Biopsychologie und kognitive Neurowissenschaften
Die kognitive Neurowissenschaft (Cognitive Neuroscience) untersucht die biologischen Grundlagen höherer kognitiver Funktionen (Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit…)
Ist der Unterschied zur Biopsychologie
Methoden sind primär: funktionelle Bildgebung, Neuropsychologie, EEG, TMS
Kognitive Neurowissenscahft ist Biopsychologie (und wird maßgeblich von Psycholog*innen betrieben)
Aber Biopsychologie ist mehr als kognitive Neurowissenschaft (z.B. Psychophysiologie, Genetik)
Biopsycholog*innen haben schon kognitive Neurowissenschaft betrieben, als der Begriff noch gar nicht erfunden war
Die Kognitive Neurowissenschaft braucht den theoretischen Unterbau der kognitiven Psychologie
Kann das nicht unabhängig der restlichen Psychologie betrachten -> wichtig für Verständnis der Zusammenhänge
Historischer Überblick
rasanter technischer Prozess in 80er & 90er -> hat Forschung beschleunigt (fMRT, TMS, EEG etc.)
Phrenologie
Verschiedene Hirnareale haben unterschiedliche Funktionen
Je größer ein Areal, desto stärker ist die entsprechende Funktion / das Persönlichkeitsmerkmal ausgeprägt
ist vereinfacht, aber nicht ganz falsch
Diese Größenunterschiede spiegeln sich in Wölbungen des Schädes wieder
ist ganz falsch
War die erste systematische Untersuchung
❌Haben aber nicht den Unterbau der Psychologie genutzt
Krude bzw. kuriose psychologische Konstrukte (Häuslichkeit, Sinn für Freundschaft etc.)
Grundannahmen des Zusammenhangs zwischen Schädelwölbungen und Neuroanatomie ist falsch
Idee der funktionellen Spezialisierung hat sich aber grundsätzlich bestätigt
Brocas Beobachtung
Französischer Arzt und Anatom
1861: Monsieur Tan - Patient konnte nicht mehr sprechen, ansonsten keine kognitiven Beeinträchtigungen, Sprachverständnis war auch noch vorhanden
Das bei Monsieur Tan betroffene Hirnareal ist nach Broca benannt - Broca Areal (frontolaterales Frontalhirn)
Sprachstörung: Broca-Aphasie
Wernickes Beobachtungen
Deutscher Arzt und Anatom
Beschreibt Patienten mit intakter Sprachproduktion aber gestörtem Sprachverständnis -> Wernicke-Areal, Wernicke-Aphasie
Seperate Module für Sprachverständnis und Produktion
Genaue Lokalisation für diese Schlussfolgerung unerheblich
Im Gegensatz zur Phrenologie: basierend auf empirischer Beobachtung -> kognitive Neuropsychologie
Funktionelle Spezialisierung ohne Phrenologie
Wichtiges Konzept in den Neurowissenschaften
Wird z.B. durch unzählige Läsionsbefunde gestützt (siehe Broca / Wernicke)
Heute: funktionelle Spezialisierung ist graduell - Regionen sind bis zu einem gewissen Grad auf bestimmte (Klassen von) kognitiven Funktoinen spezialisiert
Also gerade keine 1 zu 1 Zuordnung
Funktionelle Bildgebung: Reverse-Inference-Problem (Poldrack, 2006)
Region X ist aktiv - können wir daraus schließen, dass der kognitive Prozess X´ abläuft?
Nein, denn
Regionen haben multiple Funktionen
Das Gehirn kann Probleme mittels verschiedener Strategien/Lösungen bewältigen
Hat zu der Zeit viele Bildgebungsstudien gemacht -> Aufgaben im Scanner -> Kontrast gerechnet (bei hoher/niedriger Belastung) -> Aktivität der Hirnareale verglichen -> geguckt, was das Areal macht und Schlüsse gezogen -> Argumentation basiert auf 1 zu 1 Zuordnung -> geht nicht
Poldrack argumentierte dagegen
Wilder Penfield
Kanadischer Neurochirurg
Elektrische Stimulation des Kortex während neurochirurgischer Eingriffe
Kognitive Neurowissenschaften
Technische Entwicklungen haben es ermöglicht, nicht-invasiv (bzw. weniger invasiv als bei Penfield) kognitive Prozesse im Menschen untersuchen zu können
Es wird angestrebt, gehirnorientierte Erklärungsansätze für kognitive Prozesse (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Handlungssteuerung…) zu entwickeln
Methoden der kognitiven Neurowissenschaften
Kombination dieser Methoden mit pharmakologischen Verfahren, Genetik, Läsionsstudien
❌Bei einzelnen Methoden viele Mängel -> muss Methoden miteinander kombinieren
Stimulation vs. Messung
Zeitliche Auflösung (wie schnell Signale sind)
Räumliche Auflösung
Wie invasiv? -> kann Methoden unter diesen Aspekten betrachten
Methoden der kognitiven Neurowissenschaften - Abbildungen
Herausforderungen der kognitiven Neurowissenschaften
Es ist möglich, kognitive Prozesse und Funktionen zu untersuchen, ohne das Gehirn zu betrachten
Funktionelle Bildgebung (oder Läsionsstudien) sagen uns WO Kognition stattfindet, aber nicht WIE
Die kognitiven Neurowissenschaften sind nichts als eine neue Form der Phrenologie
Kognitionsforschung ohne Hirnforschung
Das geht natürlich
Häufig wird Computeranalogie verwandt: Hardware (Computer / Hirn) vs. Software (Programm / Kognition)
Gehirn schärnkt ein,was für Kognitionen stattfinden können (z.B. bei Läsionen manches nicht mehr möglich)
Aber: Das Gehirn stellt Randbedingungen für die Kognition dar
Beide hängen zumindest eng zusammen und sind nicht komplett unabhängig
Die Biopsychologie hat Implikationen für viele psychologische Teildisziplinen
Entwicklungspsychologie
Klinische Psychologie: Psychopharmaka, Tiefenhirnstimulation
WO aber nicht WIE
Diese Kritik ließe sich auch auf Reaktionszeitexperimente übertragen -> WANN aber nicht WIE
Reaktionszeiten oder Bildgebungsbefunde sind Daten - das WIE wird aber durch Theorien und nicht durch Daten erklärt
Die Neurowissenschaften liefern zusätzliche abhängige Variablen, die zusätzliche Beiträge zu einer kognitiven Theorie leisten können
Kann nicht sagen, dass das Areal für die Funktion notwendig ist -> kein kausaler Effekt nötig
Kann teilweise WIE aus WO ableiten (z.B. dorsaler & ventraler Pfad -> nicht unbedingt genau, aber kann z.B. manche Theorien ausschließen)
Neuronale Plastizität als Beispiel
❌Großes Problem bei Läsionsstudien
z.B. Test nach 20 Jahren bei Schlaganfall - hat sich viel im Gehirn verändert -> wird nicht genug berücksichtigt
Die neue Phrenologie?
Es ist wichtig, die kognitiven und computationalen Prozesse zu betrachten
z.B. welcher Teilprozess der Aufmerksamkeit spiefelt sich da wider
Haben wir die richtige Sprache und die richtigen Konzepte, um Hirnmechanismen adäquat beschreiben zu können? -> Computationale Mechanismen
❌„Reine“ Lokalisation vs. Netzwerke und Interaktionen
Areale interagieren -> Wechselspiel
Mehr als nur Bildgebung
Vereinfachende Darstellungen in den Medien helfen nicht unbedingt, diese Bedenken auszuräumen
Kognitive Neurowissenscahften: mehr als nur Bildgebung
Verbindung zwischen den Analyseebenen herstellen
Beispiel
❌Wie wirken sich genetische Unterschiede in bestimmten Transmittersystemen auf Netzwerkinteraktionen aus?
Bezüge zu Befunden aus Tiermodellen herstellen
Daten zu Ebene, die man im Menschen nicht messen kann
z.B. Rasterzellen
Rasterzellen (grid cells)
entdeckt von Maybritt und Edvard Moser (Trondheim)
Befinden sich im entorhinalen Kortex
Einzelne Rasterzellen bilden die Umgebung vom Tier als hexagonale Karte ab
Neuron feuert nicht zufällig -> Rasterzellen feuern in Abhängigkeit von Position der Maus
Versteht besser, wie Gehirn Raum repräsentiert -> Navigation
Rasterzellen im Menschen?
Doeller et al., Nature 2010
Stärkeres Signal im enthorinalen Kortex bei Bewegung entlang der Grid-Ausrichtung
Geguckt, wo mehr Aktivität im Gehirn ist, wenn Person sich entlang der grids bewegt
Kunz et al., Science 2015
Grid-Cell-ähnliches Signal ist reduziert in Personen mit genetischem Risiko, an Alzheimer zu erkranken
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