Was ist Toxikologie
Lehre von den schädlichen Wirkungen chemischer Stoffe (Fremdstoffe) auf lebende Organismen.
Es dient zur Erkennung und Untersuchungen von möglichen Schadwirkungen durch chemische Stoffe und Lebewesen und das Risiko einer Gesundheitsgefährdung von
Mensch und Tier durch chemische Stoffe abzuschätzen, um Gefahren abzuwenden.
Paracelsus:”Die Dosis macht das Gift!”
Fremdstoff
Fremdstoffe (Xenobiotika) sind chemische Stoffe, die im Zielorganismus keine erkennbare physiologische Funktion haben und/oder natürlicherweise gar nicht oder in geringer Konzentration vorkommen.
1) Fremdstoffe können natürlich sein (Asbest,Chitin)
2) Fremdstoffe können untoxisch (Chitin) oder toxisch sein (Asbest)
3) Nicht Fremdstoffe können auch toxisch sein (konz. HCl auf Haut)
4) Auch fehlen von Nicht Fremdstoffen (Cu,HCl) kann toxisch/tödlich sein
Toxikokinetik
Was macht der Körper mit dem Stoff?
(L)ADME => Freisetzung (Liberation), Resorption (Absorption), Verteilung (Distribution), Metabolismus (Metabolism), Ausscheidung (Eliminiation)
Verteilung Stoff im Körper
- Durchblutung der Organe und Gewebe
- Größe des Moleküls/Ions
- pH - Wert im Gewebe
- Polarität / Hydrophilie
- Molekül- / Ionen - Größe
- aktiver Transport
- spezifische Barrieren (z.B Blut - Hirn - oder Blut - Plazenta - Schranke)
- Proteinbindung
Wie werden die Stoffe (Metaboliten) aus dem Körper ausgeschieden?
- Leber => Gallesflüssigkeit => Darm
- Niere
- Abatmen => Methanol: 30-60% abgeatmet
- Schweiß
- weitere Körperflüssigkeiten wie Tränenflüssigkeit, Sperma, Blut
=> Dioxine können über Muttermilch abgeben werden
Leber
Über die Gallenflüssigkeit werden Stoffe durch Diffusion oder aktiven
Transport ausgeschieden (Phase 2 Metaboliten aus Leber).
Lipophile Verbindungen vornehmlich durch Galle ausgeschieden.
Stoffe der Galle unterliegen dem „Enterohepatischen Kreislauf“.
Enterohepatioscher Kreislauf
Phase 2 - Metaboliten („Konjugate“) werden in den Darm ausgeschieden und dort
enzymisch wieder gespalten.
Der dekonjugierte Fremdstoff ist kleiner und lipophiler. Er wird rückresorbiert und gelangt
wieder in die Leber. Dort wird er erneut konjugiert und gelangt wieder in die Galle…
Bsp:
Grünknollenblätterpilz enthält Amanitin => schädigt Leberzellen, weitergeleitet zur Galle,
da noch giftig wieder zur Leber etc.
Niere
Die Niere scheidet polare, hydrophilic Substanzen aus, die entweder filtriert oder
aktiv in der Harn ausgeschieden werden.
Wertvolle polare Stoffe (Glucose, Aminosäuren, Natriumion etc.) werden aus dem
Primärharn zurückresorbiert.
Toxikodynamik
Was macht der Stoff mit dem Körper? (Wie wirkt der Stoff im Körper)
• Was passiert mit dem Körper durch den Stoff? (toxische, schädigende Wirkungen von Stoffen auf lebende Organismen)
• Ab wann passiert das? (Konzentration, Dosis, Dosis-Wirkungsbeziehungen)
• Wie passiert das? (molekulare Mechanismen)
Unspezifische WW
Reaktive Verbindungen reagieren mit Zellbestandteilen und können Zellen soweit schädigen,
dass sie sterben oder wichtige Funktionen verloren gehen oder die Verbindungen lösen Mutationen aus
Reaktive Verbindungen reagieren mit Zellbestandteilen
Folgen:
• Schädigung der DNA (Mutagenese, Kanzerogenese)
• Schädigung von Proteinen (Enzyminaktivierung, Schädigung der Zellarchitektur,
der Mitochiondrien etc.)
• Schädigung von Lipiden (Membranschäden, Schädigung der Mitochondrien etc.)
Enzyme
Wechselwirkungen mit speziellen Enzymen der
• Reizweiterleitung (Acetylcholinesterase)
• DNA-Synthese (DNA-Polymerase, Topoisomerase..)
• RNA-Synthese (RNA-Polymerase…)
• Proteinbiosynthese (Ribosom…)
• Energiegewinnung
• Und viele mehr
Organtoxizität
Toxische Stoffe können systemisch auf den Körper wirken
=> alle Organe bzw. allgemeine Zellfunktionen sind mehr oder weniger stark betroffen
Die Toxizität bestimmter Stoffe kann sich aber auch auf bestimmte Organe (bzw. Organsysteme) konzentrieren
=> wird Organtoxizität genannt
Hepatoxizität
Die Leber ist die Chemifabrik des Körpers und erfüllt wichtige Aufgaben:
• Intermediärstoffwechsel (Hauptnährstoffe)
• Speicherfunktion
• Fremdstoffmetabolismus
• Exkretion (Galle) usw.
Hepatotoxische Wirkungen relativ häufig und ggf. lebensbedrohlich
Die Angriffsorte hepatotoxischer Stoffe sind sehr vielfältig:
• DNA/RNA-Synthese, Proteinsynthese, Lipidmembranen, Mitochondrien, Gallebildung…
Folgen
• Leberentzündung (Hepatitis)
• Gewebeuntergang (Nekrose), akutes Leberversagen
• verminderte Gallebildung und/oder Abfluss (Cholestase, Ikterus)
• Bindegewebiger Umbau (Fibrose, Zirrhose)
• Pfortaderhochdruck, Aszites
• Stoffwechselentgleisung
• Tumore
Hepatotoxische Stoffe
• Ethanol, Allylalkohol
• Tetrachlormethan
• Vitamin A (Überdosis)
• Aplha- Amanitin (Grüner Knollenblätterpilz)
• Pyrrolizidinalkaloide (viele Pflanzen)
• Aflatoxine (Schimmelpilzgifte)
• N-Nitrosame, aromatische Amine (Kanzerogen)
• Arzneimittel (Cyclophosphoamid, acetaminophen, Valproinsäure, etc.)
LEBER
Lebertoxisch
=> Veno-okklusive Erkrankung der Leber (VOD)
Sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS)
• verminderte Durchblutung der Leber
• Nekrose
• Fibrose
• Zirrhose
Gentoxisch und Kanzerogen
Leberkrebs, z.B sind Lasiocarpin, Monocrotalin, Riddelin in IARC Gruppe 2B
Fettleber/Steatose
=> vermehrte Ablagerung von Triglyzeriden in Heptaozyten
=> Bedingt durch gesteigerte Triglyzeridsynthese oder gestörte Sekretion
bekannte Auslöser:
• Ethanol
• Tetrachlormethan (CCl )
• Valproinsäure
Leberkrebs
=> entwickelt sich häufig aus einer chronischen Leberzirrhose
=> hauptsächlich hepatozulläre Karzinome (HCC; > 90%
=> ca. 9000 Neuerkrankungen pro Jahr in D, damit seltenste Tumorerkrankung
=> weltweit jedoch die fünfthäufigste Krebserkrankung (v.a Afrika, Asien)
• Aflatoxin B1
• Dimethylnitrosamin
• Arsenverbindungen
Leberfibrose/-zirrhose
=> bei massiven Zellverlusten oder wiederholter Schädigung
=> extensive Synthese von extrazellulärer Matrix durch Ito-Zellen gegenüber TGF-ß
=> Vermehrung des Bindegewebes und Zerstörung der Leberarchitektur
=> Vorstufe des hepatozellulären Karzinoms (Leberkrebs)
• Chronischer Ethanol-Konsum
• Hepatitis B/C-Infektion
Neurotoxizität
Zentrales Nervensystem (ZNS)
-Kopfschmerzen
-Schwindel
-Unruhe
-Ohnmacht …
Peripheres Nervensystem (Arme+Beine)
-Schmerzen
-Gefühlslosigkeit
-Kribbeln
-Krämpfe
ZNS Schädigung
-Blei,Tallium,Mangan
-Ethanol,Methanol
-Cocain,Amphetamin
Peripheres NS Schädigung
-Kohlenstoffdisulfid
-Acrylamid
-Blei
-organische Phosphorsäurester
Pneumotoxizität
• Asbest
• Quarz
• Glaswolle/Mineralfaserwolle
• Dieselruß
Die Toxizität wird hier maßgeblich über die Geometrie (Länge,Breite etc) bestimmt
und weniger durch chem. Zusammensetzung, wobei auch Anhaftung chemischer Noxen
wie Kanzerogene oder radioaktive Stoffe zur Toxizität beitragen können.
Unspezifische Stoffe
Chlor, Brom, Schwefeldioxid, Ozon, Formaldehyd
spezifische pneumotoxische Stoffe
=> nach systemischer Belastung
• Paraguat, Diquat (Herbizide)
• Monocrotalin (ein Pyrrolizidinalkaloid)
• Chemotherapeutika, z.B Bleomycin, BCNU (1,3-Bis-(2-chlorethyl)-1-nitrosoharnstoff
• Entzündung (Laryngitis, Bronchitis, Pneumonie)
• Gewebeuntergang (Nekrose)
• Lungenödem
• Asthma, Emphysem (Lungenblähung)
• Pseudokrupp
• bindegewebiger Umbau (Fibrose)
• Asbestose, Silikose
• Tumoren (z.B Mesotheliom bei Asbest)
Mutagenese
Mutagenität :
• Permanente Veränderung der DNA-Sequenz in einer Zelle, die auf die Tochterzellen übertragen werden
• irreversibler Schaden am Erbmaterial
• einzelne Gene bzw. Genabschnitte, Chromosomen oder das Genom betroffen
=> Jede Mutation ist ein gentoxisches Ereignis, umgekehrt resultiert aber nicht jeder gentoxische Schaden ist eine Mutation
Mutagenität
Körperzellen:
• Betrifft eine Mutation Körperzellen (somatische Mutation), sind nur die Zelle sowie ihre Tochterzellen (durch Proliferation replizierte Zellen) betroffen
=> Folgen: Tod der Zelle, Funktionsverlust einzelner oder vieler Proteine, Krebs
Keimzellen:
• Sind Keimzellen von Mutation betroffen, ist der betreffende Organismus selbst i.d.R. nicht beeinträchtigt, sehr wohl aber die Nachkommen
=> Folgen: Teratogene Effekte wie Missbildungen bis hin zum Tod des Embryos, Krebs sowie Funktionsverlust einzelner oder vieler Proteine
DNA Modifikationen
Mutation durch chemische Modifikationen der DNA-Basen
• Veränderung der ursprünglichen Abfolge der DNA Basen
• Veränderung des codierten Proteins
Unbedeutende Mutationen (silent mutations)
Betroffender DNA-Bereich codiert nicht für ein Protein bzw. die AS-Sequenz des codierten Proteins wird nicht verändert
Loss-of-function-Mutationen (missence oder nonsense)
Funktion eines Proteins durch die Mutation aufgehoben oder verringert
Gain-of-function-Mutationen
Funktionalität eines Proteins durch die Mutation erhöht (kann positive oder negative Auswirkungen haben)
DNA Reperatur
Modifizierte DNA-Basen können repariert werden, z.B durch:
1.) O -Methylguanin-DNA_Methyltransferase (MGMT)
=> repariert O -Methylguanin wieder zu Guanin
2.) Basenexzisionsreperatur (BER)
=> repariert oxidierte, alkylierte oder deaminierte DNA-Basen
3.) Nukleotidexzisionsreperatur (NER)
=> repariert große,sperrige DNA-Addukte wie Aflatoxin- oder Acetaminofluoren-Addukte
Genotoxizität
Genotoxizität:
• Schädigung der Erbinformation (DNA) durch chemische Stoffe und physikalische Faktoren
• Veränderung ist prinzipiell reversibel => Reperatur von DNA Schäden
Indirekte Gentoxizität
• Inhibierung von DNA-interagierenden Topoisomerasen, Polymerasen und Reperaturenzymen
• Inhibierung des Aufbaus oder Abbaus der Mitosespindel
• Induktion oder Inhibierung fremdstoffmetabolisierende Enzyme
=> die gentoxische Substanzen entgiften oder Vorläuferverbindungen zu gentoxischen Substanzen aktivieren
• Epigenetische Veränderungen
=> Cytosin-Methylierung der DNA und Histon-Modifikationen
Hierdurch keine Veränderung der DNA-Basenfolge, jedoch Beeinflussung der Aktivität von Genen (Induktion und Repression)
Studien
DNA Adductomics, P-Postlabelling, Massenspektrometrie
(Bestimmung von kovalenten DNA-Addukten)
Comet-Assay (DNA-Strangbrüche)
Ames-Test (Mutagenität in Bakterien, Rückwärtsmutation)
HPRT-Test (Mutagenität in Säugerzellen, Vorwärtsmutation)
Mouse-Lyphoma Assay (Vorwärtsmutation)
Mikrokerntest (Säugerzellen, Chromosomenschäden)
Schwesterchromatidaustausch (SCE, Chromosomenschäden)ä
Karzinogenese
Krebsursachen
-> komplexes mehrstufiges Geschehen
-> verantwortlich sind endogene und exogene Faktoren
Endogene Faktoren
• Genetische Prädisposition
• Zellstoffwechsel
• Hormone
• Lebensalter
Exogene Faktoren
• Chemikalien
• Ernährung
• Life-Style-Faktoren
• Physikalische Faktoren
• Viren und Bakterien
p53
• sehr wichtiges Tumorsuppressor-Protein
• Transkriptionsfaktor => „Wächter des Genoms“
• aktiviert durch DNA-Schädigung, Onkogene und Hypoxie
• streng reguliert über posttranskriptionale Modifikationen (z.B Phosphorylierung)
• kurze Halbwertszeit, geringer physiologischer Spiegel (HDM2/MDM2)
Untersuchungsmethoden
Human-Daten
• Epidemiologie
• Interventionsstudien (nur „ungiftige“ Stoffe)
• Humanstudien mit unvermeidbare Expositionen (durch Arbeit: Bergbau, Chemiker…)
• Vergiftungsfälle/Unfälle
• Arzneimittelforschung (klinische Phasen)
• Applikation von Fremdstoffen
• Messung von Biomakern (z.B Hämoglobinaddukte im Blut, Metabolite im Urin etc.
• Funktionstests (Blutdruck, Puls, Atmung etc)
• Verhaltenstests (Wachheit, Aufnahmefähigkeit, Gedächtnis, motorische Fähigkeiten etc.)
Tierstudien
• Wisschenschaftliche Studien (Universität, Forschungsinstitutuionen)
• Regulatorische Studien (Industrie; für Zulassungszwecke)
Eckpunkte• akute Toxizität (LD50)
• Toxikokinetik: Aufnahme, Verteilung, Mteabolismus, Ausscheidung
• subakute Toxizität (30Tage)
• subchronische Toxizität (90Tage)
• chronische Toxizität (1Jahr, oft zsm mit Kanzerogenität)
• Kanzerogenität (1,5-2Jahre)
• Teratogenität/Reproduktionstoxizität („Reprotox“) => Segementstudien, Mehrgenereationenstudie
• Immuntoxizität und Neurotoxizität (oft zusammen mit chronischer Tox)
• mechanische Untersuchungen (transgender Tiere, „knock-out“)
Epidemiologie
Grundbegriffe
Merkmal: Ist ein Individuum Träger eines Merkmals? Meist ist ein Merkmal eine Krankheit, Eigenschaft oder Effekt
Faktor: Faktor, der auf eine Beziehung (Korrelation) zum Merkmal hin untersucht wird. Meist eine Exposition.
In einer zu prüfenden Hypothese testet man Merkmal gegen Faktor:
Hypothese: Kaffeetrinker sind schlanker
Prävalenz: Ist ein Individuum (einer bestimmten Population) jetzt (=zu einem bestimmten Zeitpunkt) Träger eines Merkmals?
Inzidenz(rate): Wieviele Träger eines Merkmals sind in einem bestimmten Zeitraum NEU hinzugekommen?
Mortalität(srate): Wie Inzidenz, Merkmal: Tod
Kohortenstudie
• Prospektiv (in die Zukunft gerichtet):
• Es werden nur gesunde Probanden nach Expositionsstatus ausgewählt (z.B 500 gesunde Raucher und 500 gesunde Nicht-Raucher)
• Verglichen wird die Erkrankungshäufigkeit zu einem Zeitpunkt in der Zukunft (Inzidenz)
• Berechnung: Relatives Risiko (RR)
Fall Kontroll Studie
retrospektiv
• Auswahl der Gruppen nach Vorliegen der Erkrankung
= Fälle und Gesunde (z.B 500 Gesunde und 500 Erkrankte)
• Danach wird die Exposition gegen den Faktor ermittelt und gesunde
und kranke nach der Exposition eingeteilt
• Berechnung: Odds-Ratio (OR)
Confounder
Confounder sind Störfaktoren (Drittvariablen).
Confounder ist selbst ein Risikofaktor für die zu untersuchende Erkrankung und gleichzeitig mit der zu untersuchenden Exposition, also dem eigentlichen Risikofaktor, korreliert.
Bsp: Speisenröhrenkrebs bei Rauchern? => Alkoholkonsum kritisch!
Risiko
Wahrscheinlichkeit, dass bei einer bestimmten Exposition gegenüber einer Substanz eine schädigenden Wirkung in einer Spezies oder der Umwelt auftritt
Abschätzung des Risikos durch:
• Identifizierung einer Gefährdung (hazard)
• Informationen zur Dosis-Wirkung
• Information zur Exposition
Risikobewertung
Ziel ist Verringerung oder Ausschaltung des gesundheitlichen Risikos
für Menschen und Umwelt, die gegenüber einem Stoff exponiert sind.
Beispiele, bei denen eine Risikobewertung vorgeschrieben ist:
• Lebensmittelinhaltsstoffe, -zusatzstoffe oder -kontaminanten
• Nahrungsergänzungsmittel
• Pflanzenschutzmittel(rückstände)
• Biozide
• Arzneimittel
• Arbeitsstoffe
• …
Zuletzt geändertvor 2 Jahren