-Makroebene: Sozialstruktureller Wandel der Gesellschaft in historischer Zeit
-Mikroebene: Handeln von Akteuren im Lebenslauf
-Da Makro- und Mikroebene eng verknüpft sind, ändern sich mit dem sozialstrukturellen Wandel auch Lebensläufe – sie stehen in einer wechselseitigen Beziehung
==> Makro-Mikro: Auswirkungen gesellschaftlicher Strukturen auf individuelles Handeln durch Normen (Beeinflussung der Handlungsziele von Akteuren)
==>Mikro-Makro: Strukturelle Auswirkungen vom sozialen Handeln einzelner
-Lebenslaufansatz: Längsschnittbetrachtung gesellschaftlicher Phänomene und Ungleichheiten (keine Momentaufnahmen, sondern längerfristige Perspektiven) ==> Drei Interdependenzen
o Makro-Mikro-Makro-Interdependenz
§ Lebensläufe vollziehen sich im Kontext verschiedener Ebenen von Handlungsbedingungen und wirken auf diese zurück
§ Dazu gehören: Gruppen (z.B. Familie), Organisationen, Netzwerke, Staat (z.B. Bildungssystem, Recht, Sozialgesetzgebung) und Wirtschaft (z.B. Markt; Arbeits- und Gütermärkte), Sozialräume und historisch gewachsene gesellschaftliche Bedingungen
==> d.h. verschiedene Kontexte, wie der allgemeine historische und gesellschaftliche Bereich, sowie die soziale Einbettung in soziale Gruppen und Netzwerke, außerdem Paar- und Familienbeziehungen
o Interdependenz und Lebensbereiche
§ Lebenslauf besitzt mehrere Dimensionen: Lebensbereiche beeinflussen sich gegenseitig (Familie, Arbeit, Freizeit, Wohnen etc.; psychosoziale, individuelle Entwicklung)
o Vorher-Nachher-Interdependenz
§ Pfadabhängigkeit – früher Erfahrungen, Handlungen und Entscheidungen prägen zukünftige Interessen und Handlungsmöglichkeiten, antizipierte Entwicklung des Lebenslaufes wirkt auf aktuelle Entscheidungen zurück
==> Beispiel für Pfadabhängigkeit
==> Intergenerationale Klassenmobilität – Statuszuweisungsmodell (status-attainment-model)
-Thesen (nach Kohli)
o Bedeutung des Lebenslaufes als soziale Institution hat zugenommen
o Ablauf der Lebenszeit wird zu einem zentralen Strukturprinzip der Lebensform (Verzeitlichung)
o Die Verzeitlichung orientiert sich an chronologischem Lebensalter – das führt zu einem chronologisch standardisierten „Normallebenslauf“ (Chronologisierung)
-Lebenslauf als Institution: der Lebenslauf ist zu einem Komplex erwartbarer Abläufe geworden – dies gilt für
o Die Reihenfolge von Lebensereignissen
o Das Auftreten sowie die altersspezifische Terminierung von Ereignissen (Chronologisierung des Lebenslaufs)
o Und die Länge des Lebenslaufs
-Lebenslauf ist planbar und kalkulierbar geworden
-Von der Zufälligkeit der Lebensereignisse zu einem vorhersehbaren Lebenslauf (z.B. Konzentration der Mortalität im hohen Lebensalter)
-Abnehmende Varianz der Übergänge im Familienzyklus (aktuell deutlich standardisierte Familienverläufe mit klaren altersspezifischen Schritten)
-Entstehung von Altersgrenzen, altersgeschichtliche Systeme öffentlicher Rechte und Pflichten
o Altersgrenzen im Zivilrecht, z.B. strafrechtliche Verantwortlichkeit, aktives und passives Wahlrecht, Wehrpflicht usw.
o Arbeitsmarkt: formelle und informelle Beförderungs- und Schutzregelungen, Einstellungsgrenzen
o Bildungssystem: Schulpflicht, Jahrgangsklassen
o Rentensystem: Entstehung einer einheitlichen und langen Altersphase
-Biographie: „Zwang zur Langsicht“, Lebensplanung wird zur Quelle der Identität, das Leben wird als individuelles – nicht als kollektives (z.B. der Familie) – Projekt angesehen, die Relevanz der Autobiographie steigt
-Rationalisierung
o Staatliche Leistungssysteme: Durchlauf durch soziale Systeme wird regel- und berechenbar – bspw. die Rente
o Rationalisierung des Wirtschaftens → Externalisierung sachfremder Orientierungen führt zur Ausdifferenzierung der entsprechenden Lebensbereiche (z. B. Trennung von Arbeit und Familie)
o Rationalisierung des Individuums (Leistungsprinzip: zielführende Effektivität, protestantische Ethik des Kapitalismus)
-Soziale Kontrolle
o Im Zuge der Individualisierung und Freisetzung des Individuums dient die Institutionalisierung des Lebenslaufs der (äußeren) sozialen Kontrolle – vormoderne Gesellschaft hatten starke äußere Kontrolle, wie bspw. die feste Einbindung in die Familie, etc.
-Sukzession (Nachfolgeregelung)
o Betriebe müssen nicht auf Dauer für ihre Arbeiter sorgen; Rentensystem bietet legitime Möglichkeiten, ältere Arbeitskräfte loszuwerden; dadurch kann Arbeitskräfteeinsatz effizienter gestaltet werden.
-Integration (Verhältnis verschiedener Lebensbereiche)
o Betriebe: Integration in Zeitstruktur der Betriebe
o Individuen: Abstimmung zwischen Anforderungen der Betriebe und Familie, Integration der Familienlaufbahn und Arbeitslaufbahn (häufig sequentielle Organisation der Lebensschritte, Integrationsentscheidungen sind folgenschwere Entscheidung im jungen Erwachsenenalter)
o Gestaltung des Übergangs ins Erwachsenenalter
-Universalismus und Askription
o Bindung der Lebensereignisse an das chronologische Alter widerspricht den normativen Kernprinzipien der Moderne – es findet eine Orientierung an erworbenem statt an zugeschriebenen Merkmalen statt
o Das chronologische Alter ist ein zugeschriebenes Merkmal, ähnlich dem Geschlecht – dies führt zu Auseinandersetzungen um die Altersgrenzen
-Konflikte im Institutionalisierungsprozess
o Institutionalisierung des Lebenslaufes bedeutet einerseits Entlastung – es ist nun ein festes Programm für die Lebensführung, welches Kriterien dafür setzt, was wann erreichbar ist
o Andererseits bedeutet es auch eine Einschränkung individueller Handlungsspielräume
-Diskussion: Abschied von der Normalbiographie oder neue Vielfalt von Lebensläufen und Stabilitäten?
-Früher: für Männer und Frauen war der Lebenslauf früher institutionell unterschiedlich geregelt: für Männer fand eine Dreiteilung statt, die Frau war auf die Familie zentriert
-Aktuell: De-Institutionalisierung und De-Standardisierung von Ausbildungs-, Berufs- und Familienverläufen
o Verbreitung familialer Ereignisse geht zurück (Heirat, Geburten, etc.) – die Altersvarianz aber nimmt zu
o Aufweichung der Dreiteilung des Lebenslaufs durch lebenslange Bildung, Modelle im Arbeitsbereich, die individuelle Arbeitszeitwünsche berücksichtigen
o Rückgang von Altersnormen hinsichtlich Kleidung, Sexualität, Teilnahme an formaler Bildung
==>Blick auf die historische Einordung: der institutionalisierte Lebenslauf entsprach einer bestimmten historischen Epoche – den 1960er Jahren (schnelles Wirtschaftswachstum, Expansion des Wohlfahrtsstaates, Vollbeschäftigung und männliche Normalarbeitsbiographie, weibliche Normalfamilienbiographie); seitdem Tendenz zur Deinstitutionalisierung.
-Kohli argumentiert, dass es gute Gründe gibt die Altersgrenzen im institutionalisierten Lebenslauf aufzuheben – Beharren darauf ergibt wenig Sinn
o Feste Altersgrenzen widersprechen dem Grundsatz der Gleichbehandlung und können als Diskriminierung aufgefasst werden. Sie widersprechen auch dem Grundsatz der Wahlfreiheit (Individualisierung) und führen zu unberechtigter Einschränkung individueller Freiheitsspielräume.
o Feste Altersgrenzen führen zum Brachliegen von Humankapitalreserven („junge Alte sind noch erwerbsbereit und –fähig“)
o Sie behindern die optimale Allokation von Arbeitskräften (Leistungsfähigkeit hat nur wenig mit dem Alter zu tun)
o Sie reagieren nicht/kaum auf sich verändernde demographische Bedingungen, was zu Finanzierungsproblemen des Rentensystems führt
-Kulturelle Voraussetzung des Altersbegriffs ist die Zeitrechnung
-Auch hier: Frühe Konzeptualisierungen von Zeit orientieren sich an natürlichen Zyklen (Tag, Nacht, Mondphasen, Jahreszeiten u.ä.)
-Entwicklung zur verallgemeinerten Zeitrechnung, die arithmetische Operationen ermöglicht (Jahr, Monat, Tag, Stunde, Minute, Sekunde)
-Im 14. Jh. entsteht der Julianische Kalender, ein Zeitgerüst, das arithmetische Operationen zulässt: Die gesellschaftliche Ordnung der Zeit wird zur zeitlichen Ordnung der Gesellschaft, Lebensläufe werden mit dem Geschehen einer bestimmten Gesellschaft (administrativ, geschichtlich, alltagspraktisch) verbunden – Geburtsdatum als Identitätsmerkmal
-„Alter“ meint chronologisches Alter
o Alter wird durch den Zeitpunkt der Geburt in einem bestimmten Jahr definiert
o Mit dem Alter lässt sich rechnen: ein Sechzigjähriger ist doppelt so alt wie ein Dreißigjähriger – Nullpunkt
o Subjektives Alter löst sich vom gesellschaftlich kodierten Alter, wie auch das subjektive Zeiterleben von der physikalischen Zeit
o Daraus resultieren Irritationen über den Begriff des Alters
-Diskussion z.B. Burgess ab Mitte 20. Jh.: „Roleless role of the elderly“
-Endlichkeit der menschlichen Existenz
o Individuen werden sich mit zunehmendem Alter ihrer Endlichkeit bewusst
o Gesellschaften müssen damit rechnen, dass Träger sozialer Rollen und Funktionen im Verlauf des Alterns ausfallen
-Gesellschaftliche Lösung: Alters- und Ruhestandsmechanismen
o Annahme: Individuen, die sich ihrer Endlichkeit bewusst sind, sind zum Rückzug aus sozialen Rollen bereit (Disengagement)
o Treffen diese Individuen auf entsprechende gesellschaftliche Rückzugsmaßnahmen (bspw. ausreichende Rente), wirkt sich Disengagement positiv auf die Lebenszufriedenheit aus
o Wird Disengagement in Gang gesetzt, verstärkt sich dieser Prozess, Reduktion von Interaktionen führt zu mehr Unabhängigkeit von Normen und zu einem weiteren Rückzug.
o Rückzug: universaler und normaler Alternsprozess; Defizitperspektive des Alterns
-Kritik:
o Theorie hat sich empirisch nicht bewährt
o Alternsprozesse verlaufen im Kulturvergleich sehr unterschiedlich
o Soziale Aktivitäten und Wohlbefinden hängen nicht negativ, sondern positiv zusammen („Aktivitätsthese“); psycho- und physischer Abbau ist nicht Ursache für gesellschaftliche Ausgliederung, sondern dessen Folge
o Lebensstil und Persönlichkeit führen zu Kontinuität im Alter
· Interindividuelle Unterschiede nehmen im Lebenslauf und im Zuge des Alterns zu – zunehmende Heterogenität innerhalb älterer Bevölkerungsschichten
· Matthäus-Effekt: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das, was er hat, genommen werden.“ (Matthäus-Evangelium)
· Soziale Ungleichheit verstärkt sich im Lebenslauf: Schon die Ressourcen im Elternhaus führen zu unterschiedlichen Startbedingungen, die sich durch das Bildungssystem und Arbeitsmarktchancen verstärken können und auch zu gesundheitlichen Ungleichheiten führen können
-Annahme: Status und Ressourcen der alten Menschen sowie der Verlauf des Alterns werden durch die Position in der Sozialstruktur bedingt, die wiederum von (kapitalistischer) Wirtschaft und Politik geprägt wird.
-Lebensphase Alter wird durch zwei Machtzentren geprägt: Wirtschaftssystem und Staat;
o Wirtschaft hat Interesse daran, dass Steuern und Abgaben gering sind (und wenig umverteilt wird),
o Staatliche Leistungen werden selektiv vergeben,
o Daher ist die Lebensphase Alter strukturell durch Hilfebedarf und Abhängigkeit gekennzeichnet
-Abhängigkeit und soziale Lage alter Menschen wird durch Ruhestandsregelungen, Sozial- und Gesundheitssystem hervorgerufen
-Soziale Lage alter Menschen ist Folge der Sozialpolitik und der Verteilung finanzieller Mittel
-Mikroebene: Beziehungen zwischen Generationen innerhalb von Familien: Welche Faktoren beeinflussen Zusammenhalt von Familien zwischen erwachsenen Kindern und alten Eltern?
-Frühe Ansätze: Gehen auf Gruppenansätze zurück
o Zuneigung (Affekt)
o Kontakt (Assoziation)
o Übereinstimmung in Werten (Konsens)
-Affekt und Assoziation korrelieren hoch, nicht aber Konsens
-Vern Bengtson führt zusätzliche Dimensionen ein:
o Struktur (z.B. Wohnentfernung)
o Normen (Identifikation und Bindung an Familie)
o Funktion (Austausch gegenseitiger Unterstützung und Hilfe)
-Das Modell der intergenerationalen Solidarität ordnet die Dimensionen: Struktur beeinflusst Kontakt, Kontakt beeinflusst Zuneigung und Normen, Affekt und Normen beeinflussen Funktion.
Zuletzt geändertvor 10 Monaten