Interpretation von Plastik
Bei der Analyse von dreidimensionalen Kunstwerken bietet die Kenntnis der formalästhetischen Probleme erst die Grundlage für die Interpretation.
Wichtige Begriffe
Bezeichnungen, Verfahren, Material
dreidimensionales Kunstwerk: Skulptur, Plastik, Objekt
Bildwerk und Bildnerei
Armierung: Gerüst auf das das Material einer Plastik aufgetragen wird.
abgebundener Zustand: fester Zustand von Gips
Akkumulation, Assemblage, Konstruktion oder Montage: Zusammenfügen von Objekten
ready-made, object trouvé
Objektkunstwerk, kurz: Objekt
Materialgerechtheit: auch Materialgerechtigkeit
Stofflichkeit
Inkarnat (Haut)
Faktur
Werkspuren
Körper-Raum-Beziehung
Körper nur im Raum fassbar
Plastik nimmt realen und virtuellen Raum ein
Material kann positive und negative Formen des Raums einnehmen
Block, blockhaft, raumabweisend
stereometrische Idealformen
konvexe Wölbung
Kernplastik
Wechselspiel zwischen konkaven und konvexen Bereichen
raumoffene oder raumhaltige Werke
eingezogene oder Hohlformen
Durchbrüche
raumgreifend oder raumweisend
Hohl- oder Mantelform
ausgedünnte Formen
weniger plastisch als linear
Raumzeichen oder Raumlineaturen
Volumen, Masse und Gewicht
Volumen (auch: plastisches Volumen)
Teilvolumina
Masse (der verwendeten Menge Material)
Massevolumen und Raumvolumen
massiv
Mantelform
Gesetz der guten Gestalt
prägnante Raumformen
Amorphe: gestaltlose Formen
Gewicht
optisches Gewicht
massig
Größe, Präsentation
Groß- und Kleinplastik
unterlebensgroßes, lebensgroßes oder überlebensgroßes Werk
Monumental- oder Kolossalplastiken
Sockel und Postamente
Plinthe: Bauelement zur Standfestigkeit
Freiplastiken
Ansichtigkeit, Kontur, Blickführung
Ansichtigkeit (auch: Aspekt)
Einansichtig
Relief
versenktes und erhabenes Relief
Flach- oder Basrelief, Halbrelief und Hoch- bzw. Hautrelief
Hinterschneidungen: Elemente die das Entfernen aus dem Spritzgießwerkzeug behindern
en face, von vorn (auch: frontalansichtig)
Nischen- und Wandfiguren
Bauplastiken
Bodenplastiken
Hänge- und Schwebeplastiken
Standplastiken
Freistehende Werke
voll- bzw. rundplastisch
mehransichtig
Hauptansicht
Allansichtige Plastiken
Schauseiten
Kontur
Silhouette, der Schattenriss
Blickführung
Licht und Schatten
Wirkung des Lichtes
erhabene Teile
Spitzlichter (hell reflektierende Stellen)
transluzider Charakter
Eigenschatten (auch: Körperschatten)
Schlagschatten
Halb- oder Nebenschatten
Kernschatten
Licht-Schatten-Spiel
summarisch, zu einem großen zusammengefassten Detail
Oberfläche, Plastizität
Oberflächenstruktur oder -beschaffenheit (auch: Textur)
haptisch, begreifbar
Bosse (Werkspuren)
Non-finito
Fassung
polychrom, d.h. mehrfarbig gefasst
plastische Eigenschaften
Plastizität
Gerichtetheit, Bewegung, Zeit
Gerichtetheit
Richtungsbeziehungen
Rhythmus oder Kontrast
Kontrapost (Gegensatz)
Zentrum
Gleichgewicht, Statik und Dynamik
dargestellte Bewegung
fruchtbarer Moment
tatsächliche Bewegung
kinetische Plastik
Bewegung des Betrachters
ideelle Bewegung
dargestellte Zeit
Betrachterzeit
ideelle Zeit
Komposition, Proportion
Komposition, auch Aufbau oder Gliederung
organisch (gewachsen) oder tektonisch (gebaut)
Proportionen
Kanon
Goldener Schnitt
Bezeichnungen, Verfahren und Material
Ein dreidimensionales Kunstwerk ist: eine Skulptur, Plastik oder Objekt.
Skulptur: wird wegnehmend oder abtragend hergestellt.
Material: Holz und Stein
Korrektur: schwierig, entfernte Masse vom Stein, kann nicht mehr hinzugefügt werden.
Plastik: wird aufbauend und modellierend erschaffen
Material: Ton, Wachs oder andere formbare Werkstoffe
Oft auf ein Gerüst, die Armierung angetragen, Korrekturen sind möglich.
Gips kann im feuchten Zustand modelliert und im festen abgebundenem Zustand, wie ein weicher Stein skulptiert werden.
Objekt: besteht im Zusammenfügen von Gegenständen, ob als Akkumulation, Assemblage, Konstruktion oder Montage. Diese Gegenstände können vorfabrizierte, fabrikneue (“ready-made”) oder Fundstücke mit Gebrauchsspuren (“object trouvé”) sein.
Die Wahl des Materials hängt nicht nur von der technischen Umsetzbarkeit ab, sondern auch vom Anspruch auf Materialgerechtheit (auch: “Materialgerechtigkeit”). Damit ist die Wahl des Werkstoffs gemeint. Meist aber auch der richtige Umgang mit dem gewählten Material.
Auch die Nachahmung der Stofflichkeit, die Darstellung von Textilien, Haaren oder Inkarnat (Haut) durch Stein oder Holz. Manche heben auch den Charakter des Werkstoffs hervor, um die Faktur, die Machart, z.B. in Werksspuren zum Ausdruck zu bringen.
Ein Körper, ob natürlich oder künstlich kann nur im Raum existieren. Ein Raum lässt sich nur mittels in ihm befindlicher Körper definieren - der unendliche, leere und freie Raum ist unanschaulich.
Eine Plastik nimmt realen Raum ein. In der Vorstellung wirkt sie virtuell auf den umgebenen Raum, wodurch z.B. Spannungen entstehen können.
Die aus Material bestehenden positiven Formen eines Körpers und die immateriellen negativen Formen des Raums können viele verschiedene Verhältnisse zueinander einnehmen.
Eine Grundform eines Körpers ist der Block, merkt man es ihm noch an, wirkt dieser blockhaft und raumabweisend.
Die Kernplastik hat stereometrische Idealformen wie die Kugel, die durch ihre konvexe Wölbung dem Raum keine Angriffsfläche bietet. Auch das Wechselspiel zwischen konkaven und konvexen Bereichen und das sich dem Raum öffnen, raumoffen oder raumhaltig, kann spannend sein. Körper können auch raumgreifend oder raumweisend sein. Es können Kompositionen mit dominanter Hohl- oder Mantelform oder auch von einem Durchbruch geprägte und ausgedünnte Formen vorkommen.
Es gibt Formen die sich weniger plastisch als linear im Raum erstrecken und Raumzeichen oder Raumlineaturen darstellen.
Das Volumen einer Plastik (auch: plastisches Volumen) oder einzelne Teilvolumina können auf zweifache Weise entstehen: aus der Masse (der verwendeten Menge Material) und aus den geformten Raumanteilen. Man kann zwischen Massevolumen und Raumvolumen unterscheiden. Volumen können verschieden dargestellt werden: bei einem massiven Würfel ist das plastische Volumen mit dem Massevolumen identisch. Bei einer Mantelform (einem von Flächen umschlossenen hohlen Würfel) wird es aus dem Massevolumen und den Raumvolumen gemeinsam gebildet.
Der Betrachter kann in seiner Vorstellung die reduziert gegebene Form nach dem Gesetz der guten Gestalt, wenn sich prägnante Raumformen ergeben komplettieren, z.B. leicht zu identifizierende Gegenstände oder stereometrische Idealkörper wie Kugel, Quader, Kegel, Zylinder, Pyramide. Amorphe, gestaltlose Formen sind schwerer gedanklich ergänzbar.
Zwei Körper mit demselben plastischen Volumen können folglich ein ganz unterschiedliches Gewicht besitzen. (Je nach verwendetem Werkstoff und dessen spezifischem Gewicht können auch Körper mit demselben Massevolumen unterschiedlich schwer sein.) Das wahre in Zahlen ausdrückbare Gewicht spielt dabei nur selten eine Rolle. Bedeutsamer ist das optische Gewicht. So kann ein Werk auch trotz wenig Materialverbrauchs schwer und massig wirken, wenn eine besondere Masseverteilung diesen Eindruck begünstigt. Kompositionen und Anordnung können auch den gegenteiligen Eindruck auslösen: ein Würfel wirkt viel leichter, wenn er auf eine seiner Spitzen gestellt oder gar aufgehängt wird.
Die Wirkung einer Plastik hängt u. a. davon ab, ob es sich im Vergleich zur eigenen Körpergröße um eine Groß- oder Kleinplastik handelt. Es sollte stets geklärt werden, ob ein unterlebensgroßes, lebensgroßes oder überlebensgroßes Werk vorliegt.
Monumental- oder, als Steigerung, Kolossalplastiken wollen durch ihre Größe beeindrucken. Draufsicht, Untersicht oder Frontalansicht bringen ganz verschiedene Wirkungen mit sich.
Sockel und Postamente, ursprünglich nur Schutz vor Bodennässe, bekamen eine wichtigere Funktion, vor allem bei Denkmälern, weil diese so dem Betrachter eine Untersicht aufzwingen und Überlegenheit suggerieren können. Es gibt auch sogenannte Plinthe, die meistens aus demselben Material wie die Figuren besteht und hauptsächlich der Standfestigkeit dienen.
Die Wirkung hängt also vom Kontext ab. Dies gilt besonders für Freiplastiken: eine Plastik im Freien sieht kleiner aus, als wenn man sie in geschlossenen Innenräumen sieht.
Die Ansichtigkeit (auch: der Aspekt), die Frage des Betrachterstandpunktes ist bei Plastiken variabler. Eine Plastik kann eine oder auch mehrere gültige Ansichten haben.
Einansichtig ist das Relief, das Bindeglied von der realen Dreidimensionalität der Plastik zur Raumillusion der Malerei. Man unterscheidet zwischen versenktem und erhabenen Relief. Beim letztgenannten unterscheidet man noch in Bezug auf den Grad der Erhebung vom Reliefgrund zwischen Flach- oder Basrelief, Halbrelief und Hoch- bzw. Hautrelief. Durch Hinterschneidungen kann das Hochrelief in die Nähe vollplastischer Figuren rücken.
Einansichtig, und zwar meistens en face, von vorn (auch: frontalansichtig), sind ebenso Werke, die für eine Nische oder Wand konzipiert sind (sogenannte Nischen- und Wandfiguren). Dazu zählen Bauplastiken, wie man sie an den Außenwänden mittelalterlicher Kathedralen findet. Bodenplastiken dehnen sich wie das Relief in zwei Richtungen aus. Eine Sonderform sind auch Hänge- und Schwebeplastiken.
Die meisten Plastiken sind Standplastiken. Freistehende Werke, die voll- bzw. rundplastisch ausgeführt sind und mehransichtig sein können und oft eine Haupansicht haben, in der sie am aufschlussreichsten sind. Allansichtige Plastiken kann man nur aus verschiedenen Perspektiven erfassen. Auch sie haben häufig eine oder zwei Schauseiten, von wo sie am meisten Wirkung entfalten.
Mit dem Standort des Betrachters ändert sich auch die Kontur, die Umrisslinie der betrachteten Plastik. Am besten verdeutlicht das ihre Silhouette, der Schattenriss.
Die Ansichtigkeit und stimmige Wirkung der Kontur sind - neben der Gerichtetheit - hauptverantwortlich für die Blickführung, in der die einzelnen Teile betrachtet werden sollen.
Licht und Schatten dienen der Klärung der Körperlichkeit und beeinflussen die Wirkung.
Die Wirkung des Lichtes ist auch vom Material und seiner Bearbeitung abhängig: dunkles Material mit leicht rauer Oberfläche wirkt lichtarm, weil es mehr Licht absorbiert, als polierte Bronze, deren erhabene Teile viel stärker Spitzlichter (hell reflektierende Stellen) aufweisen. Auf Hochglanz poliertes Material mit glatten Flächen spielgelt oft die Umgebung, die damit Teil der Plastik wird. Gips wirkt stumpf, weißer Marmor hat einen transluziden Charakter, der das Licht ein Stück unter die Oberfläche dringen lässt und leuchtet.
Beim Schatten, der untrennbar mit dem Licht zusammenhängt, muss man zwischen dem Eigenschatten auf der Oberfläche einer Plastik (auch: Körperschatten) und dem Schlagschatten, den die Plastik auf die Umgebung wirft, unterscheiden. Die Wirkung des Schatten hängt auch vom Material ab und auch von dessen Farbe, denn auf dunklen Gegenständen sind Schattenverläufe schwieriger auszumachen als auf hellen. Stellen, die nicht direkt ausgeleuchtet sind und verlaufende Schatten aufweisen, bezeichnet man als Halb- oder Nebenschatten, völlig unbeleuchtete als Kernschatten.
Das Licht-Schatten-Spiel einer Plastik hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Lichtquelle, dem Material und seiner Farbe, natürlich auch von der Bearbeitung der Oberfläche und der Plastizität. Denn eine an Einzelheiten reiche oder zerklüftete Arbeit hat ein unruhigeres und bewegteres Licht-Schatten-Spiel als ein Werk mit summarisch behandelten, zu einem großen Ganzen zusammengefassten Details.
Die Oberflächenstruktur oder -beschaffenheit (auch: Textur) ist neben ihrer Bedeutung für Licht und Schatten stark für die haptischen, begreifbaren Qualitäten verantwortlich.
Je nach Material und Bearbeitung kann die Oberflächenstruktur glatt, stumpf, warm, kalt, poliert, rau, feucht, rissig, spröde, rostig o.ä. sein. Auguste Rodin stellte die Werkspuren seines Meißels im Marmor, die Bosse, gern geschliffenen und polierten Stellen gegenüber, um die fertigen Teile durch dieses absichtsvolle Non-finito um so kunstvoller erscheinen zu lassen.
Die Überarbeitung der Oberfläche einer Plastik mit anderen Materialen nennt man Fassung. Die meisten Werke der Antike und des Mittelalters waren polychrom, d.h. mehrfarbig gefasst.
Je stärker die Oberfläche strukturiert wird, desto mehr plastische Eigenschaften erhält sie: sie wird zur Plastizität. Dieser Begriff meint Formbarkeit und plastische Beschaffenheit, Körperlichkeit.
Unter der Gerichtetheit einer Plastik versteht man die Dominanz von Ausdehnungen in eine oder mehrere Richtungen. Bei Figuren, bei denen die Körperachse auschlaggebend ist, finden sich meist verschiedene Richtungsbeziehungen (das Zusammenspiel verschiedener Richtungen), die oft in einem bestimmten Rhythmus oder Kontrast angeordnet sind. Bei figürlichen Werken ist die Gerichtetheit mit anschaulichen Begriffen wie stehend, liegend, sitzend, sich aufrichtend beschreibbar. Eine beliebte Anordnung ist der Kontrapost (Gegensatz).
Rausweisende Körper (vom Zentrum nach außen), raumabweisende Körper (nach innen)
Die Gerichtetheit ist eng mit dem Verhältnis des Körpers zu Raum verknüpft, sie gibt auch Aufschluss über Gleichgewicht, Statik und Dynamik eines Werks. Bewegung kann als dargestellte Bewegung, z.B. einer Handlung, angelegt sein. Es kann entweder ein Bewegungsfluss oder ein Moment des Stillstands innerhalb eines Ablaufs dargestellt werden. Ein Begriff dafür ist der fruchtbare Moment, der einen Zeitpunkt im Handlungsablauf zeigt. Ebenso ist eine tatsächliche Bewegung möglich: zum einen in beweglichen, kinetischen Plastiken, deren Körper-Raum-Beziehung ständig wechselt und zum anderen in der Bewegung des Betrachters.
Auch eine ideelle Bewegung kann vorhanden sein: als Introvertiertheit und innere Bewegtheit oder als Weltzugewandtheit und Extrovertiertheit. Wie die dargestellte Bewegung kann auch eine dargestellte Zeit, z.B. in einem bestimmenden Handlungsablauf, eine Rolle spielen. Auch die Zeit außerhalb des Kunstwerks kann wichtig sein: als Betrachterzeit.
Jede Plastik hat ebenso auch eine ideelle Zeit. Ein nach innen gerichtetes, statisches, blockhaftes Werk erhebt einen stärkeren Anspruch auf ewige Gültigkeit als ein nach außen gerichtetes, raumoffenes, dynamisch-bewegtes, das eher flüchtig und vergänglich wirkt.
Eine Untersuchung der Komposition (lat. Zusammensetzung), auch Aufbau oder Gliederung, beinhaltet im Grunde alle bisher besprochenen Aspekte. Entscheidend sind die Formkontraste, das Verhältnis der Teile zum Ganzen, den Rhythmus und die Abfolge der Teilvolumina und -massen. Der Aufbau einer Arbeit kann entweder organisch (gewachsen) oder tektonisch (gebaut) erscheinen. Die eine ist mehr der Natur, die andere der Architektur verwandt.
Zu untersuchen ist auch, ob den Proportionen ein bestimmtes Schema zugrunde liegt. Künstler suchten immer Gesetze oder zumindest einen Kanon, eine Richtschnur, mittels derer sich Schönheit und Harmonie definieren lassen. Jede Zeit hat ihren eigenen wandelbaren künstlerischen Ausdruck. Eine Ausnahme bietet nur der Goldene Schnitt, der Strecken, Flächen oder Körper in einem konstruierbaren harmonischen Verhältnis teilt und seit der Antike Anwendung findet.
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