Lernziele
- Symptome
- Epidemiologie/Verlauf
- Ätiologie (Biologische Modelle/Psychologische Theorien)
Soziale Phobie
• Starke Angst und Unsicherheit in interaktions- oder leistungsbezogenen Situationen (zentral i.d.R.: Befürchtung vor negativen Bewertungen durch andere)
• Unterscheidung von:
○ Spezifischer Form (soziale Ängste begrenzt auf eine/wenige sehr ähnliche Situationen)
○ Generalisierter Form (zahlreiche verschiedene Situationen mit beeinträchtigenden Ängsten verbunden)
• Folge: Vermeidung Angst auslösender Situationen oder Aushalten nur unter Einsatz von Sicherheitsverhalten zur kurzfristigen Angstreduktion
Soziale Phobie: Sicherheitsverhalten
• Versuch des Betroffenen, Angst(symptome) in der sozialen Situation zu minimieren oder zu verbergen
○ Kurzfristig: Situation erscheint erträglicher oder kontrollierbarer
○ Langfristig: dysfunktional , denn vermehrte Lenkung der Aufmerksamkeit auf Angstsymptome und Verhinderung korrektiver Erfahrungen
○ trägt maßgeblich zur Angstaufrechterhaltung bei!
• Beispiele:
○ Auswendiglernen von Gesprächsbeitrag
○ Tragen bestimmter Kleidung, um Schweißflecken/Rotwerden zu verbergen
○ Alkohol trinken, um „locker“ zu werden
Welche zwei Typen unterscheidet man bei der sozialen Phobie
• Interaktionstyp (»interaction-type«): Angst davor, eine (fremde) Person anzusprechen, in einer kleineren oder größeren Gruppe Alltagsgespräche (Small-Talk-Situationen) zu führen, hinzuzutreten oder alltägliche Small-Talk-Situationen nicht meistern zu können
• Leistungsbezogener Typ (»performance-type«): Angst vor alltäglichen Situationen (Essen und Trinken in der Öffentlichkeit, Benutzung öffentlicher Toiletten, Sprechen oder Darbietungen in der Öffentlichkeit)
Wesentliche Merkmale von sozialen Phobien sind?
und typische Situationen
Wesentliche Merkmale von sozialen Phobien sind
• dysfunktionale Gedanken („Mir wird die Sprache wegbleiben; die Leute werden mich anstarren und denken, dass mit mir etwas nicht stimmt oder ich psychisch nicht in Ordnung bin“)
• körperliche Symptome (Schwitzen, Zittern, Erröten)
• spezifische Verhaltensweisen (Vermeidungs- oder Fluchtverhalten; Sicherheitsverhalten; ungeschicktes bzw. wenig kompetentes Interaktionsverhalten)
Typische Situationen:
• Formelle Redesituation 70%
• Informelle Redesituation 46%
• Von anderen beobachtet werden 31%
• Durchsetzungssituationen 22%
Diagnosekriterien ICD 10
Soziale Angststörung DSM-5
• A. Ausgeprägte Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen, in denen die Person von anderen Personen beurteilt werden könnte.
• B. Betroffene befürchten, dass sie sich in einer Weise verhalten könnten oder Symptome der Angst offenbaren, die von anderen negativ bewertet werden.
• C. Die sozialen Situationen rufen fast immer eine Angstreaktion hervor.
• D. Die sozialen Situationen werden vermieden oder unter intensiver Angst ertragen.
• E. Die Angst geht über das Ausmaß der tatsächlichen Bedrohung durch die soziale Situation hinaus und ist im soziokulturellen Kontext unverhältnismäßig.
• F. Die Angst oder Vermeidung ist andauernd; typischerweise über 6 Monate oder länger.
• G. Die Angst oder Vermeidung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
• H. Die Angst oder Vermeidung ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.
• I. Die Angst oder Vermeidung kann nicht besser durch die Symptome einer anderen psychischen Störung erklärt werden.
• J. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor vorliegt, so steht die Furcht, Angst oder Vermeidung nicht damit im Zusammenhang oder geht deutlich darüber hinaus.
• Bestimme, ob: „Nur in Leistungssituationen“: -> Zu verwenden, wenn die Soziale Angststörung ausschließlich auf das Sprechen vor anderen bzw . das Erbringen von Leistungen vor anderen (oder in der Öffentlichkeit) beschränkt ist.
-> wird nur diagnostiziert, wenn Personen auch oft in solchen Situationen sind (z.B. haben viele Leute Angst vor Reden in der Öffentlichkeit, aber nur manch müssen oft solche Reden halten (z.B. Lehrer:innen) und dann wird das Leben durch die Angst erschwert
Diagnostik
• strukturierte oder standardisierte Interview- oder zumindest Checklistenverfahren (SKID, DIPS, CIDI/DIA-X; als Checklistenverfahren IDCL)
• Ausprägungs- bzw. Schweregrad durch unterschiedlich spezifische psychometrische Instrumente erfassen
• Legen je nach Konzept Schwerpunkt auf kognitive oder verhaltensbezogene Aspekte bzw. auf die diagnostischen Kriterien
• Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren (Liebowitz Soziale Angstskala; Soziale Phobie und Angst Inventar; Social Interaction Anxiety Scale)
Selbstbeurteilungsverfahren Liebowitz Soziale Angstskala
Bitte beurteilten Sie, wie angstbesetzt die angegebenen Situationen (bezogen auf die letzte Woche) für Sie waren und tragen Sie jeweils die entsprechende Punktzahl ein. Falls Sie sich längere Zeit nicht mehr in den erwähnten Situationen befanden, tragen Sie bitte die Punktzahl ein, die zutreffen würde, wenn Sie sich heute der Situation stellen würden.
Differentialdiagnostik
• Agoraphobie und/oder Panikstörung: auch Erleben starker Angst an Orten mit zahlreichen Personen (oder Vermeidung)
○ primäre Befürchtung: im Fall einer Panikattacke Ort nicht schnell genug verlassen zu können)
○ soziale Phobie: eindeutig Angst vor negativen Bewertungen zentral
• Schizophrenes Spektrum: paranoide Kognitionen, die mit sozialen Ängsten verbunden sind
• Depression: Vermeidung geselliger Anlässe wegen Antriebslosigkeit, negativer Stimmung und Interessenverlust (Angst vor negativer Bewertung oder Ablehnung lediglich während depressiver Episoden)
-> Lebenszeit-Prävalenz
-> Geschlechter
• Lebenszeit-Prävalenz: 4 – 12% (Raten abhängig von Definition des Schweregrades)
• Keine Geschlechterunterschiede
• Beginn überwiegend in Jugend und im frühen Erwachsenenalter
○ Hochrisikoalter für erste Symptome 10 – 17 Jahre
○ Bei > 90% vor 25. Lebensjahr
-> Komobiditäten
• Bei Jugendlichen variabler
• Bei Erwachsenen oft chronischer Verlauf
• Bis Behandlungsbeginn durchschnittlich 10 - 12 Jahre
Beeinträchtigungen:
• verringertes Bildungsniveau
• unterqualifizierte Beschäftigungen
• geringere Arbeitsproduktivität
• geringeres Einkommen
• Beeinträchtigung sozialer Beziehungen (u.a. weniger häufig verheiratet, häufigere Trennungen)
• soziale Isolation
• psychische Folgeprobleme (v.a. Angst-,Substanz- und depressive Störungen)
Komorbidität:
• Angststörungen (57%), depressive Störungen (41%) und Substanzabhängigkeiten (40%)
• NCS: 81% litten an mindestens einer anderen psychischen Störung
• in den meisten Fällen geht die soziale Phobie der komorbiden Störung voraus (Risikofaktor)
• Erklärung: Sekundäre Depression, Substanzmissbrauch?
• Bei komorbider sozialer Phobie und Depression ist das Suizidrisiko 3 x so hoch wie bei Depression ohne soziale Phobie
• Zwei-Faktoren-Theorie (Mowrer, 1939) -> unangenehme Erfahrungen in der Kindheit sorgen dafür, dass man Angst vor sozialen Situationen hat -> soziale Situationen werden vermieden -> positive Verstärkung
• Ängstliches Modellverhalten der Eltern
• Erziehungsstil, z.B. Normen, Perfektionismus
• Negative Vorerfahrungen, z.B. mit Gleichaltrigen, anderem Geschlecht
• -> Annahmen über soziale Situationen
-> Modell von Clark & Wells (1995): Selbstaufmerksamkeit
• verlagern der Aufmerksamkeit nach innen (anstatt nach außen auf die Situation)
• schließen aufgrund interner Informationen z.B. von Gefühl auf Wirkung (emotionale Beweisführung -> ich fühle mich unwohl in der Situation,. Was bedeutet, dass die Person mir gegenüber nur negativ über mich denken kann (deswegen fühlt man sich unwohl))
• verzerrte Vorstellungen von sich prozessieren (z.B. in Anlehnung an traumatische Erlebnisse)
-> Modell von Clark & Wells (1995): antizipatorische/nachträgliche Verarbeitung
• selektive Aufmerksamkeit auf negative soziale Information
• im Vorfeld im Zustand hoher sozialer Angst wird Katastrophe ausgemalt (führt zu massivem SV in Situation oder Vermeidung)
• nachträgliche Umbewertung (in Zustand hoher sozialer Angst werden mehrdeutige Informationen selektiv negativ verarbeitet) stabilisiert negative Überzeugungen
• frühere Katastrophen werden erinnert und das jüngste Ereignis eingereiht
-> Genetik und Neurobiologie
-> Vergleich Patient:innen mit sozialer Phobien und gesunden Menschen
-> liegen im MRT und müssen ein Ballspiel spielen = Cyber Ball
-> drei Spieler:innen, die sich den Ball zuwerfen
-> auf einmal wird man ausgeschlossen (die anderen beiden Spieler:innen spielen sich nur noch den Ball zu und schließen einen aus)
-> Wie haben sie das subjekitv erlebt und und was waren die Hirnaktivitäten
-> Menschen mit sozialer Phobie litten stärker unter dem sozialen Ausschluss
-> neurobiologisch: in einer bestimmten Hirnregion gab es mehr Aktivität
-> dann: man darf plötzlich wieder mitmachen
-> die Aktivität im Hirn nimmt viel langsamer ab
-> im Zentrum steht, dass Menschen mit sozialer Phobie schwieriger schlechte soziale Erfahrungen überwinden können
• Genetische Vulnerabilität:
○ Verhaltenshemmung (Angst in und Rückzug aus ungewohnten Situationen als spezifischer Vulnerabilitätsfaktor)
○ Disposition zu erhöhter physiologischer Erregbarkeit
• Neurobiologische Erklärungsansätze:
○ Beteiligte Neurotransmittersysteme: serotonerges, noradrenerges und GABA-System
○ Hirnanatomisch: Amygdala
-> starker genetischer Einfluss
-> besonders wenn beide Elternteile betroffen sind
-> Verhaltensinhibition ist ein starkes Risiko für die Angsterkrankung
-> Spezifische Phobie: um einen Faktor um 1,5 verstärkt
-> Soziale Phobie: um 6
-> weist auf genetische Variable hin
-> Menschen mit sozialer Phobie reagieren stärker auf Gesichter und verarbeiten sie mehr
Einsamkeit
• mit jedem zusätzlichen Freund reduziert sich die Häufigkeit von Gefühlen der Einsamkeit um 0.04 Tage pro Woche
• bei 52 Wochen pro Jahr macht 1 zusätzlicher Freund etwa 2 Tage aus
• Anzahl der Familienmitglieder hat keinen Effekt auf Einsamkeit
• einsamer Mensch verliert in den nächsten 4 Jahren 8% seiner Freunde
• einsame Menschen werden von anderen seltener als Freunde gewählt
• Einsamkeit ist somit sowohl eine Ursache als auch eine Folge von sozialer Isolation
-> wie viele junge Erwachsene fühlen sich einsam -> 5%
-> litten mehr unter Erkrankungen , waren häufiger arbeitslos, lebten riskanter, nahmen mehr Drogen, wurden schlechter bezahlt, sind unterqualifiziert, …
-> bei vielen dieser jungen Erwachsenen zeigte sich schon frühzeitig Einsamkeit (schrieben als Kind in ihr Tagebuch, dass sie sich einsam fühlen, meinten schon früher, dass sie gemobbt wurden, keine Freunde haben, …)
-> das zeigt: Prävention enorm wichtig
Therapie
-> KVT am besten
• Hohe Effektivität von KVT bei sozialer Phobie
• Effekte steigen bis zu einem Follow-up-Zeitpunkt 6 Monate nach der Therapie weiter an
• Medikamentöse Therapie:
• Antidepressiva geeignet (SSRI, SNRI, MAOI)
• angstlindernde und stimmungsaufhellende Wirkung belegt
• Risiken: Rückfallwahrscheinlichkeit nach Absetzen erhöht § Mangelnder Kompetenzerwerb § Abhängigkeitspoten2al bei Benzodiazepinen + Einnahme als Sicherheitsverhalten
Therapie…
• Verstärkt Vertrauen (Kosfeld et al., 2005)
• Verbessert Gesichtserkennung (Domes et al., 2007)
• Vermindert Betrugsaversion (Baumgartner et al., 2007)
• Reduziert sozialen Stress (Heinrichs et al., 2003
• Verstärkt emotionale Empathie (Hurlemann et al., 2010)
Medikamentöse Therapie
• Risiken: Rückfallwahrscheinlichkeit nach Absetzen erhöht
§ Mangelnder Kompetenzerwerb
§ Abhängigkeitspotential bei Benzodiazepinen + Einnahme als Sicherheitsverhalten
-> als Tablette wirkt es nicht, man braucht ein Nasenspray
Oxytocin:
Exkurs:
-> Williams Beuren Syndrom
-> Urbach Wiethe Syndrom
-> bekannte Patientin: SM (dunkler Balken)
-> hatte das Urbach Wiethte Snydrom
-> zeigte nie Angst
-> konnte Emotionen schlecht lesen
-> hatte nie Probleme mit körperlichen Abständen
-> Ursache: nicht vorhandene Amygdala
Zuletzt geändertvor 2 Jahren