Einteilung der Angststörungen
Spontane Angst:
• Anfallsartig -> Panikstörung
• Durchgehend -> Generalisierte Angststörung
Objekt- und situationsgebundene Angst:
• Phobien
Lernziele
- Symptome
- Epidemiologie/Verlauf
- Ätiologie (Biologische Modelle/Psychologische Theorien)
Unterscheidung von:
• Panikattacken
• Panikstörung
• Panikattacken: plötzlich und unvorhersehbar auftretende, zeitlich begrenzte Zustände starker Angst, die von intensiven physiologischen Reaktionen und kognitiven Symptomen begleitet werden
• Panikstörung: Panikattacken, die wiederholt und in Abwesenheit eines eindeutigen externen Auslösers auftreten, zu deutlichen Verhaltensänderungen führen und mit Sorgen bzgl. der Attacke einhergehen
Panikstörung
-> Symptome und wesentliche Kennzeichen laut ICD 10
-> mind. eines der vier vegetativen Symptomen
Panikstörung DSM-5
Panikstörung - Prävalenz/Epidemiologie/Verlauf/Komorbidität
Epidemiologie:
• Lebenszeit-Prävalenz 3-5%; Frauen : Männer = 2 : 1
Verlauf:
• Onset meist zwischen Adoleszenz und 25. Lj.
• nach 45. Lj. ungewöhnlich (Ausnahme: Männer haben 2. Erkrankungsgipfel jenseits des 40. Lebensjahrs)
• meist chronisch, aber auch z.T. jahrelange Remissionen möglich
• Komorbidität: in 50-65% Depression; zu etwa 1/3 geht die Depression voraus, zu etwa 2/3 beginnt sie gleichzeitig oder folgt der Panikstörung
○ mit anderen Angststörungen:
○ Agoraphobie bei 30-50%
○ Soziale Phobie bei 15-30%
○ Spezifische Phobie bei 10-20%
○ Generalisierte Angststörung bei etwa 25%
○ Zwangsstörung bei 8-10%
○ in 25-50% auch mit Störungen durch Einnahme psychotroper Substanzen (v.a. Alkohol, Tranquilizer)
Agoraphobie
-> spezifische Phobie vom Situationstypus, wenn die Furcht/Phobie auf eine Situation begrenzt ist
-> Agoraphobie: zwei oder mehr unterschiedliche Situation
-> außerdem: Gedanken/Überzeugungen der Betroffenen (z.B. Flugangst: man hat Angst, zu sterben oder man hat Angst vor dem engen Raum -> Agoraphobie wäre das zweite: man hat Angst, weil man nicht flüchten kann) -> unterschiedliche kognitive Inhalte
• Agoraphobie: Betroffene fürchten/vermeiden Orte und Situationen, von denen Flucht schwierig erscheint, und schränken so ihren Lebensraum stark ein
Symptome Agoraphobie
-> Befürchtung, nicht flüchten zu können
-> Befürchtung, den vertrauten Ort verlassen zu müssen
Agoraphobie DSM-5
Agoraphobie - Prävalenz/Epidemiologie/Verlauf
• Lebenszeit-Prävalenz 5%
• bei Frauen 2-4x mal häufiger
• Typische Orte: Autofahren, öffentliche Verkehrsmittel, Schlange stehen, Kaufhäuser, Supermärkte Kinos, Theater
• Onset später als bei spezifischen und sozialen Phobien, meist 25.-30. Lj.
• oft in Verbindung zu Belastungen und Lebensereignissen (z.B. Krankheiten, Operationen, Ende einer Partnerbeziehung, finanzielle Probleme)
• Häufig chronischer Verlauf
Diagnostik
Erhebung relevanter Informationen für Diagnosestellung:
• Strukturierte klinische Interviews (z.B. DIPS, SKID)
• Störungsspezifische und störungsübergreifende Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren (z.B. AKV; Ehlers & Margraf, 2001)
• Sorgfältige Problemanalyse: Informationen zu Angstauslösern, spezifischen Verhaltensmustern, Körperempfindungen und Kognitionen
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostik: Abklärung des Vorliegens anderer psychischer Störungen, bei denen Panikattacken oder phobische Symptome auftreten können (z.B. substanzinduzierter Angststörung, wahnhafte Störung, Depression)
• Ausschlaggebend: zentrale Befürchtungen während der Panikattacke
• vordergründiger Inhalt ist
○ Angst vor möglichen katastrophalen körperlichen/geistigen Konsequenzen -> Panikstörung, Agoraphobie
○ Angst vor bestimmten Situationen -> soziale Phobie (Vermeidung sozialer Situationen aus Angst vor Bewertung und Scham)
○ Angst vor bestimmten Objekten -> spezifische Phobie (Vermeidung spezifischer Situationen/Objekte aus Angst vor diesen)
S3 Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen (Bandelow et al., 2014)
Ätiologie
-> Überblick
• Genetische Vulnerabilität: Beteiligung genetischer Faktoren an Auftretensvarianz ca. 50- 70%
• Lerntheoretische Ansätze
• Temperamentsfaktoren: Negative Affektivität und Angstsensitivität
• Life-events: Negative Ereignisse in der Kindheit; akute Belastungsfaktoren
• Neurobiologische Erklärungsansätze:
○ Beteiligte Neurotransmittersysteme: serotonerges, noradrenerges und GABA-System
○ Hirnanatomisch: Amygdala
-> Genetik
-> häufige Störung mit stark genetischen Einfluss
-> es gibt nicht das eine Gen
-> aber Kombi aus bestimmten Genen erhöht das Risiko
-> ähnliche Gene betroffen wie bei einer Depression und Neurotizismus
-> Lerntheoretische Ansätze
• Lerntheoretische Ansätze: Angst und Vermeidung als Folge klassischer und operanter Konditionierung
• Angst wird zu einer klassisch konditionierten Reaktion über Assoziation einer initialen Panikattacke mit ursprünglich neutralen internen oder externen Reizen
• durch Vermeidung dieser Reize werden die unangenehmen Angstzustände reduziert und Vermeidungsverhalten verstärkt (operante Konditionierung)
-> Panikogene Substanzen
-> False Suffocation Alarm Hypothese
Substanzen mit unterschiedlichen biologischen Eigenschaften, die Panikattacken nur bei Panikpatienten auslösen, nicht bei Kontrollprobanden
Panikogene Substanzen: Kohlenstoffdioxidinhalation und Hyperventilation
• Hyperkapnie kann Panikattacken provozieren
• 1 Atemzug mit 35% CO2 kann bei 70% der Panikpatienten eine Panikattacke auslösen (KG: 10%)
• Auch Hyperventilation von Raumluft kann Panikattacken auslösen, aber schwächere anxiogene Wirkung
• Reduktion der Chance eine Panikattacke zu bekommen bei Anwesenheit einer vertrauten Person
Hyperventilation durch hochfrequentes Atmen
• Abnahme des Kohlenstoffdioxid-Partialdruckes (CO2)
• pH-Anstieg (respiratorische Alkalose) im Blut
• Im Extremfall: Hyperventilations-Tetanie (v.a. der peripheren Extremitäten)
• Mögliche Symptome: Luftnot, Kribbeln und Taubheitsgefühle an den Händen, Mund und Füßen, Trockener Mund, Innere Unruhe, Verkrampfung der Hände (sog. Pfötchenstellung), Benommenheit, Muskelkrämpfe, Schwindel, Bauchschmerzen, Brustschmerzen, Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Schweißausbrüche, Verschwommenes Sehen
• Gegenmaßnahmen: CO2 – Aufnahme erhöhen, Atmung normalisieren
-> Panik und interozeptive Konditionierung
-> Psychophysiologisches Modell der Panikstörung (Margraf & Ehlers)
Panik und interozeptive Konditionierung:
• Konditionierung auf kleinere interozeptive Vorläufer einer Panikattacke (z.B. Herzstolpern, Schwummerigkeit etc.)
• Schwache physiologische Angstkorrelate werden zum Auslöser
• Bsp.: am Anfang internale Empfindungen (CS) plus Hyperventilation -> Panikattacke; später reicht CS zur Auslösung
• Ggf.: One trial learning (einmalige Auslösung reicht)
Psychophysiologisches Modell der Panikstörung (Margraf & Ehlers):
Auslöser von Panikattacken:
• physiologisch: körperliche Anstrengung, Erschöpfung, Herzklopfen, Einnahme von Substanzen, hormonelle Schwankungen, situative Stressoren, emotionale Erregung, Koffein, Hitze, Veränderung der Körperposition, Schwindel, usw.
• kognitiv: selektive Aufmerksamkeit auf Körpersensationen, Gedankenrasen, Konzentrationsschwierigkeiten, Derealisation, usw.
• Aufrechterhaltende Faktoren: Sorge vor weiteren Angstattacken, erhöhtes Erregungsniveau, Vermeidungsverhalten, usw
-> Neurobiologische Erklärungsansätze
○ Hirnanatomisch: Amygdala (vermindert)
Therapie
-> S3 Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen (Bandelow et al., 2014)
-> am besten KVT machen
-> hohe Rückfallraten bei der Behandlung "nur" mit Medikamenten
-> Symptome kommen nach Beendigung der Einnahme zurück
• Vermittlung eines (individuellen) Erklärungsmodells
• Diagnose erklären (Patienten haben nicht „Nichts“!)
• Teufelskreis der Angst, interne Auslöser identifizieren!
• Korrektur der Fehlinterpretationen körperlicher Symptome
• Fehlinterpretationen identifizieren + Überzeugungsrating (0- 100%)
• Sammeln Pro- und Kontra-Argumente für Fehlinterpretation
• Erstellen alternativer Erklärungen und sammeln Pro- Argumente
• Überzeugungsrating für Fehlinterpretation und Alternative
• Verhaltensexperimente (Hyperventilation, körperliche Belastung)
• Rückfallprophylaxe (Fluktuation der Symptome, keine 100% Sicherheit, Wunsch danach ad absurdum führen)
• Wichtig bei Angsttherapie:
• Exposition ist essentieller Bestandteil der Therapie
• Hier werden aber die meisten Fehler gemacht!
• Kognitive Vorbereitung ist wichtigster Teil der Behandlung!
• Panikstörung mit Agoraphobie:
• Im Bezug auf Hauptsymptomatik: Konfrontation in vivo (d=1.64) und KVT (d=1.19) am effektivsten
• Gilt auch für Reduktion der Panikanfälle (d=1.32 bzw. d=1.19), andere Ängste (d=1.02 bzw. d= 0.98) und Beeinträchtigung des Lebensalltags (d= 2.11 bzw. d=0.89)
• Behandlungserfolge auch im 2-Jahres Follow-Up noch nachweisbar
Zuletzt geändertvor 2 Jahren