Strafrechtliches Schuldprinzip
1. Was bedeutet Schuld im juristischen Sinn?
2. Schuldfähigkeitsparagraphen
Schuld Emotion
Schuld im strafrechtlichen Sinne= Subjektive Zurechnung (Vorwerfbarkeit) rechtswidrigen Verhaltens trotz generell normativer Ansprechbarkeit
Normative Ansprechbarkeit=
ist die zumutbare alltagsbezogene Verhaltenssteuerung durch soziale Normen
Maßgeblich für Bestrafung ist die Schwere der Schuld, Schwere der Tat bildet nur den Bestrafungsrahmen
Keine Strafe ohne Schuld
§ 20 StGB Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaft seelischen Störung, tiefgreifender Bewusstseinsstörung, Intelligenzminderung o. schwerer anderer seelischer Störung, unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln
Eingangsmerkmale
Notwendige Bedingung
Einsichtsfähigkeit: Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen.
Hinreichende Bedingung
--> Setzte Wissen & Verständnis über Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens voraus
Keine Graduierung --> vorhanden vs. nicht vorhanden
z.B. eingeschränkt bei akutem Verfolgungswahn
Steuerungsfähigkeit
Häufigstes Schuldunfähigkeitsphänomen
nur zu prüfen wenn Einsichtsfähigkeit vorhanden
Es geht im wesentlichen um die Selbstkontrolle: Fähigkeit, motivationale Impulse zu kontrollieren, sich für/gegen etwas entscheiden zu können. Sie ist nur dann auszuschließen, wenn der Täter auch bei Aufbietung aller Widerstandskräfte zu einer normgemäßen Motivation nicht imstande ist.
Kann in 2 nicht empirische Konstrukte unterteilt werden
Exekutive SF (Top-Down)
Fähigkeit eine Handlung regelrecht, situationsadäquat und zielführend auszuführen (top-Down-Regulation)
z.B. eingeschränkt bei Intoxikation
Motivationale SF (Bottom-Up)
Handlung, trotz Wünsche, Bedürfnisse, Impulse, Stimmung zu kontrollieren (Abschirmen gg. Bottom Up Prozesse)
z.B. eingeschränkt bei paranoider Schizophrenie
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in §20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe gemildert werden
Schuldfähigkeit immer Tatbezogen zu bestimmen, weil wandelbar
§19 StGB Kinder unter 14 gelten als schuldunfähig
zwischen 14-18 positive Prüfung --> Liegt Schuldfähigkeit doch vor durch Vorreifung
ab 18 --> negative Prüfung
Mögliche Rechtsfolgen:
Straffreiheit
Strafminderung
Maßregeln zur Besserung und Sicherung
Psychiatrisches Krankenhaus
Erziehungsanstalt
v.a. für Suchterkrankte
begrenzt auf 2 Jahre
Sicherheitsverwahrung
Hangtäterschaften
Open End --> regelmäßige Überprüfung notwendig
Problem: Keine positiv rechtliche Definiton von Schuld, nur Nennung von Negativumständen (Eingangsmerkmale) der Exkulpation und Dekulpation (verminderte Schuldunfähigkeit)
Anwendungshäufigkeit bei Schuldunfähigkeitsbegutachtungen
Immer, wenn Gericht nicht genug Expertise
Regelmäßig bei Tötungsdelikten und sexuellen Kindesmissbrauch
Am häufigsten verwendetes Eingangsmerkmal: Schwere andere seelische Störung
Erziehungsanstalt > psychiatrisches Krankenhau > Sicherheitsverwahrung
Algorithmus der Schuldfähigkeitsbegutachtung
1. Stufe: Liegen Eingangsmerkmale/eine psychische Störung zum Tatzeitpunkt vor?
2. Stufe: Ergeben sich darauf Auswirkungen auf Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit
Hypothese entwickeln, wie das Eingangsmerkmal Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt hat
Hypothese Quantifizieren --> Wie stark war der Einfluss
Benennung der Wahrscheinlichkeit --> Inwiefern trifft Hypothese zu (Sicher - Nicht auszuschließen)
Unterscheidung zwischen Exkulpation & Dekulpation nur in zweiter Stufe i
-> Erste Stufe notwendig, nicht hinreichend
-> Richter entscheidet über forensische Relevanz, nicht Gutachter
1. Krankhaft seelische Störung
Entspricht den psychiatrischen Störungen mit organischer Ursache (historische Einteilung)
Neurodegenerative Erkankungen wie Demenz
Störungen durch psychotrope Substanzen (Intoxikation)
Schwere affektive Störung mit psychotischen Symptomen
Anfallserkrankungen
Paradigmatisch für Schuldunfähigkeit (fehlende Einsichtsfähigkeit)
Keine spezifische Merkmalsliste --> Psychopathologische Kenntnisse auf den Einzelfall anwenden zur Bewertung des Einflusses auf die Tat
2. Tiefgreifende Bewusstseinsstörung
Trübung/ Ausschaltung des Bewusstseins unter extremen Affekt/ Erregung --> nur normalpsychologische Phänomene
Zeitlich passageres Phänomen
Häufigster Anwendungsfall: Tötung Intimpartner
V.a. Steuerungsfähigkeit gravierend beeinflusst
Spezifische Merkmalsliste existiert
Kritik:
Hoch problematisches Konstrukt, beruht auf Laienvorstellung
Schwer (auch selten) zu diagnostizieren (Kurzzeitiges Konstrukt, Lange Abstände zwischen Tat und Untersuchung)
Fehlen einer wissenschaftlichen Affektdefinition birgt Gefahr tautologischer Schlüsse:
Warum hat er seine Partnerin umgebracht? Weiler er aus Affekt gehandelt hat / Wie macht sich der Affekt bemerkbar gemacht? Indem er seine Partnerin umgebracht hat
3. Intelligenzminderung
Nicht auf organischen Ursachen beruhenden Oligophrenien (Intelligenzminderung, geistige Behinderung)
Bemisst sich am IQ
50-69 = Leichte Intelligenzminderung
35-49 = Mittlere IM
20-34= Schwere IM
<20 - 25= Schwerste IM
Keine spezifische Merkmalsliste --> Saubere psychometrische Erfassung zur Erstellung eines Leistungsprofils nötig
Ausdruck: Emotionsregulationsprobleme, Beeinflussbarkeit, erhöhte Suggestibilität
Kritik: Problematische Ausrichtung am IQ
IQ ist ein Gesamtwert aus mehreren Facetten, die dadurch nicht berücksichtigt werden
2 Standardabweichungen erst leichte IM; Schwerste IM so niedrig --> Wahrscheinlich gar nicht messbar
4. Andere schwere seelische Störung
Restkategorie anderer psychischer Störungen ohne organische Ursache
Neurotische St., Belastungs, somatoforme Störungen
PKS. Und Verhaltensstörungen
Schizotype Störung
Anhaltende affektive Störung ohne psychotische Symptome
Substanzmissbrauchsphänomene
Chronische Dissozialität ist von der Schuldminderung auszuschließen -> Dies ist einfach eine normative Setzung, die jedoch durchaus kritisch zu beurteilen ist.
Heterogenes Bild an Störungen, die schwer zusammenzufassen sind: Versuch der Zusammenfassung: Rigide Reaktivität auf wechselnde, persönliche und soziale Lebenslagen mit stark vereinseitigten Problemlöse- und Copinmechanismen (Auswirkungen auf Steuerungsfähigkeit)
Spezifische Merkmalsliste vorhanden
Prototypischer Aufbau Schuldfähigkeitsgutachten + Zusammenfassung
Prototypischer Aufbau Schuldfähigkeitsgutachten
Dokumentation & Aufklärung
Aktenanalyse
Angaben des Probanden
Biografie/ Anamnese
Aktueller Zustand, Zukunftspläne
Psychopathologischer Befund
Sexualanamnese (ausführlich, wenn notwendig)
Deliktanamnese
Tatvorgeschichte, Tatablauf, Tatgeschehen, Nachtatgeschehen
Zusätzliche Untersuchungen
Psychometrische Tests, klinische Interviews, externe Zusatzuntersuchungen
Fremdanamnestische Angaben
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Befunde
Persönlichkeitsauffälligkeiten
DSM/ICD Diagnosen aktuell & zum Tatzeitpunkt
Zusammenfassung & Beantwortung der Fragestellung
Schweregradeinschätzung & Funktionseinschränkung differenziert für Einsichts- und Steurungsfähigkeit
evtl. Aussagen über Maßregelung zur Besserung und Sicherung
evtl. psychotherapeutische Empfehlungen
Zusammenfassung
Schuldfähigkeitsbegutachtung geprägt von normativ-rechtlichen Konventionen
A Priori Fassung der Eingangsmerkmale verhindert psychologische Theoriebildung
Schulfähigkeit an sich nicht empirisch fassbar
--> Kaum Empirie, daher Schuldfähigkeitsbegutachtung eine reine Expertenmeinung beruhend auf Lehrmeinung & psychiatrisch-rechtlichen Konventionen
Wird überwiegend von PsychiaterInnen gemacht & nicht von PsychologInnen
Zuletzt geändertvor 8 Monaten