Wie wird Intelligenz definiert?
Binet und Simon (1905): „Die Art der Bewältigung einer aktuellen Situation, und zwar unter den Aspekten gut urteilen, gut verstehen und gut denken."
Wechsler (1944): "Intelligenz ist die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen."
Boring (1923): "Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen"
Welches sind wichtige inhaltliche Aspekte von Intelligenz?
Qualität der Informationsverarbeitung; logisches Denken; schnelles und korrektes Erkennen von Zusammenhängen
Anpassung an/Formung der persönlichen Umwelt; Erfolg/Bewährung in der Umwelt
Umgang mit Neuartigem; Fähigkeit, Probleme aufzudecken und zu lösen
Wie misst Alfred Binet die Intelligenz?
kritisiert Spezifität und sensorische Ausrichtung der Verfahren von Galton und anderen
Hauptargument: höheres Komplexitätsniveau der Messverfahren notwendig
Auftrag der Schulbehörde: objektives Verfahren zur Messung von Intelligenz entwickeln
-> Hintergrund: Zuweisung zu Sonderschule nur noch auf Grundlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens möglich
Konstruktion altersspezifischer Aufgaben ("Staffeltest")
Kriterium: Aufgabe wird von Mehrheit der Kinder einer gegebenen Altersgruppe gelöst (50%-75%), aber nicht von der Mehrheit der jüngeren Kinder
Intelligenzalter: Dasjenige Alter, das der Leistung eines Kinds beim Intelligenztest entspricht
Intelligenzwert nach Binet = Intelligenzalter – Lebensalter
Beispiel
Intelligenzalter = 10 Jahre = 4 Jahre
Lebensalter = 8 Jahre = 2 Jahre
Testwert: 10 – 8 = +2 = 4 – 2 = +2
Problem: Ein Zweijähriger mit dem Wert eines Vierjährigen ist durch stärker übermäßige Intelligenz gekennzeichnet als ein Achtjähriger mit dem Wert eines Zehnjährigen. Trotzdem erhalten beide denselben Wert.
-> Lösung: Intelligenzalter und Lebensalter ins Verhältnis setzen
Was sind die Kernpunkte heutiger Intelligenztests
Unterschiedliche kognitive Leistungen abgedeckt
Betonung komplexerer mentaler Prozesse
Anordnung der Aufgaben nach Schwierigkeit
Schwierigkeiten empirisch bestimmt
Leistung wird im Rahmen einer relativ kurzen Sitzung geprüft
Wie misst William Stern die Intelligenz?
IQ = 100 · Intelligenzalter (IA) / Lebensalter (LA)
Person A: LA=10,
IA=8,
IA-LA=- 2,
IQ=100 · 8/10=80
Person B:
LA=6, IA=4,
IQ=100 · 4/6=67
Intelligenzalter > Lebensalter: IQ > 100
Intelligenzalter < Lebensalter: IQ < 100
Problem: Ansatz nur bei Kindern/Jugendlichen sinnvoll, bei denen die Intelligenz mit zunehmendem Alter ansteigt
Wie wird der IQ heute nach David Wechsler berechnet?
Für jeden Intelligenztest ist in Normtabellen angegeben, wie häufig bestimmte Testwerte in einer Referenzstichprobe sind -> IQ-Normwerte (am besten an großen, repräsentativen Stichproben gewonnen)
IQ-Werte: Mittelwert = 100, Standardabweichung = 15
Jedem Testwert kann ein IQ-Wert zugeordnet werden
Überdurchschnittlich bei IQ > 115 (+ 1 SD)
Unterdurchschnittlich bei IQ < 85 (- 1 SD)
Hochbegabung bei IQ > 130 (+ 2 SD)
Intelligenzminderung bei IQ < 70 (- 2 SD)
Wie sieht Charles Spearmans 2-Faktoren Theorie der Intelligenz aus?
Beobachtung: Die Performanz bei verschiedenen kognitiven Aufgaben korreliert positiv miteinander
Es gibt eine einheitliche Fähigkeit (allgemeine Intelligenz g), die bei jeder Aufgabe ein Stück weit beeinflusst, ob man sie löst
Hat jemand eine hohe Ausprägung auf g, hat er/sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, vielen Aufgaben zu lösen (das Gegenteil ist der Fall bei einer geringen Ausprägung von g)
-> Führt zu positiven Korrelationen zwischen Aufgaben
Zwei Aufgaben korrelieren umso höher miteinander, je stärker sie von g abhängen
Ob man eine Aufgabe löst, hängt neben g noch von einem aufgabenspezifischen Spezialfaktor s ab
Wie ist Spearmans 2- Faktoren- Theorie zu bewerten?
Faktorenanalysen mit verschiedenen Intelligenztestbatterien ergeben immer wieder einen Generalfaktor der Intelligenz (g)
Die aus verschiedenen Intelligenztestbatterien gewonnen Generalfaktoren korrelieren extrem hoch miteinander (r > .90; spricht dafür, dass unabhängig vom konkreten Aufgabentyp immer wieder g erfasst wird, wenn man über hinreichend viele Aufgaben aggregiert)
-> Der Mittelwert über versch. Aufgaben ist eine gute Schätzung für g
Aber: Korrelationen zwischen verschiedenen Tests müssten allein über Ladungen auf g-Faktor erklärbar sein
-> Nicht der Fall: einzelne Tests lassen sich zu Untergruppen fassen, die untereinander höher korrelieren, als es ihre Korrelation mit g-Faktor erwarten lässt (bspw. versch. verbale Aufgaben)
Wie misst Louis Leon Thurstone Intelligenz?
Idee von Primärfaktoren
Fakotrenanalyse mit Annahme mehrerer Faktoren
Kein Gesamtwert, sondern 7 unabhängige Faktoren:
Räumliche Vorstellung: Bewältigung von Aufgaben, die räumliches Vorstellen und Orientieren sowie das Erkennen von Objekten unter anderem Bezugswinkel erfordern
Wahrnehmungsgeschwindigkeit: rasches und genaues Erkennen von Unterschieden zwischen Objekten
Sprachverständnis: Kenntnis von Wörtern und ihrer Bedeutung sowie deren angemessene Verwendung
Verbale Flüssigkeit: rasches Produzieren von Wörtern, die bestimmten strukturellen oder symbolischen Erfordernissen entsprechen
Numerische Fähigkeit: Geschwindigkeit und Präzision bei einfachen arithmetischen Aufgaben
Gedächtnis: Behalten gelernter Assoziationen
Induktion: Regelmäßigkeiten in einer Folge von Zahlen, Wörtern oder Symbolen erkennen
Wie ist Thurstones Theorie zu bewerten?
Thustones Faktoren ließen sich faktorenanalytisch replizieren
Intelligenztests teilweise bis heute basierend auf Thurstones Faktoren aufgebaut (bspw. Intelligenz-Struktur-Test IST
Kein Gesamtwert, sondern Profil 7 unabhängiger Faktoren
Aber positive Korelationen zwischen Primärfaktoren und gemeinsam zugrundeliegende allhgemeine Fähigkeit (g)
-> Allgemeine Intelligenz scheint es schon zu geben
Was sind die drei bekanntesten hierarchische Strukturmodelle?
Grundidee: Es gibt einen übergeordneten, allgemeinen Intelligenzfaktor, aber auf niedrigerer Hierarchieebene lassen sich spezifischere Faktoren unterscheiden
1) Cattell: fluide und kristallisierte Intelligenz
2) Struktur der Intelligenz nach Carroll
3) Berliner Intelligenzstrukturmodell
Wie sieht Raymond Cattels Modell aus?
Annahme: g lässt sich in zwei getrennte Komponenten aufteilen, fluide Intelligenz (gf) und kristallisierte Intelligenz (gc)
Annahme: gf entwickelt sich rascher und ermöglicht den Erwerb von kristallinem
Wissen im Laufe des Lebens
fluide Intelligenz (gf)
Fähigkeit, sich neuen Problemen anzupassen, ohne dabei wesentlich auf frühere Lernerfahrungen zurückgreifen zu müssen
Primärfähigkeiten wie Merkfähigkeit, Induktion oder räumliches Denken
eher anlagebedingt
kristallisierte Intelligenz (gc)
Fähigkeiten, in denen sich die kumulierten Effekte vorangegangener Erfahrungen verfestigt haben
z.B. Wortverständnis, Wortflüssigkeit
eher bildungs- bzw. erfahrungsabhängig
Wie ist Cattell zu bewerten?
Positiv:
Hoher heuristischer Wert
In Forschung und Praxis nach wie vor relevant
Allerdings:
Unterteilung von g in gf und gc faktorenanalytisch nicht überzeugend gestützt
Annahme, dass biologisch gf und gc umweltbedingt ist, auch nur bedingt haltbar
Wie sieht Carrolls Modell aus?
3 Ebenen: allgemeine Spezialfähigkeit, spezifische Teilfähigkeiten
Wie sieht das Berliner Intelligenzstrukturmodell aus?
Jäger (1984): Integrationsversuch vorhergehender Strukturmodelle
Beobachtung: Intelligenztestaufgaben unterscheiden sich hinsichtlich zweier Modalitäten
Erforderliche Operationen: Welche Art mentaler Leistung ist erforderlich? (Bearbeitungsgeschwindigkeit, Merkfähigkeit, etc.)
Aufgabeninhalte: Welche Inhalte haben die Aufgaben, die in den Tests verwendet werden? (Zahlen, Wörter, Figuren)
Annahmen:
Intelligenzleistungen lassen sich bi-modal danach klassifizieren, welche Operationen gefordert und welche Aufgabeninhalte relevant sind
In alle Leistungen fließt g ein
Was sind die Modalitäten des BIS?
1. geforderte Operationen:
Bearbeitungsgeschwindigkeit: Arbeitstempo, Auffassungsleichtigkeit und Konzentrationskraft bei relativ einfachen Aufgaben
Merkfähigkeit: Aktives Einprägen und kurzfristiges Wiedererkennen & Reproduzieren
Einfallsreichtum: Flexible Ideenproduktion, Reichtum an Vorstellungen, Verfügbarkeit vieler Informationen
Verarbeitungskapazität: Verarbeitung komplexer Informationen bei Aufgaben, die beziehungsstiftendes, formal-logisch exaktes Denken sowie sachgerechtes Beurteilen von Informationen erfordern
2. Inhalte, mit denen die Operationen durchgeführt werden:
Verbal
Figural
Numerisch
Wie ist das Berliner Intelligenzstrukturmodell zu bewerten?
Umfassendes Modell
Der Berliner Intelligenzstrukturtest als Testbatterie, mit der man alle Kombinationen von Operationen und Inhalten erfassen kann
Allerdings: International wenig bekannt
Was zeigt Lothian Birth Cohort Studies?
Testunmg des IQs von 485 Schotten im Alter von 11 und 80
deutliche Stabilität über komplette Lebensspanne hinweg
Korrelation bei r=.63
Was ist der Flynn-Effekt?
die mittlere Leistung in IQ Tests seigt seit Jahrzehnten an
Leistungssteigerung sogar noch stärker in abstrakten, nonverbalen Tests
auf veschiedene Länder generalisierbar
Steigerung seit 1920 alle 10 Jahre um ca. 5 IQ-Punkte
Welche Ursachen könnten für den Flynn-Effekt verantwortlich sein?
Mögliche Gründe:
bessere Lebensbedingungen und Ernährung von Schwangeren und Kleinkindern
-> Ähnlich wie beim Anstieg der Körpergröße
verbesserte schulische und elterliche Anregung
-> Aber Steigerungen in gf höher als in gc
-> Mit IQ-Anstieg paralleler Abfall der Leistungen im SAT (Studierfähigkeitstest in den USA)
Erhöhung der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung durch Technisierung der Gesellschaft
-> Keine vergleichbaren Verbesserungen in Reaktionszeiten
Änderung des Denkstils: Personen sind heute evtl. geübter darin, zu abstrahieren und Aufgaben mit rational-logischem Denken zu begegnen
vermehrte Erfahrung mit abstrakten, v.a. visuellen Stimuli, wie sie in Intelligenztests dargeboten werden („test wiseness“)
-> Noch nicht endgültig geklärt!
Welche Auswirkungen hat der Flynn-Effekt?
Wichtige Implikation für AnwenderInnen:
-> Nur IQ-Tests verwenden, bei denen die Normierung nicht zu weit in der Vergangenheit liegt!
Beispiel Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie):
Diagnose-Kriterium: IQ liegt deutlich über Lese-Rechtschreib-Leistung
Flynn-Effekt bei IQ, nicht aber bei Lese-Rechtschreib-Leistung
Verwendung veralteter Normwerte: Überschätzung des IQ
Fälschlicherweise Diagnostik von Lese-Rechtschreib-Schwäche in Fällen, in denen eigentlich Intelligenzminderung vorlag
Anzahl der Diagnosen sank schlagartig mit Neu-Normierung des Wechsler-Intelligenztests für Kinder
Lässt sich Intelligenz steigern?
Firmen werben für Trainingsprogramme, mit denen sich die Intelligenz steigern lässt
Annahme: Trainieren einer spezifischen Fähigkeit (bspw. Arbeitsgedächtniskapazität) führt zu einer Generalisierung auf andere kognitiven Fähigkeiten
-> Aber: Nicht klar empirisch gestützt (Simons et al., 2016)
Stattdessen: Effekte von Länge der schulischen Ausbildung auf Intelligenz
-> Erhöhung der Mindestbeschulungsdauer zeigt sprunghaften Anstieg in der Intelligenz
-> Ein zusätzliches Jahr Schule geht mit Anstieg von 3-4 IQ-Punkten einher
-> Muster für fluide und kristallisierte Intelligenz gefunden
Wie hängt Intelligenz mit dem Gehirn zusammen?
Korrelation zwischen Hirnvolumen und Intelligenz: ca. r=.24
Neuronale Effizienz: Bei einfachen mit mittelschwierigen Aufgaben ist die Aktivierung kortikaler Regionen geringer je höher der IQ ist
Kognitive Reserve: Nach Hirnverletzungen stärkere Erholung von kognitiven Ausfällen, je höher der IQ ist
Welche Kriterien sollten durch Intelligenzmessung vorhersagbar sein?
Bildung: Schul- und Studienerfolg, Bindungsniveau
-> Schulleistung korreliert zu r= .50
-> Höchster Bildungsabschluss r=.70
Berufsstatus und Erfolg
-> Abschlussnote des universitären Studiums r=.35
-> Prognosekraft für Erfolg durch IQ =.51
-> Hoge Zusammenhänge zwischen IQ und Sozialprestige r= .50 -.70
Einkommen
-> nicht sehr stark aber aufwärtstrend erkennbar r=.30
-> insbesondere im Vergleich von Extremgruppen
Lebensdauer
-> IQ und Lebensdauer hängen zusammen
-> besonders sichtbar bei geringem IQ von Frauen
Kann eine zu hohe Intelligenz NAchteile mit sich bringen?
Quadratischer Effekt mit Outcomes nicht sichtbar
-> emirisch nicht gestützt
Was hat extrem hohe Intelligenz für eine Vorhersagekraft?
Untersuchung von mehr als 2000 Personen, die mit 13 zu den top 1% zählten
-> Auch im Extrembreich hat IQ noch eine Vorhersagekraft
Mit was korreliert die Intelligenz noch?
Hohe Kreativität
Liberale politische Einstellungen
Wenig Religiosität
Wenig Kriminalität
(minimal) höheres Wohlbefinden
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