Binnenmarkt Europarecht
Definition
Nach Art. 3 Abs. 3 EUV errichtet die Union einen Binnenmarkt, welcher in Art. 26 Abs. 2 AEUV explizit als „Raum ohne Binnengrenzen“ definiert wird, „in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“.
Nach Art. 26 Abs. 1 erlässt die Union die erforderlichen Maßnahmen, um den Binnenmarkt zu verwirklichen. Dabei handelt es sich um einen Gesetzgebungsauftrag an die Unionsorgane, der allerdings keine unmittelbare Wirkung hat. Dem Unionsgesetzgeber steht in Bezug auf die Verwirklichung des Binnenmarktes ein Ermessen zu, das nur bei völliger Untätigkeit verletzt wird
Die Normen des Binnenmarkts
Zu den Normen des Binnenmarkts zählen die vier Grundfreiheiten:
· Freier Warenverkehr
· Freier Personenverkehr, aufgegliedert in
1. Arbeitnehmerfreizügigkeit und
2. Niederlassungsfreiheit
· Dienstleistungsfreiheit
· Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
sowie die personenbezogenen Freizügigkeitsregeln, sprich
1. das allgemeine Diskriminierungsverbot
2. und die Unionsbürgerschaft.
Der Binnenmarkt strebt auf einen Zustand hin, in dem nationale Regelungen, welche den grenzüberschreitenden Handel verhindern, beseitigt werden. Dadurch soll ein einheitliches Territorium (Bereich) geschafft werden.
das Ursprungslandprinzip:
§ Das Ursprungslandprinzip sieht vor, dass die erbrachten grenzüberschreitenden Umsätze mit der Steuer des Landes belastet werden bzw. bleiben, in dem der leistende Unternehmer seinen Sitz hat bzw. die leistende Niederlassung sich befindet.
Das Beschränkungsverbot
§ sagt aus, dass Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union für Angehörige der EU-Mitgliedstaaten verboten sind. Der Zugang zum freien Markt darf nicht durch nationale Regelungen behindert/weniger attraktiv gemacht werden. Sprich, wenn es Beschränkungen gibt, müssen sie für alle gelten. Sie sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig – etwa, wenn die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Die Beschränkungen müssen angemessen, d.h. verhältnismäßig sein.
Die Marktzutrittschranken
§ hindern Konkurrenten am Marktein- bzw. -austritt. Sie stellen Wettbewerbsvorteile für bereits im Markt aktive Unternehmen dar, da sie potenzielle neue Konkurrenten vom Marktzutritt abhalten. Marktschranken stellen mithin ein gewisses Hindernis für so genannte Newcomer dar, z.B. Patente eines anderen Unternehmens, sodass keine Kopien von Produkten hergestellt werden können.
Wichtig zu Wissen
die Errichtung eines Binnenmarktes eine Dauer- und keine einmalige Aufgabe ist, weil die Zuständigkeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilt ist und weil jederzeit neue Handelshindernisse dazwischen kommen können.
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einer FHZ und einer Zollunion. Sie haben gemeinsam, dass die MS untereinander weder Zölle einheben, noch mengenmäßige Beschränkungen aufrecht erhalten. Jedoch verfügt die Zollunion im Gegensatz zu einer FHZ über einen gemeinsamen Zolltarif (durch den Rat festgelegt, siehe Art. 31 AEUV) gegenüber Drittstaaten. In einer FHZ werden die Außenzölle von jedem Staat autonom gesetzt. (Art. 28 Abs 1 AEUV). Die Zollunion geht territorial über die EU hinaus und umfasst Staaten wie Monaco, San Marino oder die Türkei.
Die Freihandelsverträge (einfach das, was die MS untereinander bzgl. Zoll usw. ausmachen) können sich auf die Zollregeln beschränken; sie können aber auch andere Regelungen wie Dienstleistungen, Landwirtschaft, Investitionsschutz oder IP-Schutz betreffen.
Ein Beispiel für eine FHZ, die über das Standardmodell hinausgeht, wäre das Freihandelsabkommen Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen EU und Kanada.
Weiteres Beispiel für eine FHZ (keine Zollunion!): Die Europäische Freihandelsassoziation EFTA: umfasst derzeit die vier Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Die EFTA wurde im Jahr 1960 gegründet. Im Jahr 1994 wurde durch ein Abkommen zwischen der EU und den EFTA-Mitgliedstaaten Island, Liechtenstein und Norwegen der Europäische Wirtschaftsraum gegründet (EWR); Schweiz ist nicht dabei.
Harmonisierungswerkzeuge
Lt. Art. 26 Abs. 1 AEUV sorgt die Union für das Funktionieren des Binnenmarkts. Die Beseitigung der Hemmnisse für den Binnenmarkt erfolgt durch eine sog. Rechtsangleichung bzw. -harmonisierung: (nicht zu verwechseln mit der Rechtsvereinheitlichung) Unter Rechtsangleichung versteht man die Annäherung nationaler Rechtsvorschriften an einen unionsrechtlich vorgegebenen Standard. Sie dient zur Verringerung und sogar Beseitigung von Rechtsunterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten.
Art. 114 AEUV ist die wichtigste und sachlich breiteste Rechtsetzungsgrundlage zur Harmonisierung.
Das Hauptinstrument für die Angleichung ist
Art. 288 Abs. 3 AEUV die Richtlinie; auch die Verordnung (siehe Abs. 2) ist möglich.
Bisherige Nutzung à Angleichung:
· des Kaufrechts
· des Produkthaftungsrechts
· des gewerblichen Rechtsschutzes
· des Lebens- und Arzneimittelrechts
· des Telekommunikationswesens
Um das Binnenmarktziel zu erreichen,…
…hat die Union gewisse Integrationsmethoden entwickelt. Die positive Integration zielt auf die Beseitigung der Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen durch europäische Rechtsangleichung ab. Zum Beispiel durch Erlass einer auf Art. 114. AEUV gestützten RL oder VO. Die Methode der negativen Integration hingegen basiert auf einer ersatzlosen Beseitigung nationaler Regelungen, die den Handel im Binnenmarkt verhindern und passiert, wenn der Unionsgesetzgeber nicht aktiv wird. Sie wird von den nationalen Gerichten unter der Anleitung des EuGH angewendet: in diesem Fall spricht man vom Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH allein aktiv wird, spricht man von einem Vertragsverletzungsverfahren. Für die negative Integration gilt auf jeden Fall Anwendungsvorrang und unmittelbare Wirkung
Unionsrecht sowohl als Schild als auch als Schwert
-Nationale Hemmnisse können durch Einzelpersonen zu Fall gebracht werden
Als Schild: Berufung auf Unionsrecht als Abwehr eigener Verpflichtungen/zur Verteidigung bei Verweigerung eines Vorteils in laufendem, nationalem Verfahren
Als Schwert: Berufung auf Unionsrecht als Anspruchsgrundlage einer aktiv eingebrachten Klage, um unionsrechtswidriges Verhalten des MS oder Dritter abzustellen.
Die Ergebnisse von Positiv- und Negativintegration sind qualitativ gleich à in beiden Fällen verdrängt das Unionsrecht (positiv: Sekundärrecht, negativ: Primärrecht) das nationale Recht und gewährt Marktzugang
Voll- und Mindestharmonisierung
Vollharmonisierung bedeutet, dass die Mitgliedstaaten der EU in den von der Richtlinie geregelten Fragen keine abweichenden Vorschriften beibehalten oder erlassen dürfen. Sie müssen also ihr innerstaatliches Recht anpassen und verlieren jede Änderungskompetenz für die Zukunft.
Mindestharmonisierung bedeutet die Festsetzung eines gemeinsamen Mindeststandards, von dem die Mitgliedsstaaten abweichen können, um strengere Anforderungen festzusetzen.
Die EU-Organe haben gem. Art. 296 AEUV Wahlfreiheit zwischen VO- oder RL-Harmonisierung. Die RL-Harmonisierung ist bei der Binnenmarktharmonisierung jedoch häufiger, weil sie ein subsidiaritätsfreundlicheres Instrument ist.
Abweichung von Harmonisierung
· Nach erfolgter Rechtsangleichung waren einzelstaatliche Abweichungen grs nicht mehr zulässig und nur noch dort möglich, wo das Unionsrecht dies ausdrücklich erlaubt.
· Zum Beispiel gab es im betreffenden Sekundärrechtsakt ausdrückliche Rechtfertigungsgründe (Erlaubnis, besondere Aspekte des Allgemeininteresses dauerhaft in Umsetzung und Anwendung der RL einfließen zu lassen. Laut Art. 114 Abs 10 AEUV mussten Harmonisierungsrechtsakte Schutzklausen, welche rasche und zeitlich begrenzte Reaktion der MS auf Notfälle erlauben, enthalten.
· Weiters gab es auch im Primärrecht erlaubte Abweichungen, den sog. „nationalen Alleingang“, welcher in Art 114 Abs 4-9 geregelt ist:
- Abs 4: Beibehaltung nationaler Regelungen im Interesse der Schutzgüter des Art. 36 AEUV sowie Umweltschutz, Schutz der Arbeitsumwelt; Begründung und Verhältnismäßigkeit sind erforderlich
- Abs 5: Neuschaffung nationaler Regelungen im selben Bereich nach Harmonisierung; muss auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sein und es muss dargelegt werden, warum Einführung im Alleingang (und nicht für alle MS) notwendig ist
- Abs 6: KOM prüft in beiden Fällen auf Zulässigkeit und Notwendigkeit binnen sechs Monaten (verlängerbar) (in der Praxis eher restriktiv gehandhabt; erteilt kaum Erlaubnisse)
- Abs 7: ist Alleingang gerechtfertigt und schützt Unionsrechtsakt Schutzgüter unzureichend à Überarbeitung
- Abs 9: ist Alleingang ungerechtfertigt à unmittelbar Vertragsverletzungsklage möglich, ohne Einhaltung des Vorverfahrens
Zuletzt geändertvor 2 Jahren