Prüfung Notwehr gem. § 32 StGB
Immer zuerst prüfen! => die Notstandshandlungen greifen nur dann ein, wenn eine Notwehrhandlung ausscheidet
Notwehrlage/Nothilfelage
Notwehrhandlung/Nothilfehandlung
Gebotenheit
Subjektives Rechtfertigungselement (Verteidigungswille)
Die Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut des Täters oder eines Dritten voraus.
Auch bei Angriff auf einen Dritten => „Nothilfe“ => auch in Klausur dann Nothilfelage schreiben
Notwehrlage:
Angriff
Angriff meint jede Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten
Somit: Angriff eines Menschen erforderlich
Abwehr gegen ein Tier nur gestützt auf §§ 228, 904 BGB, § 34 StGB möglich
Wenn aber der Besitzer den Hund auf den Täter hetzt: Menschliches Handeln liegt vor => § 32 StGB (+)
Handlungsqualität erforderlich => kein Angriff bei sog. Nichthandlungen
z.B. Fensterputzer rutscht aus und fällt von Podest und droht auf Menschen zu fallen => hier: vis absoluta (Schwerkraft) => keine Notwehrlage, sondern Notstandslage nach §§ 34, 35 StGB
Setzt der Angriff eine subjektive Komponente voraus?
Ein auf die Rechtsgutsverletzung gerichteter Wille des Angreifers ist nicht erforderlich
Auch bei fahrlässiger oder schuldloser Handlungen oder bei Vorliegen eines persönlichen Strafausschließungsgrundes kann ein Angriff vorliegen
Arg.: Wortlaut => nur rechtswidriger, kein schuldhafter Angriff gefordert
Somit: Auch Notwehr ggü. Betrunkenen, Geisteskranken, Kindern, etc. möglich
Aber: ggfs. Einschränkung auf Ebene der Gebotenheit
Unterlassen als Angriff?
Unterlassen kann Angriff sein => setzt nach h.M. aber Rechtspflicht zum Tätigwerden voraus
z.B. Mutter, welche die Ernährung ihres Säuglings einstellt
Gegenwärtigkeit des Angriffs
Gegenwärtig i.S.d. § 32 II StGB ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, schon begonnen hat oder noch fortdauert.
Beendet ist ein Angriff, wenn er fehlgeschlafen, endgültig aufgegeben oder vollständig durchgeführt ist, sodass die Rechtsgutsverletzung durch Gegenwehr nicht mehr angewendet werden kann.
Solange die Gefahr noch abgewendet werden kann, bleibt der Angriff gegenwärtig
Bei Eigentums- und Vermögensdelikten: Gegenwärtiger Angriff noch (+), wenn Tat vollendet, aber die Beute noch nicht gesichert ist
Ständige Rspr.: Kein gegenwärtiger Angriff bei nur latenter Bedrohung in dem Zeitraum zwischen einzelnen Angriffsakten
Notwehrlage
Gegenwärtigkeit bei Dauerdelikten?
Bei Dauerdelikten: Gegenwärtigkeit bis zur Beendigung (+)
z.B. bei einer Erpressung gem. § 253 I, II StGB: Angriff ist nicht mit Kenntnisnahme der Drohung abgeschlossen, sondern dauert bis zur Aufhebung der Zwangslage fort
Probleme hier ggfs. bei der Gebotenheit (s.u.)
Unmittelbares Bevorstehen des Angriffs wann?
Unmittelbares Bevorstehen: Nur dann (+), wenn eine Bedrohung für das Rechtsgut vorliegt, die in eine Verletzung umzuschlagen droht
Ansonsten: Nicht notwehrfähiger künftiger Angriff => Präventivmaßnahmen dagegen sind nicht von § 32 StGB gedeckt, auch wenn dadurch die späteren Abwehrchancen erheblich verschlechtert werden
Rechtswidrigkeit des Angriffs
Rechtswidrig ist ein Angriff, wenn er im Widerspruch zur Rechtsordnung steht
P.: Rechtswidrigkeit des Angriffs beim Angriff von Hoheitsträgern
BGH: Beurteilung nicht streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrunde liegenden Rechtsgebiets
Sondern: Rechtmäßigkeit hängt davon ab, ob die äußeren Vss. zum Eingreifen des Beamten gegeben sind
Äußere Vss.: örtliche und sachliche Zuständigkeit, Einhaltung der vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten, pflichtgemäßes Ausüben des ggfs. eingeräumten Ermessen
P.: Worauf abstellen bei Bestimmung der Rechtswidrigkeit des Angriffs?
P.: Abstellen auf Erfolgsunwert oder Handlungsunwert
Würde man auf Erfolgsunwert abstellen Notwehr auch (+) wenn ein Kraftfahrer trotz Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt eine andere Person zu verletzen droht
Wenn man auf Handlungsunwert abstellt: Rechtswidrigkeit i.S.d. § 32 StGB nur (+) bei objektiv sorgfaltswidrigem Verhalten
Vorzugswürdig => Notwehr ist „schneidiges Mittel“
Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut
Auf ein notwehrfähiges Rechtsgut:
Notwehrfähig ist jedes dem Angegriffenen zustehende Gut und jedes rechtlich anerkannte Interesse
Rechtsgutsqualität erforderlich
Insb. (+), wenn das Gut strafrechtlich geschützt ist
Aber auch sonstige rechtlich geschützte Interessen: z.B. Recht am eigenen Bild, rechtmäßiger Besitz, Recht auf Intimsphäre
Somit: primär Individualrechtsgüter
Rechtsgüter des Staates oder anderer juristischer Personen des öfftl. Rechts sind notwehrfähig, wenn es sich um dem Fikus zustehende Individualrechtsgüter handelt
h.M.: Der Einzelne kann sich bei Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht auf § 32 StGB berufen (Staatsnotwehr)
Das Gleiche gilt für Kollektivrechtsgüter (z.B. Sicherheit des Straßenverkehrs)
Zeitpunkt der Beurteilung, ob eine Notwehrlage vorliegt?
e.A.: ex ante-Sicht eines Dritten in der Situation des Täters
Somit: Notwehrlage (+), wenn der Täter von einer solchen hätte ausgehen dürfen
h.M.: ex post-Sicht eines Dritten in der Situation des Täters
Somit: Notwehrlage (+), wenn tatsächlich eine Notwehrlage vorlag
Arg.: Wortlaut von § 32 II StGB: gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff wird vorausgesetzt => es ist allein entscheidend, ob die Notwehrlage wirklich (ex post) vorlag
Ansonsten: Erlaubnistatbestandsirrtum
= wenn der Täter von einem anderen SV ausging
Mangels Vorsatzschuld Strafbarkeit (-)
P.: Selbstschutzanlagen
P.: Selbstschutzanlagen (z.B. Selbstschussanlagen, elektrische Zäune, etc.)
Anlagen werden erst im Zeitpunkt des Angriffs tätig => Gegenwärtigkeit (+)
Angriff i.d.R. (+) => auch fehlende Genehmigung der Anlage ändert daran nichts
Aber: später Problem bei der Erforderlichkeit (s.u.) => i.d.R. (-)
Muss erforderlich und gegen den Angreifer sein
Erforderlich ist eine Abwehrhandlung, die geeignet ist, den Angriff sofort zu beenden oder zumindest abzuschwächen und die gegenwärtige Gefahr der Rechtsgutsverletzung endgültig abzuwenden oder zu verringern
Maßgeblich ist die Sich eines besonnen Dritten in der Situation des Angegriffenen (objektive ex ante-Sicht)
Geeignet ist jede Abwehrmaßnahme, die sinnvoll ist und dem Angriff wenigstens ein Hindernis in den Weg legt
Bestimmt sich grds. aus Sicht des Angegriffenen
Damit die Notwehrhandlung erforderlich ist, muss der Täter von mehreren gleich wirksamen Abwehrmitteln das mildeste auswählen
Setzt mindestens zwei gleich effiziente Abwehrmittel voraus
Täter muss die Zeit zur Auswahl und zur Abschätzung der Gefährlichkeit haben
Notwehr darf sich nicht gegen die Rechtsgüter Dritter richten
Angegriffene braucht sich nicht auf die reine Abwehr zu beschränken => Verteidigung durch einen Gegenangriff ist möglich (= sog. Trutzwehr)
Notwehrhandlung
Einsatz lebensgefährdender Mittel möglich?
Grds. ist auch der Einsatz lebensgefährdender Mittel möglich
Angegriffener muss kein weniger gefährliches Mittel nehmen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist
P.: Schusswaffengebrauch => Pflicht zur vorherigen Androhung oder Warnschuss?
Einzelfallabhängig
Bestimmt sich aus Sicht eines besonnen Dritten
(-), wenn gerade dadurch die endgültige Verletzung des Rechtsguts wahrscheinlicher würde
BGH: Bestimmt sich nach „Kampflage“: Sofortiger Einsatz einer Schusswaffe ist erforderlich, wenn die mildernen Mittel des Androhens oder eines Warnschusses oder des Schießens auf die Beine keine Erfolgsaussichten haben
Güterabwägung?
Keine Güterabwägung zwischen bedrohtem Rechtsgut des Angegriffenen und dem durch die Notwehrhandlung verletzten Rechtsgut
Arg.: Recht braucht nicht dem Unrecht zu weichen
Arg.: § 32 StGB dient auch dem Bestand der Rechtsordnung
Der Angegriffene muss das Risiko einer unzureichenden Notwehrhandlung nicht tragen
Der Angegriffene muss nicht das Risiko eines mehr als nur belanglosen Schadens an seinen Rechtsgütern tragen
P.: Selbstschussanlagen
Grds. gelten die allg. Kriterien
Aber: Berücksichtigen, dass der Verteidiger das Maß der Erforderlichkeit nicht verschieben kann
Deshalb: Erforderlichkeit eines Warnschildes
Rechtliche Gebotenheit der Notwehrhandlung
Die Gebotenheit fehlt, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen ein anderes Verhalten, wie die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung, zu verlangen ist.
Hintergrund: allg. Verbot des Rechtsmissbrauchs; schrankenloses Notwehrrecht wäre sozialethisch nicht vertretbar
Normative Bewertung des Einzelfalls erforderlich
Folge fehlender Gebotenheit?
Bei fehlender Gebotenheit muss der Angegriffene dem Angriff ausweichen
Wenn das nicht ohne Preisgabe der bedrohten Interessen möglich ist: Weitergreifende Verteidigungsmaßnahmen möglich
Fallgruppen
Angriffe schuldlos Handelnder
Krasses Missverhältnis
Enge persönliche Beziehung (frühere Rspr. des BGH und tw.Lit.)
Notwehrprovokation
Bei schuldunfähigen Angreifern (z.B. Kinder, Geisteskranke), sowie nach § 35 StGB entschuldigten Personen Einschränkungen des Notwerhrrechts
Kann geboten sein, ganz auf die Notwehr zu verzichten oder sich jedenfalls nur so zu verteidigen, dass der Angreifer nicht ernsthaft gefährdet ist
Soweit es die Umstände zulassen, muss der Angegriffene ausweichen
Grund: Rechtsordnung ist hier durch den Angriff nicht verletzt
Wichtig: Wenn die Schwelle der Alkoholisierung unterhalb verminderter Schuldfähigkeit liegt kein Anlass für eine Notwehreinschränkung
Bei einem unerträglichen Missverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der durch die Verteidigungshandlung drohenden Rechtsgutsverletzung kein Notwehrrecht
Insb. bei sog. Bagatellangriffen:
Bagatellangriffe sind Handlungen, die an der Grenze zu den noch sozialüblichen Belästigungen liegen
Abwehrhandlung, die zu einer gravierenden Verletzung von bedeutsamen Rechtsgütern des Angreifers führt, ist nicht geboten
z.B. A leuchter B ständig mit einer Taschenlampe ins Gesicht => Körperverletzung als Abwehrhandlung ist hier nicht geboten
z.B. Selbstschussanlage zur Abwehr von Pfirsichdieben
z.B. Revolverschüsse zum Schutz von Biergläsern
z.B. Drohen des Überfahrens zur Erzwingung der Freigabe einer Parklücke
Enge persönliche Beziehung
Enge persönliche Beziehung (frühere Rspr. des BGH und tw. Lit.)
Bei engen persönlichen (insb. familiären) Beziehungen nur eingeschränkte Ausübung des Notwehrrechts
Bei Angriffen mit geringer Intensität nur Ausweichen oder solche Verteidigungshandlungen ohne ernstliche Gefährdung des Angreifers
(-): soziales Näheverhältnis allein reicht nicht, um eine Einschränkung des Notwehrrechts zu rechtfertigen
(-): Man kann das Opfer nicht auf eine Solidaritätspflicht ggü. dem Angreifer verweisen, wenn dieser eben jene Pflicht durch den Angriff bereits verletzt hat
Notwehrprovokation Fallgruppen
Absichtsprovokation
Vorsatzprovokation
Fahrlässige Notwehrprovokation
Eine Absichtsprovokation liegt vor, wenn der Angriff vom Angegriffenen herausgefordert wurde, um den Angreifer unter Ausnutzung des Notwehrrechts verletzen zu können.
h.M.: Verhalten muss nicht zwingend rechtswidrig sein => provozierende sozialwidrige Hänseleien oder Sticheleien sind ausreichend
h.M.: Angegriffener muss dem Angriff ausweichen
Wenn dies nicht möglich ist, ist ihm trotzdem das Notwehrrecht versagt => trotzdem rechtsmissbräuchliches Verhalten, das Berufung auf § 32 StGB ausschließt
Dogmatische Begr. e.A.: der „Angegriffene“ ist in Wirklichkeit der Angreifer
Dogmt. Begr. BGH: der Angegriffene handelt ohne Verteidigungswillen und damit jedenfalls ohne subj. Rechtfertigungselement
Dogmt. Begr. a.A.: Provokateur verzichtet durch sein Verhalten von vornherein auf den Rechtsgüterschutz
a.A.: Keine generelle Versagung des Notwehrrechts
Zumindest eingeschränktes Notwehrrecht
Arg.: Unabhängig von der Provokation bleibt der Angriff rechtswidrig => ein generelles Versagen der Notwehr stünde nicht in Einklang mit § 32 StGB
Str., wann genau die Angegriffene sich auf das Notwehrrecht berufen kann
Teilw.: Nur dann nicht, wenn das provozierende Verhalten rechtswidrig war => würde aber sehr viele Fälle ausschließen
Eine Vorsatzprovokation liegt vor, wenn der Täter die Notwehrlage vorsätzlich, aber nicht absichtlich herbeiführt.
= Täter erkennt, dass sein Verhalten einen Angriff hervorrufen wird und nimmt dies billigend in Kauf
h.M.: Eingeschränktes Notwehrrecht
Maß der Einschränkung des Notwehrrechts bestimmt sich nach den konkreten Tatumständen
Je schwerer die vorwerfbare Provokation der Notwehrlage, desto größer die Einschränkung des Notwehrrechts
Somit: Abwägung von der Verwerflichkeit des Vorverhaltens und der Effizienz der weniger einschneidenden Verteidigungsmittel
Eine fahrlässige Notwehrprovokation liegt vor, wenn der Täter die Notwehrlage nicht absichtlich oder vorsätzlich, aber rechtswidrig und vorwerfbar herbeiführt.
h.M.: Angegriffener hat ein eingeschränktes Notwehrrecht
Str.: Einschränkung nur bei rechtswidrigem Vorverhalten oder bereits bei sozialethisch zu missbilligendem Verhalten?
Letzteres eher
Sozialadäquates Verhalten kann zu keiner Einschränkung des Notwehrrechts führen!
Wenn zwischen dem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, ist der Angegriffene zunächst zum Ausweichen verpflichtet
Wenn Ausweichen nicht möglich: Zunächst nur Schutzwehr
Wenn Schutzwehr versagt: auch Trutzwehr möglich
Angegriffener darf nur die weniger gefährliche Verteidigung ausüben
Hier dann ggfs. fahrlässige Körperverletzung/Tötung gem. § 229 / § 222 StGB durch den Angegriffenen prüfen
Fahrlässige Provokation als Anknüpfungspunkt
Kausalität (+)
Sorgfaltswidrigkeit i.d.R. auch (+)
Aber: Musste ein objektiver Dritter in der konkreten Situation und sozialen Rolle mit der Reaktion des Angreifers rechnen? => häufig eher (-)
P.: Notwehr gegenüber Schweigegelderpressung
= Opfer wird mit einer für dieses nachteiligen Offenbarung sozial ethisch oder rechtlich verwerflich bedroht bzw. erpresst
Gegenwärtigkeit des Angriffs hier über einen längeren Zeitraum hinweg (s.o.) => Deshalb Einschränkung des Notwehrrechts geboten?
Überhaupt Erforderlichkeit der Notwehr?
Polizei evtl. als milderes Mittel
Wenn es aber gerade um die Geheimhaltung von etwas geht kein gleich geeignetes Mittel
h.M.: Erpressungsopfer steht nicht jedes Verteidigungsmittel zur Verfügung
Welcher Verteidigungsmittel es sich bedienen darf, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls
Gewaltmaßnahmen nur in extremen Ausnahmesituationen möglich (i.d.R. verneinen)
Diebstahl von Fotos, mit deren Veröffentlichung gedroht wird, ist i.d.R. vertretbar (aber a.A. vertretbar)
Subjektives Rechtfertigungselement
Kenntnis der Gefahrenlage
Handeln zur Gefahrabwendung (sog. Verteidigungswille)
Angegriffene muss gerade gehandelt haben, um die Gefahr abzuwenden
BGH: Ausreichend, wenn der Verteidigungswille Teil eines Motivbündels ist
Andere Motive wie Hass, Rache, etc. schließen Verteidigungswillen nicht aus, solange dieser nicht vollkommen in den Hintergrund gedrängt wird
P.: Notwehrexzess
Ein Notwehrexzess liegt vor, wenn der Angegriffene bewusst oder unbewusst die Grenzen der erlaubten Notwehr überschreitet.
Täter handelt dann rechtswidrig
Aber ggfs. Entschuldigung gem. § 33 StGB
P.: Putativnotwehr
Eine Putativnotwehr liegt vor, wenn der Täter einen vermeintlichen Angriff abwehren möchte.
= tatsächlich liegt kein Angriff vor
= Irrtum
P.: Nothilfe
= wenn der Täter einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von einem anderen abwendet
Gem. § 32 II Alt. 2 StGB möglich (s.o.)
Grds. gleiche Vss. wie bei der Notwehr, nur in Bezug zu dem Dritten zu urteilen
P.: Aufgedrängte Nothilfe
Bsp.: A wird von B verschlagen. C sieht das und will eingreifen. A ruft C zu, dass er sich fernhalten soll. C greift dennoch ein.
Notwehrlage (+)
Aufforderung an den Dritten, sich nicht einzumischen, ist keine Einwilligung in die Körperverletzung selbst
Erforderlichkeit auch (+), sofern es im konkreten Fall kein milderes Mittel gibt
Aber: Nothilfe ist ein abgeleitetes Recht des Angegriffenen
h.M.: Dem Angegriffenen darf die Nothilfe nicht aufgedrängt werden
Kommt auf den tatsächlichen Willen des Angegriffenen an, egal, ob der Verteidiger von diesem Kenntnis hat
Somit: Bei entgegenstehendem Willen des Angegriffenen: § 32 StGB (-)
Aber: Wenn der Verteidiger fälschlicherweise von einem zustimmenden Willen des Angegriffenen ausgeht: Erlaubnistatbestandsirrtum kommt in Betracht
P.: Bei einem Schwangerschaftsabbruch?
=> Ist eine Körperverletzung zur Verhinderung eines Schwangerschaftsabbruchs gerechtfertigt?
= liegt ein rechtswidriger Angriff auf das ungeborene Kind vor?
Angriff auf ein Individualrechtsgut?
P.: Ist das werdende Kind schon Rechtsgutträger?
h.M.: Leibesfrucht ist notwehrfähiges Rechtsgut
a.A.: (-) => da durch Beratungsschutzkonzept als Träger von Rechten exkludiert
P.: Gibt es ein Individualrecht des Kindsvaters?
Kann dahinstehen, wenn der Angriff nicht rechtswidrig ist
Rechtswidrigkeit des Angriffs?
BVerfG: Schwangerschaftsabbruch muss als „Unrecht“ angesehen und verboten werden
BVerfG: Nothilfe zugunsten des bedrohten Embryos müsse ausgeschlossen werden
Wortlaut von § 218a I StGB: „Der Tatbestand ist nicht verwirklicht“
Gesetzgeber: Damit sei der Schwangerschaftsabbruch im Bereich des Strafrechts nicht mehr als Unrecht bezeichnet
Aber: Rechtswidrigkeit i.S.d. § 32 StGB ist eine Wertung der Gesamtrechtsordnung
Wortlaut des § 218a II BGB: „nicht rechtswidrig“ => Umkehrschluss zu § 218a I StGB?
M1: § 218a I StGB führt zur Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs
M2: § 32 StGB wird im Lichte des § 218a I StGB ausgelegt => kein rechtswidriger Angriff
M3: Einhaltung des Beratungsverfahrens ist ein Rechtfertigungsgrund sui generis
M4: Schwangerschaftsabbruch auch nach Beratung ist nothilfefähig
M5 Schwangerschaftsabbruch ist nur für den Kindsvater nothilfefähige
h.Lit.: Die Gebotenheit der Verteidigungshandlung scheidet aus
Arg.: Andernfalls würde das Konzept der Beratungslösung konterkariert werden
Rechtfertigung gem. § 34 StGB?
(-) => da ein gewaltsames Verhindern des Abbruchs kein angemessenes Mittel darstellt
Rechtfertigung gem. § 35 StGB?
Für Dritte (-)
Für Kindsvater? => (+/-) je nachdem, ob auch für Angehörige aufgrund der gesetzgeberischen Wertentscheidung zumutbar = rechtswidriger Angriff auf das ungeborene Kind?
Zuletzt geändertvor 8 Monaten