Was sind die drei aktuellen, übergeordneten/umfassenderen Perspektiven auf Perschönlichkeitsunterschiede?
I. Agency und Communion als basale Dimensionen der Persönlichkeit
II. Das integrative Modell von McAdams & Pals (2006)
III. Das Modell von Dweck (2017)
Was sind Agency und Communion?
David Bakan (1966): Zwei Grundthemen der menschlichen Existenz:
Communion:
Das Streben nach Gemeinschaft mit anderen, nach Teilhabe, Kooperation und Bindung
-> Bezieht sich auf sozialen Anschluss
Agency:
Das Streben nach Eigenständigkeit, Einzigartigkeit und Kontrolle
-> Beinhaltet Selbstschutz, Selbstbehauptung und Selbstentfaltung
-> Bezieht sich auf das Abgrenzen/Herausstechen/sozialen Status
Robert Hogan & Cheek (1985): Sozio-analytische Theorie
Zwei zentrale Aufgaben im menschlichen Miteinander:
Sozialer Anschluss (an eine Gruppe) ist für Menschen überlebenswichtig -> Aufgabe 1: sozialen Anschluss sichern („getting along“ - communion)
Gruppen sind praktisch immer hierarchisch organisiert
-> Aufgabe 2: Status in Hierarchie sichern („gettingahead“ -agency)
-> Die Grundthemen Agency und Communion sollten also eine zentrale Rolle spielen bezüglich menschlicher Motive, Persönlichkeitsselbstbeschreibungen und Persönlichkeitsfremdbeschreibungen
Wo lassen sich communion und agency finden?
Freuds Definition von psychischer Gesundheit (Liebe und Arbeit)
Trait Selbstbeschreibungen (übergeordnete Faktoren auf denen die big five Traits laden
Communion: A= Stabilität im Emotionalen (N), sozialen (A), und motivationaler Bereich (C)
Agency: B= Plastizität beim explorieren neuer sozialer (E) und intellektueller Bereiche (O) interpretieren
Verhaltensbeschreibungen: Interpersonaler Circumplex (Leary, 1957)
-> jegliche soziale Verhaltensweise lässt sich auf der Fläche zweier Dimensionen einordnen:
Agency: Dominanz
Communion: Liebe
Stereotype Content Model (Fiske et al.)
-> Stereotype lassen sich auf einer Fläche mit 2 Dimensionen einordnen
Competence: Agency
Warmth: Communion
in den 3 zentralen menschlichen Motiven (McClelland)
Agency: Lesitungsmotiv, Machtmotiv
Communion: Affliiationsmotiv
Wie lassen sich die Fakten zu Agency und Communion zusammenfassen?
Die Dimensionen agency/getting ahead und communion/getting along tauchen in den verschiedensten Forschungsbereichen unabhängig voneinander auf
Motivdispositionen
Trait-Selbstbeschreibungen
Verhaltensbeschreibungen
Stereotype
…
Integratives Potential: Die beiden Dimensionen können Ähnlichkeiten und Zusammenhänge zwischen Konstrukten aus versch. Forschungstraditionen erklären
Die Omnipräsenz von Agency und Communion spricht für die Annahme, dass es sich um basale Dimensionen von Persönlichkeit und sozialer Wahrnehmung handelt
Was ist das integrative Modell von McAdams und Pals (2006)
Breites Modell der Persönlichkeit, in dem Biologie, Kultur, eigenschafts-theoretische Ansätze, spezifische Eigenschaften, etc. berücksichtigt werden
Basiert auf fünf Prinzipien
Was ist das erste Prinzip des integrativen Modells von McAdmas und Pals?
Prinzip 1: Evolution und die menschliche Natur:
Ausgangspunkt: Evolutionspychologische Perspektive: Evolutionär relevante Problemstellungen, mit denen sich unsere Vorfahren auseinandersetzen mussten
Soziale Eingebundenheit („getting along“) (siehe eben)
Sozialer Status („getting ahead“) (siehe eben)
Sicherheit
Persönlichkeitsunterschiede und Persönlichkeitswahrnehmung mit Bezug auf diese Problemstellungen sind besonders salient:
werden von Beobachtern besonders schnell erkannt
werden in Gesprächen häufig thematisiert
spielen bei persönlichen Entscheidungen häufig eine wichtige Rolle („Wen soll ich heiraten?“, „Wem kann ich vertrauen?“, „Wer wäre ein guter Anführer?“, etc.)
Die Natur steckt den Rahmen ab: „Auf welche Inhaltsbereiche sollten PersönlichkeitspsychologInnen ihre Aufmerksamkeit richten?“
-> Ähnliche Argumentation wie bei Teil I (agency/communion)
Was ist das zweite Prinzip des integrativen Modells von McAdams?
Prinzip 2: Dispositionelle Persönlichkeitseigenschaften
Breite, nicht konditionale und dekontextualisierte Merkmale, die eine Person in unterschiedlichen Situationen und über die Zeit hinweg immer wieder zum Ausdruck bringt (traits)
Beschreiben, wie eine Person im Allgemeinen denkt, fühlt und handelt
Stehen im Fokus von eigenschaftstheoretischen Ansätzen, wie dem Big Five Modell
Stellen die stabilsten Persönlichkeitsaspekte dar; werden von anderen am ehesten bemerkt und zur Persönlichkeitsbeschreibung genutzt
Direkter Bezug auf das Gruppenleben:
„Wie dominant ist Person x?“ (Extraversion)
„Ist x freundlich und kooperativ?“ (Verträglichkeit)
„Kann ich auf x zählen?“ (Gewissenhaftigkeit)
„Ist x emotional stabil und belastbar?“ (Neurotizismus)
„Ist x bereit, sich auf neue Sachverhalte einzulassen?“ (Offenheit)
Was ist das dritte Prinzip des integrativen Modells von McAdams?
Prinzip 3: Charakteristische Adaptationen
Motivationale und sozial-kognitive Eigenschaften, die zeitlich und situativ und/oder auch in sozialen Rollen verankert sind
Beschreiben, wie eine Person als Reaktion auf bestimmte Situationen denkt, fühlt und handelt (Kontextualisierung)
„characteristic“ = das typische Erleben und Verhalten
„adaptation“ = als Reaktion auf bestimmte Situationen
Beispiele: Motive, Ziele, Pläne, Werte, Einstellungen, Selbstbilder, spezifische Fertigkeiten und Talente, Bindungsstile, Copingstile, etc.
Stehen im Fokus vieler klassischer Persönlichkeitstheorien, wie bspw. Psychoanalytische Theorien (Abwehrmechanismen), Lerntheorien (Konditionierung), Kognitive Theorien (Schemata)
Weniger zeitstabil als traits, einfacher modifizierbar (bspw. durch Kultur/Erziehung/Therapie/Coaching) und meist nicht direkt beim ersten Kennenlernen ersichtlich
Beziehung zu traits: Traits sind die basaleren Persönlichkeitseigenschaften; CAs hängen teilweise (aber bei weitem nicht vollständig) von den traits ab
Beispiel Neurotizismus: „Wie emotional stabil ist eine Person im Allgemeinen?“ (trait); CA: „Wie reagiert die Person in Stresssituation x?“ (Copingstil)
Was ist das vierte Prinzip des integrativen Modells von McAdams?
Prinzip 4: Identität und Sinnerleben
Narrative Identität: Lebenserzählung (life story), die eine Person immer wieder erzählt, um die rekonstruierte Vergangenheit und die antizipierte Zukunft in ein mehr oder weniger kohärentes Ganzes zu integrieren
beschreibt die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aspekten des Lebens (Position der Person im sozialen Gefüge, die Zweckhaftigkeit des eigenen Handelns, Stabilität und Veränderung des Selbst)
Ziel: Sinn und Bedeutung des eigenen Lebens konstruieren
Wird zeitlebens kreiert und revidiert (Beginn in der Adoleszenz)
Kann auch scheinbar widersprüchliche Aspekte eines Lebens integrieren:
Beispiele
Liebevolle und konfliktscheue Mutter vs. knallharte Anwältin
-> Beschreibung des Lebens als Kampf, bei dem Schwächere vor Bedrohungen beschützt werden müssen
Rebellischer Teenager -> Gewissenhafter Geschäftsmann mit 35 -> Erfolgreicher Unternehmer mit 60
-> Beschreibung des Lebens als ein Wachsen an der Überwindung von Schwierigkeiten
In Hinblick auf seine life story ist jedes Individuum einmalig
Aber: Bestimmte Themen/Muster kommen immer wieder vor (Erlösung, sozialer Anschluss, etc.)
-> Die narrative Identität beschreibt die subjektive Sicht eines Menschen auf sein Leben als Ganzes
Was ist das fünfte Prinzip des integrativen Modells von McAdams?
Prinzip 5: Der Einfluss der Kultur
Die Kultur beeinflusst die Persönlichkeit auf allen drei Ebenen
Aber: Eher bescheidener Einfluss auf Traits, stärkerer Einfluss auf charakteristische Adaptationen und noch stärkerer Einfluss auf narrative Identität
Traits:
Der Phänotyp eines traits kann sich von Kultur zu Kultur unterscheiden (Beispiel: extravertiertes Verhalten in den USA vs. in Japan)
Charakteristische Adaptationen:
Haben expliziten Bezug zur Umwelt (Kontextualisierung)
Deutlicher Einfluss der Kultur auf Werte, Ziele, Einstellungen, Selbstbilder, etc.
-> Kulturen unterscheiden sich in dem Ausmaß, indem sie einzelne charakteristische Adaptationen fördern (bspw. individualistische Kulturen -> Unabhängigkeit als Wert)
Narrative Identität:
Die Kultur stellt eine Reihe von Themen bereit, die in die Lebensgeschichte aufgenommen werden können (populäre Erzählungen, Mythen, etc.)
Kulturen unterscheiden sich in der Wichtigkeit einzelner Themen (bspw. „Erlösung“ in USA)
-> Lebenserzählungen sind sehr stark von der Kultur geprägt
Wie wird die narrative Identität erfasst?
Das Life Story Interview
Vorgehen:
Einteilen des Lebens in verschiedene Kapitel
Prägende Ereignisse (Höhepunkte, Tiefpunkte, Wendepunkte)
Schlüsselszenen aus Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter
Wichtige Herausforderungen
Prägende Personen
Prägende Bücher/Filme
Visionen für die Zukunft
Weltanschauung
Auswertung: Expertenkodierung -> Bestimmung zentraler Themen
Status (Leistung und Macht)
Sozialer Anschluss
Erlösung: Erstarktes Hervorgehen aus Schwierigkeiten
Kontamination: Negative Konsequenzen eines vermeintlich positiven Ereignisses
Etc.
Wie lässt sich das integrative Modell von McAdams udn Pals zusammenfassen?
Rahmenmodell, in dem verschiedene Forschungstraditionen und Fragestellungen der Persönlichkeit integriert werden
Postuliert drei Schichten der Persönlichkeit
Oberste Schicht: narrative Identität
Mittlere Schicht: charakteristische Adaptationen
Unterste Schicht: Traits
Ermöglicht eine umfassendere Beschreibung der Persönlichkeit als die meisten anderen Ansätze
Kritik: Schwierig umfassend empirisch zu testen
Worauf beruht das Modell von Carol Dweck (2017)?
Drei psychologische Grundbedürfnisse: Akzeptanz, Vorhersagbarkeit, Kompetenz
Schon kurz nach der Geburt:
Verstärkte Aufmerksamkeit auf Reize, die mit einem der Bedürfnisse zu tun haben
Verhalten zielt darauf ab, Bedürfnisse zu befriedigen
Beeinträchtigtes Wohlbefinden, wenn eines der Bedürfnisse nicht befriedigt wird
Im Laufe der Entwicklung drei zusätzliche Bedürfnisse, die Kombinationen der Grundbedürfnisse darstellen (Kontrolle, Vertrauen, Selbstwert/Status)
Selbstkohärenz als übergeordnetes Bedürfnis. Befriedigt, wenn…
die Person eine stabile Identität entwickelt hat, die die verschiedenen Bestandteile des Selbst integriert
die Person eine Sinnhaftigkeit in ihrem Leben erkennt
Wie funktioniert das Modell von Carol Dweck?
Um die psychologischen Bedürfnisse zu befriedigen, verfolgen Menschen bedürfnisspezifische Ziele (bspw. Akzeptanz -> Freunde finden/Freundschaften pflegen).
Durch wiederholte Erfahrungen bei der Zielverfolgung entwickeln sich bestimmte, relativ zeitstabile Überzeugungen (beliefs), Emotionen (emotions) und Handlungstendenzen (action tendencies). -> „BEATs“
Die BEATs führen dazu, dass während künftiger Zielverfolgung bestimmte Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen auftreten, die von der Person bewusst wahrgenommen werden können („online acts & experiences“).
Durch Rückkopplungsschleifen können sich BEATs und online acts and experiences gegenseitig verstärken.
Breite Persönlichkeitseigenschaften (traits) sind bestimmte Muster von online acts and experiences, die bei bei der Zielverfolgung immer wieder auftreten. Sie gehen einher mit charakteristischen zugrundeliegenden Bedürfnisse und BEATs.
Wie lässt sich Dwecks Theorie auf Vertäglichkeit, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit anwenden?
Verträglichkeit: (hoch)
Zugrundliegende Bedürfnise: Akzeptanz & Selbstwert/Status
BEATs: Wahrnehmung der Welt als sicheren Ort & positive Sicht anderer Menschen
Online acts & experiences: Freundlichkeit, Vergebung, Warmherzigkeit, etc.
Neurotizismus: (hoch)
Zugrundliegendes Bedürfnisse: Akzeptanz & Selbstwert/Status
BEATs: Wahrnehmung der Welt als unsicheren Ort & mangelndes Gefühl der Kontrolle
Online acts & experiences: Ängstlichkeit, Nervosität, Verhaltenshemmung, etc.
Gewissenhaftigkeit:
Zugrundeliegende Bedürfnisse: Kompetenz & Kontrolle
BEATs: Selbstvertrauen, Gefühl von Kontrolle
Online acts & experiences: Durchhaltevermögen bei der Zielverfolgung, Selbstdisziplin, etc.
Wie lässt sich Dwecks Theorie zusammenfassen?
Umfassende Theorie, die Motive, Entwicklung, spezifische Persönlichkeitseigenschaften (Selbstbilder, Überzeugungen, etc.) und breite Persönlichkeitsdispositionen (traits) kombiniert
Knüpft an die Tradition früher Theorien an, die Motive/Triebe als Kernbestandteil der Persönlichkeit betrachtet haben (Freud, Rogers, etc.)
Stellt Verknüpfung her zwischen „funktionalen“ Persönlichkeitsansätzen, welche versuchen, Erleben und Verhalten zu erklären (bspw. CAPS Model, siehe BEATs) und deskriptiven Ansätzen, wie den Big Five
Alleinstellungsmerkmal: Sieht traits nicht als kausal wirksame Entitäten, sondern als Phänomene, die durch zugrundeliegende Bedürfnisse und kognitive-emotional-behaviorale Komponenten (BEATs) zu erklären sind
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