1. Was ist eine Kriminalprognose
2. Was ist Ziel der KP
3. Rechtliche Fragestellungen der Kriminalprognose
Versch. Begriffe:
Legalprognose= Verstoß gegen irgendein Gesetz
Kriminalprognose= Verstoß gegen Strafgesetz
= Eine wissenschaftlich fundierte Wahrscheinlichkeitsaussage über das zukünftige Legalverhalten einer Person (Spezifikation je nach Fragestellung)
Gefahrenabwehr mit vertretbarem Risiko
--> Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsbedürfnis der Allgemeinbevölkerung und Freiheitsanspruch einer Person (muss abgewogen werden) --> Freiheitsanspruch soll beachtet werden, aber nur insofern das Risiko für die Allgemeinbevölkerung noch vertretbar ist
3. Rechtliche Fragestellung
KP als basaler Bestandteil des Strafrechts, wird meistens von RichterInnen durchgeführt --> Wichtig für die Legitimation der Sanktionen (mit Sanktionen soll eine bestimmte Wirkung erzielt werden, die die Sanktionen legitimiert)
Fragestellungen in denen SV hinzugezogen werden:
Einweisungsprognose (im Hauptverfahren) -> Hinzuziehung Pflicht
Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen zur Besserung und Sicherung
Entlassprognose (im Vollstreckungsverfahren) -> Hinzuziehung Pflicht
Bewährungsaussetzung von Freiheitsstrafen (Freiheitsstrafen ab 2 Jahre, und erst ab 2/3 der vorgesehen Strafe)
Bewährungshilfe kontrolliert, ob die Bewährungsauflagen eingehalten werden
Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung
Vollzugliche Lockerungsentscheidungen
(z.B. Verlegung in offenen Vollzug)
Einschätzung des Missbrauchrisikos (Neue Straftat, Flucht) und langfristige Kriminalprognose (Aussetzung auf Bewährung möglich)
Indikationsentscheidungen im Behandlungskontext
Nicht gesetzlich gefordert
Welche Person, erhält welche Behandlung und wie viel --> RNR-Prinzip
Herausarbeiten, welches kriminogene Risiko- und Schutzprofil vorliegt und was Bestandteil der Behandlung sein soll
1. Nomothetische Kriminalprognose (Instrumente)
2. Integrative aktuarische Ausgangsrückfallrisiko-Einschätzung
3. Vor- und Nachteile
Prognosechecklisten --> für idiografische KP (Sammlung von Risiko- und Schutzfaktoren zum Überblick)
2. Generation:
Statisch statistische Instrumente wie der Static-99
Statistische Korrelate der Rückfallwahrscheinlichkeit aus gruppenstatistischen Untersuchungen
Bieten keine psychologische theoretische Erklärung --> daher keine inhaltliche Aussage über Gründe und Zusammenhänge
Beinhalten statische Variablen (z.B. Kriminelle Vorgeschichte, Alter, Geschlecht) --> daher keine Veränderungsabbildung möglich
Geringer diagnostischer Aufwand, benötigen keine spezielle Expertise
3. Generation(z.B. SVR-20= Sexual Violence Risk)
Beinhalten dynamische Schutz- und Risikofaktoren --> können Veränderung abbilden
Komplexere Variablen wie persönliche Einstellungen, Persönlichkeitsstile, soziale Beziehungen
Diagnostisch aufwendig, benötigen spezielle Expertise
Haben viele Freiheitsgrade bei der Beurteilung --> Individualisierungsgrad geht zur Belastung der Standardisierung
4. Generation (z.B. Level of Service inventory)
Versuchen aus dem ermittelten Risiko- und Schutzprofil Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten (Risikomanagement)
Unterscheidung aktuarisch
Aktuarisch = Es liegen klare Zuordnungskriterien, Regeln oder Cut-Off-Werte vor zur Übersetzung der Werte in das Rückfallrisiko
3 & 4 Generation oft nicht aktuarisch, sondern nur bestimmte Heuristiken --> Mehr Spielraum, aber auch Problem für Validität
2. Integrative aktuarische Ausgangsrückfallrisiko-Einschätzung (Dahle)
1. Überlegung welche Instrumente (Eignung für Fragestellung)
Gütekriterien
inkrementelle Validität
2. Statisches Ausgangsrisiko bei vergleichbarer Fallkonstellation prüfen (2.Generation)
3. Ausmaß dynamischer Risiko- und Schutzfaktoren ermitteln (3. Generation)
Statisches Risiko nach unten oder oben korrigieren
4 & 5 Zugehörigkeit Hoch-, Niedrigrisikogruppe
Hochrisiko --> PCL-R
Niedrigrisiko --> An Tatkonstellation orientiert (z.B. keine Vorstrafen, dissoziale Züge, Affekttat)
5. Behandlungseffekte (falls vorhanden) berücksichtigen
Vorteile:
Fair --> Standardisierbarkeit, Objektivität, Schutz vor menschlichen Urteilsfehlern
Transparent --> nachvollziehbar durch Standardisierung
Wissenschaftlich --> durch empirische Basis
Zuverlässig --> Prognosevalidität wurde belegt
Nachteile:
Methodenimmanent: Mittelfeldproblematik --> Normalverteilung, daher viele Probanden im Mittelfeld, 50/50 Risiko wenig aussagekräftig
Überschätzung Falsch-Positiver --> bei geringer Basisrate von Richtig-Positiven, führt der Messfehler der Instrumente zu einer höheren Überschätzung der Falsch Positiven, als Falsch Negativen
Veränderungsresistenz --> starke Gewichtung der statischen kriminellen Vorgeschichte, führt oft zu hohen Prognosen
Nichterfüllung gesetzlicher Vorgaben --> Kein Einzelfallbezug, nur statistische Wahrscheinlichkeitsaussage
Gesetzliche Vorgaben und Mindestanforderungen an eine Kriminalprognose
Gesetzesvorschriften enthalten Vorgaben zu Sicherheitsschwellen, Inhalt und methodisches Vorgehen
Sicherheitsschwelle Einweisungsprognose: Mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten zu erwarten
Sicherheitsschwelle Entlassprognose: Keine rechtswidrigen Taten mehr zu erwarten sind
Inhaltliche Vorgabe am umfänglichsten bei Entlassprognose:
Persönlichkeit der Person, Vorleben, Umstände der Tat, Gewicht eines mögl. Rückfalls, Verhalten im Vollzug, Lebensverhältnisse
Methodische Vorgaben:
Nicht nur auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen, sondern strenge Orientierung am Einzelfall
Weitere Anforderungen
Prognostische Einschätzung des Rückfallrisikos
Skizzierung einer möglichen Rückfallsituation
Mit welchen Maßnahmen kann das Risiko zukünftiger Straftaten beherrscht oder verringert werden?
Welche Umstände können das Risiko von Straftaten steigern (Rückfallrisikonstellationen und destabilisierende Entwicklungen)
1. Idiografische Kriminalprognose
2. Idiografisches Urteilsmodell nach Dahle
Berücksichtigung individueller verhaltensrelevanter Gesetzmäßigkeiten & Besonderheiten, die in Zusammenhang mit Straffälligkeit stehen
Kein einheitlicher Ansatz, kann unstandardisiert ablaufen, aber auch die Möglichkeit einer teilstandardisierten Umsetzung (Dahle Modell)
Wird auch als klinische KP bezeichnet --> irreführend, da Prognose im Vordergrund steht
1. Begründung einer individuellen Kriminalitätstheorie
Analyse der Biografie & Persönlichkeitsentwicklung einer Person bis zur Indextat
z.B. Denkmuster, Handlungsdefizite, soziale Interaktionsmuster, ggf. psychische Akzentuierungen o. Störungen, überdauernde Bedürfnisse
Fokus auf strafrechtliches & normabweichendes, delinquentes Verhalten --> Bereitschaft des Normübertritts an Rahmenbedingungen geknüpft? Progredienter Verlauf beobachtbar?
Tathergangsanalyse: Vortatgeschehen, Tatgeschehen, Tatablauf, Nachtatgeschehen --> individuelle Delinquenztheorie: Welche Bedingungen haben zur Tat geführt, existieren die Bedingungen weiterhin?)
Hierbei Bezug nehmen zu allgemeinen Kriminalitätstheorien (wissenschaftliche Fundierung)
Vollständigkeitsüberprüfung: Mittels Checklisten o. nomothetischer Prognose
Qualitätskontrolle: Güte der Theorie prüfen
interne, externe Konsistenz
semantische Konsistenz
Vollständige o. nur teilweise Erklärung des Anlassgeschehens
2. Begründung einer individuellen Entwicklungstheorie
wie haben sich die individuellen kriminogenen Risiko- und Schutzfaktoren + personale Bedingungen seit der Tat entwickelt
Beachten der artifiziellen Situation: Zeit nach Tat oft in Vollzug
Akten Hauptinformationsquelle
Vollständigkeits-, und Qualitätskontrolle
3. Kriminalpsychologische Ist-Zustands-Diagnose
Querschnittsdiagnose --> Wie ist das aktuelle Risiko- und Schutzprofil
Per klassisch diagnostischen Methoden (psychometrische Tests, Exploration, usw.)
Wenn-Dann-Analysen
4. Projektion in die Zukunft
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in Zukunft auf Basis der bestehenden Umstände
Beinhaltet auch Überlegungen zum Risikomanagement
Vollständigkeits- und Qualitätskontrolle
--> Finale Einschätzung der Kriminalprognose auf Basis der 4 Schritte: Wie wahrscheinlich ist erneute Straftat?
Genügt den rechtlichen Ansprüchen
Einzelfallbezug & Komplexität stehen Standardisierung entgegen
Integrative Beurteilung der KP (Dahle)
Verbindung nomothetischer & idiografischer KP
1. Nomothetische Prognose
2. Auf Basis dessen idiografische Prognose
3. Sind Prognosen stimmig?
Ja?--> Prognose abgeben
Nein? --> Diskrepanz klären (Fehler nomothetische Auswertung; Vollständigkeits- und Gütekontrolle idiografische Auswertung)
Empirische Befunde zur integrativen KP
Heterogene Befunde
Verbessert Zuverlässigkeit der Prognose --> inkrementelle Validität bei Integration beider Ansätze (Dahle& Lehmann)
Empirischer Forschungsstand zeigt clinical override
Änderung der nomothetischen Prognose durch idiografische Prognose führt oft zur Risikoüberschätzung --> Prognose weniger Valide
Forschung zeigt, dass nomothetische Prognose unerlässlich ist, aber deutsches Gesetz verlangt idiografische Prognose
Ziel: Empirisch abgeleitet Regeln für die Integration dynamischer Risikofaktoren in die aktuarische Prognose
Zuletzt geändertvor 10 Monaten