Definition: Kriminologie*
Lehre vom Verbrechen
Wissenschaft, die Ursachen/Erscheinungsformen von Verbrechen untersucht & sich mit dessen Verhinderung, Aufklärung, Bekämpfung befasst
interdisziplinärer Forschungsbereich zu emp. Wissenschaften, die Ziel ham, Umfang der Kriminalität zu ermitteln & Erfahrungen über Ursachen, Erscheinungsformen, Täter/Opfer, Kontrolle soz. Auffälligkeiten, Behandlungen für Straftäter, Wirkungen von Strafe (und andere Reaktionen) zu sammeln
Arten von Kriminologie* (nach Schwind)
Angewandte (anwendungsorientierte) K.
=> liefert Praktikern kriminologisches Wissen für Beurteilung Einzelfalls
Kriminalpolitische K.
=> Politikberatung
oft bei beiden dasselbe Wissen erforderlich!
Gegenstand der Kriminologie*
Ursachen von Kriminalität (Kriminal-Ätiologie)
Erscheinungsformen von Verbrechen (Kriminal-Phänomenologie)
Lehre von (Verhalten/Bedürfnisse von) Opfern (Viktimologie)
Sanktionsforschung (Poenologie)
Forensische Psychologie & Psychiatrie
Institutionen- bzw. Rechtstatsachenforschung
Kriminalstatistik
Kriminalwissenschaften*
(als Überbegriff)
Kriminologie ist Kriminalwissenschaft
“Kriminalwissenschaften” umfasst:
alle Wissenschaften, deren Forschungsgegenstand engen Bezug zu kriminellem Verhalten von Menschen aufweist
=> a. juristische Kriminalwissenschaften (Strafrechtswissenschaften)
=> b. nicht-juristische Kriminalwissenschaften (Kriminologie, Kriminalistik+forensische Wissenschaften, Kriminalpolitik)
Gegenstand der Strafrechtswissenschaft*
= Lehre von (Kriminal-)Strafrecht & Regeln der Durchsetzung
materielles (Kriminal-)Strafrecht: alle rechtl. Normen, die Verhalten verbieten & mit von Gericht zu verhängenden Strafe/Sanktion bedrohen
Strafprozessrecht: formelles Strafrecht, gesetzliche Verfahrensregeln
Strafvollzugsrecht: gesetzliche Vollzugsregeln
Kriminologie vs Strafrecht*
Unterscheidungskriterien
Empirische Wissenschaft
“empirisch” = erfahrungsgemäß, aus Beobachtung/Experiment entnommen
Gegenstand emp. Forschung:
systematisches Erfassen von Erfahrungen/Beobachtungen von Tatsachen, um neue Erkenntnisse über faktische Gegebenheiten & Zusammenhänge zu gewinnen
Normative Wissenschaft
“normativ” = verbindlich, richtungsweisend, Maßstab darstellend
beschäftigt damit, was sein, wie gehandelt und welche Verhaltensregeln gelten sollen
geht um Werte, Ziele, Rechtfertigung & Kritik von Normen/Normensystemen
Induktives Vorgehen
“induktiv” = vom Einzelnen aufs Allgemeine
Kriminologie versucht mittels emp. Methoden aus Vielzahl einzelner beobachteter Fälle verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse zu gewinnen
Deduktives Vorgehen
“deduktiv” = vom Allgemeinen aufs Einzelne
Lösung/Einordnung Einzelfalls durch generelle Normen (durch Subsumption) finden
Strafrecht geht deduktiv vor, indem allg. gültige Rechtsnormen auf Einzelfälle angewandt
=> in Subsumption geprüft, ob Sachverhalt unter einer der generell formulierten Straftatbestände fällt, ob also Verhalten strafrechtlich verboten
Denkmögliches vs. Eindeutiges Ergebnis*
solange Hypothese nicht widerlegt, gilt sie als “denkmöglich”
endgültig bewiesen werden kann sie nicht, da immer denkmöglich, dass Fall auftaucht, der widerlegt
Strafrecht beansprucht eindeutige Auslegbarkeit => denn für Normunterworfene muss vorhersehbar sein, ob sie sich mit best. Verhalten strafbar machen oder nicht
Kriminalpolitik
= Rechtspolitik auf Gebiet der Strafrechtspflege
Politik mit Ziel ressortübergreifender Verbrechensbekämpfung, nicht nur mittels repressiver, sondern (außer-/strafrechtlicher) präventiver Maßnahmen
soll auf emp. Wissen aufbauen (evidenzbasierte Politik)
Zusammenhänge: Kriminologie, Kriminalpolitik, Strafrecht*
Kriminologie-Erkenntnisse als Basis kriminalpol. Entscheidungen
Kriminalpolitik entscheidet über (Ent-)Kriminalisierung & Sanktionssystem
Kriminalpolitik & Kriminalstrafrecht wiederum Forschungsgegenstand der Kriminologie
Beispiel:
=> Strafrecht klärt, ob sich Jugendlicher, der jmd misshandelt, gerichtlich strafbar gemacht hat
=> Kriminologie untersucht, ob Gewaltkriminalität Jugendlicher zunimmt, welche Ursachen, wer typische Täter/Opfer
=> Kriminalpolitik entscheidet, welche Sanktionen/Reaktionen & Präventionsmaßnahmen einzusetzen
Verbrechens-/Kriminalitätsbegriffe*
Welche Begriffe gibt es?
Wie ist Verbrechen im StGB definiert?
strafrechtlicher (formeller) Verbrechensbegriff (gerichtliches Strafrecht)
natürlicher Verbrechensbegriff (Kernbestand des Strafrechts, wie Mord, Raub, Vergewaltigung)
soziologischer/kriminologischer (materieller) Kriminalitätsbegriff (inkludiert störendes abweichendes Verhaltens/Devianz)
Verbrechen (§17 StGB) = vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mehr als 3-jähriger Freiheitsstrafe bedroht (alle anderen strafbaren Handlungen sind Vergehen)
Kriminologie im Wandel der Zeit
entwickelt von Hilfswissenschaft der (Straf-)Rechtswissenschaft zu selbstständiger Sozialwissenschaft,
die ihren Forschungsgegenstand kritisch hinterfragt/autonom bestimmt und
Kriminalität als soz. Konstrukt sieht (Kriminalität = Devianz & Kriminalisierung)
Klassische Kriminologie* (2. Hälfte des 19. Jhd. bis nach WW2)
Hilfswissenschaft für Strafverfolgungsbehörden (naturwiss. Methoden)
täterzentriert
orientiert am formellen Verbrechensbegriff (Gegenstand nur, was zur Zeit einem Straftatbestand subsumiert werden konnte, da nur als Hilfswissenschaft gesehen)
Kriminologie als Sozialwissenschaft
Forschungsgegenstand wird hinterfragt und zu Objekt der Untersuchung
Kriminalität als soz. Phänomen mit soz. Ursachen erkannt (Opfer und sein “funktionaler Beitrag” untersucht)
Kriminalität = Devianz (abweichendes Verhalten) + Kriminalisierung (Wertewandel, z.B. rauchende Fabrikschlote, Stalking, Schlepperei)
Normentstehung/-anwendung untersucht (Dunkelfeld; selektive Strafverfolgung)
Kriminalisierung - Entkriminalisierung
“Strafrecht im Fluss”
Wertewandel findet in Strafrechtsreformen Niederschlag
Gegenstand der Kriminalpolitik
Kriminalisierungen pol. leichter durchsetzbar als Entkriminalisierungen
Grundrechtseingriff
Strafrecht regelmäßig mit Grundrechtseingriffen verbunden
nur zur Absicherung von Grundrechten
Grundrecht nur zu verletzen, wenn damit andere vor Grundrechtseingriff geschützt
Warum gerichtliches Strafrecht?*
Brauchen wir es?
Recht muss durchsetzbar sein bzw. müssen Verstöße gegen Rechtsnormen geahndet werden können (sonst “lex imperfecta” - bei Verstoß weder Strafe noch Unwirksamkeit)
gerichtliches Strafrecht bei besonders schweren Verstößen bzw. zur Absicherung wichtigster Rechtsgüter (sonst reicht zivilprozessuale Durchsetzung oder Verwaltungsstrafrecht)
Zweck des gerichtlichen Strafrechts*
nach moderner Auffassung: Prävention statt Vergeltung
Spezialprävention:
pos Sp: Besserung, (Re-)Sozialisierung
neg: Abschreckung, Wegsperren
Generalprävention
pos Gp: Rechtsbewährung, sittenbildende Kraft des Rechts
neg: Abschreckung
Gerichtliches Strafrecht wirkt in…*
(3 Präventionsformen)
Primärprävention: kriminalpräventive Maßnahmen, die auf gesamte Bevölkerung abzielen (Bewusstseinsbildung, Erziehungsbetreuung)
Sekundärprävention: Abzielen auf Risikogruppen (pot. Täter/Opfer) z.B. mittels Normverdeutlichungsgesprächen
mittels Sanktionierung in Tertiärprävention (Rückfallvermeidung)
Abschreckung vs. Vergeltung*
Vergeltung:
gleiches Übel entgegengesetzt (Aug um Aug, Zahn um Zahn)
Blick zurück (Rache)
Prävention:
nur so viel Übel, wie für präventiven Zweck nötig
Blick in Zukunft (Vorbeugung)
Auswirkungen des Präventionsgedankens auf Gesetz & Praxis*
keine Strafe, wenn nicht präventiv wirksam oder für Prävention erforderlich
Zurückdrängen schwererer Strafen, Vorrang Diversion
bei Jugendlichen kommts bei Strafzumessung grs. nur auf Spezialprävention an (Ausnahme nur “aus besond. Gründen”)
Schuldangemessene Strafe als Obergrenze für Strafzumessung!
Problematik gerichtlicher Verurteilungen
Strafe ist Eingriff in Menschenrechte
spezialpräventive Wirkung der Haft fraglich, da zu wenig Beschäftigungs-/Lern-/Therapiemöglichkeiten
Verurteilung schafft Probleme
finanzielle Belastung durch Geldstrafe
Verlust von Job / soz. Beziehungen durch Haftstrafe
Resozialisierung nach Verurteilung viel schwieriger (Vorstrafe)
neg. Auswirkungen auf Familienmitglieder
Haft schadet
heute oft aus Kostengründen “Verwahrvollzug” (der hirnschädigend wirkt, daher als Körperstrafe verstanden)
=> Strafe muss daher ultima ratio sein!
Wirken höhere Strafen besser?
konnte bisher empirisch nicht belegt werden
will man abschreckende Wirkung erhöhen, muss man versuchen, die Entdeckungs- bzw. Bestrafungswahrscheinlichkeit zu erhöhn
Höhe der letztendlich verhängten Strafe ist nicht entscheidend
Problematik der Sanktionsforschung
emp. Forschung zur Sanktionsforschung sind Grenzen gesetzt:
es darf keine strengere Strafe als nötig verhängt werden, es verbieten sich Experimente (z.B. 50% der Tätergruppen strenger sanktionieren)
da Personen mit besserer Prognose milder zu bestrafen sind, kann ihre geringe Rückfallsquote nicht mit milderen Sanktion begründet werden, da sie genauso gut auf zutreffende Prognose zurückzuführen
Strafe als ultima ratio
während neg. Nebenwirkungen von Strafen unbestritten sind, sind präventive Wirkungen des Strafvollzugs nicht/kaum nachzuweisen!
im Zweifel muss man sich für mildere Strafe entscheiden, um Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten
Strafe als ultima ratio!
“Restorative Justice” z.B. Diversion durch Tatausgleich oder opferzentriertes Anti-Gewaltprogramm vorzuziehen!
Kernbereich des Strafrechts <-> (Ent-)Kriminalisierung
Kernbereich des Strafrechts: Tatbestände, die in allen Rechtsordnungen im gerichtl. Strafrecht zu finden
Randbereich: politisch ausverhandelt, was gerichtl. strafbar sein soll/was nicht
(vgl. VO-Beispiele Schlepperei, Suchtmittelrecht, S. 25 Foliensatz 1)
Wozu dienen öffentliche Kriminalstatistiken?’
Informations- & Entscheidungsgrundlage:
für Sicherheitspolitik bzgl.
a. Personalressourcen (aber: Kontrolldelikte!)
b. Schulungen (bei geringen Verurteilungsquoten)
c. Gesetzgeberische Maßnahmen (um Fehlentwicklungen gegenzusteuern)
d. Präventionsmaßnahmen (Allokation von Mitteln)
als Grundlage/Ansatzpunkt für Forschung
Wenn Zahl der Anzeigen steigt, brauche ich mehr Personal im betreffenden Bereich?
deliktabhängig
evtl. mehr Einsatz in Prävention?
bei Kontrolldelikten ist Anstieg der Anzeigen ja gerade Folge von größerem Personaleinsatz!
Eignen sich Statistiken zur Evaluierung der Leistung von Strafverfolgungsbehörden?
nur bedingt, AQ stark deliktabhängig (Gewaltdelikte, Drogenkriminalität vs. Vandalismus)
wenn man Statistik zur Leistungsbeurteilung heranzieht, fördert man Manipulation/Tendenz, Schwerpunkte der Ermittlungsarbeit da zu setzen, wo schnelle Erfolge wahrscheinlich
Deutet hohe Zahl von Anzeigen wegen Gewalt im soz. Nahraum darauf hin, dass mehr Gewalt in Gesellschaft?
nein, auch auf Bewusstseinsbildung zurückführbar
oder auf besseres niederschwelliges/bekannteres Angebot von Beratungseinrichtungen
Polizeiliche (PKS) vs. Gerichtliche Kriminalstatistik (GKS)
PKS = Anzeigenstatistik (auf Basis vager Verdachtslage)
GKS = Verurteilten-/Verurteilungsstatistik
gemeinsames Problem: Verhältnis Hellfeld/Dunkelfeld
Dunkelfeld*
strafbare Handlungen/Täter, die nicht amtsbekannt werden (keine Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden)
Aufschluss über Dunkelfeld mittels Dunkelfeldforschung (Opfer-, Täter-, Informantenbefragung)
Umfang des Dunkelfeldes abhängig von:
Entdeckungswahrscheinlichkeit
Anzeigebereitschaft von Opfern/Zeugen
Verfolgungsintensität (insb. bei Kontrolldelikten, die üblicherweise nicht von Betroffenen angezeigt, sondern nur durch amtswegige Ermittlungen ans Licht gebracht werden
Art des Deliktes
=> Auto-/Einbruchsdiebstahl (unter 10% im Dunkelfeld)
=> Raub, Körperverletzung, Vandalismus (über 50%)
Beeinflussung der Anzeigebereitschaft*
finanzielle Interessen (Versicherungsschutz, finanzielle Abhängigkeit vom Täter, Angst vor Jobverlust)
Schamgefühl, Rachebedürfnis
Chance auf Rechtsverfolgung (Aufklär-/Beweisbarkeit)
Abwägung zw. Aufwand/Ertrag der Anzeigeerstattung bzw. des nachfolgenden Prozesses
Schwächen der Dunkelfeldforschung
mangelnde Erreichbarkeit aller Bevölkerungsschichten
fraglich, ob Antworten ernsthaft/ehrlich sind (insb. hins. schwerer Kriminalität)
Ergebnisse zeigen (über Auslegung der Begriffe) u.U. eher Wertewandel in Gesellschaft als Veränderungen der Kriminalität
“Doppeltes Dunkelfeld”
Fakten, die auch Dunkelfeldforschung nicht zugänglich, weil
z.B. aus Scham/Angst nicht angegeben (bei Opferbefragungen)
entsprechende Gruppe nicht erreichbar (Obdachlose, Sprachbarriere)
Richtige Interpretation einer Statistik
bedarf genauer Lektüre der Einleitung/Erläuterungen
Erfassungsrichtlinien zu Rate ziehen
Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)
umfassendes Bild der Kriminalität (neu: “Kriminalitätsbericht”)
erfasst Daten von Personen (Tatverdächtigen, Opfern) & Taten
erfasst Sachverhalte nach Straftatbestand/kriminologischen Erscheinungsformen
Daten nur aufgrund einer Verdachtslage erfasst
zu Zeitpunkt der Weiterleitung polizeilicher Anzeige an Staatsanwaltschaft stark beeinflusst von “Mechanismen”, die Anzeigewahrscheinlichkeit und Datenerfassung beeinflussen
Grundtabelle
KZ: Kennzahl
Anzahl bekannt gewordener Fälle
Anzahl der Versuche
HZ: Häufigkeitszahl (bekannte Fälle auf 100.000 Einwohner)
Anzahl geklärter Fälle (vermutlicher Täter gefunden/angezeigt)
AQ: Aufklärungsquote (Anteil geklärter an allen bekannten Fällen)
TV: Anzahl aller ermmittelten Tatverdächtigen
Relative Häufigkeiten in PKS*
HZ (Häufigkeitszahl): wie viele angezeigte Fälle auf 100.000 Einwohner
AQ (Aufklärungsquote): Anteil geklärter an allen bekannten Fällen
KBZ (Kriminalitätsbelastungszahl): wie viele Tatverdächtige auf 100.000 Einwohner
BKBZ (besondere KBZ): wie viele Tatverdächtige einer Bevölkerungsgruppe auf 100.000 dieser Bevölkerungsgruppe
Höhe der Aufklärungsquote AQ (Einflussfaktoren)*
Deliktsverteilung
kriminologische Erscheinungsformen (Sachbeschädigung, JugK, Suchtmitteldelikte)
Personalpolitik
Einsatz der Polizei
Was ist bei Interpretation der Gesamt-AQ zu beachten?
hohe AQ bei Delikten gegen Leib/Leben, weil Opfer meist Täter sehen
hohe AQ bei Mord, weil viel Aufwand
geringe AQ bei Sachbeschädigung, Diebstahl usw.
wenn höhere Gesamt-AQ
=> meist mehr Morde & Delikte gegen Leib/Leben
=> bedeutet nicht, dass Polizei besser arbeitet
Suchtmitteldelikte: fast jedes Delikt ein aufgeklärtes Delikt => Kontrolldelikt (Anzeigen nur, wenn Polizei Anzeige erstattet)
Geringe Aussagekraft der globalen AQ
strafbare Handlungen gegen Leib/Leben => AQ ca. 85%
strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen => AQ ca. 23%
wenn nun Gewaltkriminalität überproportional abnimmt, sinkt AQ
=> PKS zeigt nur Entwicklung der registrierten Gesamtkriminalität!
Ursachen für Ausreißer in einer Zeitreihe
Gesetzesänderungen, Wertgrenzen
Aufdeckung großer Serie von Straftaten
Tippfehler
Änderungen im Erfassungsmodus
z.B. werden seit 2002 alle Tatverdächtigen, die mehrere Straftatbestände führten, bei jedem Tatbestand erfasst (zuvor Erfassung nur bei führenden, schweren wiegenden, streng zu bestrafenden Delikt)
seit Februar 2002 Erfassung jedes Tatverdächtigen bundesweit grundsätzlich nur einmal
Echttäterzählung: in Praxis dürfte insb. bei mobilen Tatverdächtigen nicht lückenlos funktionieren, da (noch) keinen personenbezogenen Identifikationscode
Gerichtliche Kriminalstatistik (GKS)
erfasst:
nur verurteilte Personen, kleiner Ausschnitt der Kriminalität
keine verurteilten Fakten, Opferdaten oder kriminologischen Erscheinungsformen
es fehlen insb:
bekannt gewordene Taten “ohne Täter”
diversionelle Erledigungen (Diversionsstatistik)
Freisprüche aus Mangel an Beweisen
Verfahrensabbrüche
Staatsanwaltschaft als Einstellungsbehörde
seit StPO-Novelle 2008 nehmen Einstellungen zu und Verurteilungen ab
StA = “Einstellungsbehörde”, da über Hälfte der Verfahren ohne diversionelle Regelung eingestellt wurden
bei LG-Zuständigkeit nur in 23% der Verfahren konkrete Ermittlungsaufträge (Ausforschung Verdächtiger inbegriff.)
Staatsanwaltschaft als Einstellungsbehörde - Ursachen?*
Personalmangel
Einstellungen unter Berufung auf unzureichende Verurteilungswahrscheinlichkeit
spezielle Problematik “Aussage gegen Aussage”
Fortführungsantrag als zahnloser Rechtsbehelf
Anklagen auf unzureichender Faktenbasis belasten Hauptverhandlungsrichter => Freisprüche dadurch wahrscheinlicher
Umfassender Textteil der GKS
allg. Erläuterungen zur (Wieder-)Verurteilungsstatistik
Überblick über gesetzliche Änderungen
Zeitreihen seit 1975 zu den Verurteilungen nach
Alter, Geschlecht
Deliktgruppen
Staatsbürgerschaft
Sanktionen
Aber: immer weniger Jahres-Daten im Detail!
Wie berechnet man Verteilungsquoten?
Wg bestimmten Deliktes (oder bestimmter Deliktgruppe) verurteilten Personen werden auf die nach diesem Delikt/Deliktsgruppe im selben Zeitraum angezeigten Personen bezogen
Verurteilungsquoten sind nur Näherungswerte, weil
Verfahren oft über 1 Jahr dauern
bisweilen mehrere Anzeigen gemeinsam abgeurteilt werden
strafbare Handlung bei Gericht anderem Tatbestand subsumiert wird
=> Zeitweise waren Erfassungsmodi in Statistiken unterschiedlich (PKS: Zählung bei jedem Delikt, GKS: nur einmal, beim führenden Delikt)
=> Verurteilungsquoten sinken seit Jahren (1985-2021: Vergewaltigung 30-11%, geschlechtliche Nötigung 46-18%, 2016-2021: schwere KV 43-37%)
Kategorisierungen von Kriminalität
Nach dogmatischer Einordnung:
grob nach Rechtgrund (Leib und Leben/Freiheit/Vermögen - Überschneidungen! z.B. Raub)
detailliert nach gerichtlichen Straftatbestand
Nach kriminologischen Phänomenen:
Bsp. Zwangsheirat: eigener Straftatbestand § 106a StGB, schwere Nötigung, Menschenhandel
Bsp. Ladendiebstahl: auch Betrugsversuche (Umetikettieren) oder räublicher Diebstahl (Losreißen, ohne Ware herzugeben)?
Nach gesellschaftlicher Bedeutung:
Alltags-, Schwerst-, Wirtschafts-, Umwelt-, Organisierte Kriminalität
Nach Tätergruppen:
Jugend-, Frauenkriminalität, alte Menschen, Ausländer, Touristen, Asylwerber
Wozu Kategorisierung nach Tätergruppen?
Untersch. Tätergruppen sind für untersch. Kriminalität verantwortlich
Versch. Motive/Ursachen, daher auch Präventionsansätze
Schutzbedürftigkeit, besondere Problemlagen im Strafverfahren/-vollzug (Verständigungsprobleme, psychische Auffälligkeiten)
angemessene Sanktionierung sollte auf Besonderheiten der Gruppe Rücksicht nehmen
Kinderdelinquenz & Jugendkriminalität
Interesse von Wissenschaft/Politik aufgrund hoher Kriminalitätsbelastung
Anstieg schwerer Delikte als mögliches Indiz für (wachsende?) Probleme
größere Chancen bzgl. Besserung? Erziehung statt Strafe
besondere Schutzbedürftigkeit Jugendlicher (insb. UN-Kinderrechtskonvention - KRK!)
Wieso Sonderregelungen?
besonderer Schutz der Gesetze (Fürsorgepflicht des Staates)
Strafen in Entwicklungsphase noch schädlicher (Labeling-Approach)
größere Chance der (Re-)Sozialisierung
Jugendkriminalität häufig Bagatellkriminalität
Fähigkeit, Folgen der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, noch eingeschränkt
gilt auch für junge Erwachsene, denn Hirnforschung zeigt, Entwicklung des Hirns erst mit Ü20 abgeschlossen
Besonderheiten der Jugendkriminalität
Besonderheiten, die auch Sonderregelungen aus Sicht der Strafverfolgung rechtfertigen können:
Jugendkriminalität häufig Bagatellkriminalität (daher Dunkelziffer hoch, höher als bei Erwachsenen)
Geständnisbereitschaft Jugendlicher höher
Taten häufig leichter aufklärbar
Jugendkriminalität ubiquitär, meist nur episodenhaft (geht auch ohne Sanktionierung vorüber)
Vergleich zu anderen Altersgruppen: junge Erwachse höchste Kriminalitätsbelastung, dann Jugendliche, dann 21-24 Jährige (mittels BKBZ angegeben)
Kinderelinquenz
und Legaldefinition von Unmündig, Jugendlicher, Junger Erw.
bezeichnet Verhaltensweisen, die bei Begehung durch Erwachsenen strafbar wären, aber mangels Schuldfähigkeit junger Täter nicht strafreht verfolgbar sind
Grenze der Strafmündigkeit von Land zu Land unterschiedlich => Ö mit Vollendung des 14. Lebensjahrs, davor “Kinderelinquenz”
meint eig die Delinquenz unmündiger Jugendlicher, besser “deviantes Verhalten”, da sie nicht strafmündig sind
Legaldefinition (§1 JGG):
=> Unmündiger, wer 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat
=> Jugendlicher, wer das 14. aber noch nicht 18. Lebensjahr vollendet hat
=> Junger Erwachsener, wer das 18., aber noch nicht 21. Lebensjahr vollendet hat
Jugendstrafrecht
umschreibt nicht, durch welche Handlungen sich Jugendliche strafbar machen
in Ö keine Statusdelikte (z.B. Schuleschwänzen)
in Ö für Jugendliche selbe Strafbestände zur Anwendung wie für Erwachsene
Jugendgerichtsgesetz (JGG) enthält Sonderregelungen, die Sanktionierung, Strafverfahren, Strafvollzug hinsichtlich Jugendlicher betreffen (manche gelten auch für junge Erwachsene)
JGG-Novelle 2015
Phase des Heranwachsens nicht mit Erreichen des 18. Lebensjahres abgeschlossen
Besonders an Adoleszenskrise ist spontane Remission beim Heranwachsen => der insb. zw. 17. und 20. Lebensjahr starke Anstieg der Kriminalitätsbelastung sinkt bis ca. zum 25. Lebensjahr wieder deutlich ab
Zuletzt Rückschritte:
mit JGG-ÄndG Sanktionspalette für Junge Erwachsene erweitert und Strafuntergrenzen an Jugendliche angeglichen
nach Regierungswechsel wieder Verschärfungen: junge Erwachsene bei schweren Delikten hinsichtlich Strafdrohung Erwachsenen gleichgestellt (Höchsstrafe von 15 auf 20 Jahre gehoben)
Diversion
= Rücktritt von der Verfolgung, wenn
nicht nach anderen §§ einzustellen
hinreichend geklärter Sachverhalt
nicht mehr als 5 J Freiheitsstrafe drohen
Schuld nicht schwer
nicht Tod eines Menschen verursacht
und wenn im Hinblick auf
Zahlung eines Geldbetrages
Erbringung einer gemeinnützigen Leistung
Probezeit
Tatausgleich
die Bestrafung nicht spezialpräventiv (bei Erwachsenen: generalrpäventiv) erforderlich ist
Arten von Jugendkriminalität
Entwicklungskriminalität:
alters-/entwicklungsbedingtes Austesten von Grenzen
ubiquitär
Reaktion u.U. entbehrlich/kontraproduktiv, da Kriminalität ohnedies vorübergehend
Frühkriminalität:
massives und/oder häufiges abweichendes Verhalten
kriminelle Karriere? “Intensivtäter”
Sonderregelungen im materiellen Strafrecht
Beispiele
eingeschränkte Strafbarkeit, wenn
jmd noch nicht reif genug, das Unrecht der Tat einzusehen oder danach zu handeln
Vergehen, vor Vollendung 16. Lebensjahres, kein schweres Verschulden und nicht aus besonderen spezialpräventiven Gründen Bestrafung geboten ist
geänderte Strafrahmen (Höchstmaß halbiert, Untergrenze entfällt)
Absehen von der Verfolgung gemäß § 6 JGG (Belehrung)
Schuldspruch ohne und unter Vorbehalt der Strafe
generell deutlicher Vorrang der Spezialprävention
geänderte Voraussetzunge bei Diversion
Sonderregelungen im Strafprozessrecht
kein Abwesenheitsverfahren
kein Mandatsverfahren (schriftliche Strafverfügung ohne Hauptverhandlung)
strengere Voraussetzungen der U-Haft
kürzere U-Haft-Fristen
SONEKO - Sozialnetzkonferenz z.B. als Untersuchungshaftkonferenz
Feministische Kritik am Strafrecht
Strafrecht patriarchales Instrument: starr, hierarchisch, auf eine Momentaufnahme fokussierend
Wird das Opfer-Werden von Frauen durch Feministen thematisiert (Feministischer Viktimismus):
a. “konserviere” die weibliche Verletzlichkeit
b. besser: alternative auf Selbsthilfe aufbauende Präventionsmaßnahmen?
Feministische Theorien zur Frauenkriminalität
Rollenerwartungen erzeugen Anpassungsdruck
Starke (Selbst-)Kontrolle im privaten Bereich, Beschränkungen im öffentlichen Bereich
Selbstdisziplinierung und Flucht in psychiatrische Auffälligkeiten, Depression
Mögliche Ursachen der untersch. Geschlechtsverteilung der Angezeigten bei versch. Nationalitäten?
untersch. Geschlechtsverteilung in Population
untersch. Lebensgewohnheiten
untersch. Sozialisation/Rollenbilder
untersch. Deliktsschwerpunkte
untersch. Anzeigebereitschaft
=> untersch. Frauenanteil bei Tatverdächtigen versch. Nationalitäten Hinweis, dass Sozialisation bzw. gesellschaftliche Einflüsse auch Ursache geringer Kriminalitätsbelastung
Mögliche Ursachen der untersch. Verurteilungswahrscheinlichkeit von Frauen und Männern?
andere Struktur der Kriminalität
weniger schwere Delikte
weniger gravierende Erscheinungsformen gleicher Delikte
weniger verwerfliche Motive
bessere Prognose
Kriminalitätstheorien
= Theorien, die in Abhängig jew. Menschenbilds erklären, warum jmd kriminelles Verhalten zeigt
Eintelungsmöglichkeit nach Menschenbild
Einteilungsmöglichkeit nach Einflussfaktoren
Halttheorie von Reckless
Einteilungsmöglichkeit nach Menschenbild
(Kriminalitätstheorie)
Indeterministisches Menschenbild:
Tradition der Aufklärung, Individuum handelt rational und eigenverantwortlich
Deterministisches Menschenbild:
Biologischer Determinismus, angeborene Veranlagung bestimmt indiv. Handeln
Sozialer Determinismus, soz. Einflüsse bestimmen individuelles Handeln
Biologische Kriminalitätstheorien
(Sozial-)Psychologische Kriminalitätstheorien (z.B. Halttheorie oder lerntheoretische Ansätze)
Soziologische Kriminalitätstheorien (z.B. Anomietheorie)
stellt dem inneren Halt (dem durch Erziehung vermittelten Selbstkonzept oder Selbsteinschätzung) den äußeren Halt (Identitäts-/Zugehörigkeitsgefühl durch Freunde, Religiosität o.ä.) gegenüber
wenn beides fehle, sei Weg in die Kriminalität vorprogrammiert
wenn nur einer fehle, könne der andere ein Kriminellwerden verhindern
Beispiel für eine Lerntheorie
Sutherland: Theorie der differentiellen Assoziation
kriminelles Verhalten wird erlernt (v.a. in intimen persönl. Gruppen)
erlernt werden Techniken sowie Motive
kriminell wird, wer mehr kriminelle als antikriminelle Verhaltensmuster lernt
Merton: Anomie resultiert aus Auseinanderklaffen kulturellel vorgegebener Ziele und legalen Möglichkeiten, sie zu erreichen (so erklärt er auch untersch. Kriminalitätsbelastung versch. soz. Schichten)
ergänzende Erklärungsversuche:
Etikettierungsansatz (labeling approach): Selektionsprozess durch Polizei, Justiz stigmatisiert Straftäter
Mehrfaktorenansatz: gibt nicht die Kriminalitätstheorie, sondern viele Faktoren der Anlage sowie Umwelt für Entstehung krim. Verhaltens ursächlich sind
Biologische & Biopsychologische Kriminalitätserklärungsansätze
Prostitutionsthese
Theorie der Passivität der Frauen
Menstruation & Kriminalität
Gleichverteilungs- & Ritterlichkeitsthese
Prostitutionsthese (Lombroso)
Lombroso erkannte gesteigerten Geschlechtstrieb & Unmöglichkeit der Umsetzung erworbener Fertigkeiten
Prostitution = Form weiblicher Kriminalität
anatomische/psychologische Übereinstimmungen zw. Prostituierten & Kriminellen
Frauen fehlt Intelligenz/Kraft zur Begehung tatsächlicher Verbrechen (Theorie der phys. Schwäche) => wenn Prostitution kriminalisiert: Gleichverteilung der Kriminalität
Kritik an These:
würde man Prostitution unter Strafe stellen, müsste man Vielzahl abweichender Verhaltensweisen auch
schädigt niemanden, wenn kriminalisiert auch Kunden
eben gesetzeskonformes Verhalten, im Bereich einfacher Vermögensdelikte hätten Frauen gleiche Chancen
Kritik an Theorie der Schwäche:
Frauen biologisch stärkeres Geschlecht (längere Lebenserwartung, Widerstandskraft gg Infektionen)
nicht gesamte Kriminalität steht in Beziehung zur körperlichen Kraft (Diebstahl, Mord mit Schusswaffe)
Frauen weniger Verbrechen aufgrund naturgegebener Passivität:
geringer ausgeprägter Geschlechtstrieb
Eizelle: passiver Part bei Fortpflanzung
Gegenargumente:
Passivität durch Sozialisation bedingt
Theorie vom persönlichen Frauenbild beeinflusst
Pulter 1937: Menstruation begünstige Straftaten wie Ladendiebstahl, Brandstiftung
Dalton 1961: fast Hälfte der Frauen begangen Straftaten während Menstruation oder prämenstrueller Phase
Ellis/Austin 1971: Empfehlung, bei Gewaltverbrechen in Familie nach Menstruationszyklus von Täterin/Opfer zum Zeitpunkt der Tat fragen
Menstruationszyklus nur einer mehrerer Zyklen, die als Biorhythmus Leben von Frauen & Männern beeinflussen
Stresssituationen können Zyklus beeinflussen, so Statistik verfälschen
je nach Definition zeitgleichen Umfanges von Menstruation und prämenstrualer Phase nicht erstaunlich, dass Hälfte der Frauen Straftaten in einen der Zeiträume verübte
bis WW2 galt Prostitution als Äquivalent zu Kriminalität, daher von Gleichverteilung abweichendes Verhaltens zw. Männern/Frauen ausgegangen (Gleichverteilungsthese)
Frauen können ihre Taten besser verschleiern + von Strafverfolgungsinstanzen milder behandelt werden (Ritterlichkeitsthese)
Soziologische Erklärungsmuster
weil Frauen ihre Männer ins Wirthaus begleiteten und Erleben sozialdemokratischer Agitation in Familie ihre Achtung vor Gesetz erschüttert habe
gestärkte Berufstätigkeit der Frau als Kriminalitätspotenzial (Liberation Theory / Emanzipationsthese)
Bewerkstelligung von Geschlecht
Biologische Geschlechtszugehörigkeit reicht nicht aus
Bewerkstelligung von Geschlecht nötig:
Jungen/Mädchen müssen sich vielmehr ständig zu ihrem soz. Geschlecht zugehörig darstellen
erfolgt bei Männern über männliche Domänen:
Nachwuchssicherung
Kontrolle sozialen Nahraumes
Sicherstellung der Versorgung
Ersatzressourcen
wo die nötigen legalen Ressourcen fehlen (Bildung, Einkommen, Vermögen, Familie, Freundin), dienen als Ersatzressourcen die, die Gefahr der Kriminalisierung in sich bergen:
Betonung heterosexueller Potenz (Nachwuchssicherung)
Gewalt-/Kampfbereitschaft (Kontrolle soz. Nahraumes)
Risikobereitschaft & Beschaffung von Luxusgütern (Sicherstellung der Versorgung)
Naturgemäße Gewaltaffinität des Mannes
Gegen Annahme naturgemäßer Gewaltaffinität des Mannes spricht, dass:
zw. versch. Männern innerhalb einer Kultur große Unterschiede in Gewaltbereitschaft
zw. versch. Kulturen & Epochen große Unterschiede in Häufigkeit/Sichtbarkeit von Gewaltphänomenen
Bewerkstelligung von Geschlecht durch Mädchen
betonte Weiblichkeit schwieriger darzustellen
schlank, attraktiv
teure Accessoires
Mutterrolle
Protestweiblichkeit (Randschichten)
Teilnahme an männlich dominierten Subkulturen
frühes Spielen mit Männern => frühe Mutterschaft (kein Ausstieg möglich) beides gesellschaftlich geächtet
Alterskriminalität
Lange unterschätzt:
alte Menschen eher als Opfer wahrgenommen
eher Bagatellkriminalität, viel im Dunkelfeld
viel weniger Forschung als Jugendkriminalität
Jugendkriminalität wegen Frühkriminalität eher gefürchtet
aber nicht unbedeutend:
aufgrund Verschiebung der Altersstruktur
Erkenntnis, dass manche Erscheinungsformen schwerwiegende Folgen (Sexualkriminalität, Gewalt im Rahmen der Pflege)
Haft für alte Menschen meist besondere Belastung
Alterskriminalität =
im weiten Sinn: gesamte Straftaten alter Menschen (60+)
im engen Sinn: Kriminalität, die auf körperlichen, psychischen, sozialen Prozess des Alterns zurückzuführen (und daher durch soz. Einwirkung auf Prozess bekämpft werden kann)
Altersgrenze bei Alterskriminalität
wo soll Altersgrenze verlaufen, alte Menschen = 60+ oder 65+?
Altersgrenze sinnvoll? => problematischer als bei Jugendkriminalität wegen großer Unterschiede in Abbauprozessen, aber Praktikabilität (auch in Forschung) fordert feste Grenze
im Strafvollzug:
ab 60+ bzw. sogar ab 50
Alterungsprozess verläuft in Haft tendenziell schneller
während in Freiheit große Lebensumstellung mit Pensionsantritt erfolgt (neuer sozialer Status), passierts bei Langstrafen mit Beginn der U-/Strafhaft
teils Alte (ab 50/60) vs hochbetagte (ab 70) unterschieden
Kriminalität des Alterns (Spätkriminalität)
Teilbereich der Alterskriminalität
Kriminalität des Alterns = Spätkriminalität im Sinne später Erstkriminalität (4/5 alter Verdächtigen erstmals angezeigt)
Sinn der Unterscheidung zw. Kriminalität des Alterns und anderer Alterskriminalität fraglich
Grenzen fließend
Großteil der Alterskriminalität = Spätkriminalität
Mögliche Ursachen von Spätkriminalität
finanzielle Nachteile/Sorgen, Not in Pension
Einsamkeit, Ausschluss, Heimunterbringung
fehlende Zukunftsperspektiven, Zukunftsängste, Todesfälle, Depression
mehr Freizeit, Langeweile, Erregen von Aufmerksamkeit
Verwirrtheit, Vergesslichkeit -> u.U. Aggression oder Falschbeschuldigung ggü Betreuer
Demenz, charakterliche Veränderungen
Erklärungsmodelle für geringe Kriminalitätsbelastung alter Menschen
Kriminalität der Schwäche:
Abnahme physischer / psychischer Stärke führt zu Abnahme der Kriminalitätsbelastung & veränderter Kriminalitätsstruktur
Hehlerei statt Einbruch, Ehrenbeleidigung statt KV, sex. Belästigung statt Vergewaltigung
Komplexität der Alterskriminalität spricht gegen Theorie
Kontrolltheoretischer Ansatz:
Straftaten alter Menschen eher Bagatellcharakter, daher seltener angezeigt (höheres Dunkelfeld)
zudem durch geringe Mobilität engmaschigere Kontrolle durch Familie oder Heim => weniger Tatgelegenheiten
Ältere verhalten eher normkonform, da Risikobereitschaft sinkt und Bereitschaft angepassten Verhaltens steigt
selektive gesellschaftliche justizielle Etikettierung (im familiären Umfeld bzw. Altersheimen Vorfälle seltener angezeigt)
Erscheinungsformen
Erklärungsmodelle passen nur auf best. Erscheinungsformen:
alte Täter von Sexualdelikten (häufig zerebrale Abbauerscheinungen)
ältere Ladendiebinnen (verstärkt alterstypische Depression)
aufgrund Komplexität der Erscheinungsformen: multifaktorielle, theorieübergreifende Erklärungen nötig!
spezielle Erscheiungsformen:
Mythos der “Lustgreise”
BKBZ geringer als andere Altersgruppen
Taten idR weniger schwerwiegend
Ursachen innerfamilärer Gewaltkriminalität in Zsmhang mit Pflege?
pathologische Täterpersönlichkeit
Abhängigkeitsthese
Pflegestress
These der Isolation
Ausländerkriminalität
Verzerrungsfaktoren bei statistischer Erfassung
Normen, gegen die nur Ausländer verstößen können
Kontrolldelikte, bei denen Aufmerksamkeit vorwiegend Ausländern gilt/von diesen begangen werden (SMG, Schlepperei, Urkundendelikte)
untersch. Anzeigebereitschaft (gegenüber Fremden typischerweise erhöht)
Bezugsgröße ausländischer Wohnbevölkerung, obwohl viele ausländische Tatverdächtige nicht dazu gehören
Verzerrungsfaktoren bei Berechnung der Kriminalitätsbelastung
Soziodemographische Struktur:
Geschlechtsverteilung (da Männer deutlich stärker kriminalitätsbelastet als Frauen)
Altersverteilung (da ältere Jugendliche/junge Erwachsene stärker kriminalitätsbelastet als andere Altersgruppen)
Sozialer Status (Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, mangelnde Perspektiven erhöhen Risiko zur Kriminalität)
Erfassung von Fremden in PSK
Anteil angezeigter Fremde an Tatverdächtigen steigt
=> 2014 35% Fremde, 2019 40% Fremde
ausschlaggebend ist fremde Staatsbürgerschaft (nicht Aufenthaltsdauer, Integration, Sprachkenntnisse oder Berufstätigkeit in Ö)
erfolgt in Kategorien nach Aufenthaltsstatus (Arbeitnehmer, Schüler, Student, Selbstständig, Tourist, Asylwerber, arbeitslos, nicht regelmäßiger Aufenthalt)
Bezugsgröße “Asylanträge im Erfassungszeitraum” ungeeignet, da Anträge lange offen; “Personen in Grundversorgung” ungeeignet, da nicht aussagt, ob Person in Ö bleibt, weiterhin als Asylwerber erfasst wird
Verurteilungsrate von Ausländern
sinkt langfristig so rasch wie bei Inländern (1998-2007 bei beiden ca. 20%)
Einflussfaktoren:
Deliktsstruktur (Verurteilungswahrscheinlichkeit bei Sachbeweis z.B. Beschlagnahme von Suchtgift höher)
Diversionsmöglichkeiten geringer (wg Sprachbarriere)
Verteidigung (Wahl- oder Pflichtverteidiger, bezirksgerichtliches oder Einzelrichterverfahren)
Mögliche Erklärung:
illegal Auffällige fehlen in Bezugsgröße
Alters-/Geschlechtsverteilung
gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen
Anzeigeverhalten von Gewaltopfern
fehlende Aufenthaltsperspektive
Verschiedene Kategorisierung von Kriminalität nach Art der strafbaren Handlung
Alltags-
Schwerst-
Wirtschafts-
Umwelt-
Organisierte Kriminalität
Alltagskriminalität
Kriminalität als Massenphänomen:
Schätzung auf Basis von Dunkelfelderhebungen + Hellfeld der Kriminalstatistik zeigen, Kriminalität = Massenphänomenen
Bagatelldelikte weit verbreitet (Ladendiebstahl, Suchtmittelmissbrauch) nicht Schwerstdelikte (Raub, Mord)
Nicht alle weitverbreiteten Delikte der Alltagskriminalität harmlos
Beispiel häusliche Gewalt
Gewaltbeziehungen, wiederholte psych/phys. Gewalt, haben verheerende Auswirkung auf Gesundheit & Entwicklungschancen der Opfer
hohe finanzielle Schäden für Gesundheitssystem/Wirtschaft
Gewaltkriminalität*
Gewalt keine allg. Definition, aber versch. Formen: physisch, psychisch, sexualisiert, strukturell
Definition (J. Galtung):
Gewalt, wenn Menschen so beeinflusst, dass ihre aktuelle somatische/geistige Verwirklichung geringer als ihre potenzielle
Das, was Abstand zw. Potenziellem/Aktuellem vergrößert, Verringerung des Abstandes erschwert
Strafrechtlich relevante Gewalt?
lange nur physische Gewalt im Zentrum strafrechtlicher Sanktionierung
aber gefährliche Drohung & Delikte gegen Ehre mittlerweile als genauso gravierend anerkannt
Situative vs Systematische Gewalt*
Situative Gewalt:
gewalttätiges Verhalten aufgrund konkreter Konfliktsituation
Systematische Gewalt:
in Hierarchie oder für Schaffung einer Hierarche ausgeübt
Ziel der Unterdrückung/Unterordnung
Gewaltverbot in Kindererziehung
minderjähriges Kind hat Anordnung der Eltern zu befolgen
Eltern haben bei Anordnungen/Durchsetzung auf Alter, Entwicklung, Persönlichkeit des Kindes Bedacht zu nehmen
Anwendung von Gewalt & Zufügung körp./seel. Leides sind unzulässig
Warum zeigen Opfer Gewaltprobleme nicht auf?*
Scham, Schuldgefühle, mangelnde Ressourcen zur Bewältigung, Angst vor Täter/Ausgrenzung, Abhängigkeit von Täter, keine Alternativen (finanziell, Aufenthaltsrecht), Verantwortung ggü Familie, Schein/Illusion der Liebe wahren
wollen gewalttätigen Partner nicht nachhaltig schaden
konnten lange (bis Inkrafttreten 1. Gewaltschutzgesetzes) keinen adäquaten Schutz/Unterstützung von staatl Institutionen erhoffen
Spezielle Dynamik häuslicher Gewalt*
war Sicherheitskräften unbekannt
spezielle Dynamik von Beziehungsgewalt erschwert Ausstieg
längeres Erdulden gewalttätiger Übergriffe => bedingungslose Anpassung/Unterordnung/Traumatisierung des Opfers => eingeschränkte Handlungsfähigkeit (erlernte Hiflosigkeit)
=> Abhängigkeit/Traumatisierung der Opfer führt oft zu Fehldeutungen der Verhaltensweisen von Opfer (Lösen von gewalttätigen Partner braucht oft 3-4 Jahre und Polizeieinsatz)
Was bewirkt eine polizeiliche Aussage?
wird polizeiliche Anzeige wegen Gewalttat erstattet, wird Strafverfolgung eingeleitet
vor 1997 für Täter/Opfer privat vorläufig nichts geändert (ggf. weiter zusammenleben, während Strafverfahren etc. als Stressfaktoren hinzukommen)
Strafrechtliche Reaktion: Mögliche Nachteile für Opfer*
Geldstrafen können überwälzt werden
Freiheitsstrafen bringen vorübergehende Sicherheit aber uU steigende Gewaltbereitschaft des Verurteilten
Diversionelle Maßnahmen, Einstellungen, Strafen können als Verharmlosung erlebt werden
ATA (Außergerichtlicher Tatausgleich) bei Gewalt in Familie*
Pros & Contras
Pro:
ATA kann Defizite formellen Verfahrens ausgleichen (Opfer wird nicht auf Zeugenrolle reduziert)
Opfer erhält symbolische Genugtuung + finanz. Entschädigung
Täter muss sich mit Straftat wirklich auseinandersetzen
jedenfalls besser als folgenlose Einstellung
Contras:
Problematisch: in assymetrischen soz. Machtbeziehungen
Herkömmliches Strafverfahren bietet mehr Normverdeutlichung durch demonstrativ autorativen Schutz
Frauen(haus)bewegung & Polizei
von Konkurrenz/Kritik zur Zusammenarbeit
Verständnis durch bessere Kenntnis der Problemlage
lange fehlte Polizei geeignetes Instrumentarium
Motivationsprobleme seitens Polizei (Privatsphäre, Widerstand von Täter/Opfer, wiederholte Einsätze in selber Beziehung)
Mitarbeit von Frauenhausbewegungs-Vertretern an Konzeption von Schulungen für Polizei im Zusammenhang mit Gewaltschutzgesetz
Betretungsverbot vs Streitschlichtung*
bei Voraussetzungen von §38a SPG sollte mit Betretungsverbot vorgegangen werden (aber nicht zwingend: Gesetzeswortlaut spricht nur von Ermächtigung)
Streitschlichtung:
weniger Aufwand an Dokumentation/Intervention
wirkt nicht präventiv, sondern eher verhamlosend
Betretungsverbot*
Voraussetzung: (drohender) gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit
Durchsetzung: Wegweisung des gefährdenden Menschen aus Wohnung, die gefährdete Person bewohnt & aus unmittelbarer Umgebung
Besitzverhältnisse an Wohnung irrelevant
Dauer: 2 Wochen
Verletzung (in Wien ca. 1/10) = Verwaltungsübertretung (d.h. Festnahme möglich)
Betretungsverbot = Eingriff in Grundrechte (+ kein richterlicher Entscheid), daher:
zeitlich begrenzt
Überprüfung der Anordnung innerhalb 48h + Information bei Aufhebung
Umsetzung der Wegweisung*
Schlüsselabnahme
Abklären von Unterkunftsmöglichkeit (+ neue Zustelladresse)
„Kofferpacken“ unter Aufsicht
Genaue Dokumentation
Informationsblatt
Information der Interventionsstelle bzw. Gewaltschutzzentren (falls Kinder betroffen: des Kinder- und Jugendhilfeträgers)
Was passiert in den
Ersten 2 Wochen des Betretungsverbots?*
Überprüfung von:
Zulässigkeit der Maßnahme innerhalb 48h
Einhaltung des Verbotes innerhalb erster 3 Tage
Interventionsstelle nimmt Kontakt mit gefährdeter Person auf
Gefährdete Person entscheidet:
Beziehung fortsetzen
Längere „Bedenkzeit“ (bis 3 Monate) (Antrag auf einstweilige Verfügung)
Trennung (EV + Scheidungs-, Räumungsklage etc.)
Einstweilige Verfügung*
Voraussetzungen gemäß § 382b EO
Vorteil gegenüber Klage
Voraussetzungen:
(drohender) körperlicher Angriff oder Psychoterror
dringendes Wohnbedürfnis des Antragstellers, wenn weiteres Zusammenleben unzumutbar
(nicht mehr auf nahe Angehörige beschränkt!)
Vorteil gegenüber regulärer Klage:
wesentlich rascher!
„Bescheinigung“ der Voraussetzungen reicht
u.U. einseitig, dh in dringenden Fällen muss Gegner nicht mal gehört werden
=> deshalb auch grs nur „einstweiliger Charakter”
Gewaltschutzgesetz*
baut auf Zusammenspiel von:
SPG Sicherheitspolizeigesetz (Verwaltung)
EV Einstweilige Verfügung (Justiz)
Polizei muss bei Wegweisung auch Umstände erheben, die für Erlassung einer EV entscheidend
Antrag auf EV verlängert Wegweisung bis 4 Wochen, um durchgehenden Schutz der gefährdeten Person zu ermöglichen, wenn Gericht enstprechend schnell entscheidet
vor Einbringung eines Antrages muss Gericht unverzüglich Sicherheitsbehörde informieren
Gewalt im sozialen Raum*
Besondere Bedeutung
weit verbreitetes Phänomen (Eine von Fünf)
von patriarchalen hierarchisch gesellsch. System lang geduldet und durch strukturelle Schlechterstellung von Frauen/Kindern heute noch begünstigt
als Ursache des Gewaltkreislaufes werden Opfer wahrscheinlicher wieder Opfer/Täter (als Menschen, die keine Gewalt erlitten)
gravierende gesundh./wirtsch. Schäden
Geringe Strafdrohung für einfache Körperverletzung
wird insb. dem Unwert typischer Gewaltkreisläufe nicht gerecht
verhinderte Verhängung von U-Haft bei vielen Wiederholungstätern
neuer Straftatbestand des §107bStGB
Paradigmenwechsel durch Gewaltschutzgesetz
Täter muss gehen, nicht Opfer
Initiative/Verantwortung bei Staat, Schutz erfolgt gegen Willen des Opfers
Proaktive Unterstützung des Opfers durch Gewaltschutzzentren/Interventionsstelle (Hilfe wird an Opfer herangebracht, muss nicht von sich aus Initiative)
Ansprechpartner für weibliche Gewaltopfer außerhalb Familie und Freunden: Ärzte, Frauenberatungs-/Zufluchtseinrichtungen & Polizei
=> Warum sprechen Ärztinnen Opfer selten von sich aus an?
erfordert Mut, Fachwissen und Kenntnisse in Gesprächsführung
mangelndes Fachwissen über Gewaltphänomen und Kontakte zu Hilfseinrichtungen
Angst, mit den Mitteilungen/Emotionen nicht umgehen zu können
strukturelle Probleme: Zeitnot, Arbeitsbelastung
Strafrechtliche Anzeigepflicht*
(+ Vorteile/Nachteile)
neben Anzeigepflicht im Gesundheitsbereich auch “Mitteilungspflicht” bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung
Verschwiegenheitspflicht als Regelfall (Ausnahme: Entbindung durch Patient, Kindeswohl, gesetzl. Anzeige-/Meldepflicht)
Vorteile ärztlicher Anzeigepflicht:
Opfer wird der Verantwortung (ggü Täter) enthoben
Chance auf Veränderung der Situation
und Nachteile:
Gefahr der Eskalation
Gefahr, dass Opfer, die keine Anzeige wünschen, deshalb auf med. Behandlung verzichten
Wer unterstützt Ärztinnen & andere Verteter der Gesundheitsberufe?
Opferschutzgruppen in Schwerpunktkrankenhäusern, evtl. über informelle Kontakte
Polizei & Opferhilfseinrichtungen
Informationsbroschüren von Hilfeeinrichtungen im Warteraum/WC
Schwerstkriminalität
keine einheitliche Definition, am ehesten definierbar: jene Erscheinungsformen der Kriminalität, die man als Indikatoren für Sicherheitslage eines Landes betrachten kann
z.B. Panama Papers: Millionenfache Steuerhinterziehungen als Schwerskriminalität gegen Gemeinwesen
Wirtschaftskriminalität
Definition
erster Ansatz: sozialschädliches Verhalten, im Wirtschaftsleben, mit Strafe bedroht
kriminologischer Ansatz: Was ist das Besondere an Wirtschaftskriminalität? Besondere Qualität/Bedrohung?
Handlungen im Rahmen tatsächlicher/vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung, die
über Schädigung eines einzelnen hinaus Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder Allgemeinheit schädigen kann
Ansatz der Praxis: Zweck: Definition für Abgrenzung der Spezialzuständigkeit von Strafverfolgungsbehörden
Beispiel: Zuständigkeit der WKStA (Wirtschafts-/KorruptionsStA) und Fachabteilungen beim LGStWien (Landesgericht für Strafsachen):
Reihe von Vermögensstraftaten/Finanzvergehen, wenn aufgrund best. Tatsachen anzunehmen, dass Schaden 5 Mio € übersteigt
manche, wenn SChaden vorauss. 3000€ übersteigt: z.B. verbotene Absprachen in Vergabeverfahren oder Geschenkannahme durch Machthaber
manche Delikte jedenfalls: z.B. organisierte Schwarzarbeit oder Pyramidenspiele
Wirtschaftskriminalität als White-Collar-Crime / Weißer-Kragen-Kriminalität (Sutherland)
Straftat einer scheinbar ehrbaren Person
mit hohem sozialen Ansehen
im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit
=> damit Vorurteil abbauen, kriminelles Verhalten komme nur in Unterschicht vor (Zweck: sozialkritischer Ansatz)
Notwendigkeit einer Spezialzuständigkeit?
Für eine Spezialzuständigkeit spricht:
spezielle Rechtsmaterien: AG, GmbHG, Vergabe/Bilanzrecht
hochspezialisierte Taktiken, Rechtsvorschriften auszuhebeln und faktisch Aufklärung zu erschweren
extrem umfangreiche Akten, die die Erledigung in Teams nahelegen
Spezialzuständigkeit erleichtert Absprache mit Zuständigen in anderen Behörden
Beispiel: Baubetrug mittels Scheinfirmen
Probleme bei Ermittlung in Wirtschaftsstrafsachen
wenig Ermittlungshandlungen: viele Verfahren monate-/jahrelang offen, ohne dass Ermittlungshandlunge gesetzt werden
wenn überhaupt, dann ergeht oft nur pauschaler Ermittlungsauftrag der StA
Mögliche Gründe der mangelnden Ermittlungstätigkeit der Staatsanwälte
Zeit-/Personalmangel:
Empfehlung: mehr Personal, Sperre für Neuanfall bei Anfall von Großakten, Punkte- statt Fallzählung in Erledigungsstatistik
Ratlosigkeit: mangelnde Kenntnis der Staatsanwaltschaft:
Empfehlung: Schulungen zur typischen Erscheinungsform des Sozialbetrugs
gezielte Ermittlungen bei Verdacht auf Scheinfirmen und faktische Arbeitgeber
Sonderzuständgikeit & Behördenkooperation:
Empfehlung: Sonderzuständigkeit unabhängig von Wertgrenze einführen
Wiederbelebung einer Task-Force für behördenübergreifende Kooperation in Großverfahren
Erarbeitung eines Leitfadens zur Bekämpfung von Sozialbetrug und Durchführung von Fortbildungen
Verfolgung des Geldflusses:
Empfehlung: Kostentragung bei Bankenauskunft
Verschärfung der "Geldwäsche-Meldepflichten"
Ausforschung der Auftraggeber gemäß VbVG (Verwaltungsstrafverfahrensgesetz)
Erklärungsansätze zur Wirtschaftskriminalität
Theorie der differentiellen Gelegenheiten
Theorie der rationalen Wahl
psychoanalytischer Ansatz: moralisch zurückgebliebenes Überich
Neutralisationstechniken: Ich hole mir nur das was mir zusteht
Umweltkriminalität
umfasst Handlungen, die gegen Normen verstoßen, die dem Schutz der Umwelt dienen und strafrechtlich abgesichert oder doch so gravierend sind, dass stafrechtliche Sanktionierung sinnvoll erscheint
Überschneidungen mit Wirtschaftsrecht
Bedeutung erst spät erkannt:
=> Reakterunglück von Tschernobyl (1986) bis 1998 12.000 Todesopfer, immer noch Kresberkrankungen, in Ö tw. noch erhebliche Belastung des Bodens
=> 1984: Luftverschmutzungskatastrophe von Bhophal: 3000 Tote, tausende blind, 100.000 Verletzte
=> zuletzt in Ö: HCB-Skandal in Kärnten & andere Altlasten
Maßnahmen gegen Umweltkriminalität
um Anzeigebereitschaft zu mobilisieren wurde 2002 beim Bundeskriminalamt Meldestelle Umweltkriminalität errichtet
Kriminalisierung verdeutlicht hohen Wert
abschreckende Wirkung hängt v.a. von Wahrscheinlichkeit ab, mit der Verstoß entdeckt/angezeigt/Sanktion verhängt wird
in Verbandsverantwortlichkeit kann auch Höhe der Strafe entscheiden, da hier Abwägung von Vor-/Nachteilen einer Rechtsverletzung möglich
Zuständigkeit der Meldestelle für Umweltkriminalität
Straftaten gegen Umwelt (Boden-, Luft-, Wasserverunreinigungen)
illegale Abfalllagerungen/-transporte
Kurpfuscherei (“Wunderheiler”)
Tierquälerei oder illegaler Besitz/Handeln geschützter Tiere/Pflanzen
Gefährdung von Menschen durch unerlaubten Umgang mit radioaktiven Stoffen, Brandstiftung, übertragbare meldepflichtige Krankheiten, illegal hergestellte
Straftatbestände der Umweltkriminalität (§§ 180-183b StGB)
vorsätzliche fahrlässige Beeinträchtigung der Umwelt
schwere Beeinträchtigung durch Lärm
vorsätzlicher fahrlässiger umweltgefährdender Umgang mit Abfällen
grob fahrlässig umweltgefährdendes Betreiben von Anlagen
Schädigung des Tier-/Pflanzenbestandes bzw. von Lebensräumen
andere Tatbestände wie:
vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen
vorsätzliche und fahrlässige Gemeingefährdung
unerlaubter Umgang mit Kernmaterial/Stoffen, die zum Abbau der Ozonschicht beitragen
Andere Instrumente der Umweltkriminalität
Informelles Staatshandeln (insb. Öffentlichkeitsarbeit)
Marktwirtschaftliche Instrumente (ökon. Anreize, Umweltabgaben, Finanzierungshilfen, Vergaberecht)
Administrative Kontrollinstrumente (Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung)
Geltende EU-Richtlinie zu strafrechtlichen Schutz der Umwelt
Rechtswidrige Handlung, die vorsätzliche/grob fahrlässig begangen wurden sind
jedenfalls mit wirksamen, angemessenen, abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen unter gerichtliche Strafandrohung zu stellen
und auch Anstiftung & Beihilfe zu diesen Handlungen
Definition nach Jay S. Albanese
beständiges kriminelles Unternehmen, das rationell darauf abzielt, durch illegale Aktivitäten, die häufig nachgefragt werden, Profit zu erzielen
Existenz durch Gewaltanwendung, Bedrohungen, Monopolstellung, Korruption öffentlich Bediensteter
bleibt meist im Dunkelfeld
Hinweise/Marker auf ihr Vorliegen
wahrgenommene Org. K
instrumentelle Gewalt
hochgradige Korruption
Geldwäsche
Ausmaß der Schattenwirtschaft
hohe Zahl unaufgeklärter Morde
Entstehungsbedingungen
fehlendes Vertrauen in staatliche Akteure
mangelnde soz. Absicherung
Schwarzmarkt
Korruptionsanfälligkeit von Beamten
Geld-/Machtgier
Menschenhandel*
Was ist strafwürdiger Menschenhandel?
=> erst 2000 im UN-Menschenhandels-Protokoll definiert:
Anwerbung, Beförderung, Beherbergung, Verbringung oder Empfang von Personen
durch Androhung/Anwendung von Gewalt/anderer Formen von Nötigung,
durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht, Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit
oder durch Gewährung/Entgegennahme von Zahlungen/Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat,
zum Zweck der Ausbeutung
Menschenhandelsdelikt (3 Elemente)
bzw. Voraussetzungen für Strafbarkeit
Handlung (Anwerbung, Beförderung, Verbringung)
Mittel (Gewalt, Betrug, Täuschung)
Vorsatz auf Ausbeutung (in Prostitution, Haushaltsarbeit, Bauindustrie, Straßenbettelei)
Menschenhandelsdelikt*
Rechtliche Schwächen des Straftatbestandes
knüpft nicht an eigentlich verwerfliche, sondern an sich wertneutrale Handlungen an
erweiterter Vorsatz bei arbeitsteiliger Org. schwer nachweisbar
gibt nach wie vor kein allg. Ausbeutungsdelikt, insb. nicht, wenn Inländer betroffen
Faktische Schwächen des Straftatbestandes
Opfer als “Mittel zum Zweck”
Aufenthaltsrecht nur solange ein Strafverfahren anhängig ist
Erholungs-/Bedenkzeit (laut Europaratskonvention bei Verdacht verpflichtend) wird einschränkend ausgelegt und ist nicht gesetzlich verankert
Schlepperei vs. Menschenhandel*
Unterschied und Zusammenhang
Unterschiede:
Schlepperei: im Interesse der geschleppten Person
Menschenhandel: Ziel: Ausbeutung der betroffenen Person
Zusammenhang:
Kriminalisierung der Schlepperei führt zur Dominanz krimineller Organisationen
Motiv der Organisationen ist Gewinnstreben, nicht Humanität
Schuldknechtschaft entsteht, wenn Migranten Schlepper nicht zahlen können => Schulden im Zielland unter ausbeuterischen Bedingungen abzuarbeiten
Ausbeutung
zur Verwirklichung des Straftatbestand “Menschenhandel” Ausbeutung nicht erforderlich, vielmehr reicht Vorsatz, dass es zu Ausbeutung kommen könne
Ausbeutung nicht nur sehr eingeschränkt gerichtlich strafbar, nämlich
wenn Ausgebeuteten Ausländer sind
wenn Ausbeutung im Zuge der Zuhälterei stattfindet
Unterschied “Ausnützen” vs “Ausbeuten”
Ausnützen einer Prostituierten: wenn Täter für empfangene materielle Vorteile keine oder verhältnismäßig geringe Gegenleistung erbringt
Ausbeutung: rücksichtsloses, mit erheblichem Nachteil für Opfer verbundenes finanzielles Ausnützen
Hauptproblem
Hauptproblem: Identifizierung der Opfer
Opfer werden oft nicht als solche erkannt, sondern nur nach Fremdengesetz beamtshandelt oder wegen Diebstahl/Urkundendelikten strafrechtlich verfolgt
braucht noch mehr Schulungen für betroffene Berufsgruppen/Bewusstseinsbildung
Opfer sehen sich selbst nicht als Opfer
keine alternative Einkunftsmöglichkeit, soz. Absicherung
daher solidarisch mit Arbeitgeber (Beruf in Sexarbeit zum Teil bewusst gewählt, z.B. wg Arbeitszeiten oder Einkommens ohne Ausbildung/Sprachkenntnisse)
Manche Opfer können sich (oder Angehörige) mit Aussage in Gefahr begeben
Angst vor Vergeltung
Angst, keinen Job mehr zu erhalten
Angst vor Abschiebung/Ausgrenzung im Heimatland
kein gesichertes Aufenthaltsrecht
Unterstützungseinrichtungen teilweise nicht ausreichend bekannt
Menschenrechtsbasierter Zugang
Wichtige Vorgaben der Europaratskonvention gegen Menschenhandel:
“Erholungsphase”/Bedenkzeit allen potentiellen Opfern von Menschenhandel zu gewähren, um erholen und fundierte Entscheidung treffen zu können, ob sie mit Behörden kooperien wollen
Zugang zu Aufenthaltsrecht
Unterstützung der Opfer im Vordergrund
Österreichische Einrichtungen zur Bekämpfung von Menschenhandel auf pol. Ebene
Task-Force Menschenhandel koordiniert vom Ministerium für europ. und intern. Angelegenheiten
ECPAT gegen Kinderhandel
FRA - Europäische Grundrechtsagentur
IOM - International Organisation for Migration Österreich
Einsatz für Unterstützung Betroffener von Menschenhandel
LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel
MEN-VIA zur Unterstützung männlicher Betroffener
“Kinderdrehscheibe” (nur ca. 10% MH-Opfer?)
Herzwerk - Einrichtung der Diakonie
Solwodi - Betreuung von Frauen, die nicht Anzeige erstatten können/wollen
KAVOD (aufsuchende Sozialarbeit)
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