Inwiefern ist eine EU-Richtlinie für den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, verbindlich?
Gem. Art. 288 III AEUV ist die RL für jeden MS, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindl.. Sie überlässt jedoch den innerstaatl. Stellen die Wahl der Form und Mittel.
Inwieweit kann man im Zusammenhang mit Richtlinien von einem zweistufigen Rechtsetzungsverfahren sprechen?
Die EU-Organe erlassen nur Rahmenregelungen., Die MS erlassen; nach den Regeln ihrer Verfassung die dazu erforderlichen Durchführungsmaßnahmen. Diese konkretisieren den RL-Inhalt und machen ihn anwendbar auf Behörden, Gerichte und Individuen.
Inwieweit kann man sagen, dass RL heute immer mehr in Widerspruch zur Intention der Vertragsschöpfer stehen?
Es gibt eine Tendenz, RL immer detaillierter zu formulieren, so dass den MS kaum mehr als die unveränderte Übernahme der Regelung ins nationale Recht verbleibt (hM: zulässig).
Wodurch unterscheiden sich Richtlinie und VO in ihrer Wirkung?
Im Unterschied zur VO, die unmittelbar in den MS gilt, ist die RL grds. nicht unmittelbar anwendbar. Die RL ist ferner nur hinsichtlich der Ziele und nicht - wie die VO - in allen Teilen verbindlich.
Kann eine Richtlinie ausnahmsweise unmittelbare Wirkung entfalten?
Der Einzelne kann sich im Fall der Nichtumsetzung ggü. dem nichtumsetzenden MS unmittelbar auf eine RL berufen, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist.
Wie rechtfertigt der EuGH die unmittelbare Wirkung von RL?
Der EuGH rechtfertigt die unmittelbare Wirkung von RL mit dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit ('effet utile"). Zweiter tragender Grund ist der Sanktionsgedanke.
Können die Bestimmungen einer nicht oder nicht vollständig umgesetzten Richtlinie auch zu Lasten Einzelner unmittelbar angewandt werden?
Unmittelbar nur zuungunsten des nichtumsetzenden MS (Sanktionsgedanke).
Was bedeutet vertikale Wirkung, was horizontale Wirkung einer Richtlinie?
RL entfalten eine unmittelbare Wirkung lediglich im Verhältnis zwischen dem Staat und dem Einzelnen (sog. vertikale Wirkung), jedoch nicht in den Rechtsbeziehungen der Einzelnen untereinander (sog. horizontale Wirkung).
Was bedeutet die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie für den nationalen Richter und den nationalen Verwaltungsträger?
Die unm. Wirkung der RL bedeutet, dass die nation. Verwaltungsträger zur Anwendung verpflichtet sind und in einem Rechtsstreit der nation. Richter sie v.A.w. zu beachten hat.
Ist der Staat auch dann Adressat der unmittelbaren Wirkung, wenn er nicht als Hoheitsträger, sondern in anderer Form tätig wird?
Ja, da auch hier verhindert werden muss, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des EU-Rechts Nutzen ziehen kann.
Kann die Umsetzung einer Richtlinie auch durch einen allgemeinen rechtlichen Rahmen erfolgen, z.B. durch eine sog. technische Anleitung?
Ja, aber nur wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der RL in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, dass die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese ggf. vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.
Wann ist eine Richtlinie unbedingt und hinreichend genau?
Eine RL ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, wenn sie den MS für die Einhaltung der festgelegten (Mindest-) Vorgaben keinen Entscheidungsspielraum eröffnet.
Wann ist den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie ein Entscheidungsspielraum eröffnet?
Ein Entscheidungsspielraum ist dann eröffnet, wenn das Setzen der vorgesehenen Rechtsfolgen ins Ermessen der MS gestellt ist oder die MS im Hinblick auf das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen über einen Beurteilungsspielraum verfügen.
Wann kann man bei einer RL, die finanzielle Ansprüche regelt, von einer Self-executing-Norm sprechen?
Wenn der begünstigte Personenkreis, der Inhalt der Begünstigung und der Schuldner unbedingt und hinreichend genau bestimmt sind.
Kann aus Art. 340 II AEUV ein Anspruch gegen Mitgliedstaaten abgeleitet werden?
Nein, Art. 340 II AEUV setzt Rechtsverletzungen durch Organe und Bedienstete der EU voraus und führt zu Ansprüchen gegen die EU.
Aus welchen Prinzipien leitet der EuGH das Rechtsinstitut der
"unionsrechtlich gebotenen Staatshaftung" im Wege der Rechtsfortbildung ab?
1. Prinzip der praktischen Wirksamkeit ('effet utile");
2. Art. 4 III EUV (Gebot des EU-freundlichen Verhaltens);
3. Art. 340 II AEUV als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes.
Unter welchen Voraussetzungen haftet ein Mitgliedstaat unionsrechtlich auf Schadensersatz wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung einer EU-RL?
1. Die RL muss die Verleihung von Rechten an Einzelne bezwecken. Der Inhalt dieser Rechte muss auf der Grundlage der RL bestimmt werden können.
2. Der Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein.
3. Es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Staates und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.
Welche Bedingungen gelten für nationale Voraussetzungen, die den Tatbestand der unionsrechtlichen Haftung ergänzen sollen?
Insoweit gelten der Äquivalenzgrundsatz und der Effektivitätsgrundsatz.
Zuletzt geändertvor 10 Monaten