Was versteht man unter der Neuroplastizität des Gehirns?
Unser Gehirn ist ein äußerst faszinierendes und einzigartiges Organ
Wir werden nicht etwa mit einem fertigen Gehirn geboren, sondern dieses verändert sich während der Kindheit, aber vor allem später während der Pubertät und der Adoleszenz noch stark in seiner Struktur, seiner Neurochemie und seiner Vernetzung
Aber selbst nach diesen frühen neuronalen Reifungsphasen ist das Gehirn nicht starr und fest verdrahtet, sondern verändert sich ein Leben lang
Es unterliegt ständigen Umbauprozessen und neuronalen Anpassungen, und zwar immer dann, wenn sich in unserer Umwelt etwas ändert, wenn wir etwas lernen oder auch, wenn Schädigungen des Gehirns, z. B. durch eine Läsion oder einen Schlaganfall, vorliegen
Das bezeichnet man generell als Neuroplastizität
Wo findet das Lernen im Gehirn statt?
Lernen findet im Gehirn grundsätzlich an den Synapsen, also den chemischen Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen, statt.
Welche 2 Arten der Informationsübertragung gibt es zwischen 2 Nervenzellen?
Informationsweiterleitung und Kommunikation zwischen Nervenzellen beinhalten grundsätzlich zwei Vorgänge:
die elektrische und
die chemische Signalübertragung
Wie läuft die chemische Informationsweiterleotung ab?
Im Soma der Nervenzelle werden die eingehenden Nervenreize zusammengeführt und von dort über die Axone bis zu deren Ende weitergeleitet
Von hier wird die Erregung nun an die Dendriten der folgenden Nervenzelle weitergeleitet, und zwar über die Synapsen, bestehend aus Präsynapse und Postsynapse
Zur Weitergabe von Information zwischen den Nervenzellen dienen die Neurotransmitter
Erreicht ein elektrischer Reiz das Ende einer Nervenzelle und damit die Präsynapse, werden Neurotransmitter freigesetzt, die zur Postsynapse diffundieren, um dort spezifische Rezeptoren zu binden und zu aktivieren
Je nach spezifischem Transmitter und Rezeptor kann dabei eine Aktivierung oder Hemmung der Postsynapse erfolgen
Diese Art der chemischen Signalübertragung ist zwar langsamer als die elektrische Informationsweiterleitung, dafür kann aber durch die verschiedenen chemischen Botenstoffe eine Modulation des übermittelten Signals erfolgen
So konnte gezeigt werden, dass Synapsen z. B. in der Lage sind, die Effektivität der Informationsübertragung zu variieren (synaptische Plastizität)
Was versteht man unter synaptischer Plastizität?
Synapsen sind z. B. in der Lage, die Effektivität der Informationsübertragung zu variieren (synaptische Plastizität)
Welche 2 Formen der langfristigen Effektivitätsveränderungen synaptischer Informationsübertragung werden generell als die Grundlagen des Lernens betrachtet?
Zwei spezielle Formen der langfristigen Effektivitätsveränderungen synaptischer Informationsübertragung werden generell als die Grundlagen des Lernens betrachtet
So kann eine Synapse durch die sogenannte Langzeitpotenzierung („Long-term Potentiation“, LTP) verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoff ausschüttet oder mehr Botenstoffrezeptoren bildet
Die Signalübertragung an einer Synapse kann allerdings auch durch Langzeitdepression („Long-term Depression“, LTD) verringert werden
Was entsprechen LTP und LTD nach Donald Hebb?
LTP und LTD sind dabei die neurophysiologischen Entsprechungen der von Donald Hebb bereits in den 1940er-Jahren postulierten Theorie zur Grundlage von Lernprozessen
Warum gilt Donald Hebb als Urvater der synaptischen Plastizität?
Donald Hebb gilt mit seinen 1949 postulierten Hebb‘schen Regeln als der Urvater der synaptischen Plastizität, und seine Theorien zählen mit zu den bedeutendsten Meilensteinen der Neurowissenschaft im 20. Jahrhundert
Hebb stellte als Erster die Theorie auf, dass synaptische Verstärkung die Grundlage von assoziativem Lernen darstellt
Er formulierte dabei in seinem Buch „The Organization of Behavior“
Wie erklärt Donald Hebb die Plastizität?
„Wenn ein Axon der Zelle A […] Zelle B erregt und wiederholt und dauerhaft zur Erzeugung von Aktionspotentialen in Zelle B beiträgt, so resultiert dies in Wachstumsprozessen oder metabolischen Veränderungen in einer oder in beiden Zellen, die bewirken, dass die Effizienz von Zelle A in Bezug auf die Erzeugung eines Aktionspotentials in B größer wird.“
Wovon ging Donald Hebb aus, was war sein genialer Befund und wie bezeichnete er das?
Er ging also davon aus, dass, je öfter eine bestimmte Nervenzelle (A) gleichzeitig mit einer weiteren Nervenzelle aktiv ist (B), umso eher beide Zellen bei Aktivierung aufeinander reagieren werden
Der geniale Befund von Hebb war dabei die Gleichzeitigkeit der neuronalen Aktivität
Er drückte das so aus: „What fires together, wires together“ (ebd.) – also: Was gemeinsam feuert, verbindet sich
Wann wurde Donald Hebbs Theorie bestätigt?
Erst einige Jahre später zeigte sich, dass diese Annahmen von Hebb tatsächlich ein neurophysiologisches Korrelat mit den Phänomenen der LTP und der LTD haben – eine gleichzeitige Aktivierung sogenannter Hebb-Synapsen verstärkt (oder schwächt) deren Bindung durch Wachstumsprozesse und/oder Stoffwechseländerungen
Langzeitpotenzierung (LTP)…
LTP bezieht sich ganz allgemein auf eine lang anhaltende Verstärkung der Effektivität der Informationsübertragung an einer Synapse und kann in unterschiedlichen Regionen des Gehirns stattfinden, wie beispielsweise Hippocampus, Kortex, Amygdala oder auch im Kleinhirn
Grundvoraussetzung für die LTP ist das Vorhandensein einer glutamatergen Synapse (synaptischer Botenstoff ist Glutamat) sowie die Anwesenheit zweier Typen von Rezeptoren für den Botenstoff Glutamat:
der N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)- und Non-NMDA-Rezeptoren, wie dem AMPA-(„α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid“-)Rezeptor
Der NMDA-Rezeptor ist ein Ionenkanal, der in der Zellmembran sitzt und bei Öffnung Ionen hindurch lässt
Die Besonderheit des NMDA-Rezeptors liegt darin, dass er im Ruhezustand durch ein Magnesium-Ion verschlossen ist, d. h., selbst wenn der Botenstoff Glutamat an den Rezeptor bindet, passiert zunächst nichts und der Kanal bleibt geschlossen
Anders die AMPA-Rezeptoren, an denen Glutamat immer seine Wirkung entfaltet
Erregung der postsynaptischen Membran durch Glutamat führt daher zu deren Depolarisation durch die AMPA-Rezeptoren und damit zur Bildung eines exzitatorischen postsynaptischen Potenzials (EPSP)
Fällt diese Erregung etwas schwächer aus, bleiben die NMDA-Kanäle geschlossen, da sie weiterhin durch den Magnesiumblock blockiert sind
Nur bei einer hochfrequenten wiederholten Depolarisation oder gleichzeitiger Depolarisation durch mehrere Synapsen kommt es zur Öffnung des spannungsgesteuerten NMDA-Rezeptors
Das führt zu einem Calcium-Einstrom in die Postsynapse, der wiederum verschiedene Enzymsysteme aktiviert (z. B. Proteinkinasen)
Das bewirkt wiederum verschiedene Verstärkungsmechanismen der Übertragung
Beispielsweise kann durch den verstärkten Einbau von AMPA- und Kainat-Rezeptoren (beide Glutamatrezeptoren) und/oder die Phosphorylierung bestehender Rezeptoren die Sensitivität der postsynaptischen Membran für Glutamat erhöht werden
Zudem kann es zu einer Aktivierung sogenannter retrograder Botenstoffe kommen, die von der postsynaptischen zurück zur präsynaptischen Seite diffundieren und dort die Freisetzung von Glutamat modulieren
Beispiele für diese retrograden Botenstoffe sind vor allem Endocannabinoide – die Botenstoffe des endocannabinoiden Systems –, aber auch Gase wie Stickstoffoxid (NO) oder Neuropeptide
Die LTP kann über mehrere Stunden bis Tage anhalten und sogar zu potenziellen langfristigen baulichen Veränderungen der Struktur der Synapse führen
Worauf bezieht sich LTP und in welchen Gehirnregionen findet es statt?
Was ist die Grundvoraussetzung für die LTP?
Grundvoraussetzung für die LTP ist das Vorhandensein
einer glutamatergen Synapse (synaptischer Botenstoff ist Glutamat) sowie
die Anwesenheit zweier Typen von Rezeptoren für den Botenstoff Glutamat:
der N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA)- und
Non-NMDA-Rezeptoren, wie dem AMPA-(„α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid“-)Rezeptor
Inwiefern unterscheiden sich die NMDA und AMPA Rezeptoren?
(LTP)
NMDA
AMPA
Was passiert nach Öffnung der AMDA Rezeptoren?
Was sind beispielsweise retrograde Botenstoffe?
Wie lange hält eine LTP an?
Langzeitdepression (LTD)…
Die LTD ist gewissermaßen das Gegenteil zur LTP:
Es handelt sich hierbei um eine langfristige Senkung (Depression) der Effektivität der synaptischen Übertragung
Sie wurde vor allem im Kleinhirn und im Hippocampus untersucht
Die LTD findet sich beispielsweise an einem speziellen Zelltyp des Kleinhirns – den sogenannten Purkinjezellen
Purkinjezellen werden von drei unterschiedlichen Fasereingängen innerviert
Liegt eine gleichzeitige Erregung zweier dieser Eingänge vor – den Kletterfasern und den Parallelfasern –, so kommt es zu einer langfristigen, mehrere Stunden andauernden Hemmung der Informationsübertragung zwischen den Parallelfasern und Purkinjezellen
Es findet also eine LTD statt
Molekular sind wiederum die Glutamat-Rezeptoren von Bedeutung
Die LTD wird durch die gleichzeitige Aktivierung zweier glutamaterger Rezeptoren versursacht
Einer der Rezeptoren ist dabei der klassische AMPA/Kainat-Typ
Diese Rezeptoren werden durch die Kletterfasern angesteuert und bewirken eine Depolarisation der Membran mit Ca2+-Einstrom
Kommt es gleichzeitig zur Stimulation der Parallelfasereingänge, so aktivieren die dabei freigesetzten hohen Glutamatkonzentrationen auch einen metabotropenGlutamatrezeptor
Hierbei handelt es sich um einen GTP- (Guanosintriphosphat-) oder auch kurz G-Protein-gekoppelten Rezeptor, der die Inositoltrisphosphat-(IP3-)Kaskade aktiviert
IP3 löst die Freisetzung von Calcium aus intrazellulären Speichern aus
Diese gemeinsame Erhöhung der Calcium-Konzentration führt wiederum zur Aktivierung von NO und im Weiteren über eine Aktivierungskette intrazellulärer, sekundärer Botenstoffe zu einer lang anhaltenden Desensitisierung der AMPA-Rezeptoren an der postsynaptischen Membran
In den vergangenen Jahren konnte zudem gezeigt werden, dass wie bei der LTP das endocannabinoide System auch bei der LTD eine wichtige Rolle als neuromodulatorisches Botenstoffsystem übernimmt
Was ist die LTD und wo findet sie statt?
Wie findet eine LTD statt?
Was ist molekular bei der LTD von Bedeutung?
Wie läuft de LTD auf dieser Ebene ab?
Kommt es gleichzeitig zur Stimulation der Parallelfasereingänge, so aktivieren die dabei freigesetzten hohen Glutamatkonzentrationen auch einen metabotropen Glutamatrezeptor
Was versteht man unter metabotropen Rezeptoren?
Ein metabotroper Rezeptor ist ein Zellmembran-Rezeptor
Hauptunterschied zum ionotropen Rezeptor ist, dass weitere Signalkaskaden und Second-Messenger-Prozesse ausgelöst werden
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