Was ist ein Trauma nach ICD-10?
Ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde
Was ist ein Trauma nach DSM5?
-Konfrontation mit tatsächlichem Tod, schwerer Verletzung oder sexueller Gewalt
-Ereignisse werden entweder selbst erlebt oder die betroffene Person ist Zeug:in davon, wie das Ereignis einer anderen Person zugestoßen ist
Zwei Sonderfälle: Jemand erfährt, dass eine nahestehende Person Gewalt oder einen Unfall erlebt hat
Konfrontation mit aversiven Details von traumatischen Erlebnissen
Nenne Beispiele für traumatische Erlebnisse
-Kriegerische Auseinandersetzung
-Vergewaltigung
-Entführung, Geiselnahme
-Terroransdchlag
-Folter
Wie ist die Einteilung traumatischer Ereignisse
• Unterscheidung nach Dauer/Häufigkeit des Ereignisses:
• Typ-I-Trauma: kurzandauernd und einmalig
• Typ-II-Trauma: langandauernd und/oder mehrfach
• Unterscheidung nach Ursprung des Ereignisses:
• Akzidentell: zufälliges, nicht beeinflussbares Ereignis
• Interpersonell: durch andere Personen herbeigeführt
Beispiele zu Typ I, Typ II Traumata
Was sind die drei Hauptmerkmale einer PTBS?
1.Intrusionen
• BelastendeTräume bzw.Albträume
• Intrusive Gedanken
• Flashbacks
• Belastung durch symbolisierende Auslöser
2.Vermeidung/ Numbing
• Gedanken- und Gefühlsvermeidung
• Aktivitäts- oder Situationsvermeidung
• (Teil-)Amnesien
• Interessens-minderung
• Entfremdungsgefühl (Depersonalisation,
Derealisation)
3.Hyperarousal
• Unruhe undÜbererregung
• Schlafstörungen
• Reizbarkeit
• Konzentrations-schwierigkeiten
• Wachsamkeit
• Schreckhaftigkeit
Diagnostische Klassifikation nach ICD-10, DSM-5 und ICD-11
Diagnostische Kriterien der PTBS nach ICD-10 (F43.1)
A)Die betroffene Person wurde einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder Katastrophe ausgesetzt, das bei den meisten Menschen extreme Verzweiflung auslösen würde.
B)Anhaltende Wiedererlebenssymptome: unerwünschte, belastende Erinnerungen, lebhafte Flashbacks oder wiederkehrende Albträume.
C)Vermeidung von Orten, Situationen oder Gesprächen, die an das Trauma erinnern.
D) Entweder:
a) Teils oder vollständiges Unvermögen, wichtige Aspekte des Traumas zu erinnern oder
b) Anhaltende erhöhte psychische Erregung mit mindestens zwei der folgenden Merkmale: Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit) und verstärkte Schreckreaktionen.
E) Die Symptome der Kriterien B, C und D treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Trauma oder nach dessen Ende auf.
Fallbeispiel: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach ICD-10
Patient: Maria, 32 Jahre, Überlebende eines Autounfalls
A) Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung: Maria war in einen schweren Autounfall verwickelt, bei dem mehrere Menschen schwer verletzt wurden. Das Ausmaß der Gefahr und das Leid, das sie und andere erlebten, war außergewöhnlich.
B) Anhaltende Wiedererlebenssymptome: Maria leidet unter unerwünschten, belastenden Erinnerungen an den Unfall. Sie hat lebhafte Flashbacks, in denen sie die Ereignisse immer wieder durchlebt. Albträume mit Szenen des Unfalls quälen sie regelmäßig.
C) Vermeidung von Orten, Situationen oder Gesprächen: Maria versucht aktiv, Orte zu meiden, die sie an den Unfall erinnern könnten. Sie vermeidet Autofahrten und Gespräche über Verkehrsunfälle, um die emotionalen Belastungen zu vermeiden.
D) Entweder a oder b: a) Maria hat Teile des Unfalls vergessen. Sie kann sich nicht mehr an bestimmte Details erinnern, insbesondere an den Moment des Aufpralls. b) Maria zeigt anhaltende erhöhte psychische Erregung. Sie leidet unter Schlafstörungen, ist leicht reizbar und hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Zudem ist sie übermäßig wachsam und schreckt bei lauten Geräuschen zusammen.
E) Zeitlicher Zusammenhang: Die Symptome begannen innerhalb von zwei Wochen nach dem Autounfall. Maria suchte sechs Monate nach dem Ereignis professionelle Hilfe, da die Symptome anhielten und ihr tägliches Leben beeinträchtigten.
Maria erfüllt somit die diagnostischen Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach ICD-10. Die intensive psychische Belastung und die anhaltenden Symptome beeinträchtigen ihre Lebensqualität erheblich, und eine angemessene therapeutische Unterstützung wird empfohlen.
Diagnostische Kriterien der Anpassungsstörung nach ICD-10 (F43.2)
A: Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmaß; Beginn der Symptomatik innerhalb eines Monats.
B: Symptome und Verhaltensstörungen (außer Wahngedanken und Halluzinationen) wie sie bei affektiven Störungen (F3), bei Störungen des Kapitels F4 (neurotische, Belastungs-
und somatoforme Störungen) und bei den Störungen des Sozialverhaltens (F91)vorkommen.
Die Kriterien einer einzelnen Störung werden aber nicht erfüllt. Die Symptome können in Art und Schwere variieren.
Das vorherrschende Erscheinungsbild der Symptome sollte mit der fünften Stelle weiter differenziert werden (s. folgende Folien).
C: Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach Ende der Belastung oder ihrer Folgen an, außer bei der längeren depressiven Reaktion (F43.21).
Bis zu einer Dauer von sechs Monaten kann die Diagnose einer Anpassungsstörung gestellt werden.
Unabhängig von der Erfüllung dieses Zeitkriteriums kann stets eine vorläufige Diagnose gestellt werden.
Was sind Neuerungen ICD-11
• Veränderung der Trauma-Definition (siehe Folie 5)
• ICD-10: ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen
würde
• ICD-11: ein extrem bedrohliches oder entsetzliches Ereignis oder einer Reihe von
Ereignissen
• Grund für Änderung: Epidemiologische Befunde zeigen, dass Reaktionen auf traumatische Ereignisse sehr individuell sind
• Erweiterung durch die Diagnose der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS)
Welche Kriterien müssen bei einer komplexen Post traumatischen Belastungsstörung erfüllt sein nach ICD-11?
Es sind ebenfalls alle Kriterien einer PTBS erfüllt
• Zusätzlich bestehen
1) Probleme der Affektregulation und Impulskontrolle
2) Ein negatives Selbstbild in Reaktion auf das Trauma/die Traumata, von Gefühlen der Scham, Schuld und des Versagens begleitet wird
3) Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten und sich anderen Menschen nahe zu fühlen
Unterschiede DSM-5 – ICD-11
DSM-5
• Keine Unterscheidung in einfache vs. komplexe Symptomatik
• Neben den drei Symptomclustern im ICD-11: zusätzliches Symptomcluster „Veränderungen in Kognitionen und Emotionen“
• Mehr Einzelsymptome je Symptomcluster (insg. 20 Symptomkriterien)
• Unterscheidung der Subtypen
• PTBS mit dissoziativen Symptomen
• PTBS mit verzögertem Beginn
• Eigene Kriterien für Kinder bis zum Alter von 6 Jahren
Diagnostik von PTBS
Strukturierte Interviews zur Erfassung der PTBS-Symptomatik
• Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-5 (CAPS-5) (Müller-Engelmann et al., 2018)
• Goldstandard, ermöglicht Diagnosestellung sowie Einschätzung des Schweregrades
Selbstbeurteilungsinstrumente
• PTSD-Checklist für DSM-5 (PCL-5) (Krüger-Gottschalk et al, 2017)
• Für Screening und Erfassung der Symptomhäufigkeit und -intensität
• International Trauma Questionnaire (ITQ) (Karatzias et al., 2017)
• Einschätzung der Symptomschwere der PTBS oder kPTBS nach ICD-11
• Impact of Event Scale (IES) (Maercker & Schützwohl, 1998)
• Symptomschwere hinsichtlich Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung
Was sind Komorbiditäten von PTBS?
• Depressionen
• Angststörungen
• Substanzmissbrauch und -abhängigkeit
• Somatisierungsstörungen
• Persönlichkeitsstörungen
(v.a. Borderline und Antisoziale PS)
• Suizidalität
• Herz-Kreislauferkrankungen
• Bei 50-100% der Patienten mind. 1 komorbide Störung!
Differenzialdiagnostik
Mögliche andere psychische Störungen, die in Folge traumatischer Belastungen gehäuft auftreten:
• Somatoforme Störungen, chronische Schmerzen
• Persönlichkeitsstörungen, v.a. Borderline-Persönlichkeitsstörung
• Anpassungsstörung:
• Als Reaktion auf ein weniger stark traumatisches Ereignis (Bsp. im ICD-11: Scheidung, Krankheit,
Konflikte am Arbeitsplatz,…)
• Komplexe PTBS
Wer entwickelt nach einem Trauma eine PTBS?
• Prävalenz der Entwicklung einer PTBS nach Erleben eines traumatischen Ereignisses:
10-20%
• ABER: Abhängig von Art, Schwere, Dauer und Häufigkeit des Ereignisses
• Beispiel: Sexuelle Gewalterfahrungen: 55%, Erleben eines Unfalls: 7%
• Typ-II-Traumata weisen ein höheres Risiko für PTBS auf als Typ-I-Traumata
• Interpersonelle Traumata weisen ein höheres Risiko für PTBS auf als akzidentelle
Traumata
• Höchstes Risiko bei interpersonellen Typ-II-Traumata
Was besagt der just world bias?
• Tritt in Kulturen auf, deren dominierende Werte persönliche Verantwortlichkeit und Sicherheit
sind.
• „In einer gerechten Welt sind alle für Ihr persönliches Glück verantwortlich. Guten Menschen
passiert gutes, schlechten Menschen schlechtes!“
• Bekannte, Freunde, Familie, Kolleg:innen, Prominente können keine Täter sein
• Sexualisierte Gewalt erzeugt kognitive Dissonanz
—> Kompensation/Auflösung: Nicht-Glauben, victim-blaming
(„Person war selbst schuld“, „Sie hat Ihn verführt“, etc.)
—>Irrglaube! Betroffene haben KEINEN Einfluss auf diese Erlebnisse.
Wie ist der Verlauf nach Erleben eines traumatischen Ereignisses?
• Unmittelbar nach Erleben eines Traumas entstehen häufig akute Belastungssymptome
• Diagnose einer PTBS erst nach einem Monat (DSM-5) bzw. mehreren Wochen (ICD-11), wenn keine Erholung der Symptomatik einsetzt
In Welche Gruppen unterscheidet man?
• Resiliente Gruppe, die nach Erleben eines Traumas keine Symptome aufweisen
• Personen, die zunächst starke Symptome aufweisen, die im Verlauf aber abklingen
• Personen, die unmittelbar starke Symptome empfinden, welche im Verlauf chronifizieren
• Personen erleben zunächst keine/milde Symptomatik, die sich verzögert verstärkt
Emotionsverarbeitungstheorie
• Annahme: posttraumatische Symptome sind Folge einer mangelnden emotionalen Verarbeitung des traumatischen Ereignisses
• Furchtgedächtnis: Erinnerung an Trauma als kognitive Struktur (in Analogie zu Netzwerkmodellen des Gedächtnisses)
• Enthält Informationen über das Trauma, die eigene Reaktion sowie die Bedeutung des Erlebten und der Reaktion
• Eine pathologische Furchtstruktur ist durch fehlerhafte Verbindungen zwischen Stimulus-
Reaktions- und Bedeutungselementen gekennzeichnet
Duales Repräsentationsmodell
Fallbeispiel: Anna und der Autounfall
Anna erlebte einen traumatischen Autounfall.
Duales Repräsentationsmodell: Zwei Gedächtnissysteme.
Verbal zugängliches System (VAM): Sie kann rational über den Unfall sprechen.
Situativ zugängliches System (SAM): Sie hat quälende Flashbacks und dissoziative Zustände mit intensiven Ängsten.
PTBS-Symptome: Intrusive Erinnerungen und Dissoziation aufgrund der Überrepräsentation im SAM.
Therapieziel: Verarbeitung traumatischer Erinnerungen im SAM zur Linderung der PTBS-Symptome.
Kognitives Modell der PTBS
ACHTUNG GUT EINPRÄGEN
PTBS und Neuroendokrine Veränderungen
Neuroendokrine Veränderungen: Beeinflussen Hormonregulation.
CRH-Spiegel: Erhöht im Gehirn bei PTBS.
Kortisol: Niedrig bei PTBS (Hypocortisolismus).
Erklärung: Gestörte Stressreaktion, anfänglich hoher Stress, dann Abstumpfung.
Forschung: Zusammenhänge werden noch erforscht. Therapeutische Ansätze in Entwicklung.
Behandlungsansätze
Unterscheidung:
• Traumafokussierte Interventionen: Schwerpunkt auf der Verarbeitung der
Erinnerung an das traumatische Ereignis bzw. seiner Bedeutung
• Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT)
• Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
• Nicht-traumafokussierte Interventionen: eher Vermittlung von Emotionsregulationskompetenzen, Umgang mit PTBS-Symptomen Lösung aktueller Probleme
Evidenz:
• Große Effektstärken für TF-KVT und EMDR in Meta-Analysen, Überlegenheit
traumafokussierter Interventionen gegenüber nicht-traumafokussierten Ansätzen
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