Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB:
§ 16 I StGB regelt den Irrtum über Tatumstände
Schließt Vorsatzschuld aus, § 16 I 1 StGB
Aber: Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit bleibt unberührt, § 16 I 2 StGB
Sorgfaltswidrigkeit der Handlung liegt darin, dass der Täter zur tatbestandsmäßigen Handlung ansetzte, ohne sich ausreichend über die tatsächlichen Tatumstände vergewissert zu haben.
Bloße Rechtsgutsverletzung allein ist nicht ausreichend
Prüfung im Vorsatz
Bei Irrtum über qualifizierende Merkmale?
= Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen
Finden in § 16 I StGB keine Erwähnung
Aber: Umstände gehören zum gesetzlichen TB der Qualifikationsnorm
Somit: Irrtum führt zu einem Vorsatzausschluss bzgl. der Qualifikationsnorm
Kann z.B. beim Mittäterexzess eine Rolle spielen => wenn in Mittäter eine Qualifikation verwirklicht, ohne dass der andere davon weiß
§ 16 II StGB
§ 16 II StGB regelt die irrtümliche Annahme privilegierender Umstände
z.B. wenn der Täter glaubt, die von ihm getötete Person hätte ihm ggü. ernstlich ein Tötungsverlangen geäußert => dann gem. § 16 II StGB nur Strafbarkeit gem. § 216 StGB
Gesetzlicher TB i.S.d. § 16 I StGB
Zum gesetzlichen Tatbestand i.S.d. § 16 I StGB gehören alle normativen und deskriptiven TB-Merkmale, sowie bei Erfolgsdelikten die Kausalität als ungeschriebenes TB-Merkmal.
Somit: Täter muss den Kausalzusammenhang in seinen wesentlichen Zügen richtig erkannt haben
error in persona vel obiecto
Fehlvorstellung bezieht sich auf die Identität oder sonstige Eigenschaft der betreffenden Person
z.B. wenn der Täter eigentlich eine andere Person töten wollte
grds. unbeachtlicher Motivirrtum
Führt nicht zum Vorsatzausschluss
Ausnahme: Wenn der error in persona dazu führt, dass verschiedene Rechtsgüter beeinträchtigt werden
z.B. Täter will Hund erschießen, tatsächlich handelt es sich um ein Kind
Hier: ggfs. Fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB und versuchte Sachbeschädigung gem. §§ 303, 22 StGB
Fahrlässigkeitsvorwurf (+), weil man nicht auf Objekte schießen darf, die man wegen der Sichtverhältnisse nicht einwandfrei identifizieren kann
Täter hat nur Vorsatz bzgl. der Verletzung von dem Rechtsguts, von dessen Vorliegen er ausging
Hier dann Versuchsstrafbarkeit prüfen
Bzgl. des irrtümlich zu Schaden gekommenen Rechtsguts:
Keine Vorsatzstrafbarkeit wegen § 16 I 1 StGB
Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit prüfen, § 16 I 2 StGB
Abgrenzung des error in persona vel obiecto vom arberratio ictus
Gewollte Verletzung am Zielobjekt bleibt aus, während der tatsächlich eingetretene Verletzungserfolg am Zweitobjekt nicht gewollt ist.
z.B. Täter schießt daneben und trifft stattdessen eine andere Person
e.A.: Strafbarkeit wegen vollendeter vorsätzlicher Tat bzgl. des tatsächlich verletzten Zweitobjekts
Wenn das gleiche Rechtsgut verletzt ist
(-): Setzt sich über den individualisierten Vorsatz des Täters hinweg, indem sie die mit der konkreten Objektvorstellung verbundenen Gattungsvorstellung zur maßgeblichen Entscheidungsgrundlage macht
h.M.:
Versuch hinsichtlich der beabsichtigten Tat
Aber: Keine Anwendung des § 16 I StGB => kein Irrtum!
Fahrlässigkeit hinsichtlich der ungewollten und versehentlichen Verletzung des Zweiobjekts
Anders, wenn der Täter dolus eventualis hinsichtlich der Verletzung des Zweitobjekts hatte
Dann liegt Alternativvorsatz vor
Strafbarkeit wegen vorsätzlicher vollendeter Tat
=> P.: Distanzfall
Bsp.: Briefbombe, die die falsche Person öffnet
Problematisch: Täter individualisiert sein Tatopfer als eine bestimmte Person, aber auch als z.B. den Öffner des Breifes
h.M.: Beachtlich ist die Individualisierung durch den beabsichtigten Kausalverlauf
z.B. Brieföffnung
Die vorgestellte Person ist lediglich irrelevante Zusatzindividualisierung
Arg.: aberratio ictus soll Irrtümern über den Kausalverlauf Rechnung tragen; Irrtümer hinsichtlich des Ergebnisses des Kausalverlaufs sollen unbeachtlich bleiben
Hier kein Irrtum über den Kausalverlauf, sondern unkontrollierbarer Ablauf
Somit: Unbeachtlicher error in persona
a.A.: Maßgeblich ist das Vorstellungsbild des Täters vom Opfer ungeachtet des Kausalverlaufs
Irrtum über den Kausalverlauf
Irrtum über den Kausalverlauf:
Bei Erfolgsdelikten muss der Vorsatz auch den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen erfassen
Somit: Irrtum über den Kausalverlauf kann den Vorsatz entfallen lassen
h.M.: Abweichungen vom Kausalverlauf sind dann unwesentlich, wenn sie sich noch i.R.d. nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen
Aber: Wenn man der Lehre von der objektiven Zurechnung folgt, liegt dann i.d.R. schon ein atypischer Kausalverlauf vor
Beachte Jauche-Gruben-Fall
§ 16 I StG und gesetzliche Regelungsbeispiele
Vorsatz muss sich auch auf gesetzliche Regelungsbeispiele beziehen
z.b. § 243 StGB
Bei einem Irrtum kommt § 16 I 1 StGB zur Anwendung
P.: Normative TB-Merkmale bei § 16 I StGB
Abgrenzung zwischen TB-Irrtum und Verbotsirrtum schwierig
Sind wertausfüllungsbedürftig und nehmen häufig auf außerhalb des StGB stehende Vorschriften Bezug
z.B. „fremde bewegliche Sache“ bei § 242 StGB => was fremd ist, bestimmt sich nach zivilrechtlichen Vorschriften
Rspr.: Ein vorsatzrelevanter Irrtum liegt dann nicht vor, wenn der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstands nach Laienart richtig erfasst hat.
= sog. Parallelwertung in der Laiensphäre
(-): Unscharfes Kriterium
a.A.: Ein TB-Irrtum liegt dann vor, wenn der Rechtsirrtum einen Verweisungsbegriff innerhalb seines Verweisungsgehaltes betreffe, andernfalls liegt ein Verbotsirrtum vor.
z.B. Irrtum darüber, dass der Täter bereits Eigentümer der Sache geworden ist = Irrtum innerhalb des Verwendungsbereichs des Verweisungsbegriffes „fremd“ => § 16 I StGB (+)
(-): juristischer Laie stellt i.d.R. keine derart genauen rechtlichen Überlegungen an => auch keine trennscharfe Lösung
P.: Erlaubnistatbestandsirrtum
= irrtümliche Annahme einer rechtfertigenden Sachlage
P.: Rechtswidrigkeit kann nicht zum gesetzlichen TB i.S.d. § 16 I 1 StGB zugerechnet werden
Auf Schuldebene prüfen!
Strenge Schuldtheorie: Verbotsirrtum gem. § 17 StGB
Arg.: § 16 I 1 StGB spricht ausdrücklich nur vom gesetzlichen TB
Führt dazu, dass es auf die Vermeidbarkeit ankommt => bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum nur Strafmilderung gem. §§ 17 S. 2, 49 I StGB
(-): Führt zu unbilligen Ergebnissen
Verbotsirrtum nur sehr selten unvermeidbar => i.d.R. Strafmilderung
Handelnde handelt aber nach den Wertvorstellungen der Rechtsordnung und hat nur den Sachverhalt nicht richtig erfasst
Psychische Situation ist also identisch mit dem TB-Irrtum des § 16 I 1 StGB
Eingeschränkte Schuldtheorie (BGH):
Wegen der unbilligen Ergebnisse, zu denen eine Anwendung des § 17 StGB führt: Behandeln des Erlaubnistatbestandsirrtum wie einen TB-Irrtum
Arg.: Täter handelt an sich rechtsgetreu, sodass der Erlaubnistatbestandirrtum eine eigenständige Natur ggü. dem Verbotsirrtum hat
Dass sich der Täter objektiv rechtswidrig verhält, liegt nur daran, das er die Situation falsch einschätzt
Ein solcher Irrtum über Tatsachen muss anhand von § 16 I 1 StGB gelöst werden
Teilw. deshalb: Analoge Anwendung des § 16 I 1 StGB
Vorsatzunrecht entfällt
Arg.: Zwischen den unrechtstypischen Merkmalen des gesetzlichen TB und den Merkmalen des Erlaubnistatbestands besteht kein qualitativer Unterschied
Teilw.: Rechtsfolgenverweisende Variante
Vorsätzliche und rechtswidrige Tat liegt vor
Lediglich der Vorsatz-Schuldvorwurf entfällt
Geht von einer Doppelfunktion des Vorsatzes auf Unrechts- und Schuldebene aus
(+): Ist widersprüchlich von qualitativer Gleichwertigkeit von Tatbestands- und Rechtfertigungsmerkmalen auszugehen, trotzdem aber die Lehre von den negativen TB-Merkmalen abzulehnen
(+): Bei einer analogen Anwendung des § 16 I 1 StGB würde es an der vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat für eine Teilnahme fehlen => Aus Akzessorietätsgründen würde die Teilnehmerstrafbarkeit entfallen
Dieser Ansicht in der Klausur folgen
Abgrenzung des Erlaubnistatbestandsirrtums vom Erlaubnisirrtum
Beim Erlaubnistatbestandsirrtum: Täter irrt über das Vorliegen von sachlichen Vss. eines anerkannten Rechtfertigungsgrunds
= irrt über den Sachverhalt
Rechtstreue Einstellung des Täters
Erlaubnisirrtum: Täter verkennt die rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes oder glaubt an das Bestehen eines von der Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes
Täter lässt sich gerade nicht von gesetzlichen Wertvorstellungen leiten
Ist mit der Situation des § 17 StGB vergleichbar
P.: Irrtümliche Annahme der sachlichen Vss. eines Entschuldigungsgrundes
Auf Schuldebene prüfen
Anwendung von § 16 I 1 StGB weder direkt noch analog => Täter kennt alle Umstände, die sein Tun rechtswidrig machen
Täter nimmt einen Sachverhalt an, bei dessen Vorliegen ihm kein Schuldvorwurf gemacht werden könnte
Beim entschuldigenden Notstand entsprechende Regelung in § 35 II StGB:
Strafbarkeit nur, wenn der Täter den Irrtum vermeiden konnte, § 35 II 1 StGB
Bei Vermeidbarkeit ist die Strafe nach § 49 I StGB zu mildern, § 35 II 2 StGB
Beim übergesetzlichen entschuldigenden Notstand: Entsprechende Anwendung des § 35 II StGB
Beim Notwehrexzess gem. § 33 StGB: Voraussetzungen können gar nicht irrig angenommen werden => Vorschrift geht in ihren sachlichen Vss. bereits von einer irrigen Vorstellung aus
P.: Irrtum über die Existenz oder die rechtlichen Grenzen eines Entschuldigungsgrundes
§ 35 II StGB greift hier nicht => greift nur, wenn der Täter falsche Vorstellungen von der Sachlage hat, bei deren Vorliegen er gem. § 35 I StGB entschuldigt wäre
Irrtum über die Existenz oder die rechtlichen Grenzen eines Entschuldigungsgrundes ist nach h.M. unbeachtlich
Kann jedoch bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden
P.: Irrtümliche Annahme des Eingreifens eines Strafausschließungsgrund
Bei den Strafausschließungsgründen prüfen (nach der Schuld)
e.A.: Unbeachtlich
Arg.: Handelt sich um objektive Straflosigkeitsbedinungen => begründen aber Unrecht und Schuld nicht mit
a.A.: Differenzierung
Wen die gesetzliche Regelung ausschließlich oder überwiegend staatspolitischen Belangen dient oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruht: Allein auf obj. Sachlage abstellen
z.B. § 36 StGB dient staatspolitischen Belangen
z.B. §§ 173 III, 257 III StGB dienen kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen
Beachtlich: Wenn es sich um die Privilegierung einer schuldmindernden, notstandsähnlichen Konfliktlage handelt
z.B. § 258 VI StGB
Arg.: Schuldausschließungsgründe wurzeln eigentlich im Schuldbereich und nähern sich den Entschuldigungsgründen
P.: Entsprechende Heranziehung des Rechtsgedanken des § 35 II StGB oder des § 16 II StGB
Bei Anwendung des § 35 II StGB würde es dann auf die Vermeidbarkeit ankommen
Verbotsirrtum, § 17 StGB
Wem bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, handelt ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte, § 17 S. 1 StGB.
Somit: Spielt keine Rolle, ob ein Entschuldigungsgrund einschlägig ist oder ob der Täter einer derartige Sachlage annimmt => beeinflusst nicht das Vorliegen von Unrecht
=> Entscheidender Zeitpunkt?
Entscheidender Zeitpunkt ist der Handlungszeitpunkt bzw. im Fall des Unterlassens der Zeitpunkt, zu dem der Täter hätte handeln müssen
Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgeblich
vgl. § 8 StGB
=> Gegenstand des Unrechtsbewusstseins?
Erforderlich ist das Bewusstsein eines Verstoßes gegen die rechtliche Ordnung, ohne dass es der Kenntnis der konkret verletzten Norm bedarf.
Nicht ausreichend: Bloßes Bewusstsein sittlicher Verwerflichkeit
Unrechtsbewusstsein auch dann (+), wenn der Täter die Verbindlichkeit der Norm für sich ablehnt, weil er sich als Überzeugungstäter bewusst gegen die Wert- und Rechtsordnung auflehnt
Arten des Verbotsirrtums
Direkter Irrtum: Wenn der Täter irrtümlich annimmt, sein Verhalten sei generell rechtlich zulässig, weil er die Verbotsnorm nicht kennt oder Fehlvorstellungen über ihren Geltungsbereich hat
Indirekter Verbotsirrtum: Wenn der Täter von einem grds. Verbotensein seines Tuns ausgeht, er jedoch irrtümlicherweise an das Eingreifen eines nicht bestehenden Rechtfertigungsgrundes glaubt oder die Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungsgrunds zu weit zieht.
= sog. Erlaubnisirrtum
Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums:
Nur der unvermeidbare Verbotsirrtum führt zu einem Schuldausschluss
Der vermeidbare Verbotsirrtum führt gem. §§ 17 S. 2, 49 I StGB zu einer Strafmilderung
Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, wenn dem Täter sein Vorhaben unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten hätte Anlass geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gelangt wäre.
Rspr.: Strenge Maßstäbe
Täter muss alle intellektuellen Erkenntnismittel einsetzen
Täter muss sein Verhalten notfalls nach den Wertvorstellungen seiner Umwelt einrichten
Täter muss die erforderlichen Auskünfte einholen
Verschulden kann bereits in der Auswahl der Auskunftsperson liegen
i.d.R. Vermeidbarkeit (+)
P.: Doppelirrtum
Kumulatives Zusammentreffen von Erlaubnistatbestands- und Erlaubnisirrtums s.u.
Wenn der Täter einem nach § 16 I 1 StGB oder § 17 StGB bedeutsamen Irrtum unterliegt, der aber ggfs. wieder durch einen entgegengerichteten Irrtum wieder kompensiert wird
Täter geht davon aus, dass ein bestimmter Straftatbestand nicht greift, obwohl dieser eigentlich einschlägig ist
Geht aber gleichzeitig von einer Strafbarkeit nach einem anderen Straftatbestand aus, der aber tatsächlich nicht eingreift
Dass es dem Täter wegen seiner Fehlvorstellung am Unrechtsbewusstsein fehlt, kann nicht dadurch kompensiert werden, dass er den Anwendungsbereich eines anderen TB weiter zieht
Arg.: Gibt kein abstraktes Unrechtsbewusstsein
Deshalb: Anwendung des § 17 StGB (+)
P.: Kumulatives Zusammentreffen von Erlaubnistatbestandsirrtum und Erlaubnisirrtum
= Doppelirrtum
= wenn der Täter irrigerweise von einer Sachlage ausgeht, bei der er irrigerweise davon ausgeht, dass er bei ihrem Vorliegen in seinem Handeln gerechtfertigt wäre
= Irrtum über die Sachlage + Irrtum über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes in einer solchen Sachlage
Selbst wenn der vorgestellte Lebenssachverhalt Wirklichkeit wäre, würde der Täter nicht gerechtfertigt handeln => Erlaubnistatbestandsirrtum scheidet aus
Wegen des indirekten Verbotsirrtums Anwendung des § 17 StGB
Arg.: Kann dem Täter nicht zugute kommen, wenn er neben der fehlerhaften rechtlichen Bewertung zusätzlich über den Sachverhalt irrt
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