voll orientiert. Es finden sich keine Hinweise auf Wahnerleben, Sinnestäuschungen oder Störungen des Ich Erlebens.“
Häufige psychopathologische Merkmale
•ambulantes psychotherapeutisches Setting: häufiger auftretende Oberbereiche vorhanden
--> vorteilhaft: Verwendung von AMDP Befundbogen oder eigener Liste
einfacher Überblick über auftretende Symptome
Krankheitsverständnis
•angemessenes Krankheitsverständnis: notwendige Bedingung für erfolgreiche Therapie
•i.d.R. ein Satz für Darstellung, z.B.:
„Der Patient ist ausreichend krankheitseinsichtig und kann sich gut auf ein verhaltenstherapeutisches Krankheitskonzept einlassen.“
•fehlendes Krankheitsverständnis bei Kindern oder Jugendlichen (entwicklungs-, störungs oder altersbedingt) --> Beschreibung des Krankheitsverständnisses von relevanten Bezugspersonen
Bewusstseinsstörungen: Bewusstseinsverminderung
Definition: Störung der Wachheit bzw. Ausmaß der Schläfrigkeit
Anmerkung
• Auf Kontinuum betrachtet: Benommenheit, Somnolenz, Sopor, Koma
Beispiel
„Patient: innen sind in unterschiedlichem Maße schläfrig, verlangsamt und in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit eingeschränkt; in schweren Fällen ist Realitätskontakt ganz aufgehoben“
Bewusstseinsstörungen: Bewusstseinstrübung
Definition: Qualitative Störung der Bewusstseinsklarheit Anmerkung
•Fähigkeit ist gestört, verschiedene Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen, sinnvoll miteinander zu verbinden, sich entsprechend mitzuteilen und sinnvoll zu handeln
• Teilsymptome: Abkehr von Außenwelt, schlechte Auffassungsgabe, Ablenkbarkeit, Schwerbesinnlichkeit
• Auftreten bspw. bei Delir, akuter psychotischer Symptomatik, Intoxikation
„Eine Patientin hat Mühe, das Geschehen in ihrer aktuellen Situation zu verstehen und daraus sinnvolle Handlungen abzuleiten.“
Bewusstseinsstörungen: Bewussstseinseinengung
Definition: Einengung des gesamten Erlebens und Verhaltens mit verminderter Ansprechbarkeit auf Außenreize
•Lichtkegel des Bewusstseins: enger, wenig beweglicher Lichtkegel, in dem Ereignisse klar oder sogar überdeutlich wahrgenommen werden; außerhalb des Lichtkegels nicht oder nur unscharf
•Auftreten bspw. bei Dämmerzuständen, akuten Belastungsreaktionen, Hypnose, starker Konzentration
„Der Patient lauscht seinen Stimmen. Versuche, ihn auf andere Themen zu leiten, beantwortet er nicht, oder er lässt nur eine angedeutete Reaktion erkennen, bevor er sich wieder seinem inneren Erleben zuwendet.“
Bewusstseinsstörungen: Bewusstseinsverschiebung/-erweiterung
Definition: Gesamtes Erleben ist intensiver oder klarer als üblich, z.B. Gefühle, Sinneswahrnehmungen
•Patient:innen empfinden sich insgesamt als wacher, lebendiger und offener
•Auftreten bspw. bei Drogen, psychotischer Symptomatik, meditativen Zuständen
„Patient:innen berichten vom subjektiven Gefühl innerer Bereicherung/Erweiterung ihres Erlebens“
Orientierungsstörungen, Zeitliche Orientierungsstörung
Definition: Datum (Tag, Monat, Jahr), Wochentag oder Jahreszeit werden nicht oder nur ungenau gewusst
• Bei leicht falscher Antwort soll Patient:innen Gelegenheit zur Korrektur gegeben werden
wenn Antwort ohne weitere Hilfe berichtigt wird, dann wird falsche Antwort nicht gewertet
„Ein Patient kann den aktuellen Wochentag nicht benennen.“
Orientierungsstörungen: Örtliche Orientierungsstörung
Definition
Gegenwärtiger Aufenthaltsort wird nicht gewusst oder es werden ungenaue Angaben darüber gemacht
„Bei einem Patienten besteht Unsicherheit bezüglich des gegenwärtigen Aufenthaltsorts.“
Situative Orientierungsstörung
Gegenwärtige Situation wird in ihrem Bedeutungs
und Sinnzusammenhang nur ungenau oder gar nicht
erfasst
„Ein Patient weiß nicht, dass er sich in einer Klinik befindet und einen Arzt vor sich hat.“
Orientierungsstörung über die eigene Person
Persönliche lebensgeschichtliche Situation wird nicht oder nur ungenau gewusst
•Kann alle wichtigen autobiografischen Fakten, bezogen auf Gegenwart und Vergangenheit umfassen
„Eine Patientin weiß nicht, wie alt sie ist. Ein Patient weiß seinen Geburtstag nicht. Eine Patientin weiß
ihren Namen nicht. Ein Patient kennt seine Wohnadresse nicht.“
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Auffassungsstörungen
Definition: Störung der Fähigkeit, Äußerungen und Texte in ihrer Bedeutung zu verstehen
•Auffassung kann mehr oder weniger falsch, schwerbesinnlich oder fehlend sein
•Klinische Prüfung bspw. mit Sprichwörtern, Fabeln
„Ein Patient erklärt ein Sprichwort konkretistisch.“
Konkretismus: Beeinträchtigung der Fähigkeit zu abstrahierend symbolischen Denken —>Probleme bei Verallgemeinerungen und
Wiedergabe von wörtlichem Verständnis bei eigentlich metaphorischer Bedeutung
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Konzentrationsstörungen
Verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit einer Tätigkeit oder einem Thema ausdauernd zuzuwenden
•Klinische Prüfung bspw. durch Aufgaben, wie von 81 immer 4 abziehen oder die Monatsnamen rückwärts aufsagen
• Zeigen sich durch Zunahme von Fehlern im Verlauf oder durch Verlangsamung und schließlich Abbruch
einer begonnenen Aufgabe
„Der Patient berichtet, dass seine Gedanken beim Lesen eines Buches oder einer Zeitung nach wenigen Minuten abschweifen würden.“
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Merkfähigkeitsstörungen
Herabsetzung oder Aufhebung der Fähigkeit, sich neue Informationen über einen Zeitraum von 10 Minuten
zu merken
•Merkfähigkeit von affektiver Bedeutung der Merkinhalte abhängig, deshalb in Prüfung Begriffe
verwenden, die nicht emotional aufgeladen sind
•Hilfestellung möglich, wenn Begriff dann gewusst, keine Störung vorhanden
„Eine Patientin kann sich die gestellten Fragen nicht merken und muss immer wieder rückfragen, was der
Untersucher wissen will, weil sie die Frage vergessen hat.“
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Gedächtnisstörung
Herabsetzung oder Aufhebung der Fähigkeit, Informationen länger als 10 Minuten zu speichern bzw.
Erlerntes aus dem Gedächtnis abzurufen
•Können sich auf zeitnahe oder weiter zurückliegende Ereignisse beziehen
•Hier auch Amnesien
(inhaltlich oder zeitlich begrenzte und Zeitgitterstörungen
gemeint ( Unfähigkeit, Gedächtnisinhalte zeitlich richtig einzuordnen
„Ein Patient kann sich nicht mehr erinnern, was er gestern zum Mittag gegessen hat.“
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Konfabulation
Erinnerungslücken werden mit wechselnden Einfällen ausgefüllt, die für wirkliche Erinnerung gehalten
•Wechselnde Antworten auf die gleiche Frage
—> zur Beurteilung muss derselbe Sachverhalt mehrfach
erfragt werden
•Patient:innen bemerken Unterschiedlichkeit der Angaben nicht, da sie den tatsächlichen Sachverhalt und
vorherige Angaben vergessen haben
„Eine Patientin antwortet auf die Frage, wovon sie leben würde, „von der Arbeit“, zu einem späteren Zeitpunkt auf dieselbe Frage „von der Rente“ und noch später „vom ererbten Vermögen“.“
Aufmerksamkeits und Gedächtnisstörungen: Paramnesien
Erinnerungsverfälschungen oder
täuschungen, sich ungewollt aufdrängende Erinnerungen, gesteigerte
Erinnerungsfähigkeit
•Falsches Wiedererkennen: déjà vu (vermeintliche Vertrautheit), jamais vu (vermeintliche
•Ekmnesien: Störungen des Zeiterlebens bzw. der zeitlichen Einordnung, wobei die Vergangenheit als Gegenwart erlebt wird
•Hypermnesien: Steigerung der Erinnerungsfähigkeit, z.B. fotografisches Gedächtnis
•Flashbacks (Nachhallerinnerungen) und Intrusionen (sich aufdrängende Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis)
•Falsche Erinnerungen: Pseudoerinnerungen, Erinnerungsverfälschungen
„Ein Patient glaubt, sich in einer vergangenen Zeit aufzuhalten.“ (Ekmnesie)
Formale Denkstörungen: gehemmt
Denken wird von Patient:innen subjektiv als gebremst oder blockiert empfunden
•Verringerte Geschwindigkeit des Denkens
•Denken wie gegen inneren Widerstand, in eigenartiger Weise zäh oder blockiert
„Eine Patientin erwähnt, dass ihr Denken in der letzten Zeit schwerfälliger geworden sei.“
Formale Denkstörungen: verlangsamt
Denken ist im Tempo reduziert und schleppend; von außen beobachtbar
•Phänomen manchmal schwer zu beurteilen, da Einschätzung von Normvorstellung der Untersucher:innen abhängig ist
• Bei Beurteilung landesübliches Temperament der Patient:innen beachten
„Es entstehen längere Gesprächspausen, die über das Nachdenken über eine Frage hinausgehen.“
Formale Denkstörungen: umständlich
Denken, das das Nebensächliche nicht vom Wesentlichen trennt; inhaltlicher Zusammenhang bleibt
gewahrt
•Patient:innen verlieren sich in unwichtigen Einzelheiten, bleibt an ihnen hängen, ohne vom Ziel ganz abzukommen
• Vom Hundertsten ins Tausendste kommen
„Auf die Frage, wie er in die Klinik gekommen sei, berichtet der Patient im Detail den Weg von zu Hause bis
in die Klinik.“
Formale Denkstörungen: eingeengt
Einschränkung des inhaltlichen Denkumfangs; in einem oder wenigen Themen verhaftet sein
•Im Gespräch haben Patient:innen Mühe, von einem Thema auf ein anderes überzugehen oder kommen immer wieder auf „ihr“ Thema zurück
•In Exploration müssen unterschiedliche Themen angeboten werden
„Ein depressiver Patient kommt immer wieder auf seine Verdauungsprobleme zurück, obwohl die Untersucherin
eigentlich über andere Themen sprechen möchte.“
Formale Denkstörungen: Persevierend
Haftenbleiben an zuvor gebrauchten Worten oder Angaben, die im aktuellen Zusammenhang nicht mehr
sinnvoll sind
•Für Einschätzung ist Gesamteindruck von Untersucher:innen entscheidend, ob Wiederholung des Gesagten im Gesprächszusammenhang sinnvoll ist
„Ein Patient antwortet auf die Frage nach seinem Geburtsdatum korrekt, wiederholt dieses im Folgenden aber auch auf ganz andere Fragen.“
Formale Denkstörungen: Grübeln
Patient:innen sind immer wieder mit einzelnen Gedanken (Gedankenkreisen) beschäftigt, meist mit
unangenehmen Themen
•Gedanken kreisen immer wieder ergebnislos um die gleichen (meist unangenehmen) Inhalte, kann nur
mit Mühe unterbrochen werden
•unangenehm, lästig bis quälend
„Ich werde den Gedanken nicht los, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte.“
Formale Denkstörungen: Gedankendrängen
Patient:innen fühlen sich dem Druck vieler verschiedener Einfälle oder Gedanken ausgeliefert
•Gedanken können sinnvoll oder sinnlos sein, sich überstürzen oder wie automatisch ablaufen
•Denken meist als beschleunigt erlebt, muss von außen aber nicht unbedingt beschleunigt erscheinen
„Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich gar nicht mehr klar denken kann.“
Formale Denkstörungen: Ideenflüchtig
Vermehrung von Einfällen, die aber nicht mehr von einer Zielvorstellung straff geführt werden; Ziel des
Denkens kann aufgrund von Assoziationen häufig wechseln oder verloren gehen
•Gedanken werden oft nicht zu Ende geführt, weil Denken ständig von dazwischenkommenden Einfällen abgelenkt wird
• Von Hölzchen auf Stöckchen geraten
„Eine Patientin berichtet über Ufos, assoziiert dann den Maler Raffael, der auch schon Flugmaschinen gebaut hat, fährt dann fort, dass sie eigentlich aufgrund des Klimawandels gar nicht mehr mit Flugzeugen
reisen wolle.“
Zb bei manischen Patientinnen oder schizophrenen
Formale Denkstörungen: Vorbeireden/Danebenreden
Antworten von Patient:innen stehen in keinem Zusammenhang mit der gestellten Frage, obwohl auf
Nachfrage klar wird, dass die Frage verstanden wurde
• Bei Verdacht müssen Untersucher:innen sicherstellen, dass Frage richtig verstanden wurde—> deshalb sollten Patient:innen Frage noch einmal wiederholen
• Außerdem unterscheiden, ob absichtlich auf eine Frage falsch geantwortet wird
„Untersucherin: Kennen Sie so etwas wie einen inneren Druck? Patient: Ja, ich habe einen hohen Blutdruck. Untersucherin: Erinnern Sie sich noch an meine Frage? Patient: Ja. Sie wollen wissen, ob ich einen inneren Druck verspüre.“
Formale Denkstörungen: Gesperrt/Gedankenabreißen
Plötzlicher Abbruch eines sonst flüssigen Gedankenganges oder des Sprechens ohne erkennbaren Grund
•Beobachtung oder Selbstbericht
•Umgangssprachlich, in geringer Ausprägung: den Faden verlieren
„Der Patient stockt mitten im Satz, schweigt, greift dann das Gespräch unter Umständen mit einem ganz anderen Thema wieder auf oder erkundigt sich noch einmal nach der letzten Frage.“
Formale Denkstörungen: Inkohärent/Zerfahren:
Denken und Sprechen des Patienten verlieren für
Untersucher:innen ihren verständlichen Zusammenhang;
Extremfall: einzelne, scheinbar zufällig durcheinander gewürfelte Sätze, Satzgruppen oder
Gedankenbruchstücke
•Paralogik: Unlogisches Denken, Satzbau noch intakt
•Paragrammatismus: Satzbau zerstört
•Sprachzerfall/Schizophasie: unverständliches, sinnloses Wort
und Silbengemisch
„Früher sind die Leute aus blauäugigen Menschen bestanden und wie die Hirne schaffen.“
Formale Denkstörungen: Neologismen
Wortneubildungen oder Wortverwendungen, die der sprachlichen Konvention nicht entsprechen und oft
nicht unmittelbar verständlich sind
•Nicht nur einzelne Wortneuschöpfungen, sondern semantisch ungewöhnlicher Gebrauch von Worten
•Extremfall: Bildung/Gebrauch künstlicher Sprache
„Gestern habe ich ein Diagraf bekommen und da ist mein Kopf
demachronisiert worden.“(Patientin spricht
von einem EEG)
Befürchtungen und Zwänge: Misstrauen
Verhalten anderer Menschen wird ängstlich
unsicher oder feindselig auf die eigene Person bezogen
•Negativ getönte Reaktion auf andere Menschen
•Lässt sich v.a. aus Interaktion mit Betroffenen erschließen
„Ich bin so oft enttäuscht worden, ich traue niemandem mehr richtig.“
Abgrenzung Konfabulation und Gedächtnisstörungen
Ich muss ausschließen, dass es keine Gedöchtnisstörung ist um sagen zu können, dass es eine Konfabulation ist
Befürchtungen und Zwänge: Hypochondrie
Ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Körper mit der unangemessenen Befürchtung, krank zu sein
oder krank zu werden
•Körperliche Phänomene werden mit gesteigerter Aufmerksamkeit ängstlich sorgenvoll beobachtet
• Unbedeutende Körpervorgänge (z.B. leichte Missempfindungen) werden für übermäßig wichtig gehalten
„Alle Untersuchungen waren gut, aber ich denke trotzdem, dass etwas mit meinem Herzen nicht in Ordnung ist.“
Befürchtungen und Zwänge: Phobie
Angst vor bestimmten Situationen oder Objekten, die oft Vermeidungsreaktion zur Folge hat
•Vermeidung der Konfrontation mit angstauslösenden Situationen oder Objekten
•Von Betroffenen als unbegründet, übertrieben oder unangemessen erkannt
„In engen Räumen wird mir immer ganz mulmig, eigentlich gibt es dafür ja keinen Grund.“
Befürchtungen und Zwänge: Zwangsdenken
Repetitiv sich aufdrängende eigene Gedanken; als unsinnig oder übertrieben erlebt; können nicht gestoppt
• Gedanken werden als eigene, nicht von außen eingegebene erlebt
• Abgrenzung zu Zwangsimpulsen: hier geht es thematisch
nicht um gedanklich vorgestellte
auszuführende Handlungen
„Obwohl ich vorhin dort war, werde ich den Gedanken nicht los, ob der Briefkasten geleert ist.“
Befürchtungen und Zwänge: Zwangsimpulse
Repetitiv sich aufdrängende, vom Betroffenen ausgehende Gedanken, bestimmte Handlungen auszuführen
•oft aggressive und sexuelle Inhalte
•nicht oder nur schwer zu unterdrücken, werden als eigene Gedanken erlebt
• Wiederholung wird als unsinnig erkannt; wird als unangenehm, belastend oder quälend erlebt
„Ich würde es natürlich nie tun, aber mich quält immer wieder der Gedanke, mich selber zu schädigen.“
Befürchtungen und Zwänge: Zwangshandlungen
Repetitiv ausgeführte Handlungen; werden als unsinnig oder übertrieben erlebt
•werden oft in ritualisierter Form in bestimmter Häufigkeit wiederholt
•lassen sich nicht oder nur schwer unterdrücken; werden als eigene, nicht von außen eingegebene Gedanken erlebt
• oft quälend für Patient:innen
„Ich muss immer wieder meinen Esstisch desinfizieren, was eigentlich unsinnig ist.“
Wahn: Wahnstimmung
Eine besondere, häufig diffuse und ahnungsvolle Gespanntheit im Vorfeld des Wahns
•Bedeutungszumessen, Inbeziehungsetzen , Meinen, Vermuten, Erwarten, das von anderen so nicht nachvollzogen werden kann
• Häufigste Stimmungen: Unheimlichkeit, Misstrauen, Verändertsein , Bedrohung, Angst, Argwohn, Ratlosigkeit; manchmal auch Gehobenheit, Euphorie, Zuversicht
„Sagt mir doch, was los ist. Etwas ist los, ich weiß aber nicht was.“
Wahn: Wahnwahrnehmung
Einer an sich richtigen Wahrnehmung wird eine wahnhafte Bedeutung zugeschrieben, meist im Sinne der
Eigenbeziehung, ohne dass hierfür ein rational oder emotional verständlicher Anlass besteht
•zweigliedriger Vorgang: reale (richtige) Wahrnehmung wird wahnhaft interpretiert
•Wahnerinnerung: mnestische Wahnwahrnehmungen
„Die Zeitungen, die Nachrichten im Fernsehen, selbst Ergebnisse meiner Internet Recherchen sind voller Anspielungen auf mich. Jeder kennt mich. Ich bin berühmt.“
Wahn: Wahneinfall
Rein gedankliche, neu aufgetretene wahnhafte Vorstellungen und Überzeugungen.
•geht keine spezielle Wahrnehmung voraus
•„mnestischer Wahneinfall“ als besondere Form der Wahnerinnerung: einem Patienten fällt plötzlich ein, dass er schon als Kind übernatürliche Kräfte gehabt habe
„Heute Morgen ist mir sonnenklar geworden, dass mein Sohn gar nicht von mir stammt.“
Wahn:. Wahngedanken
Überdauernde wahnhafte Überzeugungen.
•gehen aus Wahneinfällen oder Wahnwahrnehmungen hervor
„Vor mehreren Monaten sind lauter gelbe ausländische Autos in der Stadt herumgefahren, die mich
offensichtlich beobachtet haben. Seitdem weiß ich, dass sie mich dauernd im Visier haben.“
Wahn: Systematisierter Wahn
Grad der Verknüpfung einzelner Wahnsymptome mit anderen Wahnphänomenen, Sinnestäuschungen, Ich
Störungen oder auch nicht krankhaft veränderten Beobachtungen und Erlebnissen.
•Herstellung von Verbindungen zwischen Wahnerlebnissen, z.B. Wahngedanken und Wahnwahrnehmung
--> besitzen oft einen finalen oder kausalen Charakter
--> werden von Patient:innen als Beweise und Bestätigungen für Überzeugung angesehen
Wahn: Wahndynamik
Das Ausmaß der Affekte, die im Zusammenhang mit dem Wahn auftreten.
•Ausmaß der affektiven Anteilnahme ergibt sich aus: Verhalten der Patient:innen im Beurteilungszeitraum Art, wie Patient:in den Wahn berichtet
• geringe Wahndynamik: Wahngedanken werden mit nur geringer affektiver Beteiligung und wenig psychomotorischem Ausdruck geäußert
• geringe Wahndynamik: „Herunterleiern“ von Wahngedanken bei langandauernden Schizophrenien ohne spürbare emotionale Beteiligung
• starke Ausprägung der Wahndynamik: Patient:in mit depressivem Schuldwahn weint verzweifelt und klagt über eigene Verfehlungen
Wahn: Beziehungswahn
Wahnhaftes Beziehen von Ereignissen auf die eigene Person.
• Patient:in fühlt sich im Mittelpunkt der gezielten Aufmerksamkeit seiner Umwelt
• Patient:in sieht in unbedeutenden Ereignissen besondere ihn betreffende Signale
• bezieht Gespräch anderer Menschen auf sich
• kann isoliert vorkommen, z.B. als Liebeswahn (mit
unkorrigierbarer Überzeugung, von einer bestimmten
Person geliebt zu werden)
• kann Element eines anderen Wahns sein (z.B. Verfolgungswahn)
Wahn: Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn
Patient:in erlebt sich als Ziel von Feindseligkeiten. Er oder sie fühlt sich bedroht, gekränkt, beleidigt, verspottet und verhöhnt.
„Die Psycholog:innen überwachen mich ständig und überall mit Videokameras. Das Videomaterial verwenden Sie dann gegen mich. Sie treiben mich in den Wahnsinn.“
Wahn: Eifersuchtswahn
Wahnhafte Überzeugung, vom Lebenspartner betrogen und hintergangen zu werden.
• Patient:innen davon überzeugt, dass Partner:in eine sexuelle Beziehung zu anderer Person aufgenommen hat oder aufnehmen will
• unbedeutende Ereignisse oder Beobachtungen häufig Auslegung als Beweise für Untreue des Partners
„Ein Patient geht nur noch unregelmäßig zur Arbeit, weil er seine Freundin stundenlang beobachtet und Beweise für ihre Untreue sammelt. Er schreibt Briefe an die vermeintlichen Liebhaber und bedroht diese.“
Wahn: Schuldwahn
Wahnhafte Überzeugung, etwas falsch gemacht und Schuld auf sich geladen zu haben
• Patient:in ist überzeugt, einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben
• häufig auch Überzeugung für das eigene Verhalten bestraft zu werden.
• tatsächlich geringfügiges Fehlverhalten aus Vergangenheit kann unangemessen überbewertet werden
„Ein Patient meint, die Erkrankung seiner Frau durch ein außereheliches Verhältnis vor vielen Jahren verschuldet zu haben.“
Verarmungswahn
Wahnhafte Überzeugung, nicht genug Mittel zum Lebensunterhalt zu haben.
• Überzeugung vor finanziellem Ruin zu stehen
• teilweise auch Einbezug von Familienangehörigen in finanzielle Katastrophe --> Patient:in glaubt, auch deren Vermögen gehe verloren
„Infolge eines Verarmungswahnes will der Patient die teuren Medikamente nicht mehr einnehmen und drängt auf Entlassung, da die Krankenkasse die Kosten nicht übernehme.“
Wahn: Hypochondrischer Wahn
wahnhafte Überzeugung, schwer krank zu sein
•mögliche Inhalte: konkrete Krankheiten (z.B. Krebs, AIDS)
•teilweise davon überzeugt, in naher Zukunft an einer schweren Krankheit zu sterben, ohne diese genauer beschreiben zu können
„Der Patient ist überzeugt, an AIDS zu leiden. Er ist nur noch mit Arztbesuchen beschäftigt und konsumiert verzweifelt zahlreiche Medikamente bzw. denkt an Suizid.“
Wahn: Größenwahn
wahnhafte Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung
•wahnhafte Überzeugung, anderen Menschen eindeutig überlegen zu sein
•mögliche Inhalte u.a.: Intelligenz, Schönheit, Reichtum, Begabung, Abstammung
„Ich verfüge über eine Superintelligenz und habe die Aufgabe, die kriegsführenden Länder zu versöhnen!“
Wahn: Andere Wahninhalte
Wahnthemen, die nicht in die oben genannten Kategorien passen
Beispiele
•„Ein Patient ist davon überzeugt letzte Nacht auf einem anderen Planeten gewesen zu sein.“
•„wahnhafte Überzeugung schwanger zu sein“
Sinnestäuschungen: Illusionen
Verkennung (verfälschte Wahrnehmung) von realen Gegenständen, Geräuschen oder Personen
•Gegenstände, Geräusche oder Personen werden unmittelbar verkannt
•Abgrenzung zur Wahnwahrnehmung: Wahrnehmung korrekt, jedoch wird wahnhafte Bedeutung zugeschrieben
„Das Geräusch von vorbeifahrenden Autos wird als Rollen von Panzerkolonnen wahrgenommen.“
Sinnestäuschungen: Stimmenhören
Hören von Stimmen, ohne dass tatsächlich jemand spricht
•Stimmen können Patient:in direkt ansprechen, Befehle geben, Handeln kommentieren, über Patient:in sprechen
„Ich habe die Stimmen mehrerer Männer gehört, die sich über mich unterhalten haben. Eine davon hat mir
dann den Befehl gegeben, nach Emden zu fahren.“
Sinnestäuschungen: Andere akustische Halluzinationen
Hören von Geräuschen, ohne dass solche Geräusche vorhanden sind
„Ich habe dauernd eine Musik gehört, fast wie ein Konzert war es gewesen.“
Sinnestäuschungen: optische Halluzinationen
Visuelle Wahrnehmung ohne entsprechende Reizquelle.
•Lichtblitze, Muster, Gegenstände, Personen oder ganze Szenen werden gesehen, sind aber nicht vorhanden
„Auf einmal kam ein Hund in das Krankenzimmer gelaufen und sprang auf das Bett meines Nachbarn.“
Sinnestäuschungen: Körperhalluzinationen
Taktiles Wahrnehmen ohne entsprechende Reizquelle oder Störungen des Leibempfindens
•zwei verschiedene Phänomene: Taktile Halluzinationen und Störungen des Leibempfindens
•Störungen des Leibempfindens: qualitativ abnorme, neu und fremdartige sowie häufig negativ getönte Leibsensationen; von Patient:in schwer zu beschreiben
•Taktile Halluzination: „Auf einmal konnte ich lauter kleine Kristalle zwischen den Fingern tasten, sie
waren zum Teil rund, zum Teil aber auch länglich.“
• Störungen des Leibempfindens: „Mein Darm ist wie versteinert und im Bauch ist ein ständiges Brennen.“
Sinnestäuschungen: Geruchs- und Geschmackshalluzinationen
Geschmacks und Geruchswahrnehmungen ohne entsprechende Reizquelle.
•Ausbreitung von bestimmtem (meist unangenehmen) Geschmack im Mund, ohne dass Patient:in etwas gegessen oder getrunken hat
„Plötzlich hat es nach Gras gerochen; es war ganz merkwürdig, weil es sonst keiner gemerkt hat.“
Sinnestäuschungen: Derealisation
Die Umgebung oder das Zeiterleben werden unwirklich verändert erfahren; die Vertrautheit geht verloren.
•Personen, Gegenstände und Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig, räumlich verändert -> Umwelt wirkt unvertraut, sonderbar oder gespenstisch
•Sinneseindrücke können intensiver oder abgeschwächt sein
„Ich habe das Gefühl, dass alles in Zeitlupe passiert.“
Depersonalisation
Patient:in kommt sich selbst fremd, unwirklich, verändert oder wie ein anderer vor
•Störung: flüchtig oder über längere Zeit bestehend
•möglich: Erleben der Veränderung körperlicher Merkmale (z.B. größere Extremitäten)
„Jedes Mal implantieren sie mir ein anderes Ich, damit ich die Erinnerungen nicht behalte. Mein wirkliches
Ich haben sie dafür in einen anderen Menschen eingesetzt.“
Gedankenausbreitung
Die Gedanken gehören nicht mehr Patient:in alleine, andere haben daran Anteil und wissen, was er/sie denkt (Gedankenlesen).
„Alle hier können in meine Gedanken reinsehen.“
Gedankenentzug
Den Patient:innen werden die Gedanken weggenommen oder „abgezogen“.
„Da, wo meine Gedanken waren, ist jetzt ein großes schwarzes Loch. Alle meine Gedanken hat mir meine erste Freundin weggenommen.“
Gedankeneingebung
Die Patient:innen erleben ihre Gedanken und Vorstellungen als beeinflusst, gemacht, gelenkt, gesteuert, eingegeben oder aufgedrängt.
„Sie hypnotisieren mir Gedanken in den Kopf, die gar nicht meine sind.“
Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse
Gefühle, Intentionen, Verhalten oder Körperfunktionen werden als gemacht erlebt.
•Patient:in muss etwas Bestimmtes sprechen, schreien, auf bestimmte Weise handeln usw.
„Die steuern meinen Herzschlag, die machen ihn schnell und langsam.“
Behandlungsrelevante Angaben zur
Lebensgeschichte
∙ Lebensgeschichtliche Aspekte zur Darstellung und Erkennung Kausaler Zusammenhänge in der
Genese der Störung. Dienlich für:
—> Fallverständnis
▪ Frage, ob Symptomentwicklung aus dem verwendeten Theoriesystem bzw. der Krankheitslehre nachvollziehbar ist
—> Ableitung von Behandlungszielen und -methoden
Grundsätzliche ätiologischen Orientierung als Voraussetzung für eine Behandlungsindikation:
*Ätiologische Bedingungen, die zur Entstehung, Auslösung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen beitragen können, sind vielfältig
—> U.a. genetische Dispositionen, epigenetische Einflüsse, gesellschaftlich-politische Rahmenbedingungen,
individuelle Erfahrungen, neurobiologische Faktoren, …
—> Bezug auf Lebensgeschichte natürlich unverzichtbar
• Ziel für Bericht an den Gutachter: Nachvollziehbare Darstellung der Störungsentwicklung bzw. Dynamik
− Bezug auf die wesentlichen Bedingungen, kurz beschrieben bzw. skizziert & Ausschweifende, zu detaillierte oder redundante Schilderungen vermeiden
• Beschreibung von: Lebensgeschichte und Krankheitsanamnese, Verhaltensanalyse, dreiteiliges Ursachenmodell (Prädisposition, Auslösende Faktoren und Aufrechterhaltende Faktoren)
Prädispositionen
• Bedingungen, die für das Auftreten der Störung beitragen bzw. die Entstehung der Störung begünstigen
• individuelle, kausale Hypothesen
• Sehr vielseitig
− Frühe Lebensumstände, Familie, Kindergarten, Schule oder Beruf, Partnerschaft, Konflikterleben, …
Darstellung der Prädispositionen
• Auf ein angemessenes Abstraktionsniveau achten
− Zentrale Erfahrungen sollen für den Gutachter nachvollziehbar bleiben und nicht soweit verkürzt werden, dass die konkrete Bedingung unkenntlich wird
− Andererseits sollte sich die Darstellung nicht in unnötigen Details verlieren
—> Grundgedanke des hypothetischen Bedingungsmodells bzw. der
Prädispositionen ist erkennbar, jedoch fehlen wesentliche Angaben zur
Lebensgeschichte − konkreten Erfahrungen sollten insgesamt stärker benannt werden
• Kurze Skizze der Familie bzw. des Verhaltens der Eltern wäre etwa von
Interesse. − Welche Erfahrungen stehen hinter dem Begriff „frostiges Elternhaus“ und durch welche Erfahrungen sind Anspruchsdenken und Selbstabwertungen entstanden?
• Auch in Bezug auf die aktuell wirksamen Faktoren sollten konkretere
Erfahrungen benannt werden − Hier insbesondere zu angedeuteten Partnerschaftskonflikten
—> Die Angaben im vorstehenden Text sind nicht falsch
− jedoch ist immer zu bedenken, dass der Raum für die Darstellung begrenzt ist.
• Angaben sollten sich immer auf die wesentlichen Aspekte beziehen
• Entstehungsbedingungen sind bei einem zu niedrigem Abstraktionsniveau schwer
nachvollziehbar
− Es wird undeutlich was nun eine höhere Relevanz für das aktuelle Bild hat
• Bezug auf konkrete Erlebnisse, weniger beiläufige Details
Verknüpfungen zwischen Erfahrungen und Folgen
• Herausstellen, einer Verknüpfung zwischen lebensgeschichtlichen Faktoren und Problemdeterminanten
• Beispiel: Bedeutung eines depressiven Elternteils, etwa des Vaters für eine Person
Kann viele Implikationen haben:
− Nahelegung einer genetischen Disposition für depressive Erkrankungen − Beitrag zu ähnlichen Verhaltensweisen oder dem Nichtlernen angemessener Verhaltensweisen über Modelllernen − Fehlen eines Rollenmodells aufgrund der Depression des Vaters; ungünstige Auswirkungen auf Partnerwahl der Person oder
sogar Grund dessen, dass die Mutter den Patienten als Partnerersatz ansieht − Mögliche finanzielle Einschränkungen durch die Depression des Vaters − Erleben von traumatischen Situationen (beobachteter Suizidversuch) − Störungen in der sozialen Integration, da Mitschüler und Freunde nicht mit nach Hause gebracht werden durften − Erfahrungen führen zu Verantwortungsübernahme 🡪 Unweigerlich auch Einfluss auf Beziehungserleben
• Eine Erfahrung an sich muss nicht zwangsläufig als prädisponierend angesehen werden!
• Bei der Darstellung der behandlungsrelevanten lebensgeschichtlichen Bedingungen sollte daher, soweit sich dies nicht unmittelbar aus der Beschreibung ergibt, die Verbindung zu prädisponierenden Bedingungen
herausgestellt werden
Erfahrung: Sie sei mit vier jüngeren Geschwistern in einer konservativen, christlichen Familie aufgewachsen. Als älteste Tochter sei sie in die Haushaltsführung und Erziehung ihrer Geschwister mit einbezogen worden. Sie habe daher nie Hobbys oder Interessen entwickeln können. Streit und Konflikte seien von den Eltern nicht zugelassen worden, da dies als Sünde betrachtet worden sei. Als Kind und Jugendliche hätten sie sich ausschließlich in christlichen Kreisen bewegt und sei daher in ihrer Schulzeit Außenseiterin gewesen.
Verknüpfung Prädisposition:
▪ Keine Erlernung Konflikte auszutragen oder die eigene Meinung zu sagen ▪ Tendenz, sich unterzuordnen und die Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen ▪ Fehlendes Zugehörigkeitsgefühl gegenüber anderen Menschen ▪ Resultierende Grundannahme − „Ich bin anders als andere“ − „Ich darf nicht sagen, was ich will.“ − „Sich zu streiten ist sehr schlimm.“
//Erfahrung: Sie sei mit ihrem jüngeren Bruder bei ihrer psychisch kranken Mutter aufgewachsen, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte. Die Mutter habe sich einige Male, teils auch vor den Augen der Patientin, versucht zu suizidieren. Aus Sorge um die Mutter und ihren Bruder habe die Patientin daher lediglich für den Schulbesuch die Wohnung verlassen. Da ihre Mutter sich nicht um sie gekümmert habe, sei sie oft mit dreckigen und ungepflegten Kleidungsstücken zur Schule gegangen. Auch habe sie zeitlebens unter ihrer Zahnfehlstellung gelitten, die in ihrer Kindheit und Jugend nicht behandelt worden sei. In der Schule sei sie dafür oft von anderen Kindern verspottet und ausgeschlossen worden. Sie habe später oft die Schule geschwänzt und habe die Hauptschule ohne Schulabschluss verlassen.
• Etablierung eines negativen Selbstbilds aufgrund der beschriebenen Erfahrungen − („Ich bin zu dumm.“, „Ich bin unattraktiv.“)
• Etablierung negativer Annahmen in Bezug auf andere Menschen − („Wenn ich meinen Mund aufmache und andere meine Zähne sehen, werden sie sich über mich lustig machen.“, „Andere werden mich ablehnen.“)
• Kein Aufbau von sozialen Kompetenzen und Strategien für selbstwertdienliche Erfahrungen
//Erfahrung: Sie sei mit ihrem jüngeren Bruder bei ihrer psychisch kranken Mutter aufgewachsen, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte. Die Mutter habe sich einige Male, teils auch vor den Augen der Patientin,
versucht zu suizidieren. Aus Sorge um die Mutter und ihren Bruder habe die Patientin daher lediglich für den Schulbesuch die Wohnung verlassen. Da ihre Mutter sich nicht um sie gekümmert habe, sei sie oft mit dreckigen und ungepflegten Kleidungsstücken zur Schule gegangen. Auch habe sie zeitlebens unter ihrer Zahnfehlstellung gelitten, die in ihrer Kindheit und Jugend nicht behandelt worden sei. In der Schule sei sie dafür oft von anderen Kindern verspottet und ausgeschlossen worden. Sie habe später oft die Schule geschwänzt und habe die Hauptschule ohne Schulabschluss verlassen.
Auslösende Bedingungen
-Als auslösende Bedingungen für psychische Störungen kommen vielfältige menschliche Erfahrungen und Lebensumstände in Frage
• Frage: wann ist die Störung zum ersten Mal aufgetreten und welcher Faktor kann ursächlich dazu beigetragen haben?
• Bei solitären, zeitlich begrenzten Ereignissen ist diese Frage teils einfach zu beantworten
Traumata und belastende Lebensereignisse als Auslöser:
• Trauma im Rahmen einer PTBS: sollte bereits im Rahmen der Symptombeschreibung benannt werden
− Hier bspw. unter dem Unterpunkt „auslösende Bedingungen“ darauf verweisen, oder, falls notwendig, weitere Aspekte des Traumas hier schildern
Kumulation von Belastungen als Auslöser
• Kumulation von Belastungen: Keine solitären Ereignisse, kein genauer Zeitpunkt in dem die Störung entstanden ist
• Schleichender Beginn einer Störung
• Beispielsweise sind erste Anzeichen, wie Schlafstörungen oder Konzentrationsstörungen vorhanden, jedoch sind nicht alle Kriterien für eine depressive Episode erfüllt.
• Mögliche Bedingung: Kumulation von Belastungsfaktoren über einen längeren Zeitraum
Aktualisierung einer Störung durch ggw. Lebensbedingungen
• Auslösende Bedingungen können bereits in früheren Lebensabschnitten wie der Kindheit oder Adoleszenz vorhanden gewesen sein
• Erhalten möglicherweise erst aufgrund aktueller Lebensbedingungen Relevanz − Zuvor waren sie eine Zeit lang mehr oder minder gut kompensiert
• Auslöser nicht unbedingt mit der Entstehung der Symptomatik gleich zu setzen, sondern sollen in einer solchen Konstellation die aktuellen Rahmenbedingungen als auslösende Bedingungen beschreiben
Aufrechterhaltende Bedingungen
• Alle Faktoren, die nach Erkrankungsbeginn vorhanden sind und verhindern, dass die Störung remittiert bzw. es dem Patienten besser geht
• Aufrechterhaltenden Bedingungen auf allen Ebenen des Verhaltens und
Erlebens, auch neurobiologische Faktoren −Können grundsätzlich auch unter prädisponierenden Faktoren fallen
• diese sind mit dem Beginn der Erkrankung nicht beseitigt oder abgeschlossen, sondern können weiterhin pathogen wirken
• Da Entstehung im Nachgang nicht veränderbar: nicht im Fokus der VT
• Verhaltenstherapie: Bearbeitung aufrechterhaltender Faktoren − Primäre Aufführung von Faktoren, die sich mit Mitteln der Verhaltenstherapie verändern lassen
Kognitive Prozesse: mentale Verarbeitungsprozesse, wie z. B. Grundüberzeugungen, automatische Gedanken, Schemata, Attributionsmuster, kognitive Verzerrungen − Können entweder direkt störungsbezogen oder sich auf andere Determinanten der Störung beziehen
Fehlende oder Verloren gegangene Kompetenzen und/oder Ressourcen: z.B. soziale Kompetenzen (Aufbau von Kontakten), Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung (verstärkende Erfahrungen),
Selbstfürsorge, Emotionswahrnehmung und -regulation
Verhaltensweisen: Offene („motorische“) und mentale bzw. subtile Verhaltensweisen − Offene Verhaltensweisen: Vermeidungs- und Fluchtverhaltens, Neutralisierungs- und
Rückversicherungsverhaltensweisen, Schonverhalten, sozialer Rückzug, Mangel an Tagesstruktur, … − Mentale Verhaltensweisen wie Grübeln, mentale Wiederholung von Vorgänge, ...
Konsequenzen und Folgen von Verhaltensweisen: Positiven Konsequenzen (z. B. Zuwendung, geringere Anforderungen) und auch negative Entwicklungen als Folge der Störung − Schmerzsymptomatik oder Krankheitsangst + Schonverhalten = Abbau körperlicher Fitness 🡪 höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von Krankheitsangst 🡪Teufelskreis − Auch: Nicht-Korrektur von Annahmen, z. B. durch sozialen Rückzug, als aufrechterhaltender Faktor im Bereich der Folgen
TAKE HOME MESSAGES (Prädispositionen, Auslösende Faktoren, Aufrechterhaltende Bedingungen)
• Nachvollziehbare Darstellung zentraler Erfahrungen
− Achten auf ein angemessenes Abstraktionsniveau
− Weder zu kurz noch zu detailreich
• Verknüpfungen zwischen Erfahrungen und Folgen herstellen
Auslösenden Faktoren
• Kumulationen von Belastungen
• Aktualisierung einer Störung durch gegenwärtige Lebensbedingungen
− Auslösende Bedingungen können bereits in früheren Lebensabschnitten, erhalten möglicherweise erst aufgrund aktueller
Lebensbedingungen Relevanz
• Als auslösende Bedingung nennen und nicht als Entstehungsgrund
• Verhindern, dass eine Störung remittiert
• Kognitiven Prozessen, Fehlenden Kompetenzen/Ressourcen, Verhaltensweisen und deren Folgen
Verhaltensanalyse
Bericht zum Erst- oder Umwandlungsantrag
1. Relevante soziodemographische Daten
3. Somatischer Befund/ Konsiliarbericht
4. Behandlungsrelevante Angaben zur
5. Diagnose zum Zeitpunkt der Antragsstellung
6. Behandlungsplan und Prognose
7. Zusätzlich erforderliche Angaben bei einem
Umwandlungsantrag
Ziel und Varianten der Verhaltensanalyse
• Ziel der Verhaltensanalyse:
Relevante auslösende und aufrechterhaltende Bedingungen des
Verhaltens identifizieren, um daraus therapeutische Ansatzpunkte
abzuleiten
• Im alten Leitfaden (VT3a): Vorgabe zur Orientierung am
S-O-R-K-C-Modell (Kafer & Saslow, 1965)
• Im neuen Leitfaden auch andere Varianten der Verhaltensanalyse
möglich
Funktionales Bedingungsmodell nach Bartling et al., 2016
als mögliche Alternative zum S-O-R-K-C-Modell - man darf Alternativen nutzen, auch wenn SORKC empfohlen wird
Das S-O-R-K-C-Modell
• Grundannahme: Menschliches Verhalten als Resultat vorausgehender
und nachfolgender Bedingungen
• Ausgangspunkt: definiertes Problemverhalten
• 3 Schritte:
1. Identifikation von vorausgehenden Bedingungen (deskriptiv)
2. Identifikation von nachfolgende Bedingungen (deskriptiv)
3. Funktionale Interpretation
Drei Ebenen zur Beschreibung von Verhalten
S Die auslösende SITUATION
• Situative Auslöser für das Problemverhalten
• Alle Bedingungen, die dem Problemverhalten vorausgehen und einen
funktionalen Einfluss auf dessen Zustandekommen haben
• Zwei zugrundeliegende Lernprozesse:
− Klassische Konditionierung − Operante Konditionierung
• Bedeutsamkeit der α-, β- und γ-Variablen unterschiedlich je nach
Störungsbild und -modell:
− α-Variablen, z.B. Auftreten traumaassoziierter Stimuli bei PTBS − β -Variablen, z.B. Auftreten des Gedankens bei Zwangsstörungen − γ-Variablen, z.B. interozeptive Veränderungen als Auslösereiz für Angst bei
Panikstörung
Beispiel: Eltern fordern das Kind auf, seine Hausaufgaben zu machen
O Die ORGANISMUS-Variable
• Mensch ist den inneren äußeren Einflüssen gegenüber nicht passiv
ausgeliefert, sondern Reaktion auf inneren oder äußeren Stimulus
auch abhängig von:
− Individuelle Bewertungen − Übergeordnete Ziele und Pläne − Zustände − Subjektive Vorerfahrungen: Reaktion des Individuums hängt von subjektiv konstruierten Bedeutung ab, die ein Individuum einer bestimmten objektiven Situation zuspricht
• α-Variablen (äußere Faktoren) nicht auf Ebene der
Organismus-Variable!
• β-Variablenbeeinflussen Interpretation und Bedeutungszumessung
einer Situation
− Personenspezifische Schemata, − Einstellungen, Überzeugungen und Grundannahmen − Kompetenzen und Defizite − Prädispositionen − Ziele und Pläne
• γ-Variablen
− Genetisch mitbedingte Einflüsse − Biologisch-physiologische Prozesse und Zustände − Beispiele:
• unterschiedliche endokrine Prozesse
• temporäre Zustände wie Hunger und Müdigkeit
• vegetative Reaktionen wie vermehrtes Schwitzen oder „Rotwerden“
Beispiel:
- Aufmerksamkeitsproblematik
- Misserfolgserwartung
R Die REAKTION (R-Variable)
• Jeweiliges Problemverhalten des Individuums
• Erweiterter Verhaltensbegriff:
K Die KONTINGENZ (K-Variable)
• Regelmäßigkeit des Auftretens der Konsequenz auf eine bestimmte Reaktion
• Unterschiedliche Arten von Kontingenzen, z. B.
− Kontinuierliche Verstärkung: Konsequenz bzw. Verstärkung auf jede gezeigte Reaktion
− Intermittierende Verstärkung: Unregelmäßige Konsequenz bzw. Verstärkung auf ein Verhalten (🡪 führt zu besonders löschungsresistenten Verhalten)
− Verschiedene Verstärkerpläne:
• Quotenverstärkung
• Ratenverstärkung
• Intervallverstärkung
• Kontingenz wird im Bericht an Gutachter meist weggelassen
• NUR im Bericht, wenn Analyse der Kontingenz wichtig für
Störungsverständnis oder Therapieplanung, bspw.:
− Bei Verhaltensprobleme von Kindern: Bezugspersonen mit
inkonsistentem Erziehungsverhalten
− Bei Erwachsenen:
• Pathologisches (Glücks-)Spielen: Intermittierende Verstärkung durch Gewinne in unregelmäßigen Abständen
• Stalking: Intermittierende Verstärkung durch anfangs
inkonsistente Verhaltensweisen des Opfers
C Die KONSEQUENZ (C-Variable)
• Aus Problemverhalten resultierende kurz- und langfristige
Konsequenzen
• Konsequenzen können zur Aufrechterhaltung oder Abschwächung
des Verhaltens beitragen (operante Konditionierung)
• Je unmittelbarerer eine Konsequenz, desto größer i.d.R. ihr Einfluss
auf die Verhaltenssteuerung (stärkere Aufrechterhaltung des
Problemverhaltens)
− z. B. kurzfristige Erleichterung bei Vermeidungsverhalten/ beim Verlassen der Situation
—> Verstärkung und Verstärker
• Unterscheidung von negativen und positiven Konsequenzen, welche jeweils
dargeboten oder entzogen werden können
• Konsequenzen können intern sein (z .B. Stolz oder Rückgang eines
unangenehmen Gefühls) oder sich durch Verhaltensweisen von anderen
vermitteln (z .B. Lob oder Zuwendung von Bezugspersonen)
Varianten von Verhaltensanalysen innerhalb des SORKC-Modells
1. Beschreibung einer konkreten bzw. typischen Situation, in der das
Problemverhalten auftritt
− Kommt in vielen kognitiven-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen im Laufe der Therapie zum Einsatz
2. Beschreibung situationsübergreifender Auslöser, Reaktionen und
− Angemessener für Bericht an den Gutachter (allgemeinere Ableitungen für die Therapieplanung)
Wichtig bei Verhaltensanalyse: Roten Faden beibehalten und Situationen oder Themen, die bspw. in der Symptombeschreibung, Lebensgeschichte oder im Ursachenmodell benannt worden sind, nochmal aufgreifen (oder verweisen)
Individualisierung vs. allgemeine Prinzipien
Ziel der Verhaltensanalyse:
Spagat zwischen individueller Betrachtung und Anwendung allgemeiner Vorstellungen/Modelle
Beispiel Panikstörung mit Agoraphobie
- Typische Bestimmungsstücke der Verhaltensanalyse
Typische Auslöser
- Interozeptive Stimuli (z.B. Herzrasen, Anstieg von Puls und Blutdruck)
- Stress und belastende Situationen/Lebensbedingungen
- Situationen, in denen eine Flucht schwierig oder peinlich ist
- Situationen, in denen Hilfe nicht verfügbar ist
- Geschlossene Räume wie Kinos, Theater und Menschenmengen
- Weite Strecken von Zuhause entfernt sein
C - Typische Konsequenzen
- Angst geht zurück
- Erleben von Kontrolle
- Keine Habituation
- Annahmen werden nicht korrigiert
- Zunahme von Hilflosigkeit und Abhängigkeit
- Selbstwert verringert sich
- Verstärkerverlust durch Rückzug und Fehlen sozialer Verstärker
SORKC Modell spielerisch erarbeiten
Take Home Message zum funktionalen Bedingungsmodell
- Ziel der Verhaltensanalyse ist die Identifizierung relevanter auslösender
und aufrechterhaltender Bedingungen des Verhaltens, um daraus
therapeutische Ansatzpunkte abzuleiten
- das S-O-R-K-C-Modell ist eine bekannte Variante um die Verhaltensanalyse zu erstellen und weist eine klare und stringente Struktur auf
- die Kontingenz sollte nur im Bericht an den Gutachter erläutert werden,
wenn diese für das Störungsverständnis und die Therapieplanung relevant ist
- angemessener für den Bericht an den Gutachter ist die Beschreibung
individueller situationsübergreifender Auslöser, Reaktionen und
Konsequenzen unter Einbezug bekannter Störungsmodelle
Fallbeispiel Herr M. - Gruppenarbeit
O: Zirückhaltendes Temperament, defizite in soz. kompetentem verhalten, wiederholte erfahrung der ablehnung, köfperliche anfälligkeit durch schlafmangel
R: motorisch - er macht die Aufgabe vermutlich wieder alleine, kognitiv evtl. “was erlaubt sie sich”, Körperlich/physiologisch Unruhe und angespannt, emotional Ärger, Frust
K: kurzfristige Entlastung (negative verstärkung), langfristig Aufrechterhaltung der Überlastung (direkte bestrafung), erhöhte eigene Arbeitsbelastung (direkte Bestrafung), C+ könnte noch sein, dass andere ihn darin verstärken, dass er mehr aufgaben übernimmt was das Verhalten weiter verstärkt, Vermeidung soz. konflikte (negative Verstärkung)
—>wenn man zwischen organismus und reaktion nicht gut unterscheiden kann, kann man schvreiben “er ist jemand, der zur gereiztheit neigt”
Auslöser:
es muss nicht immer einen einzigen Auslöser geben sondern manchmal oder meistens ist es eine Kummulation mehrerer Situationen
Fallbeispiel: Frau M. - Verhaltensanalyse
—> man würde schreiben “verhaltensanalyse anhand des sorkc modells” und dann werden die buchstaben auch so wie im folgenden beispiel in den text geschrieben
Als auslösende situative Bedingung (S) dienen einerseits alle Situationen, in denen die Patientin alleine ist und Hilfe nicht verfügbar erscheint (weite Strecken von zu Hause, Alleinsein) sowie Situationen, in denen eine Flucht schwierig ist (öffentliche Verkehrsmittel, Autofahren etc.). Andererseits dienen interozeptive Stimuli bzw. deren Wahrnehmung als
Auslöser für die Angst. Auf der Ebene der Organismus-Variable (O) findet sich ein sehr geringes Selbstwertgefühl sowie eine Tendenz zur Abhängigkeit. Andererseits finden sich hohe Kontrollüberzeugungen („Ich muss alles im Griff haben.“).
Auf der Ebene der physiologischen Reaktionen (Rphys) empfindet die Patientin Herzrasen, Schwindel, Zittern, Taubheitsgefühl und Atemnot, auf der Ebene der Kognitionen (Rkog) entstehen Befürchtungen wie: „Ich falle um.“, „Niemand hilft mir.“. Auf der motorischen Ebene (Rmot) dominiert Vermeidungsverhalten. Emotional (Remot) dominiert das
Gefühl von Angst. Auf der Ebene der Konsequenzen (C) findet sich kurzfristig ein Angstrückgang (C-) durch die Begleitung, sowie eine Kompensation der latenten Konflikte (immer unter Kontrolle des Mannes). Langfristig führt dies dazu, dass sich der Bewegungsradius der Patientin immer mehr einschränkt und sie zunehmend an Selbstsicherheit verliert (C-).
Mikro- vs makroanalyse
mikro: basically sorkc modell
makro: umfeld, lebensumstände etc.
Situation vs Reaktion - abgrenzung
Situation: “als ich nach hause kam…” (was pat. formuliert)
Reaktion: “…(rkog) ich habe dann gedacht ich habe hunger, (rphys) magen grummelt, (remot) war irgendwie platt vom Tag und hatte dann eine essattacke”
Situation: die eltern fordern kind auf ha zu machen und das kind macht es nicht (zb gequängel)
Reaktion: zb positive Aufmerksamkeit als pos. Verstärker; oder Ärger weil kind zu viel quängelt etc (als direkte bestrafung)
Behandlungsplan Setting und Prognose
Behandlungsziele
• Frage: Was soll verändert oder bearbeitet werden?
• notwendiger Bestandteil des Berichts an den Gutachter
• Anforderungen an die Zielformulierung:
− konkret
− mit Patient*in reflektiert
− individualisiert
− verhaltensnah (Woran kann der/die Patient*in erkennen, dass ein Therapieziel erreicht wurde?)
• Im Idealfall von Patient*in vorgetragen, aber unkonkrete Formulierung sollten nicht einfach übernommen werden
Gut formuliert:
„Den Tod meiner Eltern aufarbeiten.”
„Ich möchte alleine einkaufen gehen können.”
Schlecht formuliert:
„Ich möchte, dass es mir besser geht.”
„Nicht so oft traurig sein.”
„Ich will einen neuen Partner finden.”
Behandlungsziele - Anmerkungen zu Bezugspersonen bei KiJu
• Therapieziele mit den Bezugspersonen vereinbaren, wenn:
− Kind/Jugende*r alters-, entwicklungs- oder störungsbedingt nicht in der Lage ist, eigenes Krankheitsverständnis zu entwickeln
− Bezugsperson maßgeblich mit in die Behandlung einbezogen werden
• Ziele sollten Bezug zur Symptomatik des KiJu haben und sich auf Verhaltensanalyse, prädisponierende/aufrechterhaltende Bedingungen beziehen
Behandlung - Anmerkungen zu Bezugspersonen bei KiJu
• Einbezug von Bezugspersonen in Behandlung kann zur Zielerreichung notwendig sein
− z.B. zur Veränderung innerfamiliärer Konstellationen, Klärung der Familiendynamik, um gestörte Verhaltensmuster wahrzunehmen & Verständnis der Störung zu bekommen
• Behandlungseinheiten höchstens im Verhältnis 4:1 (Kind : Bezugsperson)
− Einbezug darf keiner eigenen Behandlung gleichen & sollte keine
Erziehungsberatung darstellen
Berner Inventar für Behandlungsziele
• gute Hilfe bei Zielfindung (veränderungsorientierte Ziele)
• Fragebogen verwenden, um Zielfindung mit Patient*in anzuregen und herauszuarbeiten
• Fragebogen besteht aus 5 Oberbereichen:
− Bewältigung bestimmter Probleme und Symptome
− Ziele im zwischenmenschlichen Bereich
− Verbesserung des Wohlbefindens
− Orientierung im Leben
− selbstbezogene Ziele
• Ergänzung: es gibt auch klärungsortientierte Ziele (verstehen bestimmter Verhaltensweisen;
z.B.: “Ich möchte verstehen, warum ich mir den falschen Partner aussuche”)
Darstellung von Zielen
✓ als Text oder hintereinander mit Nummerierung
✓ zuerst übergeordnete Ziele (meist störungsspezifische Ziele)
✓ danach Ziele für den konkreten Fall
✓ besseres Verständnis: konkrete Bedingungen/Bsp. in Klammern
✓ max. 2-5 Ziele
Besonderheiten
• bei chronifizierten, komorbiden und komplexen Störungen oder nach mehreren Behandlungen: Ziele nicht zu optimistisch formulieren
− es ist ggf. nicht mit der vollständigen Remission der beschriebenen
Symptomatik zu rechnen
• Teilziele sind dann angemessen
Behandlungsplan
• Frage: wie (mit welchen konkreten Methoden) soll die Veränderung erreicht werden?
• Behandlungsplan soll individuell und krankheitsbezogen sein
− übliche Techniken für eine Störung sind nicht ausreichend
− ausschließlicher Bezug auf ein Therapiemanual nicht umfassend genug
− z.B. Aufbau sozialer Kompetenzen→ konkrete aufzubauende Kompetenzen benennen
• ausgewogenes Verhältnis von Standardinterventionen und individueller
Therapieplanung
− genannt werden sollten z.B. konkrete Methoden der kognitive Umstrukturierung
− Idealfall: alle zuvor beschriebenen individuellen, aufrechterhaltenden Faktoren werden berücksichtigt
Behandlungsplan- Einbezug anderer Personen
• Entspannungsverfahren: Vermittlung von diesen Techniken ist nicht Gegenstand der Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab
− Gutachter*in wird dies wahrscheinlich anmerken → Aufforderung, Entspannungsverfahren parallel zur Richtlinientherapie zu vermitteln
− besser nicht im Behandlungsplan nennen oder abgrenzen vom zur Behandlung beantragten Umfang
• Berücksichtigung vorangegangener Behandlung:
− bereits Erfahrung mit bestimmten Interventionen gesammelt → im Behandlungsplan daran anknüpfen
− Aufnahme einer erneuten Behandlung innerhalb der Zwei-Jahres-Frist begründen (z.B. neu aufgetretene Störungen)
− bei Verfahrenswechsel: Vorbehandlung darstellen (Dauer, Verfahren, Erfolg/Misserfolg)
• ggf. kann der Einbezug anderer Berufsgruppen (z.B. Hausarzt, Sucht- oder Schuldnerberatung) sinnvoll sein, Zusammenarbeit kann jedoch nicht gesondert abgerechnet werden
Darstellung Behandlungsplan
Was sollte der Behandlunsgplan von Frau M. beinhalten?
Auflösung:
Behandlungssetting
• in der ambulanten VT: Einzeltherapie als Standardsetting (für LZT nur kurze Begründung)
• Begründung notwendig, wenn:
− Aufteilung in Gruppen- und Einzelsetting
− 2. Therapeut*in führt Gruppenbehandlung durch → Zusammenarbeit detailliert beschreiben
• Neu: Möglichkeit der Rezidivprophylaxe → bis zu 16 Sitzungen vom Kontingent
• Angaben zur Sitzungsanzahl und Behandlungsfrequenz
− üblich zu Beginn: eine Sitzung pro Woche (Tendenz: alle 2 Wochen)
− Behandlungsfrequenz mit weniger als einem Termin/Monat → begründen
Beispielformulierung: Begründung Setting, Sitzungszahl & Frequenz
Kombinationsbehandlung und Gruppentherapie
• beantragt werden kann:
• Therapieeinheit: jeweils 50 Min. Einzeltherapie, 100 Min. Gruppentherapie
• Auswahl der Behandlungsform im PTV 2-Formular ankreuzen, im Bericht an den Gutachter begründen
• Bei Kombinationsbehandlung: Angaben zur Verteilung der Stunden und ggf. zur zeitlichen Struktur (parallel/zeitgleich oder eine davon vorgelagert?)
• bei alleiniger Gruppentherapie: begründen, warum dies für die Ziele ausreicht
• Darstellung des Gruppenkonzeptes: angemessene Gruppeninterventionen beschreiben
Beispielformulierung → Kombinationsbehandlung
Prognose
• soll vermitteln, dass von einer Verbesserung der Symptomatik ausgegangen werden kann (muss aber keine Vollremission sein)
• Frage: ist anzunehmen, dass die Therapieziele erreicht werden?
• v.a. wichtig zu beschreiben, wenn prognostisch ungünstige Faktoren oder Zweifel an der Veränderungsfähigkeit vorliegen
Einflussfaktoren auf die Prognose
mangelnde Motivationslage, Motivierbarkeit, Umstellungsfähigkeit → dann ist Psychotherapie ausgeschlossen (Psychotherapie-Richtlinie)
• Persönlichkeitsstörungen: gelten als schwerer behandelbar als andere psychische Erkrankungen
− Behandlung von fast allen psychischen Erkrankungen wird bei komorbider Persönlichkeitsstörung erschwert
− Dieckmann et al. (2018) stellt Bedingung: ausreichende Veränderungsfähigkeit muss gegeben sein & realistische Teilziele
• Chronifizierung: wenn die Störung schon seit langer Zeit besteht → Formulierung realistischer Teilziele
•Viele gescheiterte Behandlungsversuche: Stellung dazu nehmen, warum der/die Patient*in von der Behandlung profitieren wird nach mehreren
Behandlungsversuchen
• Keine Therapiefortschritte: v.a bei Fortführungs- und Umwandlungsanträgen relevant, Behandlungsverlauf berichten → Begründung notwendig, warum es bisher nicht erfolgreich war
• Lebensumstände: unter anderem schwere körperliche Erkrankungen, anhaltende Gewalterfahrung
Darstellung der Prognose
keine nennenswerten negativen Einflussfaktoren:
Zweifel an günstiger Prognose: (Gründe benennen, dann Argumente für ausreichend gute Prognose)
Frau M.:
Besonderheiten KiJu
Prognose für die Erreichung der Therapieziele abhängig von der Motivation zur Mitarbeit und Umstellungsfähigkeit der Bezugspersonen
− auch äußere Faktoren, die sich auf Symptomatik auswirken können, z.B. Schulwechsel oder Vereinsanmeldung, sind von Bezugspersonen abhängig
• wenn keine Zweifel an guten Voraussetzungen bestehen → Standardsatz (individuell ergänzt)
• bei Zweifeln an der Motivation (usw.) der Bezugspersonen → Gründe benennen, dann Argumente für ausreichend gute Prognose
bei ungünstiger Prognose:
Behandlungsplan:
knapp aber konkret
individualisiert
Psychischer Befund - AMDP
System der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP) zur Dokumentation des psychischen Befunds in der Psychotherapie und Psychosomatik
Notwendig für Bericht an Gutachter*innen
Kurze und stichwortartige Verfassung
-hat Vergleichbarkeit von Dokumentationen aus verschiedenen psychiatrischen Zentren und Ländern möglich gemacht —> internationale Vereinheitlichung psychiatrischer Diagnostik und Forschung
AMDP- Testfragen:
=C
=A
=B
Anwendung AMDP-System
-Training wichtig
-30 min (beim ersten mal 45-60min)
-Vierseitigem Dokumentationsbogen mit Anamnese, psychischem Befund und somatischem Befund
- für Beurteilung eines Merkmals alle zur Verfügung stehenden objektiven (Untersuchung, Gespräch, Verhaltensbeobachtung durch Arzt/Ärztin, Pflegepersonal und Angehörige u.a.)
und subjektiven (von Patient:innen berichtet) Informationen heranziehen
- Datenquellen: Aussagen von Patient:innen, Beobachtungen durch Untersucher:innen oder andere Personen
-S: Selbst, Datenquelle = Patient: innen, Patient: innen müssen zum Merkmal selbst etwas sagen, Selbstaussage, -bericht, -schilderung
- F: Fremd, andere Datenquellen, Untersucher:innen, Pflegepersonal, Angehörige, allein Beurteilung durch andere ist relevant
- S/F: beide Datenquellen sind zur Einschätzung relevant
- Fremdbeurteilungsverfahren: Beurteilung erfolgt immer durch Untersucher:innen —>Bewertung und Gewichtung muss vorgenommen werden
Zielsetzungen: letzte 3-4 Tage, um aktuellen Zustand zu erfassen; wenn Verdachtsdiagnose
vorliegt, dann Zeitraum nach Zeitkriterium der jeweiligen Störung wählen
- Bewertung deskriptiv, kein Einfluss von vermuteten Ursachen
- aus Diagnose oder Verdacht keine automatischen Rückschlüsse auf Vorhandensein
bestimmter Merkmale ziehen
- Empfehlung: Manual immer wieder verwenden + als Nachschlagewerk benutzen
- Entscheidungsbaum muss bei jedem Merkmal durchlaufen werden
- nicht untersuchbar: wenn Patient/in sich trotz Bemühens nicht untersuchen lässt, z.B.
Mutismus bezogen auf Orientierungsstörungen
- fraglich: keine hinreichenden Informationen für eine sichere Einschätzung (z.B. mangelnde
Kooperation), ABER hier nicht persönliche Unsicherheit der Untersucher:innen gemeint,
sondern mangelnde Datenlage!
- Vorhandensein: Probleme bei auch umgangssprachlich verwendeten Wörtern à Definition
genau lesen!; Norm bei Beurteilung der Abweichung beachten (kulturelle, spezielle Norm
einer soziokulturellen Gruppe, individuelle Norm)
- Quantifizierung: bei Vorliegen eines Merkmals mind. „leicht“ kodieren; schwer nach oben hin offen, also nicht nur für schwerste Form zu vergeben
- Leidensdruck: subjektive Belastung, die jemand unter einem Symptom erlebt
- Beeinträchtigung: Folgen der Symptomatik aus Sicht der Patient:innen oder anderen, z.B. im alltäglichen Leben à je mehr Bereich betroffen, desto stärker die Beeinträchtigung
Begriffe im psychischen Befund
Begriffe
- man kann bei allen Begriffen Graduierung vornehmen: von leicht bis schwer in
Abhängigkeit der Beeinträchtigung oder des Leidensdrucks
- bei allen Merkmalen auf Abgrenzungen zu anderen Merkmalen achten; im Sinne einer
Differentialdiagnose
Begriffe: bzgl. Bewusstsein
Bewusstseinsverminderung
= Störung der Wachheit, Ausmaß der Schläfrigkeit
- Kontinuum reicht von Benommenheit, Somnolenz, Sopor bis Koma
- Beispiel: Patient:innen sind in unterschiedlichem Maße schläfrig, verlangsamt und in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit eingeschränkt; schwere Fälle: Realitätskontakt ganz aufgehoben
Bewusstseinstrübung
= qualitative Störung der Bewusstseinsklarheit
- Fähigkeit ist gestört, verschiedene Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen, sie sinnvoll miteinander zu verbinden, sich entsprechend mitzuteilen und sinnvoll zu handeln
- Teilsymptome: Abkehr von Außenwelt, schlechte Auffassungsgabe, Ablenkbarkeit, Schwerbesinnlichkeit
- Auftreten beispielsweise im Rahmen von Delir, akuter psychotischer Symptomatik, Intoxikation
- Beispiel: Eine Patientin hat Mühe, das Geschehen in ihrer aktuellen Situation zu verstehen und daraus sinnvolle Handlungen abzuleiten
Bewusstseinseinengung
= Einengung des gesamten Erlebens und Verhaltens mit verminderter Ansprechbarkeit auf Außenreize
- Metapher: Lichtkegel des Bewusstseins
—> Enger und zugleich wenig beweglicher Lichtkegel, in dem die erlebten Ereignisse klar oder sogar über deutlich wahrgenommen werden, hingegen am Rand oder außerhalb des
Lichtbereichs nicht oder nur unscharf wahrgenommen werden
- Auftreten beispielsweise bei Dämmerzuständen oder akuten Belastungsreaktionen, Hypnose, äußerster Konzentration auf bestimmtes Thema Z. B. Schwierige Problemstellung
- Beispiel: Der Patient lauscht seinen Stimmen. Versuche, ihn auf andere Themen zu leiten, beantwortet er nicht, oder er lässt nur eine angedeutete Reaktion erkennen, bevor er sich wieder seinem inneren Erleben zuwendet
Bewusstseinsverschiebung/Bewusstseinserweiterung
= gesamtes Erleben ist intensiver oder klarer als üblich, z.B. Gefühle, Sinneswahrnehmungen
—> Erweiterung des inneren Erlebens
- Patient:innen empfinden sich insgesamt als wacher, lebendiger und offener
- Auftreten beispielsweise im Rahmen von Drogen, psychotischer Symptomatik, meditativen Zuständen
- Beispiel: Patient:innen berichten vom subjektiven Gefühl innerer Bereicherung/Erweiterung ihres Erlebens
Begriffe bzgl. Orientierung
Zeitliche Orientierungsstörung
= Datum (Tag, Monat, Jahr), Wochentag oder Jahreszeit werden nicht oder nur ungenau gewusst
- Bei leicht falscher Antwort soll Patient:innen Gelegenheit zur Korrektur gegeben werden —> Hinweis, dass Antwort falsch à wenn Antwort ohne weitere Hilfe berichtigt wird, wird erste Antwort nicht gewertet
- Beispiel: Ein Patient kann den aktuellen Wochentag nicht benennen
Örtliche Orientierungsstörung
= Gegenwärtiger Aufenthaltsort wird nicht gewusst oder ungenaue Angaben darüber
- Beispiel: Es besteht Unsicherheit bezüglich des gegenwärtigen Aufenthaltsorts
= gegenwärtige Situation wird in ihrem Bedeutungs- und Sinnzusammenhang nur ungenau oder gar nicht erfasst
- Beispiel: Ein Patient weiß nicht, dass er sich in einer Klinik befindet und einen Arzt vor sich hat
= persönliche lebensgeschichtliche Situation wird nicht oder nur ungenau gewusst
- kann alle wichtigen autobiografischen Fakten, bezogen auf Gegenwart und Vergangenheit umfassen
- Beispiel: Eine Patientin weiß nicht, wie alt sie ist. Ein Patient weiß seinen Geburtstag nicht. Eine Patientin weiß ihren Namen nicht. Ein Patient kennt seine Wohnadresse nicht.
Begriffe bzgl. Aufmerksamkeit und Gedächtnisstörungen
Auffassungsstörungen
= Störung der Fähigkeit, Äußerungen und Texte in ihrer Bedeutung zu verstehen
- Kognitive Verarbeitung erhaltener Information gestört
- Auffassung kann mehr oder weniger falsch, schwerbesinnlich oder fehlend sein
- Klinische Prüfung beispielsweise mit gebräuchlichen Sprichwörtern, oder Fabeln
- Beispiel: Ein Patient erklärt ein Sprichwort konkretistisch
- Konkretismus: Beeinträchtigung der Fähigkeit zu abstrahierend – symbolischem Denken
(Schwierigkeiten mit der Zuordnung von Elementen zu Klassen, Probleme Verallgemeinerungen und Wiedergabe von wörtlichem Verständnis bei eigentlich metaphorischer Bedeutung)
Konzentrationsstörungen
= verminderte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit einer Tätigkeit oder einem Thema ausdauernd zuzuwenden
- Klinische Prüfung beispielsweise durch Aufgaben, wie von 81 immer 4 abziehen oder die Monatsnamen rückwärts aufsagen
- Zur klinischen Prüfung muss Patient prinzipiell in der Lage sein, Aufgaben lösen zu können
- Konzentrationsstörungen zeigen sich in klinischer Prüfung eher durch die Zunahme von Fehlern im Verlauf oder durch Verlangsamung und schließlich Abbruch einer begonnenen Aufgabe
- Beispiel: Der Patient berichtet, dass seine Gedanken beim Lesen eines Buches oder einer Zeitung nach wenigen Minuten abschweifen würden
Merkfähigkeitsstörungen
= Herabsetzung oder Aufhebung der Fähigkeit, sich neue Informationen über einen Zeitraum von 10 Minuten zu merken
- Merkfähigkeit von affektiver Bedeutung der Merkinhalte abhängig, deshalb in Prüfung Begriffe verwenden, die nicht emotional aufgeladen sind
- Gleiches Material verwenden für Vergleichbarkeit (z. B. 34, Oslo, Aschenbecher)
- Wenn keine spontane Erinnerung, darf Hilfestellung gegeben werden
- Wenn Begriff nach Hilfestellung gewusst wird, gilt dies nicht als Störung
- Beispiel: Eine Patientin kann sich die gestellten Fragen nicht merken und muss immer wieder rückfragen, was der Untersucher wissen will, weil sie die Frage vergessen hat
Gedächtnisstörungen
= Herabsetzung oder Aufhebung der Fähigkeit, Informationen länger als 10 Minuten zu speichern bzw. Erlerntes aus dem Gedächtnis abzurufen
- Können sich auf zeitnahe oder weiter zurückliegende Ereignisse beziehen
- Dazu zählen auch Amnesien (inhaltlich oder zeitlich begrenzte Gedächtnislücken) und Zeitgitterstörungen (Unfähigkeit, Gedächtnisinhalte zeitlich richtig einzuordnen)
- Beispiel: Ein Patient kann sich nicht mehr erinnern, was er gestern zum Mittag gegessen hat
Konfabulationen
= Erinnerungslücken werden mit wechselnden Einfällen ausgefüllt, die für wirkliche Erinnerung gehalten werden
- d.h. Wechselnde Antworten auf die gleiche Frage
- deshalb zur Beurteilung denselben Sachverhalt mehrfach erfragen
- Patient:innen bemerken Unterschiedlichkeit der Angaben nicht, da sie den tatsächlichen Sachverhalt und vorherige Angaben vergessen haben
- Konfabulation liegt immer Gedächtnisstörung zugrunde
- Beispiel: Eine Patientin antwortet auf die Frage, wovon sie leben würde, „von der Arbeit“, zu einem späteren Zeitpunkt auf dieselbe Frage „von der Rente“ und noch später „vom ererbten Vermögen
Paramnesien
= Erinnerungsverfälschungen oder -täuschungen, sich ungewollt aufdrängende Erinnerungen, gesteigerte Erinnerungsfähigkeit
- Verschiedene Phänomene:
- Falsches Wiedererkennen:
- vermeintliche Vertrautheit: schon einmal gesehen, gehört, erlebt, obwohl dies eigentlich nicht sein kann, Deja-vu
- vermeintliche Fremdheit: noch nie gesehen, obwohl es eigentlich vertraut sein müsste, Jamais-vu
- Ekmnesien: Störungen des Zeiterlebens bzw. der zeitlichen Einordnung, wobei die Vergangenheit als Gegenwart erlebt wird
- Hypermnesien: Steigerung der Erinnerungsfähigkeit, z.B. fotografisches Gedächtnis
- Flashbacks (Nachhallerinnerungen) und Intrusionen (sich aufdrängende
Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis)
- Falsche Erinnerungen: Pseudoerinnerungen, Erinnerungsverfälschungen
- Beispiel: Ein Patient glaubt, sich in einer vergangenen Zeit aufzuhalten
Begriffe: formale Denkstörungen
Gehemmt
= Denken wird von Patient:innen subjektiv als gebremst oder blockiert empfunden
- also Verringerte Geschwindigkeit des Denkens
- Eigenartiger Charakter: denken wie gegen inneren Widerstand, in eigenartiger Weise zäh
oder blockiert
- Beispiel: Eine Patientin erwähnt, dass ihr Denken in der letzten Zeit schwerfälliger geworden sei
Verlangsamt
= Denken ist im Tempo reduziert und schleppend; von außen beobachtbare Verringerung der Geschwindigkeit des Denkens
- Phänomen manchmal schwer zu beurteilen, da Einschätzung von eigener Normvorstellung der Untersucher:innen abhängig ist
- bei Beurteilung landesübliches Temperament der Patient:innen beachten
- Beispiel: Es entstehen längere Gesprächspausen, die über das Nachdenken über eine Frage hinausgehen
Umständlich
= Denken, das, bezogen auf den Gesprächsinhalt, das Nebensächliche nicht vom Wesentlichen trennt; inhaltlicher Zusammenhang bleibt stets gewahrt
- Patient verliert sich in unwichtigen Einzelheiten, bleibt an ihnen hängen, ohne vom Ziel ganz abzukommen
- Vom Hundertsten ins Tausendste kommen, ohne Ziel ganz aus den Augen zu verlieren
- Beispiel: Auf die Frage, wie er in die Klinik gekommen sei, berichtet der Patient im Detail den Weg von zu Hause bis in die Klinik
Eingeengt
= Einschränkung des inhaltlichen Denkumfangs; in einem oder wenigen Themen verhaftet sein
- Im Gespräch haben Patient:innen Mühe, von einem Thema auf ein anderes überzugehen oder kommen immer wieder auf „ihr“ Thema zurück
- Beispiel: Ein depressiver Patient kommt immer wieder auf seine Verdauungsprobleme zurück, obwohl die Untersucherin eigentlich über andere Themen sprechen möchte
Perseverierend
= Haftenbleiben an zuvor gebrauchten Worten oder Angaben, die im aktuellen Zusammenhang nicht mehr sinnvoll sind
- Für Einschätzung ist Gesamteindruck von Untersucher:innen entscheidend, ob Wiederholung des Gesagten im Gesprächszusammenhang sinnvoll ist
- Beispiel: Ein Patient antwortet auf die Frage nach seinem Geburtsdatum korrekt, wiederholt dieses im Folgenden aber auch auf ganz andere Fragen
Grübeln
= Patient:innen sind immer wieder mit einzelnen Gedanken (Gedankenkreisen) beschäftigt, meist mit unangenehmen Themen
- Gedanken kreisen immer wieder ergebnislos um die gleichen (meist unangenehmen) Inhalte, kann nur mit Mühe unterbrochen werden
- Grübeln = unangenehm, lästig bis quälend
- Beispiel: Ich werde den Gedanken nicht los, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte
Gedankendrängen
= Patient:innen fühlen sich dem Druck vieler verschiedener Einfälle oder Gedanken ausgeliefert
- Patient kann die Fülle der sich aufdrängenden Einfälle und Gedanken nicht ordnen oder beherrschen
- Gedanken können sinnvoll oder sinnlos sein, sich überstürzen oder wie automatisch ablaufen
- Denken meist als beschleunigt erlebt, muss Beobachter aber nicht unbedingt beschleunigt erscheinen
- Beispiel: Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich gar nicht mehr klar denken kann
Ideenflüchtig
= Vermehrung von Einfällen, die aber nicht mehr von einer Zielvorstellung straff geführt werden; Ziel des Denkens kann aufgrund von Assoziationen häufig wechseln oder verloren gehen
- Gedanken werden oft nicht zu Ende geführt, weil Denken ständig von
dazwischenkommenden Einfällen abgelenkt wird
- von Hölzchen auf Stöckchen geraten
- Ablenkung vom stringenten Gedankengang kann auf äußeren Einflüssen (z.B. Geräuschen) oder auf gedanklichen Assoziationen beruhen
- Beispiel: Eine Patientin berichtet über Ufos, assoziiert dann den Maler Raffael, der auch schon Flugmaschinen gebaut hat, fährt dann fort, dass sie eigentlich aufgrund des Klimawandels gar nicht mehr mit Flugzeugen reisen wolle
Vorbeireden
= Antworten von Patient:innen stehen in keinem Zusammenhang mit der gestellten Frage, obwohl auf Nachfrage klar wird, dass die Frage verstanden wurde
- Entscheidend für Beurteilung ist nicht, dass die Antwort falsch ist, sondern dass der Patient am Inhalt der Frage vorbeiredet
- Bei Verdacht müssen Untersucher:innen sicherstellen, dass Frage richtig verstanden wurde —> deshalb sollten Patient:innen die Frage noch einmal wiederholen
- Außerdem muss unterschieden werden, ob absichtlich auf eine Frage falsch geantwortet wird (Vermeidung, um den heißen Brei reden)
- Beispiel: Untersucherin: Kennen Sie so etwas wie einen inneren Druck? Patient: Ja, ich habe einen hohen Blutdruck. Untersucherin: Erinnern Sie sich noch an meine Frage? Patient: Ja. Sie wollen wissen, ob ich einen inneren Druck verspüre
Gesperrt/Gedankenabreißen
= Plötzlicher Abbruch eines sonst flüssigen Gedankenganges oder des Sprechens ohne erkennbaren Grund
- Phänomen entweder vom Untersucher als gesperrt beobachtet oder Patient berichtet
- Umgangssprachlich, in geringer Ausprägung bzw. wenn selten: den Faden verlieren
- Beispiel: Der Patient stockt mitten im Satz, schweigt, greift dann das Gespräch unter Umständen mit einem ganz anderen Thema wieder auf oder erkundigt sich noch einmal nach der letzten Frage
Inkohärent/Zerfahren
= Denken und Sprechen des Patienten verlieren für Untersucher:innen ihren verständlichen Zusammenhang; Extremfall: einzelne, scheinbar zufällig durcheinander gewürfelte Sätze, Satzgruppen oder Gedankenbruchstücke
Arten:
- Paralogik: Unlogisches Denken, Satzbau noch intakt
- Paragrammatismus: Satzbau zerstört
- Sprachzerfall/Schizophasie: unverständliches, sinnloses Wort- und Silbengemisch
- Beispiel: Früher sind die Leute aus blauäugigen Menschen bestanden und wie die Hirne schaffen
Neologismen
= Wortneubildungen oder Wortverwendungen, die der sprachlichen Konvention nicht entsprechen und oft nicht unmittelbar verständlich sind
- nicht nur einzelne Wortneuschöpfungen, sondern semantisch ungewöhnlicher Gebrauch von Worten
- Extremfall: Bildung/Gebrauch künstlicher Sprache
- Beispiel: Gestern habe ich ein Diagraf bekommen und da ist mein Kopf demachronisiert worden (Patientin spricht von einem EEG)
Begriffe bzgl. Befürchtungen und Zwänge
Misstrauen
= Verhalten anderer Menschen wird ängstlich-unsicher oder feindselig auf die eigene Person bezogen
- Negativ getönte Reaktion auf andere Menschen
- Lässt sich vor allem aus Interaktion mit Betroffenen erschließen
- Beispiel: Ich bin so oft enttäuscht worden, ich traue niemandem mehr richtig
Hypochondrie
= ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Körper mit der unangemessenen Befürchtung, krank zu sein oder krank zu werden
- Körperliche Phänomene werden mit gesteigerter Aufmerksamkeit ängstlich-sorgenvoll beobachtet
- Unbedeutende Körpervorgänge (z.B. leichte Missempfindungen) werden für übermäßig wichtig gehalten
- große Diskrepanz zwischen den unbegründeten Befürchtungen und dem Beharren der Betroffenen auf ihrer Einschätzung
- hypochondrisches Erleben, nicht Diagnose Hypochondrie!
- Beispiel: Alle Untersuchungen waren gut, aber ich denke trotzdem, dass etwas mit meinem Herzen nicht in Ordnung ist
= Angst vor bestimmten Situationen oder Objekten, die oft Vermeidungsreaktion zur Folge hat
- Vermeidung der Konfrontation mit angstauslösenden Situationen oder Objekten
- von Betroffenen als unbegründet, übertrieben oder unangemessen erkannt
- phobisches Erleben, nicht Diagnose einer Phobie!
- Beispiel: In engen Räumen wird mir immer ganz mulmig, eigentlich gibt es dafür ja keinen Grund
Zwangsdenken
Definition: Repetitiv sich aufdrängende eigene Gedanken; als unsinnig oder übertrieben erlebt; können nicht gestoppt werden
• Abgrenzung zu Zwangsimpulsen: hier geht es thematisch nicht um gedanklich vorgestellte auszuführende Handlungen
Beispiel: „Obwohl ich vorhin dort war, werde ich den Gedanken nicht los, ob der Briefkasten geleert ist.“
Zwangsimpulse
Definition: Repetitiv sich aufdrängende, vom Betroffenen ausgehende Gedanken, bestimmte Handlungen auszuführen
• oft aggressive und sexuelle Inhalte
• nicht oder nur schwer zu unterdrücken; werden als eigene Gedanken erlebt
Beispiel: „Ich würde es natürlich nie tun, aber mich quält immer wieder der Gedanke, mich selber zu schädigen.“
Zwangshandlungen:
Definition: Repetitiv ausgeführte Handlungen; werden als unsinnig oder übertrieben erlebt
• werden oft in ritualisierter Form in bestimmter Häufigkeit wiederholt
• lassen sich nicht oder nur schwer unterdrücken; werden als eigene, nicht von außen eingegebene Gedanken erlebt
Beispiel: „Ich muss immer wieder meinen Esstisch desinfizieren, was eigentlich unsinnig ist.“
Wahnstimmung
Definition: Eine besondere, häufig diffuse und ahnungsvolle Gespanntheit im Vorfeld des Wahns
• Bedeutungszumessen, Inbeziehungsetzen, Meinen, Vermuten, Erwarten, das von anderen so nicht nachvollzogen werden kann
• Häufigste Stimmungen: Unheimlichkeit, Misstrauen, Verändertsein, Bedrohung, Angst, Argwohn, Ratlosigkeit; manchmal auch Gehobenheit, Euphorie, Zuversicht
Beispiel: „Sagt mir doch, was los ist. Etwas ist los, ich weiß aber nicht was.“
Wahnwahrnehmung
Definition: Einer an sich richtigen Wahrnehmung wird eine wahnhafte Bedeutung zugeschrieben, meist im Sinne der Eigenbeziehung, ohne dass hierfür ein rational oder emotional verständlicher Anlass besteht
• zweigliedriger Vorgang: reale (richtige) Wahrnehmung wird wahnhaft interpretiert
• Wahnerinnerung: mnestische Wahnwahrnehmungen
Beispiel: „Die Zeitungen, die Nachrichten im Fernsehen, selbst Ergebnisse meiner Internet-Recherchen sind voller Anspielungen auf mich. Jeder kennt mich. Ich bin berühmt.“
Wahneinfall
Definition: Rein gedankliche, neu aufgetretene wahnhafte Vorstellungen und Überzeugungen.
Erläuterungen
- Dem Wahneinfall geht keine spezielle Wahrnehmung voraus.
- Besondere Form der Wahnerinnerung: „mnestischer Wahneinfall“: einem Patienten fällt plötzlich ein, dass er schon als Kind übernatürliche Kräfte gehabt habe
Beispiele: „Heute Morgen ist mir sonnenklar geworden, dass mein Sohn gar nicht von mir stammt.“
Wahngedanken
Definition: Überdauernde wahnhafte Überzeugungen Erläuterungen
- gehen aus Wahneinfällen oder Wahnwahrnehmungen hervor
„Vor mehreren Monaten sind lauter gelbe ausländische Autos in der Stadt herumgefahren, die mich offensichtlich beobachtet haben. Seitdem weiß ich, dass sie mich dauernd im Visier haben.“
Systematisierter Wahn
Definition: Grad der Verknüpfung (logisch oder auch paralogisch) einzelner Wahnsymptome mit anderen Wahnphänomenen, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen oder auch nicht krankhaft
veränderten Beobachtungen und Erlebnissen.
- bei diesem Merkmal werden zwischen den oben genannten einzelnen Phänomenen Verbindungen hergestellt, die oft einen finalen oder kausalen Charakter besitzen und vom Patienten als Beweise und Bestätigungen für seine Überzeugung angesehen werden (z.B. Wahngedanken oder Wahnwahrnehmung)
Keines vorhanden
Wahndynamik
Definition: Das Ausmaß der Affekte, die im Zusammenhang mit dem Wahn auftreten.
- für den Untersucher ergibt sich das Ausmaß der affektiven Anteilnahme aus dem Verhalten des Patienten im Beurteilungszeitraum und aus der Art, wie er den Wahn berichtet.
- Werden Wahngedanken mit nur geringer affektiver Beteiligung und wenig psychomotorischem Ausdruck vorgebracht, liegt eine geringe Wahndynamik vor
Beispiele: Geringe Wahndynamik: Beispielsweise gibt es bei langandauernden Schizophrenien manchmal ein eingeschliffenes „Herunterleiern“ von Wahngedanken ohne spürbare emotionale Beteiligung. Eine starke Ausprägung liegt vor, wenn ein Patient mit einem depressiven Schuldwahn verzweifelt weint und händeringend über seine Verfehlungen klagt.
Beziehungswahn
Definition: Wahnhaftes Beziehen von Ereignissen auf die eigene Person.
- Patient fühlt sich im Mittelpunkt der gezielten Aufmerksamkeit seiner Umwelt
- Selbst aus völlig unbedeutenden Ereignissen entnimmt er mit unerschütterlicher Gewissheit Signale, die ihn in ganz besonderer Weise angehen
- Das Gespräch anderer Menschen bezieht er auf sich
Beispiele: Beziehungswahn kann isoliert vorkommen, z.B. als Liebeswahn mit der unkorrigierbaren Überzeugung, von einer bestimmten Person geliebt zu werden oder Element eines anderen Wahns (z.B. Verfolgungswahn) sein
Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn
Definition: Der Patient erlebt sich als Ziel von Feindseligkeiten. Er wähnt sich bedroht, gekränkt, beleidigt, verspottet und verhöhnt; er weiß, dass man nach seinem Hab und Gut, nach seiner Gesundheit oder gar nach seinem Leben trachtet.
Beispiel: „Die Psychologen überwachen mich ständig und überall mit Videokameras. Das Videomaterial verwenden Sie dann gegen mich. Sie treiben mich in den Wahnsinn.“
Eifersuchtswahn
Definition: Wahnhafte Überzeugung, vom Lebenspartner betrogen und hintergangen zu werden.
Erläuterungen und Beispiele
Patienten sind unerschüttlich davon überzeugt, dass ihr Partner eine sexuelle Beziehung zu einem anderen aufgenommen hat oder aufnehmen will. An sich unbedeutende Ereignisse oder Beobachtungen werden häufig als Beweise für die Untreue des Partners präsentiert. Ein Patient geht nur noch unregelmäßig zur Arbeit, weil er seine Freundin stundenlang beobachtet und Beweise für ihre Untreue sammelt. Er schreibt Briefe an die vermeintlichen Liebhaber und bedroht diese.
Schuldwahn
Definition: Wahnhafte Überzeugung, etwas falsch gemacht und Schuld auf sich geladen zu haben.
Der Patient ist überzeugt, einen unverzeihlichen und nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen zu haben. Diese Fehler können sowohl gegen individuelle als auch gegen gesellschaftliche oder religiöse Normen gerichtet sein. Im Rahmen eines Schuldwahns
kommt es häufig auch zu der Überzeugung, für das eigene Verhalten bestraft zu werden. Nicht selten wird tatsächlich geringfügiges Fehlverhalten aus der Vergangenheit in völlig unangemessener Weise überbewertet.
Beispiele: Ein Patient meint, die Erkrankung seiner Frau durch ein außereheliches Verhältnis vor vielen Jahren verschuldet zu haben.
„Vor 30 Jahren habe ich einmal 10 Briefmarken aus dem Büro mitgenommen, das hätte ich auf keinen Fall machen dürfen. Jetzt ist man dahintergekommen, und jetzt wird man mich bestimmt zur Rechenschaft und Verantwortung ziehen, die Polizei ist sich schon an der
Sache dran.“
Definition: Wahnhafte Überzeugung, nicht genug Mittel zum Lebensunterhalt zu haben.
Patienten mit einem Verarmungswahn sind davon überzeugt, ihnen stehe der finanzielle Ruin bevor. Häufig äußern sie, eine notwendige Behandlung, Schulden oder laufende Lebenshaltungskosten nicht mehr bezahlen zu können. Nicht selten werden auch Familienangehörige in diese finanzielle Katastrophe miteinbezogen, und der Patient glaubt,
auch deren Vermögen gehe verloren. Infolge eines Verarmungswahnes will der Patient die teuren Medikamente nicht mehr einnehmen und drängt auf Entlassung, da die Krankenkasse die Kosten nicht übernehme.
Hypochondrischer Wahn
Definition: Wahnhafte Überzeugung, schwer krank zu sein.
Erläuterungen. Inhalt dieses Wahns können konkrete Krankheiten wie beispielsweise Krebs, AIDS oder Demenz sein. Manchmal sind Patienten auch nur überzeugt, bald an einer schweren Krankheit sterben zu müssen, ohne diese genauer beschreiben zu können. Tatsächliche
Krankheit schließt einen darüberhinausgehenden hypochondrischen Wahn nicht aus.
Beispiele: Der Patient ist überzeugt, an AIDS zu leiden. Er ist nur noch mit Arztbesuchen beschäftigt und konsumiert verzweifelt zahlreiche Medikamente bzw. denkt an Suizid.
Größenwahn
Definition: Wahnhafte Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung.
Erläuterungen und Beispiele. Der Patient ist der wahnhaften Überzeugung, anderen Menschen eindeutig überlegen zu
sein. Dieses kann sich auf Intelligenz, Schönheit, Reichtum, Begabung, Abstammung und vieles andere mehr beziehen.
Andere Wahninhalte
Definition: Wahnthemen, die nicht in die oben genannten Kategorien passen.
Wahnhafte Überzeugung schwanger zu sein.
Ein Patient ist davon überzeugt letzte Nach auf einem anderen Planeten gewesen zu sein.
Begriffe zu Sinnestäuschungen:
Illusionen
Definition: Verkennung (verfälschte Wahrnehmung) von realen Gegenständen, Geräuschen oder Personen.
Bei der Illusion werden Gegenstände, Geräusche oder Personen unmittelbar verkannt (im Gegensatz zur Wahnwahrnehmung, bei der die Wahrnehmung korrekt ist, dieser aber eine wahnhafte Bedeutung beigemessen wird.) . Das Geräusch von vorbeifahrenden Autos wird als Rollen von Panzerkolonnen wahrgenommen.
Stimmenhören
Definition: Hören von Stimmen (Phoneme), ohne dass tatsächlich jemand spricht.
Die Stimmen können den Patienten direkt ansprechen, ihm Befehle geben, sein Handeln kommentieren oder in Rede und Gegenrede über ihn sprechen.
„Ich habe die Stimmen mehrerer Männer gehört, die sich über mich unterhalten haben. Eine davon hat mir dann den Befehl gegeben, nach Emden zu fahren.“
Andere akustische Halluzinationen
Definition: Hören von Geräuschen, ohne dass solche Geräusche vorhanden sind (sog. Akoasmen).
Optische Halluzinationen
Definition: Visuelle Wahrnehmung ohne entsprechende Reizquelle.
Erläuterungen und Beispiele:
Es werden beispielsweise Lichtblitze, Muster, Gegenstände, Personen oder ganze Szenen gesehen, ohne dass diese vorhanden sind.
Körperhalluzinationen
Definition: Taktiles Wahrnehmen ohne enstprechende Reizquelle oder Störungen des Leibempfindens (Coenästhesien).
ErläuterungenUnter Körperhalluziantionen werden hier zwei verschiedene Phänomene abgebildet: Taktile
Halluzinationen und Störungen des Leibempfindens. Störungen des Leibempfindens beschreiben qualitativ abnorme, neu- und fremdartige sowie häufig negativ getönte Leibsensationen. Sie sind von den Patienten oft schwer oder nur mit bizarren Vergleichen beschreibbar.
Beispiele: Taktile Halluzination: „Auf einmal konnte ich lauter kleine Kristalle zwischen den Fingern tasten, sie waren zum Teil rund, zum Teil aber auch länglich.“
Störungen des Leibempfindens: „Mein Darm ist wie versteinert und im Bauch ist ein ständiges Brennen.“
Geruchs- und Geschackshalluzinationen
Definition: Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen ohne entsprechende Reizquelle.
Erläuterungen: Im Mund breitet sich ein bestimmter (meist unangenehmer) Geschmack aus, ohne dass der Patient etwas gegessen oder getrunken hat.
Beispiele: „Plötzlich hat es nach Gras gerochen; es war ganz merkwürdig, weil es sonst keiner gemerkt hat.“
Begriffe bzgl. ICH-Störungen
Derealisation
Definition: Die Umgebung oder das Zeiterleben werden unwirklich verändert erfahren; die Vertrautheit geht verloren.
Erläuterungen: Personen, Gegenstände und Umgebung erscheinen unwirklich, fremdartig oder auch räumlich verändert. Dadurch wirkt die Umwelt z.B. unvertraut, sonderbar oder gespenstisch. Die Sinneseindrücke können intensiver oder abgeschwächt sein.
Derealisation (Entfremdungserlebnisse kann in Wahnstimmung eingebettet sein.
„Ich habe das Gefühl, dass alles in Zeitluppe passiert.“
Definition: Der Patient kommt sich selbst fremd, unwirklich, verändert oder wie ein anderer vor.
Erläuterungen: Diese Störung kann flüchtig sein oder über längere Zeit bestehen bleiben. Hierher gehört auch das Erleben der Veränderung körperlicher Merkmale (z.B. größere Extremitäten).
Beispiele: „Jedes Mal implantieren sie mir ein anderes Ich, damit ich die Erinnerungen nicht behalte. Mein wirkliches Ich haben sie dafür in einen anderen Menschen eingesetzt.“
Definition: Die Gedanken gehören nicht mehr dem Patienten alleine, andere haben daran Anteil und wissen, was er denkt (Gedankenlesen).
Beispiel: „Alle hier können in meine Gedanken reinsehen.“
Definition: Dem Patienten werden die Gedanken weggenommen oder „abgezogen“.
Ein Patient berichtet, dass ihm andere Menschen oder eine höhere Macht die Gedanken entreiße oder stehle. „Da, wo meine Gedanken waren, ist jetzt ein großes schwarzes Loch. Alle meine Gedanken hat mir meine erste Freundin weggenommen.“
Definition: Die Patienten erleben ihre Gedanken und Vorstellungen als beeinflusst, gemacht, gelenkt, gesteuert, eingegeben oder aufgedrängt.
Erläuterungen und Beispiele: „Sie hypnotisieren mir Gedanken in den Kopf, die gar nicht meine sind.“
Definition: Gefühle, Intentionen, Verhalten oder Körperfunktionen werden als gemacht erlebt.
Erläuterungen und Beispiele: Der Patient muss etwas Bestimmtes sprechen, er muss schreien, auf bestimmte Weise handeln, er muss jemanden angreifen, toben usw.
—> bei “Gefühl der Gefühlsslosigkeit” handelt es sich
um eine vom Pat. angegebene Reduktion oder einen Verlust affektiven Erlebens, um eine subjektiv erlebte Gefühlsleere. Der Pat.
erlebt sich als gefühlsverarmt, -leer,
-verödet, und zwar häufig nicht nur für Freude, sondern auch für
Trauer
—>“Gereizt”: Der Patient reagiert unangemessen rasch oder heftig mit Ärger bzw. Aggression
—>Verarmungsgefühle: Der Patient fürchtet, ihm fehlten die Mittel, seinen
Lebensunterhalt zu bestreiten, er sei veramt.
—>Parathymie: Gefühlsausdruck und berichteter Erlebnisinhalt
stimmen nicht überein.
Antriebs- und psychomotorische Störungen, Circadiane Besonderheiten und Andere Störungen
—>Unterschied Anstriebsarm vs. Antriebsgehemmt: ??
Circadiane Besonderheiten:
Andere Störungen:
—>Aggressivität: Feindseliges und angriffslustiges Verhalten
—>Unterschied Mangel an Krankheitsgefühl vs. Mangel an Krankheitseinsicht?
Zusatzmerkmale des psychischen Befundes
Merkmalsauswahl besteht so seit 1979 unverändert
Viel Diskussion, viele Anregungen zur Veränderung
Mögliche Symptome für Paranoid-halluzinatorisches Syndrom
33 Wahnstimmung
34 Wahnwahrnehmung
35 Wahneinfall
36 Wahngedanken
37 Systematisierter Wahn
38 Wahndynamik
39 Beziehungswahn
40 Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn
48 Stimmenhören
51 Körperhalluzinationen
54 Depersonalisation
56 Gedankenentzug
58 Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse
Mögliche Symptome Depressives Syndrom
20 Grübeln
60 Gefühl der Gefühllosigkeit
62 Störungen der Vitalgefühle
63 Deprimiert
64 Hoffnungslos
71 Insuffizienzgefühle
73 Schuldgefühle
81 Antriebsgehemmt
89 Morgens schlechter
102 Durchschlafstörungen
103 Verkürzung der Schlafdauer
104 Früherwachen
106 Appetit vermindert
Mögliche Symptome Manisches Syndrom
22 Ideenflüchtig
66 Euphorisch
72 gesteigertes Selbstwertgefühl
82 Antriebsgesteigert
83 Motorisch unruhig
88 Logorroisch
93 Soziale Umtriebigkeit
Mögliche Symptome Zwangssyndrom
30 Zwangsdenken
31 Zwangsimpulse
32 Zwangshandlungen
Somatischer Befund
-enthält 40 weitere Symptome
3.1 Schlaf- und Vigilanzstörungen
3.2 Appetenzstörungen
3.3 Gastrointesitnale Störungen
3.4 Kardio-respiratorische Störungen
3.5 Andere vegetative Störungen
3.6 Weitere Störungen
3.7 Neurologische Störungen
3.8 Zusatzmerkmale des somatischen
Befunds
Befundbogen Muster:
Zuletzt geändertvor einem Jahr